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Ein Gefangener diente als Führer. Seine beiden Genossen blieben auf dem Motorboot zurück, unter Aufsicht der malaiischen Bedienungsmannschaft, die sich in dieser Vertrauensstellung sehr wichtig vorkam.
Mit den Waffen in der Hand ging es auf dem von Haydock hergestellten schmalen Pfade durch den Wald, bis nach der Angabe des Chinesen nur noch eine kurze Strecke sie vom Ziele trennte. Da schlich Ellis mit seinen Beamten allein voran, um die Verhältnisse zu erkunden und danach zu bestimmen, wie der Gesellschaft am besten beizukommen sei.
Sein Plan war, gegen Abend, wenn niemand mehr außerhalb des kleinen Lagers arbeitete, den Platz zu umstellen und dann zu Haydock zu gehen, um ihm die Nutzlosigkeit jeglichen Widerstandes klarzumachen. Zur Bestätigung seiner Angaben sollte der Chinese ihn begleiten.
Dieser wirkte bei den Vorbereitungen mit wie der eifrigste Polizeidiener; er beobachtete die Zurückkehrenden und erklärte kurz nach fünf Uhr, daß nun alle beisammen seien. Schnell verteilten sich die Herren auf die vorgesehenen Plätze. Bevor um sechs Uhr die Sonne unterging, mußte der Schlag geführt sein, und noch konnte man nicht wissen, ob die Bande sich wirklich widerstandslos festnehmen lassen oder versuchen werde, durch einen verzweifelten Kampf auf Leben und Tod der drohenden Strafe zu entgehen.
Den Revolver behielt Ellis dieses Mal in der Tasche, doch so, daß er ihn im Notfall sofort ergreifen konnte. Die Gegner fühlten sich in dieser Einöde ohne Zweifel ganz sicher; deshalb war nicht anzunehmen, daß sie die Waffen, die sie beim Arbeiten zum Schutz gegen wilde Tiere mit sich nahmen, auch bei den Mahlzeiten in Bereitschaft hielten.
Am Rande der Lichtung, die Haydock für die Niederlassung gewählt hatte, blieb Ellis stehen und beobachtete eine Weile das Bild der schmausenden Chinesen. Nach ihrer Landessitte hockte jede kleine Gruppe um die in ihrer Mitte stehenden Schüsseln. Während die linke Hand den mit Reis gefüllten kleinen Eßnapf dicht an den Mund hielt, schob die rechte mit Hilfe der üblichen langen Eßstäbe die weißen Körner hinein oder fischte zur Abwechslung würzige Beigaben aus der gleichfalls zum allgemeinen Gebrauch dienenden zweiten Schüssel.
Diese Tätigkeit wurde jäh unterbrochen, als ein leiser Ruf der Überraschung auf den Fremden aufmerksam machte, der in Begleitung des allen wohlbekannten Stammesgenossen wie auf einem Spaziergang begriffen und mit einer kurzen Pfeife im Munde gemächlich dahergeschritten kam! Im Nu sprangen alle auf die Füße; doch niemand dachte daran, die in den Zelten liegenden Waffen zu holen. In ihren Gesichtern spiegelte sich mehr Neugier als Erschrecken. Der einzelne unbewaffnete Europäer machte keinen gefährlichen Eindruck, und auch die unerklärliche Begleitung ihres Genossen wirkte beruhigend.
Schon von weitem forderten mehrere von ihnen eine Erklärung. Doch dem erhaltenen Befehl gemäß blieb ihr Landsmann stumm und deutete nur durch eine Kopfbewegung an, daß der Europäer sprechen werde.
»Hallo,« begann Ellis mit leutseligem Schmunzeln, »gerade beim Tschau-Tschau? Laßt euch nicht stören, Gentlemen! Ich wünsche nur Mister Haydock zu sprechen. Wo ist er?«
Zunächst war nur ein allgemeines Grinsen die Antwort; dann trat einer vor und fragte keck: »Was wünschen Sie von ihm?«
»Das werde ich dem Herrn selber sagen,« erwiderte Ellis von oben herab. »Führen Sie mich zu ihm!«
Nach einer kurzen, halblaut geführten Beratung nahm der erste Sprecher wieder das Wort.
»Folgen Sie mir!«
Der Polizeibeamte suchte sich vergeblich zu deuten, warum die ganze, offensichtlich erwartungsvoll erregte Gesellschaft sie begleitete. Das lachte und schwatzte hinter seinem Rücken, wie wenn sich alle von dieser Unterredung ein fesselndes Schauspiel versprächen.
»Das Lachen soll euch bald vergehen,« dachte er ingrimmig.
Da hielt der Führer vor einem kleinen Zelt und schlug die den Eingang deckende Leinwand zurück. Eine keifende Stimme schallte ihm entgegen.
»Hinaus! Ihr sollt mich nicht stören, ihr …«
Haydock hielt inne und starrte mit offenem Munde den ihm von besseren Zeiten her wohlbekannten Landsmann an.
»Guten Abend, Sir,« begann dieser in wachsender Verwunderung, »ich habe mit Ihnen zu reden …«
Haydocks lautes Lachen schnitt die Fortsetzung ab.
»Ah, Sir, von dem armen Haydock haben Sie nichts wissen wollen; aber jetzt, wo er reich ist, bemühen Sie sich um seine Freundschaft? Da« – er deutete auf einen am Boden aufgeschichteten Haufen Steine – »ich finde Schätze, wo ich grabe! Zinn, Zinn, soviel ich nur will!«
Mit einem heiseren Schrei ließ er sich niederfallen und begann, in wilder Gier mit den Händen die Erde aufzuwühlen.
»Alles Zinn – alles mein! Ich bin reich, Herr! Aber sagen Sie es nicht Li Fu – nicht ihm – nicht ihm – Li Fu …«
Er endete in einem Stammeln unzusammenhängender Worte, die unter schwerem Keuchen hervorgestoßen wurden. Denn ohne auch nur eine Sekunde zu verschnaufen, setzte er während des Sprechens in einer wahren Raserei sein irrsinniges Tun fort, bis er mit blutenden Händen vollständig erschöpft zusammenbrach.
Ellis wandte sich schaudernd ab. Er hatte schon viel erlebt und in seinem Beruf ein hartes Herz bekommen; doch dieses sichtbare Eingreifen einer höheren Gewalt, diese furchtbare Vergeltung für gewissenlose, alle göttlichen und menschlichen Gesetze verachtende Habgier machte auf ihn den stärksten Eindruck. Dieser Mann war dem irdischen Gericht entrückt; in einem Irrenhause würde er sein verfehltes Leben enden.
Die Mienen der Chinesen bekundeten nur Neugier und Spott, als Ellis sich ihnen jetzt zuwandte.
Durch eine Frage stellte er fest, daß alle Malaiisch verstanden; dann fuhr er, auf seinen Begleiter deutend, fort: »Euer Genosse mag euch bestätigen, daß alles, was ich euch jetzt sagen werde, wahr ist. Ich bin mit vielen Europäern gekommen, um den Holländer zu retten, den Wong Tsau auf den Befehl eures großen Li Fu töten sollte. Nun lebt der Holländer, aber Wong Tsau ist tot. Ist das wahr?«
»Ja, Herr,« bestätigte der Chinese.
Durch die Schar, die den Sprecher im Halbkreis umstand, ging eine Bewegung, und Ausrufe der Überraschung wurden laut. Stärkstes Mißtrauen leuchtete ihm aus all den Schlitzaugen entgegen.
Nach einer klug berechneten kleinen Pause sprach Ellis weiter: »Li Fu ist von der Polizei verhaftet worden. Der ›Bund der fünf Glückseligkeiten‹ besteht nicht mehr; die meisten seiner Glieder sind in unserer Gewalt. Das Gericht wird feststellen, welche Strafen jeder verdient. Auch ihr werdet euch zu verantworten haben. Ich fordere euch auf, mir gutwillig zu folgen, denn dieser Platz ist von allen Seiten von bewaffneten Männern umstellt. Niemand würde lebend entkommen, wenn ihr euch meinem Befehl widersetzt. Ist alles wahr?«
»Ja, Herr,« lautete wieder die Antwort, wobei der Chinese seinen Landsleuten auch durch ein sprechendes Mienenspiel bestätigte, daß gegen diese Gewalt tatsächlich nicht anzukommen sei.
Es entstand ein halblautes Gemurmel, an dem auch der Gefangene teilnahm. Der Beamte ließ ihnen Zeit, indem er sich umständlich die ausgegangene Pfeife wieder anzündete.
Es dauerte eine Weile, bevor sie zu einem Entschluß gelangten. Wenn Ellis auch ein vollständig gleichgültiges Gesicht zeigte, wie wenn ihn die ganze Sache nichts anginge, beobachtete er doch, wie anfangs die Meinungen scharf auseinandergingen, allmählich aber doch die Mehrzahl sich seinen Wünschen zu fügen begann. Nun hielt er den rechten Zeitpunkt gekommen, wieder einzugreifen.
»Ich denke, Leute, ihr seid vernünftig,« sagte er leichthin. »Außer Waffen kann jeder mitnehmen, was ihm gehört. Zelte, Werkzeuge und alles andere bleibt für die Arbeiter zurück, die nach euch hier graben werden. Und nun beeilt euch! Ehe es Nacht wird, sollt ihr auf der Prau sein.«
Während die Chinesen sich zum Gehen wandten, ließ er mit Hilfe eines gekrümmten Fingers, den er in den Mund steckte, einen schrillen Pfiff ertönen.
Der Verabredung gemäß eilten nun die Europäer von allen Seiten herbei. Im Nu waren die Zelte besetzt, wo sich vermutlich die Waffen befanden. Wer von den Chinesen vielleicht im stillen gehofft hatte, durch einen kühnen Streich dem drohenden Verhängnis entgehen zu können, mußte einsehen, daß ein solcher Versuch ein übles Ende nehmen würde.
Schnell waren die wenigen Habseligkeiten zusammengepackt, und bald stand der Trupp bereit, sich zum Fluß führen zu lassen.
Aber wie sollte es gelingen, Haydock zum Mitgehen zu bringen? Ein Wiedersehen mit Arnold Hemskerk, das eine neue Erregung des Kranken voraussehen ließ, mußte man selbstverständlich vermeiden; doch auch ohne dieses konnten unberechenbare Schwierigkeiten entstehen.
Ellis, der die Verhandlung übernahm, war darauf gefaßt, im Notfall Gewalt anwenden zu müssen, und traf daher vor dem Betreten des Zeltes die nötigen Vorbereitungen. Sie erwiesen sich aber glücklicherweise als überflüssig. Arglos folgte Haydock seinem Landsmann ins Freie. Er stutzte zwar, als er die vielen Europäer erblickte, deren Gesichter ihm zum größten Teil bekannt waren; doch schritt er alsbald mit hocherhobenem Haupt stolz lächelnd an ihnen vorbei.
»Sehen Sie,« sagte er vertraulich zu dem Beamten, »jetzt suchen die reichen Herren von Pinang mir ihre Freundschaft aufzudrängen. Sagen Sie ihnen, daß nun ich es bin, der darauf verzichtet.«
Klugerweise ging Ellis auf die Wahnvorstellungen Haydocks ein und erreichte so, daß der Abmarsch ohne weiteren Aufenthalt beginnen konnte. Die bewaffneten Polizeibeamten übernahmen die Begleitung. Die übrigen Europäer blieben noch zurück, um sich, von zwei Chinesen geführt, die angeblich so ertragreiche Fundstelle anzusehen. Nach der Fahrt auf dem überfüllten Boot nahmen alle die Gelegenheit gern wahr, sich noch etwas länger frei zu bewegen. Der Mond stand schon am Himmel, so daß auch bei Nacht der Rückweg nicht zu verfehlen war.
»Alle Rechte werden nun wohl auf Sie übergehen,« sagte Kampen zu Cornelis Hollebeek, der, von traurigen Vorstellungen gequält, neben ihm ging.
Der junge Pflanzer schüttelte den Kopf.
»Glauben Sie wirklich, daß ich mit dieser Unglücksmine noch das Geringste zu tun haben möchte? Wäre doch der Sultan nie auf den Gedanken gekommen, unserem armen Jan dieses Geschenk zu machen!«
»Gerade dachte ich das gleiche,« sagte eine Gestalt, die unbeachtet allein seitwärts gestanden hatte, sich nun aber ihnen anschloß.
Sie erkannten Arnold Hemskerk.
»Und wenn noch so große Reichtümer hier zu holen wären – die Erinnerung an meinen lieben Freund ließe mir keine Ruhe. Mit dem nächsten Schiff fahre ich nach Europa zurück. Mein Wunsch, Abenteuer zu erleben, ist in Erfüllung gegangen, aber ach, in wie trauriger Weise!«
Schweigend schritten sie nebeneinander her, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, bis die Stille der hereinbrechenden Nacht durch eine laute Stimme gestört wurde, die Kampens Namen rief.
»Das ist Pemberton,« sagte er, nachdem er mit einem weithin schallenden Hallo geantwortet hatte. »Entschuldigen Sie mich; ich bin gleich wieder da.«
Diese Voraussage blieb indessen unerfüllt. Was Pemberton ihm vorschlug, nahm ihn so gefangen, daß er das Wiederkommen vergaß.
»Kampen,« begann Pemberton und schlug ihm nach seiner Gewohnheit auf die Schulter, »wollen Sie sich an einem feinen Geschäft beteiligen? Ich habe meinen großartigen Plan eben Joffray entwickelt, und er hat mit beiden Händen zugegriffen. Ich denke, Sie werden es gerade so machen.«
»Nett von Ihnen, daß Sie an mich denken,« antwortete der Holländer gelassen. »Man kann ja immerhin hören. Schießen Sie los!«
»Zunächst müssen Sie versprechen, was ich Ihnen sage, als Geheimnis zu behandeln, einerlei, ob Sie sich entschließen teilzunehmen oder nicht.«
»Ich verspreche es, wenn Sie darauf bestehen.«
»Gut! Um die Sache kurz zu machen: es scheint, auf diesem Fleck Erde ist viel Geld zu verdienen. Proben, die wir an den Fundstellen mitnehmen werden, sollen bei einer genauen Untersuchung in Pinang darüber Gewißheit liefern. Entspricht das Ergebnis den Erwartungen, möchte ich das Geschäft wagen. Nach allem, was vorgefallen ist, dürfte es gelingen, die Konzession zu mäßigem Preise von den Berechtigten zu erwerben. Sie sind ihnen befreundet, wären also wohl imstande, die vorteilhaftesten Bedingungen für uns herauszuschlagen.«
»Ich habe gerade mit Herrn Hollebeek gesprochen,« versetzte Kampen ruhig. »In der Tat hat weder er noch der Freund seines Bruders Lust, dieses Erbe anzutreten.«
»Lieber Joffray, da scheint uns jemand zuvorgekommen zu sein,« wandte sich Pemberton mit unsicherem Lachen an seinen Geschäftsfreund. »Schließlich müssen wir noch dankbar sein, wenn er uns in die neue Gesellschaft aufnimmt. Ist etwa schon alles abgemacht?«
»Auch ich bin ein guter Geschäftsmann,« gab Kampen dem Engländer ernst zurück, »aber ich würde es als sehr taktlos betrachten, aus Freund Hollebeeks gegenwärtiger Stimmung für mich Nutzen zu schlagen. In Pinang wird es noch früh genug an der Zeit sein, darüber zu reden.«
Der Engländer zuckte die Achseln und verzog das Gesicht.
»Geschäft ist Geschäft. Aber wie Sie wollen! Geben Sie nur acht, daß uns niemand zuvorkommt. – Hallo, da sind wir anscheinend schon an Ort und Stelle.«
Vor sich sahen sie ihre Gefährten bei kleinen Erdhügeln stehen bleiben, und beim Herankommen erkannten sie, daß hier der Boden gründlich untersucht worden war.
Die Chinesen taten alles, um sich das Wohlwollen der Europäer zu verdienen, gleich als ob sie hofften, dadurch den Lauf der Gerechtigkeit zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Jedem, der es wünschte, kratzten sie eine Bodenprobe zusammen, und sich gegenseitig ergänzend, erzählten sie, ein wie merkwürdiges Zusammentreffen Haydock veranlaßt hatte, ausgerechnet an dieser Stelle graben zu lassen.
Als sie ihren Bericht endeten, war ihren Zuhörern der Name »Tigermine« so geläufig, daß sie ihn auch bei ihren späteren Unterhaltungen anwendeten. Alle diese Herren waren mehr oder weniger an Zinnbetrieben beteiligt; kein Wunder also, daß es ihnen beim Rückweg durch den nächtlichen Wald an Gesprächstoff nicht mangelte.
Als sie am Fluß anlangten, befanden sich ihre unfreiwilligen Gäste schon auf der Prau, die nun als Gefängnis diente. Haydock, dem als Europäer eine besondere Abteilung angewiesen war, hatte Ellis einige »Befehle« erteilt und sich dann schlafen gelegt.
Eine Wache mit geladenem Gewehr stand am Ufer, doch augenscheinlich dachte niemand daran, in diese Wildnis zu entfliehen. Ihres verwegenen Führers beraubt, waren alle Chinesen von hündischer Folgsamkeit. Die Aufgabe, sie der strafenden Gerechtigkeit zuzuführen, war viel leichter, als Ellis sich vorgestellt hatte. Gleich nach Sonnenuntergang wurde die Prau in Schlepptau genommen, und dann ratterte der Motor flußabwärts.
Kurz vor der Biegung, an der tags zuvor die Begegnung stattgefunden hatte, machten die an Deck Stehenden eine merkwürdige Wahrnehmung. Das Motorgeräusch wurde vom Fluß zurückgegeben, und zwar umso stärker, je mehr man sich der Biegung näherte!
Jeder suchte noch nach einer Erklärung für diese wunderbare Naturerscheinung, als vorn am Bug ein lauter Ausruf der Überraschung ertönte, in den sogleich viele andere Stimmen einfielen. Alle Blicke richteten sich voraus, und nun war niemand mehr auf dem Boot, dessen sich nicht angesichts der dort aufgetauchten unerklärlichen Erscheinung die lebhafteste Erregung bemächtigt hätte. Kaum hundert Meter entfernt bog ein kleines weißes Fahrzeug um die Ecke!
»Das ist ja die ›Diana‹,« übertönten mehrere Stimmen das allgemeine Durcheinandersprechen.
Die wenigen in Pinang vorhandenen Motorboote waren natürlich allen bekannt, so daß nicht einmal besonders scharfe Augen dazu gehörten, aus dieser geringen Entfernung nach dem Äußeren zu bestimmen, welches von ihnen dort den Fluß so mit voller Kraft durchpflügte, daß zu beiden Seiten des Buges das Wasser hoch aufspritzte.
Ein scharfes Pfeifen durchschnitt die Luft. Sofort wurde die Begrüßung von der eigenen Sirene erwidert, und allgemeines Raten begann.
»Jedenfalls ein paar Freunde, die von unserer abenteuerlichen Unternehmung gehört haben und schnell nachgekommen sind, um auch daran teilzuhaben. Sie werden lange Gesichter machen, wenn sie erfahren, daß alles schon erledigt ist,« sagte Kampen.
Ellis dagegen meinte, die Untersuchung gegen die Bande des Li Fu habe seine Behörde nachträglich auf den Gedanken gebracht, dieser Fall sei wichtig genug, die Ausrüstung einer eigenen Expedition zu rechtfertigen, wobei er sich im stillen auf die enttäuschten Gesichter seiner zu spät kommenden Amtsgenossen freute.
Rasch näherten sich die schnellfahrenden Boote. Man erkannte längst deutlich die einzelnen Gestalten. Doch da alle weißgekleidet waren, hatte noch niemand mit Sicherheit feststellen können, wer die am Bug Stehenden waren. Ihr Winken wurde natürlich trotzdem eifrig erwidert, und da drüben die Pfeife wie irrsinnig weiterheulte, hielt man es für höflich, auch diese Art der Begrüßung fortzusetzen, bei der niemand das Schreien des anderen verstehen konnte.
Es war ein toller Lärm. Doch sieghaft übertönte ihn ein Zweistimmiger Jubelruf, den Cornelis Hollebeek und Arnold Hemskerk, die zufällig ganz vorn standen, plötzlich mit voller Lungenkraft in die Luft schmetterten.
Ihren Augen nicht trauend, hatten sie sich in einem wunderbaren Aufruhr aller Gefühle angeblickt, im glühenden Gesicht des anderen die Bestätigung des fast Unglaublichen gelesen und nun gleichzeitig hinausgejubelt.
»Jan, Jan,« tönte es über das Wasser, und »Cornelis – Arnold,« rief die vertraute Stimme des jungen Mannes zurück, der, in nicht geringerer Bewegung am Bug des anderen Schiffes stehend, seinen Korkhut schwenkte.
Dann aber ging jeder Einzellaut in dem vielstimmigen Hurra unter, mit dem alle Gefährten einfielen, und das kein Ende nahm, bis die beiden Fahrzeuge Bord an Bord lagen und der verloren Geglaubte Bruder und Freund in die Arme geschlossen hatte.
Es dauerte lange, bis sich der Sturm soweit legte, daß man auf eine Frage eine verständliche Antwort erwarten konnte. Denn in der Freude über diese unverhoffte Krönung ihres Unternehmens waren alle Europäer völlig außer Rand und Band geraten.
Alle Europäer und ein Malaie! Während jene Jan Hollebeek in die Luft hoben und ein über das andere Mal hochleben ließen, führte daneben der sonst so ruhige Jama vor Freude den reinsten Indianertanz auf, bis Jan den treuen Burschen bemerkte und auch ihm die Hand schüttelte.
Nun wurde er von allen Seiten mit Fragen bestürmt. Doch gegenüber der Unmöglichkeit, alle gleichzeitig zu beantworten, wehrte er mit beiden Händen lachend ab.
»Ruhe, Gentlemen,« schrie endlich Ellis mit seiner starken Stimme dazwischen. »Niemand kann etwas verstehen, wenn Sie alle durcheinandertoben.«
Nun endlich trat Stille ein.
»Es ist schnell erzählt,« begann Jan, und seine freudestrahlenden Augen wanderten im Kreise der gespannt lauschenden Gesichter. »In Pinang habe ich erfahren, daß Li San alles berichtet hat bis zu dem Punkt, da ich über Bord gespült wurde und er mich aus den Augen verlor. Ich dagegen sah, wie er mir in die hochgehenden Wogen folgte und gleich darauf die Prau mit Mann und Maus von der See verschlungen wurde. Es war keine Kleinigkeit, mich über Wasser zu halten, und es wäre mir nicht lange gelungen, wenn nicht auch mir ein Wrackstück Hilfe gebracht hätte. Hohe Wasserberge trennten mich von meinem Leidensgenossen Li San. Ich verlor ihn bald aus den Augen, obwohl ich jedesmal, wenn eine Woge mich emportrug, nach ihm ausschaute. Offenbar wurden wir durch eine Strömung auseinandergetrieben, und der über die Oberfläche hinfegende Gischt hinderte, eine größere Strecke zu übersehen. Natürlich schaute ich mir fast die Augen aus nach einem Fahrzeug, das mich auffischen könnte. Und wirklich sah ich plötzlich eines aus dem Nebelschleier auftauchen: eine Fischerprau, die schwer mit dem Seegang zu kämpfen hakte. Ich will nicht zu schildern versuchen, was ich in der nächsten Viertelstunde an widerstrebenden Gefühlen durchkostete. Vergebens suchte ich mich bemerkbar zu machen. Aus einer verhältnismäßig geringen Entfernung mußte ich zusehen, wie Li San gerettet wurde und das Boot dann trotz der größten Schwierigkeiten eine Zeitlang suchend hin und her fuhr, schließlich aber verschwand. In meiner Verzweiflung war ich nahe daran, den Kampf gegen die See aufzugeben, doch der Selbsterhaltungstrieb behielt die Oberhand. Der Sturm ließ nach; das Meer wurde schnell ruhiger und die Luft ganz klar. Bald konnte ich in der Ferne Schiffe vorüberziehen sehen. Das weckte neue Hoffnung, daß auch ich vielleicht noch gerettet werden könne, bevor ein Hai auf mich aufmerksam wurde. Der Gedanke, im nächsten Augenblick von einem scharfen Gebiß gepackt und unter Wasser gezogen zu werden, war gräßlich. Aber genug davon! Schiffe tauchten auf und verschwanden; die Sonne stieg senkrecht über mir hoch und wieder hinab. Schon näherte sie sich dem Horizont, als endlich auch mir ein Retter erschien, und zwar in Gestalt eines kleinen Frachtdampfers, dessen Kurs gerade auf mich zuführte. Ich wurde bemerkt und an Bord genommen.«
»Aber dann hättest du doch lange vor mir in Pinang sein müssen,« warf Cornelis verwundert ein.
Sein Bruder nickte ihm lächelnd zu.
»Gewiß, wenn Pinang sein Bestimmungshafen gewesen wäre! Aber er fuhr nach Singapore und dachte natürlich nicht daran, meinetwegen seinen Reiseplan zu ändern. Ich hatte also keine Möglichkeit, vor der Ankunft in Singapore Nachricht zu geben.«
»Und dann hast du nach Hause gekabelt?« fragte der Bruder gespannt.
»Sofort!«
Cornelis atmete erleichtert auf.
»Gott sei Dank! Dann waren unsere Eltern beruhigt, bevor sie meinen Brief mit der Unglücksbotschaft erhielten.« An Arnold sich wendend, fuhr der Erzähler fort: »Die Sorge um dich trieb mich selbstverständlich mit erster Fahrgelegenheit nach Pinang zurück. Was ich dort erfuhr, machte sie nicht geringer. Ich hielt es nicht aus, untätig zu warten, ob es gelingen werde, dich aus der Gewalt des Wong Tsau zu befreien. Ich mietete dieses Boot – und da bin ich. Nun laß mich hören, wie es dir ergangen ist.«
Während Arnold diesen Wunsch erfüllte, gesellte sich Kampen zu zwei Engländern, die etwas im Hintergrunde standen. Es fiel ihm nicht leicht, seinem Gesicht einen bedauernden Ausdruck aufzuzwingen, während alles in ihm frohlockte; aber diesen Spaß konnte er sich nicht versagen.
»Ich fürchte, Gentlemen,« begann er leise, »aus unserem feinen Geschäft kann nun nichts werden. Meine beiden Landsleute werden kaum so dumm sein, einen sicheren Gewinn ohne Not mit anderen zu teilen.«
Er mochte sich noch so große Mühe gegeben haben, seine wahren Gefühle zu verbergen: der schlaue Pemberton hatte ihn durchschaut. Mit sauersüßem Lachen schlug er ihn auf die Schulter.
»Gerade, was ich eben Joffray sagte! Natürlich sind wir nicht etwa mitgefahren, weil wir hier ein Geschäft witterten – der Himmel behüte! Der Mann ist gerettet; das ist die Hauptsache. Aber sagen Sie selbst: haben die beiden nicht trotz allem unbeschreiblichen Dusel? Dieser unglückselige Haydock wollte gegen sie arbeiten; statt dessen hat er selbst sie zu reichen Männern gemacht, denn nun brauchen sie ja nur auszubeuten, was er gefunden hat. Unbeschreiblicher Dusel, sage ich, in der Tat!«
»Man könnte es auch ausgleichende Gerechtigkeit nennen,« erwiderte Kampen und rieb sich die Hände, denn nun brachte er es nicht länger fertig, mit seinen wahren Gefühlen hinter dem Berg zu halten. Der Ärger dieser beiden, den sie anstandshalber nicht zeigen durften und doch nicht völlig verbergen konnten, machte ihm das größte Vergnügen, hatte er sie doch von Anfang an im Verdacht gehabt, daß nicht allein reine Menschenliebe sie in die Wildnis trieb. Sie ihrem kaum verhüllten Neid überlassend, kehrte er zu der erfreulicheren Gesellschaft der drei glücklich Vereinten zurück.
Da standen sie Arm in Arm, Jan in der Mitte, und die sie umgaben, erfreuten sich an dem Anblick ihres Glückes.
Während der Weiterfahrt wurde natürlich viel von der baldigen Wiederkehr gesprochen. Denn darüber waren sich die Freunde einig: bei den glänzenden Aussichten, die jetzt ihr Unternehmen bot, sollte es unverzüglich in weit größerem Maßstabe, als ursprünglich geplant, in Angriff genommen werden.
»Aber zunächst fahrt ihr doch mit nach Medan?« fragte Cornelis dazwischen.
Er brauchte keine Überredungskunst anzuwenden, um seinen Vorschlag im schönsten Lichte erscheinen zu lassen. Ian hatte selber das Bedürfnis, nach diesem aufregenden Abenteuer einige ruhige Tage auf der Pflanzung zu verbringen und die Eltern von seinem Wohlergehen zu überzeugen. Nachdem auch Cornelis das Feld ihrer künftigen Tätigkeit kennengelernt hatte, würde der Abschied viel leichter sein als beim ersten Male. Ja, in einem kühnen Zukunftsbild sah Jan schon die Eltern in seinem eigenen Motorboot den Mudafluß befahren, um sich mit eigenen Augen von dem Erfolge ihres Sohnes zu überzeugen.
Cornelis und Arnold lachten, als er seiner Phantasie so die Zügel schießen ließ. Aber was damals noch in weiter, weiter Ferne zu liegen schien, ist längst Wirklichkeit geworden. Im Urwald ist ein Dorf entstanden, dessen Bewohner alle zum Betrieb der »Tigermine« und des bei ihr errichteten Schmelzwerkes gehören. Die Krokodile haben sich daran gewöhnen müssen, daß ihren einst so stillen Fluß viele Fahrzeuge beleben, die das gewonnene Metall nach Pinang bringen, wo es in große Dampfer umgeladen wird.
Wie nicht anders zu erwarten, sind Jan und Arnold in kurzer Zeit wohlhabende Männer geworden. Nach den ersten arbeitsreichen Jahren, die sie zum allergrößten Teil bei ihrem Werk in der Wildnis verbringen mußten, konnten sie sich in Pinang niederlassen. Mindestens einmal jährlich fahren sie nach Medan hinüber, um einige Wochen auf der Pflanzung zu verleben.
Der Sultan verfolgte mit reger Teilnahme, wie reiche Früchte sein Geschenk trug. Die beiden Besitzer hatten ihm aus freien Stücken einen großen Gewinnanteil angeboten; doch davon wollte er nichts hören. Er sagte lachend, sein Leben sei ihm immer noch viel mehr wert gewesen.
Li Fu und seine Genossen haben für ihre Untaten die verdiente Strafe erlitten; Haydock ist im Irrenhaus gestorben. Von dem »Bund der fünf Glückseligkeiten«, der seine finsteren Pläne durch einen so harmlosen Namen zu decken suchte, hat man nie wieder etwas gehört.