Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland
Johann Kaspar Riesbeck

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Passau

Von Salzburg fuhr ich auf der Salzach und dem Inn zu Schiffe hieher. Wasserreisen haben, in Betracht der zahlreichen Gesellschaft, die man öfters trifft, ungemein viel Reiz für mich. Bis nach Burghausen war das Schiff gestopft voll. Da stieg die Hälfte meiner Reisegefährten aus, um nach dem nahgelegenen Öttingen zu wallfahrten. Sie bestand aus einem Schwarm junger Leute beiderlei Geschlechts, denen man es sehr deutlich ansah, daß sie auf dieser heiligen Fahrt nichts weniger vorhatten, als ihre alten Sünden zu büßen. Wenn der erste Verführer dieser Mädchen nach der Aussage unserer Moralisten alle Schuld der Sünden tragen muß, die sie nachher begehen, so machen sie ihm aus Rache gewiß die Hölle heiß genug. Im Wirtshaus zu Burghausen blieben wir noch die Nacht über beisammen, und ich hatte viel Gelegenheit, zu bemerken, daß meine Wallfahrer reichen Stoff zu ihrer bevorstehenden Beicht sammeln wollten.

Es blieb mir noch zu meiner Unterhaltung Gesellschaft genug übrig, ob ich gleich einen österreichischen Werber mit seinen Rekruten und einige Studenten, die in die Ferien gingen, nicht genießen konnte. Es schmiegte sich ein gnädiges Fräulein von Salzburg an mich, welches nach Wien wollte, um dort die Dienste einer Köchin oder eines Stubenmädchens zu verrichten, weil ihr Stand es ihr nicht erlaubte, sich auf diese Art in ihrer Vaterstadt zu ernähren. Das gute Kind nahm mich durch seine Gefälligkeit, sein gutes Herz, seinen Geschmack und seine ziemlich mannigfaltigen Kenntnisse wirklich ein. Es mußte mir versprechen, mir zu Wien nachzufragen und mir zu sagen, wozu ich ihm allenfalls gut sein könnte. Ein junges Frauenzimmer muß in einer fremden großen Stadt in der ersten Zeit seines Aufenthalts äußerst verlegen sein.

Wir fuhren auf der Grenzscheidung zwischen Österreich und Bayern. Das kleine Stück von Bayern, welches Österreich vor kurzem in Besitz genommen und welches wir zur Rechten hatten, beträgt nicht über achtunddreißig deutsche Quadratmeilen und enthält kaum 60.000 Menschen. Die Einkünfte daraus belaufen sich auf ohngefähr 180.000 Reichstaler, und es ist kaum den achten Teil der Kosten wert, den Österreich auf die Eroberung desselben verwendet. Der Plan dieses Hauses bei dieser Unternehmung war aber viel weitaussehender, als man zu Versailles dachte, wo man den ganzen Handel wie einen Streit um eine Nußschale betrachtete. Es war nicht das erstemal, wo der preußische Hof unser hochweises Ministerium von den Folgen belehren mußte, die die Schritte gewisser Höfe nach sich ziehen würden und die es ohne diese Belehrung nie überdacht hätte. Als der König von Preußen die österreichischen Ansprüche mit der Feder ebenso nachdrücklich als mit dem Degen bestritt und der Wiener Hof sich durch Rußlands Erklärung vollends genötigt sah, zu friedlichen Unterhandlungen zu schreiten, tat er den Vorschlag, den Inn bis unter Wasserburg zur Grenze zwischen Bayern und seinen Landen zu machen und sie von da über die Isar, die Donau und durch die Oberpfalz bis an Böhmen zu ziehn; dagegen wollte er einige seiner Besitzungen in Schwaben dem Hof zu München abtreten. Unser Minister, Herr von Breteuil, soll sehr geneigt gewesen sein, diesem Vorschlag seinen Beifall zu geben; aber die genaue Kenntnis, die der Hof zu Berlin von dem Zustand und der Lage dieser Bezirke hatte, setzte ihn instand, unsern und den russischen Ministern die Augen zu öffnen. Er belehrte sie, daß das österreichische Schwaben kein Äquivalent gegen diesen großen Teil von Bayern sein könnte, weil die Einkünfte, welche Österreich zum Maßstab der Vertauschung annehmen wollte, im erstern aufs höchste getrieben, die bayrischen Lande aber, in Betracht ihres bisherigen schlechten Anbaues, in kurzer Zeit zu einem ungleich größern Ertrag gebracht werden könnten. Er zeigte ihnen, daß Österreich durch diesen Vergleich viel mehr gewinnen würde, als es schon wirklich von Bayern in Besitz genommen, indem ihm die Salzquelle zu Reichenhall und der Handel mit dem salzburgischen Salz zufiele und es also nicht nur die noch übrigen bayrischen Lande, sondern auch den größten Teil von Schwaben und der Schweiz in einem wichtigen Bedürfnis von sich abhängig machte; daß Salzburg und Passau dem Hof zu Wien so gut als untertänig gemacht würden und daß endlich die Besitzungen des Hauses Pfalzbayern wegen der zerstreuten Lage des österreichischen Schwabens auf keiner Seite Konsistenz hätten und die Macht dieses Hauses, in Rücksicht auf den äußern Gebrauch derselben, so gut als vernichtet sein würde. Diese Vorstellungen wirkten so viel, daß der Kaiser die Arrondierung seiner deutschen Lande bis auf eine günstigere Zeit verschieben mußte. Ich glaube, über lang oder kurz müssen sich die Bayern doch noch unter den österreichischen Zepter beugen, so sehr sie auch dagegen eingenommen sind. Ich als Weltbürger und Menschenfreund, der, wenn es um Erbschaften großer Länder zu tun ist, mehr das Wohl meiner Mitgeschöpfe als das strenge Recht zu Rate zieht, wünsche meinesteils, daß diese Veränderung sehr bald geschehen möchte. Auch eine viel bessere Regierung, als die jetzige ist, kann den Bayern die Vorteile nicht gewähren, die sie bloß von der Vereinigung ihres Landes mit Österreich zu erwarten haben. Befestigte Ruhe, ein leichterer Absatz ihrer Produkte und eine gemächlichere Versorgung mit den Bedürfnissen, die ihnen die Natur versagt, den österreichischen Landen aber gewährt hat, sind natürliche Folgen dieser Revolution. Nimmt man die persönlichen guten Eigenschaften des jetzigen kaiserlichen Hauses in Rücksicht auf Regierungskunst dazu, so muß man den Bayern Glück wünschen, wenn Österreich einmal seine Ansprüche auf ihr Land mit mehr Nachdruck geltend macht.

Passau ist eine arme, meistenteils schlecht gebaute Stadt, den um die Residenz des Fürsten und gegen die Donau zu gelegenen Teil ausgenommen, der wirklich schön ist. Sie lebt bloß von dem kleinen Hof, dessen Einkünfte sich auf ohngefähr 220.000 Gulden belaufen sollen, und von den Domherren, deren Pfründen unter die fettesten in Deutschland gerechnet werden. Man schätzt eine derselben auf etwas mehr als 3.000 Gulden, da eine salzburgische nicht über 2.600 Gulden einträgt. Aber fast alle Domherren besitzen zwei, drei bis vier Pfründen zugleich und sind noch Glieder der Kapitel zu Salzburg, Augsburg, Regensburg und anderer mehr, und daher gibt es in Deutschland wenige Domherren, deren Einkünfte sich nicht über 5.000 Gulden belaufen. Die Einwohner der geistlichen Residenzstädte sehen sich alle gleich. Schmausen und die goldnen Werke der Göttin von Paphos sind ihre größten Beschäftigungen, und ihre Armut und der gute Humor, der selten einen Liebhaber dieser Beschäftigungen verläßt, macht sie sehr gefällig, dienstfertig und geschmeidig. – Der hiesige Dom ist ein sehr prächtiges Gebäude. Der Sprengel des Bischofs, welcher unmittelbar unter dem Papst stehet, erstreckt sich fast bis nach Wien. Seine geistliche Gewalt im Österreichischen ist aber sehr eingeschränkt. Mit der Zeit dürfte sein Sprengel leicht bis vor die Tore seiner Residenz eingeschränkt werden; denn auf der Grenze des venezianischen Gebietes und noch an mehrern Orten hat der kaiserliche Hof deutlich genug geäußert, daß er sein Gebiete von aller fremden geistlichen Jurisdiktion soviel als möglich unabhängig machen will. In dem hiesigen kleinen Lande gibt es vortreffliche Porzellän- und Hafnererde, Die erstere wird bis an den Rhein verführt.

Einige Leute, die über Helvetien geschrieben, wollen diesem Lande mit aller Gewalt die Ehre beimessen, daß dasselbe, und nicht das Schwabenland, die eigentliche Quelle der Donau sei. Ihr Hauptbeweisgrund ist, daß hier, bei dem Einfluß des Inns in die Donau, der erstere Strom eine größere Masse Wasser habe als der letztere. Die Sache ist im Grunde nur ein Wortstreit; denn wer will dem Publikum das Recht streitig machen, die Flüsse nach seiner Willkür zu benennen. Der Fluß Breg im Schwarzwald, welcher an dem Ort seiner Vereinigung mit der eigentlichen Donau ungleich stärker ist als diese, muß sich schon gefallen lassen, seinen Namen dem Eigensinn des Publikums aufzuopfern. Aber auch der Beweis, den die Freunde der Schweiz für den Inn wollen geltend machen, beruht bloß auf einem Scheingrund. Man kann einen sehr kleinen bestimmten Teil eines Flusses nicht zum Maß der ganzen Größe desselben annehmen. Ein lockerer Boden des Bettes, ein stärkerer Strom und dergleichen mehr machen die Masse des Wassers in einem Fluß zufälligerweis sehr verschieden. Hier, wo sich der Inn mit der Donau vereinigt, strömt diese zwischen Bergen mächtig daher und hemmt den erstern, der ihr in die Quere kommt und sich auf einem flächern und weichern Boden bei seiner Mündung mehr ausbreiten kann. Die Donau läßt hier zuverlässig in dem nämlichen Zeitraum viel mehr Wasser vorüberströmen als der aufgehaltene Inn und ist weit über Regensburg, noch ehe sie die starken Flüsse Altmühl, Naab, Regen und Isar zu sich genommen, schon ein mächtigerer Strom als der Inn zwischen Wasserburg und Innsbruck, welcher durch die sehr unstete Salzach im Durchschnitt eben nicht viel Zusatz bekömmt. Schwaben hat ohne Widerrede die Ehre, die Mutter des gewaltigen Donaustroms zu sein, mit dem sich unter den europäischen Flüssen nur die Wolga messen kann.

Wenn man das ganze Gebiete der zwei Flüsse, die sich hier vereinigen, bis an ihren Zusammenfluß überschaut, so ist jenes des Inns, in Betracht der Krümmung, zwar ein wenig länger, aber viel schmäler als das weite Donaugebiet. Bis unter Kufstein fließt der Inn in einem sehr engen Tale, dahingegen die Donau Oberschwaben und Bayern in der ganzen Breite beherrscht. Die Iller und der Lech sind bei ihrem Einfluß in die Donau auf ihrem langen Lauf schon so stark geworden, als der Inn bei Innsbruck ist. In einem sehr engen Tale bekömmt dieser Fluß keine Nahrung als von kurzen Gletscher- und Waldbächen, indessen die Donau alle Säfte eines der wasserreichsten Länder, das etliche und vierzig Meilen in die Länge und dreißig in die Breite hat, verschlingt.

Auf meiner Reise durch Deutschland bis hieher kam ich nun durch drei große Täler, die von dem Rhein, dem Neckar und der Donau der Länge nach durchströmt werden. Das Vogesische Gebirge und der Schwarzwald, die von Süden nach Norden parallel laufen, bilden das erstere. Der Schwarzwald deckt es gegen die kalten Ostwinde, und die verschiedenen Arme dieser parallelen Gebirge schützen es auch gegen die unfreundlichen Stöße des Nordwindes. Es genießt eine angenehme und gemäßigte Witterung, welche die Weintrauben zu einer vollkommenen Zeitigung gedeihen läßt. Das Neckartal ist von einer ähnlichen Beschaffenheit; aber das ungeheure Donautal steht der Wut aller unfreundlichen Winde offen. Der größte Teil desselben ist gegen Norden und Nordosten abhängig, wie man aus dem Lauf der Flüsse Iller, Lech, Isar und anderer ersieht. Hier schützt den zärtlichen Vater Bacchus nichts gegen die Grobheit des Boreas und des Aquilo. An der Isar und Donau unter Regensburg hat man zwar Versuche mit dem Weinbau gemacht, aber man gewinnt bisher von dem Weinstock noch nichts als Essig. Ich glaube, dieser ganze Strich Landes ist noch zu waldicht und wässericht, als daß die Traube in der hiesigen Luft zeitigen kann. Was war Schwaben und das Rheinland zu Tacitus' Zeiten? Wie weit war nicht dieser Römer entfernt zu glauben, der Weinstock könne auf deutschem Boden Nahrung finden. Er verzweifelt sogar, daß unter diesem Himmel Obst wachsen könne. Und doch trägt itzt Schwaben herrliche Weine, die dem Falerner und allen den gepriesenen römischen Weinen den Rang streitig machen, und das noch wildere Bayern bringt gutes Obst in Überfluß hervor. Mit dem Anbau eines Landes verändert sich seine Luft. Die Austrocknung des Bodens macht sie wärmer; und wer weiß, wieviel nicht die Ausdünstung einer starken Volksmenge auf die Luft wirken kann? Mit der Zeit können ohne Zweifel auch glücklichere Versuche in Bayern mit dem Weinbau gemacht werden. Die Abhänge der Berge am linken Ufer der Donau zwischen hier und Regensburg bieten für die Rebe eine günstige Pflanzstätte dar, indem sie gegen die schlimmen Winde gedeckt sind; und der Wein, der wirklich in der Gegend von Passau gezogen wird, verdient allerdings diesen Namen.

Übrigens hat dieses große Donautal, welches hier auf der linken Seite des Flusses von einem Arm des böhmischen, auf der rechten aber von einem Ast des steirischen Gebirges geschlossen wird, den besten Getreideboden. Es könnte sehr leicht noch einmal so viele Menschen nähren, als es wirklich enthält. Oft ist in Bayern der Preis des Getreides so gering, daß dem Bauern kaum die Mühe des Baues bezahlt wird. 170 Pfund Roggen werden öfters unter zwei Gulden verkauft.

Die Schiffahrt ist in dieser Gegend der Donau bei weitem nicht so beträchtlich, als sie es am Oberrhein ist. Man versteht es noch nicht, den Strom gemächlich aufwärts zu fahren. Die meisten Schiffe, welche hier vorübergehen, kommen von Regensburg und Ulm, sind ohne Masten, ohne Teer, bloß von Tannenbrettern gebaut und werden zu Wien oder anderstwo verkauft. Der Kaiser hat den Schiffleuten, die ihre Fahrzeuge nach rheinischer Art bauen würden, ansehnliche Belohnungen versprochen; aber es geht hier wie überall. Es hält schwer, den mechanischen Teil des Publikums aus seinem gewohnten Gleise zu bringen. Die Schiffleute, mit denen ich gesprochen, wollen gar nichts von Masten und Segeln hören. Sie sagen, der Mast drücke das Schiff vorne nieder, wenn es gezogen würde. Umsonst erklärt man ihnen, daß, wenn an das Seil, welches von der Spitze des Mastes ans Ufer geht, ein Querseil angebracht wird,das an der Spitze des Vorderteils des Schiffes befestiget ist und in einer Rolle an jenem großen Seil hängt, auf diese Art das Schiff nicht niedergedrückt werden kann, indem die Richtung des Zuges alsdann horizontal geht. Es ist unausstehlich, ein Schiff die Donau heraufziehn zu sehen. Das Seil ist an dem Vorderteil des Schiffes befestigt und wird von fünfzehn bis achtzehn der stärksten Pferde auf dem Rand des Ufers fortgeschleppt. Es rasiert alles kleine Gesträuche, das ihm in den Weg kömmt, und wenn das Hindernis etwas zu groß ist, so müssen zwei bis drei Kerls dasselbe mit Hebeln lüften. Das Schiff wird in seinem Schneckengang alle Augenblicke aufgehalten, und oft müssen in einem Raum von einigen hundert Schritten die Pferde mehrmal ausgespannt werden. Das Reiben des Zugseiles auf der Erde vermehrt die Last wenigstens um soviel, als ein Pferd ziehen mag, und mit dem Segel könnten oft mehrere Pferde erspart werden. Die unbeteerten Schiffe werden in dem süßen Wasser und von der Sonnenhitze gar bald leck. Weil die Fahrt den Strom hinauf noch nicht sehr gewöhnlich ist, so fehlt es von Stationen zu Stationen an Mietpferden, und die Schiffleute sind gezwungen, alle Pferde für die ganze Reise mitzunehmen, ob sie schon an manchen Orten einige ersparen könnten. Der Rheinschiffer genießt die Gemächlichkeit, daß er bald mit zwei, bald mit sechs Pferden fahren kann, je nachdem ihm die Gegend des Stromes oder der Wind günstig ist, welches er bloß der starken Befahrung dieses Flusses zu verdanken hat, wodurch die am Ufer wohnenden Landleute in den Stand gesetzt werden, Pferde auf kleine Stationen zur Miete für die Schiffer herzugeben. Alle diese Hindernisse können jetzt so leicht noch nicht gehoben werden, und einige fallen von selbst weg, sobald die Handlung der Donaulande beträchtlicher sein wird. Das größte Donauschiff, welches diese Gegend bis nach Wien befahrt, ladet öfters 2.500 Zentner, welches ohngefähr so viel als die Ladung eines zweimastigen Seeschiffes beträgt. Lebe wohl.


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