Peter Rosegger
Sonnenschein
Peter Rosegger

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Heilige Wunder

Das war ein glühender Kampf der zwei jungen Eheleute. Mein Garten, in welchem ich arbeitete, stößt hart an ihr Haus und so mußte ich unfreiwilliger und wohl auch unbemerkter Zeuge sein, wie sie alle bräutliche Zier, die sie sich in den Tagen still aufkeimender Liebe, in den Tagen des Werdens, des Brautstandes, der Trauung und der Flitterwochen gegenseitig an das Herz gehangen hatten, nun roh und unbarmherzig herabrissen. Die Ursache des Streites habe ich nicht vernommen, aber ich habe gehört, wie sie sich gegenseitig alles Harte und Bittere sagten; sie schreiend, mit einer Stimme, die scharf wie Nadeln und Messer war; er grollend, in einem Tone, der dumpf und stumpf war, wie eine schwere Holzkeule. Von Falschheit und Untreue hörte ich sie sagen.

»Du bist mein Unglück geworden!« ruft er.

»Was ich denn hab' verschuldet,« schreit sie, »daß mich Gott so hart kann strafen, bei solch einem Menschen leben zu müssen!«

Er hat höhnenden Trotz, versinkt manchmal in finstere Ruhe. Sie gibt sich heftig und rasch aus, und ist sie mit ihren Vorwürfen zu Rande, so beginnt sie wieder von vorne, daß es wirklich zu hören ist, als nehme sein Sündenregister kein Ende. Ihre Stimme zittert, das eine Mal vor Wut, das andere Mal vor Schluchzen, ganz wie es in den Text paßt. Endlich haben sie sich so tief in ihr Elend hineingefeindet, daß sie den Tag verfluchen, da sie sich das erstemal gesehen, verfluchen ihre Liebe und Ehe und alles Gute, das sie sich gegenseitig angetan, verfluchen ihr Leben.

»Du bringst mich noch auf den Freidhof (Friedhof)!« weint sie, »tu's bald, ich bitte dich! Tausendmal lieber unter dem Rasen, als in diesem Haus!«

»Jetzt ist alles aus,« murmelt er und wankt davon.

Mir tat das Herz weh. So brave Leute, vor sechs Wochen erst Hochzeit gehalten, beneidet und befreudet zugleich vom ganzen Dorfe! Und nun dieser wilde, plötzliche Bruch!

»Gottlob! Gottlob, wenn alles aus ist!« rief das junge Weib dem Manne nach und begann – soviel ich wahrnahm – Kasten und Laden auszuräumen und ihr Eigentum in Bündeln zusammenzupacken.

Mir war bange. Ob ich nicht den Vermittler zu machen hätte versuchen sollen? Es wäre damit ja kaum etwas mehr zu verderben gewesen. Mir selbst zitterten die Glieder so sehr, daß ich von meiner Arbeit ablassen mußte. Ich ging, um mich zu beruhigen, hinaus über die Wiesen und Felder in den friedensheiteren Mainachmittag.

Es war eine milde, stille Luft, der Himmel war mit einer zarten, blassen Schichte überzogen, die sich hie und da zu leichten Wolkenballen verdichtete. Trotzdem brannte die Sonne manchmal so scharf und schwül herab, daß ich mich in den Schatten eines Lärchenbaumes setzte, der in seinem lichten Grün still und freundlich zwischen den Feldern stand. Ich sah hinaus ins blühende Tal, hinab auf das Dorf, das scheinbar so friedvoll daliegt und doch soviel Leidenschaft und Unheil birgt unter seinen Dächern. – Von meinen Träumen erwachend, gewahrte ich, daß die Sonne mir ins Auge schien. War ich denn so lange hier gesessen, daß mittlerweile der Schatten sich wendete? Und hatte ich die Sonne denn jemals an so nördlichem Himmel gesehen, als sie jetzt stand, halb verdeckt hinter der milchigen Dunstschicht? Was war denn das? Ich stand rasch auf und sah nun am Himmel erst auch die eigentliche Sonne, fast noch an der Stelle, wo sie vorhin gestanden.

Zwei Sonnen! In einer alten Urkunde des Dorfes war zu lesen, daß einst an einem Pfingstsonntag ein Hirt auf der Weide am Himmel zwo Sonnen gesehen. Es sei hierauf ein großes Sterben gekommen, aber nach demselben seien die Menschen so fruchtbar gewesen, daß auf den Gassen und Wiesen kleine Kinder wie Maikäfer herumgezappelt wären und man acht haben mußte, keines zu zertreten.

Heute sah ich das Unerhörte, und es war nicht Einbildung, die zwei Sonnen standen vor meinen leiblichen Augen am Himmel. Etwa fünfzehn Grade weit standen sie auseinander; die südliche war so funkelnd, daß man sie nicht anblicken konnte, die nördliche war sanfter, fast größer, weiß wie der Mond, und ihr Rand war so scharf geschnitten, daß man ihn durch den leichten Schleier genau erkennen konnte. – Ich war tief erregt; nicht das »große Sterben« fürchtete ich, das nun kommen sollte, auch nicht die Kinder, die auf Gassen und Wiesen unzählig wie Maikäfer umkrabbeln werden – Mich bewegte das heilige Wunder der Natur, das sich still und groß vor meinen Augen zeigte. Ist es denn wirklich? fragte ich mich. Träume ich nicht? Ach, wäre ein zweites Wesen hier, daß es mit mir sehen und mir die Wahrheit bestätigen könnte! – Das zweite Wesen war der Lärchbaum, der bestätigte mir die zwei Sonnen am Himmel, denn er hatte zwei Schatten. Sie lagen über dem grünenden Felde hin, der schärfere mehr gegen Norden, der sanftere ein wenig gegen Süden gelegt. Es muß in unserem Gliederspiele etwas Unwillkürliches sein, eine angeborene Art: als ich jetzt wieder so zu den zwei wunderbaren Sonnen aufblickte, da wollten sich die Knie beugen, die Arme streckten sich gegen Himmel, und ich hätte was dafür gegeben, zu wissen, wen ich für dieses herrliche Naturspiel preisen, wem ich dafür danken dürfte.

Sachte begann endlich der zweite Schatten zu verblassen, die nördliche Sonne verlor ihre Ränder und floß gleichsam auseinander zu einer lichten Wolke, in deren Schicht die Widerspiegelung stattgefunden hatte. Die andere, unsere liebe alte Sonne, stand klar und strahlend am Himmel.

In einer wahren Weihestimmung setze ich meinen Weg fort. Im Friedhofe, der feierlich ernst und doch fast freundlich einladend zwischen Feld und Flur liegt, kehre ich ein. An einem frischen Grabe stehe ich still und sinne darüber nach, wie es doch sein kann, daß von zweien Wesen, die auf ewig miteinander verbunden sind, das eine oben auf dem Rasen steht, die Wunder des Himmels sieht, die Nachtigall hört – und das andere ist da unten zu Erde geworden. Und wie mein lichtmüdes Auge sich senkt, sehe ich den erdigen Hügel nicht mehr, sehe ich zu meinen Füßen einen prangenden Flor von wilden Blümlein und Röslein. – Ist dieses Wunder nicht ebenso groß, als jenes vorhin am Himmel? Ist es nicht größer? – Wie die Menschen immer noch bangen mögen vor der dunkeln Tiefe, die nimmer müde wird, Blumen heraufzusenden!

Wenn Schafe vor einem Muttergottesbilde niederknien, wenn ein aus Holz geschnitzter Christus Tränen vergießt, welch triviale Wunder! Wenn auf dem Haupte eines Hirschen zwischen den Geweihen ein Kruzifix wächst, wenn in der Christnacht das Rind in der menschlichen Sprache redet, welch kindische Wunder! Wenn der Lahme vor dem Gnadenaltar seine Krücke vergißt oder der Stumme davor plötzlich ein helles Loblied anstimmt, welch knechtisch eigennützige Wunder! Wenn in dunkler Kammer die Tische tanzen, aus der Wand ein Menschenarm hervorwächst und die Satzungen der Spiritisten niederschreibt, welch theatralische Wunder!

Von der heiligen Rosa wird erzählt, daß sie den christlichen Gefangenen verbotenerweise in einem verdeckten Korbe Brot zugetragen habe. Da fragte sie einst der Gefängniswärter, was sie im Korbe trage, und sie antwortete: Rosen. Der Gefängniswärter wollte ihr nicht glauben, sondern öffnete den Korb, und siehe, es waren – zum eigenen Erstaunen der Jungfrau – wirklich Rosen. Also hat der Herr seine fromme Dienerin bezeugt. – Daß Geduld Rosen bringt, mag manchmal wohl auch ein Wunder sein, aber wenn eine Lüge Rosen bringt, das ist ein größeres; weitaus das größte jedoch: wenn das Grab Rosen bringt. Die heiligen Wunder Gottes sind zu groß, um bewundert zu werden, sie begegnen uns auf Schritt und Tritt, sie begleiten uns von der Stunde, da wir das Licht der Welt erblicken, bis zu jener, da das Auge bricht. Der sanft niedersinkende Herbst ist nicht minder voll von Wundern, als der aufblühende Frühling; der Erde unheimlicher Grund nicht minder wie des Himmels unendliche Höhe. Und wenn wir Menschen das Wunder am Ende gar begreifen, so ist es ja noch um so größer!

Jetzt war die Sonne untergegangen, das Tal, sonst voll des gesättigten Lichtes, lag im Dunkel und hoch am dunkeln Himmel standen Funken. Wer das mit reifen Sinnen das erstemal sähe!

Ich ging den Feldrain entlang bis zum Schachen, dort war eine Sitzbank, dort wollte ich ausruhen und träumend an die finsteren Tannenwipfel meine Jakobsleiter lehnen. Als ich gegen die Stelle kam, merkte ich, daß auf der Bank schon jemand war. Der lag darauf hingekauert und stöhnte und schluchzte, daß sein Körper schüttelte. Ich dachte gleich an meinen Nachbar, der heute mit seinem Weib die unselige Stunde gehabt. Ich schlich durch das Dickicht, daß ich hinter der Bank zu stehen kam, um zu fragen, was ihm wäre. Nun erkannte ich bestimmt, daß er's war. Sein Weinen hier in der einsamen Nacht, sein Weinen um ein verlorenes Leben war so herzbewegend, daß ich nicht den Mut hatte, zu ihm zu treten.

Wohl unversehens kam jemand anderer, und das war sein Weib. Sie mußte ihn gesucht haben. Zagend schritt sie gegen die Bank, beugte sich nieder, legte ihre Hand auf sein Haupt und sagte leise: »Sei gut, Franz! Sei wieder gut!«

Er hatte sich erschrocken rasch aufgerichtet, mit der Hand deutete er heftig, daß sie ihm fernbleiben solle, blieb dann am anderen Ende der Bank kauern und suchte sein Schluchzen aufzuhalten, was ihm kaum gelingen wollte.

Sein Weib stand nun neben der Bank, unbeweglich wie eine Bildsäule. Endlich trat sie noch einen Schritt näher und blieb wieder stehen – soviel ich im Dunkeln sah, ihr Haupt war gesenkt. Plötzlich stürzte sie auf ihn hin, nahm sein Haupt mit beiden Händen, küßte stürmisch sein Haar, seine Stirne, und rief mit schluchzender Stimme fortwährend: »Franz! Franz!«

Dieser wehrte ab und fragte mit fremder Stimme: »Was willst du von mir? Wir kennen uns nicht!«

Sie wich zurück. Eine lange Weile stand sie wieder unbeweglich da; er kauerte, den Arm auf die Lehne gestützt, an der Bank. Das Sternchen eines Johanniskäferchens schwebte umher, gleichsam als wollte es einen holden Kreis ziehen um das entzweite Ehepaar. Das Weib tat einen Seufzer, kniete hin vor den Mann, hob die gefalteten Hände und bat: »Verzeihe mir, Franz! Schau, es ist in der Aufregung geschehen und ich weiß nicht, was ich gesagt habe. Franz! Schau mich an, du bist mir ja der liebste Mensch auf der ganzen Welt. Wenn du mich nicht gern hättest, ich könnt' nimmer leben. Aber soviel gereizt kann ich sein, wenn mir etwas über die Leber lauft, und da tu' ich leicht unrecht. Mußt mir den Fehler verzeihen, es ist ja bald wieder gut und tut's mir selber am meisten weh. Du bist ja so gut. Du bist eine Bessere wert als ich bin – ich will's werden, Franz!«

Mit ihrer Schürze trocknete sie ihm auf der Wange die Tränen. »Sei gut, mein Alter, ich kann dich nicht weinen sehen. Ich will dich nicht mehr kränken, du bist mein liebes Herz . . .« Vor Schluchzen konnte sie nicht weiter sprechen. Er fuhr auf und riß sie mit beiden Annen an seine Brust und preßte sie an sich und küßte voller Wonne ihre Augen, ihren Mund . . .

O heiliges Wunder! Zwei Leute, die wenige Stunden früher so bitter uneinig gewesen, daß man glaubte, es sei zwischen ihnen keine Versöhnung und kein Verständnis mehr möglich, waren hier in weicher, friedsamer Nacht so einig und eins, wie das bei zwei jungen Menschen, wovon jedes in einer besonderen Haut steckt, nur immer möglich ist.

Als ich hierauf, nach Hause gekommen, die wunderbaren Erfahrungen dieses Tages meinem alten Vetter erzählte, der den Ehestreit vorher auch wahrgenommen hatte, sagte der Vetter: »Es sind wunderbare Ereignisse, es sind sehr wunderbare Ereignisse! Bedenkest du aber, was an allem noch das größte Wunder ist?«

»Du meinst wohl die zwei Sonnen?«

»Nein, ich meine die Frau, die ihren Fehler einsieht.«



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