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Der große Plan

Was gibt es?« fragte Li Fu, ohne sich umzuwenden. Er hatte den fast lautlosen Schritt seines Dieners wohl gehört, ihn jedoch unbeachtet gelassen, bis er mit der Durchsicht des mit chinesischen Schriftzeichen bedeckten Blattes zu Ende gekommen war.

»Mister Haydock.«

Das eben noch mißmutige Gesicht des in ein blauseidenes Gewand gekleideten Mannes zeigte plötzlich einen Ausdruck höchster Spannung. Als ob er sich von allem befreien wollte, was seinen Geist bis jetzt beschäftigt hatte, schob er mit dem Befehl: »Laß ihn hereinkommen!« die auf seinem Schreibtisch liegenden Papiere hastig zurück, und als der Diener fast die Tür erreicht hatte, rief er ihm mit einem Lächeln, in dem sich eine Mischung von Überlegenheit und Verachtung spiegelte, noch nach: »Whisky und Soda! Ohne das geht es ja nicht bei einem seiner Rasse.« Aber diese letzten Worte murmelte er nur leise vor sich hin, als der Diener sich bereits außer Hörweite befand.

Die Ausstattung des großen, luftigen Raumes, der reichgeschnitzte, mit Silbereinlagen verzierte Schreibtisch und die zu ihm passenden Sessel aus Ebenholz zeugten von der Kunstfertigkeit chinesischer Handwerker. Ebenso ließen kostbare Schmuckstücke und Gefäße erkennen, daß in diesem Hause nicht gespart zu werden brauchte.

Li Fu behielt mit lauernden Blicken die Tür im Auge. Seine rechte Hand, deren mehrere Zentimeter weit vorstehende Fingernägel bewiesen, daß körperliche Arbeit ihr fremd war, strich dabei ungeduldig über das glattrasierte Gesicht. Als er aber im Halbdunkel des Hintergrundes eine weißgekleidete Gestalt erscheinen sah, beugte er sich rasch wieder über seine Papiere, als ob er ganz in seine Arbeit vertieft sei. Erst als der Besucher durch ein nicht gerade freundliches »Morning, Sir!« seine Anwesenheit kundgab, hob er wie überrascht den Kopf.

»Ah, Mister Haydock! Setzen Sie sich! Ich hoffe, Sie bringen gute Nachrichten.«

Der Engländer, ein ungefähr vierzigjähriger Mann, in dessen hageres, sonnverbranntes Gesicht ein wechselvolles Leben tiefe Furchen eingegraben hatte, zwang seine schmalen Lippen zu einem Lächeln. Die gönnerhafte Art dieses Chinesen, der es nicht für nötig gehalten hatte, sich bei der Begrüßung von seinem Platz zu erheben, ärgerte ihn jedesmal aufs neue. Nur zu sehr war er sich indessen des bitter empfundenen Zwanges bewußt, diesem Manne gegenüber seine eigenen Gefühle verleugnen zu müssen, doch trieb ihn ein Rest von Selbstachtung gelegentlich zu dem Versuch, wenigstens in seinem Auftreten die Überlegenheit des Europäers zur Geltung zu bringen.

»Ja, ich habe gute Nachrichten,« begann er, indem er sich zurücklehnte und die Beine übereinanderschlug. »Wir können ziemlich sicher sein, Zinn zu finden. Wochenlang Waschproben machen – kein Vergnügen bei der Hitze! Besonders eine Stelle, die ich gefunden habe, verspricht reiche Ausbeute. Ich darf wohl annehmen, daß Sie sich diesmal bei einem guten Geschäft, das ich Ihnen verschaffe, dankbarer zeigen werden als das letzte Mal.«

»Daß Sie Zinn gefunden haben, höre ich gern,« antwortete der Chinese, ohne die letzten eindringlich betonten Worte zu beachten. »Nun hängt alles weitere davon ab, ob es mir trotz allem noch gelingt, mit dem dickköpfigen kleinen Sultan ins reine zu kommen.«

»Sie wissen, daß er mit einem Chinesen nichts mehr zu tun haben will,« erwiderte der Engländer. Er verzog dabei keine Miene, doch ein kurzes Aufblitzen seiner Augen verriet, wie es ihn freute, seinem Gegenüber diesen Hieb versetzen zu können.

»Das weiß ich,« erwiderte Li Fu in gleichmütigem Ton. »Sie werden mir daher als Strohmann dienen. Haben Sie die Konzessionen in der Tasche, so lassen wir sie vor einem Notar auf meinen Namen übertragen; das ist sehr einfach.«

»Wenn ich mich dazu hergebe,« fuhr Haydock auf.

Der Chinese lächelte überlegen.

»Wozu dieses Spiel zwischen uns beiden, Mister Haydock?« begann er gemächlich, indem er dem drohenden Blick des Europäers auswich. »Sie wissen doch selbst am besten, daß Sie mir auch bei diesem Geschäft helfen werden – zu Ihrem eigenen Vorteil! Ihr Engländer seid stolze Herren, und ich weiß wohl, es gefällt Ihnen nicht sehr, als – sagen wir – Bevollmächtigter eines Chinesen zu wirken. Aber ich habe Ihnen ja schon oft gesagt: wollen Sie nicht mehr für mich arbeiten …«

»Genug! Sie wissen, daß mir keine Wahl bleibt,« unterbrach Haydock scharf. »Aber es ist nicht nötig, daß Sie Worte sprechen, die mich verletzen. Als ich mein eigenes Geschäft besaß, waren Sie noch Besitzer einer übelberüchtigten Spiel- und Opiumkneipe, und es ist ja nicht unbekannt, wie Sie zu Ihrem Reichtum gekommen sind.«

»Durch meine kaufmännischen Fähigkeiten,« versetzte der Chinese, ohne sich durch die gehörten Worte auch nur im geringsten aus seiner Ruhe bringen zu lassen. Verschmitzt lächelnd fuhr er fort: »Anderseits glaube ich zu wissen, warum die Firma Haydock und Co. eines Tages von der Bildfläche verschwand. Zu Spekulationen gehören gewisse Fähigkeiten, die Sie offenbar nicht besitzen oder richtiger nicht besaßen, denn ich darf sagen, daß Sie als mein Gehilfe schon etwas gelernt haben. Und eine besondere Kunst ist es, daß man bei manchen Geschäften nicht mit den Gerichten zu tun bekommt. Auch das haben Sie nicht verstanden.«

Den Engländer schien etwas in der Kehle zu würgen.

»Lassen Sie das,« sagte er dumpf. Da er zu Boden blickte, entging ihm das triumphierende Lächeln des anderen.

»Ihre Empfindlichkeit hat unserer Unterhaltung eine unerfreuliche Wendung gegeben,« fuhr Li Fu fort. »Ich weiß sehr wohl: wenn Sie nicht von allen Ihren Landsleuten gemieden würden und in Pinang noch irgend jemand lebte, der Mister Jack Haydock Geld liehe, würden Sie nicht für einen Chinesen, den ehemaligen Besitzer einer übelberüchtigten Spiel- und Opiumkneipe – so sagten Sie doch? – Geschäfte machen. Und Sie, Sie wollen mir vorwerfen, auf welche Weise ich reich geworden bin? Die Zinnmine ist nach Gesetz und Recht mein Eigentum. Der frühere Besitzer war ein schlechter Spieler, der gegen mich verlor.«

»Wie alle, die im Hause ›Zu den fünf Glückseligkeiten‹ ihre Leidenschaft befriedigten. Wenn es darauf ankam, einen großen Schlag zu führen, hatte Li Fu immer Glück. Manche sprachen allerdings von Ihrer großen Fingerfertigkeit; aber das waren natürlich Verleumder.«

Der Chinese ließ sich auch durch diesen Ausfall nicht reizen.

»Es ist so, wie Sie sagen,« erwiderte er in anscheinend bester Laune. »Jeder versucht auf seine Art, zu Vermögen zu kommen. Als Ihnen der Boden hier zu heiß wurde, sind Sie als Prospektor in den Urwald gegangen und haben wie ein Kuli eigenhändig den Boden ausgewaschen, immer in der Hoffnung, eine gute Stelle zu entdecken. Ich habe mir nie die Finger damit schmutzig gemacht. Nein, Mister Haydock, regen Sie sich nicht auf! Ich will Sie nicht länger mit Vergleichen ärgern. Warum sagen wir uns überhaupt wieder so unfreundliche Worte? Beim Geldverdienen haben wir uns doch gegenseitig nichts vorzuwerfen. Sie haben Unglück gehabt, als Sie die Gesetze nicht beachteten – das ärgert Sie – aber es sollte doch kein Grund sein, mir, der Ihnen zu verdienen gibt, Vorwürfe zu machen.«

Beim Anblick dieses verschmitzten Chinesen, der jetzt sogar mit sanfter Stimme die Rolle der gekränkten Unschuld zu spielen versuchte, entfuhr dem Agenten ein höhnisches Lachen. Diese Unterhaltung fortzusetzen hatte aber auch er keine Lust; ja, er ärgerte sich im stillen, daß er diesem Mann, von dessen Gnade zurzeit seine Daseinsmöglichkeit abhing, Gelegenheit gegeben hatte, so zu reden. Was hatte er ihm überhaupt vorzuwerfen? War er nicht selbst so weit, daß er jede, ja jede Möglichkeit, Reichtum zu erwerben, unbesehen ergriffen hätte? Die Wahrheit war: er neidete dem anderen seine Erfolge.

Es entstand eine bedrückende Pause, bis der eintretende Diener eine Ablenkung brachte. Er stellte das silberne Tablett mit Flaschen und Gläsern auf den Tisch und entfernte sich auf seinen Filzsohlen so lautlos, wie er gekommen war.

»Trinken Sie, Sir! Das wird Ihnen gut tun. Ein heißer Tag heute. Ich wäre auch lieber draußen in meinem Bungalow als hier mitten im heißen Pinang. Aber die Geschäfte, die Geschäfte! Die Mine macht sehr viel Arbeit.«

»Denjenigen, die sich in der Urwaldwildnis für dich abrackern müssen und täglich Leben und Gesundheit aufs Spiel setzen, während du bequem hier sitzt und Reichtum sammelst,« ergänzte Haydock im stillen; laut antwortete er: »Trotzdem denken Sie daran, neue Betriebe zu eröffnen?«

Li Fu zuckte die Achseln.

»Soll ich zusehen, wie dicht bei meiner Grenze ein anderer eine womöglich noch reichere Zinnmine ausbeutet? Erteilte der Sultan einem anderen die Konzession, würde ich mich ärgern. Bekanntlich kann man bei solchen Unternehmungen viel Geld verlieren oder gewinnen. Das Glückspiel lockt mich. Also wann fahren Sie hinüber nach Deli? Ich denke übermorgen mit der ›Malaya‹. Wir brauchen ja nichts weiter zu besprechen. Wenn Sie den Sultan klug bearbeiten, wird er schon nachgeben. Sie wissen, wieviel Sie ihm bieten dürfen; das wird genügen. Noch ein Glas, bitte?«

Haydock schenkte sich ein, Sodawasser und nicht zu wenig von dem starken Stoff, dem er mehr zuzusprechen pflegte, als seiner Gesundheit zuträglich war. Nur der Form halber tat ihm der Chinese mit Wasser Bescheid.

Als der Engländer nach einem langen Zug das Glas wieder absetzte, gab er sich einen Ruck und fragte entschlossen: »Wie hoch wird sich mein Anteil belaufen?«

»Oh, ich habe ganz vergessen,« rief Li Fu und griff sich an die Stirn. »Sie brauchen natürlich Geld.«

Er sprang auf, eilte mit trippelnden Schritten ins Nebenzimmer und kam nach kurzer Zeit mit Geldscheinen in der Hand zurück.

»Hier sind tausend Dollar! Wir rechnen später ab.«

»Und mein Anteil?« wiederholte Haydock um einen Grad weniger dringlich als vorher, während er das Geld einsteckte.

»Darüber werden wir uns einigen, wenn Sie erst die Konzession haben,« kam es mit einer abwehrenden Handbewegung so unwirsch zurück, daß der Agent es für besser hielt, diesen wichtigen Punkt einstweilen unerörtert zu lassen.

Er stand auf, ergriff die Hand, die ihm der Chinese halb widerstrebend zum Abschied reichte, und verließ, von der Tür an vom Diener begleitet, das Haus.

Auf der blendendhellen Straße bot ein mit seinem Wägelchen vorbeispringender Rikschakuli seine Dienste an. Mit düsterer Miene bestieg Haydock das kleine Gefährt, dessen zweibeiniger Motor unverzüglich davontrabte.

Die meisten Europäer, die ihm bei seiner Fahrt durch die Stadt begegneten, waren ihm dem Namen nach oder persönlich bekannt. Doch blickte er immer starr geradeaus, als ob er sie nicht sähe. Seitdem er die bittere Erfahrung machen mußte, daß sein Gruß von den ehemaligen Bekannten einfach nicht erwidert wurde, zog er vor, sich nicht noch einmal einer solchen Demütigung auszusetzen.

In seinem bescheidenen Heim angekommen, begann Haydock sogleich, sich für die Reise zu rüsten. Jenseits der Malakkastraße, wo ihn niemand kannte, wollte er selbstverständlich als großer Herr auftreten, besonders dem Sultan gegenüber, der den Ruf eines tüchtigen Geschäftsmannes besaß. Der für die Audienz erforderliche Gesellschaftsanzug war glücklicherweise noch aus besseren Tagen vorhanden; aber mindestens drei neue weiße Anzüge mußten noch angeschafft werden, und auch der Korkhelm genügte nicht für diese besondere Gelegenheit. Er mußte als vermögender Mann auftreten, wollte er etwas erreichen. Bereits am Nachmittag fuhr er wieder in die Stadt, um die Einkäufe zu machen und auf dem kleinen Küstendampfer einen Platz zu belegen.


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