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Irrwege


1.

. Es giebt wohl kaum für den Fremden und selbst für den Einheimischen ein feenhafteres und interessanteres Schauspiel, als ein sogenannter Subskriptionsball in dem Opernhause unserer neuesten Weltstadt. Wie durch einen Zauber verwandelt sich über Nacht die große Bühne und der weite Zuschauerraum in einen riesigen Festsaal, der schwerlich seinesgleichen hat. Von der hohen Decke ergießt der prachtvolle Kronleuchter, gleich einer künstlichen Sonne, ein Meer von Licht; die Flammen der zahllosen Gasarme und vergoldeten Kandelaber wetteifern mit dem Glanz der Sterne. Herrliche südliche Landschaften von Künstlerhänden schmücken die sonst kahlen Wände und eine Fülle von duftenden Blumen, schlanken Palmen und exotischen Gewächsen erhöhen noch die Täuschung, daß man in den Gärten der Armide zu wandeln glaubt. Rauschende Springbrunnen verbreiten eine angenehme Kühle und unsichtbare Musikchöre lassen ihre verlockenden Melodien und heiteren Tänze erschallen.

Einen Hauptreiz der wundervollen Scenerie bildet jedoch die auf und nieder wogende Menschenmenge, welche fast der Bevölkerung einer kleineren Provinzialstadt gleichkommt. Die Elite der Gesellschaft, der ganze Hof, die Aristokratie, die Diplomatie, das Offiziercorps der Garden, die reiche Finanzwelt, der höhere Beamtenstand, die Vertreter der Kunst und Wissenschaft versammeln sich an einem solchen Abend und bieten einen in der That merkwürdigen Anblick, eine seltene Vereinigung von Rang und Reichtum, Schönheit und Ruhm, Luxus und Eleganz.

Um die Brüstung der doppelten Logenreihe schlingt sich »der Damen holder Kranz« in kostbarer, geschmackvoller Toilette, ein bunter Blumenflor von roten Rosen und weißen Lilien, von stolzen Tulpen und Kamelien, bescheidenen Veilchen und zierlichen Maiglöckchen, statt des Taus mit Perlen und Brillanten übersäet. Hier erregt der unschätzbare Familienschmuck einer bekannten Herzogin, dort die echte Brüsseler Spitzenrobe einer Börsenfürstin unsere Bewunderung; bald fesselt uns das interessante Gesicht einer berühmten Sängerin, bald die graziöse Figur der ersten Solotänzerin. Wie in einem Kaleidoskop ziehen an den geblendeten Blicken des Zuschauers stets neue, wechselnde Bilder vorüber, eine förmliche Gemäldegalerie, Madonnen und Göttinnen des Olymps, Heilige und Nymphen mit blonden und dunklen Lockenköpfen, mit schmachtenden und feurigen Augen, mit üppigen Marmorschultern, schimmernden Nacken und Armen.

Auf erhöhter Tribüne, von der eine breite, mit weichen Teppichen belegte Treppe nach dem Saal führt, haben sich die Herren staffelförmig in malerischen Gruppen aufgestellt; junge und ältere Lebemänner, Offiziere in kleidsamen, bunten Uniformen, Zivilisten in unvermeidlichen, schwarzen Leibröcken, mit und ohne Orden; Abgeordnete der Rechten und der Linken, welche von ihren parlamentarischen Kämpfen ausruhen; jüdische und christliche Bankiers, die heute nicht an den Cours, sondern nur an das Vergnügen denken, pommersche und uckermärkische Granden, die Mitglieder des Jockeyklub und die Rittergutsbesitzer der Umgegend, deren roten Gesichtern man den ungewohnten Druck der glänzenden Lackstiefel und den Zwang der festgeknallten Glacehandschuhe ansieht; hyponchondrische Professoren, welche ihren Schlaf und ihre Bequemlichkeit der Frau oder den Kindern opfern; flotte Schauspieler, Maler und Zukunftsmusiker mit langen Haaren und kurzem Verstand, Assessoren, welche mit den Töchtern der Geheimräte liebäugeln, hoffnungsvolle Streber, die nach reichen Goldfischen angeln, harmlose Seelen, die sich nur amüsieren wollen, blasierte Dandies und enthusiastische Kleinstädter, welche mit weit geöffneten Augen die sie umgebendende Pracht anstaunen.

Ein gegebenes Zeichen verkündet den sogenannten »Umgang des Hofes«, den eigentlichen Höhepunkt des ganzen Schauspiels. Unter dem Vortritt des Generalintendanten, der in seiner Hand den großen Amtsstab hält, schreitet zu den Klängen des verborgenen Orchesters an der Seite der anmutigen Kronprinzessin der ritterliche Kaiser mit jugendlicher Frische durch die sich öffnende Menschengasse, freundlich nach allen Seiten grüßend, gefolgt von den Prinzen des Hauses, den Granden, Gästen und den höchsten Chargen mit ihren Damen; ein stattlicher Zug, in dem männliche Würde und Majestät sich mit weiblicher Huld und Liebenswürdigkeit verbindet. In abgemessenen Schritten bewegt sich der Hof zweimal durch den großen Saal auf und nieder wandelnd zwischen dem lebendigen Spalier der schaulustigen Menge, welche sich ehrfurchtsvoll vor den hohen Herrschaften verneigt. Glücklich der Sterbliche, dem ein gnädiger Blick, ein herablassender Gruß zu teil wird, noch glücklicher diejenigen, welche nach beendigtem Umzug das Herrscherpaar einiger viel beneideter Worte würdigt!

Erst nachdem der Hof sich wieder nach seiner besonderen Loge zurückbegeben hat, beginnt der wirkliche Ball. Mit Todesverachtung stürzen sich jetzt die tanzlustigen Herren in das dichte Gewühl und suchen ihre Damen, mit denen sie sich entweder vorher schon engagiert haben oder die sie aufzufordern wünschen, was bei dem Gedränge mit manchen Schwierigkeiten verbunden ist. Nach und nach jedoch ordnen sich die Paare; das Haus lichtet sich allmählich, der wogende Menschenstrom zerteilt sich und läßt gleich Inseln größere und kleinere Kreise frei, in denen die fröhliche Jugend bald in heiterem Reigen der Quadrillen, Walzer und Galoppaden schwärmt.

Leider fehlt auch diesem glänzenden Schauspiel nicht die dunkle Schattenseite; auch in diesen nur der Freude und dem Vergnügen geweihten Räumen schweben ungesehen die schadenfrohen Geister der Zwietracht, der Intrigue, die Dämonen der getäuschten Liebe: Eifersucht, Neid und Haß. Nur zu oft verbirgt auch hier sich unter einem künstlichen Lächeln ein geheimes Leid, schlägt unter der kostbaren Spitzengarnitur ein verwundetes oder gebrochenes Herz, schmücken die strahlenden Brillanten nur ein Opfer der Verhältnisse. Neben dem heiteren Lustspiel und dem komischen Intriguenstück wird hier manches ernste Drama, selbst manches erschütternde Trauerspiel im Verborgenen aufgeführt, wovon die Mehrzahl der unbefangenen Zuschauer keine Ahnung hat.

An einem solchen Ballabend erblickte man vor mehreren Jahren an dem Arme ihres Tänzers eine junge, reizende Blondine von höchstens zwanzig Jahren, welche durch ihre auffallende Schönheit und geschmackvolle Toilette allgemeine Bewunderung erregte. Auf dem zierlichen Nacken schwankte gleich einer frischen Rosenknospe der anmutige, goldene Lockenkopf, um den sich ein Kranz von natürlichen Vergißmeinnicht und Maiglöckchen schlang. Die niedrige, aber blendend weiße Stirn, die feine griechische Nase, die frischen Lippen, rot wie Granaten, das zarte, wie aus mattem Elfenbein geformte Kinn, die rosig angehauchten Wangen mit dem schalkhaften Grübchen verschmolzen zu einem harmonischen Liebreiz und verliehen ihrem Gesicht den Ausdruck einer bezaubernden Heiterkeit, während die bei Blondinen so seltenen feurig dunklen Augen durch den scharfen Kontrast mit dem lichten Haar und dem hellen Marmorteint unwillkürlich überraschten und durch den seelenvollen, fast schwermütigen Ernst ihrer Blicke magnetisch fesselten.

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Eine Robe von weißem, gestickten Tüll, mit Blumenbouquetten an den Seiten aufgenommen, umschloß wie eine leichte Silberwolke die schlanke, ätherische Gestalt, welche in ihrer Frische und Anmut dem verkörperten Bilde der Jugend, oder dem Genius des Frühlings glich, wie ihn die Phantasie eines Dichters oder Malers in einer glücklichen Stunde darstellt. Ihr ganzes Wesen atmete eine unbeschreibliche Lebenslust, eine hinreißende Fröhlichkeit, so daß man sie für ein verwöhntes Glückskind halten konnte, wenn nicht die dunklen, traurigen Augen wider Willen und unbewußt entweder ein Leid oder eine jener tieferen Naturen verraten hätten, die gewöhnt oder gezwungen sind, vor der Welt ihr Inneres zu verschließen.

Das Aufsehen, welches die Schönheit der jungen Dame hervorrief, wurde noch durch die entgegengesetzten Eigenschaften ihres allgemein beneideten Begleiters erhöht, der mit seiner unansehnlichen kurzen, apoplektischen Gestalt, der trotz aller Kräfte des Friseurs sichtbaren Platte und seiner zwar äußerst gutmütigen aber gewöhnlichen Physiognomie allerdings neben einer so blendenden Erscheinung eine ziemlich klägliche Rolle spielen mußte, obgleich er nicht wenig eitel auf seine bewunderte Tänzerin schien. In der Nähe dieses ungleichen Paares, doch in dem Gedränge verborgen, stand ein eleganter Dragoneroffizier, dessen stattliche Figur noch durch den kurzen, knappen, hellblauen Waffenrock gehoben wurde.

Mutig und unternehmend bis zur Tollkühnheit, sorglos und leichtsinnig bis zur Frivolität, dabei geistreich und liebenswürdig, für jede edlere Regung leicht empfänglich, aber noch leichter zu jeder jugendlichen Verirrung geneigt, galt Baron von Brandenstein allgemein für einen ebenso galanten als unbeständigen Verehrer der Damenwelt, für einen angenehmen Gesellschafter und guten Kameraden, wie für einen schlechten Zahler und rücksichtslosen Lebemann. Mit diesen inneren Eigenschaften schien auch seine interessante äußere Erscheinung zu harmonieren, die hohe, freie Stirn, von glänzend weichen, kastanienbraunen Haaren umgeben, der kecke, herausfordernde Blick der scharfen, grauen Augen, die fein gebogene Adlernase und der sinnlich volle Mund, mit dem dunklen, kokett in die Höhe gedrehten Schnurrbart, vor allem aber ein eigentümlicher Zug von Blasiertheit und bedenklicher Uebersättigung in dem männlich schönen, nur etwas verlebten Gesicht.

In diesem Augenblick verfolgte der Baron mit sichtlichem Interesse unbemerkt jene reizende Dame, welche er nur zu gut zu kennen schien. So oft sie an der Seite ihres Tänzers an ihm vorüberschwebte, flog ein düsterer Schatten über seine bleiche Stirn; so oft der auffallende Herr ihre zarte Hand ergriff, seinen Arm um die schlanke Taille schlang, regte sich in dem Herzen des blasierten Offiziers ein stiller Neid, Eifersucht und Reue um ein verlorenes Glück, das er durch seine eigene Schuld verscherzt hatte. Jetzt erst, wo ein anderer sie ihm entrissen, wo sie die Verlobte jenes fremden Mannes war, fühlte er, wie sehr er sie geliebt, wie thöricht er gewesen. Noch nie war sie ihm so hinreißend schön, so begehrenswert erschienen, als seitdem sie ihn wegen seiner unverzeihlichen Untreue, wegen seines unverbesserlichen Leichtsinns aufgegeben und für immer mit ihm gebrochen hatte.

Es war die alte Geschichte, wie sie nur zu häufig sich wiederholt. Der Baron lernte die junge Dame, welche Agnes von Lingen hieß, in einer Gesellschaft kennen und verliebte sich in sie, vorläufig hoffnungslos, da sie kein Vermögen besaß und mit ihrer Mutter von der kleinen Witwenpension derselben lebte, während er einzig und allein auf seine Offiziersgage und die Unterstützungen eines reichen Onkels angewiesen war, den er einst zu beerben hoffte, obgleich der alte Herr sich einer unverwüstlichen Gesundheit erfreute und sich selbst noch mit Heiratsgedanken fortwährend trug. Aus diesem Grunde mußte das Verhältnis noch geheim gehalten werden und einstweilen vor der Welt verborgen bleiben.

Fast ein ganzes Jahr bewahrte Brandenstein seiner Geliebten eine musterhafte, für ihn ganz unerhörte Treue; er zog sich von seinen früheren, nicht gerade lobenswerten Verbindungen zurück und brach mit allen seinen alten Liaisons, so daß er nicht den geringsten Grund zu einer Klage gab. Nach und nach unterlag der leichtsinnige, lebenslustige Offizier wieder den an ihn herantretenden Verlockungen, denen er trotz seiner Liebe nicht immer zu widerstehen vermochte. Verschiedene kleinere Sünden, die er sich zu schulden kommen ließ, wurden ihm zwar verziehen, hinterließen aber bei öfterer Wiederkehr eine natürliche Spannung und Verstimmung. Als aber der Baron, von einigen gleichgesinnten Kameraden verführt, sich an einer wüsten Orgie beteiligte, welche noch von der Chronique scandaleuse vergrößert und übertrieben zu den Ohren seiner Geliebten kam, erfolgte jener unheilbare Bruch und nach einigen Wochen ihre Verlobung mit einem reichen Gutsbesitzer, dem Herrn von Rabeneck, der sich schon seit längerer Zeit um die Hand des reizenden Mädchens beworben hatte.

Wenn er auch sich hauptsächlich anklagen mußte, so konnte er ihr doch nicht die scheinbare Heiterkeit verzeihen, welche sie in diesem Augenblick, wie er glaubte, absichtlich zur Schau trug, als sich ihre Blicke mit den seinigen wie zwei sich kreuzende Blitze zufällig begegneten. Er durfte nicht zweifeln, daß sie ihn erkannte, aber ihr schönes Gesicht blieb so ruhig und kalt, als ob sie ihn nicht bemerkt hätte, und verriet nicht die leiseste Spur einer natürlichen Aufregung. Das kränkte ihn und noch mehr als ihre Gleichgültigkeit schmerzte ihn der Gedanke, das; sie einem solchen Manne, wie diesem Rabeneck, für immer angehören sollte.

»Sie hat kein Herz,« murmelte er unmutig, »und ist nicht besser als andere, die sich für einen vollen Geldsack verkaufen.« Dennoch vermochte er, so lange der Tanz dauerte, keinen Blick von der verlorenen Geliebten abzuwenden; zugleich empfand er mehr als je das sehnlichste Verlangen, sich ihr zu nähern, um sich vor ihr zu rechtfertigen, obgleich sie bis jetzt allen derartigen Bemühungen widerstanden und seine Briefe ihm uneröffnet zurückgeschickt hatte. Trotzdem wollte er heute noch einen letzten Versuch machen, wozu er in dem Gedränge die erwünschte Gelegenheit zu finden hoffte. In dieser Absicht folgte er ihr, als sie an dem Arm ihres Verlobten nach beendeter Quadrille durch den Saal ging, in einiger Entfernung nach, indem er aus das dem Kühnen meist günstige Glück rechnete.

Wie so oft in derartigen Fällen, kam der Zufall dem Baron in Gestalt von Agnes' Mutter zu Hilfe, welche indessen unter einem Boskett von hohen Blattpflanzen sich niedergelassen hatte, um dem Tanze in Gesellschaft einiger älterer, mit ihr bekannten Damen zuzusehen. »Gut, daß ihr kommt!« rief die würdige Matrone ihrer Tochter schon von weitem entgegen. »Ich verschmachte fast vor Durst, die Hitze ist wirklich unerträglich.«

»Ich werde sogleich einige Gläser Eis besorgen,« versetzte der galante Herr von Rabeneck.

Während derselbe nach der Konditorei eilte, um die gewünschte Erfrischung zu bestellen, nahm Agnes an der Seite ihrer Mutter, an der äußersten Ecke der überfüllten Bank, Platz, so daß sie, fast von exotischen Gewächsen verdeckt, den dahinter stehenden Baron nicht früher bemerkte, bis er sie begrüßte. Auch ihre Mutter war so vertieft in die Unterhaltung mit ihren Freundinnen, daß sie seine Gegenwart kaum beachtete, da sie ohnehin bei dem Geräusch im Saale nicht hören konnte, was in ihrer Nähe verhandelt wurde. Mit der ihm eigenen Kühnheit benutzte der verwegene Offizier die für ihn höchst günstige Situation, indem er Agnes ansprach und sie zwang, ihn anzuhören, wenn sie nicht ein für sie unter diesen Verhältnissen unangenehmes Aufsehen erregen oder bei seiner ihr bekannten Unbesonnenheit eine Scene herbeiführen wollte.

Mit einer gewissen heimlichen Genugthuung sah Brandenstein, wie die überraschte Dame anfänglich bei seinem unerwarteten Anblick erschrocken zusammenfuhr und in ihren bleichen Zügen eine sichtliche Verwirrung verriet, die er zu seinen Gunsten zu deuten geneigt war. Bald aber faßte sich Agnes mit der ihr eigenen Selbstbeherrschung und sah ihn vorwurfsvoll aber ruhig mit ihren dunklen traurigen Augen an, während er sich zu ihr niederbeugte und leise, jedoch mit leidenschaftlicher Wärme, sich wegen seines Betragens zu entschuldigen suchte.

»Sie hätten,« erwiderte sie mit angenommener Gleichgültigkeit, »sich und auch mir diese peinliche Unterredung ersparen sollen, da Sie wissen, daß ich die Verlobte des Herrn von Rabeneck bin. Ich will und darf Sie nicht länger anhören. Verlassen Sie mich, wenn Ihnen an meiner Achtung noch das Geringste gelegen ist.«

»Nicht eher, bevor Sie mir sagen, daß Sie mir vergeben, daß Sie keinen Groll gegen mich hegen, daß Sie –«

»Was kann,« unterbrach sie ihn, »Ihnen an meiner Verzeihung liegen, da ich nicht wünsche. Ihnen wieder zu begegnen, da wir für immer geschieden sind und uns fortan fremd sein müssen?«

»O! sagen Sie das nicht. Ich werde nie vergessen, nie die Hoffnung aufgeben –«

»Nein, nein! Sie täuschen sich. Ich kenne Sie zu gut und weiß, was ich von Ihren heiligsten Versprechungen zu halten habe. Aber selbst, wenn ich Ihren Worten glauben könnte,« fügte sie milder hinzu, »darf ich diese Sprache nicht länger dulden. Ich bin die Braut des Herrn von Rabeneck.«

»Aber Sie lieben ihn nicht. Sie können unmöglich diesen Mann lieben.«

»Ich bin Ihnen keine Rechenschaft über meine Gefühle schuldig,« erwiderte sie würdevoll. »Herr von Rabeneck ist ein Ehrenmann, der meine vollste Achtung besitzt; sein edler Charakter, seine Zuverlässigkeit flößen mir das größte Vertrauen ein und bürgen mir dafür, daß er mich nie hintergehen wird, daß er mich wahrhaft liebt und daß er keine anderen Gedanken hat, als mich glücklich zu machen und alle meine Wünsche zu erfüllen.«

»Daran zweifle ich nicht,« erwiderte er, durch ihren Widerstand gereizt. »Herr von Rabeneck ist reich, ein halber Millionär –«

»Genug!« entgegnete sie mit geröteten Wangen. »Sie mißbrauchen in unedler Weise meine Lage und meine Geduld. Ich muß Sie dringend bitten, mich mit einer Unterhaltung zu verschonen, die mich auf das tiefste schmerzen und beleidigen muß.«

»Verzeihung!« bat der Baron, »aber ich weiß nicht, was ich rede. Haben Sie Mitleid mit einem Verzweifelten. Sie ahnen nicht, wie sehr ich leide. Der Gedanke, daß ich Sie verloren, wird mich noch wahnsinnig machen. Noch ist es nicht zu spät, noch können Sie mich retten, mich vor dem sicheren Untergang bewahren, wenn Sie mir noch einmal verzeihen und mir glauben wollen.«

Erschüttert durch seine Drohungen und die Heftigkeit seines Schmerzes, an dessen Wahrheit sie nicht zweifelte, gerührt von seinen Bitten und Beschwörungen, verführt von der Glut seiner Leidenschaft und dem immer noch mächtigen Zauber seiner ihr keineswegs gleichgültigen Persönlichkeit, erfüllt von den Erinnerungen an ihre nicht gänzlich erloschene Liebe, kämpfte Agnes von neuem, unbemerkt von ihrer Mutter und den nur mit ihrem Vergnügen beschäftigten Menschen, in. dem glänzenden Ballsaal den schweren Kampf, den sie in der letzten Zeit so oft auf ihrem einsamen Lager in der stillen Nacht weinend durchgekämpft, ohne nur durch einen Blick, eine Miene ihres Gesichts die geheimen Qualen ihrer Seele zu verraten.

In einem Anfall düsterer Schwermut, aus Verzweiflung über die Untreue des Barons hatte sie sich damals von ihrer Mutier überreden lassen, dem Antrag des reichen Rabeneck Gehör zu schenken, obgleich er fast doppelt so alt wie sie und ihr gleichgültig war. Wie so viele Mädchen in ähnlicher Lage, wollte auch sie durch einen derartigen unabänderlichen Schritt für immer mit ihrer Vergangenheit brechen und sich zugleich an dem falschen Geliebten rächen. Wenn sie auch ihren Verlobten nicht liebte, so söhnte sie sich nach und nach mit ihrem Schicksal aus, da derselbe sie anbetete und, abgesehen von seiner unansehnlichen Erscheinung, bei näherer Bekanntschaft durch die Zuverlässigkeit seines Charakters, durch die Güte seines Herzens und durch seine mehr als oberflächliche Bildung ihre Achtung zu gewinnen wußte.

Dazu kamen noch die Annehmlichkeiten und Vorteile eines großen Vermögens, von dem sich Agnes zwar nicht bestechen ließ, dessen Wert sie aber gerade in ihren beschränkten Verhältnissen schätzen lernte. Der gewiß verzeihliche Wunsch, ihrer armen Mutter ein sorgloses Alter zu verschaffen, der Gedanke, sich selbst keinen erlaubten Genuß versagen zu dürfen, die Aussicht auf eine gesicherte, selbst glänzende Zukunft, hatte etwas Verlockendes für sie und beschwichtigte die sich ihr aufdrängenden Bedenken. – Stärker jedoch als alle diese Gründe erwies sich das ihr eigene Pflichtgefühl, ihr edler Sinn, ihr Abscheu vor jeder niedrigen Handlung und ihre Achtung vor dem gegebenen Wort.

»Sie können nicht verlangen,« sagte sie nach einer Pause in ihrem sanften, aber entschiedenen Ton, »daß ich Herrn von Rabeneck täuschen, das mir von ihm geschenkte Vertrauen verraten, ein heiliges Versprechen brechen soll? Nimmermehr!«

»Agnes!« rief er schmerzlich. »Ich bitte, ich beschwöre Sie. Bedenken Sie, daß es sich um mein und Ihr Glück, um unser Leben handelt.«

»Ich kann nicht anders,« entgegnete sie fast weinend, »und wenn es mein Tod wäre. Wir dürfen uns nie wieder sehen, das ist mein einziger Wunsch, mein fester Wille.«

»So leben Sie wohl,« erwiderte er düster, »auf ewig, für immer.«

»Leben Sie wohl!«

In höchster Aufregung, von den widersprechendsten Gefühlen, von Liebe und Haß, von Groll und Bewunderung für Agnes erfüllt, entfernte sich Brandenstein, mit der Absicht, den Ball zu verlassen, welcher allen Reiz für ihn verloren hatte. Das glänzende Schauspiel war ihm plötzlich gleichgültig geworden, die vergnügten Menschen erschienen ihm lächerlich und widerwärtig, das ganze Treiben langweilig und abgeschmackt. Er zürnte mit sich selbst, mit der Welt und am meisten mit seiner früheren Geliebten, welche er wegen ihrer Härte und Grausamkeit anklagte. Weit entfernt, die Hochherzigkeit ihrer Gesinnung anzuerkennen, das schwere Opfer, das sie ihrer Ehre und der Pflicht gebracht, zu fassen, war er in seinem Unmut geneigt, ihr ein niedriges Motiv unterzuschieben und sie für eines jener gewöhnlichen Mädchen zu halten, welche keinen Anstand nehmen, für die Vorteile des Reichtums, für den Luxus des Lebens, für eine elegante Equipage, für kostbare Toiletten, für eine Loge im Theater ihr Herz zu verkaufen und mit ihrer Schönheit einen schmachvollen Handel zu treiben.

Aus diesen peinlichen Gedanken, denen er sich in diesem Augenblick unwillkürlich überließ, wurde der mißgestimmte Baron durch die Dazwischenkunft des ihm befreundeten Lieutenants von Kragstädt gerissen, der ihn jetzt im Fortgehen zurückhielt und ihn wider Willen zum Bleiben zwang.

»Zum Kuckuck!« rief der lustige, übermütige Kamerad, »wo hast du denn dich herumgetrieben? Gewiß eine neue Liaison, die dich festhält und nicht losläßt. Ich suche dich bereits seit einer halben Stunde im ganzen Saal herum.«

»Die Mühe hättest du dir sparen können. Ich langweile mich zu Tode und will deshalb mich drücken.«

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»Wo denkst du hin? Du vergißt, daß wir uns mit Flora und der kleinen Josephine verabredet haben, in der Pause zu soupieren. Ich habe bereits einen besonderen Tisch für uns belegt und einige Flaschen Sekt kalt stellen lassen.«

»Ich bin wirklich heute nicht aufgelegt; du wirst mich bei den Damen entschuldigen.«

»Das kannst du selbst besorgen, wenn du den Mut hast. Dort kommen schon die beiden holden Engel in Windecks Begleitung, von Liebe und Hunger erfüllt. Kannst du so grausam sein, ihr Herz zu brechen und ihnen den Appetit durch deine unbegreifliche Absage zu verderben?«

Obgleich Brandenstein sich anfänglich sträubte, so vermochte er doch nicht den Bitten der Damen, besonders den verführerischen Augen und dem anmutigen Lächeln der reizenden Flora zu widerstehen, welche eine wegen ihrer pikanten Schönheit und ihres Talents, besonders aber wegen ihres kecken Witzes beliebte und gefeierte Schauspielerin des Residenztheaters war, während ihre Freundin Fräulein Josephine als Soubrette durch den zwar etwas frivolen aber hinreißenden Vortrag ihrer Couplets das Herrenpublikum entzückte. Es war ihm nicht möglich, die holde Versucherin zurückzuweisen, welche seinen Arm ergriff, sich so innig an ihn anschmiegend und ihn so zärtlich und schalkhaft anblickend, daß er sich ohne Widerstand von ihr in den anstoßenden Speisesaal ziehen ließ, wo er an ihrer Seite Platz nahm.

Bei dem heiteren Geplauder der Damen und den Scherzen der Kameraden, welche den Baron wegen seiner unliebenswürdigen Laune neckten, vergaß er nach und nach die erlebte schmerzliche Abschiedsscene. Einige Gläser Champagner, welche die anmutige Schauspielerin ihm kredenzte, nachdem sie den Schaum mit ihren rosigen Lippen fortgeküßt hatte, verscheuchten mit der Zeit die finsteren Wolken von seiner Stirn und versetzten ihn in eine unnatürliche Fröhlichkeit. Nach seiner Gewohnheit sprang er von einem Extrem in das andere über und seine düstere Verzweiflung verwandelte sich in wilde Ausgelassenheit. Bald war er wieder der lustigste unter seinen lustigen Kameraden, sprudelnd von tollen Einfällen und übermütigem Humor, so daß das laute Gelächter seiner Tischgenossen die Aufmerksamkeit der übrigen Gesellschaft auf sich zog, da ein derartig freierer Ton bei diesen von dem Hof besuchten Bällen nur selten vorzukommen pflegt.

»Wer ist denn jener Offizier, der sich hier so ungeniert gehen läßt?« fragte Herr von Rabeneck, der mit seiner Braut und ihrer Mutter in der Nähe an einem Tische saß.

»Baron von Brandenstein,« erwiderte die würdige Matrone mit einem Blick auf ihre Tochter. »Schade um den jungen Mann, daß er in so schlechte Gesellschaft geraten ist. Er stammt aus einer guten Familie und hat auch uns zuweilen früher besucht, bis sein lockerer Ruf uns genötigt hat, jeden Umgang mit ihm abzubrechen. Er ist jetzt auf dem besten Wege, sich zu Grunde zu richten.«

»Und die beiden Damen?«

»Zwei Theaterprinzessinnen, die ihn ruinieren helfen. Mir ist es unbegreiflich, daß junge Leute von Stand, noch dazu Offiziere, sich öffentlich mit solchen Geschöpfen einlassen können. Alan sollte ihnen den Eintritt zu jeder anständigen Gesellschaft versagen und sie nicht auf dem Subskriptionsballe dulden.«

Zum Glück bemerkte weder Herr von Rabeneck, noch ihre Mutter, die verräterische Blässe, welche plötzlich die Wangen der armen Agnes bedeckte. Wenn sie auch eine gewisse traurige Befriedigung wegen ihrer strengen Zurückweisung des Barons empfand, so konnte sie doch nicht eine schmerzliche Bewegung wegen seines unverzeihlichen Leichtsinns unterdrücken, der sie auf das tiefste verwunden mußte. Sie vermochte nicht nach der vorangegangenen, erschütternden Abschiedsscene sein ihr unerklärliches Benehmen zu fassen und glaubte, daß er sie absichtlich dadurch kränken wollte. Erst jetzt hielt sie ihn für unwiederbringlich verloren und zu der Trauer um ihre frühere Liebe gesellte sich noch das Gefühl der Verachtung statt des bisherigen Mitleids; die schwerste und bitterste aller Qualen für ein zärtliches Frauenherz, da verabscheuen zu müssen, wo man einst geliebt.

Länger war sie nicht im stande, den ihr verhaßten Anblick zu ertragen, die frivolen Mienen und Bewegungen dieser Damen ruhig mit anzusehen, die übermütigen Scherze und Witze der angeheiterten Herren mit anzuhören. Das laute Gelächter, die wilde Fröhlichkeit schnitt ihr ins Herz und verwundete ihr Zartgefühl. So oft Brandensteins Stimme zu ihr hinüberschallte, so oft sie sein von Wein und Aufregung glühendes Gesicht, seine von sinnlicher Lust flammenden Augen erblickte, erfaßte sie ein unbeschreiblicher Schauder, gerade als ob ein von ihr angebetetes Götterbild vor ihren Augen entweiht, im Staub geschleift und mit Kot besudelt worden wäre.

»Es ist sehr schwül hier,« sagte sie, sich von ihrem Stuhl erhebend. »Ich ersticke.«

»Du siehst wirklich etwas angegriffen aus,« bemerkte die Mutter. »Was fehlt dir?«

»O! nichts, nichts,« murmelte sie verlegen. »Die Hitze ist wirklich beängstigend.«

»Die frische Luft wird Ihnen gut thun,« versetzte Herr von Rabeneck, ihren Arm ergreifend. »Wir wollen ein wenig in dem Korridor auf und ab gehen. Das wird Sie erfrischen.«

Mechanisch folgte Agnes ihrem Verlobten in den Korridor, wo sie sich nach und nach wieder so weit erholte, daß sie nach einiger Zeit in den Ballsaal zurückkehren konnte, welcher ein ganz neues Bild bot. Wie gewöhnlich herrschte hier nach der Pause und nachdem sich der Hof entfernt hatte, eine größere Freiheit und Ungezwungenheit. Das Publikum war jetzt ungenierter, die ganze Gesellschaft lebendiger, der Tanz stürmischer, das Tempo der Musik und der Takt rascher als früher. Statt aber in zierlich abgemessenen Pas der Quadrillen flogen die Paare im wilden Walzer oder in schneller Galoppade hin.

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Vor allem aber überließ sich Brandenstein mit seiner Tänzerin einer in diesen Räumen nur ausnahmsweise stattfindenden Lebhaftigkeit. Gleich einer trunkenen Bacchantin ruhte die reizende Schauspielerin an seiner Brust, an die sie das verführerische Köpfchen so dicht anlegte, daß ihr heißer Atem sich mit dem seinigen vermischte. Ihre schillernden Augen loderten wie verzehrendes Feuer und strömten eine dämonische Glut aus; ihre roten Lippen brannten, ihr ganzer Körper schien nur eine zuckende, auf und nieder züngelnde Flamme zu sein. Wie kleine Flammen bäumten sich die wirren, rötlichen Locken um die klopfenden Schläfe und den weißen Nacken; unter dem lichten, durchsichtigen Flor wogte der volle Busen, wogten die elastischen Glieder wie Silberwellen zu den Klängen der berauschenden Musik. Immer fester, immer enger umschlang er die schlanke, üppige Gestalt mit seinen Armen, immer wilder stürmten beide durch den Saal, daß ihre Robe hoch aufflatterte und die duftenden Blumen aus ihrem Kranz welk zur Erde fielen, ohne daß sie darum sich kümmerte. Im heißen Sinnenrausch, in trunkener Selbstvergessenheit achtete der Baron weder auf Ort noch Zeit, gleichgültig gegen das halb verwunderte, halb mißbilligende Lächeln seiner Umgebung, wie gegen die traurigen Blicke der mit Recht empörten Agnes, welche sich entrüstet von dem ihr widerwärtigen Schauspiel abwendete, weil sie ihrem Schmerz zu erliegen dachte, wenn sie noch länger blieb. Auf den Arm ihres Verlobten gestützt, schwankte sie aus dem Saal, ein leichtes Unwohlsein vorschützend. Grade im Fortgehen begegnete sie noch einmal dem Baron, der nach beendetem Tanz mit seiner Dame an ihr vorüberging.

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Bei ihrem Anblick erstarrte das heitere Lächeln, welches um seine Lippen schwebte, verstummten die zärtlichen Worte, die er seiner reizenden Begleiterin zuflüsterte und unwillkürlich ließ er die Hand der Schauspielerin los, die er soeben noch gedrückt hatte. Stumm und bleich schritten beide an einander vorüber wie zwei Fremde, welche sich nie gesehen, nie gekannt, obgleich sie sich einst so innig geliebt hatten.


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