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2.

Bald darauf verließ auch Brandenstein den Ball nicht in der besten Laune. Seine Begegnung mit Agnes hatte ihn trotz seines Leichtsinns tief verstimmt und erschüttert, so daß selbst die verführerische Schauspielerin ihn nicht länger zu fesseln vermochte. Vergebens wandte sie alle ihre Künste auf, um ihn zurückzuhalten; weder ihre zärtlichen Bitten und Verheißungen, noch das Zureden seiner Kameraden konnten ihn verlocken und seinen Widerstand besiegen. Wie von unsichtbaren Furien gepeitscht, riß er sich von ihnen los; von einem unaussprechlichen Ekel vor seiner bisherigen Gesellschaft und vor seinem eigenen Leben erfüllt, stürzte er ins Freie hinaus.

Die Kälte des ihm entgegenwehenden Nachtwinds zerstreute die letzten Spuren seines Rausches, an dessen Stelle eine traurige, verdrießliche Nüchternheit trat. Wie alle leicht erregbaren Menschen, war auch der Baron höchst empfänglich für alle Einflüsse und Eindrücke der Außenwelt. Der plötzliche Wechsel zwischen den: glänzend erleuchteten, von eleganten Herren und reizenden Frauen gefüllten Ballsaal und den menschenleeren finsteren Straßen bewirkte auch eine ähnliche Veränderung in seinem Herzen und in seinem Geist.

Wie an dem winterlichen sternenlosen Himmel die gespenstigen Wolken vorüberflogen, so jagten sich jetzt die schwarzen Gedanken in seinem Innern, der bittere Schmerz um ein verlorenes Glück, die schwere Reue um ein verfehltes Dasein, die nagende Qual der Unzufriedenheit mit sich selbst, das Bewußtsein der eigenen Schuld. Trotz aller seiner Verirrungen und Extravaganzen war Brandenstein eine edlere Natur geblieben, obgleich die Gefahr nahe lag, daß er bei seinem bisherigen Treiben seinem Ruin entgegenging und sein besseres Selbst dadurch zerstört werden mußte. In seiner Brust rangen die bösen mit den guten Geistern, die Mächte des Himmels mit den Dämonen der sinnlichen Leidenschaft, mit der Genußsucht eines Don Juan.

Von solchen düstern Betrachtungen erfüllt, eilte er jetzt nach seiner Wohnung, die am entgegengesetzten Ende der Stadt in der Nähe der Kasernen lag. Je weiter er ging, desto einsamer wurde die abgelegene Gegend, desto unheimlicher der Weg, welcher an dem Ufer des Flusses zwischen ärmlichen Hinterhäusern, leeren Baustellen und Gärten ihn vorüberführte. Nur hier und da flackerte noch das unsichere Licht einer vereinzelten Gaslaterne in der dunkeln Nacht, waren noch die Fenster einer gemeinen Tabagie oder eines Verbrecherkellers erhellt. Zuweilen schwankte ein berauschter Nachtschwärmer an ihm vorüber, tauchte aus dem Nebel eine verlorene Dirne oder ein verdächtiger Mann auf, leise wie ein Geist an ihm vorbeischlüpfend.

Obgleich der Baron keine Furcht kannte, griff er doch unwillkürlich nach der Waffe an seiner Seite, da in dem verrufenen Stadtteil nächtliche Anfälle des sich hier herumtreibenden Gesindels seit einiger Zeit nicht selten vorkamen. In dem Augenblick, wo er über die Brücke schritt, glaubte er plötzlich einen lauten Hilferuf von der andern Seite des Stromes zu hören, wo mehrere große Fabriken mit ihren riesigen Dampfschornsteinen unter den übrigen niedrigen Gebäuden emporragten. Trotz der Dunkelheit konnte er in der Nähe derselben einen Mann erblicken, der sich, an die Mauer gelehnt, mit seinem Stock gegen den Angriff mehrerer Strolche verteidigte, während er zugleich von Zeit zu Zeit um Hilfe schrie, da er der Uebermacht zu unterliegen drohte.

Ohne sich zu besinnen, beeilte sich Brandenstein, dem Ruf des Bedrängten zu folgen. Schnell wie der Blitz stürzte er sich mutig auf einen der Vagabunden, der eben mit gezücktem Messer zu einem Stoß gegen den Fremden ausholte, dessen Leben in augenscheinlicher Gefahr schwebte. Mit eisernem Griff fiel der Baron dem wüsten Mordgesellen in den Arm und entriß ihm das scharfe Messer, welches klirrend auf die Erde sank. Ueberrascht von der unerwarteten Dazwischenkunft des Offiziers ließen die Strolche ihr Opfer los und wandten sich zur Flucht, indem sie, die Verwirrung und Dunkelheit benutzend, sich aus dem Staub machten, bevor sie noch daran gehindert werden konnten.

Der Fremde, ein großer, ältlicher Herr, dankte in gebrochenem Englisch-Deutsch seinem Retter für den ihm geleisteten Dienst mit wenigen, aber herzlichen und warmen Worten. Wie er dem Baron mitteilte, hatte er sich bei dem Besuch eines in diesem Stadtteil wohnenden Geschäftsfreundes, eines angesehenen Fabrikbesitzers, verspätet, in der Hoffnung, noch eine Nachtdroschke zu finden, mit der er in sein Hotel zurückfahren wollte. Mit dem Wege und den sich kreuzenden Straßen unbekannt, war er in die Nähe des Flusses gekommen, wo er mit jenen Strolchen zusammentraf, welche er um Auskunft bat. Unter dem Vorwand, ihm den richtigen Weg zu zeigen, lockten diese ihn in jene abgelegene Gegend in der Absicht, ihn zu berauben, wovor ihn nur die unerwartete Erscheinung des Barons, wo nicht noch vor ärgerem bewahrte.

»Ich sein,« sagte der Engländer, »ein großer Schuldner von Ihnen. Darum thu ich Sie bitten, mir zu nennen Ihren Namen, damit ich weißen kann, wem ich mein Leben zu danken hatte.«

Zugleich überreichte der Fremde ihm seine Karte, welche der Baron in seine Tasche legte, ohne sie anzusehen. Beide gingen noch eine Strecke miteinander, da Brandenstein den Fremden nicht eher verlassen wollte, bis er ihn an eine Droschkenstation gebracht, wo er sich von ihm verabschiedete, nachdem er seinem Begleiter erst aus dessen wiederholte Aufforderung seine Adresse angegeben hatte.

»Ich werden nicht vergessen den Namen Brandenstein, never, never!« beteuerte der dankbare Engländer, wie zur Bekräftigung seinem Retter noch einmal die Hand drückend.

Ohne weitere Abenteuer gelangte der Baron in seine nicht mehr weit gelegene Wohnung, wo er sich ermüdet und erschöpft von den mannigfachen, aufregenden Erlebnissen des heutigen Abends auf sein Lager warf und in einen unruhigen Schlaf versank. Im Traume glaubte er noch immer die berauschenden Melodien der Musik zu hören und mit der verführerischen Flora zu tanzen, aber nicht in dem hell erleuchteten Ballsaal, sondern an einem finsteren Abgrund, in dessen Tiefe unheimlich das Wasser des Stromes rauschte. Mit steigender Angst fühlte er, daß er am Rand des Verderbens schwebte, daß Tod und Untergang ihn beim nächsten Schritt erwarteten. Er wollte sich losreißen, aber die Kraft versagte ihm. Schon wankte der Boden unter den Füßen, schon hing er über dem grauenvollen Schlund, als eine unsichtbare Hand ihn zurückzog und ihn durch die Luft in eine ihm gänzlich fremde, paradiesische Gegend entführte. Im Morgenlichte erkannte er seine Retterin, welche sich zu ihm niederbeugte und einen Kuß auf seine Lippen drückte. In demselben Augenblick, wo er sie umarmen und an sein Herz ziehen wollte, war sie wieder verschwunden. Verzweiflungsvoll stürzte er ihr nach, um sie zu suchen, aber wilde Gestalten mit grinsenden Larven und feurigen Augen versperrten ihm den Weg und bedrohten sein Leben mit gezückten Schwertern. Mutig rang und kämpfte er mit ihnen, bis sein Blut aus einer großen Wunde floß und den grünen Rasen rot färbte. Ohnmächtig lag er am Boden, zu Tode getroffen; da erst erschien ein würdiger Greis in leuchtenden Gewändern und reichte ihm einen Zaubertrank in einem goldenen, mit den kostbarsten Edelsteinen geschmückten Becher. Neues Leben, eine nie gekannte Wonne durchströmte das stockende Herz; er öffnete die geschlossenen Augen und erblickte die verlorene Geliebte in einer Strahlenglorie, wie er sie vorher nie geschaut.

In Schweiß gebadet erwachte der Baron am späten Morgen aus seinem Schlummer mit jenem wüsten Kopfschmerz und mit jener widerlichen Empfindung, welche eine durchschwärmte Nacht zu hinterlassen pflegt. Ein Blick auf seine Umgebung ließ ihn erkennen, daß er nur geträumt. Statt der holden Erscheinung in einem Paradiese sah er jetzt das rote Gesicht seines Burschen, der in der Kaffeemaschine das Frühstück für seinen Herrn bereitete und die schmutzigen Tassen reinigte. Nach und nach kehrte seine Erinnerung zurück, standen die Scenen des gestrigen Abends wieder lebendig vor seinem Geiste. Die Täuschung schwand und die gemeine Wirklichkeit starrte ihm rauh und kalt entgegen. Einige Augenblicke versank er in ein dumpfes Brüten, aus dem er sich nur gewaltsam riß, um sich anzukleiden. Der Kaffee, welchen der Bursche unterdessen ihm präsentierte, wollte ihm nicht schmecken und auch die angezündete Cigarre mundete ihm nicht, so daß er sie mit einem Fluch fortwarf.

»Ist niemand hier gewesen?« fragte er den dienstbaren Geist.

»Herr Lachmann,« erwiderte der Bursche, das Kaffeegeschirr vom Tisch räumend.

»Was hast du ihm gesagt?«

»Daß er in einer Stunde wiederkommen soll, der Herr Lieutenant schlafen noch.«

»Dummkopf!« brummte Brandenstein ärgerlich. »Du bist und bleibst ein unverbesserliches Kamel.«

Der angekündigte Besuch schien dem Baron heute ganz besonders lästig zu sein, da der genannte Herr einer seiner zahlreichen Gläubiger war und er selbst sich weniger als je in der Lage befand, die voraussichtlichen Forderungen desselben zu befriedigen, wie ihm ein Blick in seine fast leere Geldkasse zeigte. Während er diese traurigen Betrachtungen anstellte, meldete der Bursche die Rückkehr des zudringlichen Gastes, den Brandenstein nicht mehr gut zurückweisen konnte, wenn er sich nicht den größten Unannehmlichkeiten aussetzen wollte.

Uebrigens war Herr Lachmann, der jetzt in das Zimmer trat, nichts weniger als ein gewöhnlicher Wucherer, kein Harpagon mit verhungertem Gesicht, eingesunkenen Augen und spitzer Nase in einem zerrissenen Rock und schwarzer Wäsche, sondern ein feiner junger Mann, der nur mit der Aristokratie verkehrte und nur mit den nobelsten Herren, besonders aber mit den Offizieren der Garde, Geldgeschäfte zu machen pflegte. Mit der Zeit hatte er sich auch die Manieren und die Neigungen feiner vornehmen Kunden angeeignet, indem er die Toilette, das legere Benehmen und die schnarrende Sprache seiner Vorbilder so gut als möglich zu kopieren suchte, so daß ihn ein oberflächlicher Beobachter für einen wirklichen Löwen halten konnte, obgleich er nur ein nachgemachter »falscher Gentleman« war.

Lachmann wohnte in der elegantesten Gegend und war höchst komfortabel eingerichtet; er gab kleine, aber ausgewählte Gesellschaften, in denen nach dem Souper gespielt wurde, hielt einen Bedienten und ein Reitpferd, das ihm hundert Louisdor kostete und fehlte bei keinem Wettrennen, bei keiner ersten Vorstellung im Theater. Er schwärmte für die Kunst und noch mehr für die Künstlerinnen, kannte alle bemerkenswerten Damen des Balletts und war in ihre Herzensgeheimnisse und Verbindungen eingeweiht, wie kein zweiter. Auch in seiner äußeren Erscheinung ließ sich nur schwer sein wahrer Beruf und sein eigentlicher Charakter erkennen. Das sorgfältig frisierte schwarze Haar, der dunkle Schnurr- und Backenbart, das runde, blühende, etwas gedunsene Gesicht gaben ihm das Aussehen eines harmlosen behaglichen Lebemanns, wogegen allerdings die unruhigen, verschmitzten Augen und die schmalen zu einem stereotypen Lächeln verzogenen Lippen einen ungewöhnlichen Grad von Schlauheit und kalter Unverschämtheit verrieten. Seine Kleidung, ein kurzes Jackett, war nach dem neuesten Schnitt und vom besten Stoff, sein Oberhemd blendend weiß und mit zwei großen Diamantknöpfen versehen, seine Handschuhe faltenlos und untadlich. Dennoch sah er trotz seiner auffallend eleganten Toilette so vulgär wie ein verkleideter Pferdehändler aus, der er auch ursprünglich gewesen war.

Unter der Maske des modernen Dandy verfolgte Herr Lachmann mit anerkennungswertem Talent seine höheren Lebenszwecke: so viel Geld als möglich zu erwerben und mit seinem Pfund im eigentlichen Sinne zu wuchern. Wie jeder große Mann, verachtete auch er die Meinung der Welt, waren ihm alle Mittel, die zu diesem Ziele führten, gleichgültig, nur hütete er sich, mit den bestehenden Gesetzen in Kollision zu geraten und mit dem Staatsanwalt in unangenehme Berührung zu kommen. Er war auch kein gewöhnlicher Gauner, kein gemeiner Halsabschneider, sondern ein feiner, liebenswürdiger Gläubiger, der stets artig und höflich blieb, selbst wenn er sein Opfer mit einer seidenen Schnur mitleidslos erdrosselte.

»Guten Morgen, Baronchen!« rief er jetzt in kardialem Ton, den er seinen Schuldnern gegenüber anzunehmen pflegte. »Ich störe doch nicht?«

»Nicht im geringsten,« entgegnete Brandenstein mit einer Miene, die das Gegenteil erkennen ließ. »Wollen Sie nicht Platz nehmen?«

»Möchte Sie nicht lange aufhalten, sehen etwas angegriffen aus.«

»Ich habe in der That nur wenig geschlafen und bin noch müde.«

»Waren gestern aus dem Subskriptionsballe, haben sich gottvoll amüsiert mit der reizenden Flora, himmlisch, entzückend, famoses Weib, nur etwas kostspielig,« bemerkte Herr Lachmann, mit den kleinen Augen lüstern zwinkernd.

»Wie so wissen Sie bereits?«

»Bin auch dagewesen, versäume nie einen Subskriptionsball. Stand ganz in Ihrer Nähe, habe Sie gesehen und Ihnen zugenickt, wie Sie mit Fräulein Flora tanzten.«

»Verzeihen Sie, lieber Lachmann, aber in dem Gewühl –«

»Waren zu vertieft, zu angenehm beschäftigt, um mich zu beachten. Nehme es Ihnen nicht übel. Sie Glücklicher!«

»Sie irren sich,« erwiderte der Baron, unwillkürlich seufzend. »Das Mädchen ist mir ganz gleichgültig.«

»Das können Sie einem anderen weismachen. Habe gottlob meine gesunden Augen; kenne meine Pappenheimer. Geben Sie sich keine unnütze Mühe; gönne Ihnen das Vergnügen.«

»Aber ich versichere Sie, daß nur ein Zufall –«

»Wollen den Diskreten spielen,« entgegnete Herr Lachmann etwas empfindlich. »Dränge mich nicht in Ihre Geheimnisse, habe wichtigere Geschäfte. Was gehen mich Ihre Liaisons an? Kommen wir zur Sache, Herr Baron! Sie erlauben wohl, daß ich Ihnen diesen kleinen Wechsel präsentiere; zweifle nicht, daß Sie die Angelegenheit zu unserer beiderseitigen Zufriedenheit ordnen werden. Sollte mir leid thun, wenn ich Ihnen beschwerlich fallen müßte, aber Handelschaft ist keine Freundschaft.«

Zugleich zog Herr Lachmann aus seiner eleganten Juchtentasche ein Papier hervor, das er mit seinem gewöhnlichen höflichen Lächeln dem verlegenen, aber keineswegs überraschten Baron präsentierte.

»Es war mir nicht möglich, mir das Geld heute zu verschaffen. Sie werden mir einen großen Gefallen erweisen, wenn Sie noch einige Zeit warten wollen, bis ich mit meinem Onkel gesprochen habe.«

»Unmöglich! Bedaure, aber brauche selbst das Geld, habe Verpflichtungen, muß den Wechsel weiter geben, wenn Sie nicht zahlen können. Fatale Geschichte das, wenn Ihr Ehrenschein in fremde Hände kommt, was sich auch beim besten Willen nicht vermeiden läßt.«

»Dann bleibt mir nichts übrig, als meinen Abschied zu nehmen, oder mir eine Kugel durch den Kopf zu schießen.«

»Werden doch kein solcher Narr sein und sich wegen einer solchen Lumperei das Leben nehmen. Wissen, daß ich kein Unmensch bin und mit mir reden lasse. Will Sie nicht unglücklich machen, bin ein guter Kerl, liebes Baronchen; kann keiner Fliege etwas zuleide thun, aber werden selbst einsehen, daß es so nicht länger geht.«

»Wenn Sie nur noch einmal Geduld haben und den Wechsel prolongieren wollen, natürlich gegen die übliche Provision. Leider stehe ich jetzt mit meinem Onkel nicht auf dem besten Fuß, aber Sie wissen, daß ich sein einziger Erbe bin.«

»Hat ein zähes Leben, der Herr Onkel, und kann Ihnen noch einen Possen spielen. Höre, daß er auf Freiersfüßen geht. Alter schützt vor Thorheit nicht. Wenn er heiratet, sind Sie gemacht. Auf den Alten ist kein Verlaß, bietet keine Sicherheit, keine Garantie: Kann uns nicht helfen, der Herr Onkel.«

»Dann weiß ich wirklich nicht, was ich anfangen soll,« versetzte Brandenstein düster, »um Sie zu befriedigen.«

Nachdem Herr Lachmann einige Augenblicke nachgedacht hatte, schien er plötzlich ein menschliches Rühren mit seinem Opfer zu fühlen. Das kalte, stereotype Lächeln verwandelte sich in ein freundliches Grinsen und seine schnarrende Stimme wurde immer milder und weicher, so daß der Baron neue Hoffnung schöpfte.

»Meine es gut mit Ihnen, liebes Baronchen, wie ein Bruder mit dem andern, aber können nicht verlangen, daß ich mein Geld verliere. Möchte Ihnen einen Vorschlag zur Güte in unseren: beiderseitigen Interesse machen, wenn Sie darauf eingehen wollen.«

»Sagen Sie mir nur, was ich thun soll!«

»Sind ein liebenswürdiger, scharmanter Kavalier,« fuhr Herr Lachmann in demselben sanften Tone fort, »Baron, Offizier, haben Glück bei Damen. Brauchen nur zuzugreifen, wenn Sie wollen.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Können jeden Tag eine reiche Partie machen. Was meinen Sie? Ein Mädchen mit einer Viertelmillion oder darüber. Wäre nicht so übel.«

»Sie scherzen nur. Wo sollte ich die finden?«

»Das lassen Sie meine Sorge sein. Die verschaffe ich Ihnen. Kenne eine ganz ansehnliche Anzahl junger, reicher Damen, welche darauf brennen, einen Offizier und noch dazu einen Baron zu heiraten. Würde mich an Ihrer Stelle nicht besinnen und das Geschäft machen. Haben dann keine Sorgen mehr, können ein Leben führen, wie Gott in Frankreich.«

Sicher würde der Baron zu einer andern Zeit einen solchen Antrag mit Entrüstung zurückgewiesen haben, da er sich trotz aller Frivolität eine gewisse Idealität des Herzens bewahrt hatte. In diesem Augenblick aber, wo er Agnes für immer verloren zu haben glaubte, und ihm kaum noch eine Wahl übrig blieb, erschien ihm dieser Ausweg nicht mehr so verächtlich als früher. Schon mancher seiner verschuldeten Kameraden hatte in ähnlicher Lage durch eine Heirat sein Glück gemacht und sich aus aller Verlegenheit befreit. Niemand konnte es ihm verdenken, wenn er zu einem solchen Mittel griff, wodurch in der letzten Zeit selbst die höchste Aristokratie ihre zerrütteten Finanzen zu verbessern und ihren wurmstichigen Stammbaum neu zu vergolden suchte.

»Ich habe nichts dagegen, unter der Bedingung, daß mir das Mädchen nicht mißfällt und auch die Familie mir ansteht. Ich verlange keine Venus, aber auch keine Vogelscheuche; vor allem aber muß ich aus einen fleckenreinen Ruf halten. Das bin ich meinem Stand, meinem Namen und meiner Ehre schuldig.«

»Versteht sich,« entgegnete der ehemalige Pferdehändler, » noblesse oblige! Werde Ihnen nicht zumuten, eine bucklige oder einäugige Dame zu nehmen, oder sich mit der Kanaille zu verbinden. Was denken Sie von mir? Habe etwas Extrafeines für Sie in Aussicht, einen wahren Schatz, zweiundzwanzig Jahre alt, gut gewachsen, fehlerfrei, sehr gebildet, spricht französisch und englisch, spielt Klavier und zeichnet, weiß zu repräsentieren, macht eine ausgezeichnete Toilette und bekommt ihre zweimalhundert und fünfzigtausend Thaler bar, ohne das, was sie noch einmal erben wird.«

»Und die Eltern?«

»Respektabel, höchst respektable Leute. Vater früher großer Holzhändler, lebt jetzt als Rentier, mehrfacher Millionär, Glitter mehrerer Orden und Kommerzienrat. Mutter eine kluge Frau, regiert das ganze Haus, nur etwas eitel. Will durchaus einen adligen Schwiegersohn. Haben weiter nichts nötig, als sich vorzustellen; werden mit offenen Armen empfangen werden, kommen, sehen und siegen. Was sagen Sie, Baronchen?«

»Ich bin durchaus nicht abgeneigt, wenn sich alles so verhält, wie Sie angeben.«

» Parole d'honneur, mein Wort darauf! Alles in der schönsten Ordnung; Sie heiraten das Goldfischchen, bekommen eine Viertelmillion und zahlen mir einen Tag nach der Hochzeit eine kleine Provision von zwanzigtausend Thalern, worüber Sie mir einen Schein ausstellen werden. Natürlich prolongiere ich bis dahin Ihren alten Wechsel und eröffne Ihnen außerdem einen neuen Kredit bis zur Höhe von zweitausend Thalern, die Sie mir mit zehn Prozent verzinsen. Sind Sie damit einverstanden?«

»Das wohl, aber wenn die Partie nicht zu stande kommen sollte –?«

»Sie wird, sie muß zu stande kommen, wenn Sie es nur klug anfangen. Ich zweifle keinen Augenblick, daß Sie reüssieren werden. Thun Sie mir den einzigen Gefallen, bestes Baronchen, und seien Sie so liebenswürdig wie noch nie in Ihrem Leben. Bedenken Sie, daß es sich um eine Viertelmillion handelt, daß Ihnen das Messer an der Kehle sitzt, daß Sie von mir keine Nachsicht zu erwarten haben, wenn Sie durch Ihre Schuld sich und mich um das schöne Geld bringen. Mit Ihrer Figur, mit Ihrem Geist, Ihrem Adel und Ihrer Routine kann es Ihnen gar nicht schwer fallen, das Goldfischchen zu fangen. Nicht wahr, Sie werden unwiderstehlich sein, das Mädchen bezaubern, verrückt machen, sich verloben und heiraten?«

»Ich will alles thun; nur dürfen Sie nicht verlangen, daß ich sie liebe,« erwiderte Brandenstein traurig lächelnd.

»Warum wollen Sie das Mädchen nicht lieben?« fragte Herr Lachmann mit komischem Eifer. »Not lehrt beten und auch lieben. Uebrigens brauchen Sie sich nicht in Unkosten zu versetzen, wenn Sie nur bis zum Hochzeitstage sich zusammennehmen wollen. Nach der Verheiratung können Sie thun, was Sie wollen. In der Ehe ist die Liebe ohnehin ein reiner Luxusartikel. Das geht mich auch nichts an, wenn Sie nur sonst Ihren Verpflichtungen nachkommen.«

In dieser Weise suchte Herr Lachmann die immer von neuem sich aufdrängenden Bedenken und Befürchtungen des Barons bald durch wohl angebrachte Drohungen, bald durch die Aussicht auf ein sorgloses, angenehmes Leben und die Verlockungen eines so großen Vermögens zu beseitigen, indem er ihn zugleich auf die zahlreichen unter ähnlichen Verhältnissen geschlossenen Verbindungen verwies. Mehr als dies alles wirkte jedoch die Hoffnungslosigkeit seiner Liebe, eine gewisse Gleichgültigkeit gegen alle anderen Frauen, verbunden mit seinem gewöhnlichen Leichtsinn, um die Mahnungen seines Gewissens zu ersticken und ihn für die Vorschläge des geschickten Unterhändlers empfänglich zu machen.

Wenn auch mit innerem Widerstreben, entschloß er sich endlich, die gewünschte Zustimmung zu geben und den von Herrn Lachmann abgefaßten Schein zu unterschreiben, wodurch er sich verpflichtete, an dem bestimmten Tage die Summe von zwanzigtausend Thalern als Provision für den Fall zu zahlen, daß die ihm vorgeschlagene Partie zu stande kommen sollte. Während Brandenstein die Feder ansetzte, um den Vertrag zu unterzeichnen, konnte er sich eines leisen Schauers nicht erwehren, indem er unwillkürlich an die ähnliche Scene in Faust erinnert wurde, wo dieser seine Seele dem Mephisto verschreibt. Auch Herr Lachmann erschien ihm in diesem Augenblick mit seinen funkelnden Augen und seinem grinsenden Lächeln gleich dem bösen Geiste, wenn ihm auch der Klumpfuß und die rote Hahnenfeder fehlte. Wie von einer unsichtbaren Macht zurückgehalten, oder vielmehr sich vor sich selbst schämend, zögerte der Baron mit seiner Unterschrift.

»Weshalb besinnen Sie sich so lange?« fragte dieser seinen zaudernden Schuldner.

»Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß mir der ganze Handel zuwider ist. Mir kommt es vor, als ob ich Ihnen meine Seele verkaufen sollte.«

»Was das für närrische Einfälle sind,« scherzte Herr Lachmann. »An Ihrer Seele ist mir nichts gelegen. Was fang ich mit Ihrer Seele an? Für die giebt mir niemand einen Groschen.«

»Sie mögen recht haben,« erwiderte Brandenstein in einer Anwandlung von verzweifeltem Humor. »Man braucht nicht mehr dem Teufel seine Seele zu verschreiben, wenn man von ihm Geld haben will. Jetzt hat man es leichter und bequemer; man – heiratet und verkauft nur sein Herz. Wohlan! Ich bin bereit; Verderben, habe deinen Lauf! Hier ist der Schein mit meiner Unterschrift.«

»Es soll Sie nicht gereuen,« versetzte Herr Lachmann, nachdem er das Papier und die Wechsel aufmerksam geprüft und in seiner Tasche verwahrt hatte. »Spätestens in drei Monaten sind Sie glücklicher Bräutigam, in einem halben Jahr verheiratet und Besitzer einer Viertelmillion, zu der ich Ihnen von Herzen gratuliere.«

»Ich danke Ihnen. Aber noch weiß ich nicht einmal den Namen meiner Zukünftigen.«

»Fräulein Rosa Stricker, Tochter des Kommerzienrats Stricker, früher Gottfried Stricker und Compagnie.«

»Aeußerst angenehm. Ich werde meine Verpflichtungen pünktlich erfüllen, mich in diesen Tagen dem Herrn Kommerzienrat vorstellen lassen und Fräulein Rosa laut unserem Abkommen zum festgesetzten Termin lieben und heiraten.«


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