Peter Rosegger
Die Abelsberger Chronik
Peter Rosegger

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Zwei besonders schlaue Abelsberger.

Lieber Leser! Wenn dich dein Nebenbuhler in einen Turm hinauflockt, die Leiter davonträgt und zu deinem Schatz geht, was wirst du machen? Wirst du es dir in einer Mauernische und unter Spinnweben bequem machen und ein beschauliches Leben führen? – Wahrscheinlich kommst du niemals in diese unliebsame Lage, für alle Fälle aber höre, wie es der Sulmlenzel gemacht hat.

Dieser Sulmlenzel hatte einen guten Freund, gebürtig aus Abelsberg. Und dieser gute Freund war so gut, daß er eines Samstagfeierabends zum Lenzel sagte: »Ja du, mein Lieber, weißt, was ich heut' möcht'? Auf der Antonikirchen ihrem Turm möcht' ich oben sein. Die Aussicht, die man dort haben muß bei dem klaren Wetter wie heut'! Wohin man sieht vom Antoniturm aus? Nach Graz sieht man hinein und gar ins Windisch hinab, wo der Wein wachst.«

Nun hatte der Alpenjodel, der Lenz, sein Lebtag noch keine Gegend gesehen, wo der Wein wächst. »Die schönsten kanarigrünen Weinberge!« sagte der gute Freund, »ganz rauschig wirst schon vom Anschauen! Magst, so steigen wir auf den Turm.«

»Es gilt,« antwortete der Lenzel, und sie gingen. Jeder hatte sein »halbes Feiertagsgewand« an. Der Abelsberger, Sebald hieß er, hatte sogar den grünen Hut mit der kecken Hahnenfeder auf. Die Feder bog sich nach vorne, das sah unternehmend aus. Am Feierabend gibt es allerhand Sachen! Welcher von den beiden jungen Burschen der schönste war? Na, da müßt ihr schon die Angla fragen, die weiß es genau. Aber der eine, der Sebald, wußte es nicht, daß sie es wußte, und aus dieser Unwissenheit kann eine Katastrophe entstehen.

Nun, einstweilen habe ich zu berichten, daß sie hinanstiegen den waldigen Hügel zur Antonikirche, die oben ihr weißes Türmlein hoch über die Wipfel hinblicken ließ. Die Kirche stand zur Feierabendzeit stets offen, falls jemand beten kommen wollte; der Opferstock war gut verwahrt und sonst nicht viel vorhanden, was ein versperrtes Kirchtorschloß gerechtfertigt hätte. Um den spitzen Turmhelm kreisten Vögel.

»Steig' nur voraus die Leiter hinauf, ich schau in der Sakristei nach, ob der Pfarrer nicht ein Spektivi (Fernrohr) hat und komm' gleich nach,« so sagte der Sebald.

Nun wußte der Lenzel zwar wohl, daß ein »Spektivi« nicht unumgänglich zu den kirchlichen Geräten gehört, dachte aber, sein Freund, der manchmal Meßnerdienste leistete, könne es wohl wissen, was da vorhanden war. Da ihn schon nach der Grazerstadt und den Weinbergen gelüstete, so stieg er langsam voraus die steile, etwas wackelnde Leiter hinan und gab hübsch acht, daß er sich im Dunkeln nicht an einen Balken stieß. Es mußte schon wer oben sein, denn es pochte einer. Das war aber das Ticken des Kirchenuhrpendels, welches neben den auf- und niedergehenden Gewichtsseilen sachte hin- und herschwang. – Bald lichtete es sich, es waren die Turmfenster da, und der Bursche stand am Ziele. Er schaute hinaus in die weite Welt. Die Grazerstadt? Zwischen den Bergen dort sieht man ins Blaue hinaus. Dort draußen kann sie wo liegen. Und ist sie dort nicht, so wird sie halt wo anders sein. Die Welt ist überhaupt sehr groß. Und sehr hübsch. Besonders, wenn sie im Sommer-Samstagfeierabend so breit und flach daliegt, wie auf dem Nudelbrett der Strudelteig und die Bäuerin schon die Speckgrammeln drauf gesäet hat. Die Speckgrammeln, das waren hier die Kirschbäume und die Wirtshäuser und die Almhütten dort drüben, wo saubere Dirndeln hausen. Und hübsch ist sie, die Welt, wenn man ein frischer Knab' mit zweiundzwanzig Jahren tut sein! Bis erst der Sebald mit dem Spektivi heraufkommt, dann schaun wir hinüber zu den Almhütten. Auf der grünen Alm standen die Kühe und Kälber wie weiße Flöhe, die sah man auch mit freiem Auge, aber die Angla, die könnte man nur mit dem Rohr erkennen – die Angla – – die Angla . . . Gott, so ein Mädel!

Unten auf dem Sandweg an der Kirche lief jetzt der Abelsberger davon, schleifte hinter sich eine lange Leiter her, schleuderte sie auf den Rasen und eilte hohnlachend talwärts. Und jetzt merkt es der gute Lenzel, daß er verraten und verkauft ist. Er schreit dem Treulosen nach: »Hör' auf, das ist ein dummer Spaß! bring' die Leiter her!« Ja, die Leiter her! Der Sebald wendet sich dort beim Ahorn einmal um und macht mit den zehn Fingern vor der Nase eine Gebärde, als wie man es beim Klarinettblasen tut. Und dann flugs in den Wald hinein.

Der Lenzel versuchte allerlei, wie man vom Turm herabkommt. Es gibt zwei Wege, einen inwendig, einen auswendig. Der inwendige ist dunkel, der auswendige licht, luftig, steilab geht jeder. – Ob man sich die Beine bricht, wenn man da hinabhüpft, oder ob man ganz tot ist? Ganz tot, das wäre zu dumm, die Beine brechen, das wäre auch nicht klug. Schreit man um Hilfe, so kommen sie und lachen und morgen bist der Turmspatz in der ganzen Gegend. Wenn die Angla hört, daß du der Turmspatz bist! Das Übernachten auf dem Turm wäre weiter kein Unglück, aber – Tik, tak, macht der Teuxel die ganze Nacht, während der Mensch dort drüben auf der Alm sein soll. Dort drüben auf der Alm ist derweil ein anderer. Tik, tak, macht der Teuxel, der Pendelschlag. Den Sebald hat's gewiß danach geplangt, nach der Almhütte. Tik, tak, macht er? So höre doch, das ist ja ein guter Rat! Die Uhr leiht dir ihre Strickleiter. – Verstanden hat er's! Wie schlau er auf einmal geworden ist! Das Pendel hebt er aus, setzt sich auf den Steinklumpen des Uhrgewichts, hält sich ans Seil und tik tak, tik tak – in hastiger Eile – rasch sinkt das Gewicht mitsamt dem Insassen. In kaum einer Stunde ist er so weit unten, daß er den Sprung wagen kann.

So, da wären wir wieder. – Man glaubt es nicht, was der Mensch an seinem festen Erdboden hat. Ist vertrackt schwer zu entraten, der feste Erdboden!

Mittlerweile war es auch draußen dunkel geworden. Und das, dachte der Bursche, ist just die rechte Zeit zum Fensterlngehen auf die grüne Alm. Zwar die grüne Alm ist bei der Nacht schwarz, und die weißen Kühe sind auch schwarz, und die Angla wird auch schwarz sein. Das macht nichts. Der Weg ist ebenfalls schwarz, doch er trifft ihn ganz genau. Nach zwei Stunden ist er auf der Alm bei den Sennhütten. In der ersten Hütte ist Licht; das ist nicht seine Hütte, aber er guckt durchs Fenster hinein. Da drinnen sind ihrer ein halb Dutzend Dirndlein beisammen, sitzen um einen Leuchtspan herum, flicken ihr Gewand aus und tun plaudern. Und die kleine Angla ist auch dabei. Sie sitzt gerade neben der Herdglut, daß sie ganz glühend ausschaut im Rundgesichtel und über dem weißen Busenhemd.

Herrschaft! denkt sich der Lenzel, glühendes Eisen wär' gut schmieden! Wenn sich heut' die auch noch auswendig anzündet! Na, derweil geh' ich voraus in ihre Hütten, sie wird schon nachkommen. Bleibt aber immer noch stehen und schaut hinein. Mit den Augen hört er's zwar nicht, was sie plaudern, aber an ihren schalkhaften Gesichtern, an ihrem Kichern und Lachen merkt er's, sie sprechen von den Mannsbildern. Na, das ist wenigstens was Rechtes! – Jetzt strengt er seine Ohren an, aber sie sind immer noch nicht lang genug, er hört nur so etwas, als ob eine den Vorschlag gemacht hätte, sie sollten Buben tauschen. »Oh na!« ruft die Angla laut aus, »das tu' ich nit! Meinen Buben vertausch' ich nicht! Behalt's ihr eure Scherben nur selber, der meinige ist noch gut über und über, und den geb' ich nit her.«

Na, Lenzel, um so was zu hören, das verlohnt sich doch, auf dem Uhrgewicht vom Turm herabgeritten zu sein! Der Leuchtspan gloste seinem Rande zu, der Bursche sputete sich jetzt zur oberen Hütte hinauf. Die Brettertür war versperrt, er wußte durch den Heuboden ein Loch hinein und bald saß er drinnen, wieder so im Dunkeln, wie vorhin im Turme, aber in ganz anderer Stimmung! Hinter der Seitenwand schellte manchmal die Kuh, und man hörte ihr Wiederkäuen. Der weiche Stalldunst erfüllte die Hütte. Der Lenzl machte sich's bequem. Die Bettkissen waren ganz kühl und fühlten sich ein wenig schwanig an; und es war ein prickelnder Duft vorhanden, der ihm gar wohl behagte.

Und jetzt fängt etwas an zu geschehen. Zuerst leise, dann lebhafter klopfte es ans Fenster, das über dem Bette ist. Ein krummgebogener Finger, und daran war ein großer Lackel gewachsen und dieser bettelte um Einlaß. Der Lenzel erkannte an Haltung und Stimme seinen guten Freund Sebald, den schlauen Abelsberger.

Da der Lenzel drinnen nicht gleich antwortete, so sagte der draußen: »Wohl, wohl, Dirndel, heut' wirst schon mit mir zufrieden sein müssen; der andere ist zwar viel feiner als ich, aber kommen tut er heut' nit.«

Der Lenzel öffnete das Glasfenster ein klein wenig und flüsterte mit verstellter Stimme hinaus: »Warum kommt er denn nit, der andere?«

»Du, mit dem hast Malär,« sagte der draußen, »der Lenzel ist neuzeit Betbruder worden. Der geht jetzt zu der Antonikirchen fensterln, gewiß auch noch. Und hat mich hergeschickt, kennen tust mich eh, der Brennbaumer Sebaldl. Und sollt' dir statt seiner die Zeit vertreiben helfen. Gelt, 's ist dir recht, Herzerl?«

»Auf keine Weis' nit,« flüsterte der Lenzel.

»Wirst sehen, daß ich nit zu verachten bin.«

»Vom Verachten hab' ich nichts gesagt, aber schlafen will ich.«

»Ich will dir helfen dabei. Zwei richten mehr aus beim Schlafen, als eins.«

»Meinst du?«

»Gewiß auch noch. Und ich geh' heut nit heim alßer weißer (unverrichteter Dinge).«

»Mußt dich halt mit Kohlen anstreichen dort beim Herd.«

»Gilt schon, ich will mich mit Kohlen anstreichen an deinem Herd.«

»Keinen Mohren mag ich aber nit.«

»So will ich mich weiß waschen an deiner Milch.«

»Die Milch gehört nit mein.«

»So will ich sie gut bezahlen.«

»Mit Hobelschaiten leicht?«

»Will dir einen Gefallen tun, wie ihn ein Bauer mit drei Paar Ochsen nit kann leisten. Dirndl, derbarm dich, mach' auf.«

»Wenn du schon gar so hitzig bist. Daß du mir die Wand nit anbrennst da draußen, so mußt halt hereinfliegen beim Rauchfang.«

»Zum Fliegen bin ich nit eingerichtet, wirst schon die Tür müssen aufmachen zur Abwechslung.«

»Immer einmal eine Abwechslung wird wohl nit schaden, aber die Tür ist verriegelt und die schönsten Buben finden das Heubodenloch. Komm' nur. Gleich ums Eck, durch die Schupfen links.«

Also das Zwiegespräch.

Der Lenzel hatte vorhin an der Wand eine Viehgerte getastet, nach der griff er jetzt, während der andere den Weg in die Hütte suchte und auch fand. Und mit der Gerte kauerte er sich hinter dem Bette an die Wand und dachte, wenn sie nur heut' noch einen frischen Span angezündet hätten in der unteren Hütte. Jetzt kunnt ich die Kleine nit brauchen da heroben.

Mittlerweile hatte sich der Sebald mit einiger Mühe und Umständlichkeit von rückwärts hereingearbeitet, einmal stieß er seine Knie an die Balken, dann seine Achsel, dann seinen Kopf, er litt es mit größter Geduld, ich glaube, es hat ihm gar nicht weh getan.

Der Lenzel strich mit der Hand über die Gerte hinaus, sie war dreifach geflochten und hübsch zähe.

Jetzt war der Sebald beim Herd und tappte in die Asche hinein, jetzt war er beim Milchkasten, tastete an den Töpfen herum und lispelte:

»Wo denn – wo hast es denn, dein Liegerstadl?«

»Bist nimmer weit davon,« flüsterte der Lenzl nach Weiberart.

»Au, das ist ja der Leckentrog!« klagte der andere, weil er in die Kleien geraten war.

»Du wirst mir noch ins Milchhäfen fallen wie ein Schwabenkäfer,« zischelte der Lenzel. »Mußt nit gar so dalgert umeinandertappen, laß dir Zeit, wirst nichts versäumen. Deine Joppen häng' dort an den Nagel.«

»Ist eh wahr,« antwortete der Sebald und begann das überflüssige Gewand von sich zu tun.

Dem Lenzel war schon ganz heiß geworden und die Armmuskeln spannten sich scharf.

»Ein bissel leid tut's mir halt doch um den anderen,« hauchte er scheinbar recht weichmütig.

»Um die Letfeigen? Um den Turmspatzen?« versetzte der Sebald.

»Turmspatzen?« fragte der Lenzel.

»Na, so wo denn? Wo bist denn, Schneggerl!«

»Da bin ich!« so der Lenzel und fuhr mit der Peitsche aus seinem Winkel hervor wie ein wildes Tier . . .

Als die Angla nächtlicherweile an ihre Hütte gekommen war, erschrak sie schier zum Schlagtreffen, drinnen war ein schreckbares Gepolter, Gefluche, Gestöhn und Gewimmer. – Wie ein Pfeil schoß sie zurück zu den Nachbarshütten. Dort steckten sich alle zusammen und getrauten kaum Atem zu holen die ganze Nacht.

Erst als das Morgenrot aufstieg, gingen sie mit Knitteln und Sensen bewaffnet heldenhaft der oberen Hütte zu, um etwa die Ursache des nächtlichen Spukes zu erforschen. Die Tür war ordnungsmäßig verschlossen, wie sich das bei Geistergeschichten gehört. Und als sie die Türe öffneten – welch ein Durcheinander! Herrgott noch einmal, welch ein Durcheinander! Ein Teil des Bettes lag auf dem Herde, von der Bank waren zwei Füße eingeknickt, so daß die Kleien und die Milch zwischen den Scherben als vielarmiger Brei ausgebreitet lagen. Diebe konnten es nicht gewesen sein, denn es fehlte nichts; es war im Gegenteile manches da, was nicht in die Hütte gehörte. Unter dem umgestürzten Tisch ein grüner Hut mit Hahnenfedern und ein Tabaksbeutel, und im Winkel ein benagelter Mannsschuh.

»Da haben s' g'rauft!« zeterten die Weibsleute.

»Um mich haben s' g'rauft!« sagte die Angla mit großartiger Ruhe.

»Zerschlagen haben s' ihr alles!« schrie eine andere. »Angla, dich mögen s' nit, da sieht man's!«

»Um mich haben s' g'rauft!« wiederholte sie. Denn ein Bauerndirndl fühlt ihre Liebe erst anerkannt, wenn um sie gerauft worden ist.

Am nächsten Samstag kam der eine um seinen Tabaksbeutel.

»Aber Lenzel!« girrte ihn das Dirndel an, »bist du's gewesen? Ja, was hast denn ang'stellt?«

Schmunzelnd barg er den Beutel rückwärts am Hosengurt.

»Das hab' ich auch gefunden,« sagte sie und tat aus dem Winkel den grünen Hut und den Mannsschuh hervor.

»Das gehört einem anderen,« entgegnete der Bursche. »Derselbe wird die Sachen wohl schwerlich holen kommen. Kannst sie einem Armen schenken.«

Man kann nicht sagen, daß die Begebenheiten damit ihr Ende fanden. Der Erzähler mischt sich nicht weiter drein.



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