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Über den Fluren lag Winter. Wo einst die blühenden Matten gewesen mit den grasenden Herden und barfuß hüpfenden Hirten; die Bäche, bestanden von Dotterblumen und Vergißmeinnicht, bewohnt von nach vorwärts schießenden Forellen und nach rückwärts schleichenden Krebsen; die Felder, belebt von lachenden Schnittern mit klingenden Sicheln; die hin und her sich schlängelnden Wege mit kollernden Karren und trillernden Handwerksburschen; die Gärten mit Nelken und Reseda hegenden Maiden – wo das alles und noch vieles andere in Prangen und Prachten einst gewesen, da starrte jetzt eine unabsehbare Schneeheide. Wo einst buschige Fichten gestanden, da ragten reglose Schneeschober auf; wo einst Strupp und Sträucher gewuchert, da lagen glatte Schneehügel. Wo einst schimmernde Teiche gelegen, da war das glasige Auge des Eises. Etliche Raben flogen hin und her, ließen sich nieder auf dem Schnee, suchten vergeblich nach Nahrung und krächzten erbärmlich. – Und wie man keine Erde sah, so sah man auch keinen Himmel. Unten weiß und oben grau und nach allen Seiten hin in graue Nebeldämmerung verschwimmend das ganze Bild. – Was war das für ein grauses Gestöber gewesen, viele Tage lang, bis es so geworden! »Graus!« hatten die Leute gesagt, und ich jauchzte im Innern. Hätte ich laut hinausgejauchzt in das Unwetter, so würden sie mich für närrisch gehalten haben, denn wie kann ein vernünftiger Mensch sich freuen an Sturm, Schneien und wüstem Schneetreiben? Also strich ich draußen umher, bis auf die Knie im Schnee, an den Wangen die eisigen Nadeln – und jauchzte still für mich. Und als die Stürme sich endlich gelegt hatten, als die starre Ruhe eingetreten war, und aus frostigem Nebel sich nur bisweilen ein Schneefünklein hervorspann, nahm ich mein längstes Paar Füße und ging hinaus aufs Land. Stellenweise waren die Füße noch zu kurz und ich versank in die Schneewehen bis an die Lenden, später festete sich unter mir der Boden, der Schnee war hart wie Stadtpflaster und ich ging darüber hin.
Über ein eisernes Kreuz stolperte ich plötzlich – ein schmiedeeisernes, rostiges Ding mit zwei Querbalken. Wer das nur in den Schnee gesteckt haben mag! Der Schnee ist ja doch kein Grabhügel, vielmehr eine Wiegendecke, unter welcher der junge Frühling schläft. Mit scharfem Ruck riß ich das Kreuz heraus und trug es mit mir bis zu einem großen Gehöft, das halb in den Schnee versunken und halb aus dem Schnee herausgewachsen war. Der Greuthof.
Dort waren sie in der Stube beisammen; eine ältliche Frau stand hinter dem großen Ofen und hielt die Schürze ins Gesicht gepreßt; ein paar Männer am Tische spielten Karten, wobei der eine schmunzelte und der andere fluchte.
Ich war in diesem Hause nicht fremd, daher fragte mich der Fluchende, was ich ihnen denn für ein Kreuz ins Haus brächte. Auf meinen Bescheid, wie ich dazu gekommen, schrie der Mann auf: »Herr Jesses! So hoch ist der Schnee? Von der gemauerten Pestsäule, die am Rain steht, hat der Mensch das Giebelkreuz gerissen! Und im Sommer kunnt's der größeste Mann mit der Hand nit derlangen!« – Als Heiligtumschänder hätten sie mich jetzt packen können; der Pestsäule das Kreuz vom Schopfe zu reißen! Sofort zog ich mir einen Gulden Sühngeld aus der Tasche für den Maurer oder Schmied; was weiß ich, wer's wieder festmachen kann!
Nun wollte ich einmal sehen, warum das Weib die Schürze vors Gesicht hielt. Sie stand am Fenster, tat als schaue sie hinaus, sah aber nichts, als Urwald. Tropischen Urwald, den das Eis an die Scheibe gemalt, gleichsam wie einen schwermütigen Traum aus längst vergangenen Zeiten, da turmhohe Schachtelhalme und Farnkräuter gestanden in diesem Himmelsstriche, wo heute der starre Winter liegt.
So wird es kalt und kälter auf Erden. Nur das Mutterherz bleibt warm, immer und immer gleich warm.
Die Greuthoferin hatte ein Kind gehabt, eine Jungfrau von neunzehn Jahren. Ein weißes Gewand am Leibe, einen grünen Zweig um die Stirn – so war sie vom Elternhause fortgeführt worden der Kirche zu, wo die Glocken klangen. – Darum weinte die Mutter still vor sich hin. Da hegt und erzieht man ein Kind mit Not und Sorgen, hängt sein Herz und Hoffen daran, und wenn man alt wird, führen sie es einem fort.
»Sie zog in ein Land, wo nicht Winter ist, sondern ewiger Frühling!« also tröstete der Pfarrer, denn das Brautpaar hatte seine Hochzeitsreise angeblich nach Italien gemacht. Es ist ja so der Brauch, und obzwar die Braut gesagt hatte: »Gustav, was sollen denn wir jetzt in dem stockfremden Italien anfangen?« drang doch der Vater des Bräutigams, ein Kaufmann im Flecken, die Vornehmheit mitzumachen, denn er gehörte zu den ersten Häusern, und die ersten Häuser fahren, wenn sie neu verheiratet sind, nach Italien.
Wenn der Pfarrer mit dem italienischen Paradiesesgarten getröstet hatte, so tröstete ich das trauernde Weib mit kleinen Kindern, Buben und Mädeln, Blauäuglein und Braunäuglein, Blondköpflein und Schwarzköpflein – lauter Enkelkinder, die ihr allmählich die Stube beleben würden und das Herz erfüllen mit neuem Sorgen, Lieben und Hoffen. – Jetzt, wie ich so schön tröstete, weinte das Weib noch mehr, und wir wären beide in eine großartige Rührseligkeit geraten, wenn der Mann, der Greuthofer, nicht so wacker geflucht hätte.
»Du Hauptschelm!« rief er seinem Gegner zu, »meine Tochter hast mir schon abgespielt, jetzt willst du mir auch noch das Haus abspielen!«
Denn sein Gegner war der Eidam, der Bräutigamsvater, Herr Wernhut, der gekommen, um die vereinsamten Brauteltern ein wenig zu zerstreuen. – Lasse ich ihn gewinnen, so dachte der schlaue Handelsmann, dann sagt er: Gott, es wäre alles schön, wenn ich nur auch das Töchterlein hätte! – Lasse ich ihn verspielen, so ärgert er sich, flucht und schilt, und vergißt das Herzleid. Deswegen laß ich ihn verspielen. – Also der Kaufmann, und gewann dem neuen Schwieger Groschen um Groschen aus dem Sack. Sieht man, wie prächtig manche Leute trösten können.
Ich blieb im Greuthofe über Nacht, um am nächsten Morgen meine Winterreise fortsetzen zu können. Ich wollte ins Gebirge, so recht in den nordischen, finsteren, in den allertiefsten Winter hinein. Der Mensch, dem innerlich wohl und warm ist, verlangt manchmal nach großer Rauheit, Herbheit, Wildheit der äußeren Welt. Und wenn der Schnee so hoch ist, daß man über die Wipfel der Fichtenwälder hin spazieren gehen kann, fühlt man sich im Bereiche der Vöglein der Erde fern und den Gräbern ganz entrückt.
Beim Nachtmahle ging es leidlich zu und wir plauderten natürlich von dem neuvermählten Paare. – Heute wird's in Mailand sein, oder schon in Florenz?
»Reisen sie auch nach Rom?« war meine Frage.
»Jetzt nicht; die Frau erst später,« gab der Kaufmann Wernhut zur sinnigen Antwort.
»Den Kopf kunnt ich mir herabreißen,« schmetterte die Bäuerin auf einmal und riß einen nagelneuen rotseidenen Sonnenschirm aus dem Kasten, »hat sie vom Oheim das Dachel bekommen für Italien, und dieweilen sie jetzt dort in der Sonnen umhersteigt, steht das blutrot' Unding da im Kasten! Wie ein Weibsbild so verliebt sein kann! Den Schirm vergessen!«
»Das ist noch nichts,« gab ich drauf, »manche sind so verliebt, daß sie sich selber vergessen. Desweg ist's allemal gut, wenn man ordnungsgemäß zusammentut, was beisammen sein will.«
»Den Sonnenstich kann sie kriegen!,« jammerte die Mutter.
»Des Weibes bester Schirm ist der Mann,« sagte ich. Das junge Paar war mir schon lange bekannt. Gustav war ein Jugendkamerad von mir gewesen, ein hübscher, kluger Bursche, der auch ein bißchen frische Eigenart in sich hatte und also zum aufgeweckten, gelehrigen Großhoftöchterlein wohl paßte. Ein Jahr oder zwei hatten sie sich heimlich gern gehabt, der Kaufmannssohn und das kreuzsaubere Dirndel. Wenn ich sie an Sonntagsabenden so miteinander im Garten umherschleichen sah, nicht viel miteinander plaudernd, um so mehr einander aber in die Augen lugend und ein wenig schäkernd – da ward mir oft angst und bang. Neidisch war ich nicht, ich hatte die Meine schon im Trocknen, aber bei zwei Liebenden, die gerne scherzen, ist immer die Gefahr, daß sie auf einmal ihr Glück verscherzen könnten.
Nun, jetzt hatten sie sich fest und sicher, und ich konnte mich am selbigen Abend ruhig schlafen legen.
Am nächsten Morgen wanderte ich weiter. Ein kalter Sonnenschein vermochte den dichten blauen Äther, welcher über der Gegend lag, kaum zu durchdringen. Der Schneepfad winselte unter meinen Füßen, die Schuhe klangen wie Holz, der Bart war weiß bereift, die Ohren brannten im eisigen Feuer. Vor mir stand das Gebirge, dessen Waldung der unteren Region in weißem, flimmerndem Reif prangte. Aus dem Engtale kam Wasser heraus, das in seinem Bette zu Eis gestockt war. Eine Weile war es noch unterhalb der Eisdecke mühsam fortgekrochen, endlich ward es ihm in solchem Gewölbe zu eng, es ergoß sich über das Eis, rann auf die Flächen hinaus und bildete dort sulzige Tümpel. Im Engtale war Schatten. An den Wasserfällen, wo es zur Sommerszeit rauschte und toste, hatten sich in Orgelpfeifenform Eiszapfen und glasige Schäfte gebildet, stellenweise ganze Burgen aufgebaut, und das Wasser gurgelte darunter kaum vernehmbar.
Der Weg war gut ausgefahren von Schlitten, die Holz zu Tale beförderten. Er ging die frostige Schlucht entlang, ging die Hänge hinan und kam ins Bereich von Sonnenschein, der hier heller und wärmer war, als unten. In den Zweigen der Bäume hüpften Eichhörnchen und Vögel umher und schüttelten Schneeschollen von den Ästen. Weiter am Berge hatten die Fichten und Tannen ihre Schneemäntel schon früher abgeworfen und sie standen wie dunkle Kegel auf weißem Grunde. Ich kam zu einer verlassenen Köhlerei, da lagen statt Kohlenmeiler große Schneewuchten zusammengetrieben, aber daneben rieselte aus der Berglehne ein munteres Brünnlein und das Wasser im Troge war klar wie Kristall und ich sah daran nicht ein Krustlein Eis.
Noch weiter oben auf der Holzschlagblöße luden Männer Baumstrünke auf einen Schlitten, ihre Röcke hatten sie an Lärchenäste gehangen, sie selbst waren in Hemdärmeln. Auch ich hatte schon längst meine Pelzhandschuhe von den Fingern gestreift und den Mantel aufgeknöpft. Und das war eine liebsame Enttäuschung auf meiner wonnigen Winterfahrt!
Endlich waren die Wälder hinter mir, freie Almmatten dehnten sich weithin und die weißen Flächen hatten stellenweise dunkle Flecken. Der Blick war frei ins weite Land hinaus, über welchem das eingefrorene Meer des Nebels starrte. Hoch über allem die Himmelsglocke in unendlicher Bläue und der Sonnenstern so prächtig lodernd, wie in Sommertagen. Um eine Bergkante bog der Weg in die Hochmulde der Karalm, da waren die sonnigen Hänge ganz schneefrei, moorige Wieslein lachten in hellem Grün der Kresse, und an den Rändern blühten Schneeglöckchen. Auf einer Gruppe von Schirmtannen sangen Finken, nichts ahnend vom Jänner, der im Kalender stand. Der graue Kiesweg lag trocken vor mir und ging einem stattlichen Hause zu, das hinter den Schirmtannen stand und von welchem helles Hundegebell herüberhallte.
Neben dem Wege stand ein wandiger Felshügel. Den bestieg ich von hinterwärts und setzte mich auf einen von der Sonne hübsch bewärmten Stein. Also blickte ich hinaus in die Welt. Anstatt stöbernden Winter, den ich gesucht, hatte ich im Gebirge den Frühling gefunden. Warm, sonnig und feierlich umgab mich die reine, weiche Luft. Auf dem sandigen Grunde blühten Eriken; zu meinen Füßen rieselte ein Eidechschen hin, und unterhalb meines Felsens hörte ich eine heitere Mädchenstimme.
»Daß doch,« kicherte sie, »die Männer gar so ungeschickt sind!«
»Ich habe schon mancherlei versucht,« sagte auf das Gekicher unten zart und schmiegsam eine männliche Stimme, »ganz mißlungen ist mir eigentlich noch nichts. Und just mit dem Weiberhaar sollte ich nicht fertig werden können?«
Ich war ganz nahe den Sprechenden, sah sie aber nicht, weil sie unten enge an der Felswand sitzen mußten, über welcher ich lehnte.
»Ja, ja,« sagte nun das Mädchen, »im Weiberhaar, da hat sich schon mancher verwickelt. Das ist unser Netz, mit dem wir fischen. Aber, Tschapperl, du wirst doch Zöpfe flechten können! Nur nicht so fest.«
»Einmal ist es zu fest, dann wieder zu locker,« antwortete der junge Mann – es war gewiß ein junger, weil er so täppisch ins Garn gegangen. »Die Zöpfe sind ja fertig, nur muß ich sie an den Enden immer festhalten, sonst gehen sie wieder auf.«
»Närrlein, mußt sie halt mit dem blauen Bandel binden und nachher hinabhängen lassen, wie es der Brauch ist bei einer deutschen Jungfrau,«
»Bei wem?«
»Ei geh, du zupfst schon wieder zu arg!«
»Rickerl,« sagte nun die männliche Stimme – aber da mußte ich die Ohren schon heidnisch spitzen, daß ich's verstand – »Rickerl, das möcht' sich nicht recht schicken. Ich denk', um das Köpferl winden, die Zöpfe, wie es bei einer deutschen Hausfrau der Brauch ist.«
»Mach' mich halt, wie ich dir am besten gefall',« sagte sie, »wenn du mich garstig herrichtest, hast du selber den Schaden.«
Nach einem Weilchen sprach die männliche Stimme: »So, jetzt hast du wieder dein Kranzel auf dem Haupt, eines aus Menschenhaar, das steht dir am besten,«
Länger war es nicht mehr auszuhalten. Ich kroch an den Rand des Felsens hinaus und lugte hinab. – Wie? Was? – Ei, das ist hübsch! So steht's? Darum hat sie den rotseidenen Sonnenschirm zu Hause vergessen!
Ich zog mich zurück und rief laut: »Italien ist dies Jahr hoch gelegen!«
War es mäuschenstill. Ich aber stieg an der rückwärtigen Seite hinab, und bald hatte ich sie beide zwischen mir und der Felswand.
»Ein Entkommen ist unmöglich,« sagte ich, »ergebt euch!«
Nach dem ersten Schreck ein lautes Auflachen: »Der Peter ist's!«
»Ja, der Peter ist's. Aber nicht der zu Rom in Italien!«
»Nein,« rief Gustav, »der auf der steirischen Alm. Bist aber doch ein Schelm, Peter, daß du uns nachsteigst . . .«
»Ich steig' euch nicht nach, aber ihr stieget mir voraus! – Nein, Kinder, das ist kein Land für Hochzeitsreisende. Ja, für Liebende, das laß ich mir gefallen, für die gibt's nur auf der Alm kein' Sünd; für Verheiratete gibt's auf der ganzen Welt keine, nicht einmal im heiligen Italien.«
Gustav reichte mir die Hand und sagte: »Nicht wahr, zum Mittagsmahl gibst uns die Ehre und dann mach', daß du wieder fortkommst. Gegen Abend wird es arg frostig da heroben, ich versichere dich. Und kein Mensch da, mußt bedenken! Wir sind heute und morgen in Florenz, dann reisen wir nach Pisa zum schiefen Turm, hernach wollen wir uns in Padua noch aufhalten beim heiligen Antonius, und in Venedig bei Sankt Marko. Es kann noch der Tage zehn oder zwölf währen, bis wir heimkommen.«
In diesem Augenblick gellte vom Jagdhause her ein Pfiff.
»Mittag ist's, Kinder, lassen wir die Suppe nicht kalt werden.«
Also gingen wir zu dreien gegen das Haus hin, Gustav links, ich rechts, Rickerl in der Mitte. Was die für eine Gesichtsfarbe bekommen hatte auf der Alm! So fein rot hatte ich ihre Wangen noch nie gesehen.
Im Forsthause, in einer traulichen Stube, dessen großer Kachelofen eine weiche Wärme ausströmte, dessen Fenster in die weite Alpenwelt hinausschauten, war ein Tisch gedeckt, freilich nur für zwei Personen, doch dem graubärtigen Forstjäger und seiner emsigen Frau machte das dritte Gedeck keine Sorgen.
»Im Bunde der dritte!« Also deklamierend setzte ich mich hin.
»Das ist dein Teil,« sagte Gustav und stellte mir die Weinflasche hart vor die Nase hin.
Welch ein Tropfen!
»Vom Rhein, vom deutschen Rhein! Peter, bade in ihm dein Herz.«
Gott, und wie es nun Frühling wurde in jedem Winkel der Seele!
»Jetzt begreife ich, Kinder!«
»Was begreifst du?« fragte Gustav. »Daß wir nicht nach Italien gepilgert sind? Ha, das ist wahrlich leicht zu begreifen. In der wonnig einsamen Zeit, die nur einmal in unserem Leben da ist auf ein paar Wochen, werde ich mein Weibchen in den Eisenbahnwagen zerren, von Hotel zu Hotel schleppen, es den Glotzaugen frecher Portiers und dummer Kellner aussetzen, ihm unter fremdem Klima jeden Tag eine neue Unbequemlichkeit machen, hier eine schlechte Fahrt, da einen schlechten Tisch, dort ein schlechtes Bett, ruhelos hetzen von Stadt zu Stadt, von Galerie zu Galerie, ohne Interesse dafür, beständig in den Bädeker schauen, statt einander in die Augen – natürlich, ich werde eine Hochzeitsreise machen!«
»Und wozu habt ihr es uns denn glauben machen, ihr falschen Leut'?«
»Ja, Alter, das wird freilich schwer zu erraten sein, weshalb wir den Leuten aus dem Wege gehen. He? Weil wir für uns sein wollen. Was ist die Hochzeitsreise anders, als eine Flucht? Eine Flucht vor Bekannten und Verwandten. Ob das Asyl Italien heißt, oder Jagdhaus auf der Karalm, das ist eins. Mit meinem alten Freunde, dem Karjäger, ist die Geschichte schon lange abgemacht gewesen, er hat uns, wie du siehst, gut eingenestet. – Gelt, Rickerl, es tut's!« – So wandte der Schelm sich zu seiner jungen Frau.
Der ganzen Anlage nach merkte ich, daß die beiden sich kein Leid antun würden, wenn sie mich ehestens wieder verlören. Doch gab ich ihnen vor meinem Aufbruche noch zu bedenken, daß sie dem Jänner-Frühling auf dem Berge nicht zu sehr trauen sollten. Schon die nächste Nacht könnte einen so schweren Schneepelz über sie werfen, daß sie wochenlang nicht mehr hervorzukriechen vermöchten.
»Schweig!« unterbrach mich Gustav, »ich mag gar nicht daran denken, es wäre zu himmlisch!«
– Er mochte wohl recht haben. Auch unter dem Winterpelz ist Frühling, wenn zwei junge Leute sich gern haben. Alles Alpengestöber und nordische Eis ist nimmer imstande, das göttliche Flämmlein zu ersticken, das in den Liebenden ist und an Glanz und Wärme den Maiensonnenschein weit übertrifft.
In dem Augenblicke, als ich fortgehen wollte, stellte Gustav sich mit seiner stattlichen Gestalt in die Tür und sagte: »Oho, Freund, so leichten Kaufes kommst du mir nicht davon. Den schauderhaftesten Schwur, der je geschworen wurde, mußt du mir jetzt schwören, daß du uns nicht verraten wirst!«
»Bedenke, daß ich Poet bin,« war mein zagender Einwand, »wie soll ich so etwas für mich behalten?«
»Bis wir von unserer Hochzeitsreise zurückgekehrt sind, magst du plaudern. Und nun siehe, daß du vor Abend zu Tale kommst.«
Bin ich also von den sonnigen Höhen wieder hinabgestiegen in die frostige Fläche, um im Greuthofe die Mär zu erzählen: Auf der Karalm wäre die Luft so rein, daß man von dort aus mit freiem Auge bis nach Italien hineinsehe. Mit einem guten Fernrohr könne man sogar die Hochzeitsreisenden erblicken, und wie der junge Mann seiner jungen Frau die Haarzöpfe flechte.