Peter Rosegger
Sonnenschein
Peter Rosegger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der junge Geldmacher

Das mach' nach, wenn du kannst!« sagte der Oberfeitel zu Dölsach und zeigte am Tisch eine neue Fünfzigernote herum. »So ein Nachmachen von Geldzetteln, das kann kein Mensch vollbringen, keiner nicht! Da gehört ein Kaiserkopf dazu, zum Geldmachen. Ja, meine lieben Leut'!«

»Was einem etwa geschehen tät, wenn man herginge und mit dem scharfgespitzten Bleistift den Fünfziger schön sauber nachzeichnen wollt!« So gab einer dran.

»Probier's!« rief der Oberfeitel, »bist imstand', den kleinwinzigen Druck da auch nur zu lesen? Und werden dir nicht die Finger zittern, wenn du zwanzigmal schreiben sollst: Die Fälschung dieser Staatsnote wird mit lebenslänglichem schweren Kerker bestraft? Hast die Kurasch dazu?«

»Leicht nicht,« sagte ein anderer, »da tue ich lieber drei Monate lang holzhacken – ist der Fünfziger auch gemacht und ist keine Gefahr dabei.«

Des waren sie alle einverstanden, die Bauern von Dölsach. Nur einer, ein ganz junger noch, ein schlank aufgeschossenes Bürschl, schien nicht recht darüber im reinen zu sein, wieso man diese interessante Sach' so mir nichts dir nichts fallen lassen könne. Etwas tiefsinniger, als es der Franz sonst gewohnt war, ging er vom Hause hinan gegen die grüne Höhe, wo die Zirmbüsche stehen und wo man den weiten Ausblick hat ins schöne Land Tirol. Da unten sind die blauenden Täler, in welchen man von diesem einen Punkte aus nicht weniger als achtundvierzig Kirchtürme blinken sieht. Dort drüben stehen die weißen Berge der Dolomiten, von wannen im Lenz der lawinenstürzende Föhn kommt und im Sommer das schloßenschleudernde Wetter.

Heute liegt über der Gegend Sonnenschein, und die Glocken der Almherden klingen auf den Hochmatten, und die Hirten jauchzen oder liegen im Grase, wollen nichts und denken nichts – lassen sich schaukeln von dem, der in seiner Hand den Erdball dreht.

Dem Franz ist heute nicht ums Jauchzen und nicht ums Liegen auf dem Bauch. Er sieht aus, wie alle übrigen munteren Bauernburschen, aber inwendig ist er ganz anders geraten als die anderen. Schnitzen und malen! Unser Herrgott hat's auch so getrieben, hat die Eibe geschnitzt, hat den Himmel gemalt. Der Junge zieht jetzt sein Taschenmesser, schärft es an einem Quarzstein und schneidet sich damit einen Zirmast. Der Bacherwirt unten im Dorfe hat einen fuchsbraunen Hengst, ein schönes Tier, das soll jetzt dran – das wird nachgeschnitzt aus dem harten, glattrindigen Zirmholz. Das Hengstenachmachen ist nicht verboten. Ist aber auch keine so große Unterhaltlichkeit dabei, als etwa beim Geldnachzeichnen.

Kein Mensch könnt's vollbringen? Es gehört ein Kaiserkopf dazu! meint der Oberfeitel. Das wollte dem Jungen nicht aus dem Sinn. Dabei stellte sich heraus, daß das zu gleicher Zeit nicht geht, nämlich das Denken ans Geldmachen und das Schnitzen von Hengsten; der Hengst bekam unglaublich lange Ohren und der Geldmachergedanke einen langen Schweif. Und der Schweif hing ihm an, so daß der Bursche niederstieg zu seinem Hause, von seinem Vater eine Fünfzigernote borgte und sich damit in die Kammer einschloß. So eine große Banknote war im Hause ein seltener Gast, der es allemal gar dringend hatte und sich nur für kurze Zeit im Ederhofe aufhielt; sie machte immer nur eine flüchtige Rast auf ihrer abenteuerlichen Wanderung durch das Land – dort Gutes stiftend, hier Übles. So was muß porträtiert werden! Dann mag's ja wieder laufen und Sünden machen soviel es will. Der Franz spitzte den Bleistift. Immerfort das Heiligenbildermalen, das Rösser- und Vogelzeichnen – das ist nicht spaßig. Wir wollen einmal redlich wissen, ob der Oberfeitel die Wahrheit sagt: Das kann kein Mensch vollbringen. Keiner nicht. – Wollen es versuchen.

So der Franzl und ging mit flinken Fingern an die Arbeit. Das feine Papier können wir freilich nicht nachmachen, dachte er bei sich, wir sind kein' Papiermacher. – Der Wasserdruck schiert uns auch nicht – der ist was für den Müllner. Aber die Zeichnung! Die Fälschung dieser Staatsnote wird mit lebenslänglichem schweren Kerker bestraft – diese Worte schrieb der Franzi mit einem einzigen wagrechten Striche.

»Jesses Maria, Franzi!« rief seine Schwester draußen, »was treibst du in der Kammer, was denn, daß du dich einsperrst?«

Die Fälschung dieser Staatsnote wird mit lebenslänglichem schweren Kerker bestraft, schrieb der Franzi.

»Du bist drinnen?« rief die Schwester, »du stellst was an; du brichst was.«

»Ich mach' was,« antwortete der Bursche.

»Dabei verriegelt man nicht die Tür.«

»Sie ist schon offen.«

Am Abend, als die Leute beisammen waren, schauten sie das Kunststück an; einer gab die Note dem anderen in die Hand, und sie fingen an, die echte mit der falschen zu vergleichen, bis einer fragte: »Ja, wo ist denn nachher dem Franzl seiner?«

Der war's, den der Mann in der Hand hielt.

»Aber das ist ja doch der echte! Wie? Was? Das wäre der falsche?«

»Da schau her!« rief der alte Eder, Franzls Vater, »du Lump, du junger!«

Die Zeichnung ging – stolz knisternd, wie ein echtes Stück Papiergeld – in den Händen herum, und der Franz kümmerte sich nicht weiter drum. Er hatte es vollbracht – das Blatt brauchte er nicht mehr.

Ein junger Nachbar war im Hause, der Patritz; der verfolgte an diesem Abende eine Person der Ederfamilie, um sie auf lebenslang gefangen zu nehmen. Aber eine unschuldige Person, nicht etwa den Geldfälscher, sondern dessen muntere Schwester mit dem krausen Haar. Er schlug sie in jene gefährlichen Bande, denen sich selten ein Mädchen entwinden kann oder will: er legte seine Arme um ihren geschmeidigen Leib.

»Maria,« flüsterte er ihr ins Ohr, »ich will dir was sagen.«

»Sag's nur her!« antwortete sie, »es wird gewiß wieder was Wichtiges sein, was ich schon seit Ostern her weiß.«

»Wissen wirst es schon seit letztem Fasching her.«

»Seit letztem Fasching her weiß ich, daß du ein dummer Bub' bist,« neckte sie.

»Wenn's dumm ist, daß einer das schönste Dirndl auf der Welt gern hat! Das liebste Dirndl! Das herzliebste Dirndl! – nachher hast du mit deiner Red' recht.«

So stritten sie sich in die Verlobung hinein – der Patritz und die Maria. Als an demselben Abende der Patritz fast ungebührlich spät nach Hause ging, gesellte sich ihm der Geißbub des Jakhofes zu und lud ihn ein, noch mit ins Wirtshaus zu kommen; er zahle heute eine Maß Glühwein.

»Schau hin, das Wirtshaus hat schon schwarze Fenster,« sagte der Tritz (Patritz).

»Die Kellnerin muß noch einmal aufzünden. Die Wirtin muß aus dem Bett; ich will einen gezuckerten Eierschmarn haben und einen Kaffe dazu. Der Wirt muß auch aus dem Bett; ich will was Zithernschlagen hören; ich bin just einmal aufgelegt zum Lustigsein. Himmelherrgott, geh' her – was kostet die Welt?« So der Geißbub.

»Du tust ja gerad', als ob deine Geißen eine goldene Milch täten geben,« sagte der Tritz.

»Die Lieserl muß auch aus dem Bett,« fuhr der Geißbub' fort, »ich will mit ihr eins tanzen.«

Der Tritz konnte den Übermut des sonst so duckmausigen Burschen gar nicht begreifen.

»Mir scheint, du kommst ohnehin schon vom Wirtshaus,« sagte er.

»Von unsers Herrgotts Keller, ja; hab' mir beim Ederhofbrunnen gerad' meinen Durst gelöscht. Ist schade um den prächtigen Durst, aber 's ist schon wieder ein neuer da, und den lösch' ich mit Löschpapier!«

Damit hielt der Geißbub' eine große Geldnote in die mondhelle Luft hinein:

»Der Krämer muß auch aus dem Bett; ich will einen Feigenkranz für die Lieserl.«

»Wo hast denn du diesen Fünfziger her?« fragte der Tritz, indem er nach dem Papier langte.

»Du kannst auch einen haben, Kamerad,« vertraute ihm der Geißbub', »der Eder-Franz macht sie.«

»So,« sagte der Tritz, »das ist der vom Eder-Franz? Schau, Geißbub', den muß ich dir wechseln. Geh' mit zum Richter; dort laß ich dir zweimal fünfundzwanzig dafür geben, ist auch fünfzig.«

Damit war der Geißbub denn nun gar nicht einverstanden; er bettelte, er schmeichelte, er zankte und schimpfte, aber er war von beiden nicht der Stärkere. Der Tritz hatte das Papier schon in gutem Gewahrsam, und dem Geißbuben blieb auf der Welt nichts übrig, als seinen schönen Durst beim nächsten Hausbrunnen zu löschen.

Der Tritz ging seines Weges, und die falsche Geldnote sorgfältig glättend und in seine Brieftasche legend, dachte er: So, mit dem Häutlein mach' jetzt ich meinen Spaß.

* * *

An einem der nächsten Tage finden wir den Eder-Franz wieder auf der freien Höhe.

»Auf der Alm, da ist's fein,
Gibt's ka Sünd und ka Pein.
Ist der Berg wie ein Rosenstock,
Ist der Wind wie ein Nagerlduft,
Glanzt's Wasser wie ein Silberring,
Spielt d' Sonn' wie eine goldene Luft.
Wann ih jauchz und a Gsangl sing:
Der Schall wie ein Glöckerl klingt;
Mein Herz, das ist alleweil voll Freud,
Kennt ka Sünd und ka Pein.
Auf der Alm ist's gut sein!«

So sang der Bursche, und sein leuchtendes Auge sagte, daß er's nicht aus dem Leeren sang. – Wir dürfen den Franzel ja wohl näher betrachten; denn das ist einer, an dem wir ein wenig Herzeleid erleben werden, aber auch viel Ehre und Wunder.

Er kann nicht viel älter sein als sechzehn Jahre; sein volles Haupthaar ist braun wie reife Kastanien; ob es auch recht lind ist, möchte die Sennerin wissen, aber er biegt ihre Hand weg, wenn sie ihn anfühlen will. Sein längliches Gesicht ist weiß und rot, echte Farben, die sich selbst in der Sonne nicht bräunen, von Bart noch gar nichts da; die Oberlippe spitzt sich noch in Knabentrotz, aber das Auge ist weich und sinnend; es schaut eine Welt von Schönheit heraus, und es schaut eine Welt von Schönheit hinein.

Niedrige Bundschuhe trug der Junge und nackte Waden und eine ziegenhäut'ne Kniehose, und über der sich frei wölbenden Brust nichts als das rauhe Linnenhemd und den ledernen Hosenträger. Das Ungefügige an dem ganzen Bürschl war ein hoher trichterförmiger Filzhut, ein sogenannter Sternstecher, wie die spitzen Tirolerhüte heißen, die nach landläufigem Sprichwort so hoch sind, daß man damit vom Himmel die Sterne herabstechen kann. Dieser Sternstecher ragte wie ein finsterer Turm über das heitere Antlitz des Franzel.

So ging er über die weichen Matten hin zwischen den Zerben, und es war ihm, als suche er etwas und wisse nicht, soll es ihm aus dem Erdboden herauswachsen oder von Himmel herabfliegen. »Es war ein extriger, ein stader Bua,« hat einer von ihm erzählt.

Aus dem Tale der Drau, der Isel, aus dem weiten Boden von Lienz klangen in zartem Gesumme die Glocken des Feierabends herauf. Zu solchen Stunden ist es ja, als wären vieltausend Saiten gezogen von Berg zu Berg über das ganze Tirolerland, und als spielte auf dieser Zither ein unsichtbarer Künstler – so leis', so zart und getragen tönt es durch die Lüfte.

Die Glocken der Kirchtürme waren es, die zum Feierabendgottesdienste riefen. Es war ja wieder eine arbeitsschwere Woche vorbei, und die Leute hatten vollauf zu tun gehabt, das liebe Brot zu fassen und zu heimen, das der Weltvater in goldenen Halmen aus der Erde reckte. Jetzt sollten sie danken gehen und sich ausruhen in der kühlen, dunkeln Kirche und sich an Leib und Seele vorbereiten für den Sonntag. Das riefen die Glocken im Tale. Aber der Franzel stieg nicht hinab; ihm gefiel es auf dem Berge, und er schaute zu dem lichten Hochaltare des Großglockners hinüber, hinter welchem still und groß die Sonne niedersank.

»Mein Herz, das ist alleweil voll Freud'!
Auf der Alm, da ist's gut sein!«

Auf demselben Berge gab es heute auch andere, die das Läuten der Kirchenglocken nicht achteten. Dieselben anderen saßen in der Bergschänke der Niederung, die den schönen Namen »Auf der Wacht« trägt. Im heiligen Jahre Neun sind dort die Tiroler auf der Wacht gestanden mit Messer und Stutzen, um ihr Heimatland zu schützen vor den übermütigen Franzosen.

Das Heimatsgefühl der Völker, der Freiheitsdrang einer Welt, das Ideal unserer Zeit ist im Bauerntume eingeweiht worden.

Heute ist es friedsam auf den Matten, genannt »Die Wacht«. Und auch an jenem Sonnabende war es friedsam dort und heiter dabei, obwohl ein anderer, ein unsichtbarer Feind bigott heuchlerisch heranschwamm in den sonst so schönen Klängen der Festglocken. Es fanden sich in dem Berghause an schönen Sommertagen gern die Almer ein und die Burschen des Tales, die Scharfschützen, um beim roten Tirolerwein, bei Mädchenaugenglut und Zitherklang die Nächte zu »durchwachten«; denn nimmer veröden darf das Haus »Auf der Wacht«, und ein Feuer, sei es nun das der Vaterlandsliebe oder der Mädchenminne oder auch des Hasses gegen einen persönlichen Feind, wird in jedem einsamen Berghause bewahrt, wie unten in der Pfarrkirche das »ewige Licht«.

Die Frömmigkeit des alten Moidle, das des Wirtes Schwester ist, hilft all' nichts. Schon mehrmals war sie heute lauernd in der Gaststube umhergeschlichen und hatte ziemlich laut vor sich hingemurmelt:

»Zusammenläuten tun sie. Zum Segen tun sie läuten. Christenmensch! Unsereins mühselige Haut wollt' gern in die Kirchen gehen, wenn die Füß' täten tragen. Und das jung' Volk schaut sich neuzeit um den Herrgott gar nimmer um. Geh weg; jetzt seh' ich's schon, die Leut' werden ganz kalt im Glauben. Eiskalt werden sie im Glauben, die Leut'; jetzt seh' ich's schon.«

Man kümmerte sich nicht um das Getue der Alten; man sang, man lachte; man scherzte mit den Mädchen, bis das Moidle dreinschrie:

»Jawohl, die Dirnen sind euer Rosenkranzgebet heutzutag. Jawohl, ihnen den Kranz vom Kopf beten, das ist euer liebster Gottesdienst. Jawohl!«

Die Burschen lachten und einer rief:

»Sag' noch so was, Moidle, daß wir wieder was zu lachen haben!«

»Werd's nicht lachen, wenn die Straf' Gottes kommt, weil ihr keinen Glauben habt,« versicherte die Alte.

»Weible,« sagte einer der Burschen, »wegen unseres Glaubens brauchst du dir gar kein graues Haar wachsen zu lassen, das wachst dir so auch schon. Einen Glauben haben wir noch, mußt wissen. Bin voreh gewiß nicht der letzte in der Predigt und im Segen gewesen. Seitlang sie aber die Leut' mit den Standarn (Gendarmen) in die Kirchen treiben lassen, seitlang mag ich gar nicht mehr hineingehen. Ich mag nicht mehr. Zum Beten laß ich mich nicht zwingen.«

Der Wirt »Auf der Wacht« war an den stämmigen Burschen herangetreten, der die obigen Worte gesprochen.

»Reden könnt's, was ihr wollt's,« sagte er leise, »aber nur nicht zu laut. Ich sehe euch gern bei mir, Mannerleut' und Weiberleut', aber soll ich's aufrichtig sagen, heute wär's mir lieber, wenn –«

»Wenn wir beim Loch draußen wären,« vervollständigte einer die Rede des Wirtes.

»Auf das sag' ich nicht nein,« versetzte jener. »Es ist halt morgen der Rosenkranzsonntag, wo im Wirtshaus keine Zusammenkunft sein soll und an solchen Feierabenden auch nicht; Neuzeit ist's halt wieder so viel streng. Schau' dir die neue Polizeiverordnung an, die ich erst heut' an die Wand genagelt habe!«

»Die hängt ja umgekehrt!« riefen die Burschen lachend. »Wirt, die hast du bei den Füßen aufgehängt, wie ein geschlachtetes Schwein.«

»O du Höllsaggera,« knurrte der Wirt; »so ist's, wenn der Mensch nicht lesen kann; dann stellt er die Gesetze auf den Kopf. Das muß ich gleich anders machen; ich fürcht' halt, die Spitzhauben kommen noch heut' herauf.«

»Sie sollen nur kommen.«

»Aber schaut's, meine lieben Leut',« gab der Wirt zu bedenken, »wenn sie euch da beisammen finden! Unsereiner wird halt so viel gestraft, wenn man Unterstand gibt.«

Im Tischwinkel hub sich eine braune Knochengestalt zu bewegen an.

»Was meinst, Wirt, was meinst?« grollte sie. »Von Unterstand sagst was? Sind wir Schwärzer, Wilddiebe, Strolche, daß von Unterstandgeben die Red' ist? Wir sind Bauersleut' und Holzleut' und sitzen nach der Arbeit friedlich im Wirtshaus. Weißt, Wirt, daß im Wirtshaus der ehrliche Gast sein gutes Recht hat? Weißt es nicht, so schreibe ich dir's auf den Buckel, und gewiß nicht verkehrt, wie deine Polizeiordnung.«

»Geh, geh!« beschwichtigte ein anderer, ein dicker, staubiger Kohlenbrenner aus dem Iseltale, »weißt es so gut wie wir, daß der Wirt nicht anders kann. Willst deinen Zorn auslassen über die neumodische Einrichtung, so mußt ganz wo anders anklopfen.«

»Anklopfen,« rief der Knochige, »wie im Achtundvierzigerjahr zu Brixen beim Herrn Bischof, daß die Fenster haben gesungen! Wir sind katholische Christen, will ich ihm ins Ohr schreien, aber mit deiner neuen Standarnreligion, hol' dich der –«

»Spielmann!« rief der stämmigste der Burschen in die Stube.

»Schlafst, Spielmann?«

»Ein klein Bissel bin ich noch da,« sagte dieser, sich aus dem Ofenwinkel hervorwindend.

»Wenn du nicht schlafst, so sei so gut und kratz' ein paar Saiten!«

»Lustig wohlauf
Ist der Drauthaler Lauf,
Ist der Drauthaler Zier,
Und das Dirndl g'hört mir.«

Singend umschlang er das blühende Mädchen, das an seiner Seite saß und jetzt dem kernfrischen Burschen freudig und stolz ins kecke Auge blickte. Das war der Tritz, und das Mädchen seine Braut Maria, die Schwester des Franz, der zurzeit draußen auf den freien Höhen sich umtrieb. –

Laut erschollen jetzt die übermütigsten Lieder; die Zither klang, und es wollte just der muntere Reigen anheben – da schoß plötzlich der Wirt durch die Stube, um in angstvoller Hast das erst angezündete Kerzenlicht auszublasen.

»Was willst denn?« rief der Tritz und zog ihm den Leuchter weg, »ist's besser, wenn wir im Finstern sind?«

»Um des lieben Gottes willen!« schnaufte der Wirt, »da draußen, da draußen – ich hab' sie gesehen; es steigen die Spitzhauben daher.«

»Wer wird denn da das Licht auslöschen? Wir wollen sie uns anschauen. Sie sollen kommen!«

Sie waren auch schon da. Dröhnenden Schrittes traten zwei Gendarmen zur Tür herein. Die Stube war finster vor Rauch, aber die Eintretenden waren noch finsterer; zwischen den Zechtischen blieben sie stehen und schauten um sich. Die Burschen taten trotzig, und keiner rückte an seinem Tische, daß die Landwacht Platz nehmen konnte.

Endlich sahen die Gendarmen einen leeren Tisch, setzten sich und hielten die Gewehre zwischen den Beinen. Sie wollten etwas trinken. Über diese Wendung war der Wirt froh. Schmunzelnd sagte er, als er auf einer Blechtasse die schwitzende Flasche brachte, es wäre »der Beste«, und in der Tat, sie merkten es bald, der Schlechteste war es nicht.

Nun ja, sie wollten auch einmal ein gemütliches Stündl haben. Mußten sie doch unten im Tale mit ihren Spießen tagaus tagein umhersteigen, wie die leibhaftige Straf' Gottes, fanden nirgends freundlichen Anspruch und mußten gar manchmal einen einführen, weil er etwas getan hatte, was sie selber getan hätten, wenn Gelegenheit dazu gewesen wäre. Aber – »auf der Alm gibt's ka Sünd,« da braucht man also keinen Pfarrer und keinen Gendarmen, und da darf jedweder, der das Zeug dazu hat, ein lustiger Bursch' sein. Das martialische Aussehen der Landwächter wurde von Minute zu Minute zahmer; sie wollten sich an die heitere Gesellschaft schließen, mit den Burschen »warteln«, mit den Mädchen schalken. Doch die Gesellen taten nicht viel desgleichen, als ob sie an dem geselligen Zuwachse eine besondere Freude hätten, und etliche knurrten gar wie ein Kettenhund, der gern beißen möchte, aber den Stiefelabsatz fürchtet.

Als es wieder ans Tanzen ging, warb einer der Gendarmen um das schönste Dirndl im Reigen; da stand schon der Tritz da, zog das Mädchen mit sich fort und sang:

»A Spitzkappenbua
Hat ein' Dirndl nachg'fragt;
A Spitzbua will ih hoaßn,
Wann's ihm was tragt.«

Da war's nun freilich kein Wunder, daß es kam, wie es kam. Es stand nicht lange an, so leerte der Gendarm sein Glas, stieß es scharf auf den Tisch und rief:

»Heimgehen! Sperrstunde!«

Jetzt trat eine befremdliche Stille ein; nur einer der anwesenden Bauern brummte in die Ofenwand hinein, aber so laut, daß man es weithin hören konnte:

»Sperrstunde! Überall wollen sie zusperren, heutzutage. Redlich wahr: Haus Österreich ist ein Gefangenhaus geworden.«

Als das Wort heraus war, hätte es der Sprecher selbst wieder gern eingefangen und seinen eigenen Mund fürsorglich zugesperrt. Aber der Landwächter schickte sich schon an, den Namen des Vorlauten aufzuschreiben.

»Seid keine Narren miteinand'!« rief jetzt ein Mölltaler dazwischen, um der bedenklich werdenden Stimmung einen kecken Ruck zu geben, »lasset jetzt die gespreizten Geschichten und seid's lustig! Wir kommen so jung nimmer zusammen. Wein her, Wirt! Und die Herren müssen auch mittun. Wisset, wir Bauersleut' haben keine Rösser; darum reiten wir die Wörter – und ist nicht schlecht gemeint. Na, auf Gesundheit! Auf gute Freundschaft!«

Einer der Gendarmen wollte schon anstoßen mit dem neugefüllten Glas.

»Hüte dich!« raunte ihm der andere zu, »sie retirieren – nur aufschreiben, alle aufschreiben!«

Sie schrieben – aber sie schrieben in ihr Armensünderbüchel lauter falsche Namen; den echten behielt jeder der Befragten schlau für sich selber.

»Die Kerze ist auch schon benebelt,« bemerkte der Aufschreiber nicht ohne Laune, da das Licht vor lauter Tabaksqualm kaum den nötigen Schein gab.

»Wirt!« rief der Tritz, »bring' noch Kerzen, daß dem Herrn Standarm ein Licht aufgeht. Ich zahl's.«

Er möge, murmelte der Landwächter, das Geld in seinem Beutel behalten, würde leicht Platz haben da drinnen. Und die Bettelkerze sei man bei den Drautaler Bauern gewohnt.

»Bettelkerze!« sagte der Tritz mit spottender Weichheit. »Na, das nicht! So vornehmen Herren müssen die Drautaler Bauern schon eine Extrakerze verehren.«

Dabei zog er sein Ledertäschchen aus dem Sack und langte aus ihm eine Fünfzigguldennote hervor.

»Versaufen?!« rief der Bursche mit heller Stimme, indem er den Schein mit zwei Fingern hoch über den Köpfen hielt, daß er wie ein Kirchweihfähnlein flatterte, »versaufen? Nein. Licht wollen wir machen, wir Drautaler Bettelbauern, daß der Herr Standar zum Schreiben sieht.«

Gelassen rollte er vor den Augen der Gendarmen den Fünfziger zusammen, hielt die Rolle über das Kerzenlicht, und als sie lichterloh brannte, rief er:

»Ich bitt', meine Herren, wenn's gefällig!«

Die Landwächter schrieben nicht; sie taten den Mund auf und waren stumm. Hingegen schlugen die anderen Leute einen hellen Lärm, und die Weiber waren dem Tritz in den Arm gefallen, um ihm das Geld zu entreißen. Zu spät war's, zu spät – die »Anweisung«, für welche der Sage nach die privilegierte österreichische Nationalbank dem Überbringer fünfzig Gulden Silbermünze ausbezahlt, flog als Aschenflaum auf den Tisch.

»Heilige Maria vom grünen Anger!« zeterten sie, »jetzt hat er Geld verbrannt. – Jetzt hat er eine Kuh verbrannt!« riefen die Halter. »Jetzt hat er ein Joch schönes Lärchbaumholz verbrannt,« riefen die Holzhauer. »Den heurigen Haferbau hat er verbrannt,« riefen die Bauern. »Auf zehn Jahre Tabakgeld hat er verbrannt,« kicherte ein alter Raucher.

Und Maria, seine Braut, fragte den Geliebten:

»Bist denn ein Narr worden, Tritz?«

»Den Arrest habe ich einem verbrannt,« sagte der Bursche und setzte sich ruhig an seinen Platz.

»O wart', Bauer!« brummte der Gendarm, »der Arrest und die Hölle sind feuersicher gebaut; du kommst in beide.« Und er schrieb die Tat des übermütigen Burschen in das Sündenbuch.

Jetzt fistelte aus dem dunkelsten Winkel her eine Stimme: »Ist nicht so gefährlich beim Patritz, wenn er Banknoten verbrennt. Er hat einen künstlichen Schwager.«

Was das heißen sollte?

»Der macht ihm's!« schrie der Gauch und huschte zur Tür hinaus.

Da horchten die Gendarmen erst recht auf, aber die Leute merkten, es wäre nun die höchste Zeit, das Wirtshaus »Auf der Wacht« zu räumen, und sie räumten es auch. – –

Der Eder-Franz wußte von all dem nichts; er erging sich immer noch auf den mondhellen Höhen und sang in die Nacht hinaus:

»Mein Herz, das ist alleweil voll Freud'!
Auf der Alm ist's gut sein!«

* * *

Am Sonntag darauf, nach dem Gottesdienst war es, daß auf dem Kirchplatz zu Dölsach der Oberfeitel plötzlich neben dem Patritz stand und ihm ins Ohr flüsterte:

»Lauf' eilends davon! Versteck' dich in dem Wald! Sie suchen dich.«

»Wer sucht mich?« fragte der Bursche.

»Die Spitzhauben.«

Da war zwischen der Menge schon der Dorfrichter in Sicht, hinter ihm die Gendarmen. Der Richter machte mit der Hand ein paar verstehbare Deuter: der Tritz solle sich davonmachen! Da sie aber nicht bemerkt wurden, so machte der Richter vom Amte Gebrauch und ließ den Burschen festnehmen.

Wohin die Reise? Nach Lienz zum Gericht!

Der Patritz Neuleitner hat den Feierabend entheiligt und die Polizei verhöhnt. Diese beiden Fälle wären noch etwa von den Behörden in Dölsach zu schlichten gewesen. Anders der dritte! Der Bursche hatte eine große Geldnote verbrannt. Was hat es damit für eine Bewandtnis? Das muß untersucht werden; da steckt was dahinter.

Das Protzigtun mit dem Gelde war ein alter Schaden der Drautaler Bauern. Man ließ es noch hingehen, wenn sie bei Hochzeiten tagelange Gelage hielten, wenn die Totenmahle oft die ganze Erbschaft des Verstorbenen verschlangen; man »verstattete« es dem Drautaler Großbauer oder Holzknecht, wenn er an seiner Sonntagsjoppe anstatt Bein- oder Messingknöpfe echte Maria-Theresientaler trug. Wenn sie aber würfelten, kegelten, karteten um nichts Geringeres als um Dukaten, wenn sie zur »Bankozettelzeit« (beim großen Staatsbankerotte) ihre Pfeifen mit eitel Zehnguldennoten anzündeten – das konnte man nimmer gehen lassen, nicht vom moralischen und nicht vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus. Es war Zeit, einmal ein nachdrückliches Beispiel aufzustellen, wie man in Zukunft gegen Übermut, Verschwendung und Trotz vorzugehen gedenke.

Die sehnigen Arme des Patritz hatten sich anfangs gegen die Eisenbanden aufgelehnt, aber die hohe Obrigkeit hatte guten Stahl in ihren Ketten, und der schnitt ins Fleisch. Mit aneinandergeschlossenen Armen schlug sich der Bursche den Hut in die Stirn, und so ging es die weiße Landstraße entlang gegen Lienz. Die ihm begegneten, wunderten sich baß, was doch der Patritz Neuleitner auf einmal für ein hoher Herr geworden sei, daß er zwei Adjutanten mit sich habe.

Am selbigen Nachmittag saß Maria in der Christenlehre und weinte. Der Pfarrer war höchlich darüber erfreut, daß sein Wort Gottes heute einmal ein Herz rühre. Aber sie hörte nicht die heilige Lehre; sie hörte das Gericht, das über ihren Tritz das Urteil sprach. Und er war trotz der schweren Anklage so unschuldig wie das Gotteslamm dort auf dem Altare.

Sie wußte alles. Als Verschwender werden sie ihn strafen und ihm sein Haus wegnehmen und es einem »Gerhaber« (Vormund) zur Verwaltung geben; war schon davon die Rede gewesen. Es war anderen auch schon so ergangen. Dann steht auch die Heirat um, und sie hat nichts und er hat nichts. Und alles dieses höllischen Fetzen Papiers wegen! Es war ja nur ein nichtiger Fetzen gewesen, den er am Kerzenlicht verbrannt, nichts als jene gottverlassene Zeichnung, die der Franzel wundershalber gemacht hatte.

Jetzt eilte das Mädchen den Berg hinan zu ihrem Elternhause, dem Ederhof. Sie lief zu dem Franz, der eben an der Schnitzbank saß und eine Figur schuf.

»Jetzt wirf mir den Holzscherben weg und geh nach Lienz hinab,« sagte sie. »Du bist an allem schuld. Jetzt geh und sag's! Das Papier hat keinen Wert gehabt – geh und sag's! Du hättest es gezeichnet, das sag' jetzt, wenn du mein Bruder bist!«

»Ich soll's beim Gericht sagen, daß ich eine Banknote nachgemacht hab'? Der Narr werde ich nicht sein.« So der junge Schnitzer. »Hab' ich ihm das Papier gegeben? Hab' ich gesagt, daß er die Standarn damit foppen soll? Etliche Tage im Schatten sitzen – sonst geschieht ihm nichts, dem Tritz, und das schadet nicht.«

»Du bist der Fälscher, und er soll eingesperrt sein – ist das eine Gerechtigkeit?« rief das Mädchen. »Kannst das verlangen, Franz? Hat er dir's nicht gut gemeint, daß er dem Geißbuben den Wisch weggenommen und ihn verbrannt hat? Sonst holen die Spitzhauben leicht dich, und dich hängen sie auf. Noch jetzt kann er dich einbringen, wenn er will, aber er läßt sich lieber mit Messern schneiden, als daß er dich verrät'.«

Sie schluchzte zum Erbarmen.

»Schwester,« sagte Franz, »zum Gericht geh' ich nicht. Aber wenn sie kommen und mich fragen, werd' ich's nicht leugnen.«

»Und sie werden kommen!« sagte Maria. – Nun trat der Vater, der alte Eder, bekümmert herzu.

»Kinder,« sagte er, und sein Haupt wankte bei jedem Wort, »ihr werdet mir noch eine Dummheit machen. Der Teufel hat dich reiten müssen, Franz, daß du mit dem Geld angefangen hast. Jetzt ist die Sau fertig. Dein Glück kann's dir kosten. Aber das sage ich dir: selber verrat dich nicht! Ob der Tritz ein paar Tage im Arrest sitzt oder du zwanzig Jahr' im Kriminal – das wird ein Unterschied sein. Nicht? Meinst nicht, Dirn? Nur gescheit sein!«

Gescheit sein! Das ist leicht gesagt. Und vollends von verliebten Leuten verlangen, daß sie gescheit seien! Die Maria war ja verliebt. Und jetzt, da der Tritz unschuldig im Gefängnis saß, wie die wahrhaften Helden in den Rittergeschichten, jetzt stand er in ihrem Herzen so groß da, und ihr war, als gehöre zu diesem ritterlichen Helden eine treue, ebenso heldenmütige Jungfrau, die ihn befreite. Ihr Vater mußte sie fast mit Gewalt zu ihrer Arbeit auf die Alm schicken, daß sie nicht hingehe, um dem Bräutigam zuliebe den Bruder zu verraten. – –

Am nächsten Tage wurde der alte Eder vor Gericht geladen. Als der Franzel sah, wie ernst die Sache zu werden begann, wollte er sich stellen.

»Untersteh' dich nicht!« rief der Alte. »Spring' nicht selber in die Schlammaß! Geh' du zu deinen Zirmmatten hinauf, bleib' in den Heuhütten, bis ich dich rufen laß!«

Dann ging der Alte nach Lienz zum Gericht. Dort wurde er an den grünen Tisch gestellt vor das Kruzifix. Aber einer der Herren setzte sich neben ihn und sagte vertraulich:

»Die Sache ist nicht so bös, mein lieber Eder. Tut es jetzt nur schön offen erzählen, was es mit der verbrannten Fünfzigerbanknote für eine Bewandtnis hat.«

»Gebt's mir Ruh!« brummte der Alte.

»Ihr habt es gesehen, als Euer Sohn den Schein zeichnete. Er ist ja noch ein Kind, und wir wollen daraus auch gar nichts Kriminalistisches machen. Aber den Sachverhalt müssen wir wissen, daß wir den Patritz Neuleitner freilassen können. Also Euer Sohn hat zum Scherz versucht, das Ding nachzumachen?«

Sie wollen dich fangen, warnte eine innere Stimme den Alten, sag' nichts, bleib still wie der Fisch im Wasser! Jedes Wort könnte dem Franzel ein Jahr seines Lebens kosten. Er ballte die Fäuste auf seinen Knien und starrte mit verglasten Augen auf den Boden.

Der Richter erhob seine Stimme:

»Hat Euer Sohn die Note gemacht oder nicht?« Er deutete auf das Kruzifix: »Ihr steht vor dem, den Ihr in Eurer Sterbestunde anrufen werdet! Ihr seid ein Ehrenmann gewesen Euer Leben lang; Ihr wollt es bleiben. Also auf meine Frage: Ja oder nein!«

Da zuckte der Verhörte seine Achseln und murmelte:

»Wenn Ihr mich so angeht! Lügen kann ich nicht. Mein Franzel hat die Dummheit gemacht, aber keine Absicht dabei gehabt, keine schlechte Absicht. Der Fetzen ist uns aus der Hand gekommen – sonst hätten wir ihn gleich zerrissen.«

»Und ist's auch das einzigemal gewesen, daß er sich in derlei versucht?«

»Das hab' ich ihn gefragt, und er hat gesagt: das erste- und das letztemal. Und es ist auch so; ich kenne meinen Franzel; es ist auch so.«

»Folglich ist die Sache in Ordnung, Eder, und Ihr könnt wieder nach Hause gehen.«

Der Bauer ging, aber sein Herz war nicht leicht, »'s ist doch eine Falle,« sagte er sich; denn zu jener Zeit hat jeder dem Gericht mißtraut.

Als er nach Hause kam und der Franzel noch immer nicht davongegangen war, wollte er ihn zur Flucht bewegen.

»Davonlaufen mag ich nicht,« sagte der Bursche trotzig, »dann täten sie mich erst recht für einen Spitzbuben halten.«

Am nächsten Tage kam auch der Patritz heim und wußte zu sagen: Alles sei abgetan. Aber den Franzel möchten sie sehen.

Der Alte schlug die Hände über den Kopf zusammen: Jetzt sei alles verspielt. Der Franzel aber ging nach Lienz.

Die Herren schauten ihn mit Wohlgefallen an und meinten, wenn er schon so eine gute Hand zum Zeichnen habe, so solle er ihnen einen Beweis geben. Der Franz nahm Bleistift und Papier und porträtierte einen nach dem andern. Und als sie die Bilder sahen, da waren sie darüber eins: das wird kein Banknotenfälscher; der findet sein Fortkommen und seinen Ruf anderswo. –

Es kam jetzt noch eine kurze, aber lustige Bauernlebenzeit. Der Patritz heiratete seine Maria, und es ist ein Paar geworden, an dem die Leute noch heute ihre Freude haben.

Und der Franzel? Ihr lieben Leute, den findet ihr nicht mehr in der Gegend. Er lebt in einer großen Stadt und ist ein berühmter Mann. Gern erzählt er noch von jener harmlosen, aber nicht ganz ungefährlichen Geldmachergeschichte. Was er heute schafft, das ist mehr wert, als alle Papier-Banknoten auf der ganzen Welt zusammengenommen – es sind die herrlichen Bilder aus dem Tiroler Volksleben; denn der Träger dieser kleinen Geschichte ist kein anderer als unser – Franz Defregger.

* * *

Die Geschichte vom jungen Geldmacher ist zwar jetzt aus. Aber es muß doch noch erzählt werden, wie das weiter ging.

Es fängt mit dem Gerede der Leute an, das einige Jahre nach obiger Geschichte folgendermaßen lautete:

»Der Franzl hat jetzt den Ederhof z' Stronach übernommen? – Das ist der Rechte! Ich sag' nur soviel: Schaut euch nach etlichen Jahren sein Hausdach an! Zerrissen und verwindiert. Weil's nachher – malerisch ist. Und seine Melkküh' schnitzt sich der aus Zirmholz.« – So sagten die Bauern von Dölsach. Und die Weiber und Mädchen: »Wird er bald heiraten, der Franzl?«

Die Leute redeten und der Franz wirtschaftete auf dem überkommenen Gute seines Vaters. Es ging nicht besser und nicht übler wie bei den Nachbarn; es war ein großer Grund, aber ein kleiner Erwerb, es waren keine Schulden da, aber auch kein Bargeld, es war schier wie an jenem Orte, wo nach dem Volkswort die ungetauft verstorbenen Kinder hinkommen: keine Freud' und kein Leid.

Aber der Franzl war kein ungetauftes Kind, und »keine Freud' und kein Leid«, das war ihm zu langweilig. Wenn er noch Zeit zum Schnitzeln hätte! Wie glücklich sind doch die Grödner Holzschnitzer, die Pitztaler Herrgöttlmacher, die Tessiner Bilderhändler! Die lassen ihre Landwirtschaft den Weibern und widmen sich der Kunst, und reisen mit ihren Werken in der Welt herum und führen ein fröhlich Leben. Einmal war der Franz gar schon dran, ins Pitztal auszuwandern und sich dort dem Schnitzen hinzugeben – Werke zu schaffen, vor denen die braven Tiroler auf den Knien liegen, wie vor dem lieben Gott selber. Der Gedanke tat ihm wohl, wenngleich er sich der Sehnsucht nach Künstlerehre nicht bewußt war. – Aber er war an den Ederhof gekettet und gab sich drein.

Eines Abends, der Franz saß gerade beim Anschaften einer Stallgabel – war ja auch Schnitzarbeit! – trat der Unterschlager Martin aus dem Iseltale ins Haus: Ob er fleißig wär', der Ederhofer? ob er nicht schon bald Feierabend mache?

Der Franz antwortete, was man eben darauf zu antworten pflegt, und der Martin möge abrasten, und es sei jetzt ein passabel schönes Wetter und was es Neues gebe in Lienz?

»Laß gehen,« sagte der Martin und warf die Hand so hin durch die Luft, »in diesen Bergen gibt's nie was Neues. 's ist ein ödweiliger Weltwinkel.«

»Der Weltwinkel ist nicht zuwider,« sagte der Franz.

»So?« darauf der andere, »na, du schaust mir nicht darnach aus, als ob's dir just gefallen tät' dahier.«

Der Franz schlug den Gabelstiel an, schob die Achseln in die Höhe und murmelte: »Was kann man machen?«

»Eder,« sagte der Martin und blickte ihm scharf ins Gesicht, »geh mit!«

»Wohin?«

»Nach Amerika. – Jetzt schaust drein! Du, auf das Dreinschauen von dir hab' ich mich schon lang' gefreut. Ernsterweis', Eder, ich bin der Sach' wegen da. Sind allzuschlechte Zeiten jetzt im Land Tirol. Wir, an zwanzig Bauern aus dem Iseltal und auch von der Draugegend wandern aus in die Neue Welt. Und sie lassen dich fragen, ob du dabei bist.«

Der junge Eder warf die Stallgabel in die Ecke und sah dem Martin frisch und munter ins Gesicht. Der Iseltaler – es war der wortfähigste, den sie schicken konnten – setzte das Unternehmen jetzt auseinander, sprach von den deutschen Ansiedelungen in Peru, von einer tirolischen Kolonie, von einem Neu-Innsbruck am Maranon, und wie man sich dort für geringes Geld große fruchtbare Grundstücke erwerben könne, auf denen aller Lebensbedarf selber wachse, so daß der Eigentümer zum größten Teile seinen Lieblingsbeschäftigungen leben könne. – Bauerngüter seien jetzt leicht an Mann gebracht. In drei Monaten, um Jakobi, wären sie reisefertig und schifften sich in Bremen ein. – Er sollte sich's überlegen.

Der Franz trommelte mit den Schuhspitzen auf dem Boden und dachte nach. Er hatte schon manches von Amerika gehört und gar selber gelesen; nicht zu leugnen, es war ihm auch schon einmal der Gedanke gekommen, die Neue Welt müßte besser halten, als die Alte. Jetzt hob er den Kopf gegen den Martin und sagte: »Wo kann man euch finden, jetzt die Sonntage?«

»Auf der Post in Lienz sind wir allemal beisammen. Etliche haben ihre Häuser schon verkauft, andere sind noch in Unterhandlung. Der Zirbelhofer heiratet noch eher seine saubere Matreierin. Sollst du auch tun, Franz, wenn's dazu kommt – daß es eine Kurzweil gibt auf der See. Und kernechte Tirolerkinder, nachher drüben. Überleg' dir's halt.«

»Will mir das Ding überlegen,« meinte der Eder, aber mit einer Miene, aus welcher der Martin nicht klug werden konnte, war's Spaß oder Ernst. Der Iseltaler ging davon und berichtete den Genossen: »Schwerlich, daß er wird mit dabei sein, der Eder z' Stronach. Er hat g'rad nit ja und nit na g'sagt.«

* * *

Einige Tage darauf war eine Hochzeit beim Wirt in Dölsach. Die Verwandten Ederhofers waren auch dabei. Das dürfte eine Gelegenheit sein, dachte sich der Franz und ging des Abends, als es finster wurde, ins Wirtshaus nach. Da hatte er guten Empfang, bei den Tischen wollten sie den unterhaltsamen Burschen haben und auf dem Tanzboden auch. Er entschied sich für den Tanzboden. Mit den hübschesten Dirndln der Gemein hopste er und bei jedem dachte er insgeheim: Wolltest du mit übers Wasser? – Sie lachten ihn alle so treuherzig an und sie ahnten es nicht, daß jetzt auf einmal das große Wasser lag zwischen ihnen und dem lieben, flinken, dunkelgelockten Eder-Franz.

Erst nach Mitternacht zog sich der Franz in eine Nebenstube zurück, wo mehrere seiner Grundnachbarn und Verwandten im Gespräche saßen. Sie sprachen über Wirtschaftssachen und daß jetzt billig Häuserkaufen wäre, da ein ganzes Rudel Iseltalerbauern nach Amerika auswandere. Mehrere Kauflustige waren darunter.

»Kauft mir das meine ab!« sagte der Eder plötzlich.

»Dein Haus? Ist es feil? Gehst etwa auch ins Amerika, Franz?«

»Freilich.«

»Zweimal darfst es nicht sagen, so glaub' ich's,« rief seine Schwester. »Gleichschauen tät's dir, daß du auf einmal davonliefest, so weit der Himmel aufgespannt ist.«

»Mir ist's recht, daß wir heut' beisammen sind und davon reden können,« sagte er, »ihr wißt alle miteinander, daß ich meines Vaters Wirtschaft, so lang' ich sie hab', nicht verschandieren werde, wißt aber auch, daß ich keine rechte Freud' dran hab'. Nehmt ihr von meinen Geschwistern eins das Haus, – ich verkauf mein Teil – probier' mein Glück auf andere Art. Was kann mir denn geschehen, wenn ich nach Amerika gehe?«

Sie blickten alle auf ihn hin. Der Eder sah nicht aus, als wolle er spaßen. Seine Schwester riß gleich die Schürze zum Gesicht und schluchzte: Das hätt' sie ja gewußt, hätt' sich's immer gedacht, der Franzl würde auf einmal so was anfangen. Jetzt sei das Unglück da.

Der Franz lachte überlaut, er sehe kein Unglück, und schon vor Zeiten, da sie noch keine Eisenbahn und kein Dampfschiff gehabt, hätten sie schon gesungen: Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.

»Na, na, Franzl,« sagte ein schon betagter Vetter und legte die hagere Hand auf den Arm des jungen Mannes: »Das ist nichts, das mußt du dir aus dem Kopfe schlagen. Bleibe im Land und nähre dich redlich, heißt's.«

Es wäre schon gut, sagte der Eder, aber es wäre auch spät, er wünsche allen eine gute Nacht. Stand auf, ging davon.

Die Schwester war verzagt. »Es ist so viel, als wie wenn er schon fort wär',« meinte sie, »was sich der einbildet, das führt er aus.«

»Oho, da werden schon auch noch andere Leute was d'reinzureden haben!« rief ein Greis vom Nachbarstisch her, »ich bin sein Göd und den Göden hat er zu fragen. – Daß er am End' heimkäm' wie ein Haderlump und brächt' uns das gelb' Fieber mit und andere Schlechtigkeiten. Lieber geh' ich ins Amt und laß ihn noch einmal assentieren. – Schau da her!«

Die komische Entrüstung des Alten weckte eine Gegenströmung. Mehrere junge Leute riefen, wenn der Eder-Franzl nach Amerika gehe, so gingen sie auch mit. Mädchen liefen herbei, was das für eine Mode wäre, auf dem Tanzboden kein einziger Tänzer mehr!

Amerika! – Aber die Fiedeln übertönten schließlich das Wort.

* * *

Am nächsten Sonntag nachmittags nach dem Segen kamen sie im Ederhofe zusammen, die Geschwister, Schwäger, Vettern und Muhmen des Franz. Zuerst lobten sie seine Wirtschaft, den stattlichen Hof, den weiten Ackergrund, die schöne Alm, und was das für ein Glück wär', heutzutag' hausgesessen zu sein, und daß einer wisse, wo er daheim sei und seine Freunde finde, so oft er sie brauche.

Franz freute sich, nur Gutes zu hören von denselben Leuten, die sonst immer mit seinem Hauswesen zu nörgeln gehabt hatten, denen sonst weder er, noch die Dölsachergegend, noch sie selbst recht gewesen waren, die dem lieben Gott unter der Hand seine Welt ausbessern wollten, oder ihm weisen, wie man am besten eine neue erschaffe.

Als sie nun aber in ihrem Gespräche der Wendung immer näher kamen, unterbrach sie der Franz: »Laßt's gut sein, Leut', mich g'freut's, daß ihr mich doch gleichwohl noch so gern habt; das wird mir wohl tun, wenn ich in der Fremde bin.«

Jetzt fuhren sie los:

»Du darfst nicht fort!«

»Dein Vater müßt' sich noch im Grab umdrehen, wenn du den guten, alten Ederhof so wolltest verscherzen!«

»Und ein Vagabund wolltest werden –«

»– und zu den Heiden wolltest gehen –«

»– und so viel Schand' bringen auf deine Landsleut'!«

»Wenn du den Hof verkaufst!« rief ein Ältester von Dölsach, »so legt die Gemeinde das Geld in Beschlag, wie's für einen Verschwender gehört.«

Da ließ der Franz seine Hand plötzlich stark auf den Tisch fallen und sagte: »Jetzt hab' ich genug! Noch ist das Haus mein und das sag' ich euch: wenn ich gehen will, euretwegen bleib' ich nicht!«

»Ist auch gut,« brummten sie, »weil wir's nur wissen.« Und verloren sich nach und nach aus dem Hause. –

Und der Eder ging wiederholt nach Lienz, kehrte auf der Post ein und unterredete sich mit den Iseltalern. Ein Käufer fürs Haus war auch gefunden. Franz wollte nur früher noch mit Bruder und Schwester reden und ihnen in ernster und gütlicher Weise die Sache klarlegen, und sie dahin bringen, daß sie mit seiner Auswanderung einverstanden wären.

Der Bruder hatte schließlich nichts mehr dagegen, nur meinte er, dürfe der Franz nicht allein fort, auch er würde mit ihm gehen. Jetzt saß der Franz erst recht in der Klemme; den jungen Burschen, der niemals nach weiterem gestrebt hatte, als was eben ein Bauernjunge im Gebirge bedarf, mitzunehmen, konnte er nicht wagen; ihn zurückdrängen war dasselbe Unrecht, was die anderen an ihm, dem Franz, begingen.

»Ja, Brüderl,« sagte Franz, »ließe dich denn die Hannele mit?«

Der Bruder schwieg, das war ein Punkt, der erwogen sein wollte. Und nach einiger Zeit kam er darüber ins reine; es würde denn doch wohl das Vernünftigste sein, der Franz tue nach freiem Willen, und er aber bliebe daheim.

Aber bei der Schwester ging es schwerer. Sie hing mit leidenschaftlicher Liebe an ihrem Bruder, und hub in dieser Zeit schon immer zu weinen an, so oft sie ihn ansah: »Gerad', als ob du mir auf der Totenbahr' lägest. Gestorben bist mir schon und fortgetragen haben sie dich noch nicht.«

Er war heiter und schmeichelte ihr bisweilen ein Lächeln ab, und bat sie dann, sie möge die Sache mit Ruhe und Vernunft überlegen; nach Amerika sei es heute nicht weiter, als wie früher nach Galizien, nach Siebenbürgen hinein, wohin doch so viele Tirolersoldaten marschiert und glücklich wieder zurückgekommen wären. Auch er komme wieder zurück, er bleibe nicht im fremden Land, er suche nur sein Glück und würde es finden, und würde in wenigen Jahren die Mittel erwerben, sich seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Bildschnitzen hinzugeben – und dann würde sie erst sehen, was sie für einen Bruder habe!

So sagte sie endlich, wenn er in dieser Auswanderung denn sein Glück zu finden hoffe, sei es im Gottesnamen – sie füge sich; nur auf seine Gesundheit sollt' er schauen.

Am nächsten Feiertage sollte der Hausverkauf amtlich geschlossen werden. Am Vorabende kam der Schwager Tritz und nahm den Franz mit ins Dorf und ins Wirtshaus.

Da waren schon Leute beisammen, taten aber, als ob sie ganz zufällig so zusammengekommen wären. Der Herr Pfarrer war auch da. – Die Unterhaltung wollte nicht recht vorangehen. Eine lange Weile wurde vom Wetter gesprochen, dann eine halbe Stunde lang von der Klauenseuche, die auf den Almen grassiere, endlich wußte man, daß es mit der Eisenbahn durch das Tal, von Franzensfeste her doch Ernst werden würde. Aber merkwürdigerweise war heute kein rechtes Leben an der Eisenbahn, die Leute kamen bei dem Diskurs nicht in die Hitze wie sonst, und das Gespräch wollte wieder versickern.

»Ja, einer muß doch anfangen,« flüsterte man und trat einander unter dem Tische auf die Füße. So fing einer an: »Ja, die Eisenbahn, die sollt' halt in acht Tagen schon fertig sein.«

»Warum?« fragte man.

»Damit unsere Auswanderer nach Amerika gleich per Dampf könnten abfahren.«

Die Wendung war plump, aber sie war gemacht und nun mußte man – wohl oder übel – den Stier bei den Hörnern packen. Der Pfarrer erhob sich von seinem Platze und setzte sich an die Seite des Eder-Franz. Da schwieg noch alles.

»Franz,« sagte der Pfarrer und schmiegte sich an den Angesprochenen, »Franz, ich kann's nicht glauben, daß du uns verlassen willst.«

Nach einer Weile antwortete der Eder: »Ja doch, Herr Pfarrer.«

»Es ist nur ein Spaß gewesen oder fürs höchste eine kleine Übereilung, nichts weiter. Du bleibst uns daheim.«

»Es ist schon alles so ziemlich in Richtigkeit. Mein Haus ist so viel als verkauft; habe darauf schon die Hand gegeben.«

»Der Handel geht wieder zurück!« riefen mehrere, »dafür sind wir da! Schau, was sollt' denn aus der Dölsacher Musikbande werden, wärest du nicht dabei? – Du bleibst bei uns, Franz. Da kannst treiben, was du willst, wir lassen dich nicht fort!«

Sie fielen ordentlich über ihn her und hielten ihn an den Händen und schlangen ihre Arme um seinen Nacken. Lauter Nachbarn und Schulfreunde von ihm waren es.

»Schau,« sagte jetzt der Pfarrer wieder, »könntest es denn übers Herz bringen? An jedem dieser Freunde, die dich heute an ihre Brust schließen, hängt ein Stück deiner Kindheit und Jugend. Mir bist eines der liebsten Pfarrkinder seit je gewesen; ich weiß am besten, wie treu du stets gehangen hast an Vater und Mutter, an Geschwistern und Freunden, an der ganzen Gemein. Wie, daß du dich jetzt loszureißen vermöchtest für immer aus dem heiligen Verband, der Freud' und Not zu jeder Zeit brüderlich mit dir getragen hat; daß du dich jetzt könntest trennen von dem stillen, alpenumfriedeten Tale der Heimat, um, ein Abenteurer, auszuwandern in einen fernen Weltteil, einer höchst unsicheren Existenz entgegen, um in der Jagd nach Gold vielleicht unter wilden Stämmen elendiglich zugrunde zu gehen! – O blicke hier hinaus, wie friedlich deine altehrwürdige Pfarrkirche im Mondlichte steht! – Franz! an diesen Kirchhofmauern ruhen die Gebeine deiner Eltern, deiner Vorfahren, die der treuen Heimat treu geblieben sind . . .«

Der Eder riß sich los, sprang auf und schritt rasch hinaus in die Stille der Mondnacht. Er stützte sich an einen Pfeiler und krampfig hob und senkte sich seine Brust.

* * *

Am anderen Tage unterzeichnete er den Kaufvertrag – und das Heimathaus war in fremden Händen.

Aber zurzeit ging ein Gerücht, die Abreise der Auswanderer sei verschoben worden. In das Iseltal waren durch Zeitungen und Privatbriefe beunruhigende Nachrichten gekommen: man möge sich wohl vorsehen, mit der amerikanischen Angelegenheit stünde es nicht ganz so, wie man etwa glaube; die Reise nach Peru sei viel kostspieliger, als es die Agenten eingestehen; in Peru sei Grund und Boden längst verteilt und bevölkert, und in den Gold- und Silberminen fänden wohl Tausende ihr Elend und ihr Grab, aber nur wenige ihr Glück. Die Eingewanderten, die der Landessprache nicht mächtig, das Klima und die Lebensweise nicht gewöhnt wären, würden bald das Opfer gewissenloser Spekulanten oder böser Seuchen; glücklich noch diejenigen, die einen letzten Blutpfennig besitzen, um wieder in die alte Heimat zurückzugelangen.

Ja, dachte der Eder-Franz: von solchen Gründen lasse ich mich gern bestimmen. Und aufrichtig, ich wüßte nicht, ob ich es übers Herz gebracht hätte, der Heimat, den Verwandten, besonders der Schwester, die so sehr an mir hängt, Ade zu sagen.

Auf der Post zu Lienz blieb bald einer und der andere der Amerikalustigen aus und die Sache schlief ein. Unser Franz aber stand da und hatte kein Haus und kein Geschäft. Jetzt gab es wieder gar nicht viele zu Stronach und Dölsach, die sich sonderlich um ihn kümmerten; wohl aber etliche, die heimlich lachten über einen, der da zwischen zwei Stühlen auf dem Lehm saß.

Saß eines Tages wirklich auf der Lehmbank am Wege, als zwei Maurergesellen, gute Bekannte von ihm, die wie er zu der Dölsacher Musikbande gehörten, mit Stock und Reisesack bepackt daherkamen.

»Ei, wohin denn?« fragte sie Franz.

»Ins Amerika,« antwortete der eine, schmunzelte aber dabei, daß man sah, es war ein Schelmenwort.

»Nach Sprugge (Innsbruck) gehen wir,« sagte der zweite, »wenn du mit willst, Franz?«

Meinte der Franz: »Ihr habt mir's zu eilig.«

»Wir warten auf dich, wir packen sogleich ab, wenn du hernach mitgehst.«

»Welchen Weg nehmen wir?«

»Wir reisen dem Land nach« (nach der Landstraße).

»So laßt Zeit ein paar Tage.«

»Was fangen wir an dieweil?«

»Ich weiß euch was,« sagte Franz. »In Drauburg ist morgen Hochzeit. Eine Wegmacherdirn heiratet. Die kann sich nicht viel kosten lassen; der spielt ihr den Hochzeitsmarsch und ein paar Tanzeln im Wirtshaus auf. Die dankt euch's ihr Lebtag lang. Und ich bin, dieweilen ihr geiget, fertig.«

So war's den Maurergesellen recht. Sie gingen mit ihren Musikinstrumenten nach Drauburg. Der Franz ging zu seiner Schwester und erzählte ihr von seinem neuen Reiseziel. Ihr war auch das nicht recht. – Er vertut sein Geld und wird vom Glauben abkommen. –

Nichtsdestoweniger ging der Franz nach Innsbruck. Es war im Frühjahr 1860. Es war eine lustige Burschenreise mit den zwei Maurergesellen – alle drei Musikanten.

Bald hernach schrieb er einen Brief an seine Schwester, in welchem unter anderem auch folgendes stand:

»Als wir das letztemal beisammen wahren, da wahr mein Herz noch so bedrängt, das es mir stäte Trehnen aus den Augen preste und so mußte ich euch in meiner Heimat verlassen. Aber nach Regen kommt Sonnenschein. – Den als ich zum erstenmale Innsbruck erblickte, da wahren meine Trehnen abgewischt. (Hierauf schreibt er von einer Reise, die er nach München, Augsburg und Kempten machte.) Und jetzt ist mein einziges Bestreben nach meinen Vorhaben, den meine Provesion scheint auch nicht schlecht zu sein, wenn ich einmal weitere Vortschritte machen kann. Und ibrigens bin ich ganz gesund Gott sei Dank, wie ich euch auch alle anzutreven hoffe und es geht mir recht gut. Und wenn du vielleicht gedenkest jetzt ist er in einer Stadt da wird er sich nur an eitelkeit und underhaldung ergozen, und beten wird er nichts, so irrst du dich treue Schwester den Innsbruck bietet zum guten eben so viel gelegenheit dar, als zum schlechten denn an Kirchen velt es ja nicht wenn man behten will. Seit nun tausendmal gegrüst treue Schwester u. s. w. – Die Adres ist zu machen. An Erwirdigen Herrn Michael Stolz Bildhauer k. k. Riallehrer in Innsbruck.«

Franz war nämlich in die Zeichenschule gegangen, wo er unter der Leitung des Professors Stolz ungefähr drei Monate lang Unterricht nahm. Da zeigte es sich denn, daß in diesem Bauernburschen mehr stecke, als bloße Auswanderungslust und als Neigung für Baumrindenschnitzereien. Dem fehlt nur ein großer Lehrmeister, dachte sich Professor Stolz, und empfahl seinen Zögling dem Maler Piloty in München.

So kam der fünfundzwanzigjährige Franz von Stronach aus Innsbruck in die Großstadt, in die Maler- und Künstlerstadt an der Isar. Dort begann er mit Hilfe seiner aus dem Hause gelösten Geldsumme ein geordnetes Studium. Er besuchte die Gewerbeschule und trat bei Meister Piloty in die Lehre. »Was?« sagte Piloty eines Tages; »Sie wollen auch Maler werden? Da haben Sie eine schwere Aufgabe in den heutigen Tagen!« Sah aber bald, daß der gelehrige, geniale Schüler die schwere Aufgabe überwinden dürfte.

Ein andermal stand Franz vor einer Gemäldeauslage in der Stadt und hörte hinter sich die Bemerkung: »Ja, die Bilder sind schön. Nur schade, daß die Maler verhungern müssen.« Aber er verlor nicht den Mut – er lernte und lernte. – Wenn ich's nur einmal so weit bringe, dachte er, daß ich mir täglich zwei Gulden verdiene! – Er hat's noch weiter gebracht. –

Piloty gewann den schlichten, offenen Tiroler bald lieb, und oft sah man an seiner Seite den strammen Alpenburschen, der noch seinen grauen Lodenrock und eine mit Pfauenfederkiel gestickte Leibbinde trug, durch die Gassen wandeln. Pilotys Haus und Atelier standen ihm stets offen und war ein eigenes Klopfzeichen an der Tür verabredet, das ihm zu allen Tagesstunden Einlaß verschaffte.

Später lebte der junge Maler aus den Tiroler Bergen ein paar Jahre in Paris, kehrte dann (1865) aber mit um so größerer Freude in die Alpenheimat zurück – ein ganz anderer, als der war, welcher fünf Jahre früher mit den Maurern davongezogen. Solange er unter den Leuten und Naturgegenständen noch Skizzen fummelte – hier einen Kopf, dort eine Hand, ein Tier, einen Baum, da ein Geräte, ein Haus, einen Stein – solange lächelten sie über sein Gehaben. Als er aber den Dölsachern für ihre neue Kirche das herrliche Altarbild malte, die heilige Familie – da lächelten sie nicht mehr, da wollten ihre Hände sich schier heben zum Hutabnehmen vor diesem Manne.



 << zurück weiter >>