Peter Rosegger
Die Abelsberger Chronik
Peter Rosegger

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Wie eine Abelsbergerin als Ehefrau ausging und als Jungfrau heimkam.

Zum kleinen Moidei machen wir eine große Einleitung.

Da war ein grünes, fruchtbares Tal. In demselben lebten Weiber, lauter Weiber, und alles übrige war unbekannt. Außer dem bißchen gegenseitiger Scheelsucht und außer dem bißchen Tratsch war keine Unterhaltlichkeit. Aber auch der Tratsch war sehr mager, er hatte keinen rechten Stoff. Der Mensch muß zweiköpfig sein, dann erst ist es ein Vergnügen, seine Sünden zu begucken.

Eines war aber dabei, ein junges, kühnes Weib, das wollte nicht mittun, sondern trieb sich einsam auf besonderen Wegen um. Sie empfand, daß sie einsam war, ohne zu wissen, daß sie zweisam sein könnte. Gegen Sonnenaufgang des Tales war ein hohes Gebirge. Und weil jeden Morgen darüber eine Sonne aufging, so meinte das einsame Weib, es müsse dort was Heißes dahinterstecken. Sie versuchte daher mehrmals, das Gebirge zu besteigen, aber sie kam nicht hinauf. Wohl brachte sie von ihren Ausflügen mancherlei seltsame Sachen mit. Einmal eine Alpenrosenknospe, die erst an ihrer Brust sich entfaltete, einmal das Horn eines Steinbockes, das sie sich an den Kopf setzte, wohin es aber nicht passen wollte. Ein andermal brachte sie ein länglich-rundes, gesprenkeltes Ding, das keines der Weiber kannte. Es ging von einer Hand in die andere, bis das Ding plötzlich barst und ein Vöglein heraussprang, daß sie anfangs erschraken, sich dann aber höchlich daran ergötzten.

Nun zogen die Weiber selbander in das Gebirge, um Vogelnester zu suchen und Eier auszuheben; aber der Einsamen wurde dieser Spaß bald langweilig, sie strebte von den Engtälern weiter gegen die Höhen, und immer weiter hinauf. Einmal blieb sie sehr lange aus, als sie wieder zurückkehrte, wußte sie aber auch was zu erzählen.

Sie sei so weit hinaufgekommen, bis der Boden unter ihren Füßen auf der anderen Seite wieder abwärts gegangen. Jenseits des Gebirges sei auch ein Tal, und aus dem seien ganz eigenartige Wesen heraufgestiegen – große, knochige Menschen, und hätten Haare im Gesicht.

Ob sie gefährlich wären?

Für den ersten Augenblick schienen sie sehr gefährlich. Einer sei wie wütend auf sie hergefahren, aber die Sache sei nicht sehr schlimm gewesen. Alsdann seien die absonderlichen Menschen in ihr Tal hinabgegangen, und sie – die Einsame – sei diesseits herabgestiegen.

Auf solche Mär wurden die Weiber höchst aufgeregt und sie stiegen höher und höher hinan in das Gebirge, mutvoll bereit, die Ungeheuer aufzusuchen.

Mittlerweile hatte sich auch im jenseitigen Tale unter den bärtigen Wesen das Gerücht verbreitet, daß sich hinter dem Gebirge Geschöpfe aufhielten, den Menschen höchst ähnlich und doch nicht mit ihnen vergleichbar. Sie seien ganz unheimlich glatt und zart und ihr Anblick könne wahnsinnig machen. Alsogleich waren auch sie entschlossen, über so eine Nachbarschaft nähere Erfahrung einzuholen; sie stiegen ihrerseits das Gebirge hinan – und oben auf dem Rücken, wo liebliche Hochmatten waren, trafen sie sich.

Die neue Bekanntschaft fiel zur gegenseitigen Zufriedenheit aus, und bevor sie sich trennten und jeder Teil wieder in sein Tal stieg, verabredeten sie über Jahresfrist eine neue Zusammenkunft auf den Hochmatten des Gebirges.

Und so ward es, daß sie Jahr für Jahr oben zusammenkamen, die Weiber des diesseitigen und die bärtigen Wesen des jenseitigen Tales, und daß sie allemal einen Monat beisammenblieben auf dem Gebirge, um den milden Sonnenschein und den Wohlhauch der Alpenblumen zu genießen.

Allmählich erschienen im Tale der Weiber winzig kleine Geschöpfe, im ganzen den großen ähnlich. Junge Menschlein. Die Mädchen blieben bei den Weibern, die Knaben wurden in das Tal der Männer geschickt. – Und es entwickelte sich ein großes Geschlecht, gewaltig an Körperkraft und an Seelenglut. –

Diese tropische Sage von der Entdeckung der Männer und von dem jährlich nur einmal übersteigbaren Gebirge zwischen den beiden Geschlechtern kann uns nachdenklich machen. Wir haben es besser und sind schlimmer daran. Nichts entmannt den Mann mehr, als die beständige weibliche Gesellschaft. Die Leidenschaft und Glut der Liebe, der noch allerlei Hindernisse unter die Füße geworfen werden, wird lahm, sobald das Ziel ohne jeglichen Kampf täglich erreichbar ist. Wird lahm und matt und langweilig, und wie mancher wünschte sich zwischen sich und seiner trauten Ehehälfte ein hohes Gebirge.

Zwar würde bei der heutigen Ausbildung der Touristik schließlich weder der eine noch der andere Teil den Jahreslauf abwarten, sondern wöchentlich ein- oder gar zweimal eine Bergpartie machen.

An die Sage von der Entdeckung der Männer erinnere ich mich jedesmal, wenn ich in jene Gegend unseres Vaterlandes komme, in der die Weiber jährlich einmal auswandern, um, wie es heißt, sich Männer zu suchen.

So ist es auch in Ober-Abelsberg herkömmlich, daß im Juni die Dienstmägde ihre Dienstorte verlassen, um in den »Schnitt« zu gehen. Sie haben sich das von ihren Dienstherren zum Vorbehalt gemacht und ziehen in den Sommermonaten, solange zu Hause das Getreide noch nicht reif ist, ins Unter- oder Vorderland, wo die Wachtel lustig schlägt im Kornfeld, wo das Korn schon der vielen fleißigen Sicheln harrt, und wo sich die Schnitterinnen ein Stück Geld verdienen können.

»Sie gehen Männer suchen«, ist der Spott, den man ihnen von daheim nachsendet. Und es geschieht in der Tat zuweilen, daß die eine oder die andere einen mit heimbringt oder selber nicht mehr zurückkommt, oder wenigstens nach dem abgelaufenen Dienstjahre wieder ins Unterland zieht, wohin sie die Wachtel lockt. Bei mancher freilich ist es nichts weiter, als daß sie nebst ihrem vollen Geldtäschchen nur noch ein anderes Andenken mit nach Hause bringt, das dann die Lust und das Leid – das Verhängnis ihres Lebens wird. – Derlei geschieht häufig – die Kornraden und die Mohnblumen, die in den Halmen wachsen, brennen gar so rot. Äußerst selten aber geschieht es, daß eine als Ehefrau in den Schnitt zieht und als Jungfrau heimkehrt. Einmal ist das doch geschehen.

Der Schneidermeister Benjamin zu Ober-Abelsberg hatte seine dritte Frau genommen – ein kleines, jugendfrisches Weibchen – die Moidei. Selbstverständlich nahm er's heikel mit seiner Kleinen, wie er ein zwar nicht mehr junger, aber vierschrötiger Kerl war, so wußte er den übrigen Männern in solcher Sache Respekt einzuflößen, und auch seiner Moidei. Diese ließ sich's mit dem eingeflößten Respekt genug sein und hielt sich soweit brav. Das Schlimme jedoch war, daß der Meister erwerbshalber darauf angewiesen war, sein junges Weibchen zur Hochsommerszeit in den Schnitt zu schicken. Vier Wochen weg sein vom eheleiblich angetrauten Manne! Draußen im Land gibt's allerhand Leut', und so ein Weiberblut kann man nicht zwingen: Der muß dir gefallen und der darf dir nicht gefallen. Oh, die Weiber, wenn sie fortgehen! Lassen sie ihre Treue beim Manne daheim, so gehen sie treulos fort, und nehmen sie die Treue mit sich, so kommen sie oft ohne dieselbe heim. Die Moidei nimmt sich selber mit, nimmt sich ganz mit! in ihrem Kopf wird freilich der Ehemann noch ein Weilchen hocken, aber bei ihren Augen werden andere Männer hineingucken, bei ihren Ohren werden kecke Burschen hineinsingen und flüstern, an ihre Nase werden vorwitzige Jungen duftende Rosenknospen halten, und wenn sie in solcher Not den heiligen Namen des Ehemannes anrufen will, da wird man ihr mit bärtiger Lippe den Mund verschließen, mit heißem Begehr umschlingt sie den Mann, der eben erst zehn Stunden weit weg war . . .

So spintisierte der Meister Benjamin. Und wenn sie wenig Geld heimbringt vom Schnitt: Du mußt dich nicht gar viel verlegt haben aufs Schneiden! Hast keine Zeit dazu gehabt? – Und wenn sie viel Geld heimbringt: Ist das alles fürs Kornschneiden?

Die Moidi war nun draußen in Urlaufen und schnitt Korn auf den Dorfäckern; ihren Unterstand hatte sie beim Küster genommen.

Warum just beim Küster? fragte sich der Meister Benjamin, warum nicht beim Wirt, beim Schuster oder sonst wo? Was ist der Küster für ein Mensch? Ein alter Junggeselle. Ein frommer Mann natürlich. Gott, diese Betbrüder, das sind gerade die Ärgsten. Man kennt diese Leute, wie sie in der Kirche mit ihrem Klingelbeutel zwischen den Weibsbildern herumschleifen und »Vergelt's Gott« sagen, ohne daß was hineingeworfen wird. Der Küster von Urlaufen ist noch nicht »fünfzig«, hat – wie man hört – stets Backen und Kinn glatt rasiert und hat seinen Bartkranz unten am Halse herum wie die Schiffersleute. Die den Bart so tragen, das sind allemal die Schlimmsten. Eine Glatze soll er haben, aber die rückwärtigen Haare nach vorn kämmen, damit man die Glatze nicht sieht! Warum tut er das, als weil er noch jung sein will? Und warum will er noch jung ausschauen, als um Weiber zu betören? – Und bei diesem Gauch wohnt sie, die Moidei! Einen Brief schreibt sie an den Heimgespons: es ginge ihr soweit gut. Vergißt aber die Marke darauf zu kleben, so daß er Strafporto zahlen muß.

Endlich ist der Schnitt vorbei, die Moidei kehrt heim, springt dem Meister Benjamin an die Brust und packt ihr Geld aus. Es ist nicht zuviel und nicht zuwenig. Ist verdächtig! Warum sie's gar so genau macht! Wenn die Weiber so zärtlich sind und so akkurat, da haben sie was zu verdecken. – Zudem wird gemunkelt, der Wind weht so mancherlei Anspielungen hin und her vom Küster in Urlaufen und seinem Stübel, er hatte nebst dem Heuboden nur eins. Das ward dem guten Meister Benjamin endlich zu arg. Er kannte zwar den Küster nicht, so wie er auch von diesem kaum gekannt sein konnte, aber eine gerade Verständigung ist zwischen Männern am besten. Der Meister schrieb dem Küster einen Brief von wegen der kleinen Moidei, und was an der Leute Reden sei? und er, der Küster, würde schon noch erfahren, mit wem er's zu tun habe! und unterstrich die Worte, weil man sie im Briefe nicht schreien kann.

Der Küster in Urlaufen war bei Empfang des Briefes stark verblüfft. Was der mit seinem Dirndel für Geschichten macht, da! dachte er. Soll's nicht schneiden ausschicken, wenn er nachher Angst hat, sie könnt' unters Stroh kommen. Das ist der »Geltsgott« dafür, daß ich sie aus Christenpflicht auf meinem Heuboden schlafen laß, daß das unerfahrene Ding nicht Schaden leidet. Soll ein anderes Mal der Alte selber mitgehen und sein Parasol halten übers Mädel, daß sie ja keine Sommersprossen heimbringt. – Und weil er ein gutes Gewissen hatte, wie es jedem Küster geziemt, so nahm er alsogleich ein Blatt Papier und schrieb an den Schneidermeister Benjamin:

»Ich unterzeichneder bestedige Mit mein Heiligen eid und bey der Küster-Ehre fon Urlaufen, daß die Schniderin Maria-Moidei mein Hauß als jungfrau verlassen hat.

Johann Sappel,    
Küster zu Urlaufen.«

Einen solchen Brief muß man sich doch hinter den Spiegel stecken. Meinst du's nicht auch, Meister Benjamin?



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