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14. Erlebnisse in Baku.

Baku.

 

Man muß wohl die russische Revolution in ihren entscheidenden Phasen miterlebt und miterlitten haben, um die heutige Lage des Landes und vor allem die Psyche seiner Bewohner richtig zu verstehen. Die Situation hat sich ja seit einem Jahr gründlich geändert, so daß man zu völlig falschen Urteilen kommt, wenn man sich das Vorgefallene nicht immer wieder ins Gedächtnis zurückruft.

Das Erstaunlichste an dieser Revolution ist eigentlich der tief eingewurzelte Konservatismus aller menschlichen Gestaltung. Man begreift, daß die Natur so ungeheuer weit über das Ziel hinausschießender Eruptionen bedarf, um die Entwicklung der Menschheit auch nur ein kleines Stück voranzutreiben.

Nach den Berichten, die ins Ausland kamen, mußte man annehmen, die russische Bourgeoisie und Intelligenz sei ausgerottet oder vertrieben. Hier aber stößt man allerorten auf sie, natürlich in andern Lebensverhältnissen, aber sie hat sich doch behauptet und ist drauf und dran, eine der verlorenen Positionen nach der andern zurückzuerobern. Sie ist auch in allen Sowjetbehörden vertreten, und so mancher scheinbar ganz waschechte kommunistische Sowjetbeamte entpuppte sich mir bei näherer Bekanntschaft als alter »Burschuis«.

Ich bin in einer deutschrussischen Familie in Baku zu Gast. Die Wohnung ist natürlich wie überall. Das große Zimmer, in dem wir sitzen, ist durch Schränke, Kommoden und Vorhänge in mehrere Räume geteilt: Salon, Schlafzimmer und Eßzimmer. Aber man sieht doch wieder Gäste bei sich; es sind sogar ziemlich viel Gäste eingeladen. Es gibt Sakuska, die russische Vorspeise, mit Lachs und Schnaps, dann einen warmen Gang, Kuchen und Wein. Gemessen an den Vorkriegsverhältnissen – der Hausherr war Großgrundbesitzer –, ist das natürlich ärmlich, aber auch in den Privathaushaltungen befindet man sich bereits in der aufsteigenden Linie; man operiert schon wieder mit großen Zahlen, wobei die Hoffnung auf die Rückgabe des Grundbesitzes natürlich eine große Rolle spielt.

Aber an Kleinigkeiten merkt man ganz plötzlich wieder, wie unsicher sich doch noch alle diese wieder zu Geld und Stellung gelangten »Bürgerlichen« fühlen und wie tief ihnen der Schrecken des Überstandenen im Blute sitzt. Schon in Charkow erlebte ich es, daß der dortige deutsche Pastor zu tiefst erschrak, als ich ganz harmlos sagte, ich wollte auf unsern gemeinsam verabredeten Marktspaziergang eine Kamera mitnehmen. Ich ging auch richtig allein, und tags darauf fragte mich der Pastor ganz ängstlich, ob mich denn kein Tschekist habe verhaften wollen.

Hier in Baku dasselbe: Als ich das erstemal mit einem Bekannten ausging und meinen photographischen Apparat zückte, machte er mich sofort darauf aufmerksam, photographieren sei verboten. Als ich mich dadurch nicht abhalten ließ, ging er ängstlich auf die andere Seite, um nicht in das augenscheinlich von ihm befürchtete Renkontre mit der Polizei verwickelt zu werden.

Es ist ja möglich, daß man sich als Ausländer im Innern Rußlands in Unkenntnis der möglichen Gefahren etwa wie der »Reiter auf dem Bodensee« bewegt. Aber ganz abgesehen davon, daß man im Notfall doch einen Rückhalt hat, wirkt beim Einheimischen die Erinnerung an all das Überstandene lähmend mit. Jedenfalls ließ ich mich nicht abhalten, am ersten schönen Tage mit meinem Kinoapparate loszuziehen, trotzdem meine Papiere noch nicht in Ordnung waren und ich infolgedessen jedes Ausweises entbehrte.

Allerdings erwies sich die Sache nicht so einfach, wie ich gedacht hatte. Denn kaum hatte ich meinen Apparat auf dem Parapet aufgebaut, um Karl Marx unter dem Halbmond zu kinematographieren, da umgab mich alsbald ein solch dichter Schwarm von Neugierigen, daß zunächst an irgendeine Aufnahme nicht zu denken war und ich erst langsam mit vielen: » Paschalusta tawarischtschi« einigermaßen freies Sehfeld bekam.

Teheran

Der Parapet erinnert in erstaunlicher Weise an die Plazas südamerikanischer Städte, wie überhaupt das ganze Baku. Als ich an einem brennend heißen Tage ankam, da erinnerte alles: die Hitze, der Sand, der viereckige Platz vor dem Bahnhof, die niedrigen Häuser mit den flachen Dächern und die Straßen, die schnurgerade vom Meer nach dem felsigen Berge zu liefen, um unvermittelt in Sand und Geröll zu verlaufen, in stärkster Weise an Antofagasta, die chilenische Salpeterstadt am Stillen Ozean.

Gleich Antofagasta ist Baku eine merkwürdige Mischung von einheimischen und fremden Elementen. Rußland, Orient und Amerika sind zusammengekommen, um ein Stadtbild von eigenartigem Reiz zu schaffen. Das lässige Gehenlassen des russischen Orients wird wettgemacht durch das europäisch-amerikanische Unternehmertum, das die Naphthagruben anzogen.

Dazu kam die Bedeutung Bakus als Stapelplatz und Transithafen. Wenn auch heute noch der Verkehr erschwert und unterbunden ist, hat doch in dieser Stadt, in der sich das kommunistische Regime nie so festsetzen konnte wie in andern russischen Städten, orientalischer Händlergeist an allen Straßenecken wieder einnisten können. Auch der ausländische Import und Export hat in Gestalt eines großen deutschen Unternehmens festen Fuß gefaßt. Allerdings leidet der Absatz noch unter der geringen Kaufkraft des russischen Geldes und unter der Unsicherheit des Transportes nach dem fernen Osten. Ich habe noch keine einwandfreien Zahlen über den jetzigen Stand der Naphthaproduktion in Händen, aber, wie es damit auch bestellt sein mag, die natürliche Lage dieser Stadt bedingt, daß sie in kurzer Zeit ihre frühere industrielle und kommerzielle Bedeutung wieder erringen wird.

Flußübergang auf dem Weg nach Mianeh

Nun, einstweilen zerbreche ich mir darüber nicht den Kopf und ich ziehe mit meinem Apparat auf der Suche nach ein paar hübschen Motiven weiter. Auf dem Markt nehme ich einen Brotladen auf, der mit seinen auf einem Gestell ausgestellten großen flachen Broten ein originelles Bild abgibt. Daraufhin werde ich von allen umliegenden Kaufleuten dringend aufgefordert, auch ihre Läden aufzunehmen. Allerdings auf Grund eines Mißverständnisses. Man hält mich augenscheinlich für einen Schnellphotographen, und auch der Brotladenbesitzer kommt mir nachgeeilt und bittet mich um das Bild. Die Menge um mich wächst, ich rette mich in die Festung.

Auf persischer Karawanenstraße

Die »Festung« ist der älteste Stadtteil Bakus – ich weiß nicht, aus welchem Jahrhundert; sie ist umgeben von einer hohen tatarischen Mauer mit Zinnen, Pechnasen und runden Türmen. Hier nehme ich einige Tatarinnen auf. Ein junger Armenier bietet sich an, mich zu führen. Wir gehen durch Gassen, so eng, daß die Firsten der Dächer sich berühren. In ihnen ist es dumpf und feucht. Immer enger und finsterer werden sie. Die Fenster sind vergittert, die Türen offen. Der Armenier dreht sich um: »Eine schöne Gasse! Die sollten Sie aufnehmen.« Sein Grinsen ist so ekelhaft wie die Fassade der Häuser.

Endlich ist die Gasse zu Ende. Ein kleiner Platz senkt sich. Unten liegt eine Moschee. Auf ihrem Hof leuchten Kacheln in einem wundervollen intensiven Blau. Zur Seite führt steil eine Rampe aufwärts. Hier liegt hinter ungefüg gehäuften Mauern die alte Burg der Chane. Durch Gänge und enge Pforten, über Höfe und steile Treppen geht es. Endlich stehe ich in einem tempelartigen Kiosk inmitten eines viereckigen, von Säulenhallen eingeschlossenen Hofes. Hier stand der Thron des Chans, auf dem er Gericht hielt. Unter dem Kiosk ist ein Gewölbe, in dem die Urteile vollstreckt wurden; noch tiefer liegt ein Gewirr von Kerkern und geheimen Gängen.

Ich bin froh, wie ich wieder im hellen Tageslicht stehe. An dem aussätzigen alten Bettler vorbei schreite ich auf die freie geländerlose Terrasse vor dem Palast der Chane. Von hier hat man einen herrlichen, freien Blick über Hafen, Stadt und Meer, die im Lichte der Sonne gleißen. Nur im Norden baut sich eine schwarze Wand auf: die Mauer von Rauch und Dunst der Naphthagruben und Petroleumfabriken. Wie ich an mir niederschaue, sehe ich, daß Hand und Hemd schwarz gefleckt sind von dem Ruß, den die »Schwarze Stadt« im Norden Tag für Tag auf die Stadtteile am Meer niedersendet.


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