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22. Auf dem »Furgon«.

Kirwe.

 

Wenn man unter normalen Verhältnissen lebt, kann man sich nur schwer vorstellen, daß man ein Nachtlager auf einem holprigen und ungezieferdurchsetzten Ziegelsteinboden als eine köstliche Erquickung empfinden kann. Aber wenn man eine dreißigstündige ununterbrochene Fahrt auf dem »Furgon« hinter sich hat, dünkt einem jedes Lager herrlich, wenn es nur still hält und nicht auf und nieder stößt. Ein Furgon ist die eigentliche allgemeine Postkutsche in Persien. Als ich in Rescht einen Wagen nach Teheran nahm, wußte ich noch nichts von dieser Einrichtung, ich lernte sie erst unterwegs kennen. Als wir dann den ersten Furgon trafen, nahm ich mir gleich vor, die nächste Reise damit zu machen; denn erstens reist man mit dem Furgon rascher, zweitens billiger und drittens muß man alles kennenlernen. Auf Bequemlichkeit heißt es bei einer solchen Fahrt allerdings restlos verzichten, denn ein Furgon ist ein gewöhnlicher, ungefederter Leiterwagen. Er wird mit Postkollis und dem Gepäck der Reisenden beladen, und obendrauf hocken diese selbst, so gut es eben gehen will. Der Furgon hat nicht einmal eine Wagenplane. Wenn in der Mittagszeit die Sonne erbarmungslos herunterbrennt, dann glüht man eben wie in einem Feuerofen, und wenn es regnet, dann wird man eben naß. Das Anstrengendste ist aber, daß, wenigstens auf den Hauptrouten, der Pferdewechsel so rasch erfolgt, daß man kaum ein Viertelstündchen verschnaufen kann.

Aber ich mußte meine Furgonfahrt haben, und der deutsche Geschäftsträger, der mir so lange ein liebenswürdiger, aufopfernder Wirt gewesen, ließ es sich nicht nehmen, mich am Abend des Abreisetages selbst zur Poststation zu bringen. Der Vertreter eines Hamburger Handelshauses, ein alter »Perser«, gab mir noch gute Ratschläge: »Möglichst weit vorn, da stößt es am wenigsten.« Also rutschte ich möglichst weit nach vorn, ohne darauf zu achten, daß ich dadurch auf eine scharfe Kistenkante zu sitzen kam. oder vielmehr auf die Kanten zweier ungleich hoher Kisten. Die ersten Stunden Fahrt durch die frische kühle Nacht waren herrlich. Aber mit der Zeit machten sich die beiden harten Kanten doch unangenehm fühlbar, besonders, als ich mich zum Schlafen zusammenkrümmte und mein Kopf auch keine weichere Unterlage fand.

Am nächsten Tage brannte die Sonne mit unerbittlicher Glut herunter; ohne Unterbrechung ging es weiter, unbarmherzig durch die größte Mittagshitze. Und als es dann noch eine zweite Nacht bis gegen 1 Uhr dauerte, da legte ich mich nach der Ankunft in dem Tschapparchanä, der Poststation, in Kaswin einfach auf die Veranda und ich hätte mich auf das köstlichste Lager nicht wohliger ausstrecken können als auf die harten Ziegel.

Am nächsten Morgen weckte mich einer meiner Reisegefährten, ein nach Enseli versetzter Polizeibeamter, um mir mitzuteilen, die Post nach Rescht fahre jetzt ab, und um mich zu fragen, ob ich nicht doch lieber mit nach Rescht wollte, um von Baku aus mit der Bahn nach Täbris zu fahren, anstatt den gefährlichen und gänzlich ungewissen Landmarsch zu wagen. Von Baku angefangen, hatte mir noch jeder von dieser Reise abgeraten, denn einmal waren die Kurden vom Urmiasee her im Anrücken und zum andern waren überdies seit einigen Tagen die Schachsewennen wieder im Aufstand und machten die Straße zwischen Mianeh und Täbris unsicher. Die letzte Nachricht stammte vom Postdirektor in Teheran und besagte, daß der Postverkehr nach Täbris eingestellt sei; er hoffe jedoch, in einiger Zeit Transporte unter Bedeckung abgehen lassen zu können. Die Aussicht, unterwegs überfallen und ausgeraubt zu werden, war nicht gerade verlockend, aber ich habe noch immer gefunden, daß die Gefahr in der Nähe besehen nicht so schlimm ist wie aus der Ferne, und dann: wollte man jedes Risiko vermeiden, so konnte man ja ebensogut zu Hause bleiben. Also widerstand ich auch dieser letzten Versuchung, den bequemen und sicherern Weg einzuschlagen, sondern ließ die Post ruhig ohne mich abgehen.

Mit welchem Verkehrsmittel ich übrigens nach Täbris gelangen konnte, ganz abgesehen von der durch Schachsewennen und Kurden drohenden Gefahr, hatte mir in Teheran niemand verraten können. Eines stand nur fest, daß bis Sendschan Postwagen verkehrten. Von da an sollte die Weiterreise über die schwierigen Gebirgspässe nur zu Pferd oder Maultier möglich sein.

Also zunächst nach Sendschan. Von dort sind es bis Täbris allerdings noch 300 Kilometer; aber irgendwie wird es schon gehen. Überdies habe ich Glück; denn die Post nach Sendschan geht bereits am folgenden Tag.

Meine neuen Reisegefährten sind ein Kaufmann aus Hamadan und ein Major mit seinem Burschen. Wir sind also einschließlich Kutscher und Postkurier nur zu sechsen und haben darum herrlich Platz. Außerdem suche ich mir diesmal, durch die Erfahrungen der letzten Fahrt gewitzigt, rechtzeitig eine einigermaßen erträgliche Unterlage aus. Der Kaufmann hockt, während der Furgon beladen wird, voll stoischer Ruhe, in einen herrlichen kaukasischen Pelz gehüllt, am Boden. Als er jedoch hört, daß ich ein Deutscher bin, geht ein breites, zufriedenes Grinsen über sein fettes apathisches Gesicht, und er frägt mich sofort nach Zugmayer und Niedermayer – zwei Namen, die in Persien jedermann zu kennen scheint.

Wir fahren zu früher Stunde durch das Kaswiner Stadttor. Im ersten Morgenlicht macht die Landschaft einen phantastischen, fast traumhaften Eindruck. Am Horizont ist bereits Sonne, und die Berge scheinen durchsichtigen Gebilden gleich über der Hochfläche zu schweben.

In flottem Tempo fahren wir zunächst die große Landstraße nach Hamadan hinunter. Sie wurde von den Engländern, nachdem sie Baghdad erobert hatten, aus strategischen Gründen gebaut und stößt in Kaswin mit der Chaussee zusammen, die die Russen aus den gleichen Gründen von Enseli nach Teheran gebaut hatten. Nach dem Rückzug der Russen und der Engländer gingen die beiden Einfallstraßen in den Besitz der persischen Regierung über, die auf diese allerdings nicht ganz ungefährliche Weise billig zu ausgezeichneten Verbindungswegen kam. Bald biegen wir von der Chaussee ab. Ein sandiger Feldweg führt durch hügeliges Bergland. Die Landschaft wird einsam und öde.

Wir fahren und fahren. Ohne Aufenthalt werden die Pferde gewechselt. Am späten Nachmittag beginnt sich vor uns eine schwarze Wolkenwand aufzubauen. Unvermittelt wird es kühl, und plötzlich bricht ein rasender Wind los, der den Wagen in eine wirbelnde Staubwolke hüllt.

In der schwarzen Wand vor uns blitzt es. Helle Streifen, die auf strömenden Regen deuten. Der Kutscher schlägt auf die Pferde ein, damit wir die nächste Station noch vor dem Unwetter erreichen. Aber dieses ist rascher als wir. In schweren Tropfen beginnt der Regen zu fallen. Glücklicherweise hat der Major eine große wasserdichte Wagendecke mit. Wir breiten sie aus und kriechen darunter zusammen. Der Regen prasselt los. Auf der Decke beginnen sich kleine Teiche zu bilden, und langsam rinnt durch Löcher und Ritzen das Wasser auf uns hernieder.


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