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Eines Tages lief ein fleißiger Aufpasser von Abelsberg zur Steuerbehörde: »Habt ihr den Wolf in der Gruben?«
»Den Wolfgang Filzmoser aus dem Grubenwald?« entgegnete das Steueramt barsch, »den Pechölmann? der im Sommer mit Erdbeeren hausieren geht? Ne, den armen Teufel haben wir nicht.«
»Löbliches Steueramt!« sprach der Mann gar untertänig, »dieser arme Teufel ist einer der reichsten Männer unseres Bezirkes. Er übt eine Menge Gewerbe aus, er ist Pechschaber, Pechölbrenner, Ameiseiergräber, Kräuter-, Pilz- und Beerensammler und handelt mit allen diesen Sachen. Sogar eine Branntweindestillation soll er irgendwo haben, wozu würde er sonst die Beeren der Ebereschen sammeln. Ein Unchrist will ich sein, wenn der Wolf in der Gruben nicht ein Dutzend Agenten beschäftigt. Der nimmt Geld ein, der Wolf! Löbliches Steueramt, den müßt ihr anbohren!«
Das Steueramt gab dem Offenbarer zu verstehen, er könne sich schon fortmachen. Dann schüttelte es den Kopf, aber nun war's Pflicht und Schuldigkeit, den Mann hervorzuholen. Der alte Wolf in der Gruben bekam einen grauen Bogen mit schwarzen Linien und leeren Räumen dazwischen, und die Aufforderung, als redlicher Staatsbürger bei seinem Gewissen das Jahreseinkommen wahrheitsgemäß einzubekennen, widrigenfalls usw. Es sträubt sich die Feder, den grausamen Nachsatz wiederzugeben. Wir kennen ihn ja alle.
Nicht lange dauerte es, so war das Einbekenntnis des Wolf in der Gruben da. In sehr spießiger Schrift und mit angstblasser Tinte gab er an: Einkumen jerlich hextens fl. 50 000.
Waaas! rief das Steueramt aus. Dieser simple Waldmensch macht so große Geschäfte!! Unglaublich. Doch halt! Wenn er fünfzigtausend eingesteht, so nimmt er gewiß hunderttausend ein, wir kennen das. Vorläufig läßt sich aber nur mit der eingestandenen Summe rechnen.
Wenige Tage später keuchte der Amtsdiener hinauf in den Grubenwald und suchte lange das Haus des Wolf. Diesen traf er unterwegs. Der Wolf war gerade auf dem Anger beschäftigt, von dem gebreiteten Tuche die gesammelten Ameisen auslaufen zu lassen, die während der Flucht ihre Eier vom Wuste sonderten und so dem zweifüßigen Ungetüme daneben unbewußt einen Gefallen taten. Die Arbeit, oder vielmehr die Ameisen muß man verstehen, und der Wolf verstand sie. Er tat just mit seiner Tabakspfeife um; der Saggra wollte nicht brennen, weil's hauptsächlich einer von Buchenlaub war. Jetzt, wie der Mann hörte, daß er zu den steuerzahlenden Staatsbürgern aufgenommen war, verneigte er sich vor dem Boten und dankte für die Ehr'. Dann kietzelte er den grauen Bogen auf, Gott, das ging umständlicher wie Pechschaben und Ameiseiergraben. Und im Bogen da sah er sehr hübsch geschriebene Ziffern stehen. Dem Wolf in der Gruben war an Gewerbs- und Einkommensteuer für das verstrichene Jahr vorgeschrieben, bei Vermeidung der Exekution innerhalb vierzehn Tagen zu leisten einen Betrag von viertausendfünfhundertsechzig Gulden einundsiebzig Kreuzern.
Der Bote stand noch da, als warte er auf etwas. Der Alte blinzelte ihn nun an und sagte: »Das ist kein schlechter Spaß.« Sonst sagte er nichts, sondern sah wieder nach seiner Arbeit.
Am nächsten Sonntag ging der Wolf ins Wirtshaus, ließ an den Tischen den grauen Bogen umhergehen und prahlte sich mit ihm. Die Bauern murmelten nur so und blickten ehrerbietig auf den Waldmenschen, der ein gar so einfaches Gewand anhatte, und ein gar so einfältiges Gesicht und gar soviel Geld.
»Das zahlt sich aus,« sagte der Wirt, der sich aufs Rechnen verstand, »bei dir verdient sich ein Angeber was. Wenn er ein Drittel der Steuer kriegt, und soviel soll so ein Herr ja glaub' ich kriegen, dann macht's eintausendfünfhundertzwanzig Gulden, und davon braucht er gewiß keine Einkommensteuer zu zahlen. Ja, ja, kannst mir's glauben, Wolf, angegeben bist worden. Eine ärgerliche Geschichte, gelt?«
»Was redest denn, Herr Vater!« rief der Wolf, »das ist doch nichts Ärgerliches, wenn einer über viertausend Gulden Steuer zahlen kann.«
Weiter sagte er kein Wort und die Leute erfuhren es nicht, wo der Alte sein vieles Geld hatte.
Für den Wolf war nun aber das eine mißlich: er konnte bei seinem Hausieren mit Pechöl nicht mehr um einen »warmen Löffel Suppe« betteln, er mußte jetzt überall alles bezahlen und teurer als andere. Dafür wurde er auch überall mit Ehren behandelt, er mußte im Wirtshause beim Herrentisch sitzen, er bekam ein frisch ausgespültes Trinkglas und ein blank gescheuertes Eßbesteck und lauter so hübsche Sachen, und das tat ihm wohl. Auch angebettelt wurde er jetzt oft und er wußte die Ehre zu schätzen.
Das Steueramt wartete auf die viertausendfünfhundertsechzig Gulden. Die vierzehntägige Frist wartete es ganz geduldig ab; natürlich, der Wolf wird bis auf die letzte Stunde vom Betrag den Zins genießen wollen, macht ein hübsches Tabakgeld. Als dann aber die dritte Woche auch verstrich, und zwar mit einer Harmlosigkeit, als ob kein Wolf in der Gruben auf der Welt wäre, und als die vierte Woche mit demselben einfältigen Gesichte begann, da schickte das Amt den Boten noch einmal hinauf.
Er traf den Wolf wieder im Walde, wo der Mann ein großes Feuer angemacht hatte und mit einem langen Aststummel darin herumstierte. Am Feuer standen mehrere große Töpfe, in denen eine dickliche, glänzend schwarze Masse brodelte.
»Ist das Mittagmahl schon fertig?« mit dieser Anrede begrüßte der Bote den Wolf.
»Wenn's Ihm schmeckt, ist Er eingeladen,« sagte der Wolf, »aber es wird Ihm zu hantig (bitter) sein.« Das in den Töpfen war nämlich kochendes Pech.
»Da hätt' ich wieder ein Papierl für den Wolf,« sprach der Bote, »seit zehn Tagen ist Exekution und wenn Er binnen acht Tagen nicht zahlt, so wird gepfändet. Das Haus und die Fahrnisse und alles!«
»Ist schon recht,« antwortete der Alte, »kommt nur. Wenn ich nicht zu Hause sein sollte: der Schlüssel liegt unter der Türschwelle im Mausloch.«
»Er hat aber zu Hause zu sein, wenn die hohe Obrigkeit kommt!«
»Wenn's sein kann, recht gern. Vor der hohen Obrigkeit hab' ich keine Angst und vor dem löblichen Steueramt schon am allerwenigsten.«
Damit konnte der Bote wieder gehen. Der Wolf schaute ihm kopfschüttelnd nach: »Ich kenn' mich frei nicht aus, sie tun, als ob's Ernst wär'. Meinetwegen, mir kann nicht viel geschehen.«
Als das Steueramt hierauf wieder acht Tage und noch einmal acht Tage gewartet hatte, jeden Tag zwei Gulden Exekutionsgebühr aufschreibend, war die Geduld endlich aufgezehrt. Ihrer drei Herren und zwei Diener stiegen hinauf ins Waldgebirge. Sie rauchten unterwegs so gemütlich ihre Zigarre, und kein Mensch sah in ihrem freundlichen Äußern die inneren Wölfe. Auf der flachen Ausböschung eines Berges stand ein schöner, großer Bauernhof; das gemauerte einstöckige Wohnhaus mit den vielen Fenstern sah aus wie ein kleines Schloß, und die stattlichen Wirtschaftsgebäude waren wie ein kleines Dorf.
»Ist's da beim Wolfen in der Gruben?« fragte einer der Herren.
»Wohl nit,« war die Antwort einer Magd, »da ist's beim Fürstenhofer. Der Wolf ist weiter oben.«
Nachdem sie noch eine Weile durch finsteren Wald gegangen waren, kamen sie zu einer Mulde, die Gruben genannt. Da war langes Gras und Gesträuch und das Gestock geschlagener Bäume. Und hier stand das Haus des Wolfen. Es war aber eigentlich eine Köhlerhütte und auf dem halbflachen Dache hockte der Wolfgang Filzmoser.
Was er da oben treibe? wurde gleich gefragt.
»Ich tu' mir just die Kuchen backen für den Winter,« antwortete der Alte, denn er hatte zerschnittene Pilze auf die Bretter hingelegt, damit sie in der Sonne dörren konnten.
»Er soll ein bissel herabkommen.« Schreibzeug wurde hervorgeholt, das große Amtssiegel wurde ausgepackt, und mehrere Stangen Petschierwachs taten sie bereit. Mit bedenklicher Miene wurde die Hütte besichtigt, zuerst auswendig, dann von innen, wobei sich mehrere in der Dunkelheit die Köpfe anstießen.
»Ja, wenn man das Fenster zumacht, dann ist's freilich finster,« sagte der Alte und machte die zugezogene Türe wieder auf.
Ob er denn dahier wohne?
»Schon seit drei Jahren.«
Sie fragten nicht erst, ob er jetzt zahlen wolle. Die Gnadenzeit war verscherzt, unverzüglich folgte trotz einer gewissen Aussichtslosigkeit die Aufnahme des Inventars.
»Wir hätten uns den Weg ersparen können,« meinte einer der Herren. »Diese Hütte ist nichts.«
»Sein tut sie schon was, aber mein gehört sie nicht,« sagte der Wolf. »Dem Fürstenhofer gehört sie. Solang er nicht Kohlen brennt, darf ich drin wohnen. Aber das« – er wies auf die Gegenstände in der Hütte – »das da ist alles mein, wenn's die Herren aufschreiben wollen.«
Das Inventar lautete: »Hölzerne Truhe mit vorhandenen Kleidern und Wäsche fl. 15, ditto Bettstatt mit Tuch und Kotzen 90 kr., ein Holzzuber 30 kr., ditto mit Eisenreifen 35 kr., Kochgeschirre 1 fl. 50 kr., ein Blechlöffel 2 kr., vorhandene Eßvorräte fl. 2, drei Wandbildchen mit Weihbrunngefäß 15 kr.«
»Ja,« sagte der Alte, »das gehört alles mein. Aber da ist noch was!« Aus dem Westensack zog er eine Uhr hervor. Stand sie auch schon auf dem Blatt? »Silberne Taschenuhr fl. 7.«
»Und das Beste findet ihr gar nicht,« rief der Alte und nestelte aus dem Bettstroh einen Strumpfsack hervor, der einen ruppigen Bauch hatte und mit einem Riemen zugebunden war. »Bares Silbergeld im Werte von fl. 80,« also kam der Strumpf mit den alten Münzen ins Inventar.
»Und wo hat Er das weitere Geld?« fragte einer der Amtsleute scharf.
»Aha, den Herren wird man nicht zu gescheit!« schmunzelte der Wolf und zog aus dem innern Rocksack langsam eine große rote Brieftasche hervor. Da drinnen war der Heimatschein, ein gemalter Bauernkalender, ein Tobiassegen und fünf Gulden in Papier.
»Das ist nicht alles, Alter!«
»Ist auch nicht,« murmelte dieser und tat aus dem Hosensack ein Lederbeutelchen; da drinn war eine ganze Menge Kupferkreuzer.
»Wolf,« rief nun das Steueramt, »Er macht sich lustig über die Behörde! Ich will Ihm's nicht raten! Wo ist das Vermögen?«
»Sonst hab' ich nichts mehr,« antwortete der Alte.
»Er hat amtlich angegeben, daß er jährlich 50 000 Gulden Einnahme habe!«
»Das wär' lustig! Wenn's wahr wär'!« lachte der Alte auf.
War auch schon der graue Bogen vorhanden.
»Hier steht es schwarz auf weiß, fl. 50 000. Hat Er das geschrieben?«
»Ja freilich, meine Herren.«
»Und uns zum Narren gehalten?«
»Gott bewahr', meine Herren! Ich habe nicht geschrieben: fünfzigtausend Gulden; ich hab' geschrieben fünfhundert Gulden, ja für's höchst fünfhundert Gulden. Heuer g'langt's nicht auf dreihundert, und sind da schon die neunzig Holzknechttagwerke dabei. Die Zeiten werden halt alleweil schlechter. Jetzt hat mir der Förster das Pechhacken verboten und das Ameisgraben, und das Beerenbrocken will er mir auch nicht erlauben. Nachher kann ich zusperren oder offenlassen und mit dem Bettelsack gehen. Bin nur froh, daß mein Weib gestorben ist. Über zwei Jahr' ist sie mir auf dem Stroh gelegen und immer einmal haben wir allzwei die halben Nächte lang geflennt, so schlecht ist's uns 'gangen. Das gute Wesen, was bin ich froh, daß sie der Herrgott zu sich genommen hat! Mit mir wird er wohl auch ein Mittel machen, wenn's Zeit ist.« So sprach der alte Wolf und krümmte den Mund.
»Ja, ja, ist alles recht!« sagte nun das Steueramt, »aber die 50 000 Gulden!«
Ich glaub's, daß sie ihm im Kopf umgingen.
Und was hat sich nun herausgestellt? Es hat sich herausgestellt, daß der Wolf auf den Einbekenntnisbogen so geschrieben: »Einkumen jerlich hextens fl. 500.00 (bedeutet soviel als Gulden 500, Kreuzer 00).« Aber das Sternlein zwischen den Nullen war abhanden gekommen oder vielmehr so verblaßt, daß man es bei Tage nicht sehen konnte und bei Nacht noch weniger. Mit der Lupe glückte es einem geschickten Sterngucker, es noch zu entdecken, sonst wäre der Alte wegen Irreführung oder Belügung oder Verspottung der Behörde (drei messerscharfe §§§ standen dafür da) bestraft worden.
Der Wolf war sehr überrascht, als er trotz der fürchterlichen Anstalten schließlich nicht einen Kreuzer Steuer zu zahlen brauchte. Von nun an saß er Sonntags im Wirtshause wieder auf der Ofenbank und aß seine »Portion Fleck« mit rostigem Löffel; Werktags konnte er bei den Bauern sein Süppl wieder dreist erbetteln. Und fürs geschenkte Süppl schenkte er den noch Ärmeren einen Kreuzer.
Heute ist der alte Wolf schon ganz gebückt, aber trotzdem kann er nicht mehr Schwämme und nicht mehr Erdbeeren suchen, denn es haben ihn die Augen verlassen. So hockt er am Ende des Dorfes an der Straße, denkt wehmütig an die glanzvolle Zeit, da er in so herrlichem Geruche gestanden, und wartet. Manchmal wohl geschieht es, daß ein mißmutiger Mann vorüberfährt, der über viertausend Gulden Jahressteuer zahlt. Wenn einer ohnehin so lasterhaft hoch besteuert ist, den Bettlern auch noch geben? Nein. – Da murmelt der Alte manchmal vor sich hin: »Siehst du, Wolfel, auch die hohen Steuern machen nicht glücklich!«
Wahrlich nein, mein Guter. Und Reichtum macht wohl die Hemden lind, aber die Herzen hart.