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Jussufabad.
Kurz hinter Davadger liegt eine festungsartig ausgebaute Baschi-Bozuk-Kaserne. Dis Kaserne selbst – ein von hohen Mauern umschlossenes Viereck – liegt versteckt in einer Mulde. Von ihr führt ein gedeckter Laufgraben zu dem auf der Höhe liegenden Turm.
Bis hierher ritten wir und warteten dann, daß der Prinz mit seiner Eskorte nachkam. Ich setzte mich zum Schreiben in den Torweg, und als ich nach einer Weile eifrigen Schreibens aufschaue, sehe ich vor der Kaserne einen Wagen halten, in dem ein etwa sechsjähriges Bübchen sitzt, das ernsthaft ein großmächtiges Gewehr zwischen den Knien hält. Der Anblick war so putzig, daß ich laut auflachte. Gleichzeitig kam ich mir sehr wenig kriegerisch und heldenhaft vor; denn wenn man sogar Kinder mit auf diese Reise nahm, konnte sie nicht gar so gefährlich sein.
Das Bübchen war der Sohn des Prinzen, der als Regimentskommandeur oder dergleichen von Kaswin nach Täbris versetzt worden war und nun seine Familie in die neue Garnison holte. Diese Familie bestand außer dem Sohn noch aus Frau und Tochter, die ich kurz darauf kennenlernte, als unsere Kavalkade sich in Bewegung setzte und wir alle zusammen zu Fuß die starke Steigung jenseits der Mulde hinankletterten.
Die Prinzessin war eine Russin, eine sehr energische Dame, was schon daraus hervorging, daß nicht nur sie selbst, sondern auch ihre vierzehnjährige Tochter in europäischer Kleidung und unverschleiert gingen. Denn wenn auch die mit Persern verheirateten Europäerinnen in der Regel ohne Tschador gehen, so müssen ihre Töchter doch fast immer Mohammedanerinnen werden und verfallen als solche rettungslos dem Schleier. Jedenfalls begegneten wir uns beide darin, daß wir die Schachsewennengefahr nicht allzu tragisch nahmen.
Unser Trupp bekam übrigens bald darauf noch Verstärkung. In wilder Karriere kamen flintenschwingend etwa ein Dutzend Baschi-Bozuk angesprengt und meldeten sich beim Prinzen als Eskorte. Jetzt bildeten wir schon eine kleine Kriegsmacht, und als wir aus den Schluchten heraus waren und die Hochfläche erreichten, die sich etwa 40 Kilometer lang bis Jussufabad erstreckt, schien wirklich alle Gefahr vorüber zu sein.
Es war Mittag geworden, und in der ermattenden Sonnenglut hatte sich unsere Gesellschaft etwas auseinandergezogen. Ich war sonst meist an der Spitze geritten, jetzt aber unversehens an das Ende der Kolonne geraten. An der Tete ging nunmehr der eine Fußkosak des Prinzen, dann folgten die Baschi-Bozuk, hinter diesen die Equipage mit der prinzlichen Familie, eskortiert von den berittenen Kosaken. In einigem Abstand schloß sich daran Gholem Farchi, der eine der beiden Baghdader, eine leichte Karre mit dem Gepäck des Prinzen und schließlich der zweite Baghdader, der Kosakensergeant und ich, während die Nachhut der zweite Fußkosak des Prinzen bildete.
Bis vor kurzem waren die Kosaken und Baschi-Bozuk noch jeden Hügel beiderseits der Straße hinangaloppiert, mit auf die Hüften aufgesetzten Karabinern, um den Weg zu sichern. Aber nun dösten wir alle in der Mittagsglut dahin. Auf dieser freien Hochfläche war auch wirklich keine Gefahr. Zur Rechten lief allerdings die unheimliche Felskette, hinter der sich die Schachsewennen bergen, aber sie war hübsch weit entfernt. Zur Linken zogen sich die Vorberge des schneebedeckten Sahend, dessen mächtiges Massiv am Horizont in fleckenlosem Weiß schimmerte. An den Hängen sah man große ausgedehnte Dörfer liegen und zahlreiche starke Herden weiden. Kurz, es war ein Bild tiefsten Friedens.
Auf einmal fällt ein Schuß, ein zweiter, ein dritter, und dann geht ein allgemeines Geknatter los. Von irgendeinem Gegner ist nichts zu sehen. Dagegen gibt es einen wunderhübschen Anblick, wie mit einem Schlag die ganzen Herden in Bewegung geraten und in rasendem Galopp, mächtige Staubwolken hinter sich aufwirbelnd, den schützenden Dörfern zujagen.
Wie ich mich wieder umdrehe, sehe ich bereits weit vorn die Equipage davonsausen, umgeben von den Reitern, und hinterdrein alle Nachzügler verzweifelt bemüht, ihr zu folgen. Auch mein Gaul hat sich in Galopp gesetzt, ich halte ihn aber zurück; denn zunächst möchte ich doch einmal wissen, von welcher Seite eigentlich Gefahr droht. Wir erhalten von rückwärts und von rechts Feuer, aber auch von links her wird geschossen; es sind das vermutlich die Bauern, die von ihren Türmen aus das Gefecht aufgenommen haben.
Das Feuer scheint von sehr weit herzukommen, zunächst ist also keine unmittelbare Gefahr. Da pfeift es wie ein Peitschenschlag, und auf der Straße stäubt ein Wölkchen auf. Das Pferd des Baghdaders stürzt, der schwere Sattel rutscht, und Mann, Pferd und Sattel bilden einen wirren Knäuel. Der Kosakensergeant mit der Tapferkeitsmedaille wirft noch einen Blick hinter sich und galoppiert dann im Caracho davon. Wir zwei andern helfen dem gestürzten Tier auf. Hinter uns liegt der eine Fußkosak auf den Knien und feuert nach rückwärts. Plötzlich aber gibt er das Schießen auf, rennt laut rufend und gestikulierend an uns vorbei und springt auf den Gepäckkarren, der sich gleichfalls in Galopp setzt. Mein Begleiter nimmt sich nun gar nicht Zeit, erst aufzusitzen, sondern rennt neben seinem Pferde her.
Ehe ich blindlings folge, möchte ich wissen, was eigentlich los ist, und reite daher eine kleine Anhöhe hinan, die freien Blick nach rückwärts gibt. Kaum habe ich mich jedoch umgesehen, so sehe auch ich zu, daß ich weiterkomme; denn in einer wirbelnden Staubwolke setzt am Horizont ein starker Reitertrupp hinter uns drein. Sind die feindlichen Reiter auch noch so weit entfernt, so ist es doch nur eine Frage der Zeit, wann sie uns auf unsern schwerbeladenen und ermüdeten Tieren einholen; denn Hadschi-Agha, das nächste Dorf, ist noch ein gutes Stück Weg entfernt. So fange ich an, meine Situation als äußerst unbehaglich zu empfinden. Da fassen, Gott sei Dank, endlich die Kosaken und Baschi-Bozuk auf einem Hügel Posto und beginnen ein heftiges Feuer nach rückwärts zu richten. Die Schachsewennen, die, wie die Prinzessin mit Recht sagte, höchstens halb so tapfer sind wie ihr Ruf, bleiben zurück. Überdies werden auch die Schüsse aus der rechten Flanke immer schwächer und verstummen schließlich ganz. Augenscheinlich ist das Feuer der Bauern wirksam geworden.
Wir hasten aber trotzdem weiter, bis Hadschi-Agha glücklich erreicht ist. Dort ist alles in Verteidigungszustand. Schon von weitem empfängt uns das Brüllen und Blöken des in den Dorfstraßen zusammengetriebenen Viehs. Am Dorfeingang sitzt ein uralter Bauer mit brandrot gefärbtem Bart. Er reinigt umständlich sein Gewehr und prophezeit uns, daß es heute noch einmal losgeht. Ich höre dies mit sehr gemischten Gefühlen; denn wenn man eine Gefahr glücklich überstanden hat, geht man nur sehr ungern und zögernd unmittelbar darauf einer zweiten entgegen. Aber unter Umständen hieß bleiben nur die Gefahr vergrößern. So ritten wir nach kurzer Rast weiter, bis wir mit Einbruch der Nacht ohne weiteren Zwischenfall Jussufabad erreichten.