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Ich bin auf einmal in einer ganz neuen Welt, Bruder! Sowie man über der böhmischen Grenze ist, erblickt man ein ganz andres Erdreich, einen andern Anbau, andre Leute und hört eine ganz andre Sprache. Zum erstenmal hörte ich nun das gemeine Volk verständig deutsch sprechen; denn durch ganz Schwaben, Bayern und Österreich spricht man ein Jargon, das einer, der das Deutsche von einem Sprachmeister gelernt hat, ohne besondre Übung unmöglich verstehen kann. Nun bin ich erst in dem eigentlichen Deutschland. Nur ein kleiner Strich von dem Teil des deutschen Reiches, den ich bisher gesehn, nämlich der nördliche zwischen der Donau und dem Rhein in Schwaben, gehört zu dem alten Germanien, dessen Bewohner den Römern so fürchterlich waren. Das übrige war alles nur erobertes Land und hieß Vindelizien, Rätien und Pannonien. Um die Zeiten Pippins und Karls des Großen waren aber auch hier die Grenzen Deutschlands beschränkt. Die Slawen hatten zuvor die Burgunder, Schwaben und andre deutsche Völker über die Elbe getrieben und sich ihrer Wohnsitze bemächtigt, so wie diese dann den Teil der alten Germanier, die an den Ufern des Mains und Rheins wohnten, nach Gallien trieben. Es war, als wenn damals die Völker eine Reihe Kugeln gewesen wären, die von Osten her einen Stoß bekamen und wo immer eine die andre in gerader Linie forttrieb. – In der neuern Geschichte, nämlich seit Luthers Zeiten, war Sachsen immer in jedem Betracht eine der vornehmsten Provinzen Deutschlands. In Rücksicht auf Literatur waren die Sachsen für die übrigen Deutschen das, was vor einigen Jahrhunderten die Florentiner für die andern Völkerschaften Italiens waren. Doch ich bin zu voreilig. Alles das sollst du zu seiner Zeit umständlicher erfahren. Ich muß dir erst sagen, wie ich hieher gekommen bin und wie das Land aussah, durch welches ich kam.
Der Teil von Böhmen, durch welchen unser Weg hieher ging, sieht ungleich schöner und reicher aus als der zwischen Prag und Österreich. Der Anbau ist, so wie das Land selbst, mannigfaltiger, die Menschen wohnen näher beisammen und scheinen geselliger zu sein. Hügel, Berge, Ebenen und Täler wechseln auf eine reizende Art miteinander ab, und der Weinstock, der jenseits Prag gar nicht zu sehen ist, bedeckt hier häufig die Abhänge der Berge.
Wir sahen die waldichten Gipfel des sogenannten Erzgebirges, dessen höchster Rücken die Grenze zwischen Sachsen und Böhmen ist. Diese Berge sind auch nur von mittlerer Höhe und machen durch ihre Größe bloß deswegen einiges Aufsehen, weil von hier bis an die Mündung der Elbe und der Ostsee hin kein erhebliches Gebirge ist. Die Leute, welche aus diesem niedrigen und ebenen Lande heraufkommen und hier zum erstenmal ein Gebirge erblicken, welches dieses Namens würdig ist, erheben ein großes Geschrei und glauben die Grundsäulen des Himmels gesehen zu haben, so wie das Riesengebirge auch seinen Ruhm bloß dem kleinen Maßstab zu verdanken hat, den die Leute, welche es in Ruf gebracht, von Gebirgen überhaupt hatten. In alten Zeiten machte man es mit dem Atlas, Olymp, Athos, Parnaß und andern Bergen ebenso.
Moore will auf diesem Weg, den ich hieher gemacht habe, eine große Verschiedenheit der Fruchtbarkeit zwischen dem sächsischen und böhmischen Boden zum Vorteil des erstern bemerkt haben; allein ich fand gerade das Gegenteil. Zuverlässig ist das Erdreich von Böhmen von Natur ergiebiger als jenes von Sachsen, wie denn dieses Land auch seinen beträchtlichen Teil seiner ersten Bedürfnisse aus jenem bezieht. Vorzüglich fruchtbar ist der Leutmeritzer Kreis, wodurch dieser Weg geht und mit welchem sich der angrenzende Teil von Sachsen gar nicht vergleichen läßt; aber der fleißigere Anbau ist auffallend, sobald man den Fuß auf sächsischen Grund und Boden gesetzt hat. Man wird gar bald überzeugt, daß die Verfassung dieses Landes dem Feldbau und Fleiß überhaupt günstiger ist als jene von Böhmen. Der Bauer verrät in der Bebauung seiner Felder mehr Überlegung und Verstand als der Böhme, und sein ganzes Äußeres bezeugt, daß er kein Sklave ist.
Dresden hat eine stolze Lage und beherrscht auf allen Seiten eine vortreffliche Aussicht. Sie ist ohne Vergleich die schönste Stadt, die ich noch in Deutschland gesehen. Die Bauart der Häuser hat viel mehr Geschmack als die von Wien. Auf der langen und prächtigen Elbbrücke ist die Aussicht bezaubernd. Der Fluß, welcher bis auf einige Entfernung von der Stadt sehr eingeschränkt war, fängt an, sich merklich auszubreiten, und ist hier schon ein mächtiger Strom, welcher der Pracht der Stadt und Landschaft entspricht. Das Gebirge gegen die Lausitz zu bietet einen majestätischen Anblick dar, und die teils wilden, teils mit Weinreben bepflanzten Berge längst dem Fluß hinab bilden ein ungemein schönes Perspektiv.
Die Sitten und die Art der hiesigen Leute sticht mit den Deutschen, die ich bisher gesehen, noch stärker ab als die Schönheit der hiesigen Straßen und der Geschmack der Gebäude mit den Städten in Schwaben, Bayern, Österreich und Böhmen. Ein ungemein schöner Wuchs, sprechendere Gesichtszüge, eine gewisse Rundung und Leichtigkeit der Bewegungen, eine zuvorkommende Höflichkeit, eine durchaus bis auf die untersten Volksklassen herrschende Reinlichkeit und ein gewisses gesprächiges, zudringliches und einnehmendes Wesen muß jedem, der auf meinem Weg hieher kommt, an den hiesigen Einwohnern stark auffallen.
Es war ein unglücklicher Einfall, diese schöne Stadt zu befestigen, und unbegreiflich ist es, daß man, anstatt die Festungswerke sobald als möglich zu schleifen, sie noch verbessern will. So ausgesetzt, wie das Land ist, und in seinen jetzigen Umständen, wo es sich in keine Fassung setzen kann, um in einer Fehde zwischen Österreich und Preußen die Neutralität zu behaupten, ist diese Stadt mehr als irgendeine in Gefahr, verwüstet zu werden. Das Andenken der Verwüstungen von 1758 und 1760 ist noch frisch genug, um der Regierung zur Warnung zu dienen.
Die Stadt scheint nach der Größe ihres Umfanges nicht sehr bevölkert zu sein. Man schätzt die Anzahl der Einwohner auf 50.000. So viel ist gewiß, daß sie seit dem Ausbruch des letzten Schlesischen Kriegs und dem Tod Augusts des Dritten fast einen Dritteil ihrer Einwohner verloren hat. Die Fremden und Einheimischen, welche die Stadt vor dieser Epoche kannten, wissen von der Abnahme derselben nicht genug zu erzählen. Die Kriegsverheerungen haben zu dieser Veränderung lang nicht soviel beigetragen als die Sparsamkeit des Hofes, welche auf eine große Verschwendung desselben erfolgte. Unter dem letztern Kurfürsten war der hiesige Hof vielleicht der glänzendste in Europa. Man rechnet, daß bloß die Hofmusik, die Oper und das Ballett den Kurfürsten fährlich im Durchschnitt gegen 300.000 Gulden sächsisch oder über 780.000 Livres gekostet haben. Seine Tafeln, Jagden, Ställe usw. entsprachen vollkommen diesem Aufwand. Aus allen Ländern strömten Fremde hieher, um all die Herrlichkeit mit zu genießen. Dresden war in Norden der Mittelpunkt des Geschmacks und der feinen Lebensart. Das zahlreiche Gefolge des Hofes und der vielen Fremden machten den Umlauf des Geldes, die Künste und alles Gewerbe lebhaft. Unterdessen häuften sich die Schulden, wodurch sich aber der Kurfürst so wenig irremachen ließ, daß, als er in einer gewissen Oper das schöne Opferfeuer vermißt, welches sonst in einem Tempel zu brennen pflegte und mehrere hundert Taler kostete, und ihm der Intendant sagte, die heidnische Gottheit müßte sich für diesmal mit einem Feuer für zwanzig bis dreißig Gulden begnügen, weil kein Geld mehr in der Kasse sei, er doch den strengsten Befehl gab, daß bei der nächsten Aufführung dieser Oper wieder, wie zuvor, die vielen hundert Taler verbrennt werden sollten.
Ein Hof, der auf diesen Ton gestimmt ist, hat selten gute Staats- und Verwaltungsgrundsätze. Die Minister werden, wie der Fürst selbst, von eitelm Glanz geblendet, wollen sich in der Welt eine bedeutende Miene geben, lassen sich in Unternehmungen ein, denen die durch die Verschwendung geschwächten Kräfte des Landes nicht gewachsen sind. Sie sind in einem gewissen Schwindel, worin sie weder ihre eigne Lage noch jene der andern Mächte, mit welchen sie in Kollision kommen, genau ins Auge fassen können. Durch die allgemeine Verschwendung werden Untreue, Bestechung, Verrat und alle Laster begünstigt. Die wichtigsten Stellen werden erkauft, erschmeichelt, erhurt. Dieser wird Geheimer Staatsrat, weil er schön tanzt, und jener General, weil er die Flöte gut blaset. Das Verdienst wird unter dem Unterrock abgemessen, und die ganze Politik eines solchen Hofes ist gemeiniglich in der Sphäre eingeschlossen, welche die schöne Göttin zu Florenz mit der einen Hand bedeckt.
Man ist einig, daß der König für seine Person nicht so sehr die Wollust als die Pracht geliebt; allein die skandalöse Chronik seiner Hofleute übertrifft vielleicht alles, was man von der Art kennt, und wenigstens hat er durch seine Prachtliebe die Ausschweifungen seiner Untergebenen begünstigt. In der Trunkenheit der Wollust ließ sich das Ministerium in einen Plan ein, von dem es kein Ende absehen konnte und worin es sich notwendig der Diskretion mächtigerer Höfe überlassen mußte, mit denen es sich gegen einen gefährlichen Nachbar verband. Vielleicht war dies eine der unpolitischesten Verbindungen, welche die Geschichte kennt. Man nahm die Partei von Rußland, welches für Polen so fürchterlich war, schlug sich zu Österreich, welches ohnehin ein mächtigerer Nachbar war als Preußen, und wollte diesen Hof entkräften, der doch ganz allein imstand war, das Gleichgewicht in Deutschland zu erhalten. Man verstieß sich also auf drei Seiten gegen die erste Staatsmaxim eines Hofes, der im Gedränge andrer ist, nämlich nie die Partei des Stärkern, sondern allzeit jene des Schwächern zu nehmen. Doch man konnte damals nichts Vernünftiges von dem hiesigen Ministerium erwarten. Mitten in dem Taumel überfiel der König von Preußen das Land, wie Karl der Zwölfte Polen unter August dem Zweiten. Die Armee, womit man so große Dinge tun wollte, 14.000 Mann stark, ergab sich, ohne einen Schuß zu tun. Es sollen bei derselben einige Obristen Kastraten gewesen sein. Die derben Schläge des Königs von Preußen weckten sie nach und nach aus dem Schlaf auf. Die ganze Herrlichkeit, nur das ausgenommen, was die Minister zuvor für sich eingesteckt hatten, war wie weggeblasen. Nun ertönte ein Konzert von Schuldfoderungen, Brandschatzungen, Lieferungen und dergleichen mehr, welches mit dem Bacchanalgetöse kurz zuvor einen schauerlichen Mißton machte. Alle Welt hielt das Land für verloren, und es wäre auch nicht zu retten gewesen, wenn nicht der unbeschreiblich tätige Geist der Nation seine Zuflucht zur Sparsamkeit und Industrie genommen hätte und nicht ebenso nüchterne und patriotische Minister ans Ruder gekommen wären, als trunken und feil die vorhergehenden waren. In einem meiner folgenden Briefe werde ich dir von dem jetzigen Zustand des Landes umständlichere Nachricht geben.
Eine von den Merkwürdigkeiten, wovon man hier am meisten Lärmen macht, ist das sogenannte Grüne Gewölbe im kurfürstlichen Schloß oder die eigentliche Schatzkammer. Einige wollten wissen, man habe Bedenklichkeiten, sie den Fremden zu zeigen, weil einige von den vielen Stücken, die im letzten Schlesischen Krieg in Holland versetzt worden, noch nicht eingelöset wären; allein man machte uns (ich war in Gesellschaft zwei russischer Edelleute) nicht die geringste Schwierigkeit, und der Mann, welcher sie uns zeigte, versicherte, daß alles wieder eingelöset sei. Die Sammlung ist immer sehr merkwürdig; ich glaube aber, die Schätze an den Höfen zu Wien und München geben ihr wenig nach, und ich müßte mich sehr betrügen, wenn nicht die Schätze einiger Domkirchen, die ich gesehen, ihr die Waage halten sollten. – Die Gemäldegalerie, die Sammlungen von Antiken, Kupferstichen und Naturalien sind in meinen Augen ungleich merkwürdiger als das berüchtigte Grüne Gewölbe, wie dann die Gemäldegalerie unter die allerersten in Europa gehört. Sie zählt ohne die Pastellmalereien beinahe 1.200 Stücke. In derselben ist die Geburt des Heilandes von Correggio, welche man schlechthin "Die Nacht" nennt und für die beste Arbeit dieses Meisters hält, das merkwürdigste Stück. Es soll über eine halbe Million Livres gekostet haben. Einige ziehen ihm den "Heiligen Georg", auch von Correggio, noch vor. Dieses Stück sollte eigentlich "Maria" heißen, denn die Heilige Jungfrau ist die Hauptfigur, und der heilige Georg steht, nebst andern Heiligen, neben ihr. – Von Carracci hat die Galerie kostbare Werke und sein bestes Stück. Es ist ein heiliger Rochus, der Almosen gibt. In Italien ist dies Stück unter dem Namen "Opera dell'Elemosina" bekannt.
Je länger ich hier bin, Bruder! desto mehr glaube ich in meinem Vaterlande zu sein. Die Sitten der hiesigen Einwohner, ihre Lebensart, ihre Gebärden, Vergnügungen, der Ton ihrer Gesellschaften, kurz, alles versetzt mich nach Haus. Ich wünsche nur, daß unsre Damen, Fräulein und Mädchen auch so schön und frisch wären als die hiesigen. – Ich erinnere mich, daß eine Österreicherin, als einige Herren in einer Gesellschaft den Sächsinnen eine große Lobrede hielten, denselben zur Antwort gab: "Gebt uns nur so schöne und artige Männer, als die Sachsen sind, und dann laßt uns für das übrige sorgen."
Mit dem Essen und Trinken sieht es hier nicht so gut aus als in Süddeutschland. In diesem Punkt ist der Kontrast zwischen den Sachsen und den übrigen Deutschen, die ich bisher gesehen, so groß, daß man zu den Antipoden der letztern gekommen zu sein glaubt. Die Brühen sind hier so dünne, man hat so oft kalte und immer so schmale Küche, daß ich glaube, ein Wiener könne es hier in einem mittelmäßigen Haus nicht vier Wochen aushalten. Ich hatte schon mehr als eine Gelegenheit, zu bemerken, daß auch in den vornehmen Häusern eine Kärglichkeit in Rücksicht auf Küche und Keller herrscht, die man in Österreich und Bayern für eine Entehrung halten würde. Diese strenge Ökonomie erstreckt sich über alles, was zum innern Hauswesen gehört, und ich habe noch keine andre Art von großem Luxus bemerken können als die Kleidungen, worin der Aufwand im ganzen noch größer sein mag als in Süddeutschland. Alle vom Mittelstand, Frauen und Männer, sind hier nach der Mode gekleidet, und sie herrscht auch unter einem ansehnlichen Teil der untern Klasse, da hingegen zu Wien, München und andern Orten sich bis tief in den Mittelstand hinauf noch eine gewisse Nationaltracht erhält. – Ich wohne bei einem Uhrmacher, dessen zwei Töchter ihre vollständige Toilette haben und täglich koëffiert werden; dagegen nehmen sie öfters abends mit einer Butterschnitte und allenfalls einem dünnen Schnittchen Schinken dazu vorlieb, welches Essen zusammen mir anfangs sehr auffiel. – Es sind vielleicht keine drei adelige Häuser hier, die zwanzig Pferde im Stall haben, und die Portiers, Kammerdiener und dergleichen mehr, die zu Wien eine so große Anzahl ausmachen, sind hier ziemlich selten. Man gibt wohl einem der Lakaien, so wie auch zu Paris Sitte ist, den Titel eines Kammerdieners; allein ein Kammerdiener zu Wien hat wenigstens noch einmal soviel Gehalt als ein hiesiger, obschon in Wien viel wohlfeiler zu leben ist. – Hier schämen sich die gnädigen Frauen nicht, sich in der Küche umzusehen, den Bedienten die Lichter, auch die Strümpfchen der Lichter vorzuzählen und auszurechnen, wie lange sie brennen müssen. Kurz, die Kleidungen ausgenommen, ist hier alles nach der strengsten Ökonomie abgemessen.
Es sind auch der reichen Häuser hier sehr wenige. Kaum einer vom inländischen Adel hat über 30.000 Gulden Einkünfte, und die meisten der vornehmsten Häuser stehen zwischen 10- und 15.000 Gulden. Die Bürgerlichen klagen durchaus über Mangel an Geld, Teurung und geringen Verdienst. In Rücksicht auf den Zustand der Stadt, wie er unter dem letztern Kurfürsten war, mögen sie wohl Ursache zu klagen haben; allein ich habe noch keine Stadt in Deutschland gesehen, wo durchaus soviel Wohlstand herrschte wie hier. Man sieht ebensowenig Armut als übermäßigen Reichtum. Das Geld, welches im Umlauf ist, wird größtenteils durch bürgerliche Industrie in Bewegung gesetzt, und in diesem Betracht sticht Dresden mit München und andern Städten Deutschlands, die bloß vom Hof und der Schwelgerei des Adels ihre Nahrung ziehen, stärker ab als in irgendeiner andern Rücksicht. In dieser einzigen Stadt sind ungleich mehr Fabrikanten und nützliche Künstler als in ganz Bayern. Man verfertigt hier eine große Menge Rasche, Sarsche, Seiden- und Leinenzeuge, Tücher und dergleichen mehr und treibt damit einen ausgebreiteten Handel durch ganz Deutschland. Eben deswegen, weil das Geld meistenteils durch Arbeit gewonnen wird, geht man sparsam damit um.
Der Zustand, worin die Stadt unter dem letzten Kurfürsten war, ist eben nicht der gesündeste. Er gleicht dem Zustand eines Körpers, der zuviel Nahrung und keine Bewegung hat, um die Säfte in alle die gehörigen Kanäle zu verteilen und so leicht zu machen, daß keine Stockung entstehen kann. Einsichtige Bürger von hier, mit denen ich über diesen Punkt geredet, mußten gestehen, daß zu der Zeit, als der Hof in seinem größten Glanz war, unter einem gewissen Teil der Einwohner ungleich mehr drückende Armut herrschte als jetzt. Die Verschwendung der Großen hatte auch die Kleinern angesteckt, und die Leichtigkeit des Verdienstes verringerte den Wert des Geldes in den Augen des Besitzers. Ein großer Teil desselben strömte den Fremden zu, ohne erst durch eine beträchtliche Anzahl hiesiger Hände zu laufen. Schmeichler, Kuppler, Huren, Projektmacher, Tänzer, Sänger und dergleichen mehr teilten die Beute des Hofes unter sich und schleppten den größten Teil davon aus dem Lande. Nur die, welche dem Hof nahe waren, genossen etwas Beträchtliches von dem Aufwand. Das übrige verlor sich unter den großen Haufen in so unzähligen und engen Kanälchen, daß mancher gar nichts davon empfand. Man sieht zu München offenbar, wie wenig auch der ungeheuerste Aufwand des Hofes für Pracht und Vergnügen die Einwohner der Residenzstadt wohlhabend und wahrhaft glücklich machen kann.
Ich glaube gerne, daß es hier jetzt trauriger aussieht als vormals. Es ist auch sichtbar genug, daß der gute Humor und die Munterkeit, welche die Natur diesem Volk gegeben hat, öfters von einem gewissen Trübsinn umwölkt wird, der meistens durch die angewöhnte Sparsamkeit und den angestrengten Gewerbgeist verursacht wird. Ohne Zweifel hat man es dieser Bedächtlichkeit zu verdanken, daß man hier mehr wahres Vergnügen genießt als in irgendeiner andern Stadt Deutschlands, die ich gesehen. Der große Haufen zu Wien, München usw. kennt keine andere Wollust, als sich den Bauch zu füllen, sich von dem Unsinn eines Harlekins kitzeln zu lassen und zu kegeln. Alle öffentlichen Gärten in den Wirtshäusern zu Wien sind zu Kegelbahnen angelegt, und ich erinnere mich, in einem einzigen Garten dieser Art gegen dreißig Bahnen gezählt zu haben. Hier weiß man aber das Vergnügen des Umgangs, der Freundschaft und Liebe zu schmecken. Man macht, wie bei uns, kleine Partien auf das Land und hat Gefühl für die mannigfaltigen Schönheiten der Natur. Auch unter dem Mittelstand herrscht Geschmack an Kunstsachen, und die Lektüre ist fast allgemein. Diese ist nicht, wie in Süddeutschland, bloß auf Komödien und fade Romanen eingeschränkt, sondern erstreckt sich auch über gute moralische, historische und andre Bücher vom höhern Wert. Der Adel hält sich hier sogar für seine Gesellschaften einen eignen Leser.
Ich glaube hier schon bestätigen zu können, was Pilati über den Unterschied der katholischen und protestantischen Deutschen sagt, nämlich daß bei diesen ein Junge von zwanzig Jahren mehr weiß als bei jenen mancher alte Gelehrte. Wenigstens ist mir hier der Unterschied so stark aufgefallen, daß ich glaubte, über die Pyrenäen aus Spanien nach Frankreich gekommen zu sein. Was man zu Wien in der Normalschule mit soviel Geklatsche erst in Aufnahme zu bringen sucht, das scheint hier schon vor einigen Menschenaltern getan worden zu sein. Ich besuchte vor wenig Tagen eine Landschule unweit der Stadt und fand ungleich mehr Ordnung und wahren Unterricht als in der besten Schule zu Wien. Die gemeinsten Leute verraten durchaus ungemein viel Kenntnis von den Dingen, die zur bürgerlichen Gesellschaft und zum sittlichen Leben gehören, dahingegen ein gemeiner Bürger in Süddeutschland, einige kleine Striche in Schwaben ausgenommen, in seinem eignen Zirkel fremd ist und nichts denkt, als wie er die Woche durch so viel Geld zusammenbringe, daß er am Sonntag schmausen könne.
Zwischen dem Frauenzimmer ist der Abstich noch stärker als zwischen den Mannsleuten. Bei einer Schönen in Deutschland hast du nichts zu tun, als die Bettvorhänge auf- und zuzuziehen. Das Geschäfte ist so kurz und so ganz ohne Vor- und Nachgeschmack, daß ich in diesem Punkt ein Kyniker geworden wäre, wenn ich länger unter diesen Waldnymphen hätte bleiben müssen. Für mich hat keine andre Liebe einigen Reiz, als die zwischen der faunischen und platonischen schwebt und die Vater Ovid lehrt. Man heiße es Koketterie, Ziererei, Affektation, oder wie man sonst will. Die sogenannten natürlichen Mädchen sind meine Sache nicht. Ich halte es mit Montaigne, der die Venus auch nicht anders als in Gesellschaft der Musen und Grazien willkommen hieß, und die köstlichsten Augenblicke für mich sind die, wo das Fleisch den Geist noch nicht ganz überwältigt hat, sondern noch eine Art von Lustkampf unter ihnen obwaltet. Das hiesige Frauenzimmer ist ganz dazu gemacht, die körperliche und geistige Wollust zusammenzuschmelzen und den Ekel zu verbannen, der den bloß sinnlichen Genuß zu begleiten pflegt. Es hat nicht nur die Kenntnisse, die unmittelbar dazu beitragen, seine natürlichen Reize zu erhöhen, sondern auch sehr viel allgemeine Weltkenntnis und, was noch viel mehr ist, schöne Sitten. – Mit Ekel erinnere ich mich eines Auftrittes zu Wien, wo ich einen Bekannten, teils aus Gefälligkeit, teils um die Wirkungen der Keuschheitskommission zu sehen, an einen gewissen Ort begleitete. Ich war keine Minute da, so floh ich, was ich fliehen konnte. Die Yahoo, welche Gullivern bei den Houyhnhnms im Bad anfiel, kann keinen so großen Abscheu in ihm erregt haben, als ich über dem Anblick und dem Betragen dieser Kreaturen empfand. – Die Treue der hiesigen Weiber ist nicht so schwankend als jener zu Wien, und mit großem Vergnügen lernte ich hier verschiedene Muster von guten Gattinnen und Müttern kennen. Das Verdienst ist um so größer, da der Umgang ganz frei ist. Übrigens fehlt es an öffentlichen Gemeinplätzen der Wollust nicht.
Hier gibt es wahre Ideale von Schönheiten. Schlank von Wuchs, frisch von Fleisch und Farbe, rund von Knochen und lebhaft in Gebärden hüpfen dir die Mädchen daher, wie die jungen Rehen, um mit Salomon zu sprechen, an den ich dich überhaupt verwiesen haben will, um dir von den übrigen Reizen dieser Mädchen und dem Eindruck, den sie machen müssen, durch Gleichnisse eine Vorstellung machen zu können; denn ich bin wirklich nicht dazu aufgelegt, dir ein dichterisches Gemälde davon zu geben, ob ich schon noch kein Frauenzimmer gesehen habe, das mich so leicht zu einem Hohenlied entzücken könnte als das hiesige. – Es scheint aber geschwinde zu verblühen, denn ich sah wenig Weiber von dreißig Jahren, an denen nicht die Spuren des Verwelkens sichtbar waren. Das heftige Temperament mag viel dazu beitragen, vielleicht aber noch mehr die schlechten Nahrungsmittel, verbunden mit der Sorge für das Hauswesen. – Die Bayerinnen mögen die Sächsinnen vielleicht in Qualität des Fleisches übertreffen, allein diese sind ungleich schöner von Bau, und ihre Gesichtszüge sind interessanter.
Mit den Schauspielen verhält es sich hier wie mit allen öffentlichen Belustigungen, die einen Aufwand erfodern. Die Einwohner sind zu sparsam, als daß sie ein Vergnügen bezahlen sollten, welches ihnen der Hof ehedem umsonst gab und dessen Mangel sie sich durch eine gesellschaftliche Unterhaltung zu Haus leicht ersetzen können. Vor einigen Jahren war eine der besten und vielleicht die erste Schauspielergesellschaft von Deutschland hier. Der Prinzipal, Herr Seyler, hatte kein festes Engagement, besuchte bald die Messen zu Leipzig, bald andre benachbarte Städte, beschrieb sich Leute aus der ganzen Welt zusammen, so daß seine Gesellschaft gegen das Ende etliche und siebenzig Personen stark war, und gab für einen wandernden Theater-Entrepreneur ungeheure Gagen, wie er denn eine der ersten Sängerinnen Deutschlands, Madame Hellmuth, welche jetzt Erste Hofsängerin zu Mainz ist, mit 2.000 Talern oder mehr dann 7.800 Livres bezahlte. Demungeachtet hätte er diesen Aufwand leicht bestreiten können, wenn das hiesige Publikum und das zu Leipzig soviel Theaterliebe hätte als jenes in den Städten von Süddeutschland. – Im Vorbeigehn: Dieses ist mir mehr als irgend etwas anders ein Beweis, daß die hiesigen Köpfe heller sind als die zu Wien, München und andern Orten. – Herr Seyler fand bei dem Publikum zu wenig Unterstützung, machte Schulden, wollte sein Glück am Rhein versuchen und ward endlich bankrutt. – Nun hat zwar der Hof ein Nationaltheater nach dem Plan des wienerschen errichtet. Er bezahlt die Glieder der Gesellschaft und hat die Einnahme; allein die Sparsamkeit des Publikums steht auch dieser Einrichtung im Weg, und sie ist in Gefahr, alle Augenblick zu scheitern, wie sie dann der Hof auch gleich bei dem Ausbruch des letzten Bayrischen Krieges aufhob. Bei dem geringsten Anlaß von der Art wird er es wieder so machen, und da tut er meines Erachtens sehr wohl daran. – Die Familienschauspiele, besonders unter Kindern, stehn hier in größerer Achtung als die öffentlichen.
Einer der schönsten und stärksten Züge, wodurch sich die Sachsen von den Süddeutschen auszeichnen, ist ihre Vaterlandsliebe und ihre warme Teilnehmung an allem, was den Staat interessiert. Bis tief in den Mittelstand hinab ist hier jedermann über den Zustand des Landes und Hofes aufgeklärt. Hier hörte ich zum erstenmal das Wort Vaterland mit Nachdruck und einem vernünftigen und edeln Stolz aussprechen. Das hiesige Frauenzimmer braucht, wie das unsrige, die Galanterie zu einem Sporn für die Männer. Es nimmt teil an den Gesprächen von Kriegen, Friedensschlüssen, Unterhandlungen und allem, was sich auf den Staat bezieht. Es lobt seine Offiziers und Truppen und spricht mit großem Vergnügen von den Vorfällen, wo sie sich brav hielten. Die jungen Offiziers empfehlen sich bei ihm, wenn sie sich eine eisenfresserische Miene geben, welches in meinen Augen eben nicht so unbedeutend ist. Mit Verachtung und Abscheu spricht es von den Ministern, die Verräter am Vaterlande waren. – Der König von Preußen ist schlecht bei ihm empfohlen, doch spricht es mit Bewunderung von seinen Taten und stimmt den Männern bei, daß man von jeher würde besser getan haben, wenn man sich zu ihm gehalten und nie die Partei von Österreich genommen hätte, gegen welches man hier, ungeachtet der Bedrängnisse, welche der König von Preußen das Land fühlen ließ, noch einen stärkern und allgemeinen Groll hegt als gegen diesen, die Person des jetzigen Kaisers ausgenommen. Kurz, lieber Bruder! es ist mir, als wäre ich mitten unter meinen Landsleuten, wo die Teilnehmung am Zustand des Vaterlandes, an den öffentlichen Angelegenheiten und Vorfällen alle Gesellschaften beseelt und man sich fühlt.
Die sächsischen Truppen sehen ungemein gut aus. Sie sind nicht so gut diszipliniert als die Österreicher und Preußen, aber auch nicht so steif. Sie gleichen den Engländern, die nur beim Angriff selbst Soldaten sind und sich außer dem Schlachtfeld nicht gerne ermüden lassen. Brav sind sie, was man brav heißen kann; allein heutzutage ist nicht viel mit der Bravour auszurichten. Man erzählt einen Zug von ihnen, der in den Augen eines kaiserlichen oder preußischen Kommandanten vielleicht lächerlich, aber in den Augen eines Menschenfreundes und Weltbürgers gewiß sehr liebenswürdig ist. – Die Offiziers eines sächsischen Dragonerregiments, welches vor einigen Jahren bei der Armee des Prinzen Heinrich von Preußen in Böhmen stand, legten unter freiem Himmel zusammen den Schwur ab, daß jeder denjenigen von ihnen, den er in einem Treffen würde fliehen sehn, niederschießen sollte. – Seit einiger Zeit bemüht man sich, die Armee, welche ohngefähr 25.000 Mann stark ist, auf preußischen Fuß zu setzen; allein bis jetzt hat man es noch nicht weit mit dieser Reforme gebracht, und ich glaube, es wird so schwer damit halten, als wenn man die englischen Truppen an die preußische Taktik gewöhnen wollte.