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Unfähig, sich zu regen oder ein verständliches Wort zu sprechen, hatte Jan Hollebeek ungefähr eine Stunde in dem neuen, sanft schwankenden Gefängnis gelegen, als er ein Geräusch hörte, das nur von seinem Leidensgenossen Li San ausgehen konnte. Es war, als ob ein Körper sich kriechend auf dem Boden fortbewege, gerade auf ihn selber zu.
Sofort gab Jan durch einen unbestimmten Laut, den auch der feste Knebel nicht hindern konnte, die Richtung an.
Er hatte eine ähnlich klingende Antwort erwartet. Wie erstaunt war er daher, als er gleich darauf aus nächster Nähe die mit gedämpfter Stimme gesprochenen Worte vernahm: »Gleich wirst auch du, Herr, aus dieser unbequemen Lage befreit sein. Es war doch nicht so einfach, wie ich dachte, die Stricke von den Händen abzustreifen. Das übrige hat mein kleines Messer besorgt. Nun soll es auch deine Fesseln durchschneiden. Aber zuerst will ich dir die Sprache wiedergeben.«
Jan schloß die Augen, denn tastende Hände fuhren ihm über das Gesicht. Sie fanden auch gleich, was sie suchten. Das fest zusammengeballte Tuch, das die Kiefer trennte, wurde behutsam entfernt; die Lippen fühlten sich wieder frei. Ein aufrichtig empfundenes »Danke« war das erste Wort, das sie murmelten.
Bald hatte auch der Ingenieur die Möglichkeit wiedererlangt, seine Glieder unbehindert zu regen. Er reckte die Arme nach allen Seiten. Doch als er dann aufstand, hätten die Beinmuskeln beinahe den Dienst versagt. Nach wenigen taumelnden Schritten mußte er sich wieder niedersetzen.
»Das ist ja schrecklich,« flüsterte er Li San zu. »Wie können wir an Rettung denken, wenn wir kaum fähig sind, uns von der Stelle zu bewegen?«
Schon der zweite Versuch gelang indessen besser, und damit kehrte auch die Hoffnung wieder zurück. Nach einigen Freiübungen fühlten sich beide fähig, handelnd in ihr Schicksal einzugreifen.
Zunächst untersuchten sie ihr Gefängnis. Außer der Luke, durch die man sie hinabbefördert hatte, besaß es noch einen Zugang aus einem Nebenraum, der offenbar nur Ladung barg, denn so angestrengt sie auch lauschten: keine menschliche Stimme drang von dort an ihr Ohr.
Vor dieser niedrigen Tür lagen Schiffstaue in Ringen aufgeschossen. Wollte man in den Nebenraum eindringen – vorausgesetzt, daß der Zugang nicht fest verschlossen war – mußten sie entfernt werden. Dies wäre unter gewöhnlichen Umständen eine geringfügige Arbeit gewesen. Den unterernährten Körpern jedoch fiel sie blutsauer; wiederholt mußten beide innehalten und verschnaufen.
Dafür wurde ihnen zum Schluß eine angenehme Überraschung zuteil. Die Tür war weder verschlossen noch verriegelt; beim ersten leisen Druck auf die Klinke gab sie den Weg ins Unbekannte frei.
Lauschend blieben sie stehen; nichts regte sich. Da drangen sie mit unhörbaren Schritten langsam in das Dunkel vor.
Plötzlich packte Jan den neben ihm gehenden Chinesen beim Arm und hielt ihn fest.
»Was gibt es, Herr?« fragte Li San erschrocken, denn er sah und hörte nichts, was Verdacht erregte.
Sein Begleiter zog ihn zu sich herüber und flüsterte: »Geradeaus ein Licht!«
Von dieser Stelle aus bemerkte auch der Chinese den schwachen Schein, der einem winzigen kleinen Spalt in der gegenüberliegenden Wand entstammen mußte. Er hatte nicht die Kraft, auch nur die kleinste Strecke des Dunkels zu durchdringen, so daß man ihn bloß von einer bestimmten Richtung aus wahrnehmen konnte.
Mit verdoppelter Vorsicht die unerkennbaren Hindernisse vermeidend, die sich ihnen in mannigfacher Gestalt entgegenstellten, schlichen die beiden Schicksalsgenossen auf den hellen Punkt zu, der die Nähe von Menschen verriet – von Menschen, die sie als Todfeinde betrachten mußten!
Noch bevor sie die Wand erreichten, hörten sie deren Stimmen.
Diesmal war es Li San, der plötzlich halt machte. Lauschend streckte er den Kopf vor; doch aus dem bis zu ihm dringenden undeutlichen Gemurmel konnte er keinen Sinn erkennen. Da ging er schnell vor, preßte ein Ohr gegen den Spalt und verharrte lange in dieser Stellung.
Jan Hollebeek, der nun wieder schwarze Nacht um sich sah, hätte sicher die Geduld verloren, wenn nicht das Gespräch auf der anderen Seite so lebhaft geworden wäre, daß er wertvolle Aufschlüsse davon erwartete. Obwohl er kein Wort der fremden Sprache verstand, konnte er vier Stimmen am Ton deutlich unterscheiden.
Endlich kam der Lichtschein wieder zum Vorschein. Gleich darauf folgte ein leiser Anruf des Chinesen, der sich vergewissern wollte, in welcher Richtung er seinen Gefährten zu suchen hatte.
»Hier,« antwortete Jan und trat einen Schritt auf ihn zu.
Li San nahm ihn bei der Hand und führte ihn in den Hintergrund, wobei seine zuckenden Finger verrieten, wie erregt er war.
»Herr, ich habe viel gehört,« stieß er atemlos hervor. »Noch vor Tagesanbruch werden wir gefesselt ins Meer geworfen. So hat es Li Fu bestimmt.«
Etwas Ähnliches war zu erwarten gewesen, doch die Gewißheit, in wenigen Stunden als unbewegliche Masse ins Meer zu sinken, ließ sein Herz vor Zorn und Schmerz schneller schlagen.
Aber er nahm sich zusammen, und als er nach einer kleinen Pause antwortete, zeugte nur noch ein kaum wahrnehmbares Zittern seiner Stimme von der heftigen Erregung, die sein Inneres erfüllte.
»Li Fu,« wiederholte er. »Wenn ich nur wüßte, womit ich mir den Haß dieses Mannes zugezogen habe. Aber das ist ja jetzt einerlei. Was hast du sonst noch gehört?«
»Hier unten sind vier Männer; zwei oder drei bedienen oben Steuer und Segel.«
»Und wenn es doppelt so viel wären,« unterbrach Jan lebhaft, »lieber wollte ich allein und unbewaffnet gegen alle kämpfen, als mich aufs neue widerstandslos fesseln lassen. Aber sprich weiter!«
»Herr, auch ich denke so,« sagte Li San, der jetzt viel ruhiger war als der Europäer. »Wenn du mit mir gegen die Bande kämpfen willst, brauchen wir noch lange nicht die Hoffnung auf Rettung aufzugeben. Nicht alle sind beisammen: hier unten vier, oben die anderen. Ich habe gerochen: die Männer jenseits der Wand rauchen Opium. Wir warten nicht erst so lange, bis sie zu uns kommen, sondern gehen zu ihnen, sobald sie schlafen.«
»Recht so,« stimmte ihm Jan in rasch erwachender Unternehmungslust zu. »Dem schönen Opiumtraum soll ein böses Erwachen folgen. Aber wie gelangen wir zu ihnen?«
»Ganz einfach durch die Tür,« antwortete der Chinese mit verschmitztem Lachen. »Als ich die Wand abtastete, hätte ich sie beinahe aus Versehen geöffnet.«
»Aber dann müßte doch ein heller Schein ihren Umriß bezeichnen,« warf Jan zweifelnd ein.
Doch Li San war seiner Sache sicher.
»Nein, Herr! Drinnen brennt nur das Opiumlämpchen; wir haben durch den Spalt gerade in die Flamme gesehen. Sie verbreitet wenig Licht. Wer Opium raucht, fühlt sich am wohlsten im Halbdunkel.«
»Und du glaubst, daß auch diese Tür unverschlossen ist?«
»Aus den Reden ging es hervor. Einer wollte nach uns sehen; da bekam ich einen großen Schreck. Aber die anderen lachten ihn aus. Die Luke könnten wir nicht erreichen, und der andere Weg ins Freie führe durch ihr Zimmer; zudem seien wir ja fest gebunden. Da gab sich der andere zufrieden.«
»Das wäre allerdings eine böse Überraschung für uns geworden,« erwiderte Jan. »Nun werden wir ihnen hoffentlich eine bereiten, die ihnen auch nicht gefällt. Mit Waffen wäre es einfacher; aber wenn wir sie in ihrem Opiumrausch überfallen, müssen auch unsere Fäuste genügen, sie unschädlich zu machen.«
»Nein, Herr, das würde uns nicht viel helfen. Wenn sie schreien, kommen ihre Kameraden herbeigelaufen, und wenn uns inzwischen wirklich gelungen wäre, die vier zu überwältigen, brauchten sie oben bloß den engen Ausgang am Kopf der Treppe zu besetzen oder einfach auch diese Luke fest zu verschließen; dann könnten wir nicht hinaus. Nein, Herr, wenn es geht, müssen wir ganz leise arbeiten. Die Stricke, die uns beide gefesselt hielten, müssen für vier genügen. Wie man Menschen hindert, störenden Lärm zu machen, haben wir ja auch am eigenen Leib erfahren. Als wir hier herschlichen, habe ich Säcke gefühlt. Die haben zwar keinen guten Geschmack, aber das Tuch, das mir den Mund verstopfte, war auch lange nicht mehr gewaschen worden.«
So redete er noch eine Weile in zuversichtlichem Tone fort, und er schwieg erst, nachdem er im Geist die ganze Gesellschaft gefesselt über Bord geworfen hatte.
Obwohl er mit gedämpfter Stimme sprach, merkte Jan doch deutlich, wie er darauf brannte, seine Feinde für das Erlittene büßen zu lassen. Die Entschlossenheit, die in dem kühnen Plan zum Ausdruck kam, stärkte seine eigene Zuversicht. Hinterlistig einen schlafenden Feind zu überfallen lag seiner Art so fern, daß ihm nicht einmal der Gedanke daran gekommen war. Aber er sah ein: der Chinese, der nach seiner Veranlagung den offenen Kampf scheute, hatte in diesem Fall recht. Nur mit List konnte man der Übermacht Herr werden. Bedenken über die Art der Ausführung waren hier nicht am Platz.
»Ich gehe die Stricke holen,« flüsterte Li San.
Müde von der ungewohnten Anstrengung des Stehens, setzte sich der Ingenieur auf die Kiste, bei der sie diese Worte gewechselt hatten, und angestrengt lauschend suchte er das Tun seines Gefährten zu verfolgen. Doch außer dem leisen Rascheln von Mäusen in der Ladung und vereinzelten unverständlichen Lauten, die von dem Gespräch der Opiumraucher durch die Wand bis zu seinen Ohren drangen, blieb alles still, gleich als ob Li San nur zu sprechen aufgehört, sich aber überhaupt nicht entfernt hätte. So stark drängte sich dieser Gedanke auf, daß Jan nach der Stelle tastete, wo der Chinese gestanden hatte. Aber er griff ins Leere.
Ebenso geheimnisvoll, wie Li San verschwunden war, meldete er sich zurück. Jan Hollebeek, dessen Gedanken beim Warten den Ereignissen vorauseilten, fuhr zusammen, als die bekannte Stimme ihn plötzlich unerwartet aus dem Dunkel anredete.
»Hier sind die Stricke und Knebel, Herr, und zwei kräftige Stücke Holz, mit denen wir im Notfall Schläge austeilen können. Wird drüben noch gesprochen?«
»Eben habe ich etwas gehört.«
»Schade; dann müssen wir noch warten.«
Er schlich auf das Licht zu, lauschte eine Weile an der Wand und kehrte dann rasch zurück.
»Komm, Herr,« stieß er aufgeregt hervor, »sie schlafen. Einer spricht im Traum; das hast du gehört. Ein Glück für uns, daß das Licht weiter brennt! Nimm du alle Stricke! Einer nach dem anderen kommt an die Reihe. Ich sorge dafür, daß kein Hilferuf laut wird. Du bindest unterdessen Arme und Beine. Wer sich nicht fügt, bekommt ein Holzscheit auf den Kopf, daß ihm für einige Zeit Hören und Sehen vergeht.«
Jan nahm die Stricke sowie die zu Knebeln geballten Tuch- und Sackfetzen und folgte. An diesem Teil des Kriegsplans war nichts auszusetzen. Das Gelingen stand natürlich noch sehr in Frage. Von den an Deck befindlichen Bootsleuten brauchte nur einer zu irgend einer Besorgung herunterzukommen, bevor man alle vier unschädlich gemacht hatte; dann war das Spiel so gut wie verloren.
Die Lage war zu ernst, als daß der Europäer in diesen entscheidenden Minuten den Reiz des Abenteuers empfunden hätte. Nur der Selbsterhaltungstrieb zwang ihn zu Mitteln, die seiner friedlichen Natur sonst fern lagen. In dem Chinesen dagegen merkte er deutlich die freudige Gier, an den Übeltätern, die sein Leben vernichten wollten, furchtbare Rache zu nehmen.
Jans Herz klopfte zum Zerspringen, als er plötzlich, ohne das geringste Geräusch, die Tür sich langsam öffnen sah und nähertretend die vier am Boden liegenden Gestalten erkannte.
Li San wandte sich nach ihm um. Das schwache Öllicht ließ den haßglühenden und zugleich triumphierenden Ausdruck seines blaßgelben Gesichts noch unheimlicher erscheinen.
Stumm deutete er auf den Nächstliegenden, kniete neben seinem Kopf nieder und forderte Jan durch eine beinahe gebieterische Handbewegung auf, es auf der anderen Seite des wie leblos daliegenden Körpers ebenso zu machen.
»Alles klar?« schien dann sein Blick zu fragen.
Jan nickte.
Da fuhren dem Schläfer zwei sehnige Hände unsanft an die Kehle, und als der jäh Erwachte zum Luftholen und Schreien den Mund öffnete, erstickten zwei andere mit einem bereitgehaltenen Knebel jeden Laut. Nachdem auch die Kraft seiner zur Abwehr erhobenen Arme rasch gebrochen war, ließ das Opfer, vor Schreck erstarrt, nun alles willenlos mit sich geschehen. Bald war der Mann so sicher gefesselt, daß man von ihm keine störende Überraschung mehr zu erwarten brauchte.
Die drei anderen hatten von alledem nicht das Geringste gemerkt. Zwar jagte einer von ihnen Jan einen gewaltigen Schreck ein, indem er plötzlich laut zu sprechen begann. Doch Li San, der die Worte verstand, lächelte nur über die vom Opium erzeugten lieblichen Vorstellungen des Träumers und deutete durch Zeichen an, daß nun dieser in Behandlung genommen werden solle.
Dies ging nicht ganz so glatt vonstatten, weil der rasch Geknebelte unter entsetzlichem Augenrollen sofort mit Armen und Beinen um sich zu schlagen begann und dabei seinem Nachbar einen Tritt versetzte, der einen nicht durch Gift betäubten Schläfer augenblicklich hell wach gemacht hätte.
Jan bekam keinen kleinen Schreck, denn er hörte schon im Geist Hilferufe das Schiff durchgellen. Der Getroffene indessen wälzte sich nur brummend auf die andere Seite und träumte weiter, bis auch ihn sein Schicksal ereilte.
Nicht besser erging es dem vierten. Nun lagen die Bösewichter wehrlos nebeneinander, und ihre ängstlichen Blicke verrieten, wie sehr sie die verdiente Vergeltung fürchteten.
Innerlich frohlockend, doch von der Anstrengung ermüdet, betrachteten die beiden ihr Werk. In raschen Atemzügen hob und senkte sich ihnen die Brust. Sie mußten verschnaufen, bevor sie an die Fortsetzung des so über Erwarten erfolgreich begonnenen Unternehmens denken konnten.
Li San nahm das Lämpchen in die Hand und leuchtete in dem engen Gemach umher. Was er suchte, fiel ihm sogleich in die Augen. An einer Wand hingen zwischen alten Schwertern und Pistolen zwei sechsschüssige Revolver, von denen er einen an Jan weitergab. Sie waren voll geladen, so daß für Angriff oder Verteidigung im ganzen zwölf Schüsse zur Verfügung standen. Weitere Patronen ließen sich nicht finden. Die gefesselten Chinesen, die er danach fragte, schüttelten den Kopf oder deuteten nach der Tür.
»Wenn wir es nicht mit mehr als drei Mann zu tun haben, sind wir jetzt stark genug,« sagte Jan, der sich im Besitz der Waffe allen weiteren Schwierigkeiten gewachsen fühlte.
Er hatte kaum das letzte Wort ausgesprochen, als leise Schritte hörbar wurden und jemand am Kopf der nach oben führenden Treppe die dort befindliche Luke zu öffnen begann.
Jan entsicherte blitzschnell seinen Revolver, entschlossen, dem neuen Feind entgegenzustürmen und ihn über den Haufen zu schießen, bevor er die Klappe dicht machen und damit den Weg in die Freiheit endgültig abschneiden konnte.
Li San aber war ein anderer Plan durch den Kopf geschossen, wie der Gefahr zu begegnen sei. Gerade als die Hand des Eindringlings die Luke berührte, blies er das Licht aus, so daß es plötzlich stockfinster wurde.
Die gespannt nach oben gerichteten Augen erblickten einen viereckigen Ausschnitt des mit hellglänzenden Sternen übersäten dunkelblauen Nachthimmels, von dem sich die Umrisse einer menschlichen Gestalt scharf abhoben.
»Kommt er herunter, wird er im Nu überwältigt und zu den anderen gelegt,« dachte der Holländer; auch Li Sans Gedanken bewegten sich in der gleichen Richtung.
Aber es kam anders. Anscheinend betroffen, kein Licht zu sehen, blieb der Chinese oben stehen und begnügte sich, in fragendem Tone etwas herunterzurufen.
Seine vier Kameraden machten sofort verzweifelte Anstrengungen, ihn zu warnen, aber die Fesseln und Knebel waren von beiden Verbündeten mit der gleichen Rücksichtslosigkeit angelegt worden, die sie als so peinlich wirkungsvoll am eigenen Leibe kennen gelernt hatten. Die vier Gestalten warfen sich von einer Seite auf die andere und stöhnten, so gut sie es vermochten. Aber das genügte nicht, die Aufmerksamkeit ihres Genossen auf sie zu lenken, denn Li San hatte sofort wie ein Schlaftrunkener abgerissene Worte zu murmeln begonnen.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Wie auch der Europäer aus dem Ton erkennen konnte, bestand sie in einer Scheltrede, die damit schloß, daß die Gestalt aus dem Türrahmen verschwand und ihr Mißfallen in einem bald unhörbar werdenden Selbstgespräch ausklingen ließ.
»Jetzt hinauf,« sagte Jan entschlossen und schritt schnell auf die Treppe zu, fühlte sich aber gleich darauf von hinten festgehalten.
»Halt, Herr, nicht auf das Verdeck! Er will nur ein Licht holen, um hier unten selbst zu suchen, was ihm einer von diesen vieren bringen sollte. Erwarten wir ihn hier, dann werden wir am besten mit ihm fertig.«
»Und wenn er eine Laterne bringt, die ihn schon von der Treppe aus erkennen läßt, wie es seinen Kameraden ergangen ist?«
»Du hast recht, Herr! Dann schlägt er Lärm, schließt die Luke, wir sind eingeschlossen und haben drei Bewaffnete über uns.«
»Darum ist es richtiger, ihm bis unmittelbar an den Ausgang entgegenzusteigen. Sobald er sich anschickt einzutreten, wird er schnell überwältigt und, wenn er sich sträubt, mit einigem Nachdruck in die Unterwelt befördert. Wir schließen dann rasch die Luke und stürzen uns auf die beiden letzten. Ihre Überraschung wird uns helfen, auch mit ihnen rasch fertig zu werden. Vielleicht haben sie nicht einmal Schießeisen bei sich; aber damit wollen wir nicht rechnen. Du schreist jedenfalls auf Chinesisch: ›Hände hoch!‹ und wenn sie diesem Befehl nicht sofort gehorchen, haben sie die Folgen sich selber zuzuschreiben.«
Er war unterdessen vorangeschritten und Li San ihm gefolgt, so daß sie bei den letzten Worten bereits in einem Winkel kauerten, der sie vor den Blicken eines Eintretenden am besten verbarg. Es war auch höchste Zeit, denn schon begann auf der gegenüberliegenden Wand des kleinen schützenden Vorbaues der Widerschein eines sich nähernden Lichtes zu tanzen.
Nun wurden auch die Tritte bloßer Füße hörbar. Der entscheidende Augenblick stand unmittelbar bevor.
Li San hielt den Revolver zwischen den Zähnen, um ihn bei der Hand zu haben, wenn der Überfallene wider Erwarten kräftigen Widerstand leisten sollte. Wäre es nach ihm gegangen, hätte man diesen Mann, der nach seinen befehlenden Worten eine besondere Stellung unter der Besatzung einzunehmen schien, sofort über den Haufen geschossen. Doch Jan, der selbst diesen üblen Gesellen gegenüber, solange es ging, Blutvergießen vermeiden wollte, hatte darauf bestanden, daß zunächst nach seinem Plan gehandelt werde.
Nun fiel plötzlich der helle Strahl einer Laterne in die Treppenöffnung. In dem gleichen Augenblick sprangen beide aus ihrem Hinterhalt und jagten damit dem chinesischen Bootsmann einen so gewaltigen Schrecken ein, daß er die Laterne fallen ließ und, einen gellenden Schrei ausstoßend, zurücktaumelte.
Aber schon fühlte er sich von vier kräftigen Händen gepackt und in die Türöffnung geschoben. Zum Schreien blieb ihm gar keine Zeit, denn ein kräftiger Fußtritt seines Landsmannes beförderte ihn weiter auf die Treppe, und da er infolge der herrschenden Finsternis die Stufen nicht erkannte, sauste er mit einem Satz in die Tiefe, wobei es nicht ohne unsanfte Berührungen mit scharfen Kanten abging.
Halbbetäubt saß er unten auf dem Boden und betastete die schmerzenden Stellen. So benommen war er von der ihm widerfahrenen Behandlung, daß er auch jetzt nicht daran dachte, Lärm zu schlagen. Als ihm endlich einfiel, seine an Deck befindlichen Kameraden zu warnen, war oben der Zugang von unsichtbaren Händen längst geschlossen worden.
Am Ruder stand eine dunkle Gestalt; wenige Schritte davon entfernt eine zweite. Sie unterhielten sich gerade über das Wetter, das nach den ihnen wohlvertrauten Anzeichen mit der in den Tropen eigentümlichen Schnelligkeit umzuschlagen drohte, als das Fallen der Laterne und der Aufschrei ihres Genossen, der die wachfreien Leute an Deck holen sollte, zum Schauplatz dieser Ereignisse ihre Blicke lenkte.
Streitigkeiten waren auf dieser Prau an der Tagesordnung. Deshalb war ihr erster Gedanke, daß die Leute den unwillkommenen Befehl mit Grobheiten beantwortet hätten. Doch schon bevor sie den Körper die Treppe hinunterplumpsen hörten, verriet ihnen der Anblick der auf sie zustürmenden Gestalten, mit wem sie es zu tun hatten.
»Hände hoch!« schrie ihnen Li San mit voller Lungenkraft entgegen.
Aber dies waren keine Männer, die sich so leicht einschüchtern ließen. Statt in die Höhe, fuhren ihre Hände in die Taschen.
Sofort blitzten auf der Seite der Angreifer Schüsse auf. Ehe sie zum zweiten Mal losdrücken konnten, erfolgte schon die Antwort.
Jan hörte eine Kugel dicht an seinem Kopf vorbeipfeifen. Um nicht wieder zu fehlen, folgte er dem Beispiel seines Gefährten und blieb zielend stehen. Gleichzeitig knatterten ihre Revolver, und der Chinese am Ruder brach lautlos zusammen.
Doch dieses Triumphes sollte Jan nicht lange froh werden. Auch Li Sans Waffe verstummte, und er selbst spürte plötzlich einen stechenden Schmerz im linken Arm.
Sich nach dem tapferen Genossen umzusehen, dazu blieb keine Zeit. Von dem Ausgang der nächsten Sekunden hing für sie beide das Leben ab. Wenn der noch aufrechtstehende Gegner auch ihn, Jan selbst, außer Gefecht setzte, war alles verloren. Sein letzter Schuß steckte im Lauf. Brachte der nicht die Entscheidung, dann mußte ein erbittertes Ringen Mann gegen Mann sie herbeiführen.
Aber warum schoß der Chinese nicht weiter? Die Hand mit dem Revolver sinken lassend, blieb er unbeweglich stehen. Er hatte keine Kugel mehr im Lauf und nahm offenbar an, daß auch sein Gegner die Waffe nur noch zum Dreinschlagen verwenden könne.
Gerade als der Ingenieur nach ruhigem Zielen losdrücken wollte, machte der Chinese eine schnelle Bewegung. Als ob er schwer verwundet sei, schien sein Körper zusammenzubrechen.
Aber rechtzeitig erkannte Jan seine neue List. Er sah, wie seine Rechte den Revolver fahren ließ und dafür etwas ergreifen wollte, das metallisch im Mondlicht glänzte: die Waffe seines Kameraden, die noch mehrere Schüsse enthalten mußte.
Dies erkennen, blitzschnell vorspringen, durch einen Tritt das schimmernde Metall außer Reichweite befördern, den Chinesen umwerfen und ihm mit einer drohenden Gebärde den Revolver vor die Brust halten, war für Jan das Werk weniger Sekunden.
Das wirkte wie beabsichtigt. Haßerfüllte Verwünschungen murmelnd, blieb der Chinese liegen. Doch sein aus den halbgeschlossenen Schlitzaugen hervorblinzelnder Blick verriet, daß er halb und halb erwartete, trotz seiner Unterwerfung niedergeknallt zu werden. Daß jemand, dem er selbst das Leben hatte rauben wollen, ihn schonen werde, ging jedenfalls über sein Verstehen.
»Li San!« rief Jan, sich nach seinem Gefährten umwendend.
»Herr, ich freue mich,« lautete die unerwartete Antwort; aber diesen Worten folgte ein schmerzvolles Stöhnen, das unverkennbar bezeugte, wie sehr die Freude über den errungenen Sieg mit weniger angenehmen Gefühlen gemischt war.
Glücklich, ihn überhaupt am Leben zu wissen, fragte Jan weiter: »Wo bist du verwundet?«
»Ich weiß es nicht,« klang es kläglich zurück. »Der Kopf tut mir so weh, und das rechte Bein blutet.«
»Dann werde ich dich zunächst verbinden. Frage diesen Mann, ob reine Wäsche hier an Bord ist.«
Li San tat, wie ihm geheißen; doch es erfolgte keine Antwort. Da fuhr Jan den Widerspenstigen malaiisch an.
Das wirkte. Vielleicht löste auch der Anblick der bedrohlich nahen Mündung des Revolverlaufes dem Chinesen die Zunge. Jedenfalls antwortete er diesmal mit einem vernehmlichen Ja.
»Steh auf und geh voran; vergiß aber nicht, daß dir bei der ersten verdächtigen Bewegung eine Kugel in den Leib fahren wird.«
Der Chinese tat, wie ihm geheißen wurde. Sein Überwinder blieb ihm unmittelbar auf den Fersen.
Um sich nicht der Gefahr auszusetzen, im dunkeln Schiffsinnern von den zu jeder Verzweiflungstat fähigen Menschen angefallen zu werden, ließ ihn Jan vor dem Betreten der Treppe die noch am Boden liegende Laterne anstecken und nahm sie selbst in die freie Hand.
Der Chinese machte große Augen und blieb unwillkürlich stehen, als er unten seine Kameraden in so hilfloser Lage erblickte. Der unsanft Hinabbeförderte saß noch ganz benommen am Boden.
Jan behielt auch ihn scharf im Auge, doch schien dieser Mann vorläufig keinen anderen Wunsch zu haben, als ganz unbeachtet zu bleiben.
Nachdem die zu einem Verband geeigneten Stoffe gefunden waren, ging es in gleicher Weise wieder nach oben, wo ihnen Li Sans Wimmern schon entgegenklang.
Es war keine Kleinigkeit für den Ingenieur, sich des Verwundeten anzunehmen und zugleich den Todfeind im Auge zu behalten. Da er ihn nicht fesseln konnte, ohne die Waffe aus der Hand zu legen, was natürlich nicht anging, befahl er dem anscheinend ganz willenlos Gewordenen sich mit auseinandergespreizten Gliedern auf das Verdeck zu legen. Hierauf beschwerte er dessen Arme und Beine mit in der Nähe umherliegendem dicken Tauwerk, so daß es ihm jedenfalls nicht möglich war, unversehens aufzuspringen.
Die Wunden sahen gefährlich aus, doch stellte Jan mit Befriedigung fest, daß die Kugeln nicht stecken geblieben waren. Eine hatte den Kopf gestreift und anscheinend die schnell vorübergegangene Betäubung verursacht, die andere den Oberschenkel durchbohrt, ohne indessen den Knochen zu verletzen. Infolge der starken Blutungen war der bereits durch die grausame Gefangenschaft mitgenommene Körper weiter geschwächt worden. Als es dem unerfahrenen Heilgehilfen mit nicht geringer Mühe gelungen war, die Wunden zu verbinden, schien sich der treue Chinese rasch zu erholen. Während Jan bei ihm an Deck sitzen blieb, begann er zu plaudern und dabei seiner Freude Ausdruck zu geben.
»Herr, dir verdanke ich mein Leben,« waren seine ersten Worte.
Doch das ließ Jan nicht gelten.
»Sieh,« sagte er und blickte nach Osten, wo ein heller Streifen am Horizont den nahen Sonnenaufgang verkündete, »es wird Tag. Und was sollte mit Tagesanbruch geschehen? Wäre dir nicht gelungen, die Fesseln abzustreifen, lägen wir vielleicht schon im Meere. Nein, mein Freund, mit vereinten Kräften haben wir uns bis hierher durchgeholfen, und mit vereinten Kräften soll es uns auch hoffentlich gelingen, den Rest des Abenteuers glücklich zu bestehen.«
Li San schwieg eine Weile, dann sagte er ernst: »Herr, kannst du eine Prau führen?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Wie sollen wir Pinang erreichen?«
Bei der beständigen Sorge um das Nächstliegende hatte der Ingenieur noch nicht daran gedacht; aber nach kurzem Überlegen antwortete er in zuversichtlichem Ton: »Wenn du dich wohl genug fühlst, müssen wir versuchen, die Prau in den Wind zu drehen. Bei dieser schwachen Brise wird auch ein falsches Manöver sie nicht gleich zum Kentern bringen. Die ungefähre Richtung zeigt uns die Sonne. In der Nähe der Küste finden wir zweifellos ein Fahrzeug, das uns einen oder zwei kundige Seeleute abgibt oder uns in den Hafen schleppt. Dort mögen die Gerichte über unsere Gefangenen urteilen. Einen hat ja bereits sein Schicksal ereilt. Ich nehme an, daß auch die anderen nicht lange leben werden.«
Dieser Ansicht stimmte Li San lebhaft zu; aber der Plan, die ganze gefährliche Gesellschaft an Bord zu behalten, gefiel ihm nicht. Nach seiner Überzeugung hatten alle ihr Leben verwirkt, und er hielt daher an seinem alten Plan fest, mit dem Toten mindestens die vier Gefesselten über Bord zu werfen.
»Der eine kann uns nicht gefährlich werden; der mag bei der Bedienung des Segels helfen,« fügte er gnädig hinzu.
Aber der Europäer wollte von einem so vereinfachten Verfahren nichts hören. Sprach auch der Schein dagegen, konnte sich doch ein Unschuldiger unter der Mannschaft befinden. Sein Gerechtigkeitsgefühl empörte sich gegen die Vorstellung, ein wenn auch wahrscheinlich nicht wertvolles Menschenleben auf den bloßen Verdacht hin zu vernichten.
Die Erörterung dieser Frage wurde durch eine besorgniserregende Wahrnehmung jäh unterbrochen. Der fahle Schein im Osten ging diesmal nicht in das wundervolle Farbenspiel über, das einen Sonnenaufgang in den Tropen zu begleiten pflegt. Graue Massen ballten sich am Himmel, die auffallend schnell ihre Gestalt veränderten.
»Ich glaube, wir bekommen schlechtes Wetter,« sagte Jan und sprang auf die Füße, um besser beobachten zu können.
Li San, dessen Gesicht der entgegengesetzten Richtung zugewendet gewesen war, drehte mit Mühe den Kopf.
Im grauen Morgenlicht beobachtete Jan, wie plötzlich ein furchtbarer Schreck den Ausdruck seines Gesichts veränderte.
»Schnell, Herr, schnell! Bald wird der Sturm hier sein. Zwinge den Mann, das Segel niederzuholen, sonst sind wir verloren.« Sich an seinen Landsmann wendend, begann er auf diesen in seiner Muttersprache einzureden.
Höhnisches Lachen und Worte, aus denen auch Jan eine Ablehnung heraushörte, waren die einzige Antwort.
»Herr, er muß getötet oder gefesselt werden, sonst ist er in wenigen Minuten frei, denn wenn das Wetter über uns kommt, kann niemand auf ihn achten,« stieß jetzt Li San in höchster Erregung heraus. »Ich lege mich neben ihn und passe auf. Gib mir den Revolver! Du bindest seine Arme und Beine. Stricke sind ja genug da. Aber eile doch, Herr,« rief er verzweifelt, indem er auf den Gefangenen zu über das Verdeck kroch. »Du mußt ja den Mast hinaufsteigen und das Segel herunterlassen! Unten an der Wand hängt ein Beil! Kappe die Taue! Aber schnell, schnell, sonst sind wir verloren!«
Jan war schon dabei, seinen Rat zu befolgen. In größter Eile, aber so fest, daß eine Selbstbefreiung unmöglich war, wurde der Chinese gefesselt. Um ihn davor zu bewahren, von einer überkommenden See über Bord gespült zu werden, verband Jan sogar ein Ende der Leine mit einem nahen Poller.
Mit der Laterne in der Hand eilte er dann die Treppe hinab und riß das Beil von der Wand. Schon schickte er sich an, wieder hinaufzustürmen, als er die wie erstarrt nebeneinanderliegenden Chinesen erblickte, deren Augen jede seiner Bewegungen ängstlich verfolgten.
In einer Regung von Mitleid sprang er auf sie zu, um sie von den jetzt überflüssigen Mundknebeln zu befreien, hatte er doch am eigenen Leibe erfahren, wie sehr die Knebel schmerzten, wenn der Mund so lange gewaltsam aufgerissen wurde.
Aber sein Nahen wurde falsch gedeutet. In wahnsinniger Todesfurcht starrten acht Augenpaare den Mann an, der mit geschwungenem Beil auf sie zusprang.
Im Nu war ihnen der Mund befreit. Jan hatte indessen schon die halbe Höhe der Treppe erreicht, bevor der erste Laut sich hervorwagte.
Atemlos erreichte er den Mast. Ein prüfender Blick nach oben zeigte ihm seine Aufgabe. Angewiesen auf die äußerst kärglichen Hilfsmittel, hinaufzugelangen, mußte er beide Hände freihaben. Den Beilstiel in den Gürtel steckend, enterte er auf, als ob er solche Betätigung gewohnt sei, und fand auch oben unter den verschiedenen Tauen bald das richtige heraus. Von einem sicheren Hieb getroffen, sprang es knallend auseinander. Sofort begann das schwere Mattensegel niederzurauschen, bis es als unförmige Masse auf dem Verdeck liegen blieb.
Wenige Sekunden später berührten auch Jans Füße wieder den sicheren Boden, der allerdings jetzt stark zu schwanken begann. Unregelmäßige Windstöße fuhren über das Wasser und warfen die ersten Spritzer über die niedrige Bordwand.
Li San war unterdessen in einen geschützten Winkel gekrochen, wo er sich festhalten konnte.
»Wie fühlst du dich?« fragte Jan, zu ihm tretend.
Der Chinese blickte mit ruhigem Lächeln zu ihm auf.
»Gut, Herr, wenn du meine Wunden meinst; der Kopf ist jetzt wieder ganz frei. Aber schlecht, Herr, wenn ich an das Wetter denke. Es scheint uns bestimmt zu sein, im Wasser zu sterben.«
»Glaubst du, daß es so schlimm wird?«
Ein heulender Windstoß, der das Schiff auf die Seite warf und den Ingenieur zwang, sich gleich seinem Schicksalsgefährten mit aller Kraft an ein befestigtes Tauende anzuklammern, gab die Antwort. Er bildete die Einleitung zu einem wütenden Toben von Sturm und Meer, das jedes menschliche Wort verschlungen hätte. Immer höher gingen die grauen Wogen; immer unheimlicher klang das Ächzen des steuerlos treibenden hölzernen Fahrzeugs.
»Herr, wir sind verloren,« schienen Li Sans Augen zu sagen, wenn sich ihre Blicke begegneten.
Jetzt konnte auch Jan nicht mehr daran zweifeln. Soweit der sprühende Gischt die Sicht überhaupt freigab, war kein Schiff zu sehen, von dem Rettung zu erhoffen gewesen wäre.
Unablässig rollten gewaltige Wellenberge heran, furchterregend anzuschauen. Sie schienen das schwache Menschenwerk unter sich begraben zu wollen. Doch noch jedesmal wurde es, wenn auch unter stärkstem Schwanken, wieder emporgetragen, so daß in Jans Brust die Hoffnung zu keimen begann, daß dieses Abenteuer noch einen guten Ausgang nehmen könne.
Da plötzlich – ein furchtbarer Krach! Der Mast war gebrochen und stürzte über Bord, Tauwerk aller Art mit sich reißend. Unmittelbar darauf fuhr eine Sturzsee brüllend daher. Jan fühlte sich von einer unwiderstehlichen Gewalt emporgehoben, seines festen Haltes beraubt und in rasender Geschwindigkeit davongetragen. Im nächsten Augenblick schlugen schaumgekrönte Wogen über ihm zusammen.