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Ein Staatsgeheimnis.

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In das Gesandtschaftshotel einer bekannten ausländischen Regierung zu Paris trat eines Morgens ein auffallend schöner und elegant gekleideter junger Mann, der erst vor wenigen Stunden mit der Eisenbahn von Petersburg nach dem modernen Babel gekommen war.

Nachdem der Fremde dem meldenden Kammerdiener seine Karte abgegeben hatte, führte dieser ihn mit besonderer Höflichkeit in den Empfangssalon, wo er ihn einige Augenblicke zu verweilen ersuchte, da der Botschafter noch anderweitig beschäftigt war.

Während der junge Mann in sichtlicher Ungeduld wartete, kam aus dem Arbeitszimmer des Gesandten der ihm von früher bekannte Legationsrat Herr von Bieberstein und begrüßte ihn freundlich.

»Sie hier, lieber Distram!« rief derselbe in dem ihm eigenen süßlichen Ton. »Welche Ueberraschung! Wie mich das freut! – Aber was führt Sie nach Paris?«

»Das kann ich Ihnen auch beim besten Willen nicht verraten, da ich es selbst nicht weiß.«

»Bah! Sie scherzen oder wollen den Diskreten spielen.«

»Auf mein Wort! Ich habe keine Ahnung, was ich hier soll, und bin noch neugieriger als Sie, den Zweck meiner weiten Reise zu erfahren.«

»Seltsam! – Aber wollen Sie mir nicht erzählen, wie es Ihnen ergangen ist, seitdem wir uns zum letztenmal in Florenz gesehen? – Wo kommen Sie denn her?«

»Direkt in einer Tour von Petersburg, wo ich bis vor wenigen Tagen bei unserer Botschaft attachiert war und mich gottvoll amüsierte. – Die beste Gesellschaft, ein großartiges Leben, himmlische Frauen –«

»Natürlich waren Sie dort wie überall le coq du village,« bemerkte der Legationsrat mit leichter Ironie, »und haben wieder zahlreiche Eroberungen gemacht.«

»Es ging noch an,« entgegnete der junge Attaché, selbstgefällig lächelnd. »Einige kleine Liaisons will ich nicht in Abrede stellen. – Die russischen Damen sind so interessant, so liebenswürdig –«

»Und nicht grausam. – Ich kann mir denken, daß Sie mit schwerem Herzen abgereist sind, daß so manche verlassene Ariadne an den Ufern der Newa um ihren treulosen Theseus trauern wird.«

»Dafür kann ich nicht. – Der Bien' muß, heißt es in Rußland. – Que faire? – Da hilft kein Widerstreben, wenn das auswärtige Amt befiehlt, mich sofort nach Paris zu begeben und mich gleich nach meiner Ankunft dem hiesigen Botschafter zur Disposition zu stellen.«

»Das wundert mich. – So viel ich weiß, sind alle höheren Stellen bei uns besetzt und eine Vakanz nicht zu erwarten. – Hat man Ihnen denn eine gewisse Aussicht eröffnet, irgend eine Andeutung fallen lassen, welche Dienste man von Ihnen erwartet?« fragte der Legationsrat lauernd.

»Nicht eine Silbe!« versetzte Herr von Distram, mit einer für einen Diplomaten seltenen Offenherzigkeit. »Ich war wie aus den Wolken gefallen, als mich unser Chef eines Tages rufen ließ und mir meine unerwartete Abreise ankündigte. – Statt mich mit den üblichen Instruktionen zu versehen, machte er mir, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, die liebenswürdigsten Komplimente über meine bisherigen Erfolge. – Es klang wirklich wie die bitterste Ironie, da sich entre nous meine ganzen diplomatischen Leistungen in Petersburg lediglich darauf beschränkten, im Hotel Demuth zu dinieren, des Abends im Klub eine Partie Baccarat zu machen, die Salons zu besuchen, Quadrillen zu tanzen, lebende Bilder zu arrangieren, in einer französischen Komödie mitzuspielen oder in einer Offenbachschen Operette zu singen und von Zeit zu Zeit für einen reisenden Handwerksburschen oder Commis Voyageur die Pässe zu visieren.«

»Ich kenne das, lieber Freund, aus eigener Erfahrung. – Aber wollen Sie nicht fortfahren –«

»Offen gestanden, war ich auf das höchste überrascht, als Seine Excellenz im Lauf unserer Unterhaltung sich in einer wahrhaft schmeichelhaften Weise, die mich unwillkürlich erröten ließ, über meine gesellschaftlichen Talente, meine Tournüre und meine elegante Erscheinung sehr anerkennend äußerte und mir förmlich zu meinen kleinen Eroberungen Glück wünschte. – Anfänglich glaubte ich auch, daß der alte, mir nicht besonders gewogene Herr sich über mich nur lustig machen und mich mystifizieren wollte. Doch ich konnte nicht länger an seinem Ernst zweifeln, als er mir im offiziellen Geschäftston mitteilte, daß er mich in Anbetracht meiner mir selbst gänzlich unbekannten diplomatischen Qualitäten und Meriten zu einer besonders delikaten Mission empfohlen habe, von deren Gelingen meine fernere Carriere abhängen würde. – Das Genauere sollte ich erst in Paris erfahren, wo ich mich ungesäumt auf der Botschaft zu melden hätte. – Vielleicht können Sie, Herr von Bieberstein, mir nun sagen, was das alles zu bedeuten hat?«

»Ich bedaure,« erwiderte der Legationsrat mit spöttischem Lächeln, »daß ich Ihnen nicht dienen kann. – Jedenfalls muß es sich aber um eine wichtige Mission, wo nicht um ein Staatsgeheimnis handeln, da der Herr Botschafter mir kein Wort von Ihrer Ankunft gesagt hat, was er doch sonst stets zu thun pflegt.«

»Nous verrons!« entgegnete der Attaché gutmütig. »Bei Gott und unserem Premierminister ist alles möglich.«

Plötzlich verstummte Herr von Distram, da in diesem Augenblick eine junge Dame in den Empfangssalon trat, die den liebenswürdigen Diplomaten seine ganze Mission vergessen ließ und selbst den kalten ehrgeizigen Legationsrat im höchsten Grade zu interessieren schien.

Es war in der That eine reizende, anmutige Erscheinung, schlank und zierlich gewachsen, eine graziöse Gestalt mit feinen, geistvollen Zügen, aschblonden Haaren und dunklen, feurigen Augen, die unter den langen, seidenweichen Wimpern wie glänzende schwarze Diamanten funkelten.

Mit einer leichten, vornehmen Neigung des schönen Kopfes erwiderte die junge Dame, Gräfin Armgard von Plessen, die einzige Tochter des Botschafters, den devoten Gruß des Legationsrats, ohne den bescheiden zurücktretenden Attaché zu bemerken.

»Ich wollte nur,« sagte sie mit silberheller Stimme, »mich erkundigen, wann der Kurier heute abgeht?«

»In einer Stunde,« versetzte Herr von Bieberstein; »haben die Gnädige einen Auftrag für ihn?«

»Nur diesen Brief und ein kleines Paket für meine Tante.«

»Das soll sogleich besorgt werden. – Kann ich sonst noch mit etwas dienen?«

»Wenn Sie so freundlich sein wollen, den Papa zu erinnern, daß wir ihn erwarten. Er ist wohl sehr beschäftigt?«

»Die Depeschen sind bereits erledigt, und wenn Herr von Distram Seine Excellenz nicht zu lange aufhält –«

»Wie!« rief die Gräfin überrascht. »Ist Herr von Distram in Paris?«

»Seit heute morgen,« versetzte der Legationsrat leise. »Er steht dort am Kamin. Wünschen die Komtesse, daß ich ihn vorstelle?«

»O! das ist nicht mehr nötig. Wir sind alte Bekannte. Nicht wahr, Herr von Distram?« sagte Armgard laut, dem entzückten Attaché ihre kleine Hand freundlich entgegenhaltend.

»Ich glaubte,« erwiderte dieser, sich verbeugend, »daß Komtesse Armgard mich wieder vergessen hätten. Deshalb wagte ich auch nicht, Sie anzusprechen.«

»Allerdings war ich damals noch ein entsetzlicher Backfisch, als ich Sie kennen lernte. Aber ich erinnere mich noch immer mit vielem Vergnügen der schönen, heiteren Tage, die wir miteinander in dem Hause der guten Tante Erlach verlebten. – Wissen Sie auch, Herr von Distram, daß ich Ihnen meinen ersten kleinen Triumph verdankte, als Sie mir für den Polterabend meiner Cousine Julie die Rolle des ›Puk‹ einstudierten?«

»Wie könnte ich das vergessen! Sie waren der reizendste Puk, der liebenswürdigste Kobold, den ich je gesehen.«

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»Und Sie ein unvergleichlicher ›Zettel‹! Ich habe nie so viel gelacht, wie an jenem fröhlichen Abend. Sie waren zu komisch. Süperb!«

»Sie beschämen mich, meine Gnädige!«

»Ich freue mich schon darauf, wieder einmal eine Probe Ihres Talentes zu sehen. Wir beabsichtigen nämlich, nächstens eine Vorstellung zum Besten unserer armen Landsleute zu veranstalten, wobei Sie natürlich nicht fehlen dürfen.«

»Leider kann ich Ihre günstige Aufforderung nicht annehmen, so glücklich ich mich auch schätzen würde, da ich nicht weiß, ob und wie lange ich in Paris bleiben werde.«

»Mein Gott!« versetzte die Gräfin verwundert. »Sind Sie denn nicht zu der hiesigen Botschaft versetzt?«

»Vorläufig ist das noch zweifelhaft. Ich muß erst die Entscheidung Seiner Excellenz abwarten, von dem allein mein Schicksal abhängt.«

»Das begreife ich nicht. Wollen Sie mir, bitte, nicht sagen –«

»Herr von Distram,« spottete der boshafte Legationsrat, »giebt bei uns nur eine diplomatische Gastrolle. Er ist zu einer hohen Mission nach Paris berufen. Wie es scheint, handelt es sich um ein wichtiges Staatsgeheimnis.«

»Ein Staatsgeheimnis,« scherzte Armgard. »Das ist ja höchst interessant. Schnell, erzählen Sie mir! Ich bin auf das höchste gespannt.«

»Da müssen Sie den Herrn Botschafter fragen. Mir selbst ist nicht ein Wort davon bekannt.«

»Papa wird es mir schon sagen, wenn ich ihn darum bitte. Hoffentlich wird Ihre Mission Ihnen so viel Zeit lassen, Ihre alten Freunde einmal zu sehen.«

Mit freundlichstem Lächeln und Nicken entfernte sich die reizende Gräfin in Begleitung des Legationsrats, während Herr von Distram allein zurückblieb, von den angenehmsten Gefühlen und Hoffnungen bewegt, welche die anmutige junge Dame in seinem nur zu empfänglichen Herzen hervorgerufen hatte.

Mehr als je wünschte er jetzt in Paris zu bleiben, in der Nähe der schönen Gräfin verweilen zu dürfen, deren Liebenswürdigkeit und sichtliche Freude über seine unerwartete Gegenwart einen tiefen Eindruck hinterlassen hatte.

Mit steigender Ungeduld erwartete er daher den Ruf des Botschafters, der über seine Zukunft, über sein Bleiben oder Fortgehen entscheiden sollte.

Endlich erschien der höfliche Kammerdiener und ersuchte ihn, in das Arbeitszimmer einzutreten, wo ihn Graf Plessen, ein älterer, imposanter Herr, mit einem klugen, aristokratischen Gesicht und vornehmer Haltung zwar artig, aber kalt und gemessen empfing.

Nachdem der Botschafter den sich tief verneigenden Attaché mit seinen scharfen durchdringenden Augen gemustert und gleichsam einer strengen Prüfung unterworfen hatte, ersuchte er ihn mit wohlwollendem, nur etwas sarkastischem Lächeln, Platz zu nehmen.

Statt aber, wie Herr von Distram wünschte und erwartete, mit ihm über diplomatische Geschäfte oder über die geheimnisvolle Mission zu sprechen, unterhielt sich der ernste Botschafter mit ihm angelegentlich über die Petersburger Gesellschaften, über das dortige Leben und Treiben, über Bälle, Theater und Konzerte, ganz besonders aber über die Damen der russischen Hauptstadt, die ihn vor allem zu interessieren schienen.

Dabei zeigte sich der Graf von der Vergangenheit des jungen Diplomaten besser und genauer unterrichtet, als diesem in dem Augenblick lieb sein mochte.

»Wie mir von Petersburg mitgeteilt wird,« sagte der Botschafter im Laufe des Gesprächs, »haben Sie dort ein äußerst angenehmes Leben geführt.«

»Das kann ich nicht leugnen.«

»Gut, sehr gut! – Sie haben sich ausgezeichnet amüsiert.«

»Allerdings!«

»Scharmant! – Wie ich höre, sollen Sie auch ein sehr liebenswürdiger Gesellschafter sein.«

»Excellenz belieben zu scherzen. Ich tanze gern und leidenschaftlich.«

»Das freut mich – Sie singen –«

»Passable!«

»Und spielen mit vielem Beifall Komödie.«

»Das Petersburger Publikum war stets nachsichtig für meine schwachen Leistungen.«

»Natürlich,« fuhr der Botschafter nach einer kleinen Pause lächelnd fort, »hat es Ihnen auch nicht an interessanten Eroberungen, an zarten Liaisons und galanten Abenteuern gefehlt. – Man erzählt, daß die Frau von Massarof, die Gräfin Labanof, die reizende Tänzerin St. Aubin und Fräulein von –«

»Mein Gott!« rief der verlegene Attaché, »Excellenz werden doch nicht glauben –«

»Nun, nun,« entgegnete der Graf freundlich, »Sie brauchen deshalb nicht vor mir zu erröten. Ich bin auch einmal jung gewesen, und kenne das Leben. Für einen angehenden Diplomaten ist der Umgang mit schönen, interessanten Frauen die beste Schule, ein unentbehrliches Studium. Sie scheinen mir in der That Ihre Zeit gut benützt zu haben und ganz der geeignete Mann für die Ihnen zugedachte Mission zu sein.«

»Excellenz sind zu gütig.«

»Mit Ihrem eleganten Aeußern, Ihren gesellschaftlichen Talenten und Ihrem Glück bei den Damen können Sie es noch weit bringen.«

Zugleich sah der Botschafter wieder den jungen Attaché mit seinen scharfen, durchdringenden Augen so forschend an und lächelte so eigentümlich, daß dieser nicht wußte, was er von dem allem denken und dazu sagen sollte.

Die seltsamen Reden und Fragen des Grafen, die wiederholten Erinnerungen an seine Abenteuer in Petersburg, die Erwähnung seiner gesellschaftlichen Talente und Erfolge verwirrten und intriguierten den jungen Diplomaten.

Was hatte sein Gesang, sein Tanz und seine schauspielerische Begabung mit jener geheimnisvollen Mission zu thun? Wozu war er nach Paris gekommen? Was verlangte man von ihm?

Mit diesen naheliegenden Fragen beschäftigt, erwartete Herr von Distram, auf das höchste gespannt, die Eröffnungen des Botschafters, die endliche Lösung des ihm unerklärlichen Rätsels.

»Bevor ich,« sagte der Graf nach einiger Zeit mit einer gewissen Feierlichkeit, »Ihnen die nötigen Instruktionen erteile, müssen Sie sich verpflichten, mit keinem Menschen über die Ihnen anvertraute Angelegenheit zu sprechen.«

»Ich gebe Eurer Excellenz mein Ehrenwort.«

»So erfahren Sie denn,« fuhr der Botschafter in demselben Ton fort, »um was es sich handelt. – In der Rue Helder Nummer 25 wohnt Frau von Marillac, eine bekannte Pariser Schönheit, von der Sie gewiß schon gehört haben werden, da dieselbe sich einige Zeit in Petersburg aufhielt.«

»Ich erinnere mich. Man sprach damals in allen Salons von einem Verhältnis mit dem Prinzen Eugen. Ich selbst habe sie zuweilen in Gesellschaft gesehen und auf einem öffentlichen Ball mit ihr getanzt.«

»Um so besser! – Es kann Ihnen daher nicht schwer fallen, die Bekanntschaft der Dame zu erneuern und sich bei ihr Eingang zu verschaffen.«

»Wenn Excellenz wünschen,« versetzte Herr von Distram zögernd, »werde ich Frau von Marillac besuchen und mich ihr vorstellen.«

»Selbstverständlich werden Sie auch der schönen Frau den Hof machen.«

»Ich gestehe, daß Frau von Marillac mich wenig oder gar nicht interessiert.«

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»Das thut nichts. L'appétit vient en mangeant. Auch gehört das Courmachen mit zu ihrer Mission. Sie müssen sogar mit der Dame eine zarte Liaison anzuknüpfen suchen.«

»Unmöglich!« rief der Attaché bestürzt.

»Es ist dies aber dringend notwendig,« erwiderte der Botschafter mit kalter Ruhe. »Sie wissen allerdings nicht, was auf dem Spiele steht.«

»Wenn Excellenz mir nur sagen wollten –«

»Ein wichtiges Staatsgeheimnis, die höchsten Interessen des königlichen Hauses. Mehr kann und darf ich Ihnen nicht verraten. Sie werden Seine Majestät zu großem Dank verpflichten und dürfen für Ihre Dienste eine glänzende Belohnung erwarten.«

Der tiefe Ernst, womit der Graf sprach, mußte jeden Verdacht einer Mystifikation zerstreuen, so seltsam und unbegreiflich auch dem jungen Diplomaten der ihm zuteil gewordene Auftrag erschien und so gern er auch über den Zweck desselben Genaueres erfahren hätte.

»Wohlan!« sagte er nach kurzer Ueberlegung resigniert. »Ich werde Frau von Marillac aufsuchen, ihr den Hof machen und eine Liaison anknüpfen, wenn ich auch für den Erfolg mich nicht verbürgen kann.«

»Deshalb bin ich unbesorgt. Nachdem ich Sie persönlich kennen gelernt habe, zweifle ich nicht mehr an dem Gelingen Ihrer Mission. Bieten Sie nur Ihre ganze Liebenswürdigkeit, alle Künste der Verführung auf. Wie ich höre, soll Frau von Marillac nicht unempfindlich für Geschenke, besonders für wertvolle Diamanten sein. Ich werde Ihnen zu diesem Zweck einen Kredit bei Rothschild eröffnen. Sie können die Ihnen angewiesenen Summen nach Belieben zur Bestreitung der nötigen Ausgaben verwenden, um mit Eklat aufzutreten und jeden Wunsch der etwas kostspieligen Dame zu befriedigen. Auf Geld kommt es dabei nicht an, wenn Sie nur reüssieren.«

»Ich werde mich bemühen, das schmeichelhafte Vertrauen Eurer Excellenz zu rechtfertigen.«

»Und ich,« entgegnete freundlich der Botschafter, »werde nicht ermangeln, Sie zur nächsten Beförderung zu empfehlen, wenn Sie, wie ich wünsche und hoffe, Ihre Mission glücklich ausführen.« –

Eine der schönsten und gefährlichsten Blüten an dem giftigen Manzenillabaum des modernen Babels war die bekannte Frau von Marillac, die Heldin zahlreicher galanter Abenteuer. Mit einer wahrhaft berückenden Schönheit verband dieselbe jenen bezaubernden Esprit und bewunderungswürdigen Chik, der in dieser Vollkommenheit nur bei gewissen Französinnen gefunden wird.

Ihr rötlich-blondes Haar und ihre grünlich schillernden Augen verliehen ihr einen dämonisch bestrickenden Reiz, dem so leicht kein Mann zu widerstehen vermochte.

Die gesamte jeunesse dorée von Paris, die ganze vornehme, müßige Männerwelt schwärmte für die verführerische Dame. Zu ihren Anbetern zählten Fürsten, Herzoge und Grafen, selbst ein auswärtiger königlicher Prinz schmachtete in den Netzen der modernen Circe und galt für ihren erklärten Liebhaber. Unter solchen Umständen war es keine leichte Aufgabe für den jungen, fremden Attaché, die ihm anvertraute und nur auf den dringenden Wunsch des Botschafters übernommene Mission auszuführen.

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Aber auch hier war das Glück dem Kühnen hold. Ausgerüstet mit allen nötigen Eigenschaften und mit dem unentbehrlichen goldenen Schlüssel versehen, gelang es ihm schon in den nächsten Tagen, sich den gewünschten Zutritt bei der für männliche Schönheit und kostbare Geschenke nichts weniger als unempfänglichen Dame zu verschaffen.

Bald war der liebenswürdige Diplomat in ihrem mit verschwenderischem Luxus ausgestatteten Boudoir ein gern und oft gesehener Gast. Er durfte sie in die Oper begleiten, mit ihr zuweilen ausreiten und selbst nach dem Theater mit ihr im vertraulichen tête-à-tête soupieren.

Mit anerkennenswerter Beharrlichkeit verfolgte Herr von Distram seine Eroberung, obgleich ihm die ihm gestellte Aufgabe keineswegs so zusagte, wie dies vor einigen Wochen der Fall gewesen wäre, da er sich weit mehr zu der reizenden Armgard hingezogen fühlte.

Trotzdem versäumte er keine Gelegenheit, die Neigung der Frau von Marillac zu gewinnen. Täglich brachte er ihr die schönsten Blumen und von Zeit zu Zeit auch einen wertvolleren Schmuckgegenstand, ein kostbares Armband, eine Diamantbrosche oder ein Kollier, weshalb sie ihn für einen jungen Krösus oder mindestens für einen mehrfachen Millionär hielt. Diesem in ihren Augen schwerwiegenden Umstand verdankte er hauptsächlich den schnellen und günstigen Erfolg seiner Bemühungen. Sie bevorzugte ihn so auffallend vor allen ihren übrigen Anbetern, daß selbst der Prinz Eugen auf ihn ernstlich eifersüchtig wurde.

Eines Tages, als Herr von Distram mit Frau von Marillac einer ersten Vorstellung im Théâtre-Français beiwohnte, bemerkte er in der gegenüberliegenden Loge des Botschafters die anmutige Armgard in Begleitung ihrer Mutter, einer stattlichen, würdigen Dame, und des bekannten Legationsrats von Bieberstein.

Bei dem Anblick der schönen, interessanten Komtesse errötete er unwillkürlich und sein Herz schlug so laut, als ob er eine große Sünde begangen hätte. Er wagte nicht, sie anzusehen, obgleich sie ihm nie schöner erschienen war als heute in ihrer eleganten, geschmackvollen Toilette, von dem Zauber jungfräulicher Unschuld umschwebt.

Während die junge Männerwelt im Parkett den glücklichen Attaché um seine Eroberung beneidete, stand der Aermste wahre Höllenqualen aus. Er verwünschte seine traurige Mission und sehnte das Ende der Vorstellung herbei.

Der Gedanke an Armgard brachte ihn zur Verzweiflung. Mußte sie ihn nicht in Gesellschaft einer so verrufenen Frau für einen gewöhnlichen Roué halten und ihn wegen seiner unverzeihlichen Verirrungen verachten?

In der That hatte Armgard den Attaché mit seiner Begleiterin ebenfalls bemerkt oder war vielmehr von dem boshaften Legationsrat auf beide absichtlich aufmerksam gemacht worden.

»Sitzt dort nicht,« sagte dieser mit geheuchelter Verwunderung, »Herr von Distram mit Frau von Marillac?«

»Kennen Sie diese Dame näher?« fragte die Frau des Botschafters.

»Nur oberflächlich,« entgegnete der Legationsrat hämisch, »par renommée, das gerade nicht das beste ist. Excellenz werden gewiß schon von der famosen Geliebten des Prinzen Eugen gehört haben.«

»Und mit dieser Frau verkehrt Herr von Distram! Das hätt' ich nicht gedacht.«

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»Wie man sagt, soll er der glückliche Rival des Prinzen sein, und ein sehr intimes Verhältnis mit der Dame haben.«

Obgleich das Gespräch nur leise geführt wurde und Armgard nicht darauf zu achten schien, entging ihr kein Wort der sie interessierenden Unterhaltung. Dabei konnte sie sich nicht eines ihr bisher unbekannten peinlichen Gefühls erwehren.

Es schmerzte sie, Herrn von Distram in so anrüchiger Gesellschaft zu sehen, da er auch ihr keineswegs gleichgültig war und sie sich unbewußt für den liebenswürdigen Attaché interessierte.

Der Zufall fügte es, daß beide zu gleicher Zeit das Theater nach beendeter Vorstellung verließen und sich in dem hell erleuchteten Korridor begegneten, wo die Frau Gräfin den verlegenen Gruß des jungen Diplomaten zur großen Freude des sie begleitenden Legationsrats vornehm ignorierte, während Armgard sich nicht enthalten konnte, dem vermeintlichen Roué einen traurig-vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen, der ihn wie ein vernichtender Blitzstrahl traf.

Nach einer höchst unruhigen, fast schlaflos verbrachten Nacht begab sich Herr von Distram am nächsten Morgen in das Gesandtschaftshotel, fest entschlossen, die ihm übertragene Mission aufzugeben und das kaum angeknüpfte Verhältnis mit Frau Marillac um jeden Preis zu lösen.

»Was fällt Ihnen ein?« sagte der unangenehm überraschte Botschafter. »Bedenken Sie, daß ich Sie auf das dringendste empfohlen, Ihre bisherigen Erfolge bereits gemeldet, das Gelingen unseres Planes in sichere Aussicht gestellt und Sie zur Belohnung Ihrer Dienste zum Legationsrat vorgeschlagen habe. Wenn Sie jetzt zurücktreten, zerstören Sie mutwillig ihre glänzende Laufbahn, kompromittieren Sie mich und setzen ihre eigene Zukunft auf das Spiel.«

»Excellenz werden mir verzeihen,« entgegnete der unglückliche Attaché, »aber die Rücksicht auf meine Ehre, auf meinen Ruf zwingt mich, zu meinem schmerzlichen Bedauern, das Verhältnis mit Frau von Marillac abzubrechen.«

»Das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein,« erwiderte der Graf spöttisch lächelnd. »Sie sind ja in Petersburg, wie ich weiß, nicht so ängstlich um Ihren Ruf besorgt gewesen, wenn es sich um ein galantes Abenteuer handelte. Ihre plötzlichen Bedenken kommen mir komisch oder vielmehr verdächtig vor. Fast muß ich glauben, daß Frau von Marillac eine schöne Nebenbuhlerin hat und daß hinter Ihrer Weigerung eine Dame steckt, die Sie wirklich lieben. Gestehen Sie nur: où est la femme?«

»Ich versichere Eurer Excellenz,« versetzte Herr von Distram verwirrt, »daß Sie sich irren.«

»Geben Sie sich keine unnütze Mühe, mich zu täuschen. Ich bin meiner Sache nur zu gewiß. Das schadet aber nichts. Im Gegenteil, die Eroberung der Frau von Marillac kann Ihnen nur nützen. Wie ich die Frauen als alter Praktiker kenne, verleiht ein solches Abenteuer einem jungen Mann nur einen Nimbus in den Augen unserer Damen und macht ihn unwiderstehlich.«

»Excellenz belieben zu scherzen. Auch dürften die Eltern der jungen Dame anderer Meinung sein und schwerlich die Hand einer geliebten Tochter einem Manne anvertrauen, der mit einer so verrufenen Dame eine zweideutige Liaison unterhält.«

»Das haben Sie nicht zu befürchten, da Sie ja nur in höherem Auftrage das Verhältnis angeknüpft haben. Sobald Ihre Mission geglückt ist, können Sie sich auf mich berufen. Ich werde keinen Anstand nehmen, Ihnen das beste Zeugnis über Ihren Charakter zu erteilen und, wenn Sie es wünschen, Ihre Bewerbung mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln unterstützen. Darauf gebe Ihnen mein Ehrenwort.«

Einer solchen Versuchung vermochte Herr von Distram, der dabei unwillkürlich an die schöne Armgard dachte, nicht länger zu widerstehen. Von neuem erklärte er sich bereit, die Wünsche des Botschafters zu erfüllen, da ihm mehr als je daran gelegen war, die Gunst des Grafen durch seine Ergebenheit zu gewinnen.

»Wenn es durchaus sein muß,« sagte er resigniert, »so werde ich fortfahren, Frau von Marillac den Hof zu machen.«

»Scharmant!« erwiderte der Botschafter lächelnd. »Das gefällt mir von Ihnen. Nur muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich noch mehr von Ihnen erwarte und verlange.«

»Ich verstehe nicht, was Eure Excellenz meinen.«

»Sie dürfen nicht auf halbem Wege stehen bleiben, wenn unser Anschlag gelingen soll, müssen Sie noch einen Schritt weiter gehen und die Dame aus Paris – entführen.«

»Excellenz!« rief der Attaché, erschrocken aufspringend und den Grafen anstarrend, als ob er seinen Ohren nicht trauen wollte. »Ich soll Frau von Marillac entführen?«

»Allerdings, mein lieber Freund!« entgegnete der Botschafter ruhig.

»Nimmermehr! Das können Sie unmöglich von mir fordern.«

»Nimmermehr, unmöglich; das sind Worte, die ein guter Diplomat in seinem Lexikon streichen muß. Wer ein so hohes Ziel erreichen will, der darf vor keiner Schwierigkeit zurückschrecken. Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, handelt es sich um ein wichtiges Staatsgeheimnis, um die allerhöchsten Interessen, um das Wohl des königlichen Hauses.«

»Wenn auch. Ich werde mich nie dazu hergeben, eine so unwürdige Rolle in einer so dunklen Intrigue zu übernehmen.«

»Beruhigen Sie sich und seien Sie kein Thor! Mein Name, meine Stellung bürgen Ihnen dafür, daß ich zu einer unehrenhaften Intrigue nicht meine Hand bieten und auch Sie nicht dazu mißbrauchen werde,« versetzte der Graf würdevoll.

»Mein Gefühl, mein Gewissen verbietet mir, Frau von Marillac zu einem so folgenschweren Schritt zu verleiten, der sie für immer ruinieren und dem Skandal preisgeben würde, abgesehen von dem Flecken, den eine solche Handlung auf mich selbst werfen muß.«

»Deshalb können Sie ganz unbesorgt sein. An dem Ruf der Frau von Marillac ist nichts mehr zu verderben. Sie hat sich bereits mehreremal, wie ich sicher weiß, entführen lassen; worüber Sie sich bei den Herren von Marsan, bei dem Grafen Saint Agnan, bei Lord Walsbury und den Fürsten Assakof erkundigen können. Außerdem übernehme ich jede Verantwortung.«

»Und meine Ehre, meine Renommee –«

»Werde ich glänzend rechtfertigen. Sobald ich Sie in meinem Hause, in meiner Familie empfange, mit Ihnen nach wie vor intim verkehre, wird sicher niemand an Ihrer Ehrenhaftigkeit zu zweifeln wagen!«

»Aber Frau von Marillac!« versetzte Herr von Distram schwankend. »Was soll aus ihr werden? Wohin soll ich mit ihr gehen? Sie wird Ansprüche an mich machen und mich nicht wieder frei lassen wollen.«

»Sie haben nur nötig, sie bis nach Baden-Baden oder Homburg zu begleiten und daselbst ein, höchstens zwei Tage zu verweilen, worauf Sie sofort wieder nach Paris zurückkehren können. Sollte Frau von Marillac wider Vermuten Umstände machen, so ermächtige ich Sie, ein versiegeltes Schriftstück, das ich Ihnen zu diesem Zweck vor Ihrer Abreise einhändigen werde, in ihrer Gegenwart zu öffnen und ihr den Inhalt desselben mitzuteilen. Ich stehe Ihnen gut dafür, daß die Dame Sie dann nicht weiter belästigen und Sie ruhig ziehen lassen wird, so daß Sie nicht das geringste von ihr zu befürchten haben.«

In solcher Weise suchte der kluge Botschafter die Bedenken und Zweifel des jungen Diplomaten zu zerstreuen, bis dieser, wenn auch nur mit schwerem Herzen, hauptsächlich aus Gefälligkeit für seinen Vorgesetzten, der zugleich der Vater Armgards war, sich nach und nach überreden ließ, die Entführung so bald als möglich auszuführen.

Zum Lohn für diese Bereitwilligkeit übernahm der Graf die Verteidigung des freiwilligen Attachés, dessen gestriges Abenteuer im Théâtre-Français bei Tisch besprochen und von der dabei beteiligten Gesellschaft scharf gerügt wurde.

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»Ich glaube,« sagte der Botschafter, »daß Sie Herrn von Distram unrecht thun und sein Betragen zu streng beurteilen.«

»Eine solche Aufführung,« versetzte die sittlich entrüstete Gräfin, »ist wirklich unverzeihlich. Mit einer so verrufenen Dame öffentlich im Theater zu erscheinen –«

»Leider muß ich Ihrer Excellenz beipflichten,« bemerkte der als Gast anwesende Legationsrat. »Ein junger Mann darf nie die äußeren Dehors verletzen, die er seiner Stellung und der Gesellschaft schuldig ist.«

»Das ist auch meine Ansicht. Nach einem derartigen Skandal kann man Herrn von Distram nicht mehr bei sich sehen und einladen.«

»Dann,« entgegnete der Graf sarkastisch, »wird uns freilich nichts übrig bleiben, als unsern Salon aus Mangel an Herren zu schließen. Auch müssen wir auf unsere Wohlthätigkeitsvorstellung für die Armen verzichten.«

»Unmöglich!« rief Armgard, die bisher ein auffallendes Stillschweigen beobachtet hatte. »Die Einladungen sind bereits erlassen und ich selbst habe Herrn von Distram dazu aufgefordert.«

»Das ist mir höchst unangenehm,« erwiderte die Gräfin verdrießlich.

»Aber nicht zu ändern. Außerdem können wir das Talent des Herrn von Distram bei der Aufführung nicht entbehren.«

»Kann man denn nicht seine Rolle einem andern, vielleicht unserm Legationssekretär, Herrn von Reiher geben?«

»Das geht nicht, liebe Mama! Herr von Reiher ist so steif wie ein Storch und würde uns die ganze Vorstellung, auf die ich mich so sehr gefreut habe, gänzlich verderben.«

»Unter solchen Umständen,« entschied der Botschafter, »werden die Damen wohl ein Auge zudrücken und Gnade üben müssen. Ich denke, daß wir es dabei belassen, um so mehr, da Herr von Distram nicht nur ein ausgezeichneter Schauspieler und liebenswürdiger Gesellschafter, sondern auch ein bedeutender Diplomat ist, den ich nicht gerne beleidigen möchte.«

»Was fällt dir ein?« entgegnete die Gräfin. »Herr von Distram ein bedeutender Diplomat! Du willst dich gewiß über uns lustig machen.«

»Das ist zu komisch,« pflichtete der ergebene Legationsrat bei.

»Keineswegs!« versetzte der Botschafter. »Ich versichere Sie, daß Herr von Distram mir bereits Proben einer bewunderungswürdigen diplomatischen Befähigung gegeben und wahrhaft überraschende Erfolge erzielt hat.«

»Darf man fragen, bei welcher Gelegenheit?«

»Das ist noch ein tiefes Staatsgeheimnis.«

»Ein Staatsgeheimnis!« wiederholten die Gräfin und der neidische Legationsrat, den mysteriös lächelnden Grafen verwundert anblickend.

* * *

An demselben Tage hatte Frau von Marillac eine heftige Scene mit dem höchst eifersüchtigen Prinzen, der ihr die bittersten Vorwürfe wegen ihres Verhältnisses mit dem jungen, liebenswürdigen Diplomaten machte.

Der Streit endete zwar, wie gewöhnlich, mit einer scheinbaren Versöhnung, da der Prinz trotz der ihm bekannten Untreue seiner Geliebten sich von der verführerischen Sirene nicht losreißen konnte und wollte.

Dagegen dachte Frau von Marillac jetzt um so ernsthafter daran, ihren bisherigen Anbeter zu verabschieden.

Der Prinz war ein älterer, etwas verlebter Herr, der von seiner Gemahlin getrennt, zum großen Aerger und Verdruß seiner hohen Familie, ein galantes und nichts weniger als erbauliches Leben in Paris führte.

Leider waren bisher alle Bemühungen, den Prinzen aus den unwürdigen Banden seiner Geliebten zu befreien, an seiner Leidenschaft für die gefährliche Dame und an seiner gutmütigen Schwäche gescheitert. Immer von neuem erlag er dem dämonischen Zauber und den Künsten der ihn vollkommen beherrschenden Frau von Marillac, an der er, wie dies häufig bei älteren Männern zu geschehen pflegt, nur um so fester hing, je mehr sie ihn betrog und je gleichgültiger er ihr war.

Was aber weder den dringenden Vorstellungen seiner königlichen Verwandten, noch den Klagen und Mahnungen der gekränkten Gattin gelingen wollte, das sollte jetzt die Dazwischenkunft des unwiderstehlichen Attachés bewirken.

Wenn auch Frau von Marillac keiner wahren und tiefen Neigung fähig war und sich hauptsächlich nur von ihrer Eitelkeit und ihrem Interesse leiten ließ, so zog sie doch offenbar den jungen, liebenswürdigen Diplomaten dem alten, uninteressanten Prinzen vor, dessen Gesellschaft sie langweilte und der sie noch dazu mit seiner Eifersucht quälte.

Die kluge und in solchen Dingen erfahrene Dame stellte im stillen Vergleichungen zwischen ihren beiden Anbetern an, die selbstverständlich zu Gunsten des jüngeren Attachés ausfielen, da dieser ihr, abgesehen von allen sonstigen Vorzügen, auch in pekuniärer Hinsicht die wünschenswerte Sicherheit zu bieten schien, worauf sie ein ganz besonderes Gewicht legte.

Unter diesen Verhältnissen konnte es Herrn von Distram nicht allzu schwer fallen, sie zu dem beabsichtigten Ausflug zu überreden, der ihr eine angenehme Abwechslung bot und ihre Lust an galanten Abenteuern reizte.

Deshalb erklärte sie sich auch sogleich bereit, sich von dem ihr schon längst überdrüssigen Prinzen zu trennen und sich von ihrem neuen Verehrer entführen zu lassen, in der Hoffnung, für ihren Verlust einen reichen Ersatz an einem so vermögenden Mann zu finden, den sie wegen seiner glänzenden Geschenke und nach seinem verschwenderischen Aufwand mindestens für einen mehrfachen Millionär halten mußte.

Nachdem Frau von Marillac alle diese Vorteile reiflich erwogen und die nötigen Vorbereitungen für ihre Abreise getroffen hatte, verließ sie in Begleitung des durch ihre schnelle Einwilligung mehr betrübten als erfreuten Attachés heimlich Paris, um sich mit ihm nach Baden-Baden zu begeben, wo beide auch ohne alle Abenteuer glücklich ankamen und vorläufig im »Badischen Hof« abstiegen.

Natürlich verfehlte die Entführung einer in den Kreisen der vornehmen Männerwelt so bekannten Dame nicht, das größte Aufsehen zu machen. Nicht ohne Zuthun des schlauen Botschafters brachten schon am nächsten Tage die gelesensten Pariser Zeitungen, besonders der »Figaro«, die sensationelle Nachricht mit den üblichen Ausschmückungen und mit so genauer Bezeichnung der betreffenden Person, daß man sie sofort erkennen mußte, wenn auch ihr Name nicht genannt wurde.

Der Prinz war außer sich vor Wut, da er nicht länger an der Untreue seiner Geliebten zweifeln konnte. Aber noch mehr als der Verlust der verführerischen Frau schmerzte ihn die lächerliche Rolle, die er bei dieser Gelegenheit spielte.

Um dem öffentlichen Skandal, den spöttischen Blicken und mitleidigen Fragen seiner Bekannten, den boshaften Bemerkungen der Gesellschaft und den Stecknadelstichen der malitiösen Witzblätter zu entfliehen, entschloß sich Seine Hoheit in einem Anfall wirklicher Reue, seine undankbare Geliebte zu vergessen und zu seiner verlassenen Gemahlin zurückzukehren.

Aber auch in dem Gesandtschaftshotel herrschte eine ungewöhnliche Aufregung, als die Entführung der Frau von Marillac durch den bekannten Attaché ruchbar wurde.

Die Gräfin war empört über eine solche Unmoralität; der neidische Legationsrat zuckte verächtlich die Achseln und rieb sich schadenfroh die Hände, und die anmutige Armgard vermochte nur mit größter Mühe ihre Thränen über die erlittene Kränkung zu verbergen.

Zum erstenmal empfand sie einen nie zuvor gekannten Schmerz. In ihrem reinen, noch von keinem Sturm der Leidenschaft berührten Herzen kämpften und rangen die widersprechendsten Gefühle, zarte Liebe und wilder Haß, jungfräuliche Scham und weibliche Eifersucht, hoher Stolz und bitterer Neid, innige Hingebung und zornige Verachtung.

Bald klagte sie Herrn von Distram an, bald entschuldigte sie ihn; bald verdammte sie den leichtfertigen Roué und bald sprach sie ihn frei. Sie zürnte ihm, aber noch mehr der verrufenen Frau, die ihn nach ihrer Meinung ganz allein nur verführt hatte. Sie wollte ihn vergessen und mußte fortwährend an ihn denken.

So oft sein Name genannt wurde zuckte sie unwillkürlich zusammen und eine auffallende Verstimmung trübte ihre sonstige sonnige Heiterkeit.

»Wir thun wirklich,« sagte die Gräfin, »Herrn von Distram zu viel Ehre an, wenn wir uns mit ihm beschäftigen. Für mich ist er so gut wie gar nicht mehr vorhanden.«

»Ich ärgere mich auch nur,« erwiderte Armgard mit erheuchelter Gleichgültigkeit, »daß unsere Wohlthätigkeitsvorstellung unterbleiben muß.«

»Das sehe ich nicht ein,« entgegnete der Graf mit seiner gewohnten Ruhe. »Wir haben noch eine volle Woche bis zur Aufführung Zeit und bis dahin wird wohl Herr von Distram sich wieder einfinden und seine Rolle übernehmen.«

»Mein Gott!« rief die Gräfin pikiert. »Davon kann doch unmöglich noch die Rede sein. Hast du denn nicht gelesen, was die Zeitungen über diese skandalöse Entführung melden?«

»Man muß nicht alles glauben, was in den Zeitungen steht. Wahrscheinlich ist die ganze Geschichte nichts weiter als eine Ente, die Erfindung eines müßigen Reporters.«

»Doch die genauen Details und die plötzliche Abreise des Herrn von Distram und der Frau von Marillac!« bemerkte der Herr von Bieberstein. »Das würde so leicht keine Redaktion wagen.«

»Ich habe schon größere Lügen in den Zeitungen gelesen,« erwiderte der Botschafter trocken. »Wie Sie wissen, sind in diplomatischen Kreisen solche kleine Scherze gar nicht so selten; eine erlaubte Kriegslist, den Gegner zu täuschen, die Aufmerksamkeit von sich abzulenken oder seine Absichten klug zu verbergen, wie dies Metternich und Talleyrand oft gethan haben.«

»Aber Herr von Distram –«

»Ist allerdings noch kein Talleyrand, aber ein feiner Kopf, der vielleicht das Gerücht selbst in die Journale gebracht hat, um seine Mission zu kaschieren.«

»Das hätt' ich ihm wirklich nicht zugetraut,« bemerkte die Gräfin überrascht.

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»Warum nicht? Ich habe die beste Meinung von dem Talent und dem Charakter des jungen Mannes, der es noch weit bringen kann. Jedenfalls werden wir gut thun, mit unserem Urteil bis zu seiner Rückkehr zu warten. Ich selbst zweifle nicht daran, daß es ihm gelingen wird, sich glänzend zu rechtfertigen.«

»Und unsere Wohlthätigkeitsvorstellung?« fragte Armgard, sichtlich erleichtert und neue Hoffnung schöpfend.

»Die wird unter jeder Bedingung stattfinden,« versetzte der Botschafter lächelnd. »Ich will eine Wette eingehen, daß Herr von Distram zur rechten Zeit sich einstellen und seine Rolle ganz ausgezeichnet spielen wird.«

Während der Graf in seiner halb ernsthaften, halb scherzenden Weise die aufgeregten Gemüter zu beruhigen und, wie er versprochen, den abwesenden Attaché zur großen Freude seiner besorgten Tochter zu entschuldigen und zu verteidigen suchte, verlebte Herr von Distram mit Frau von Marillac die peinlichsten Stunden in dem herrlichen Baden-Baden, wo beide auf der Promenade erschienen und auch bemerkt wurden.

Fortwährend von den Erinnerungen an die reizende Armgard verfolgt, verwünschte er seine ihm aufgenötigte Mission, ekelte ihn die Gesellschaft seiner auffallenden Begleiterin an, um die er von der eleganten Männerwelt beneidet wurde.

Zugleich schämte er sich der zweideutigen Rolle, die er nur gezwungen und mit innerem Widerstreben übernommen hatte. Noch mehr aber fürchtete er die voraussichtliche Scene bei seiner beabsichtigten Abreise, die er auch um keine Minute aufschieben wollte.

So kam der Abend heran, an dem er Frau von Marillac zu verlassen und nach Paris zurückzukehren gedachte. Als er ihr aber so schonend als möglich seinen Entschluß mitteilte, erfolgte eine jeder Beschreibung spottende Explosion, ein wahrer Platzregen von Thränen, Vorwürfen und Beschuldigungen, denen er gewiß erlegen wäre, wenn ihn nicht seine Liebe für Armgard vor allen Angriffen und Versuchungen geschützt hätte.

Da er aber energisch ihren Künsten, allen Bitten und Beschwörungen widerstand, warf Frau von Marillac ihre bisherige Maske ab und zeigte sich in ihrer wahren Gestalt. Gleich einer Furie raste und wütete sie gegen ihn, indem sie ihn mit Gewalt zurückzuhalten suchte. Zur rechten Zeit erinnerte sich Herr von Distram an das Schriftstück, das ihm der Botschafter zu diesem Zweck vor seiner Abreise eingehändigt hatte.

Nachdem er laut seiner Instruktion das Siegel des Umschlags erbrochen und von dem eingeschlossenen Inhalt die nötige Kenntnis genommen hatte, überreichte er der wütenden Dame das geheimnisvolle Schreiben.

Die Wirkung desselben war eine wahrhaft überraschende, niederschmetternde. Frau von Marillac stieß einen lauten Schrei aus und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Sie wagte nicht, ihn anzublicken, nicht zu sprechen und winkte ihm nur, sie zu verlassen, was er auch ohne jedes Bedauern that.

Wie aus dem mysteriösen Schriftstück unwiderleglich hervorging, war Frau von Marillac eine gefährliche Spionin, die im Solde einer fremden Regierung ihre Stellung und ihr Verhältnis zu dem Prinzen nur dazu benützte, gewisse wichtige politische Geheimnisse zu erfahren und für einen angemessenen Preis zu verkaufen.

Diese mit allen dazu gehörigen Beweisen versehene Entdeckung genügte, um das Mitleid des gutmütigen Attachés in Verachtung zu verwandeln und sein Gewissen zu beruhigen, so daß er, von der Notwendigkeit seiner Mission überzeugt und mit seinem bedenklichen Auftrag vollkommen ausgesöhnt, mit leichtem Herzen nach Paris zurückkehrte, wo ihn der schönste Lohn für seine ausgezeichneten Dienste erwartete.

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Kaum angekommen, eilte Herr von Distram nach dem Gesandtschaftshotel, um dem Botschafter über den Ausfall seiner Mission zu berichten, womit dieser höchst zufrieden war.

»Sie haben in der That,« sagte er freundlich, »alle meine Erwartungen übertroffen und unserer Regierung einen außerordentlichen Dienst geleistet. Hoffentlich ist Ihnen der Auftrag nicht allzu schwer geworden.«

»Bis auf eine heftige Scene mit Frau von Marillac kann ich nicht klagen. Sie wollte mich durchaus nicht los lassen.«

»Das kann ich der Dame nicht verdenken. Sie haben ihr doch das Ihnen mitgegebene Schriftstück überreicht?«

»Nur als mir keine Wahl mehr übrig blieb, machte ich davon Gebrauch. Der Erfolg war wirklich überraschend. Fast that die arme Frau mir leid.«

»Sie hat diese Strafe nur verdient. Es war die höchste Zeit und unumgänglich nötig, dem gefährlichen Weib das Handwerk zu legen. Sie hätte uns durch ihren Verrat ernste Verlegenheiten bereiten können, da der Prinz ihr sein ganzes Vertrauen schenkte, das sie in der schändlichsten Weise mißbrauchte. An Anerkennung und Dank dafür, daß Sie uns von dieser Spionin befreit haben, soll und wird es Ihnen nicht fehlen. Sagen Sie mir nur, was ich für Sie thun kann?«

»Vor allem,« erwiderte Herr von Distram verlegen, »liegt mir daran, meinen angegriffenen Ruf wieder hergestellt zu sehen. Excellenz wissen, daß die Zeitungen über die Entführung der Frau von Marillac die skandalösesten Berichte gebracht haben; weshalb ich mich in der peinlichsten Lage befinde, da meine gesellschaftliche Stellung unter diesen Verhältnissen ernstlich bedroht ist.«

»Das finde ich nur billig. Ich werde sogleich an alle mir zugänglichen Zeitungen ein offizielles Dementi schicken und Ihre Rechtfertigung übernehmen. Außerdem,« fügte der Botschafter lächelnd hinzu, »will ich mit Vergnügen, wenn Sie es wünschen, bei der bewußten Dame oder deren Eltern ein gutes Wort für Sie einlegen, sobald Sie daran denken, sich ernstlich um die Hand der schönen Unbekannten zu bewerben.«

»Excellenz sind zu gütig. Wenn Sie gestatten, werde ich mich im geeigneten Fall an Sie wenden und Sie an Ihr freundliches Versprechen bei nächster Gelegenheit erinnern.«

»Es wird mich freuen. Ihnen zu dienen und zu Ihrem Glück alles beizutragen, was in meiner Macht steht. Jetzt aber will ich Sie nicht länger aufhalten, da Sie gewiß der Ruhe bedürfen und sich für unsere Wohlthätigkeitsvorstellung stärken müssen, zu der Sie mit Sehnsucht erwartet werden.«

Zur bestimmten Stunde erschien Herr von Distram in dem zum Theater umgewandelten Empfangssalon, in dem sich eine auserwählte Gesellschaft versammelt hatte.

Seine unerwartete Ankunft erregte eine förmliche Sensation, da niemand an seine Rückkehr glaubte, trotzdem die Morgenzeitungen ein offizielles Dementi der Entführungsgeschichte gebracht und seine Beteiligung an derselben widerrufen hatten.

Von dem Botschafter mit auffallender Auszeichnung empfangen und von der jungen Komtesse mit sichtlicher Freude begrüßt, war Herr von Distram im eigentlichen Sinn der Held des Tages.

Auch als Schauspieler feierte er die glänzendsten Triumphe, indem er durch seine frische Laune und seine vollendete Darstellung das Publikum zu rauschendem Applaus hinriß.

Mehr noch als der schmeichelhafte Beifall der ganzen Gesellschaft entzückte und begeisterte den glücklichen Attaché die Anerkennung und der Dank der angebeteten Armgard, deren bezauberndes Lächeln und glückverheißende Blicke ihn für alle seine Qualen entschädigten und ihn nicht länger an ihrer Liebe zweifeln ließen.

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Einige Tage nach der Vorstellung wurde der junge Diplomat zum Legationsrat ernannt, wozu ihm der ihm wohl geneigte Botschafter von Herzen Glück wünschte.

Zur gelegenen Zeit erinnerte Herr von Distram seinen gütigen Vorgesetzten an das ihm früher gegebene Versprechen, ihn bei seiner Bewerbung um die Hand der Geliebten zu unterstützen.

So überrascht auch der Graf von dem unerwarteten Geständnis war, hielt er sich doch als Ehrenmann durch sein Wort gebunden. Unter solchen Umständen gab er nicht nur seine Einwilligung zu der gewünschten Verbindung, sondern bewog auch die noch widerstrebende Gemahlin, ihre Zustimmung zu erteilen.

Erst nach ihrer Verheiratung erfuhr Armgard aus dem Munde ihres diskreten Gatten das wahre Sachverhältnis.

»Das hätt' ich früher wissen sollen!« sagte sie, ihm scherzhaft drohend.

»Es war ja ein Staatsgeheimnis, dem wir unser Glück verdanken.«

»Darum will ich dir auch verzeihen, aber unter der Bedingung, daß du niemals wieder eine solche Mission übernimmst.«

»Das schwöre ich dir,« erwiderte der glückliche Diplomat, mit einem zärtlichen Kuß ihr die süßen Lippen schließend.

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