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Jedermann hält – so begann mein Freund seine Erzählung – seinen eigenen Kopf für den klügsten, sein eigenes Kind für das schönste und seine eigene Liebes- und Heiratsgeschichte für die interessanteste.
Meine Heiratsgeschichte ist wirklich interessant und ich würde glauben, ich hätte sie aus einem munteren Roman gelesen, wenn nicht mein treues Eheweib Juliane neben mir weilte, zu dem ich unmöglich anders gekommen sein kann, als durch nachstehende Heiratsgeschichte.
Ich lebte von meinem neunzehnten bis zu meinem dreißigsten Jahr im Städtchen B. als kleiner Steuerbeamter. Ein lustiger Kerl, der ich war, hielt ich mit aller Welt gut' Freundschaft und sie mit mir. Eingemietet hatte ich mich in einer Hofkammer, was natürlich den ständigen Witz verursachen mußte vom »Kammerherrn bei Hofe«. Er war aber völlig ungerechtfertigt, denn ich war überall im Städtchen daheim, nur nicht in meiner Wohnung. Die erstere Zeit zwang mich mein Kanari, daß ich täglich oder nächtlich einmal heimging in die Hofkammer, um ihn zu füttern; später trug ich das Vogelhaus der Bequemlichkeit halber zum Lindenbräu, wo ich es im Extrazimmer aufhing und das Tierchen denn ordnungsgemäß speisen und tränken konnte. Da einmal der Vogel beim Lindenbräu war und ich nicht verlangen konnte, daß ihn die Kellnerin atzen und sich von ihm umsonst anpfeifen lassen sollte, so ging ich täglich hin, aber nur einmal, nämlich zu Mittag nach der Amtsstunde. Ich blieb – Genossen sind in B. immer zuwege – im Extrazimmer sitzen, natürlich bis ordentlich in die Nacht, und legte mich dann der Bequemlichkeit halber unter meinem Vogelbauer auf die Bank hin.
Lustig war es immer, Possen gab es jeden Tag und an alles dachte ich eher, als ans Heiraten.
Da drehte sich eines Abends, als meine Genossen einmal recht vernünftig waren, das Gespräch um das Wirtshausleben. Mitten im Wirtshaus erdreisteten wir uns zu sagen, daß gegen den Trank zwar nichts einzuwenden sei, daß aber die Speisen für die Länge in einem Privathause doch besser schmeckten, als das unablässige Schnitzel und Rostbeef im Gasthause. Das Gespräch hatte einen philiströsen Beigeschmack, und schon gar, als den vorhandenen Junggesellen die Gründung eines häuslichen Herdes geraten wurde. Empört über die süßelnde Moralsiederei des Abends rief ich urplötzlich aus: »Ich brauche keinen eigenen Herd und wenn mir die Wirtshauskost nicht ansteht, so speise ich eben in einem Privathause.«
»Wenn du geladen bist,« warf einer her.
»Bin täglich geladen, wenn ich will!« rief ich, pochte kühnlich auf meine Beliebtheit, deren ich mich in der Stadt erfreute, und hingerissen von diesem stolzen Bewußtsein setzte ich bei: »Übrigens warte ich nicht erst auf die Einladung, ich gehe ins nächstbeste Haus, wann ich will und speise dort.«
Das wäre doch etwas viel gesagt, meinte einer, und so elastisch dürfte selbst die zäheste Freundschaft nicht sein, daß man den ungeladenen Gast, eben wann es ihm beliebt, zu Tische zieht.
»Warum denn nicht?« war meine Frage. »Ich gehe eine Wette ein, daß ich in jeder Familie der Stadt B. speise, wann ihr wollt! Ich gehe ins Haus und sie werden mich zu Tische laden.«
»Was gilt die Wette, du sitzest auf!?«
»Wer sie verliert,« sagte ich, »der gibt den Stadtarmen eine Mahlzeit!«
»Wacker!«
»So werdet ihr mir morgen um halb zwölf Uhr vormittags sagen, in welcher Familie ich zu Mittag speisen soll. Ich werde hingehen, und sie werden mich zu Tische laden.«
»Angenommen.«
»Nur eines bedinge ich mir. Arme Familien, denen ein Gast schwerfallen würde, sind ausgenommen.«
»Selbstverständlich.«
»Auf wie viele Tage wollt ihr es vorläufig versuchen?«
»Auf eine Woche,« sagten einige.
»Auf drei Tage,« meinten andere. »Drei Tage, an welchen ihm wir die Häuser seines Mittagsmahles vorschreiben, werden reichlich genug sein, um den Prahlhans gründlich zu heilen.«
So ward es festgenagelt. Ich bestellte beim Lindenbräu schon an demselbigen Abende den Rostbraten des nächsten Tages ab und schlief dann recht wohl auf der Bank unter meinem Kanarienvogel.
Am nächsten Tage von acht Uhr morgens an saß ich wohlgemut in meinem Amte. Die bockbeinigen Parteien, mit denen ich zu tun hatte, konnten mir den Humor niemals verderben. Etwa um Glockenschlag elf meldete sich der Magen, höflich fragend, was heute zu gewärtigen stehe? – Laß Zeit, mein Kind, noch weiß ich es nicht. – Um halb zwölf Uhr brachte der Kanzleidiener ein versiegeltes Briefchen herein. Ich wog es in der Hand und roch einmal darauf hin; nichts von Küchenduft, es war geruchloses Kanzleipapier.
Ich öffnete und las, daß ich heute, Donnerstag den 11. Juni 1885, beim Herrn Apotheker Bitterle speisen solle.
– So, so! Beim Apotheker Bitterle. Ein ganz braver Mann, der Bitterle. Indes, ich hatte ihn erst am selbigen Vormittag angeschnauzt, weil er Umstände mit der Einkommenssteuer machte. Herr Bitterle ist ein etwas sparsamer Mann, der das viele Schweinsfett, welches er jährlich kauft, nicht für die Küche eignet, sondern damit in der Apotheke die Hasen-, Dachs-, Kreuzotterfettöpfe und andere Salbendosen füllt. –
Nun, im Gottesnamen, wir wollen es versuchen.
Um zwölf Uhr stieg ich die finstere Treppe hinan zur Wohnung des Apothekers. An der obersten Stufe lag ein großer Kater, der schnurrte mich an, blieb des weiteren aber liegen. An der offenen Küchentür blieb ich stehen und sagte, höflich den Hut lüftend: »Guten Morgen, Frau von Bitterle!« Denn sie stand beim Kochen.
»Uh!« versetzte sie, »der Herr Karl! Sie suchen gewiß meinen Mann. Er ist in der Apotheke.«
»Er hat ganz recht,« antwortete ich, »aber mir ist heute die deutsche Küche lieber als die lateinische.«
»Ist auch gesünder,« sagte die gescheite Frau und glättete mit einem Handstrich ihre schneeweiße Küchenschürze.
»Besonders wenn eine so geschmackige Köchin drin steht,« sprach ich. »Da kriegt einer auch ordentlichen Appetit. Aber ich bitte, Frau von Bitterle! kein Schmuck und keine Seiden steht der deutschen Frau so gut als der Kochlöffel. Allen Respekt! Wenn ich nur wüßte, womit die gnädige Frau den Salat einmacht? Tafelöl ist das nicht!«
»Mein Mann ißt den Salat nur mit Leinöl.«
»Nicht möglich!« rief ich aus.
»Vortrefflich, sage ich Ihnen!« versicherte die Frau und träufelte das goldige Öl auf das Grünzeug, »wer Leinöl einmal gewohnt ist, der ißt kein anderes mehr. Und gesund für die Brust!«
»Sein mag's,« sagte ich ernsthaft, »sein mag das wohl. Ich glaub's geschwind. Soll ja das beste Öl sein, das Leinöl, hab's immer gehört. Delikat muß es sein! Aber frisch wird man es selten haben können.«
»Wissen Sie was, Herr Karl,« sagte das Frauchen und wendete mir ihr am Feuer gerötetes Gesicht zu, »wenn Sie glauben, daß wir den Salat mit abgestandenem Öl einmachen, so rate ich Ihnen, sich vom Gegenteil zu überzeugen und einmal mit uns zu Mittag zu essen.«
»Liebste Frau Bitterle!« sage ich und halte die Hand hin, »es gilt. Ich speise heute mit Euch.«
Jetzt kommt der Apotheker die Treppe herauf, der Kater ist still, aber der Bitterle knurrt.
»Du, Mann,« ruft ihm die Frau entgegen, »denke dir, wir haben heute einen lieben Gast!«
»Hol' ihn der –« brummte Bitterle, »so oft man im Steueramt zu tun hat, ist der Humor für den ganzen Tag weg. Wer ist es denn?«
Da trete ich vor. »Freund,« sage ich und halte ihm beide Hände entgegen; »die Schrift sagt: wenn du jemand beleidigt hast, so lasse die Sonne nicht untergehen, ohne ihn zu versöhnen. Ich mag die Sonne nicht einmal den Zenit überschreiten lassen, ohne dir Abbitte zu tun. Im Drange des Geschäftes entrollt einem eben manchmal ein herbes Wort, ohne daß man die Parteien eigentlich ansieht, wer sie sind. Schlimm war's nicht gemeint, Franz, ich muß mit dir heute eine Flasche Wein ausstechen, du, stolpere nicht, da liegt ein großer Kater. Grüß dich!«
Da hätte ich den Kerl sehen mögen, der mich jetzt die Treppe hinabgeworfen! Gerührt reichte mir Herr Bitterle die Hand.
»Er gibt uns die Ehre, mit uns zu speisen,« rief die Frau und war emsig beschäftigt, das Zimmer zu richten und den Tisch zu decken. »Müssen halt fürlieb nehmen. Wenn ich's nur um eine Stunde früher gewußt hätte! Ich habe zwei Hühner. Nun verhungern werden wir nicht. – Ich bitte, ist's gefällig?«
Kurz, es ward ein munteres Mahl. Ich wußte allerhand Schnurren und trällerte mitten durchs Rindfleisch und den Leinölsalat heraus tirolische Schnaderhüpfeln, denn mein Gastherr war ein Tiroler. Vaterländischen Wein tischte er auf und nach der ersten Flasche schon machte er allem Ehre, nur nicht seinem Namen Bitterle. Die Frau brachte zum Überfluß noch Aufgeschnittenes, wozu ich insgeheim gerne meine Wettgegner eingeladen hätte, die ich schon unten auf der Straße stehen sah, spähend, wie es mir wohl erginge beim Apotheker Bitterle. Wie waren sie erstaunt, als ich das Fenster öffnete, und in der einen Hand eine Havanna, in der anderen ein schäumendes Stengelglas schwingend ihnen zutrank auf gute Gesundheit.
So war die erste Probe glänzend ausgefallen und am nächsten Morgen – ich gestehe es – stieg ich absichtlich mit dem rechten Fuß zuerst von der Bank, auf daß ich nicht minder glücklich sein möchte. Vormittags kam mir der Gedanke, ob ich mir gegen alle Fälle nicht ein Paar Frankfurter holen lassen sollte, gewann aber die Oberhand über das Gelüste und erwartete ruhig die Weisung. Punkt halb zwölf war sie da: Heute, Freitag den 12. Juni, beim Herrn Propst.
Beim Propst. So schlimm hatte ich's nicht erwartet. Ich hatte die letzte Zeit her – weil man doch auch für die Unsterblichkeit etwas tun will – ein wenig Propaganda gemacht für den Altkatholizismus und war deswegen von dem klerikalen Wochenblättchen ordentlich plattgebügelt worden, woran ich zwar schon vergessen hatte. Und nun soll mich der Propst, ein kirchenstrenger Mann, heute zu Tische laden. Noch dazu war Freitag, da die Geistlichen kein Fleisch essen. Die Bosheit meiner Gegner war grenzenlos.
Indes, der Mut verließ mich nicht, obzwar ich unterwegs schon den Speisezettel zusammenstellte für das Mahl der Stadtarmen. Als ich durch den Hof der Propstei schritt, begann ich zu ahnen, daß die Wahl des Tages beim Propst doch nicht ganz so boshaft sein dürfte, als ich mir vorgestellt. Bestechender Schmorduft machte meine Sinne wirbeln; am Brunnen wurden Fische ausgeweidet und ein Mann trug einen Flaschenkork die breite Steintreppe hinauf. – Heute, wenn du schlau wärest, heute lohnte es sich der Mühe, dachte ich, aber es fiel mir keine Form und keine Finte ein und klar wurde es mir: wenn der hochwürdige Herr mich aus eigenem Antriebe nicht zu Tische lädt, mit Listen kann man ihm nicht bei, abgesehen davon, daß man sich bei solchen Herren nichts vergeben darf. Ich bedauerte, in meiner Prahlsucht mich zu weit vorgewagt zu haben, in jedem Hause zu B. wird für den Karl doch nicht gedeckt sein.
Ich trat in das Stiegenhaus, schritt durch einen düsteren Kreuzgang und klopfte an der Tür des Herrn. Als ich eintrat, kam er mir von seinem Pulte her, wo er augenscheinlich gelesen hatte, mit kalter Höflichkeit ein paar Schritte entgegen. Das war's, was ich am meisten gefürchtet hatte. Gegen einen tüchtigen Zornerguß, wie er Halbketzern doch offenbar gebührt, war ich mit allerlei Philosophie und Humor gerüstet gewesen, aber ein glatter Eiszapfen läßt sich nicht anfassen.
Was mir zu Diensten wäre? war seine Frage.
»Herr,« entgegnete ich, »es muß nicht heute sein, es kann auch ein anderes Mal sein. Ich wollte nur gebeten haben, daß Sie mir einmal ein halbes Stündlein schenken möchten. Es läge mir dran, es wäre mir wichtig – heißt das, wenn ich Sie nicht inkommodieren sollte.«
»Bitte,« sagte er kühl und deutete auf einen Ledersessel.
»Ihr seid,« versetzte ich rasch Platz nehmend, »in der Nähe besehen doch nicht ganz so schlimm, als wir Ketzer euch malen. Aber vollkommen trauen mag ich euch nicht, es müßte mir denn gegönnt sein, anstatt mit dem hochwürdigen Herrn Propst, mit einem wohlwollenden Freunde zu plaudern. Auf hohem Kirchenstuhl sitzend könnten Sie mir meinen heutigen Besuch schrecklich schief nehmen.«
Ich gebe mein Ehrenwort, daß – indem ich so sprach – mir nicht der mindeste Faden vorschwebte, an dem ich entlang wollte. Der würdige Herr, der im ganzen eine recht behagliche und gemütliche Erscheinung gab, mochte vermuten, daß der sonst allenthalben wohlgelittene, fröhliche Steuerbeamte sich bei ihm seines altkatholischen Treibens wegen zu rechtfertigen suchen wollte, oder wohl gar Belehrung über diesen Punkt. Er war fein genug, solchem Vorhaben die Wege zu glätten, er schmunzelte und klingelte nach einer Flasche Wein. Das war verfahren. Wer eine Flasche Wein auftischt, hat nicht die Absicht, zum Mittagsessen zu laden. Noch plötzlich zuckte durch meinen Kopf die rettende Idee.
Ich war sehr ernsthaft und sagte: »Es sollte mich nicht kümmern und es ginge mich nichts an. Ihr Herren möget tun, was ihr wollt. Aber es gilt eine Wette. Ich behaupte, es ist nicht wahr, daß die geistlichen Herren das selbst niemals halten, was sie anderen predigen. Es ist nicht wahr, daß sich die Herren an Fasttagen Fleischspeisen auftafeln lassen. Fische, Krebse und Schnecken natürlich ausgenommen. Ja, es ist nicht einmal wahr, daß sie ihre Fastenspeise mit Schweinsfett kochen. So behaupte ich, aber die anderen beteuern, ihr fülltet selbst eure Torten und Freitagskuchen mit Schinken, Ganslebern und anderem Fleische. Das wäre kein Fasttag, habe ich gesagt, und ich gebe es nicht zu. Alle sind gegen mich und wir streiten hin und her und endlich bin ich ihnen hereingefallen. Einen Eimer Reininghauser gilt's.«
Mit großer Desperation brachte ich das vor und trank; der Propst lachte und trank auch.
»Ich hätte,« fuhr ich fort, »zur Richtigstellung den kürzesten Weg nehmen können, den in die Küche, welchen wahrscheinlich meine Gegner finden werden. Aber ich halte das nicht für korrekt. Ich gehe stets den ehrlichen Weg und bitte Euer Hochwürden, die Wette entscheiden zu wollen.«
»Aber lieber Freund!« lachte der Propst, »wie soll ich in dieser Sache entscheiden? Und wenn ich jeden Freitag eine ganze Fleischbank aufäße, so müßte ich es leugnen und im Worte wenigstens das Kirchengebot verteidigen. Das sollten Sie ja wissen und wissen es auch, und darum werden Sie und werden es Ihre Gegner mir nicht glauben, wenn ich sage, daß in meinem Hause das Fastengebot genau im kirchlichen Sinne gehalten wird.«
»Herr!« sage ich und stehe auf, »ich habe das Vergnügen, Sie seit neun Jahren persönlich zu kennen. Ihr Wort genügt mir vollkommen.«
»Und ich werde es Ihnen trotzdem durch die Tat beweisen,« sagte der Propst, »daß wir katholische Priester auch nach unserer Lehre leben. In zehn Minuten von jetzt ist es Mittag, ich werde mich mittlerweile nicht von Ihrer Seite begeben und Sie erweisen mir die Ehre, heute mit mir zu speisen.«
»Herr,« sage ich und verneige mich tief gerührt, »die Ehre ist meinerseits.«
Eine Viertelstunde später saßen wir, ihrer vier heitere Priester und meine Wenigkeit, im Refektorium und schmausten. Ich muß wohl gestehen, daß ich mein Lebtag keinen stilgerechteren Fasttag gehalten habe, als an jenem Freitag. Erbsensuppe, Salat mit harten Eiern, Hummer mit Mayonnaise, Forellen mit Krentunke, Rahmstrudel, Obst, Käse, schwarzer Kaffee mit Zigarren, Kerschbacher und Ofner Weine zu Ehren des Gastes. Als der Kaffee kredenzt ward, blickte mich der Propst triumphierend an; ich drückte ihm die Hand. »So wird euch halt immer unrecht getan von der bösen Welt,« sagte ich. »Hoch! Es lebe der Fasttag!«
Während unsere Gläser aneinanderklangen, erhob sich draußen auf der Gasse ein Lärm. Meine Gegner waren wieder dort versammelt und stimmten laut in unser Hoch ein.
»Sie sollen heraufkommen!« rief der Propst, »auch diese Herren müssen sich überzeugen!«
So saßen wir bald alle zusammen in der Runde und hielten bei munteren Reden ein scharfes Trinken.
Erst im Abenddunkel gingen wir mit illuminierten Köpfen nach Hause, heißt das, ich zum Lindenbräu. Der Propst und ich waren dicke Freunde geworden, und mir fiel es nicht mehr ein, mich je noch einmal um den Altkatholizismus zu kümmern, da es sich bei dem noch älteren so trefflich leben ließ.
Nach diesen zwei so glänzend bestandenen Proben hätte ein anderer an meiner Stelle wohl erwarten mögen, daß am dritten Tage ihn die Gegner selbst zu einem solennen Mittagsmahle einladen würden. Aber der hätte meine Freunde schlecht gekannt. Am dritten Tage um halb zwölf Uhr kam der Befehl, daß ich bei der Frau Regierungsrätin Langen zu Mittag essen sollte. Das war zuviel. Die Frau Regierungsrätin war ein junges hübsches Weib, dem erst wenige Wochen früher der Regierungsrat gestorben war. Die Witwe lebte seither ganz zurückgezogen mit ihrem Kinde und einer alten Magd. Die ganze Stadt teilte den Kummer mit der stillen hochachtbaren Frau, niemand aber wagte sie in ihrer Trauer zu stören, sie wünschte allein mit ihrem Knaben zu sein und das Andenken an den geliebten Gatten, mit dem sie kaum vier Jahre glücklich verheiratet gewesen war, in der häuslichen Stille zu feiern. Ich, als übermütiger Bursche und mitunter ganz rasender Witzbold bekannt, war durchaus nicht die richtige Berufenheit um der trauernden Witwe einen Besuch abzustatten.
Schon wollte ich mich meinen tückischen Feinden ergeben, als mir einfiel, daß auf dieser Erde mitunter ganz unglaubliche Dinge zu geschehen pflegen, daß ein einziger Mann, wie Napoleon, die ganze Welt erobert hatte; warum sollte es mir nicht gelingen, ein einfaches Mittagsessen bei der Frau Rätin zu erobern?
Ich ging in die Neugasse, wo ihr Haus stand. Schon von außen war es mit einem gewissen weihevollen Frieden umgeben; die Fenster waren mit weißen Vorhängen verschleiert. Ich zog an der Klingel. Die Magd rief von der Küche her, es sei offen, was man wolle?
Ob die gnädige Frau zu sprechen sei?
»Ach Gott,« sagte die Magd, als sie mich erkannt hatte, »sie will immer allein sein, und wie gut wäre es, wenn sie sich etwas zerstreuen ließe! Die gute Seele wird mir noch krank. – Versuchen Sie es nur,« flüsterte sie, wies gegen die Zimmertür und machte mit dem gebogenen Finger die Geste des Anklopfens.
Das ließ ich mir freilich nicht zweimal gesagt sein. Nach wiederholtem, etwas ängstlichem Klopfen hörte ich ein mattes Herein. Ich trat in das Zimmer. Sie hatte eben, soviel ich noch bemerken konnte, ihr zweijähriges Knäblein geherzt, jetzt stand sie auf und ging mir ruhig ein paar Schritte entgegen. Ihr Gesicht war recht blaß, und in den schönen Augen waren Spuren von Tränen, die sie jetzt wie durch eine zufällige Handbewegung über das Gesicht zu verwischen suchte.
Ich weiß nicht mehr, welche Worte ich gestottert und was sie mir darauf zur Antwort gegeben hatte. Es ist wohl das gleichgültigste gewesen, was man sagen kann, und ich sah sofort, hier sei ein rasches Umkehren das beste. Mit einer verfehlten Tür entschuldigte ich mich und trat mit einigen Verbeugungen überaus plump den Rückzug an. Als ich die Stiege hinabschritt, rief sie von oben nach: »Herr Karl, erlauben Sie! Sie haben gewiß der Verlassenschaftssteuer wegen mit mir zu sprechen und sind zu zartfühlend . . . Ich bitte, wenn das der Fall ist, nur herzukommen; mir selbst, die sich nun einmal in das Unvermeidliche fügen muß, wird es angenehm sein, wenn sich die Dinge endlich geordnet haben.«
Ich trat wieder bei ihr ein. »Sie sind ja der Freund meines Mannes gewesen,« fuhr die Witwe fort, »und ich muß mich auch noch bedanken für die freundliche Kondolenzkarte . . .«
»Das liebe Kind!« rief ich aus und beugte mich zum blondlockigen Knaben nieder. Dieser blickte mich etwas befremdet an, fragte dann die Mutter: »Mami, ist das Papa?«
Die Frau antwortete nicht, sondern wendete sich beiseite und weinte.
Ich hob das Kind auf meine Arme, trug es gegen die Mutter und flüsterte ihm zu: »Sage der lieben Mama, sie soll nicht weinen; sie hat ein so herziges Bübl, sie ist so jung noch und soll sich wieder freuen an der schönen Welt.«
»Ich danke Ihnen,« sagte sie und legte einen Augenblick ihre Hand auf meinen Arm, »die Leute meinen es so gut mit mir. Es ist eine traurige Zeit für mich.«
Jetzt kam die Magd mit einem braungefleckten Töpflein und einem Schüsselchen herein und sagte zum Knaben: »Fritz, deine Suppe ist da!«
»Ich mag nicht,« antwortete der Kleine und machte sich zutraulich mit meiner roten Halsbinde zu schaffen.
»Fritzchen,« ermahnte ihn die Mutter wehmütig, »sei brav, iß jetzt deine Suppe.«
»Ich mag nicht,« sagte der Kleine.
»Schau, Fritz, wie groß du schon bist!« sagte ich und hob das Kind hoch empor, was ihm Spaß machte, »und du wirst noch größer, viel größer, wenn du deine Suppe ißt. Dann wirst du so groß wie ein Baum.«
»Wirst du auch so groß wie ein Baum, wenn du Suppe ißt?« fragte der Knabe.
»Ei freilich.«
»So iß. Dann esse ich auch.«
»Gut, Junge,« rief ich vergnügt, »wir wollen miteinander die Mittagssuppe essen.«
Ich setzte mich zum Tisch, nahm den Kleinen aufs Knie und wir löffelten beide ganz emsig die Suppe aus. Hierauf schlang Fritz seine Ärmchen um meinen Hals und sagte: »Papa, jetzt darfst du nicht mehr fortgehen.«
Ich blickte auf die junge Witwe, unsere Augen zuckten so seltsam aneinander, daß ich erschrak. Und wie mich dünkt, sie war auch erschrocken.
Wir wechselten hierauf wieder einige gleichgültige Worte, ich sagte, daß ich meine Amtssache doch besser ein andermal abmachen wolle. Dem Kleinen versprach ich, daß ich bald wiederkommen würde und so verließ ich die Wohnung.
Unten stand einer meiner Gegner und machte ein triumphierendes Gesicht. »Diesmal also abgeblitzt!« lachte er.
»Wieso?« fragte ich, »bin eingeladen worden und habe zu Mittag gegessen.« –
Drei Monate später ging ich mit demselben Partner schwarz befrackt zur Frau Regierungsrätin, aus welchem Anlaß, ihr werdet es vermuten. Sie zierte sich nicht lange, sondern erbat sich die Jährung des Todesfalles.
Am 13. Juni 1886, es war das liebliche Pfingstfest, haben wir Hochzeit gehalten. An demselben Tag gaben meine Wettgegner den Stadtarmen ein Mahl. Rindssuppe mit Mark und Leber, Rauchfleisch mit Kren, Schweinsbraten mit Salat, Reispudding und Wein. Ich führte meine junge Frau in den Saal, daß wir uns an dem Behagen der alten, lahmen und tauben Tafelgäste erfreuten. Alsogleich boten sie uns einen Ehrenplatz, wir tranken auf ihr Wohl, und sie tranken »auf gute Gesundheit des Mannes, der – ein Liebling der Stadt – nicht bloß zu Tische geladen wird von den Wohlhabenden sondern auch von Kindern und Armen.«
Ich aber ließ vom Lindenbräu den Kanarienvogel holen und in unsere neue Wohnung bringen, nahm von dieser Zeit keine Wetten des Mittagstisches wegen mehr an, sondern speiste stets bei mir selber. Und mit gutem Appetit.