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– 27. August 1915.
Die Nacht im Schützengraben war ruhig verlaufen; zu dem geplanten Ueberfall auf die russischen Feldwachen kam es nicht, denn der Mond wollte sich nicht bedecken.
. . . Für die Rückkehr wählte Oberst Hassenteufel einen kürzern Weg, einen, der uns allerdings dem feindlichen Feuer weit mehr aussetzte als die erste Wanderung. Doch als wir gingen, wars dämmerig, und aus den Linien des Feindes fiel kein einziger Schuß.
Ich traf gegen zehn Uhr morgens bei den Reserven des Regiments ein und verbrachte da den Tag.
Ein ostgalizisches Dörfchen, von den ruthenischen Bauern fast verlassen. Aermliche Hütten mit Strohdach und Lehmdiele, in jeder Hütte zwei Stübchen mit übergroßen gemauerten Oefen. Wo noch eine Bäuerin lebt, ist der Ofen geheizt, denn er dient gleichzeitig auch als Herd, und Geschwader von Fliegen freuen sich der Wärme.
An den Häuserecken des Dorfes sind schwarzgelb geränderte Kundmachungen zu lesen, deutsch 61 und in den Landessprachen, etwa folgenden Wortlauts:
»Wer russische Soldaten verbirgt oder mit Zivilkleidern versieht, wird erschossen.
Wer Feldtelephon oder Telegraphenleitungen beschädigt, wird erschossen.
Wer diese Kundmachung abreißt, wird hart bestraft.
Kann der Täter nicht ergriffen werden, so hat die Gemeinde, auf deren Gebiet die Beschädigung erfolgte, schwere Buße zu zahlen.«
Die Straßen sind auch hier urtief. Als die Erde, einst feurigflüssig, zur Kruste erstarrte, blieb Ostgalizien im alten Aggregatzustand. Deutschmeister legen nun Ziegelsteige und Knüppel quer über die Dämme.
Mein Weg führt zuerst in die Regimentskanzlei. Ein ungewöhnlich helles Stübchen, an der Decke der übliche Fries von Heiligenbildern und schwarzen Madonnen. In den Hof des Häuschens hat eine schwere Granate eingeschlagen und den Stall abgedeckt. Die ruthenische Kirche gegenüber der Kanzlei bekam eine andre schwere ab. Die Deutschmeister sind derlei gewohnt; an der Nida stand die Regimentskanzlei dreieinhalb Monate unter russischem Artilleriefeuer.
Daß ichs nur gleich sage: die Deutschmeister stehen heute noch ganz und gar unter dem Eindruck der Tage von Sokal, 18. bis 31. Juli. Sie denken nur daran, träumen nur von Sokal, und 62 jede andre Begebenheit wird irgendwie zu Sokal eingeordnet – etwa wie die Menschheit ihre Erlebnisse vor oder nach Christi Geburt datiert.
Wir gehen aus der Kanzlei auf den Friedhof. In irgendeiner Scheune spielt die Musik, probt neue Märsche. Ich durchschreite einen Hof, wo Offiziere in sauber aufgerichteten, strohgefütterten Zelten hausen; die Herren, es sind Reservisten, meinen schon, alle Wohnkultur der Erde zu genießen, da auf den Spitzen der Zelte leere Konservenbüchsen zum Schutz gegen Regen stecken und an den untern Rändern der Zeltblätter Erdwällchen den Wind abhalten. . . . Daß es auch Halls gibt, Klubsessel, Wasserklosetts – es vergißt sich so leicht nach dreizehn Monaten Kriegs. Richtig – und amerikanische Büromöbel gibt es; doch man kann auch in einem leeren Schlittengestell Briefe schreiben, wie Figura zeigt . . .
Auf dem Friedhof ruhen fünf oder sechs Deutschmeister, die der Cholera erlegen sind (die Seuche ist jetzt ausgerottet), und in ihrer Reih zwischen zwei Tannen unter einem Birkenkreuz der Bravste der Braven, Oberleutnant Cernik. Beinah hätte eine Schwere ihn noch im Sarg gestört; sie bohrte ein paar Schritt weit vom Hügel ihren Trichter.
»Der Rudi!« sagt Major v. Odelga wehmütig und stützt sich schwer auf seinen Säbel. »So ein junger, begeisterter Soldat! Den Krieg von Anfang hat er mitgemacht und keine Stunde 63 gefehlt. Wie stolz ist er gewesen auf seine Neunte (Kompagnie)! Bei Komarow focht er neben mir. In Wereschitza hat ihn eine Granate weggeschleudert und hat ihm die Hand verbrannt; er ist nicht vom Fleck gewichen. Beim Kloster von Sokal mußte er dran glauben.«
Eine Weile später sitzen wir im Grünen unter einem Birnbaum auf Bänken, die Deutschmeister gezimmert haben. Trinken »Etappensäure«, d. h. roten Wein, und die Reden fliegen: immer nur von Sokal. Ich lerne sie nach und nach alle kennen, die Helden, deren Mut und Namen ich immer schon habe rühmen hören, ehe sie mir leibhaftig gegenübertreten. Doch wie viele fehlen! Die es erlebt und überstanden haben, sammeln sich allmählich zu einem bunten Kranz. Oberst Hassenteufel hat ja erlaubt, daß ich möglichst vieler Blutzeugen Erfahrung festhalte. Ich will ein Bild des Kampfes um Sokal daraus formen.
Die Majore Freiherr v. Odelga und Nechansky wissen am meisten – sie haben Bataillone kommandiert. Den Major Ehmaier konnte ich leider nicht befragen; als ich ihn gestern, da war er noch Hauptmann, im Schützengraben sah, bot sich mir nicht Zeit und Gelegenheit. Doch Hauptmann Vogel ist da, Pionieroffizier des Regiments – Fähnrich Ronay, Kadett Gaisch, Reserveoberleutnant Danzer (er und Oberleutnant Stitz sind nun die einzigen, die noch keinen Gefechtstag in der Front versäumt haben); 64 Leutnant Hierhammer, Sohn des Wiener Bürgermeisters; Hauptmann Nedjela (ihm bin ich eine Woche später, am 3. September, in einem Feldspital wiederbegegnet, er hatte einen Steckschuß im Oberschenkel – Gott sei Dank, dicht allzu schwer); da ist ferner der lustige Zugsführer Kerschbaum, im Frieden städtischer Lehrer zu Währing, Schulgasse. Er trägt schon zwei Tapferkeitsmedaillen. Den Schachmeister Fähnrich Tartakower sah ich nicht – auch er steht eben vorn im Schützengraben: ist übrigens ebenfalls schon doppelt dekoriert; hat im Gefecht bei Wlodowitze-Kotowitze seinen ebenso kühnen Bruder verloren, während seine Eltern Opfer eines russischen Pogroms geworden sind . . . 65