Peter Rosegger
Die Abelsberger Chronik
Peter Rosegger

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Der Vetter von Ober-Abelsberg.

Mein Nachbar, der Oberbuchhalter Ellwurf, hatte einen Vetter bekommen.

Ellwurf war einst jahrelang Lohnschreiber gewesen mit 9 Gulden Gehalt im Monat, und stand da ohne Freund und Verwandten. Dann war er Schreiber mit 32 Gulden geworden, hatte trotzdem keinen Verwandten. Dann ward er Buchhalter mit 70 Gulden und einer Frau, aber Verwandten hatte er noch immer keinen. Endlich wurde er Oberbuchhalter mit 2600 fl. Jahresgehalt, und siehe, es war ein Vetter da. Man konnte nicht sagen, daß er vom Himmel gefallen sei, denn er war schon gegen fünfzig Jahre alt und seit dreißig Jahren Mastviehhändler in Ober-Abelsberg. Aber es war ein überaus freundlicher Vetter, wie er jetzt auf einmal in der Tür stand, die Arme ausbreitete und dem Oberbuchhalter zurief: »Friedel! Friedel! Kennst du mich denn nicht mehr? der Oheim Isidor! deines seligen Vaters Bruder!« – Auch seine Gestalt war erfreulich. Sie war nicht groß von Ansehen, jedoch aber behangen mit einer großen Ledertasche, in der ein ganzer Schweinsschinken stak; sie hatte über der Achsel einen Korb hangen mit Eiern und Krapfen. »Weil ich doch nicht ganz mit leeren Händen kommen mag zu meinem lieben Friedel, den ich halt gar nicht vergessen kann. Als Wickelkind hab' ich dich einmal über das Breitfeld hinausgetragen, weißt du noch? Wenn er jetzt schon zu mir nicht kommt, so mußt du wohl einmal zu ihm gehen, hab' ich mir gedacht. Geht dir gut, hab' ich gehört. Hast es weit gebracht, sakermentisch weit! Über zweitausend das Jahr, sagen sie! Donnersbub, soviel tragt's bei mir nimmer. Aber schön hast es da! Sauber ist's bei dir. Hast ja auch eine Frau, höre ich. Darf ich sie sehen? Da hab ich was für sie. So große Eier machen sie nicht in der Stadt! Kosten mich auch fünf Kreuzer, das Paar! Na, na, nicht so! Euch kosten sie nichts. Und nachher da – ein Schinken! Da wird er einmal schmausen dabei, mein Friedel! Bauernschinken: Im Rauchfang geselcht! In der ganzen Grazerstadt findest keinen, wie den. Ich hätt' ihn gestern im Postwirtshaus zu Leoben verkaufen können, um fünf Gulden! Oha! sag' ich, hab' ich gesagt, der wird nix verkauft, der gehört meinem Neffen, dem Herrn Oberbuchhalter zu Graz. – Ein paar Tage bleib' ich bei euch. Ei ja, das wohl. Verlassen tu' ich meine Verwandten nicht. Wer kommt denn da? Ist das die deinige? deine Frau? Eine saggrische Gredl! Grüß Gott, Frau Mahm! der Vetter Isidor! Kennst mich nicht? Bissel ein Recht mußt mir doch noch lassen an deinem Mann, verstehst! Wie du noch in Abrahams Schnappsack bist gewesen, hab' ich ihn schon auf den Händen getragen über das Breitfeld hinaus. Nichts Kleines noch? Na, wird schon kommen. Du, Frauerl! Geh', schau einmal, was dir der alte Vetter mitbringt!«

Das alles so schnell hergeredet, so daß weder der Oberbuchhalter noch seine Frau ein Wort dazwischenschieben konnten. Sie hätten auch nicht recht gewußt, was da zu sagen war. Ziemlich gelassen führten sie die Bescherung in den »Salon«. Das war das größte, schönste, kostspieligste Zimmer, welches unser Ehepaar leer stehen ließ, während es sich mit ein paar engen, dunkeln, hofseitigen Kammern zum Wohnen bediente. Aber das verlangt der »Anstand« so. Ein Salon, natürlich! da werden wöchentlich ein paar fremde Leute hineingeführt auf ein halb Stündlein Geplausch. Die näheren Bekannten hocken sich erst noch in eine Hofkammer hin, wo es sich eigentlich noch gemütlicher tratschen läßt. Doch, was rede ich denn da über meinen lieben Nachbar, den Oberbuchhalter Ellwurf! das ist ja nicht bei ihm allein so, das ist auch bei uns so, das ist fast überall so, wo es gescheite Leute gibt. – Also hinein mit dem Vetter in den Salon. Freilich wohl warf die Hausfrau einen verzweifelten Blick auf sein Schuhwerk, aber der Blick änderte daran nichts, da hätte ein Borstenbesen bessere Dienste geleistet.

Alsdann am Abend. Da schickte der Oberbuchhalter ein Briefl zu mir, ich möchte ihm zu Hilfe kommen. Es sei ein ungeahnter Vetter vom Lande eingetroffen und mit dem wisse er nichts anzufangen. Ich möchte doch zum Nachtmahl hinüberkommen.

Ein Vetter vom Lande? Mit dem wird doch noch fertig zu werden sein. Ich ging hinüber, wurde dem Gaste vorgestellt als ein Freund des Hauses, worauf er meine Hand packte, sie derb drückte und laut rief: »Schön! Schön! Aber was Sie für ein Handerl haben, ein weiches! Sind Sie auch ein Buchhalter? Nicht? Kein Buchhalter? Na, macht nix, wenn's nicht anders ist. Alle Leute können halt nicht Buchhalter sein,« entschuldigte er nachsichtsvoll. Doch ging seine Wärme gegen mich augenblicklich um ein paar Grade zurück, steigerte sich aber beim zweiten Glase Wein zu ungeahnter Höhe. Den Neffen umarmte er, den habe er ja einmal auf den Händen getragen, über das Breitfeld hinaus. Mich sprach er mit du an. »Wenn'st auch kein Buchhalter bist. Hast halt ein anderes Geschäft. Auch recht, auch recht. Geh'n tut's dir gut, das sieht man. Aber schau – meiner lieben Schwägerin, oder Mahm, oder was sie ist, der muß ich doch ein Bussel geben!« denn die Frau Oberbuchhalterin war eben hereingekommen mit dem Schinkenaufschnitt. – »Ein Bussel krieg' ich vom Vetter!« lachte das muntere Frauchen, »na, da muß ich mir doch vorher den Mund abwischen gehen!« eilte in die Küche zurück und kam nicht mehr herein.

Der Vetter sprach seinem Schinken mit Macht zu. »Wohl, wohl,« sagte er während des Essens. »Hab' mir's gleich gedacht, daß er euch schmecken wird. So guten Schinken gibt's nur auf der Bäuerei. Da tun sie ihn im Rauchfang selchen. Die Stadtfleischhacker selchen ihn mit Schalider (Salpeter), da ist er nicht gut. Aber Wein habt's einen guten. Was er etwan kostet, die Maß?«

Aus der Küche brachte die Magd Kalbsbraten mit Salat und hernach Käse mit Backwerk herein. Der Vetter bedauerte, nicht auch einen Schafkäse mitgebracht zu haben. »Der beste Kas ist der Schafkas!« erklärte er. Und dabei trank er und trank.

Sein Gesicht war während des Essens, Trinkens und Plauderns leuchtend rot geworden. Es war rundlich, wohlrasiert, hatte ein Birnnäschen und kleine Äuglein, die bei jedem Wort vielsagend blinzelten, als wäre es etwas gar Anzügliches, Deutsames. Schließlich wollte er mit mir Sackuhr tauschen, die seine sei viel größer und schwerer und nur wöchentlich einmal zum Aufziehen. Das rückwärtige Blatt sei echt Schildkrotschale, der Reifen von Silber, Altsilber, nicht Neusilber, und er hätte schon gutes Angebot gehabt für diese Uhr.

Ob sie auch verläßlich ginge? fragte der Oberbuchhalter.

»Mein Gott!« entgegnete der Vetter überlegen, »da gibt man sie halt dem Uhrmacher.« Der Zeiger stand tatsächlich auf halb sieben, statt auf zehn Uhr. Trotzdem nahm der Vetter die Zeit wahr und traf Anstalt, seine große rußige Pfeife zu stopfen. Der Oberbuchhalter wollte es mit einer Kubazigarre verhindern, was ihm aber nicht gelang.

»So, so, a Zigarl!« sagte der Vetter und nahm sie in die Faust wie einen Spatenstiel. »Da derspare ich meinen eigenen Tabak. Vergelt's Gott! Wart's, Bürschlein, das machen wir so!« Er zerbrach die Zigarre mit den Fingern, stopfte sie in seine Pfeife und begann sie dergestalt bedächtig zu rauchen. Der Hausherr öffnete bald ein Fenster, da fand aber der Vetter, es stinke herein. Als der Oberbuchhalter bereits auf eine Gelegenheit zu sinnen begann, die Tafel aufzuheben, klatschte der Vetter plötzlich in die Hände: Wißt's was, Leut', jetzt wär' ein Schnaps gut! Was? du hast nit einmal einen Schnaps im Haus, Oberbuchhalter? Na, wart', da hast, schick' einen kleinen Buben!« Aus seinem ledernen Geldbeutel nestelte er einen Zwanziger hervor, da gestand der Buchhalter, er hätte nicht bloß keinen Schnaps im Hause, sondern auch keinen kleinen Buben.

»Seid's Pfründner!« knurrte der Vetter gutmütig. »Das muß ich schon sagen, leben tun wir in Ober-Abelsberg besser als die Stadtleut'!«

Ziemlich auffallend fragte mich der Oberbuchhalter, wieviel Uhr ich hätte? Es zeigte sich die elfte Stunde, und nun hob der Vetter seinen fetten Zeigefinger und die falben Augenbrauen: »Gelt, daß du einen schlechten Brader hast! Auf der meinen ist's erst halb sieben – nach der könnten wir noch lang gemütlich beisammensitzen!«

Um gut und angenehm auseinanderzukommen belachten wir den Witz und dann wurde der Vetter in sein Zimmer gebracht. Es war der Salon. Frau Ellwurf tat ein übriges zu Ehren des Gastes, sie überdeckte die großblumigen Möbel mit weißen Leintüchern und über den Parkettboden breitete sie einen Teppich, der sonst draußen im Vorzimmer lag.

»Jetzt sollt' ich halt mein Federbett da haben!« sagte der Vetter, während er das Lager befühlte.

»Schlaf' recht wohl, Onkel!« verabschiedete ihn der Oberbuchhalter, »die Kleider leg auf einen Sessel vor die Tür hinaus.«

»Gestohlen wird nichts, gelt?« ließ er fallen, tat zur Vorsicht aber Geldbeutel und Brieftasche aus den Säcken, doch wurden die Schätze wohl erst an sicherem Ort geborgen, als wir aus dem Zimmer waren und er die Tür hinter uns verriegelt hatte.

Der eine Tag war überstanden. Nun aber der andere? – Ich war morgens mitten im Rasieren, als die Köchin des Ellwurf – ohne anzuklopfen – in das Zimmer stürzte: der gnädige Herr lasse bitten, geschwind möchte ich kommen! – Ich beeilte mich noch, die linke Wange der rechten gleichzumachen, da war auch schon Oberbuchhalters Stubenmädchen vorhanden: Es sei die höchste Zeit! Beim Vetter wäre etwas nicht richtig! Sie müsse sogleich weiter zum Arzt und zum Geistlichen.

Als ich hinüberkam, stand die Tür in das Zimmer des Vetters weit offen. Am Bette stand ratlos der Herr Ellwurf im Schlafrock, während seine Frau eine Decke um die andere über den armen Vetter breitete. Denn dieser schüttelte und klapperte, daß es ihn im Bett auf- und niederschnellte wie einen Ballen. Das Gesicht fahl, eingefallen, verzerrt und greisenhaft, die Augenlider halb zugesunken, so ächzte und stöhnte er. Jetzt erhob er sich, beugte sich über die große Waschschüssel, die sie ihm ans Bett gestellt hatten mit Wasser, daß er sich laben könne; ein wilder Krampf krümmte seinen Körper, und dann fiel er wieder aufs Lager zurück. Die Pulse sprangen wild.

Der hat Gift im Leibe! war mein erster Gedanke, und der Oberbuchhalter starrte mich fragend an. Er wie sie schienen meine Meinung zu erraten, und so lief die Frau nun in die Küche um Kuhmilch, die in solchen Fällen heilsam sein soll.

»Macht's ein End'!« stöhnte der Kranke in Todesnot, rang die Hände und rieb sich mit den Fäusten Brust und Bauch, »laßt's mich nit so verdammt leiden. Oh, dieses Übel! Und dieser rasende Kopfschmerz! Was denn, was denn? Es soll ja alles euch gehören, wem denn sonst?« –

Ob er etwa Papier und Feder wünsche? fragte ihn der Oberbuchhalter.

»O sterben, sterben!« wimmerte der Vetter unter Zähneklappern, »sterben tut soviel weh! soviel weh!« und ächzte zum Erbarmen.

»Soweit wird's ja wohl nicht sein, um Gottes willen!« tröstete die Frau, »gleich wird der Doktor kommen, gleich wird er da sein. Nachher wird's schon besser werden.«

Dem Sterbenden gab es plötzlich einen Riß. Dann schlug er das Auge weit auf, es war halb gebrochen, er starrte auf den Oberbuchhalter – ein Blick voll unendlichen Vorwurfs.

»Dieses Haus! dieses unglückselige Haus!« stöhnte er, immerwährend von heftigem Fieber hin- und hergeschleudert.

»Wenn du einen Wunsch solltest haben, guter Vetter,« sprach der Oberbuchhalter und hielt ihm Papier und Bleistift vor. »Nein, nicht so, was glaubst du denn von uns! Ich meine nur, falls du aus der Apotheke etwas haben wolltest. Der Arzt muß ja übrigens jeden Augenblick da sein.«

»Du – hu hu!« gröhlte der Vergehende, sich halb gegen den Buchhalter aufrichtend, unheimlich wie ein Gespenst. Die Fäuste reckte er bebend gegen Himmel, und dann krümmte er sich wieder auf dem Bette wie eine Raupe.

Das Stubenmädchen kündete an der Tür: »Der Herr Doktor!« Der Arzt trat ein, tat einen raschen Blick auf den Kranken, ob es nicht schon zu spät sei. In wenigen fliegenden Worten teilte die Hausfrau ihm die Krankengeschichte mit, während er begann, den Schwerleidenden zu untersuchen. Zuerst fühlte er ihm den Puls, dann prüfte er den Hitzegrad, hernach behorchte er die Brust, soweit es bei dem Fieberschütteln möglich war, den kalten Schweiß wischte er ihm mit einem weißen Tuch von der Stirn, dann hob er mit den Fingernägeln die Augenklappen und prüfte sie genau. Dann richtete sich der Doktor empor und heftete einen durchdringenden Blick auf den Oberbuchhalter.

»Wie nur auf einmal so was sein kann!« murmelte dieser, selber schier gebrochen.

»Es ist etwas vorgegangen!« sagte der Doktor mit leiser Stimme.

»Mein Gott, was soll denn vorgegangen sein?« jammerte Herr Ellwurf. »Er kam vom Lande herein, erst gestern. Wir haben den Abend noch so gemütlich mitsammen zugebracht.«

»Er war noch so frisch und munter!« bestätigte die Frau. »Noch soviel gelacht haben die Herren.«

Der Doktor winkte mit der Hand ab, sie sollten es gut sein lassen, und stellte dann an den Kranken ein paar Fragen, die dieser unter Krämpfen und Stöhnen halb ohnmächtig beantwortete. Der Doktor winkte den Herrn Ellwurf ins andere Zimmer; als sie dort waren, lehnte er die Tür halb zu, stellte sich nahe vor den Oberbuchhalter hin und murmelte: »Erschrecken Sie nicht, Herr Ellwurf ! die Diagnose stellt sich – ich dürfte mich kaum irren.« –

»Steht es wirklich schlecht, Doktor?«

»Dieser Zustand,« fuhr der Arzt kopfschüttelnd fort, »hat ganz verzweifelte Ähnlichkeit mit einem Katzenjammer. – Gewiß. Na, mit keinem gewöhnlichen, das versteht sich. Der Mann mag vielleicht über die Gewohnheit zugesprochen haben. Es ist ein großer Kater, mein lieber Herr!«

In diesem Augenblick hörte man vom Krankenzimmer her das Geräusch einer Eruption. Als ich ins Zimmer trat, war alles vorüber, die Frau und die Mägde lebhaft beschäftigt, Ordnung zu machen. Der Vetter lag zurückgesunken in das Kissen, die wachsfalben Hände über der Brust; er bewegte sich nicht mehr. Wenige Augenblicke später hub er an, mit größter Behaglichkeit zu schnarchen.

Der Doktor schmunzelte und sprach: »Jetzt lassen Sie ihn ein paar Stunden schlafen. Später bereiten Sie ihm einen Rostbraten mit Knödeln, denn er wird Hunger haben.«

Der Oberbuchhalter konnte sich vor Verblüffung nicht fassen. Einen solchen Rausch hatte er noch nie gesehen. Er war auch zu lange Zeit kleiner Lohnschreiber gewesen.



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