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Leidensgenossen

Als Jan Hollebeek erwachend die Augen aufschlug, dauerte es noch lange, ehe sich seine Gedanken ganz allmählich zu klären begannen. Nur zu bald brachten ihn aber seine Umgebung und nicht zum wenigsten körperliche Schmerzen zum Bewußtsein, daß nicht wüste Traumbilder ihn gequält hatten, sondern daß alles, was jetzt wieder in allen Einzelheiten deutlich vor ihm stand, furchtbare Wirklichkeit war.

Ein von oben einfallender Lichtstrahl war nicht stark genug, die im Raum herrschende Finsternis zu erhellen, zeigte aber wenigstens an, daß die Sonne am Himmel stand.

Vergebens versuchte Jan, seine Lage zu ändern. Sein Rücken schmerzte vom Liegen auf dem harten Boden; Arme und Beine waren zur Bewegungslosigkeit verurteilt durch Stricke, die an den Gelenken ins Fleisch einschnitten und den Blutumlauf beeinträchtigten. Ein Knebel verschloß ihm den Mund.

Krampfhaft bemühte er sich, die Ereignisse des vergangenen Abends aneinanderzureihen und durch Nachdenken zu ergründen, was ihm rätselhaft war. Eines schien klar: Ah Ling, der Verräter, hatte schon lange sein Verderben geplant, und jedenfalls war auch Wong Tsau, der Vorarbeiter, in diese Pläne eingeweiht gewesen. Eine Expedition auszurüsten kostet Geld; also durften die feigen Räuber gute Beute erwarten. Aber warum hatten sie so lange gezögert, bis der größte Teil durch die Anschaffungen ausgegeben war? Und welche Rolle spielte der dicke Chinese, bei dessen Erscheinen das betäubende Gift zu wirken begann? Das waren Fragen, auf die auch das verzweifeltste Grübeln keine befriedigende Antwort geben konnte.

Vor allem aber quälte ihn der Gedanke an das Schicksal, das ihm bevorstand. Was mochte die Schlitzaugen veranlaßt haben, ihr Opfer noch leben zu lassen, statt es gleich für immer stumm zu machen? Wollten sie die blutige Tat einem anderen überlassen oder … ein Kälteschauer rieselte ihm den Rücken herab … gab man ihn einem qualvollen Hungertode preis? Alles, was er über die Grausamkeit der Chinesen gehört und gelesen hatte, trat ihm mit schrecklicher Deutlichkeit vor die Seele.

Und plötzlich kam ihm zum Bewußtsein, daß auch Arnold Hemskerk in Todesgefahr schwebte! Um jede Spur des Verbrechens zu verwischen, blieb ja den Beteiligten gar nichts anderes übrig, als auch den erwarteten Reisegefährten aus dem Wege zu räumen, bevor dieser Verdacht schöpfen und Lärm schlagen konnte. Der Geheimbund besaß offenbar viele Anhänger in den verschiedensten Volksschichten und brachte es sicher fertig, auch Arnold in eine Falle zu locken. Dann waren sie beide für ihre Angehörigen spurlos verschwunden. Blieben alle Nachforschungen vergeblich, dann würde es heißen, die beiden Ingenieure seien den Gefahren des Urwalds zum Opfer gefallen. Bei dem Gedanken an den Schmerz seiner Mutter krampfte sich Jan das Herz zusammen, und ein röchelnder Klagelaut entrang sich seiner Brust.

Was war das? Er hob den Kopf und lauschte mit angehaltenem Atem in das Dunkel hinein. Welch sonderbares Echo hatten die Wände zurückgegeben? War es nicht, als ob eine andere menschliche Stimme sich zu antworten bemühte?

Noch einmal stieß er einen Laut aus, diesmal bewußt und stärker, soweit es der lästige Knebel erlaubte.

Sofort kam die Antwort. Kein Zweifel! Nur wenige Schritte entfernt lag jemand, der in gleicher Weise der Sprache beraubt war. Welchem Volk er angehörte, ließ der langgezogene Klagelaut nicht erkennen.

Alle Gedanken richteten sich auf den Leidensgenossen. Die Nähe eines anderen menschlichen Wesens tat Jan wohl, wenn er sich auch ganz klar darüber war, daß die im ersten Augenblick der Entdeckung entstandene Hoffnung, zu zweit eher das drohende Schicksal überwinden zu können, unerfüllt bleiben werde.

Aber sehr bald wurde sein Sinnen aufs neue abgelenkt. Schritte näherten sich. Ein Schloß wurde geöffnet, und gleich darauf blendete der helle Lichtschein einer Laterne seine Augen, die sich dem Geräusch zugewandt hatten.

Das Gesicht des Eintretenden kam Jan bekannt vor. Richtig, dies war der Diener, der den Tee und die Zigaretten gereicht hatte! Zu spät durchschaute Jan jetzt, daß dessen scheinbarer Ungeschicklichkeit ein abgekartetes Spiel zugrunde lag. Jedenfalls enthielten die auf dem Teller angebotenen Zigaretten alle das betäubende Gift. Kein Wunder, daß die andern auf diese Sorte verzichtet hatten!

Während Jan dies alles blitzschnell durch den Kopf schoß, war der Chinese zu ihm herangetreten.

»Tschau, Tschau,« sagte er mit boshaftem Grinsen und stellte einen mit Reis gefüllten Napf unmittelbar neben Jans Kopf auf den Boden. Ebenso machte er es bei dem andern Gefangenen.

Ohne auf das Essen zu achten, richtete der junge Holländer seine Augen auf den nun erkennbaren Leidensgefährten. Es war ein noch junger Chinese, in gleicher Weise wie er selbst gefesselt und am Sprechen gehindert.

Die Knebel wurden nun entfernt, die Fesseln der Hände aber nicht gelockert.

»Wer ungeschickt ist und den Napf umwirft, muß vom Boden essen,« höhnte der Wärter auf Malaiisch.

Jan tat, als ob er es nicht höre; der andere Gefangene indessen schleuderte seinem Landsmann einige Worte entgegen, die der Europäer nicht verstand, deren Ton jedoch haßerfüllte Verwünschungen erkennen ließ.

»Wenn ihr euch gut betragt, sollt ihr vom Knebel befreit bleiben, bis …«

Statt weiter zu sprechen, machte der Wächter eine unbestimmte Handbewegung und wandte sich dem Ausgang zu.

»Halt,« rief Jan in einer plötzlichen Aufwallung, »sprich weiter – laß mich wissen, was ihr mit uns vorhabt. Wird man uns töten?«

»Glaubst du, wir ließen jemand frei, der nichts Eiligeres zu tun haben würde, als uns zu verraten?« kam es in verächtlichem Ton zurück.

»Wie lange müssen wir hier liegen? Wird heute noch ein Ende gemacht?« fragte Jan weiter.

Der Chinese hatte jetzt die Tür erreicht; halb den Kopf wendend, sprach er zurück: »Ich werde noch ein paarmal Tschau-Tschau bringen, bevor man euch wegschafft. Unterhaltet euch gut in der Zwischenzeit! Li San kann dabei verraten, so viel er Lust hat. Bald wird auch seine flinke Zunge für immer stillstehen.«

Mit einem häßlichen Lachen zog er die Tür hinter sich ins Schloß.

In dem Gefängnis herrschte minutenlang Schweigen. Die grausamen Worte schienen noch nachzuklingen. Obwohl Jan auf das Schlimmste gefaßt gewesen war, mußte er doch alle Kraft aufbieten, um das aufsteigende Weh niederzuzwingen, das seine Brust zerriß. Aber er konnte doch nicht verhindern, daß bei dem Gedanken, seine Lieben nie wiederzusehen, heiße Tränen seine Wangen netzten und manch tiefer Seufzer auch dem fremden Ohr seine Qual kündete.

Der Chinese dagegen verhielt sich mäuschenstill. War er durch längere Gefangenschaft abgestumpft, oder verursachte ihm die gewisse Aussicht, das Leben zu verlieren, weniger Kümmernis?

Nun regte er sich. Gleich darauf vernahm der Europäer Laute, die mit Sicherheit darauf schließen ließen, daß sein Leidensgenosse die Mahlzeit begonnen hatte.

»Entwürdigend,« dachte Jan, »wie ein Tier aus der Schüssel zu essen!«

Doch dabei erinnerte ihn ein Gefühl der Leere im eigenen Magen daran, daß seit seiner letzten Mahlzeit viele Stunden vergangen waren.

»Hallo!« begann er nach kurzem Überlegen.

Das Geräusch verstummte. Dafür kam es nach einer kleinen Weile in gedämpftem Ton auf Malaiisch zurück: »Herr, wünschst du mir etwas zu sagen?«

Die Erkenntnis, daß eine Verständigung möglich war, hob augenblicklich Jans Stimmung.

»Nimm dich in acht; vielleicht ist der Reis vergiftet,« mahnte er in plötzlich aufsteigendem Mißtrauen.

Der andere schien leise vor sich hinzulachen.

»Ich esse nichts anderes seit zwei Tagen, und er hat mir nicht geschadet.«

Dieser scheinbare Gleichmut angesichts des gewissen grausamen Endes war Jan unbegreiflich. Hoffte der andere doch noch vielleicht, mit dem Leben davonzukommen? Wie mochte er in diese schlimme Lage geraten sein? Was wußte er von dem Geheimbund?

Er stellte die Fragen in rascher Folge, wie sie ihm in den Sinn kamen, und gab erst dann dem anderen Gelegenheit, sie zu beantworten.

»Mich hat meine Neugier hierhergebracht,« begann der Chinese zögernd, fuhr dann aber immer geläufiger fort: »Ich hatte gemerkt, daß ein Landsmann, den ich seit längerer Zeit kannte, Geheimnisse vor mir hatte. Eines Tages gestand er mir, daß er einem geheimen Bund angehöre, und fragte mich, ob ich auch beitreten wolle. Ohne zu überlegen, sagte ich ja. Da wurde ich in dieses Haus geführt und nach verschiedenen Zeremonien in Gegenwart vieler Landsleute feierlich aufgenommen. Bis dahin hatte mich nur das Geheimnis gelockt; von den Zwecken war noch nicht die Rede gewesen. Bald sollte ich erfahren, in eine wie böse Gesellschaft ich unbedachterweise geraten war. Am liebsten wäre ich gleich wieder ausgetreten, aber das gab es nicht. Jeder mußte sich für sein ganzes Leben verpflichten, und wer nicht treu blieb, sollte ja mit dem Tode bestraft werden. Das klang mir noch bedrohlich in den Ohren. Ich ließ mir also nicht anmerken, wie ich über meine Genossen dachte. Da die Gesellschaft viele Mitglieder zählt, hoffte ich unbehelligt zu bleiben, wenn ich mich untätig verhielt. Mein Bekannter, der mich eingeführt hatte, wurde mir jedoch zum Verhängnis. Er stellte mich zur Rede, sagte, ich sei zu feige, an einem kühnen Streich, wie er es nannte, teilzunehmen, und verließ mich mit der Versicherung, er wolle dafür sorgen, daß dies anders werde. Das war in drohendem Ton gesprochen, aber ich achtete nicht darauf, weil ich meinem Kameraden keine feindliche Handlungsweise gegen mich zutraute. Bald sollte ich indessen erfahren, wie sehr ich mich geirrt hatte.

»Es war geplant,« fuhr der Chinese in seinem Bericht fort, »zwei holländische Ingenieure zu berauben und auf irgend eine Weise verschwinden zu lassen. Bei einer Fahrt im Gebiet des Mudaflusses, wo die beiden Zinn suchen wollten, sollte es geschehen. Alles war vorbereitet. Mitglieder unserer Gesellschaft hatten sich von den ahnungslosen Europäern als Begleiter anwerben lassen – entschlossene Burschen, von denen mehr als einer schon ein Menschenleben auf seinem Gewissen hat. Da hieß es plötzlich, ich solle einen von ihnen, der krank geworden war, ersetzen. Mein Bekannter lachte mir höhnisch zu. Da wußte ich, wem ich das zu verdanken hatte. ›Warum antwortest du nicht?‹ herrschte mich Li Fu an, der das Wort führte. Er selbst schien diese Gelegenheit ausfindig gemacht zu haben, denn er kümmerte sich um alle Einzelheiten. Ich versuchte einer bestimmten Antwort auszuweichen, denn im Innern war ich fest entschlossen, an dem geplanten Verbrechen nicht teilzunehmen. Ich sah, wie ihm die Zornesader auf der Stirne schwoll, erinnerte mich auch deutlich, daß ich bei der Aufnahme blinden Gehorsam gelobt hatte. Aber ich spürte in diesem Augenblick keine Furcht, und als man mich drängte und schließlich von allen Seiten bedrohte, erklärte ich trotzig, daß ich mit einer Bande von Räubern und Mördern nichts mehr zu tun haben wolle. Herr, du hättest sehen sollen, wie dieses unbedachte Wort wirkte! Wutverzerrte Gesichter schrien mir tausend Schmähungen entgegen; als aber der mir am nächsten Stehende die Frechheit besaß, mich anzuspeien, schmetterte ihn mein Faustschlag auf der Stelle zu Boden. Im nächsten Augenblick fühlte ich mich von allen Seiten gepackt und wehrlos gemacht. ›Verräter!‹ schrie mein Bekannter und versetzte mir den ersten Schlag. Sein Beispiel wirkte so ansteckend, daß ich die Besinnung verlor und erst in diesem Raum gefesselt wieder erwachte. Ich wünschte, sie hätten mich damals gleich totgeschlagen,« fügte er mit kaum merklicher Erregung hinzu.

»Also wird man uns töten?«

»Das ist gewiß.«

»Und auf welche Art?«

»Es gibt verschiedene Verfahren. Eines ist so wirkungsvoll wie das andere. Warum man noch wartet, weiß ich nicht.«

Er schwieg, und gleich darauf hörte der verblüffte Holländer, wie er sich anscheinend mit bestem Appetit der durch die Erzählung unterbrochenen Mahlzeit wieder zuwandte.

»Herr, dein Reis wird kalt,« klang es mahnend zwischen den Eßgeräuschen, und wirklich brachte es Jan nach anfänglichem Widerstreben über sich, seinem Beispiel zu folgen.

Nach einer kurzen Unterbrechung nahm er das Gespräch wieder auf.

»Weißt du auch, daß ich die Ursache deines Unglücks bin? Wenn du bereit gewesen wärest, mich zu töten, ginge es dir jetzt besser.«

»Du bist also der holländische Ingenieur?« kam es erstaunt zurück. »Aber es sollten doch zwei sein. Ist dein Begleiter unbehelligt geblieben?«

»Er war noch nicht in Pinang; aber sicher droht ihm die gleiche Gefahr. Was wird er tun, wenn er mich nicht vorfindet? Die Polizei benachrichtigen? Aber die Verschwörer werden auch das bedacht haben. Gelingt es ihnen, seinen etwa aufsteigenden Argwohn zu verscheuchen und ihn unter irgend einem Vorwande in die Wildnis zu locken, ist auch er verloren. Armer Arnold, wie mußt du büßen, daß du mir gefolgt bist!«

Die letzten Sätze hatte er auf Holländisch im Selbstgespräch leise vor sich hingemurmelt. In düsteres Sinnen versunken, entfloh er wieder im Geist der trüben Umwelt, bis der Chinese aufs neue das Wort nahm.

»Es ist unmöglich, aus diesem Raum zu entfliehen; das weiß ich. Aber wenn man uns lebend von hier fortbrächte, ließe es sich vielleicht noch machen.«

In jäh erwachendem Lebensdrang fragte Jan begierig, worauf sich diese Hoffnung gründe.

»Seit gestern abend bin ich sicher, daß es mich nur noch geringe Mühe kosten wird, meine Handfesseln abzustreifen. Tag und Nacht habe ich mich damit abgequält. Nun darf ich die Verschnürung nicht weiter lockern, damit man nichts merkt. In meiner Tasche spüre ich ein kleines Messer, das man mir gelassen hat. In kürzester Zeit könnte ich damit unsere Fesseln durchschneiden. Als ich allein war, habe ich daran gedacht, mir die Pulsadern zu öffnen, um ein Ende zu machen; aber dazu ist ja noch immer Zeit.«

Er sagte das ganz ruhig. Sein Leidensgenosse hatte mit wachsender Spannung zugehört. Mochte ihm auch die Vernunft sagen, daß aus dieser verzweifelten Lage keine Rettung möglich sei: die Worte des Chinesen ließen ein Hoffnungsfünkchen aufglimmen, und das erfüllte ihn schnell mit neuem Lebensmut.

Ungeduldiger als zuvor sehnte er nun die Entscheidung über sein Schicksal herbei. Aber Tag auf Tag verging, ohne sie zu bringen. Regelmäßig erschien der Wächter mit Nahrungsmitteln, die gerade ausreichten, die Gefangenen vor dem Verhungern zu bewahren.

Auf ihre Bitten hatte er sich sogar herbeigelassen, jedem mit Strohmatten ein Lager zu bereiten. Aber mit grausamem Lächeln lehnte er nach wie vor jede Auskunft darüber ab, was man mit ihnen vorhabe. Eine Bemerkung ließ indessen erkennen, daß man eine bestimmte Gelegenheit erwarte, um sie fortzuschaffen.

Vermutungen und Pläne gaben danach natürlich Stoff zu langen Gesprächen. So wurden Jan Hollebeek und Li San durch das eine gemeinsame Interesse miteinander vertraut wie alte Kameraden.

Eine Woche war vergangen, als der Wärter eines Tages beim Mittagessen wie beiläufig sagte: »Der Schiffer ist angekommen – später, als wir dachten. Heute abend nimmt er euch mit; dann brauche ich nicht mehr den Diener zu spielen.«

Diese Eröffnung versetzte Jan in eine leicht begreifliche Erregung.

»Man befördert uns zu Schiff – wohin und zu welchem Zweck?« fragte er sich unablässig; schließlich stand bei ihm fest, daß man sie an ein einsames Gestade, wo es keine Zeugen gab, bringen und dort töten wolle.

»Das Meer ist tief, und die Fische sind stumm,« erwiderte Li San, als er diesem gegenüber seine Vermutung aussprach.

»Du denkst, man werde uns schon unterwegs …?«

»Ich denke nichts mehr,« gab der Chinese auf die unvollendete Frage zur Antwort. »Nur eines weiß ich: auf eine gute Gelegenheit, uns zu retten, dürfen wir nicht warten! Mit jeder, die auch nur die geringste Aussicht bietet, müssen wir zufrieden sein.«

Dem stimmte sein Schicksalsgenosse ohne Vorbehalt bei. Dann folgte wieder stundenlanges Schweigen, in dem jeder den eigenen Gedanken nachhing.

Ihre Geduld wurde noch hart auf die Probe gestellt. Bei der Abendmahlzeit verlor der Wärter kein Wort; weitere Stunden vergingen, ohne daß etwas geschah. An Schlaf war natürlich trotzdem nicht zu denken.

Mitternacht mußte schon vorüber sein, als sich endlich die Tür öffnete. Schwaches Laternenlicht ließ fünf Gestalten erkennen, die nacheinander eintraten. Je zwei trugen eine lange, starke Bambusstange, an der eine Art Hängematte befestigt war. Der fünfte mit der Laterne gab die Befehle.

Zunächst wurden die Gefangenen rücksichtslos geknebelt, so daß sie kaum zu atmen vermochten. Jan Hollebeek schüttelte sich vor Ekel, als das schmutzige Tuchknäuel seinen Mund berührte, und unwillkürlich preßte er die Lippen zusammen. Er sah aber sofort selber ein, daß Widerstand die Qual nur verlängern würde, und ließ alles willig mit sich geschehen. Nun legte man sie in die Hängematte; die Träger nahmen die Bambusstangen über die Schulter und folgten dem Führer zum Gang hinaus.

Gespenstisch huschte der Lichtschein über Wände und Decken. Nachdem mehrere Räume durchschritten waren, machte der Führer vor einer Tür Halt und löschte das Licht. Eine Minute später umfächelte würzige, laue Nachtluft die Bedauernswerten, die acht Tage lang in einem dumpfen, unterirdischen Gefängnis von der Außenwelt abgeschnitten gewesen waren. Immer deutlicher hörte man das Plätschern der Meereswellen, die in gleichmäßigen Zwischenräumen auf den Strand rollten.

Es war dunkel; hohe Bananenbüsche säumten zu beiden Seiten den Weg. Außenstehende konnten also unmöglich erkennen, was hier vor sich ging. Ein schmaler Steg führte in das Wasser. An seinem Ende lag eines der landesüblichen Fahrzeuge, die trotz ihrer geringen Größe das offene Meer nicht zu scheuen brauchen.

Jan merkte es erst, als die Träger das sanft schaukelnde Deck betraten. Düstere Gestalten, deren Gesichter nicht zu erkennen waren, nahmen ihn in Empfang. Kräftige Hände packten ihn an den Schultern und Füßen und ließen ihn durch eine enge Luke in das Schiffsinnere hinab, wo schon andere Glieder der Besatzung bereitstanden, die stummen Fahrgäste unterzubringen. Wie leblose Ladung wurden diese nebeneinander in einen Winkel verstaut. Niemand dachte daran, sie von dem Knebel zu befreien.

Die Luke, durch die helle Sterne hereingeschimmert hatten, wurde geschlossen, und damit herrschte schwärzeste Finsternis in dem Raum. Unmittelbar darauf ließen verschiedene Geräusche erkennen, daß die Prau zur Abfahrt gerüstet wurde, knirschend und ächzend kroch das schwere Mattensegel am Mast empor. Das Schaukeln des Schiffes wurde stärker, und bald zog es unter dem leisen Rauschen und Plätschern seiner Bugwellen in guter Fahrt durch die dunkle Flut.


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