Alexander Roda Roda
Russenjagd
Alexander Roda Roda

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Bei der Wiener Landwehr.

– 8. Feber 1916.

Sonntag am trüben frostigen Morgen war Feldmesse – in demselben Wald, wo die Parade vor dem Thronfolger stattgefunden hatte. Aus der Front hörte man keinen Schuß – das Wetter war der Artilleriebeobachtung auch gar zu ungünstig.

Nach der Feldmesse fuhr der Thronfolger im Auto weg. Er hatte noch ein Gedenkblatt für die Division zurückgelassen, gezeichnet: »Erzherzog Carl, GM« – Carl mit C; der Thronfolger wahrt eine Tradition seines Hauses, indem er sich wie der Sieger von Aspern schreibt.

 
Im Standort des Kommandos.

Die langen, halb unterirdischen Baracken in der Reservestellung der Wiener Landwehr, Schurawitsche, habe ich schon geschildert. Heute war ich in der russischen Holzkirche des Dorfes, wo sich eine Kompagnie niedergelassen hat; Schwarmöfen machen den hohen Raum etwas wohnlicher.

Das Regimentskommando haust in einer Bauernhütte; ehe man sie bezog, mußte man erst die Wände tünchen, eine Diele legen, die Löcher 233 in den Fensterscheiben verkleben. Nur die Oefen taugen was in Rußland. Sie sind aber zugleich die gefährlichsten Feinde, Feuerstifter der hölzernen Dörfer – man kann nicht genug Löschgeräte und Sand bereitlegen.

Oberstleutnant Friedrich Bitterlich, Bruder des Bildhauers Professors Hans Bitterlich, veranstaltet eben in Wien eine Kunstausstellung, deren einzelne Stücke zugunsten des Regimentswaisenfonds versteigert werden sollen. Der Herr Oberstleutnant zeigt mir den Katalog; er enthält die besten Wiener Namen – auch ihn selbst.

Während ich das Büchlein noch betrachte, kommt die Feldpost; eine Karte aus Sibirien darunter – die erste Kunde von einem Hauptmann des Regiments, der während der Schlacht am San, Oktober 1914, als er in einem Bauernhäuschen schlief, von Russen umzingelt, entwaffnet und gefangen wurde. Er schreibt:

»Wir haben einen schönen Winter, viel Schnee, zwanzig bis fünfundzwanzig Grad. Es ist hier sehr angenehm – wie in Möllersdorf. Wir lernen alles mögliche.«

Möllersdorf ist bekanntlich eine Strafanstalt. »Wir lernen alles mögliche.« Was will der unglückliche Hauptmann damit andeuten?

Da treten irgendeiner Meldung wegen drei, vier Unteroffiziere in die Kanzlei ein, denen der Thronfolger gestern Tapferkeitsmedaillen angeheftet hat. Ich darf die Gelegenheit benutzen, 234 mir von ihnen Episoden aus den letzten Kämpfen erzählen zu lassen.

Korporal Prißmann, Eisengießer, hat bei Karpilowka gefochten. Er dringt stürmend in die russische Stellung ein, geradenwegs auf das Maschingewehr los. »Zwei Russen stellen sich gegen mich. I' hau mit 'm Kolben hin, meine Leut erstechen den andern. Ein russischer Offizier will grad die Gurten ins Masching'wehr stecken. I' pack ihn am Hals, er fallt auf die Erden, springt auf und will davon. Ich nach. Er hebt a Gewehr auf und druckt los – a Zugsführer neben meiner sicht des und trifft 'n Offizier. I' druck los, und er fallt tot z'samm. Darauf pack i' des Masching'wehr und schlepp's z'ruck in Wald.« Wie einfach sich das anhört! Wer's erlebt hat, träumt davon bis zum jüngsten Tag.

Der Gefreite Singer, ein Kontorist, sagt:

»Ja, Karpilowka war ein hartes Gefecht. Die Bäume und Aeste sind im Artilleriefeuer nur so geflogen. Hinter einem großen Baum, fünfzehnhundert Schritt von der Schwarmlinie, war mein Kompagniekommandant Oberleutnant Frey – und ich Gefechtsordonnanz. Die russischen Scharfschützen waren auf uns eingeschossen. Der Oberleutnant sieht einen Fähnrich, vergißt sich einen Augenblick und tritt hinter dem Baum hervor, um zu grüßen – schon liegt er da: Brustschuß. Ich hab' ihn auf den Hilfsplatz getragen. Aber meine Rüstung war vorn geblieben. Wie ich 235 zurückkomm', um sie zu holen, balgen sich grad drei Russen um einen Landstürmer, der eine große Pfeife hat. Ich greif nach dem erstbesten Rucksack – meiner hat sich im Drahtverhau verwickelt und ist nicht loszukriegen – da seh' ich wie ein Russ' auf mich anlegt. Ich werf' mich hin – und jetzt ist es grad gewesen wie in einem Duell: ich einen Schuß, er einen Schuß; mit dem dritten hab' ich ihn gestreckt. Es ist schwer, ihnen die Rucksäcke zu entreißen; sie haben es auf die Aluminiumfeldflaschen und die Konserven so abgesehen; wenn sie einen Rucksack erwischen und man kann rasch herausschlüpfen, kümmern sie sich gar nicht mehr um einen. Ich hab' einmal einem Russen alles, was im Rucksack war, hingeschmissen – da hat er sich gebückt, und ich hab' ihm den Rucksack über den Kopf gebunden.«

Infanterist Picha der Maschingewehrabteilung:

»Die Granaten haben Löcher g'rissen, daß man hätt' d'rin hundertfünfzig Mann begraben können. Wie die Granaten 'kommen is, hab' i an Purzelbaum g'macht und bin zwei, drei Täg vergraben g'legen. G'hört hab' i alles, g'seg'n hab' i nix, die Augen san mir g'schwoll'n g'wesen. Zwaa Sanitäter kommen, und der aane sagt: »Du, da steckt aaner den Plutzer außa, den muß ma besser einscharr'n. 's wird a Russ' sein.« – »Ah wo – d' Russen schleppen ihnere Leichen furt.« – I auf des schnapp und schnapp nach 236 Luft und blas' mir d' Fliagen ab, daß s' segen, daß i no leb'. D' russische Artillerie hat allerweil noch ihre Häferln g'schmissen, und d' Windflügeln von an russischen Flugzeug hab' i brummen g'hört – a Pfeil hätt' mi beinah' derglengt. Der G'freite zarrt mir 's Augenlid auf, ob i richtig no leb'. Ham s' mi einitrag'n in 'n nächsten Ort. Des Elektrisieren hat mir's damisch g'stiert; und alle Tag' hab i müssen das Abc zwaahundertmal aufsagen.«

Vielleicht am echtesten stellt den Krieg dar, was Feldwebel Kebert so leise vor sich hin erzählt:

»Wir haben schon große, sehr große Verluste gehabt, und es ist Befehl gekommen: »Derewlany ist unbedingt zu nehmen.« Ich war Kommandant von der Maschingewehrabteilung Nr. III. Stockfinstre Nacht – eine Maschine rechts, eine links – mehr hab' ich nicht gesehen. Bin immer nur vor dem Dickicht gestanden, von hundert zu hundert Schritt eingegraben. Keine Verbindung rechts und links, sehr schüttere Schwarmlinien. Ich weiß nicht, wo der Gegner ist. Man hat halt aufs Geratewohl die Fläche vorn mit den Maschinen abgestreut. Von hinten ein Ueberfall. Die Kompagnien haben keine Munition mehr. Vor Derewlany kommt plötzlich heftiges Feuer aus dem Wald – jetzt hab ich wenigstens gewußt, wo die Russen sind; hab den Wald und die Häuser von Derewlany beschossen. Ein Mann von der 237 Bedienung nach dem andern ist mir gefallen. Schließlich waren nur ich und noch drei bei den Maschinen. In der Früh kommt fürchterliches Artilleriefeuer, ein Maschingewehr wird mir durchschossen. Munition ist nicht vorzubringen. Eine Granate um die andre – man hat nicht mehr gewußt, wo aus und ein. Die Artillerie schießt mir die Gurten ab, mein Maschingewehr, das einzige, ist ganz verschmutzt und verdreckt und versandet. Man muß die Patronen aus den Gurten nehmen für die Kompagnien. Der Waffenmeister hat dann das Maschingewehr knapp hinter der Feuerlinie instand gesetzt. Schrapnell auf Schrapnell, Granate auf Granate. Nichts zu essen, nicht einmal Bims (Brot), kein Wasser. Einer hat den andern trösten müssen, zwei Tage und eine Nacht. Zum Schluß war die ganze Bedienung verwundet. Ein Gewehr ist auf der Straße allein gestanden; die Russen haben es von allen Seiten beschossen, damit niemand zukann. Da kommt Befehl vom Abschnittskommandanten – durch Zuruf in der Schwarmlinie von Mann zu Mann: »Das Gewehr muß weg.« Neunzig Kilogramm. Ein Mann von der Bedienung, blutend, schleicht sich an, ladet sich das Gewehr auf – auf einmal sagt er: »I stirb« – und laßt es wieder fallen. Der Zweite sagt: »Servas, i drah mi jetzt« – vor Freud', daß er zurückdarf – schon hat er einen Kopfschuß. Die Russen haben aus jedem Fenster gefeuert, hinter jedem 238 Zaun. Endlich ist das Dorf genommen worden.«

Der Feldwebel hat ganz ruhig, tonlos gesprochen – ohne auch nur durch eine Hebung der Stimme um Beileid, Bewunderung zu werben. Ich schweige beklommen.

Der Feldwebel ahnt nicht einmal, daß er da die ewige Kriegsballade gedichtet hat. 239

 


 


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