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Beim Stecken im Stock hatten sie eine alte Magd. Die war weltberühmt, nämlich ihr Ruf ging durch das ganze Waldland, nach der einen Seite bis zur Mürz hinaus und nach der anderen Seite bis in das Tal von Stanz hinüber. Und noch unermeßlich weiter. Die Leute erzählten sich eine Mär, daß sogar in Graz unten, in der großen Herren- und Frauenstadt, die Magd Ernesta Guggenhoferin irgendwo ehrenhaft festgeschrieben sei.
Diese merkwürdige Magd hatte nämlich einen zugenähten Kittelsack. Werktags merkte man nichts. Wenn da ein kümmerliches Menschenkind herumstand, das offenen Auges in den blauen oder grauen Himmel hineinfragte, ob nicht etwa einmal was zum Essen herabfiele, fuhr die Ernesta in ihren Sack und zog eine Brotrinde hervor, oder ein paar gedörrte Birnen, oder gar einen Kreuzer, und bat das Menschenkind, ob es nicht so gut sein und das Ding annehmen wolle, sie könne bei der Arbeit im Sack die Knötteln nicht leiden. Am Sonntag jedoch, wenn sie über den Bergrücken hin nach der weißen Kirche der heiligen Katharina ging, hatte sie am Leib einen wulstigen kurzen Zwilchkittel. Der hatte rote und schwarze Streifen, die von oben bis unten gingen, und hatte zwei tiefe Säcke, einen rechterhand und einen linkerhand, wie die Männer an den Hosen. Der zur Linken barg mancherlei Sachen, als den roten Taschenfeitel, den braunen Rosenkranz und wohl manchmal auch eine Semmel oder ein paar Birnen, eben für solche Menschenkinder, die in den Himmel hinaufschauen, ob nicht etwas zum Essen herabfiele. Wenn die Ernesta aber einmal gedankenlos in den rechten Sack fahren wollte, da – da glitt die Hand außen an den roten Streifen hinab und kam unverrichteterweise zurück, denn der Sack war zugenäht. Am Feldsteig, wenn sie über den Zaun stieg, da spielte es so, als ob in diesem Sack ein platter, eckiger Gegenstand wäre. Gebetbuch war's keins, weil sie gar nicht lesen konnte, und Dienstbotenbüchel war's auch keins, weil's bei der Ernesta derlei Faxen einfach nicht gab. Die Kennzeichnungen brav, fleißig und treu waren ihr Lebtag nicht über sie gesprochen oder geschrieben worden – was soll denn der Mensch anders sein? Davon redet man gar nicht. Dreißig Jahre lang war die Ernesta beim Stecken im Stock im Dienst gestanden als Stallmagd. Dann war sie eines Tages in das Amt nach Kindberg vorgerufen worden. Die einzige Schreckenszeit, die sie in ihrem Leben durchgemacht hatte, mit Ausnahme des Jahres, als die große Viehseuche gewesen und ihr alle Kühe und Kälber im Stall bettlägerig geworden waren. Und wenn sie jetzt eingesperrt werden sollte! Ja, warum denn, was hatte sie denn angestellt? Man riet ihr, der Vorladung sich zu widersetzen, aber sie dachte, dann könne es so sein wie mit der alten Zigeunerin, die von dem »Standarn« geholt worden war. Nein, sie wollte in Gottesnamen freiwillig gehen, und je näher sie dem schönen Marktflecken Kindberg kam, je mutiger wurde sie und je neugieriger, was man mit ihr wolle. Vor der Amtsstunde sättigte sie sich im Wirtshaus für alle Fälle noch mit einer Portion Fleischsuppe und einem Seidel Wein. Beim Amt gab es mehrere Leute, an keinem war etwas Verdächtiges zu merken. Endlich kam ein großer graubärtiger Herr, rief etliche Namen auf und auch den der Ernesta Guggenhoferin.
»Sie sind das? Heißen Sie so? Beim Stecken im Stock, nicht wahr? Na gut.« Und dann kam's: »Sie haben dreißig Jahre lang ununterbrochen bei einem und demselben Bauern gedient. Sie bekommen hier ein Prämium.« – Ein braunes, ganz dünnes Büchelchen gab er ihr in die Hand. »Gut einstecken, daß Sie's nicht verlieren! Ja, jetzt können Sie schon wieder gehen.«
Außer dem Orte bei dem ersten Baume setzte sie sich in den Schatten, um wundershalber einmal nachzusehen, was lauter in diesem Büchel drin sein werde. Ein Heiligenbild vielleicht oder gar die Mutter Gottes. Ob's wohl auch geweiht sein wird? Das hätte sie doch fragen sollen. – Mein Gott, schreiben lernen soll sie noch in ihren alten Tagen! Denn das Büchel hatte weiße, linierte Blätter, so wie bei einem Schulkind. Auf dem einen Blatt steht was geschrieben. Eine Aufweisung wird's sein, so was wird's sein. Was der Will, stecken wir's halt wieder ein und gehen heim.
Die Leute im Steckenhofe zerbrachen sich die Köpfe, aber auch in den zerbrochenen war nichts vorfindbar, was über das braune Büchel hätte Aufschluß geben können. Wenn's der Waldbauernbub auch nicht weiß?! – Natürlich, der wußte es auch nicht. Der sah nur, daß auf dem einen Blatte eine geschriebene Zeile stand, Ziffern vorn und Ziffern hinten und dazwischen ein paar Namen, die kein Mensch lesen konnte. Aber siehe – ganz vorn, es war ein wenig zugeklebt – doch auch etwas Schöneres. Ein Engel und darüber mit zierlichen Buchstaben geschrieben: Steiermärkische Sparkasse. – »Aha!« sagten die Leute, »zusammensparen sollst was, Ernesta, so ist es gemeint. Nachher mußt Steuer zahlen. Weil's dein Geld haben wollen. Geh, wärst nit g'scheit!«
Anders der Steckenbauer, als er selber das Büchel in Augenschein nahm.
»Ernesta,« sagte er, schier feierlich ernsthaft sagte er es. »Gefreut mich, daß du das bekommen hast. Eine Auszeichnung. Verdient hast sie eh. Hundert Gulden hast in der Sparkasse liegen. Sie sind eine Ehrengabe von der Landschaft und gehören dein.«
Nun und seither war's, daß die Magd einen zugenähten Kittelsack hatte. Sie blieb hierauf noch zehn Jahre beim Stecken, dann noch zehn Jahre und endlich war keine Rede mehr vom Bleiben und keine vom Gehen. Das Ansehen der alten Magd war hoch gewachsen. Nicht, weil sie ein gutes Dienstbot war, sondern weil sie Geld hatte. Eine Schüssel voll Geld, wenn's beisammen wär'. Hundert Gulden, nicht um einen Groschen weniger.
Es gibt Leute, die in der Jugend ein unschönes Gesicht haben und erst lieblich anzusehen sind, wenn die aufgeblähten roten Wangen ein wenig schmächtiger und zarter werden und feine Fältchen bekommen. Der Bachleitner Hetzel fand, daß die Ernesta immer hübscher werde. Der Hetzel war ein ausgedienter Soldat und Wassermeister in der Gegend. Er hatte die Aufgabe, aus dem Bach je nach Bedarf die Mühlen zu speisen und die Wiesen zu bewässern. Bei diesem wässerigen Gewerbe wurde er nicht gerade fett, aber er trug sich mit der Hoffnung, daß ihm in seinem Leben noch einmal ein großes Glück zustehen werde. Einstweilen fand er, daß die Magd Ernesta ein gutes Herz habe.
»Hab ich eins?« lachte sie auf und schlug mit der flachen Hand an den zugenähten Kittelsack, daß es klatschte. Die Form dieser Antwort war nicht nach seinem Sinn, er sagte nichts mehr.
Zur kleinen Aushilfe war sie immer zu haben, ob nun ein Armer das Herabfallen des Essens erwartete oder ob ein anderes Dienstbot notwendig Schuhriemen brauchte oder Nadel und Zwirn oder auch ein Pfeifel Tabak. Für derlei fiel vom Jahrlohn ab und der Kittelsack blieb zugenäht. Da sie keine Verwandten hatte, so fragte sie eines Abends im Stall der Steckenbauer, was sie wohl vorhabe mit dem Sparkassebüchel? Was damit zu geschehen habe, falls sie einmal – na, halt nur, daß man davon rede. Nämlich, falls sie einmal nicht wäre. –
Die Magd saß just unter einer Kuh und molk ein weißes, sprühendes Brünnlein in den Sechter. »Aber was glaubst denn, Bauer, ich bin ja!«
»Ist eh recht, ist eh so weit recht, Ernesta. Ich hab halt gemeint: Wer dir deine Sach' in Ordnung halten soll. Es ist unsicher, sind wieder Zigeuner im Land. Oft denk' ich, wenn wir all auf dem Felde arbeiten: Das Haus steht allein und die Truhen haben kein G'schloß. Auch deine Gewandtruhe hat keins, wo der schöne Sonntagskittel drinnen liegt. Mein Kasten hat eins und wenn du etwan solltest Sorgen haben um dein Buchel, gern heb' ich dir's auf.«
»Geh kindisch!« antwortete sie. »Wer wird denn 's Büchel nehmen! Ist ja fest eingenäht!«
Von dieser Zeit an aber doch, daß sie den schwarzrot gestreiften Kittel, der viele Jahre lang ihr Sonntagskleid gewesen war, auch an den Werktagen zu tragen begann. Denn besser als ein eisernes »G'schloß« ist ein lebendiger Wächter! dachte sie, und auf eine Untersuchung, ob beim Sack oben und unten und seitlings die Nahden in Ordnung waren und auch der Zeug nirgends ein Loch hatte, war sie gänzlich beruhigt und trug ihren Schatz bei sich. In der Nacht legte sie den Kittel unter das Strohkissen und betete den Abendsegen, worauf ein Christenmensch unbesorgt einschlafen darf.
So kam also die Ernesta mit ihrem vernähten Sack glücklich über viele Jahre hinweg. Und als sie schon recht alt war, klagte sie einmal einem Meßner auf dem Sonnberg, der ihr Seelentröster war, ihre Bekümmernis von wegen des Sparkassebüchels. Darüber wurde der Meßner so betrübt, daß er die Hände auf dem Schoß zusammenklammerte und das Haupt nach der rechten Schulter neigte. »Bekümmernis!« sagte er mit leiser und bewegter Stimme, »das wäre nichts, Ernesta! Wenn dich dieses Geld belastet, so wirf es von dir, daß nicht deine Seele Schaden leide. Das heißt, just wegwerfen auf die Gasse hin, so ist es nicht gemeint. Es gibt viel Notleidendes. Hast du dir unseren Seitenaltar einmal recht angesehen? Was wäre nötiger, als daß die Heiligen dran neu vergoldet würden! Du kannst machen, was du willst mit deinem Geld, Gott bewahre mich, daß ich dich zu was überreden wollte. Wie sehr aber so eine Kirchenstiftung, oder was zum Troste der Seelen ist, not täte, das kannst du dir selber denken. Für deine verstorbenen Verwandten einmal ein paar Seelenmessen – möchten ihnen auch gut tun. Na, überleg' dir's halt und komm' glücklich heim. Und verlier' nichts.«
Unterwegs nach Hause dachte sie schon nicht mehr an die Worte des Kirchendieners, auch nicht an ihr Büchel, sondern nur an ihre Stallbewohner. Sie wäre doch eine schlechte Person, daß sie so in weit und breit umginge, während daheim das arme Vieh bei der leeren Krippe stehen müsse! Dann jedoch griff sie um so emsiger zu und entschuldigte sich mit zärtlichen Worten beim Vieh, daß sie es so lange habe warten lassen. Sie konnte die Stallarbeit jetzt nicht mehr recht so leisten, als der Bauer verlangte, aber sie ließ neben sich keine andere Magd dran, lieber arbeitete sie selber Tag und Nacht.
»Du bist nit gescheit,« so sagte ihr nun wieder einmal der Hetzel, der sie zeitweilig heimsuchte, weil er nicht immer nur Wasser, sondern auch einmal Milch wollte rieseln hören. Zudem lugte er gerne manchmal nach dem Glücke aus, ob es denn nicht endlich einmal komme. »Bist nit gescheit, Ernesta,« sagte er zu ihr. »Wenn ich das Geld hätt', wie du, da wollt' ich noch einen Finger rühren! Nit um ein Hammerhaus! Na leget ich mich hin aufs Heu, die Weinflaschen daneben und die Tabakpfeifen – und jetzt leckt's mich ins Gnack!«
»Du alter Wasserpatsch, das kannst auch ohne Geld tun!« lachte die Alte lustig auf, »einen Heustadl und ein' alte Weinflaschen wirst doch noch auftreiben mögen!«
Der Hetzel lugte sie schief an; ganz krumm wie ein Haken war sein Blick und mit zärtlich girrender Stimme sagte er: »Du bist ein Luder, Ernesta, dich sollt' man totschlagen! Wenn du einmal allein durch einen Wald gehst, so laß mich's wissen.«
»Mit solchen Reden treibt man keinen Spaß!« verwies sie. »Es haben schon bessere, als du bist, die Gnad' Gottes verloren.«
Daß es beim Hetzel nicht schlecht gemeint war, das wußte sie gleichwohl. Seit er damals so halbwegs um sie geworben hatte, machte sie heimlich einen Unterschied zwischen ihm und anderen. Einer hat halt doch um mich angehalten! Diese Vorstellung tat ihr wohler als das Büchel im Kittelsack. Und daß sie ihn damals so lustig abgeschnalzt hatte, machte ihr auch noch immer Vergnügen. Er ist zwar um vierzig Jahr' jünger als ich, aber wenn ich will, mein Büchel heiratet er jederzeit. – So hörte sie ihm ernsthaft zu, als er ihr ernsthafte Ratschläge gab. Er an ihrer Stelle möchte das Geld nicht immer bei den Stadtleuten liegen lassen. Das seien auch nicht die Verläßlichsten, soviel man höre. Auch gebe es alle Augenblick' wo einen Rummel, da wisse man nicht, ob eine Sparkasse, und wäre sie aus noch so dickem Eisen, wohl auch sicher sei. Dann komme es darauf an, wer die Schlüssel habe! Heut' lieber als morgen solle sie sich auf die Füß' machen nach Graz und ihr Geld aufheben.
»Hast du nit Zeit, so schicke mich,« fügte er bei.
»Oder was beißt mich!« lachte sie auf.
»Wenigstens nimm mich mit als Beschützer. Bin einmal Soldat gewest und weiß den Weg. Mit den Herren kann ich auch umgehen. Nur zehrungfrei halt'st mich, sonst verlang ich nichts.«
Sie lehnte ihn aber doch ab. Sie hatte so eine Art von züchtiger Empfindung. Sie wollte keinen in ihr Büchel gucken lassen. Und die hundert Gulden, die will sie zuerst einmal ganz allein in der Hand haben. Der Steckenbauer war auch der Meinung, sie solle sich endlich einmal um ihr Geld umsehen. Und so ging sie eines Tages in aller Herrgottsfrüh fort nach der Grazerstadt. Auf weiten Straßen sind Bauersleute nicht so ratlos, als man etwa annimmt. Sie gehen von Kirche zu Kirche. Die Ernesta mußte nur die Kirchen wissen, an denen sie vorüberkommt, und die lernte sie sich ein wie das Vaterunser. Einmal Fischbach, dann Heilbrunn, nachher Passail, nachher Semriach, nachher Straßengel, und so hin und hin. Freilich sind diese Kirchen viele Stunden weit auseinander und zwischen ihnen liegen manchmal ausgebreitete Wildnisse. Zwei Begleiter hatte die alte Ernesta, den Schutzengel und das Brotbündel, in welches ihr die Steckenbäuerin auch Käse und Rauchfleisch gebunden hatte. »Aber sie sollt' dafür einen schönen Grazer Markt heimbringen.« Weil sie einen alten Pilgerstab bei sich hatte und daran den Rosenkranz hängen, so hielt man sie unterwegs für eine Wallfahrerin. Die Alte hingegen kam sich schwer sündhaft vor, daß sie eitel Geldes wegen so in die Welt wandere. Und das viele Geld! Mit hundert Gulden kann sich der Mensch alles kaufen, nur den Himmel nicht. – Was sie sich nur lauter kaufen wird! Ob dem Stecken wohl die Kühe und Kalben feil wären? Einstweilen beschenkte sie arme Kinder mit Kreuzern. Bei einem Rasten unterwegs besichtigte sie den Kittelsack, in den das Büchel immer noch genäht war. Es wunderte sie, daß die Nahten noch so fest zusammenhielten, und waren doch vor so vielen und vielen Jahren genadelt worden. Am zweiten Tage war sie am Ziel. Als sie an einer Ecke des Gebäudes stand, wo es hieß, sie bekomme ihr Geld, zog sie sich in eine dunkle Ecke zurück, trennte mit dem Feitel die Naht auf und zog das Büchel heraus. Es hatte verknitterte Ecken und war ganz warm. Dann trottete sie vor und der Diener führte sie an den Schalter. An demselben standen Leute wie daheim das liebe Vieh vor dem Brunnentrog. Einer der Herren, die da hinter dem Gitter überall umhersaßen und schrieben, nahm ihr das Sparkassebuch aus der Hand, bog fürs erste einmal die Ecken zurecht, öffnete es, blickte hinein und schaute dann die alte Magd an. Diese sagte, sie wolle ihr Geld. Hernach gab er das Büchel weiter. Bald wurde an einem anderen Schalter gerufen: »Ernesta Guggenhofer!«
»Hier!« antwortete sie hell, denn das hatte sie von der Christenlehre, wenn sie gerufen worden war. – Ob's wohl auch das Ganze setzt, dachte sie, ob man nicht was abzieht fürs Geldaufheben? Wer Mann drin nahm einen Buschen Geld aus der Lade und legte ihr einen Hundertguldenschein vor.
»Bedank mich halt fleißig!« sagte sie zitternd vor Freude.
Und legte ihr einen zweiten Hunderter vor. Und einen dritten und noch mehrere Gulden.
»Das weitere gehört halt nit mein,« sagte sie und schob das Geld zurück.
»Sie wollen doch beheben mitsamt den Zinsen? Nun also. Macht dreihundert und fünf Gulden.«
Das kaum hören und die Alte begann laut zu jammern: »'s recht Büchel han ich nit! Mein Büchel ist weg! Mein Büchel ist mir vertauscht worden! Meins ist auf hundert Gulden, gradaus. Au weh, au weh, mein Büchel!« Sie schoß aufgeregt hin und her und andere drängten herbei.
»Sie einfältige Person!« rief der am Schalter. »So kommen Sie doch und packen Sie Ihr Geld ein!« Er hatte keine geringe Mühe, ihr zu erklären, daß es wirklich ihr Büchel sei, daß eben durch die vielen Jahre her die Zinsen so groß geworden wären.
Krampfhaft hat sie endlich die Geldnoten zusammengetastet; wahrlich, ihre steifen, knochigen Finger machten das nicht am besten. Und war froh, als der ganze Ballen mit einem roten Taschentuch umwickelt im Sacke stak. Dann taumelte sie hinaus und in ihrem Kopfe war's wie an jenem Leihkauftage vor Jahren, als sie aus Übermut zu viel süßen Wein getrunken hatte. Nachher, als sie in einer Kaffeeschänke saß, ließ sie den Kopf hängen und sann nach, was sie denn um Gottes willen anfangen werde mit diesem lasterhaft vielen Geld. Als dann die Zeche zu bezahlen war, feilschte sie, ob man von den acht Kreuzern nicht etwas nachlassen wolle, sie sei eine alte Bauernmagd und habe einen weiten Weg bis heim.
Die Schänkin schob ihr die kleinen Münzen gutmütig zurück, sie möge nur gesund nach Hause kommen.
Auf dem Heimweg beteilte sie zwei Bettler mit kleinen Almosen, als ihr aber der dritte begegnete, gab sie nichts. Wozu Geld kriegen, wenn man's wieder soll vertun? Man hat seine Sach' auch nit gestohlen, wahrlich nit! – Sie wischte sich mit dem Ärmling den Schweiß vom Gesicht. – Und tut doch nur Bettler züchten mit dem fortwährenden Geben und Geben. Sollt' jeder selber schauen auf sein' Sach', tät's kein Bettelvolk geben!
Als sie am zweiten Tag durch den großen Teufelssteinwald ging, wo kein rechter Weg war, nur schlechte Fußsteige hin und her, dunkelte der Abend. In den Wipfeln kein Laut, nur ein Rabe schrie auf einem der alten Bäume, die über den Jungwald aufragten. Die Ernesta huschte – so müde sie auch war – eilig und dachte: Wenn jetzt ein Räuber tät' kommen! – Da stand er schon vor ihr, der Wassermeister Hetzel, der wieder einmal einem längst erwarteten Glücke entgegenging. Sie erschrak nicht schlecht.
»Da bin ich!« sagte er gemütlich, »In welchem Säckel hast es denn?«
»O Halbnarr!« rief sie, »wenn du dem Geld nachfragst, mußt schon selber nach Graz gehen. Nit einen Groschen!« Und sie wunderte sich heimlich über ihre Lüge. Die hat mir 'leicht der Schutzengel eingegeben? dachte sie.
»Ist das Büchel falsch gewest?« fragte der Hetzel.
»Ist falsch gewest, verfallen – abgestanden, weil ich zu lang gewartet hab.«
»Jetzt hast nix, Ernesta! Ah, da muß ih lachen!«
Sie betastete heimlich den Knoten in ihrem Sack. Daß sie doch am Ende der Himmel nicht wirklich strafe!
»Halt' dich an bei mir,« so lud er sie ein, sich in seinen Arm zu hängen. »Halt' dich nur fest an, daß d' nit fallst übers Wurzelwerk. – Du, das Sauglück, das ich erst noch hab'! Wenn du mich hättest geheiratet! Eine Alte und kein Geld! Marand Josef!«
Endlich kamen sie hinab zum Alpsteigwirt, da kehrten sie ein. Sie würde Hunger und Durst haben nach dem weiten Weg, wenn sich der Mensch aufs Geld verlaßt und nix kriegt! Er ließ ihr Wein geben und zwei Portionen Lämmernes backen. Dabei kicherte er immer in seinen buschigen Schnauzbart hinein.
»Derbarmen tust mir, Alte!« lachte er laut auf und legte seinen Arm um ihren Hals. »Weißt, Ernesta, ich muß dir was sagen. Wenn du heut' das Geld hättest gehabt, da oben im Wald! Ich hab' mir's schon vorgenommen. Umsonst gehst ihr nit entgegen, hab' ich mir gesagt. Auf der Stell' muß sie dir's versprechen und morgen gehen wir zum Pfarrer.«
»Narr, das können wir eh so auch noch tun,« meinte sie mit Schalkheit.
»Na, Alte, ohne Geld nit! Denk' dir leicht die Stuben voll Kinder – und kein Kreuzer im Haus!«
Da hatte er den Seitenstoß. Doch die ganze Schärfe ihres Ellbogens hatte sie ihm nicht fühlen lassen. – Das ist ja ein grundguter Mensch, dachte sie. Derweil ich ihn angelogen hab', derweil ich Verdacht gehabt hab'! Wie soll denn das weitergehen, wenn mich das Geld schon am ersten Tage hautschlecht macht? Das ganz' Jahr bring' ich sonst nit so viel Sünden zusamm', als ich jetzt auf dem Heimweg von Graz schon begangen hab'. Das kunnt sauber werden! –
Plötzlich faßte sie das Weinglas und tat einen so ausgiebigen Zug, daß der Hetzel ihr den Arm abfing.
»Warum laßt mich nit trinken?« fragte sie ihn scharf. »Weißt denn so gewiß, daß ich heut' keine Kurasch mehr brauch'? Ja, mein Lieber!« Sie fuhr in den Kittelsack, zog den roten Tuchballen hervor und hieb ihn auf den Tisch hin.
»Was hast denn da für einen Knödel?« fragte er.
»Schau' nach, Neugieriger!«
Er nestelte das Tuch auseinander und kam auf zerknittertes Papier. Er nestelte auch das auseinander und schnob mit der Nase. Nichts sagte er, kein Wort, schnob nur mit der Nase. Und nestelte und schmunzelte.
»Hetzel, du bist besser, als du ausschaust,« sagte sie, »mein Gut, dein Gut.«
Ihm war unsicher. Ihm verging das Lachen.
»Und muß – muß ich dich heiraten?«
»Bleib sitzen, Hetzel, und iß dein Kälbernes. Ich bleib bei meinen Kühen und du bei deinem Wasser. Aber zusammenhalten – wenn's dir recht ist.«
»Und – heiraten?«
»Batsch, dummer! Daß du alleweil vom Weib redest! Brauchst denn kei' Mutter?«
»Machen wir's einmal wie die Herrischen,« sagte der Hetzel und hob sein Glas, um mit ihr anzustoßen.
»Na, du!« weigerte sie sich, »daß ich noch rauschiger tät werden! Hab' eh schon zu viel geredet.«
Und am nächsten Tag tat sie wirklich, als sei der Abend beim Alpsteigwirt gar nicht gewesen. Sie wollte vom Hetzel nichts wissen. Und als Leute zusammenkamen, um die Million zu sehen, die sie von Graz mit heimgebracht, schlug die Alte ihre Arme auseinander: »Gscht, gscht!« wie man die Hühner vom Brotkorb jagt. Von der Million ließ sie nichts sehen. Der Kittelsack war wieder zugenäht.
Am dritten Tage nach ihrer Heimkehr blieb die alte Ernesta in ihrem Bette liegen. Der Arzt, der just bei einem Nachbar zu tun gehabt hatte und herüber kam, schrieb es der Reiseanstrengung zu und riet, sie solle mit ihrem Stechen und Hitzen ein Paar Tage liegen bleiben. Sie tat ein übriges und stand gar nicht mehr auf. Am sechsten Tage starb sie an der Lungenentzündung – in ihrem einundachtzigsten Lebensjahre. Testament hatte sie keines hinterlassen, bei dem Versehenwerden aber in Gegenwart mehrerer Leute hell und deutlich die Worte gesagt: »Mein gestreifter Kittel gehört dem Wassermeister Hetzel!«
Der trennte nun mit vergnüglicher Betrübnis die Sacknaht auf. Dann holte er rasch eine Ziegenhirtin hervor, die in der Köhlerhütte gesessen war. – Sie trug zeitlings den gestreiften Kittel, aber in den Sack greifen tat er, wann er wollte.