Alexander Roda Roda
Russenjagd
Alexander Roda Roda

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Die Deutschmeister bei Sokal.

Die Deutschmeister haben Sokal dreimal gerettet. Ich werde versuchen, ihre Rolle in diesen Vorgängen zu schildern. Da ich mich auf die Tätigkeit eines Truppenkörpers beschränke, kann meine Skizze nicht annähernd das Bild eines Gefechtes sein, an dem ja außer den Deutschmeistern noch viele andre Verbände, Truppendivisionen teilgenommen haben. Ich verzichte auch auf genaue Ortsangaben: vom Leser, dem Laien kann ich das Studium der Spezialkarte nicht fordern, und dem studierenden Offizier habe ich nichts zu sagen. Meine Darstellung wird aber den Vorzug haben, sich auf die frische Erinnerung zahlloser Mitkämpfer zu stützen. Noch nie hatte – meines Wissens – ein Autor das Glück, bald nach dem Kampf das Regiment beisammenzufinden, dessen Taten er eben festhalten wollte. Ich arbeite damit nicht dem Geschichtsschreiber vor, wohl aber dem Romandichter, einem künftigen Zola.

Der 14. Juli.

Nach langer Bahnfahrt bei sengender Hitze waren zwei Bataillone in Lemberg, die andern 66 beiden in Scholkjew auswaggoniert worden. Das 1. und 2. Bataillon befanden sich am 14. auf dem Marsch von Mosty Wjelkje nach Ostrow (demnach auf der Linie Lemberg-Sokal), das 3. und 5. Bataillon folgten, um einen Tagmarsch zurück, auf der Straße von Scholkiew nach Mosty-Wjelkje. Nachmittag holte ein Auto den Regimentsstab zum Divisionskommando nach Ostrow ab. Oberst Hassenteufel erhielt dort Befehl, seine Deutschmeister, wenn irgend möglich, noch heute in Boratyn (einem Dörfchen südwestlich von Sokal) zu vereinigen. Das bedeutete einen Gewaltmarsch für den zweiten Staffel des Regiments; die Tornister wurden auf Lastautos verladen.

Das 1. und 2. Bataillon trafen um sechs Uhr abend in Boratyn ein. Es war ein Gußregen, ein Gewitter – so böse, daß man sich fürchten konnte. Die Mannschaft verkroch sich in die Bauernhütten. Man riß sich die Kleider vom Leib und trocknete die Wäsche an den Backöfen der Ruthenen. Der zweite Staffel konnte nicht nachkommen; er lagerte, gründlich erschöpft, unterwegs in der choleradurchseuchten Gegend.

Das Gelände.

Der Bug südlich von Sokal mit seinen vielfachen Windungen und Nebenläufen fließt durch ein breites Tal sumpfiger Wiesen hin. Mitte Juli war er wasserarm, etwa sechzig Schritt breit 67 und metertief. Das Ostufer ist zunächst von einem tückischen grünen Streifen begleitet, dann aber steigt es überhöhend und bewaldet an.

Das Städtchen Sokal liegt rechts, östlich hart am Bug, links davon nur das Kloster der Bernhardinerinnen. Etwa fünf Kilometer südlich von Sokal, wo sich der Fluß in so viele Arme teilt, stehen die Dörfer Sawischnja (links) und Poturtschitza (rechts) einander gegenüber. Zwischen Poturtschitza und Sokal (rechts) erheben sich steile, oft zehn Meter hohe, unterwaschene Lehmwände unmittelbar aus dem Fluß; hinter Sokal gibt es ansehnliche Kuppen. Im ganzen bietet die Gegend also der Verteidigung gegen einen von Westen andrängenden Angriff alle Vorteile – und darum hatten die Russen sich hier auch gestellt.

Am 14. Juli abend aber hielten sie, wie gesagt, auch noch das linke Ufer, allerdings mit geringen Kräften.

Der 15. Juli.

Obwohl der zweite Staffel des Regiments noch nicht zur Stelle war, hatte Oberst Hassenteufel um halbdrei Uhr früh die Russen bei Zawischnja anzugehen und das linke Ufer von ihnen zu säubern. Nordgruppe: Major Urban, 1. Bataillon – südlich von ihm Major Nechansky, 2. Bataillon; jeder Gruppe war ein Bataillon Jäger beigegeben Der Oberst leitete das Gefecht 68 vom Trigonometer 226 aus, nahe bei Zawischnja. Hauptmann v. Piller, sein Adjutant, war bei ihm. Um Sokal selbst und nördlich davon griffen Landsturm und Landwehr an.

Um sieben Uhr morgens war die Eisenbahn am linken Ufer des Bug von Major Urban erreicht, er selbst durch zwei Schrapnellschüsse am Arm verwundet. Die Führung des 1. Bataillons übernahm nun Major Freiherr v. Odelga. Die Gruppe Nechansky besetzte Zawischnja. Das linke Bugufer war von Russen frei.

Man stand vor der fast unlösbaren Aufgabe, in Sicht der Maschingewehre des Feindes die Sumpfniederung bis zum Bug zu durchschreiten, den Fluß selbst irgendwie (Brücken oder Fähren gab es keine) zu überwinden und drüben einen Steilrand emporzustürmen, der durch mächtige Drahthindernisse zur Bastion geworden, mit feuerspeienden Läufen gespickt war.

Am Abend trafen das 3. und 5. Bataillon in Boratyn ein.

Der 16. Juli.

Frontal an die russische Festung anzurennen, daran durfte man nicht einmal denken. Bei Sokal verflacht sich das rechte Ufer ein wenig – und dort konnten zuerst die 16. Kompagnie des Teschener Landwehrregiments, dann Neusandetzer Landwehr kurz nach Mitternacht den Uebergang erzwingen.

69 Um elf Uhr vormittag begann unsre Artillerie ein überwältigendes Feuer auf das Südende von Sokal und bearbeitete zwei Stunden hindurch die Gräben des Feindes – eine Vorbereitung für den beim Kloster angesetzten Angriff des 3. Bataillons, Major Mayer. Das 5. Bataillon unter Hauptmann Futschig flankierte unterdessen die Russen.

Leutnant Hueckl kam mit seinem Zug als Erster bis hundert Schritt an den Bug heran. Hauptmann Loetsch, die Reserveoberleutnante Friedrich Georg Pollak und Karl Danzer, sie kämpften im dreifachen Maschinfeuer der Russen auf das tapferste.

Major Mayer wurde verwundet; Oberleutnant Cernik, der Schneidigsten und Treuesten einer, fiel; neben ihm starben Reserveleutnant Schinzel und Fähnrich Hampel. Ueber den Bug kam man nicht.

Indessen hielt die Gruppe Nechansky Zawischnja fest. Sie war das Ziel einer russischen schweren Batterie, die gegenüber bei der Kirche von Poturtschitza stand und ohne Pause schoß. Die Brünner Jäger verschoben sich im Straßengraben von Zawischnja von rechts nach links, an jenem Haus vorbei, worin Major Nechansky notdürftige Deckung gefunden hatte. Einige Schritte weit vom Major schlägt eine Granate ein, trifft einen Jäger und schleudert ihn zur Seite. Man hört sein entsetzliches Aufschreien – er 70 gilt für tot. Der Jäger aber erhebt sich wieder, rennt nach dem Granattrichter zurück und verschwindet darin. Nach ein paar Augenblicken erscheint der Jäger wieder; sein linker Aermel hängt in Fetzen, der Armstumpf ist oben abgebunden. Auf der rechten Schulter trägt der Jäger wieder sein Gewehr – er hat es ausgeschaufelt – in der rechten Hand seinen völlig losgetrennten linken Unterarm und sagt den Deutschmeistern erregt, aber ohne einen Schmerzenslaut:

»Gehts, scharrts ihn ein! Gott sei Lob und Dank, es ist nur der linke. Ich bin Kontorist – ich wer mein Geschäft weiterführen können.«

Der Jäger hieß Hecht. Er nahm sich auch die Mühe, die Sprengstücke jener Granate zu sammeln, die ihn so verstümmelt hatte. Dann ging er auf den Hilfsplatz, und am Abend sah man ihn einen noch schwerer verwundeten Kameraden nach Boratyn begleiten.

Der 17. Juli.

In der Nacht kam der Befehl: der Angriff sei fortzusetzen. Hauptsächlich von der Artillerie. Major Glässer ließ seine türkischen Batterien donnern. (Es sind das Geschütze, die von Skoda erzeugt, ursprünglich für die Türkei bestimmt waren, aber dahin nicht mehr hatten geliefert werden können.) Die Russen zwischen Sokal und Poturtschitza hatten einen schweren Tag.

71 Die Gruppen Nechansky und Futschig führten das stehende Feuergefecht weiter.

Auf dem Bahnhof Sokal, 150 Schritt hinter der Schwarmlinie, hatte sich der Hilfsplatz aufgetan. Es waren sechzig Verwundete da und keine Möglichkeit, sie abzuschieben. Besonders heftig litt ein alter, recht schwächlicher Mann vom Landsturmregiment, der je einen Schuß durch Bauch und Lunge abbekommen hatte. Das eine Geschoß stak im Rücken, knapp unter der Haut. Er flehte den Assistenzarzt immerzu um Hilfe an, und Dr. Lauer konnte ihm beim besten Willen nicht mehr helfen: alles, was das Leben des Armen noch um Stunden verlängern konnte, war unbewegliche Ruhe. Der Mann wand sich aber und bat – bis der Arzt sich endlich entschließen mußte, dem Todgeweihten einen Eingriff wenigstens vorzutäuschen. Als der Landstürmer dazu ein wenig den Oberkörper erhob, da – war es aus mit ihm: Herz und Atem standen im Nu still, die Pupillen starrten. Dr. Lauer ist noch jung – ihm war so weh, den letzten Wunsch des Mannes nicht erfüllt zu haben; er wandte sämtliche Mittel der Wiederbelebung an: Kampferspritzen, künstliche Atmung, Herzmassage – alles im pfeifenden Feuer des Feindes.

Da rührt sich der Puls wieder, die Pupillen verengen sich – der Alte tut einen tiefen Seufzer und . . . lebt.

»Ein Lager,« sagt er mit verklärtem Lächeln, 72 »ein großes, schönes Lager« – und blickt in die Ferne. »Jetzt ist mir besser. Herr Doktor, ist die Kugel heraußen? Ich möcht sie zum Andenken haben.«

Dann erst ist er sanft hinübergeschlummert.

Der 18. Juli.

Um drei Uhr morgens fing das Wettern der Artillerie auf dem Stabshügel (Trigonometer 226) an, man sah links die Landwehr vorgehen. Alles zitterte vor freudiger Erregung: die Russen müssen zurück. Ihre Reihen bröckeln ab; einzeln, in Grüppchen, in Gruppen weichen sie. Oberst Hassenteufel wartet auf keinen Befehl: er schickt sein Regiment sofort in den Feind, über den Bug. Die Deutschmeister furten in Scharen. Sie erklettern die Lehmwand jenseits des Flusses, indem sie sich Griffe und Stufen in die Erde schlagen, sie durchschneiden die Drähte, sie setzen sich in die russischen Gräben und . . .

Und die Gewehre, jedes ein einziger Lehmklumpen, wie die Kleider ein Gipsverband sind von Dreck und Schlamm – die Gewehre versagen. Man reinigt fiebernd die Verschlüsse, man schmiert die Gleitflächen mit Talgkerzen aus dem Brotsack, mit dem Fett rasch geöffneter Fleischkonserven . . .

»Geht's jetzt?« fragt Major Nechansky.

Die Leute antworten: »Herr Major, uns 73 kann's der Russ' net stieren« – und die Russen laufen.

Die Russen beziehen ihren Stützpunkt nordöstlich von Poturtschitza, doch auch daraus vertreibt sie das siegestrunkene Deutschmeisterregiment. »Schiaßts, schiaßts für unsern alten Kaiser!« schallt es durch die Reihen. »Keiner darf zurück!« Von rasendem Feuer verfolgt, schwinden die Russen links auf die Gora Sokal und rechts in den Wiltschy Las, wo sie in ihrer dritten Linie standhalten.

Die Gora Sokal, Kote 254, überhöht den Flußpegel um mehr als sechzig Meter, sie ist die größte Erhebung ringsum; der Wiltschy Las ist ein ausgedehnter, wenig durchforsteter Hochwald auf den Hügeln südöstlich von Poturtschitza.

Auch die dritte Linie der Russen wird gestürmt, der Feind flieht außer Rand und Band. Patrouillen, die ihm nacheilen, stoßen erst acht Kilometer weit, bei Tartakow, auf Gegner.

Im Norden hat schlesische und westgalizische Landwehr die Höhe Ilkowitze erobert, die Olmützer nehmen Skoromochy.

Das zweite und dritte Bataillon Deutschmeister sind kurz nach Mittag als Divisionsreserve des Generalmajors v. Czapp dem Landsturm nach Sokal gefolgt; den Hauptmann v. Odelga rudert ein kleiner Junge im Kahn über den Bug. Die Wiener sind die erste geschlossene österreichische Abteilung, die nach einjähriger 74 Knutenherrschaft den Boden von Sokal betritt. Die Einwohner weinen vor Freude, sie lassen sich's nicht verdrießen, noch im Feuer des Feindes unsre Truppen zu bekränzen; man bietet den Offizieren Salz und Brot als Zeichen des Willkomms; die Frauen warten mit Milch, Obst, Zuckerwerk auf, die Bürger liefern erbeutete oder aufgefundene Gewehre ab; ein Knabe von sechs Jahren soll den Russen nachgeschossen haben.

Auf dem Kirchturm von Sokal weht triumphierend die schwarz-gelbe Fahne.

Die Pionierabteilung des Regiments, Kommandant Hauptmann Vogel, beginnt mittlerweile, 10 Uhr 30 vormittag, eine Brücke am Südende von Sokal zu schlagen – an einer Stelle, wo die Erkundung drei verkohlte Pfeiler eines russischen Uebergangs entdeckt hat. Der Bug ist hier achtzig Meter breit, Pontons und Material für Joche und Belag führen Infanteriepioniere natürlich nicht mit. Doch die Einwohner, Frauen wie Männer, schleppen wetteifernd Balken und Bretter herbei – als zwei Felder beendet sind, hilft auch ein Zug Sappeure mit. Die Russen schießen – eine Gewehrkugel wirft dem Hauptmann Vogel Erde ins Gesicht. Dennoch sind um sieben Uhr abend auch die Rampen eingeschnitten, die Brücke selbst für Artillerie passierbar; zwei Stunden später ist sie ganz fertig und steht wohl heute noch – eine Glanzleistung von Regimentspionieren.

75 Der Aufenthalt der Deutschmeister in Sokal währte nicht lang. Ein Generalstabshauptmann brachte den Auftrag des 1. Korpskommandos: über den Ort hinaus östlich beiderseits der Tartakower Straße vorzugehen und einen Gegenangriff der Russen abzuweisen, der den Erfolg gefährdete.

Major Nechansky schickte sofort zwei Kompagnien aus und als dritte die Kompagnie Hauptmann Adamiczka. Hauptmann Adamiczka hatte die Schwarmlinie rechts der Straße zu verdichten und vorzureiten und tat es mit unvergleichlichem Mut. »Mir nach!« schrie er, erhob sich und lief auf den Feind zu. Russisches Feuer von Gewehren und Maschinen aus der Flanke. Ein paar Leute legen sich zum Schießen hin – allein der Hauptmann duldet kein Verweilen, er will ohne Atempause bis an den Feind heran – er als erster.

Man sah ihn dann hochspringen, und er rief seinem Diener zu: »Schurl, das Verbandpäckchen! Jetzt kann ich es brauchen.« Bauchschuß vom russischen Maschingewehr. Wie so viele andre neben ihm. Alle Bauchschuß. Der russische Maschinist hatte eine ganze Reihe abgestrichen.

Die Leute verbanden ihren Hauptmann und kratzten ihm mit den Spaten eine Bettstatt in den Ackerfurchen, damit er wenigstens einigermaßen gesichert im Hagel der Geschosse wäre. Dann ging die Kompagnie weiter – kaltblütig geführt vom Reserveleutnant Weinzinger, und 76 hat an diesem Tag an die hundert Gefangene gemacht.

Den Hauptmann, einen wahren Helden, der im Sturm noch nie, nie versagt hatte, trug man zurück ins Spital. Er begegnete dem Major und sagte noch: »Viel Glück, laß dir's gut gehen!« Sah auch schmerzenlos und heiter aus; zwei Tage darauf war er eine Leiche.

Die Maschingewehrabteilung des Bataillons leierte in die Russen, bis sie sich verschossen hatte. Der Bedienungsmann Kutschera eilte um neue Patronen – nur zwanzig, nur hundert, um nicht ganz wehrlos zu sein. Er verlangte Munition von ein paar Leuten, die am Zaun saßen – sie antworteten nicht. Er rüttelte sie – sie fielen steif um. Alle Kopfschuß. Der russische Maschinist hatte eine ganze Reihe abgestrichen.

Die Russen schießen immer toller. Da fährt eine Haubitzbatterie mitten im Kornfeld auf und haut mit einer Lage die russische Bedienung nieder. Der Waffenmeister Melchart kommandiert nun seiner eigenen Abteilung »Feuerstellung!« Die Bursche wollen ihre Maschinen vorbringen. »Laßts sie dort,« ruft der Waffenmeister, »nur Munition bringts – das Gewehr steht schon da.« Es war eins, das die Russen kurz vorher erbeutet hatten und nun wieder an uns verloren – grade im Augenblick, wo man es am dringendsten gegen sie brauchte.

77 Einjähriger Gaisch (er ist jetzt Kadettaspirant) trägt an der Spitze eines Schwarms den Angriff durch das Kornfeld. Er stößt auf einen Artilleriebeobachter, den Hauptmann Rößler von Feldkanonen Nr. 6. Der Hauptmann ergreift auf der Stelle das Kommando des Schwarms und führt ihn mit »Auf! Nieder! Auf! Nieder!« von Mulde zu Mulde bis an den Gegner. Der tapfere Hauptmann wird schwer in die Hüfte getroffen, das Blut spritzt aus einer Schlagader. Gaisch wirft ihm das Verbandpäckchen zu, ein Deutschmeister gibt die Putzschnur zum Abbinden her – zwei Soldaten reichen einander die Hände und schleppen den Hauptmann zurück. Einem der Samariter, einem Korporal, zerrissen dabei Gewehrgeschosse die Kappe zu Läppchen.

Ein andrer Korporal war verwundet worden. Der Gefreite Prinz erhob sich, um dem Kampfgenossen zu helfen, bekam im Knien einen Kopfschuß und fiel tot über den verwundeten Korporal. Unser Feuer muß noch entsetzlicher gewesen sein; man hat einen Russen mit zwanzig Schußwunden eingebracht; als er verbunden war, glich er einer Mumie.

Spät nachmittag goß es in Strömen; trotzdem folgte ein russischer Gegenangriff dem andern. Man hat Schriftstücke bei den russischen Gefangenen gefunden, aus denen hervorging, daß die Russen den Bug hatten unter allen Umständen halten wollen.

78 Kein Wort des Lobes ist zu volltönend für die Bravour der Deutschmeister, die jeden Anprall der Russen abwiesen. Hauptmann Futschig behauptete sich eisern in seinen Stellungen auf der Gora Sokal. Schützengräben waren es nicht – man hatte noch keine Zeit gehabt, sie herzustellen. Das Regiment hatte 300 Gewehre erbeutet, Haufen von Stacheldraht und Handgranaten, 50 000 Patronen.

»Bei uns hat man den Kopf verloren,« berichtete ein gefangener russischer Hauptmann dem Major Nechansky. »Hier kann ich nicht alles erzählen . . .« Er tat dabei einen Seitenblick auf seinen Fähnrich, der gleichfalls gefangen war. Sieben andre russische Offiziere folgten; mit einem von ihnen, einem klafterlangen, ging eine schöne schwarz gekleidete Frau in die Gefangenschaft.

Unmöglich, alle Heroen des 18. Juli zu nennen. Hauptmann Milojevic (der nach Major Mayers Verwundung das Bataillon übernahm), Hauptmann Wastl, Hauptmann Glozanski, die Oberleutnante v. Grimus, Schoenecker, die Reserveleutnante Poßner und Stotz, Ripper und Friedrich (beide verwundet) – sie und viele, viele andre teilen sich in die Ehren des Tages.

Der Einjährige Mediziner Pach war im heftigsten Gefecht zwischen Schwarmlinie und Hilfsplatz hin und her geflogen, um die Verwundeten zu bergen. Der kühne Reservefeldwebel Renner war gefallen, Reservezugsführer Schiefert, erster 79 in der feindlichen Hauptstellung, schwer verletzt; er schleppte sich noch weiter mit, kroch zu seinem Kommandanten zurück, meldete, was er über die Russen wußte, und ließ sich dann erst zu den Aerzten holen. Infanterist Pagin harrte mit einem Schuß im Kopf vorn im Handgemenge aus. Infanterist Lampe übernahm kurzweg die Führung einer kleinen Abteilung, deren Kommandant gefallen war, und setzte den begonnenen Angriff fort. So könnte ich noch hundert Taten berichten, eine schöner als die andre. Man hatte mit einem übermächtigen Feind gerungen, mit neu eingesetzten Truppen der sibirischen »Eisernen Division,« die überall auftaucht, wo die Russen einen besonders gefährlichen äußern oder innern Feind niederschlagen möchten.

* * *

Ein Opfer des 18. Juli war auch Fähnrich Drechsler geworden; das letzte Schrapnell hatte ihn getroffen. Er lag in einem Erntefeld von Stöhnenden und Toten und gab keinen Laut von sich. Die Blessiertenträger waren so müde, daß sie ihn nicht mehr bergen konnten. Sein Freund, Lehrer Kerschbaum, erblickte ihn. Der Fähnrich wollte Wasser haben, allein Verwundete mit Bauchschüssen dürfen Wasser nicht bekommen. Kerschbaum trug den Freund auf seinen Armen weg. »Vergelts Gott!« murmelte der Fähnrich immer wieder. Er ist im Spital gestorben.

80 Zugfführer Kerschbaum hat den furchtbaren Tag besungen:

              Die Straße von Sokal.

Die Straße von Sokal am Friedhof vorbei
Zieht stolz das Bataillon.
Es rasselt der Stahl, es prasselt das Blei
Und sät seinen roten Mohn.
Mit Klitsch und Klatsch vom Gartenzaun
Fliegt Spahn und Spahn davon.
Ob uns kreischt der Granate Schrei –
Wir fürchten ihn nicht, wir kennen ihn schon.

Die Straße von Sokal am Friedhof vorbei
War Adamiczkas letzter Gang.
Er schritt ihn nicht wie sonst so frei,
Uns war um ihn so bang.
Zu Tod gefällt trug man ihn her –
Er grüßt den Herrn Major . . .
Noch keinem war das Herz so schwer,
Wenn er seinen Vater verlor.

Die Straße von Sokal am Friedhof vorbei,
Da hat man sie gebracht:
Zehn Wagen voll Toter vom Aehrenfeld
In stürmischer Regennacht.
Und als sich wandte die Kompagnie,
Da fehlte so mancher in unsrer Reih.
Vergessen werden wir Sokal nie,
Die Straße am Friedhof vorbei.

19. Juli.

Der Regen hatte aufgehört, auch die Russen schienen Ruhe geben zu wollen. Patrouillen, die man vormittag hinausschickte, stießen erst bei Tartakow, weit östlich von Sokal, auf Widerstand.

Nachmittag gingen drei große Kolonnen der Russen gegen uns vor, unsre Artillerie gebot ihnen aber Halt.

Das II. und III. Bataillon verschoben sich nach Poturtschitza.

Am 20. Juli

goß es wieder in Strömen. Das Gefecht hub schon zu frühester Stunde an, ein Anprall der Russen folgte auf den andern mit beispielloser Heftigkeit; als der fünfte Sturm abgeschlagen war, kam ein sechster. Auch er wurde zum Stehen gebracht – vor Gräben, die noch nicht ausgebaut waren – mit Munition, die man unter Lebensgefahr, im Hagel der Geschosse immer wieder heranzuschaffen wußte. Die durch so vieles Schießen verschleimten, erhitzten, seit vielen Tagen Kampfes nicht mehr gereinigten Gewehre wollten schon den Dienst versagen.

Die Russen kamen – im Nebel, im Regen – immer neu, immer näher. Unsre Artillerie schoß und schoß, solang es irgend anging, ohne die eigenen Linien allzu sehr zu gefährden. Die Deutschmeister gruben sich tiefer ein, deckten sich auch den Rücken und ließen unsre Schrappnelle 82 dicht über sich hinweg in den Feind brausen. Es waren Stunden, die der Kühnste nicht nochmals erleben möchte.

Da gegen Abend liefen Russen, scheinbar ohne Gewehre, auf ein Jägerbataillon zu, das rechts an die Deutschmeister anschloß. Die Jäger stutzten, hielten mit dem Feuer ein – sie meinten, die Russen wären Ueberläufer. »Schiaßts, was könnts!« schrien die Deutschmeister – die mit den Mänteln waren schon im Graben der Jäger.

Das Flügelbataillon v. Odelga war dadurch plötzlich in der Flanke entblößt. Der Adjutant lag schwer verwundet zu Füßen seines Chefs.

Unsre Türkenbatterien arbeiteten bös und böser, mit schrecklicher Genauigkeit. Sie haben im wahrsten Sinn des Wortes Gefangene gemacht, indem sie ganze russische Abteilungen zwischen Lagen eingabelten, bis die Feinde sich nach irrsinnigem Hin- und Widerrennen verzweifelt ergaben. »Niemand, niemand darf zurück!« riefen die Deutschmeister. »Wer Ehre im Leib hat, bleibt hier!« Leutnant Windbichler fiel, in den Mund getroffen, und Leutnant Winkler fiel. Die Telefone sind zerrissen; sie wieder herzustellen, ist eine Heldentat, die im ärgsten Feuer immer versucht wird, immer von neuem mißlingt. Fähnrich Frimmel, Beamter des Wiener Magistrats, ist Kommandant der Maschingewehre; er hat keinen Ausschuß, da hebt er seine Maschinen auf die Brustwehr, in den freien Kugelregen; 83 im Brandungslärm des Geknatters kann er kein Ziel angeben, da bedient er das Gewehr selbst. Er hat so an diesem Abend allein Kisten von Munition verfeuert, am 18., 19., 20. Juli zusammen 25 000 Patronen, und dem Gegner unabschätzbare Verluste zugefügt.

Eine Viertelstunde später hatten Deutschmeister und Kopaljäger die russischen Sturzwellen zurückgestaut. Die Deutschmeister sprangen aus den Deckungen, und stehend, stehend auf offenem Feld schickten sie dem Feind ihr Schnellfeuer nach. Eine russische Kompagnie wurde zusammengeschossen bis auf den letzten Mann. Das hat ein Regiment getan, das in sieben Tagen und Nächten keine Stunde ungestörten Schlafes gehabt, kein Essen außer den kalten Konserven der eisernen Ration, nach gewaltigen Märschen, nach unaufhörlicher Schanzarbeit an immer neuen Gräben, durch arge Verluste geschwächt.

Eine russische Kompagnie erhob die Arme, schickte Parlamentäre herüber und bot die Unterwerfung an. Man zog die Gefangenen am Abend ein – bis dahin mußten sie vor der Front liegen bleiben. Im ganzen hat man über 700 Russen eingebracht. »Ihr könnt stolz sein,« sagten die feindlichen Offiziere, »unsre besten Truppen habt ihr zersprengt, sogar die Sibirier haben sich geweigert, euch nochmals anzugehen.« 18 Sibirier wurden deshalb vom russischen Feldgericht zum Tod verurteilt und im Wiltschy Las hingerichtet.

84 Die Stellung von Poturtschitza war ein einziger Gottesacker unbegrabener Leichen. Der Gefallenen waren so viel, daß man glauben konnte, die russischen Linien wären noch besetzt. Ein fauliger Blutgeruch verpestete die Luft. Aus den Gräben des Feindes selbst, mit russischer Munition aus russischen Gewehren führten die Deutschmeister die Offensive fort.

Ein Unteroffizier der Bataillonsreserve hatte den bewegten Tag auf einem andern Standpunkt mitgemacht, im Herrenhaus von Poturtschitza nämlich. Man hatte es da zuerst sehr nett: spielte Klavier, schrieb Briefe, las zwischendurch ein pikantes Buch aus der Bibliothek des Hauses – als plötzlich das Telefon kurz nacheinander meldete: »Munitionsmangel bei der Siebenten (Kompagnie).« »Die Russen sind in unsern Gräben.«

»Die Sechste (Reserveoberleutnant v. Grimus) zur Verstärkung der Siebenten vor! Wer meldet sich freiwillig zum Munitiontragen?« Die Leute, die man da so befragte, waren Landstürmer, die noch nie ein Gefecht mitgemacht hatten und, ein wenig scheu, den teuflischen Lärm draußen hörten. Der Unteroffizier bestimmte acht Mann und zog mit ihnen davon; sie mußten einen Schauer von Geschossen durchschreiten Eine Schwere reißt das Dach vom Wirtschaftsgebäude; ein Hackstock kommt gewirbelt; ein Pferd fällt seufzend um; die Wäsche 85 flattert vom Zaun, der Zaun splittert umher. Dennoch ist von den acht Munitionsträgern, die da auf Leichen gingen, nur einer leicht verletzt worden.

Am 21. Juli

des Morgens tauchte eine mächtige weiße Fahne mit dem Genferkreuz ob den Gräben des Feindes auf und wurde lebhaft geschwenkt. Im nächsten Augenblick erschienen russische Soldaten mit Schaufeln auf den Schultern. Wir schossen nicht. Auch wir schickten Leute hinaus, und in vereinter hastiger Arbeit grub man den Toten Ruhestätten zwischen den Fronten, in denen sie geblutet hatten.

Als das Werk in aller Eile vollendet war, verschwanden hüben und drüben die Arbeiter so rasch, wie sie gekommen waren – und kaum hatte der letzte sich gedeckt, da knallte die erste Patrone. Das Gefecht wurde fortgeführt. Der Regen floß.

In der Abenddämmerung war das Regiment wie folgt gruppiert: östlich von Sokal auf den Höhen an der Tartakower Straße das III. Bataillon; im Anschluß südlich daran, gegenüber der Gora Sokal die Bataillone Futschig (V.) und Odelga (I.). Hierauf Kopaljäger bis an den Bug – und westlich des Flusses neben ihnen das Bataillon Nechansky (II.). Die Frontlinie glich also einem großen lateinischen J. Wenn man in das J einen Doppelpunkt einsetzte, würde der 86 obere Punkt Sokal, der untere Poturtschitza bedeuten.

Der 22. Juli

verging unter feindlichen Angriffen, die man insgesamt abwehrte. Gefangene sagten aus, daß für die Nacht weitere Angriffe bevorstünden. Die Deutschmeister und eine kleine reichsdeutsche Gruppe, die ihre Reihen verstärkte, waren also auf alles gefaßt. Sieben russische Attacken erfolgten gegen Oberst Hassenteufel. Alle zerschellten. Die Kopaljäger benahmen sich vorzüglich.

Die folgenden Tage

blieben im ganzen ruhig. Eines Nachts verkürzte man das J um ein Stückchen, Poturtschitza wurde geräumt, die Russen legten aber nur Patrouillen dahin. Man baute unter ewigen Geplänkeln die Stellungen aus und rüstete sich gleichzeitig, selbst anzugreifen. Am Nachmittag des 25. nahm man den Anlauf dazu. Der Belohnungsantrag schreibt das Verdienst an dem Tageserfolg hauptsächlich zu den Herren: Hauptmann Loetsch, Oberleutnant Wenzel (verwundet), Reserveoberleutnant Dr. Taußki (dessen Entschlossenheit die Maschingewehrabteilung rettete), den Fähnrichen Metzner, Artur Prokesch und Kuhn (Fähnrich Meiner hat 350 Russen gefangen; Fähnrich Alois Kuhn, ein Wiener Lehrer, gehört zu den Tapfersten des Regiments); prachtvoll haben 87 Reservefeldwebel Riedmüller gekämpft und Reserveinfanterist Franz Riedl, der den Tod der Helden starb. Verwundet und später ausgezeichnet für ihre mutige Haltung wurden der Einjährige Dr. Mahler, die Gefreiten Woeßner, Havel, Riedlmayer, der Infanterist Zelenka.

Der 26. Juli.

Das II. Bataillon hatte um drei Uhr morgens einen heftigen Waffengang des Feindes abzuwehren.

Die fünfte Kompagnie kam dabei den Russen von Poturtschitza in die Flanke. Stabsfeldwebel Sacher tat sich dabei besonders hervor: als er den einbrechenden Feind wahrnahm, lief er aus der Mitte seiner Kompagnie an den linken Flügel, raffte an Mannschaft zusammen, soviel er konnte, und führte sie gegen den Feind. Als die Munition auszugehen drohte, rannte er, wieder im schrecklichsten Feuer, zu den Tragtieren und zerrte und schleifte Verschläge nach vorn.

Ein Haufe von Feinden ergab sich. Als der Bataillonskommandant seine Stellungen abging, da sah er die russischen Gewehre mit den Bajonetten in der Erde stecken, einen ganzen Hopfengarten. Den Gefangenen verlangte man nur die Verbandpäckchen ab; sie sind sehr gut, die russischen Päckchen, und man bedurfte ihrer an allen Ecken und Enden; dann trieb man die Gefangenen zurück in unsre zweite Linie. Die fünfte 88 Kompagnie streifte noch weithin die Gräben des Feindes ab und machte reiche Beute.

An einem zerschossenen, verbrannten Gehöft lag ein Hügel von toten Russen und daneben ein Moskale mit gräßlich verstümmelten Beinen. Er flehte unsern Bataillonskommandanten um Beistand an.

»Ich werde gleich die Sanität schicken,« sagte der Major erschüttert.

»Schicken Sie, schicken Sie, Euer Hochwohlgeboren! Da sitzen die Offiziere bei uns hinten mit Revolvern und jagen uns vor. Was habe ich euch Oesterreichern getan – was habt ihr mir getan? Blicken Sie auf mich! Ich weiß nicht, ob ich leben bleibe; und zu Haus warten vier Kinder auf ihren Vater.« Er weinte selbst wie ein Kind.

Reserveoberleutnant Danzer drang als Kommandant der ehemaligen Kompagnie Adamiczka (Nr. 8) in das Dorf Poturtschitza ein. Dichtes Flankenfeuer der Russen, schwere Granaten. Eine Lage trifft Danzers dritten Zug und reißt den Fähnrich Dr. Weiß um. Fähnrich Ronai stürmt vor, die Mannschaft folgt mit Hurra bis in die Gräben des Feindes. »Prosze! Prosze!« rufen die Russen und heben bittend die Arme. Einer jammert: »Zweihundert Patronen hat man mir gegeben – ich hab alle ins Wasser geschossen. Gnade – ich bin nicht schuld am Krieg.« Er bekreuzigte sich und blickte zum Himmel auf.

89 Die Kompagnie macht 200 Gefangene und hätte tausend kriegen können, wenn die Russen nicht aus Angst vor den Deutschmeistern einem Nachbarregiment in die Arme liefen. Man schickt die Gefangenen ohne Bedeckung zurück, und die russische Artillerie haut Salve auf Salve in diese Leute. Patrouillen, die Oberleutnant Danzer in den Wald aussendet, werden dort von Russen umringt, halten sich aber zwischen Tod und Leben, bis sie nach vielen Stunden im Schutz der Dunkelheit die paar Schritte zu den Unsern finden.

Da hat der Gefreite Süß ein närrisches Abenteuer durchgemacht – er mit vier Mann als Patrouille vor unsrer Front. Die Russen kamen in Rudeln wie Wölfe auf ihn zu. Er legte sich in eine Mulde und zielte. Allein auch unsre Kompagnie mußte sich dieser Feinde erwehren, und so entspann sich über den Gefreiten hinweg ein fleißiger Feuerwechsel – unaufhörlich, bis in die Nacht. Süß grub sich immer tiefer ein, der Kampf wurde toll und toller. Die Artillerien schossen. Eine Granate überschüttete den Gefreiten mit einer Wagenladung Erde. Er ist trotzdem heil zurückgekehrt.

Feldwebel Beck, Ziegeldecker aus Wien, muß wohl vierzigmal das von der Artillerie zerstörte Telefon in Ordnung bringen. Bei der siebenten Kompagnie dienen zwei Brüder Brosch, einer Zugsführer, einer Feldwebel, beide ausgezeichnet. Der Zugsführer wird verwundet; der Feldwebel 90 will ihn verbinden, die aussen umzingeln ihn, ein Muschik sticht beinah schon mit dem Bajonett zu, als sich ein russischer (!) Unteroffizier dazwischenwirft und den Deutschmeisterfeldwebel rettet. Brosch kann nicht nur seinen Bruder hereinholen, er nimmt auch den russischen Unteroffizier als Gefangenen zu uns mit.

Reserveleutnant Pucelik ist eingekreist, am Arm schwer verwundet und überwältigt worden, die Russen schleppen ihn schon davon. Er macht sich plötzlich frei und entläuft. Die Russen schießen ihm nach. Er erreicht dennoch keuchend den Hilfsplatz. Da bricht er erschöpft zusammen.

Am 27. Juli

wurde der linke Flügel des Bataillons Futschig (V.) ein wenig vorgenommen, ebenso der anschließende rechte des III. Bataillons. Ansonsten bei dieser Gruppe stehendes Gefecht.

Beim II. Bataillon ging es lebhafter zu. Man hatte einen Feuerregen von Artilleriegeschossen und dazu Infanterieangriffe auszuhalten. Die Scharten unsrer Gräben waren noch nicht fertig; Da sprangen unsre Schützen auf die Deckungen und schossen, den groben Kalibern des Feindes zum Trotz, von oben. Den Zugführer Pecha warf eine Granate zurück hinter die Brustwehr – er blieb unverletzt. Infanterist Pagin wurde verwundet, legte sich selbst einen Verband an und kämpfte weiter. (Ihm ist schon in Serbien 91 einmal der Oberarm durchbohrt worden, und Pagin kann mit seiner verkrümmten Hand das Gewehr nicht handhaben; darum trägt er immer einen Riemen am Pulsgelenk, hakt nach jedem Schuß das Griffstück in den Riemen ein, bewegt damit den Verschluß zurück und stößt ihn wieder vor. Er ist ein österreichischer Italiener, im Frieden Bankbeamter in Florenz.)

Zugsführer Wenzel und der Bedienungsmann Nr. 3 hatten das Maschinengewehr zerlegt, um es zu putzen, als die Russen nahten. »Dickerl, jetzt tummeln wir uns!« mahnte der Zugsführer und brachte es fertig, das Gewehrschloß rechtzeitig zusammenzusetzen. Im nächsten Augenblick lagen die Moskalen reihenweis niedergemäht auf dem Rücken – »als wenn man an einer Schnur zieht.« Ein Bär von einem Russen kam dennoch bis in unsern Graben, stieg über den Schutzschild des Maschingewehrs, gröhlte: »Hurra! Hurra!« und – warf sofort Gewehr und Patronen hin, um sich gefangen zu geben.

Während Oberleutnant von Grimus sich rasieren läßt, schlägt eine Schwere ein, bläst die Traverse um und begräbt einen Mann. Man sieht nur mehr seine Beine. Rasch schürft man nach dem Kopf des Verunglückten, um ihn nicht ersticken zu lassen. Man macht ihn frei – er glotzt noch ganz dumm.

»Sö haben verkummen (d. h. sich drücken) wollen!« ruft ihm ein Unteroffizier im Scherz zu.

92 Der Arme schwört bei allen Heiligen, er habe sich nicht absichtlich versteckt, die Granate sei schuld. Und die Deutschmeister lachen – lachen in der heißesten Schlacht.

Die sechste Kompagnie hatte 125 Ueberläufer aufgenommen. Sie sagten: »Stellt das Feuer ein, es wollen noch viel mehr zu euch aus dem Wald und der Mulde!« Man ließ die Gewehre ein wenig ruhen, und schon zeigten sich gelbe Klumpen von Russen. Allein kaum waren sie unter den Bäumen hervorgetreten, da ritt ein Kosak ihnen nach, schwang die Geißel und scheuchte einen ganzen Trupp von ihnen peitschend zurück. Den Rest dezimierten russische Maschinen. Ein tief tempiertes russisches Schrapnell platzte mitten in die Schar und warf zwei Russen in die Luft, daß die abgerissenen Gliedmaßen nur so flogen. Wenige der Ueberläufer entkamen zu uns: einer, der mit einem Bein stumm herankroch – dem halfen die Deutschmeister in die Deckung; er stieg selbst auf die Tragbahre und hob sich das andre, zerschmetterte, entblößte Bein mit den Händen nach. Als er sich in Sicherheit fühlte, pfiff er vor Glück.

Die Unsern hatten Brot und Zigaretten im Graben vorbereitet und bewirteten ihre russischen Gäste, so viele ihrer in der Dämmerung und Nacht auch vorsprachen. Die Moskalen erzählten: bei ihnen im Wald wär Meuterei gewesen; drei Roty (Kompagnien) hätten den Gehorsam 93 verweigert, ihre Offiziere ermordet. Ob es Wahrheit oder Lüge war? Einer unsrer Horchposten meldete fernes Jammergeschrei aus dem Wald.

Ein Sibirier wurde gefangen, rollte sich eine Zigarette und sagte: »Endlich bin ich ein freier Mann.«

Einer warf sich vor unserm Kommandanten auf die Knie und bat um Schonung; man hatte ihm drüben eingeredet, wir sammelten die Gefangenen in Scheunen und zündeten das Stroh an vier Ecken an; den Kosaken aber (die Lampassen tragen) schnitten wir zwei lange Streifen Haut von den Beinen. Der Kommandant konnte mit dem Russen nicht sprechen – er schenkte ihm ein Gläschen Kognak ein und reichte es ihm. Der Russe roch mißtrauisch daran – grinste – schlürfte und rief: »Ich trinke auf unsern Sieg . . . und . . . und . . . und . . . . auf euern Sieg.«

Ein andrer sang und tanzte vergnügt dazu. »Heute morgen hat mir unser Offizier gesagt: ›Iwan, du mußt auf Patrouille – doch es ist gefährlich, du wirst vielleicht nimmer wiederkehren‹ Und er hat recht behalten.«

Am selben 27. Juli wurde Feldwebel Beck schwer verwundet, der Maler, ein Kriegsfreiwilliger. Man trug ihn fort, und er trällerte dazu sein Lieblingslied . . .

Und den tapfern Hauptmann Futschig hat, als er in Deckung schlief, eine Schwere verschüttet. Nach fünf Minuten war er ausgeschaufelt, aber er 94 atmete nicht mehr. Der Luftdruck hatte ihn getötet. Man bestattete ihn auf dem Friedhof von Sokal. Da ist ein großer Tumulus mit der wortlosen Aufschrift »1863.« Helden der großen polnischen Revolution. Im Halbkreis um sie gebettet ruhen nun zwanzig Deutschmeisteroffiziere, Fähnriche und Einjährige. . . .

 

Der 28. Juli

brachte einen zornigen Ueberfall der Russen,

 

der 29. Juli

ein sehr lebhaftes Feuergefecht; das ermüdete Regiment geht des Nachts auf Befehl in die Stellungen vom 20. zurück.

 

Am 30. Juli

Geplänkel. Es hielt am 31. Juli an, am 1. August – und dabei blieb es, bis die Deutschmeister am 27. August den Bug, die Reichsgrenze, endlich gar den Styr überschritten.

* * *

Das sind die Kämpfe um Sokal, von Freund und Feind mit ebenbürtigem Mut ausgefochten. Der karge Raum verbietet mir, mehr als den kleinsten Teil jener Männer zu nennen, die Lorbeer bei Sokal pflückten. 532 Silberne und Bronzene Tapferkeitsmedaillen (die Goldnen sollen erst noch verliehen werden) – das sagt genug. Einige Offiziere, die das Aeußerste leisteten, will ich aus den langen Listen doch noch 95 herausgreifen – alle würdig, daß man ihre Namen in Marmor grabe:

Hauptmann Stepanek, die Oberleutnante Bednar und Cloßmann, die Reserveleutnante Erich, Alois Gründler, Gruner, Ludwig Haas, Karczok, Heinrich Kurz, Marko, Menschendörfer, Richer, Scheiber, Dr. Karl Schneider; Reservefähnrich Friedau; die Kadetten Otto Mayer, Sax und Topolschek.

Die Russen hatten vielfach völkerrechtswidrige Munition benutzt; sie zogen die Geschosse aus den Patronen und steckten sie verkehrt (mit der Spitze nach innen) wieder ein. Die Wunden von solchen Geschossen sind ebenso grausam wie die von Dumdumkugeln – und das Verbrechen nicht einmal nachweisbar. Man hat aber die eigentümlichen Schnalzer beim Aufschlag deutlich gehört, und der Befund des Arztes in Hunderten von Fällen kann nicht trügen.

Wenn es noch verbohrte Zweifler gab, die dem Gebildeten, dem Städter, die Fähigkeit und Zähigkeit in Verteidigung und Angriff absprachen: die Vorgänge bei Sokal reden mit lauten Zungen. Bei Sokal hat grade die Intelligenz Wiens gesiegt – der Akademiker, der Arbeiter, der Kaufmann.

Die Schlacht bei Sokal war schwer, entsetzlicher als so vieles, was gutgläubige Sanguiniker vom Krieg sehen oder sehen wollen. Doch grade aus diesen Schrecknissen hervor haben sich 96 die Deutschmeister einmal für immer in die vorderste Reihe unsrer Regimenter gestellt.

»Vergessen werden wir Sokal nie,
Die Straße am Friedhof vorbei.«

Nachschrift.

Eben sind die Fähnriche Frimmel und Kuhn, die Unteroffiziere Sacher und Schliefert mit der Goldnen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet worden; der Divisionär Generalmajor Poleschensky hat ihnen die Medaillen im heftigsten Feuer der russischen Granaten persönlich angeheftet. Feldwebel Renner, dem gleichfalls die Goldne zugedacht war, ist tot.

* * *

Auch Király, der echteste aller Wiener, hat bei Sokal das Abenteuer seines Lebens gehabt. Doch eh' ichs schildere – in seiner Weise – muß ich ein Wörterbuch seiner Sprache anlegen. Nur eine flüchtige Vorarbeit künftiger und zünftiger Forschung:

Wie die Deutschmeister im Krieg reden.

Die übliche alphabetische Anordnung der wichtigsten Ausdrücke wird der Sache am besten dienen.

Abgewachelt – bedeutet soviel wie: verweigert. »Urlaub is abgwachelt,« »Wein is abgwachelt.« 97

Abstauben: Fleisch ans einer fremden Fahrküche, Patronen aus einem fremden Munitionswagen holen; Reste aus der Eßschale des Kameraden putzen u. dgl.

Anhau'n: sattessen.

A Bankerl machen: sterben.

Beutelwasser: ein Getränk, von dem man nicht bestimmt weiß, ob es Tee oder Kaffee ist.

Bims: Kommißbrot.

Bledern: schießen.

Derrennen: treffen.

Federn: Angst.

Fisolen: Patronen.

Fördern: vortreiben.

Gelenkübung: Tarockspiel.

Grean: gefährlich.

Hau dir's am Tutten: behalt es dir!

Jappeln: langweilig, unregelmäßig marschieren. Es hieß, die Kompagnie werde heute in A nächtigen. In A erfährt sie aber, daß sie noch zehn Kilometer weiter nach B. zu gehen habe; dieser Marsch von A nach B heißt dann »a Jappler«.

Kneisten: ahnen, eine Ahnung haben.

Die Latten: das Gewehr.

Rechtsum: Rechnungsunteroffizier.

Requiriert: nicht gekauft, nicht gestohlen und dennoch da.

Rewuzler: Stoß, Schlag. 98

S. K. (»Eßkaa«) oder Sanskaa: nicht vorhanden; »Tabak is jetzt sanskaa bei uns.«

Sali: die Sanitätstruppe.

Schmäh: großmäuliges Reden. »Geh', halt die Alte mit an Schmäh nieder, i schau daweil, ob s' Erdäpfeln im Keller hat.«

Schurl: Typus des Deutschmeisters.

Sküsmartern oder Sküsraazen: Karten spielen (tarockieren).

Vom Sprissel fallen: sterben.

Sterben lassen: betrügen. »I hab' eahm um a Brot sterben lassen.«

Stis: Fähnrich, Kadettaspirant.

Stranzenskatt: ohne Bett. »Mir san heu' stranzenskatt.«

Tachinieren: sich umhertreiben, umherschnüffeln.

Tachinierer: der gutmütige Marodeur; er ist durchaus kein Feigling; man findet ihn oft vor der eigenen Schwarmlinie, wo er in einem verlassenen Haus Brennholz oder ein Stückchen Seife oder ein Huhn »abstaubt.« Die Etymologen des Deutschmeisterregiments erinnern an das slawische tahati – ziehen; der Ausdruck geht aber auf »Tarchener« zurück, im Rotwelsch der Gauner so viel wie: Tagedieb. – Das Abzeichen des Tachinierers ist ein Löffel im Stiefel.

Tippeldrucker: die Sanitätsmannschaft.

Titschkerl: das Bajonett. 99

Ueberdippeln: überlisten.

Verkummen: wegbleiben, marodieren.

Verkummene: Nachzügler.

Zabrallieren: wegnehmen, erbeuten; die Antwort des polnischen Bauers, wenn der Soldat etwas von ihm verlangt: »Moskali schitzko zabrali.« »Die Moskalen haben alles genommen.«

Nach dieser sprachlichen Vorbereitung wird man sie verstehen, die Geschichte:

Wie der Infanterist Kiraly seinen Gefangenen machte.

Kiraly ist trotz seinem magyarischen Namen ein Wiener. »Gelernter Buchbinder,« wie er angibt, aber seit einigen Jahren Möbelpacker.

»Sie haben mir doch vorvorige Weihnachten einen Christbaum verkauft. Sie warens, ich erkenne Sie genau.«

»Gnä Herr – Christbaam verkaafen, des tur i im Winter.«

Nun muß mir Infanterist Kiraly die berühmte Begebenheit erzählen. Ich bedaure nur, daß die Schrift dem Tonfall und der Mundart des Originals so viel schuldig bleibt und ich das Wienerische vielleicht nicht in allen seinen Feinheiten werde wiedergeben können.

»Alstern, gnä Herr, die Gschicht war aso mit dem Gefangenen: Mir ham des Gfecht ghabt bei Sokal – des war ka Gspaß.«

100 »Ich weiß, Kiraly!«

»Vom 18. bis in letzten Juli hats dauert, des Gfecht. Aber wiar i mei Russen gfangt hab, des war also am 28. auf d' Nacht. Mir saan drin im Schützengraben gwesen – ka Schiaßen war net mehr, aber d' Russen grad vor uns fis-a-fi, so a hundert Schritt. Aufpaßt ham mir wier die Feikeln (Falken). I hab im Schützengraben no a bißt umanandtan – zsammkehren und so – daß was ausschaut; an tadellosen Ausschuß ham mir sich gmacht – auf amaal sagt der Hurchposten, was halt scho a so draußten is gstanden: ›Schau, Vikerl,‹ sagt 'r zu mir, ›wie d' Fünfte (Kompagnie) 'n Schmant araamt.‹ Kruzifix, da hab ich g'eifert; ham die schon wieder an Schiebel Gefangene ghabt un mir heunt no koan aanzigen.

Auf des krieg i an Mordstrummzurn und sag zu mein Schwarm: ›Schiaßts net, i geh füri, denen Russen pojd' sem wacheln (winken).‹

Sagt der Leutnant: ›Wern S' glei reingehn?!‹

›Naa,‹ sag i, ›i renn hin, daß s' herkummen.‹

Wiar i probier zum außikrallen, fangt auf aamal ihner Maschingwehr zum Bledern an – bald hätt's mi derrennt. Herrgott, hab i Federn ghabt! Un glei eini wiar an Eidachsel in d' Deckung. Sag i zum Wlk: ›Geh, gib m'r gschwind a Packerl Fisolen her, daß i ehna aa a paar hinstaub.‹ So ham mir s' gfördert.

101 Mittlerweile wars scho auf d' Nacht. Hör i's allweil winseln und winseln draußt vorn Drahtverhau. Sag i zum Wlk: ›Kumm her da – finster is – no ja? – schaun m'r, was des draußt is, daß mir Mode (Ordnung) machen.‹ ›Gut,‹ sagt er, ›packen mir sich z'samm!‹ A Behm is 'r halt, kann er si' schlecht ausdrückeln – aber a sehr a strammer Bursch, der Wlk. – No, mir schaun – liegt net a Ruß durten, a so a Blaader (Dicker) und wuzelt an Zedel in der Hand, was i segen kann bei dera Finstern.

›Kumm, Wlk,‹ sag i, ›der hat a Schrift, der will gwiß was verraten!‹ No, saan mir so langsam zubi untern Drahtverhau, i und der Wlk, und der Blaade sagt schon von weiten: ›Nix Granaten, nix Granaten.‹ Daß 'r halt ka Handgranaten net hat. Des ham m'r eh gsegen. Und wie mir den Blaaden wollen schön stad angreifen, fangt er an zum schrein wie gschunden. No, des fehlet uns grad, daß er d' ganzen Russen alarmieret, daß s' uns a paar Salven zubeuteln! Liegen hab i eahm lassen und bin zruck. Auf des der Blaade wieder: ›Panje! Panje! Hilfe!‹ ›Gut,‹ sag i', ›gholfen wird – aber: Ruski, tiho! (Sei still!) Sunst wird d' Vorstellung abgsagt.‹ Ham m'r eahm wieder anpackt und unter 'm Drahtverhau durch. Saan a bißel am Stacheldraht ankummen mit seim Lavendel (Kopf), hat er no mehr gschriean. Schrei nur zu – hast des Loch im Schädel ausghalten, kannst des bißl aa 102 aushalten! Aber schwer war er, der Blaade – net zum derschleppen.

Sag i zum Wlk: ›Renn umi in Schützengraben um a Zeltbladel!‹ Ham m'rs schön aufbreit, ham dem Blaaden an Beutler geben – is er umigrollt, und mir ham eahm zarrt auf der Erden. Er, wissen S', gschriean bei dera Schlittasch – hat halt an Schmerz ghabt. Und d' Russen ham gschossen und gschossen auf mi und 'n Wlk, beleucht ham s' uns mit die Scheinwerfern – auf Ja und Naa hält i a Schrapnöll graamt.

Derweil hat d' Sanität die Trag aufigeben, ham mir eahm draufglegt und einikugelt in 'n Schützengraben.

Wiar er drin war, dar Blaade, packt 'r mi am Hals und hat mir a Bussel geben vor lauter Freud, daß er am Trockenen is. Hab i eahm halt aa aans geben. Der Zedel, des is a Fatagrafie gwesen; vier Kinder waren drauf und sei Frau.«

Das ist die berühmte Geschichte von Kiralys Gefangenen. Kiraly hat unter furchtbarster Gefährdung des eigenen Lebens den Russen vor dem sichern Tod gerettet.

* * *

Das ist die Geschichte der Sokaler Schlacht, wie Mitkämpfer sie mir darstellten; Mitkämpfer, die am 27. August unterm Birnbaum um mich versammelt saßen. 103

Boratyn.

Es ist Nachmittag geworden im Deutschmeisterdorf. Eine Kompagnie rückt vom Exerzieren ein, eine andre kommt vom Entlausen. Bei der letzten sehe ich einen kleinen, vierzehnjährigen Jungen, ein Kriegskind: die Deutschmeister haben ihn aus Kotowitze mitgenommen, wo er elternlos zurückgeblieben war; das Bübchen diente zuerst als Tragtierführer und ist jetzt richtiger Infanterist. In der andern Kompagnie marschieren nebeneinander Vater und Sohn. Der Sohn ist von Anbeginn im Feld, der Vater letzthin mit einem Marschbataillon angelangt. Das seltsame Zusammentreffen soll den Sohn zu folgendem Ausruf veranlaßt haben: Servas, spater Herr! Bist aa scho dader? Ah, Jessas, da schauts her – des is mei Vader!«

Noch ein Blick auf den Trainpark, wo man Fußball spielt, am Feldrain Zeitungen liest und Briefe schreibt, Flugdächer für die Pferde erbaut . . . Ein Feldwebel zeigt mir Aluminiumfetzen einer russischen Fliegerbombe, die unlängst hier einschlug. Der Metzger des Regiments schlachtet eine Kuh. Die Kochfeuer dampfen. Der Korporal am Telefon krächzt: »Hier Amt Hernals. Bitte Ottakring! Halloh, Schönbrunn?!« Man tröstet sich mit solchen Reminiszenzen über den langen Krieg hinweg und hält selbstquälerisch das Heimweh wach . . .

Ich nahm Abschied von den Deutschmeistern.

104 Als ich dann nach langem Ritt querfeldein im Mondschein beim Korpsstab vorsprach, war's eine historische Stunde: General der Infanterie Freiherr v. Kirchbach gab Befehl zum Vormarsch über den Bug.

Die Kanonen dröhnten. Das Deutschmeisterdorf wird in diesem Augenblick wohl wieder Boratyn heißen wie alle Tage. 105

 


 


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