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Zur Strafe für deine fast unverzeihliche Trägheit im Briefschreiben ließ ich dich so lange auf einen von mir warten. Da du dich aber in dem Briefchen, das ich gestern erhielt, reumütig zeigest und Nannette für dich im Postskript um Verzeihung bittet, so will ich es dir so hingehen lassen und mein Taschenbuch wieder zuhanden nehmen.
Von Stuttgart aus tat ich mit einem guten Freund, einem jungen Herrn vom Stande, einen Einfall tief in den Schwarzwald. Die Bewohner des württembergischen Anteils sind lange nicht so schön, wohlgebaut und munter als die am Neckar und den angrenzenden Tälern. Die Männer sind plump und die Weiber gelb, ungestaltet und gemeiniglich schon in den dreißig Jahren runzlicht. Sie unterscheiden sich auch von ihren übrigen Landsleuten durch einen abscheulichen Geschmack, sich zu kleiden, und einen auffallenden Mangel an Reinlichkeit. Calw ist die beste Stadt in dieser Gegend; sie hat ansehnliche Manufakturen, und ihre Bürger äußerten bei den berüchtigten Streitigkeiten der Landesumständedie Landstände besaßen das Recht der Steuerbewilligung, das ihnen die Fürsten im Zeitalter des Absolutismus streitig zu machen suchten mit dem Herzog ungemein viel Mut, Freiheitsliebe und Anhänglichkeit an ihre Verfassung.
Ich konnte die Ursache der Häßlichkeit dieser Leute nicht ausfindig machen. Härte der Arbeit und schlechte Nahrung mögen etwas dazu beitragen; aber sie sind nicht die einzige Ursache, denn im fürstenbergischen und besonders im östreichischen Anteil dieses ungeheuern Gebirges sahen wir die schönsten Leute, ob sie gleich die harte Arbeit und die Nahrungsmittel mit den Württembergern gemein haben. Vielleicht ist die Richtung und Tiefe der Täler, und also die Luft, oder vielleicht das Wasser, daran schuld.
Diese Bergreise hatte ungemein viel Vergnügen für mich. Es war mir wie in einer Feenwelt. Eine zauberische Aussicht übertraf immer die andere an Mannigfaltigkeit und Schönheit. Seltsame Gestalten und Verkettungen der Berge, Wasserfälle, Partien Waldung, kleine Seen in tiefen Schlünden, Abstürze, kurz, alles ist in so großem Stil, daß ich es nicht wage, ihn in einem Brief zu kopieren.
Ich rastete einige Tage bei meinem Freund zu Stuttgart aus und machte mich sodann auf den Weg nach dem Bodensee, wornach sich mein Auge sehnte. Ich kam über eine andre Bergkette, die Schwabenland von Ostnorden nach Westsüden in der Mitte durchschneidet und die Alb genennt wird. Sie streckt sich noch von der schwäbischen Grenze an zwischen Bayern und Franken bis an den Fichtelberg hin und hängt mit dem böhmischen Gebirge zusammen. – Das merkwürdigste auf dieser Reise war mir das Stammhaus der Könige von Preußen.
Wer sollte glauben, daß Friederich der Große, welcher gegen die vereinte Macht der mächtigsten europäischen Häuser standDer Siebenjährige Krieg 1756 bis 1763 und das Gleichgewicht in Norden hält, der Abkömmling eines jüngern Astes des hohenzollerischen Stammes ist, des kleinsten fürstlichen Hauses in Deutschland, dessen zween noch lebende Äste, Hechingen und Sigmaringen, zusammen keine 70.000 Gulden Einkünfte haben! – Der jüngere Bruder eines unserer Marquis ließ sich das von einem Preußen erklären, schlug einen Schneller mit den Fingern und erwiderte: "Voilà un cadet qui a fait fortune!" (Der Kleine hat sein Glück gemacht!)
Wir kamen quer durch das Fürstentum Hohenzollern, und die Breite wird wenig über ein paar Stunden betragen. In die Länge soll es gegen zehn Stunden haben, in welchem Umfang aber, den abgerissenen Sigmaringen-Teil mitbegriffen, nicht über 12.000 Menschen wohnen. Das Land ist sehr bergicht und waldicht, und die Fürsten waren von jeher als große Jäger bekannt. Die jetzt regierenden Herren sind, wie man mir sagt, sehr liebenswürdige Männer und suchen beim König von Preußen das Andenken ihres gemeinschaftlichen Ursprungs zu erneuern, wie denn auch kürzlich ein Graf von Hohenzollern zum Koadjutor von Ermeland, wenn ich nicht irre, ist ernennt worden.
Wir besahen das Schloß Hechingen, das auf seinem hohen Berg eine unbegrenzte Aussicht in das Württembergische und andre benachbarte Länder beherrscht. Einer der ehemaligen Regenten dieses kleinen Ländchens stand mit seinem Gefolge auf der Terrasse des Schlosses und weidete seine Augen in der weiten und schönen Gegend umher. Er nickte dann mit dem Kopf und sagte: "Das Württemberger Ländchen stünde unserm Land wahrhaftig sehr wohl an." – Wenn auch die Anekdote nicht wahr sein sollte, so ist wenigstens der Einfall nicht übel; denn das Ländchen Württemberg ist wenigstens dreißigmal so groß als das Land Hohenzollern.
Beim Anblick des Bodensees war ich würklich entzückt. Ich will keine dichterische Beschreibung dieses herrlichen Anblicks versuchen. Das hieße, das größte mannigfaltige und lebhafteste Gemälde dir mit einem Gesudel von Kohlen vorzeichnen wollen. Ich will dir nur meine philosophischen politischen Beobachtungen über die Gegend und die Bewohner derselben mitteilen; denn was meine Gefühle betrifft, so weißt du, daß ich in Beschreibung derselben sehr unglücklich bin.
Auffallend ist vor allen, daß an diesem großen Gewässer, welches auf eine beträchtliche Strecke die Grenzscheidung zwischen Deutschland und der Schweiz ist, keine einzige Stadt von Bedeutung liegt. Konstanz, die beträchtlichste an den Ufern desselben, zählt kaum 6.000 Einwohner. Sie hat weder eine erhebliche Handlung noch die geringste Manufaktur, da Schaffhausen, St. Gallen, Zürich und einige andere nicht weit entlegene Städte, welche die vorteilhafte Lage nicht haben, sehr blühende Handelsstädte sind. Augenscheinlich ist der Schwabe überhaupt lebhafter und reger von Natur als der Schweizer in den angrenzenden Gegenden, und was das Landvolk betrifft, so bemerkt man sowohl in Rücksicht auf Sittlichkeit als auf Fleiß einen auffallenden Unterscheid zum Vorteil des erstern, da sich hingegen die helvetischen Städte ebenso stark zu ihrem Vorteil vor den schwäbischen in ihrer Nachbarschaft auszeichnen.
In Konstanz wird man stark versucht, den Mangel an Kunstfleiß, die Vernachlässigung der Vorteile, welche die Natur darbietet, und die herrschende Liederlichkeit der Religion zur Last zu legen. Schon im Elsaß und in dem untern Schwaben fand ich unter den Protestanten mehr Gewerbgeist als unter den Katholiken. Die Feiertäge, das häufige Kirchengehn, das Wallfahrten, die Möncherei und dergleichen mehr tragen viel, und noch viel mehr die übertriebenen Lehren von Verachtung zeitlicher Dinge und von Erwartung einer wundertätigen Unterhaltung von Gott, die Leichtigkeit, in Klöstern und der Kirche Versorgung zu finden, und die Eingeschränktheit der Begriffe, die man zum Behuf seines Glaubens bei einem Katholiken im Vergleich mit dem Protestanten voraussetzen muß, dazu bei. Unter dem großen Haufen der Bauern beider hier zusammengrenzender Völker gleicht sich das durch die natürliche Schwerfälligkeit und Wildheit des reformierten Schweizers, worüber ich dir mit der Zeit in meinen Briefen über die Schweiz Erläuterung geben werde, ziemlich zum Vorteil des Schwaben ab. Aber in den Städten machen die mehrern Kirchen und Klöster nebst obigen Ursachen auf Seite der Katholiken und die große Aufklärung auf Seite der reformierten Schweizer einigen Unterscheid, welcher aber noch außer der Religion durch eine Menge andre Ursachen unendlich vergrößert wird.
In Frankreich, in den östreichischen Niederlanden und verschiedenen italienischen Staaten sieht man offenbar, daß die Religion an und für sich selbst dem politischen Leben eines Volkes eben nicht sehr gefährlich ist und daß sich Industrie und Aufklärung mit einer starken Dosis Aberglauben und Möncherei so gewiß vertragen können, als der Ritter aus der Mancha außer dem Kreis seiner Donquichotterie ein kluger und brauchbarer Mann sein konnte. Die Religion ist also hier nicht so sehr die wirkende als vielmehr die gelegenheitliche Ursache, und es hängt von den Lokalumständen ab, warum der deutsche Katholik nicht so aufgelegt zur Industrie ist als z. B. der Franzose oder Genueser.
Der Erziehungsart hat man das meiste zuzuschreiben. Du würdest staunen, wenn du den Unterschied zwischen der Erziehung der Jugend in den protestantischen Städten Deutschlands und den katholischen oder auch zwischen diesen und den unsrigen sehen solltest. Ich brauche dir hierüber nichts zu sagen, als daß die Jesuiten, denen wir in Frankreich so viel zu danken haben und die unsre Patrioten wieder in die Schulen zurückwünschen, in Deutschland ausgemachte Idioten waren, rüstige Verfechter der Barbarei, die sich ebensosehr beeiferten, allen Schwung des Geistes zu unterdrücken, als die unsrige das Genie zu entwickeln suchten.
Ein anderes Hindernis für den Kunstfleiß in diesen Gegenden ist der dumme, lächerliche Stolz des Adels. Während daß die Kaufleute und Fabrikanten in den benachbarten Städten Helvetiens Regenten sind, blickt der Domherr in Konstanz mit Verachtung auf den Bürger herab, der sein Vermögen nicht seiner zweifelhaften Geburt, sondern seinem Verstand und Fleiß zu verdanken hat, und bläht sich mit dem Register seiner sechzehn stiftmäßigen Ahnen, welches er beim Antritt seiner Pfründe beweisen muß, ohne zu bedenken, daß er vielleicht von einem Lakaien, Jäger oder Stallknecht in die Familie unterschoben worden. Auf den Bürger macht das einen sehr schädlichen Eindruck. Anstatt sein Kapital durch seinen Fleiß zu vergrößern, kauft er sich Titel oder Güter, sucht dem Herrn Baron ähnlich zu werden und verhöhnt dann mit noch viel erbärmlicherem Stolz seine Mitbürger.
Nebst dem trägt die sparsame Lebensart des Schweizer Bürgers sehr viel zur Aufnahme seiner Manufakturen bei. Das alltägliche Essen eines etwas bemittelten Einwohners von Konstanz wäre für einen von St. Gallen ein festlicher Schmaus. Aber freilich ist das zugleich auch die Ursache, warum der Schwabe einen bessern Humor hat als der Schweizer.
Übrigens scheint Konstanz wegen seiner Entlegenheit vom Hof zu Wien vernachlässigt zu werden. Es sollen sich schon einige Schweizer anerboten haben, Fabriken daselbst anzulegen. Ich weiß nicht, ob die Intoleranz des Hofes oder des Stadtrates, welcher immer noch etwas von seinem ehemaligen reichsstädtischen Ansehen zu behaupten sucht, oder der obbemeldte Adelstolz der Stein des Anstoßes war, woran diese Projekte scheiterten.
Der Bischof residiert zu Meersburg, einem kleinen Städtchen an dem entgegengesetzten Ufer des Sees, und hat ohngefähr 70.000 Gulden Einkünfte. Er besitzt sehr ansehnliche Güter auf helvetischem Boden. Die übrigen nennenswürdigen Orte auf der deutschen Seite sind: Überlingen und Lindau, worin man die Spießbürgerei im größten Glanz sieht.
Die helvetische Küste dieses kleinen Meeres ist scheinbarer als die deutsche. Die schöne Mischung der nah gelegenen, zum Teil mit Weinstöcken bepflanzten Hügel, die zerstreute Lage der Bauernhöfe mit ihren vielen Fruchtbäumen umher und die kleinen Partien von all den vielen Arten des Feldbaues geben derselben ein um so lebhafteres Ansehen, da die schwäbischen Dörfer enge wie die Städte zusammengebaut sind und oft ein großes Getreidefeld oder weitläuftige Wiesengründe um sich her beherrschen. Im ganzen, glaube ich, sind beide Ufer nach dem Verhältnis gleich stark bewohnt. Das helvetische ist steinichter und von schwererem Boden als das deutsche, und obschon das Thurgau unter die besten Gegenden der Schweiz gehört, so muß es doch einen guten Teil seines ersten Bedürfnisses, des nötigen Getreides, aus Schwaben beziehen, wogegen es etwas Wein und Obst vertauscht.
In Holland denkt man wohl wenig daran, was man dem Bodensee zu verdanken hat. Kaum kann man jetzt sich daselbst des Sandes erwehren, welcher durch die Aare und verschiedene andere Flüsse aus den Alpen in den Rhein geschwemmt wird, die Mündungen dieses Stroms zu verstopfen droht und durch die großen Bänke, die er schon weit über seinem Ausfluß ansetzt, in diesem tiefen Lande mit der Zeit gewaltsame Revolutionen erwarten läßt. Wenn nicht in diesem ungeheuren Behältnis die ungleich größere Menge des Sandes aufgefangen würde, welche durch den reißenden Rheinstrom aus dem hohen Bündnerlande herabgespült wird, so läge jetzt schon Holland unter neuem Sand begraben, und die gehemmten Ausflüsse des Rheines hätten dem Lande schon lange eine ganz andere Gestalt gegeben. Es ist wahr, diese Veränderung muß ohnehin mit der Zeit notwendig erfolgen. So beträchtlich auch die Tiefe dieses Sees ist, denn an einigen Orten beträgt sie dreihundert Klafter, so muß er doch endlich und um so eher ausgefüllt werden, da der Strom von seinem Ausfluß bei Konstanz an, durch die höheren Gegenden Deutschlandes, immer sein Bette tiefer gräbt und der See also ebensoviel Wasser verliert, als er Sand gewinnt. Aber wenn man bedenkt, was ein so großer Umfang, wie der des Sees, fassen kann, wenn man seinen Inhalt, wie della Torre jenen des Vesuvs, berechnet, so haben sich die Holländer noch freilich durch viele Generationen zu trösten; und wenn der jüngste Tag so schnell kömmt, als er von den erleuchtesten unserer Theologen angekündigt wird, so ist diese Berechnung vollends überflüssig.
Ich konnte diese Gegenden unmöglich verlassen, ohne den berühmten Rheinfall bei Laufen zu besuchen. Es war das schönste Schauspiel, das ich in meinem Leben gesehen. Da mir zuvor kein Gemälde und kein Kupfer von diesem prächtigen Auftritt der Natur zu Gesicht gekommen und ich ihn bloß aus einem dunkeln Ruf kannte, so geschah mir, was vermutlich allen geschieht, die nicht einen etwas bestimmtern Begriff davon mitbringen. Meine Einbildung hatte mich getäuscht. Ich dachte mir die wildeste Gegend, wo der Rhein vom Himmel herab in einen unermeßlichen Schlund stürzte. In dem Abstand zwischen der Wirklichkeit und meiner Idee war die Überraschung um so angenehmer, da es hier wie mit allen wirklich großen Natur- und Kunstwerken ist, deren wahre Größe und Schönheit nicht beim ersten Anblick auffällt, sondern erst durch genaue Beobachtung und Vergleichung der Teile muß gefühlt werden. Ich fand den Fall lange nicht so hoch, aber viel schöner, als ich mir ihn gedacht hatte. Das Amphitheatralische der mit Bäumen besetzten Hügel drüber her, die zwei Felsen, auf deren einem das Schloß Laufen, auf dem andern aber ein Dorf und vor demselben eine Mühle liegt und die, wie die Säulen einer Vorderbühne, dem Fall selbst zur Seite stehen, die Breite des Falles und die schöne Verteilung des mannigfaltig herabstürzenden Wassers, das herrliche Bassin unter dem Fall, die schöne und fast gekünstelte Mischung des Wilden mit dem Angebauten in der Gegend umher: kurz, alles war anders und schöner, als ich erwartete.
Der Fall beträgt jetzt höchstens fünfzig Schuhe, die kleinen Abhänge mitgerechnet, die der Strom kurz vor seinem Hauptsturz zur Vorbereitung macht und die man nur von der Höhe herab sehen kann. Ehedem war er zuverlässig höher, und noch bei Mannsgedenken ist ein Stück des Felsen weggerissen worden, welcher dem Sturz mitten im Weg steht. Ich glaube an dem Fels, worauf das Schloß Laufen steht, beobachtet zu haben, wie der Strom stufenweis in die Tiefe gegraben. Es folgt also daraus, daß, wie ich dir oben sagte, der Bodensee immer nach dem Verhältnis schwinden muß, wie der Rhein sein Bette tiefer aufwühlt. Bei Lindau sah ich auch, auf meiner Reise hieher, offenbar neues Land. Er hat das mit allen hochgelegnen Seen gemein, und am Neuchateller See soll diese Abnahme unter den helvetischen Gewässern am merklichsten sein.
Ich machte eine kleine Lustreise nach der nicht weit von Konstanz gelegenen Insel Mainau, die eine Kommenturei des Deutschen Ordens1198 in Palästina gegründeter Ritterorden, begründete im Baltikum einen Ordensstaat ist. Die Wohnung des Kommenturs ist ein neues schönes Gebäude, welches die herrlichste Aussicht über den ganzen See beherrscht. Coxe hat auf seiner Schweizerreise die Anlage des Gartens dieses Schlosses nicht begriffen. Er findet es abgeschmackt, daß man in demselben die freie Aussicht auf den See durch Buschalleen verdeckt hat. Allein diese führen den Spazierenden unvermerkt auf den ausgesuchten Fleck, wo er von dieser Aussicht überrascht wird und den ganzen See, samt seinem herrlichen Gelände, in voller Pracht vor sich hat. Die durchaus offne Aussicht auf das Wasser würde im Garten um so weniger interessant sein, da man sie in den Zimmern des Palastes ohnehin immerfort genießt.
Noch muß ich dich, ehe ich von Konstanz abgehe, eines Mannes erinnern, der vor einigen Jahren in den Zeitungen soviel Lärmen machte. In dieser Gegend fing der berüchtigte Gaßner, welcher in kurzer Zeit einige Millionen Teufel austrieb und einige hundert Gläubige heilte, sein Spiel an. Der Bischof von Konstanz verbat sich solche Wunder in seinem Sprengel, und nun flüchtete sich der Mann unter den Schutz des Prälaten von Salmannsweiler, der sich immer mit schwerem Gelde die Exemtion von der bischöflichen Gewalt vom Papst erkauft. Aus Eifersucht auf den Herrn Bischof nahm der Prälat die Partei des Flüchtlings mit aller Hitze, und nun war sein Glück durch seine Verfolgung gemacht. Der Ökonom der Prälatur fournierte ihm einige Fässer verdorbenes Öl und ähnliche Sachen, die Gaßner zur Heilung der Menschen weihte und wobei der erstere seine Rechnung fand. Ich teile dir diese Anekdote mit, weil ich sie von guter Hand habe, sie wenig bekannt ist und ich dir ein neues Beispiel geben kann, daß Mahomet und alle Propheten seiner Art ihren Ruhm der Hitze ihrer Verfolger und Patronen, die oft mit dem Prophetentum dieser Männer in gar keiner Verbindung steht, zu verdanken haben. Lebe wohl.
Nachdem ich die Gegenden des Bodensees in der Runde besichtigt, trat ich meine Reise von Lindau hieher an und kam durch einige verfallene Reichsstädte, die das Reich um Nachlaß ihres Kontingents bitten müssen und wirklich Dörfer geworden sind. Memmingen nimmt sich unter ihnen sehr aus. Es hat einige Manufakturen und sieht wirklich einer Stadt etwas ähnlich. Von diesem Städtchen kam mir der Auszug einer Chronik zuhanden, der so altweiberisch wie alle Chroniken kleiner Städte lautet, woraus ich dir aber einige Stellen mitteilen muß, weil sie den Charakter des Volks schildern.
Im Jahr 1448 ging in den Schenken der Stadt der Wein aus. Der Rat schickte eine feierliche Deputation an den Neckar, um dies dringende Bedürfnis seiner Untertanen zu verschaffen. Als die Wagen mit Wein im Anzug waren, ging ihnen die Bürgerschaft in einer Prozession, mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen, entgegen, und es wurde auch ein öffentliches Freudenfeuer angestellt ... Im Jahr 1449 entstand am St.-Gallen-Tage in der Martinskirche wegen den Betstühlen eine Uneinigkeit unter den Weibern, die in der Kirche selbst eine große Schlägerei unter denselben veranlaßte. Die Geistlichkeit meinte, man müsse nun die entheiligte Kirche von neuem einweihen; aber der Rat widersetzte sich mit allem Nachdruck: weil es nur Weiber gewesen wären... Beide Schilderungen haben noch ihren Wert; denn der Schwabe hat noch die nämliche Verehrung für den Wein und die nämliche Superiorität über sein Weib.
Nebst diesen kam ich durch unzählige Graf- und Herrschaften, worunter die Güter der Grafen Truchsesse und Fugger die beträchtlichsten sind und wohl Fürstentümer sein könnten, wenn sie nicht unter so viele Nebenäste der Familie zerteilt wären.
Der ganze Strich vom Bodensee hieher ist lange nicht so schön gebaut als der untere Teil des Schwabenlandes. Auch in der sittlichen Kultur ist er weit unter diesem. In der Bildung der Menschen ist der Unterschied auffallend. Die Einwohner dieser Gegend haben soviel Eckichtes und Schiefes in ihren Gebärden, daß es einem ekelt. Die Natur hat aber selbst auch viel weniger für sie getan als für ihre Nachbarn. Der ganze Strich ist eine Ebene, die nur von einer Reihe waldichter Hügel zwischen Lindau und Leutkirch unterbrochen wird, und das Land ist also bloß zum Ackerbau bequem, dahingegen im Unterschwaben das Gemische der Berge, Hügel und Täler zu einer mannigfaltigern Kultur Anlaß gibt.
Was vollends zum Verderben dieser Gegend gereicht, ist die Zerstückung in so viele, gar zu kleine Herrschaften, und daß mehrere Besitzer derselben an großen Höfen leben und also das Geld aus dem Lande ziehen. Man hat nicht nötig zu fragen, ob der Herr des Gutes an Ort und Stelle residiert. Man sieht es augenscheinlich auf den Gesichtern der Untertanen und der Verwilderung des Landes. Während daß der Herr am Hofe mit der Beute seiner Untertanen glänzt, sind diese den Bedrückungen raubgieriger Beamten unterworfen, die gemeiniglich in wenigen Jahren so viel zusammenzubringen wissen, daß sie freiwillig abdanken und dann selbst Herren spielen können.
Wenn nicht so ungeheure Verschwendung und so lächerliche Titelsucht unter dem großen deutschen Adel Mode wäre, wenn er mehr Geschmack an Wissenschaften und Künsten hätte, wenn er ein besseres Vergnügen als das an Pferden, prächtigen Wagen, vielen Bedienten und dergleichen kennte, wenn er etwas mehr als einen steifen Rücken, gezwungene Stellung der Füße, eine gute Art, sein Geld zu verspielen, das elendeste Jargon und gewisse Krankheiten aus Frankreich zu holen wüßte, so könnte er die glücklichste Klasse von Erdensöhnen sein. Fast ganz unabhängig, wie er ist, könnte er im weitesten Verstande der Schöpfer des Glückes seiner Untertanen und von ihnen angebetet werden. Aber dafür scheint der große Haufen der Barons kein Gefühl zu haben. Die Natur rächet es. Durch ihre dumme Verschwendung an den Höfen werden ihre Güter verschuldet, und die Quellen versiegen nach und nach.
Das berühmte Augsburg ist das lange nicht mehr, was es war. Es gibt hier nun keine Fugger und Welser mehr, die den Kaisern Millionen vorschießen können. In dieser großen und schönen Stadt, die unter den deutschen Handelsstädten in der ersten Reihe steht, sind nicht über sechs Häuser zu finden, die über 200.000, und keine fünfzehn, die 100.000 Gulden Vermögen hätten. Der große Schwarm der hiesigen Kaufleute, wovon ein guter Teil Karossen haben muß, schleppt sich mit einem Kapitälchen von 30- bis 40.000 Gulden herum, macht den Krämer, Mäkler und Kommissär, und die nun einmal gängige Gewerbart macht ihn zur Anlegung von Fabriken zu träge. Einige wenige Häuser tun etwas in Wechselgeschäften, und der Weg durch Tirol und Graubünden veranlaßt hier einigen Gegenhandel zwischen Italien und Deutschland.
Nach diesen Krämern und Mäklern sind die Kupferstecher, Bilderschnitzer und Maler der ansehnlichste Teil der beschäftigten Einwohner. Ihre Produkten aber sind der Pendant zur Nürnberger Quincaillerie. Es gab immer einige Leute von Talent unter ihnen; da sie aber bei den kleinen Versuchen für die Kunst nie ihre Rechnung fanden, so mußten sie bei den Kapuziner-Arbeiten bleiben, um nicht zu verhungern. Sie versehen fast das ganze katholische Deutschland mit Bilderchen für die Gebetbücher und zur Auszierung der Bürgerhäuser. Für die Kunst ist der hiesige Himmel sehr ungünstig. Der Baron füttert lieber Pferde und Hunde und einen Schwarm Bedienten, deren Narr er gemeiniglich ist, als Künstler, und wenn er auf Geheiß der Mode der Kunst ein Opfer bringen muß, so hat er keinen Glauben an das Talent seiner Landsleute. Da er selten selbst Geschmack und Einsichten hat, so folgt er gewöhnlich in seiner Wahl dem blinden Ruf fremder Künstler und läßt das Verdienst in seinem Vaterland darben. Es scheint in andern Gegenden Deutschlands hierin nicht viel besser zu sein; denn Mengs, Winckelmann, Gluck, Hasse, Händel und viele andre mußten erst von Ausländern in Ruf gebracht werden, ehe man in Deutschland ihre Verdienste anerkannte.
Es hat sich zwar unter dem Schutz des Magistrates hier eine Künstlerakademie zusammengetan, die aber, so wie ihre Patronen, keinen höhern Zweck zu haben scheint, als unter dem Namen von Künstlern gute Handwerksleute zu bilden und die Manufakturen der Stadt im Gang zu erhalten. Der Rat geht seit einiger Zeit mit vielen ähnlichen Entwürfen zur Beförderung der Industrie schwanger, und wie ich an jeder patriotischen Empfindung teilnehme, so konnte ich denselben anfangs meinen Beifall nicht versagen. Aber wie ärgerlich war es mir zu sehen, daß diese Entwürfe, zum Teil von den Regenten der Stadt selbst, wieder vereitelt werden!
Der Grund dieses widersinnigen Betragens liegt zum Teil in der Regierungsform. Die Patrizier, welche nebst einem Ausschuß der Kaufleute die Stadt aristokratisch beherrschen, können es nicht verdauen, daß der Plebejer durch die Mittel, die er sich durch seinen Fleiß erwirbt, das Haupt über sie emporheben soll. Sie hassen und verfolgen den Fleiß in seiner Werkstätte aus einer elenden Eifersucht und sprechen ihm in der Ratstube aus affektiertem Patriotisme das Wort. Ein gewisser Schüle, welcher durch eine beträchtliche Cottonfabrik sein Glück gemacht, ist ein trauriges Beispiel davon. Mit den Millionen, die er sich durch seinen Fleiß erworben, kann er wohl prächtiger leben als die Patrizier mit ihren leeren Titeln, und deswegen ist er der unsinnigsten Verfolgung ausgesetzt.
Der Hauptgrund dieser erbärmlichen Politik liegt in der Verderbtheit des Ganzen. Neun Zehnteile der Einwohner sind das infamste Kanaille, das man sich denken kann, das immer bereit ist, sich selbst auf das erste Signal aus Religionshaß zu erwürgen, das den Arbeitslohn einer Woche richtig auf den Sonntag in die Bierschenke trägt und an die Größe seiner Vorfahrer nicht eher denkt, als wenn das Bier in seinem Kopfe gärt. – Ich hätte dir schon lange sagen sollen, daß die Regierung gemischt und zur Hälfte katholisch und lutherisch ist. Im ganzen mögen die Katholiken zahlreicher sein als die Protestanten. – Es ist platterdings unmöglich, alles Lächerliche, was hier der Religionshaß erzeugt, in einer Satire zu erschöpfen. Täglich hast du einen neuen unerwarteten Auftritt zu erwarten, der dich lachen und fluchen macht. Es kann kein Spinngewebe an einem öffentlichen Gebäude weggeräumt werden, ohne daß sich die Religion ins Spiel mische. Die Katholiken, welche natürlicherweise erhitzter sind als die Protestanten, halten sich einen sogenannten Kontroversprediger, der zu gewissen Zeiten die eine Hälfte von Augsburg lachen und die andere rasen macht. Der, welcher jetzt diese Rolle spielt, ist ein Jesuit und der beste Hanswurst, den ich von seiner Art gesehen. – Die tiefe Armut und Liederlichkeit des Pöbels macht ihn gegen die Rechte unempfindlich, die er der ursprünglichen Verfassung gemäß behaupten sollte. Die Aristokraten wären so übermächtig nicht, wenn das Volk mehr Sinn und Gefühl für seine eigentliche Konstitution hätte. Aber die Freiheit der meisten hiesigen Bürger ist so wohlfeil als die Jungferschaften ihrer Töchter, welche die hiesigen Domherren, deren Pfründen ohngefähr 2.000 Gulden eintragen, jährlich dutzendweis kaufen.
Das übrige Zehnteil der Einwohner besteht aus einigen Patrizierfamilien, unter denen es sehr artige Leute gibt, aus einem Dutzend Kaufleute, einigen Künstlern und der Geistlichkeit. Unter diesen herrscht aber zu viel dumme Verschwendung, welcher auch der Klügere nicht ganz entsagen darf, weil sie allgemeine Sitte ist, und zu viel Privateifersucht, als daß wahre, wirksame Vaterlandsliebe unter ihnen Wurzel fassen könnte. – In dieser Stadt, die allerdings drei Stunden im Umfang hat, wohnen kaum 36.000 Menschen, und das ganze eintragende Kapital derselben beträgt schwerlich über fünfzehn Millionen Gulden. Ihre Abnahme wird von Jahr zu Jahr merklicher, und wenn ihr nicht sehr günstige Umstände zu Hülfe eilen, so enthält sie im künftigen Jahrhundert nichts als einen Haufen Bettler, deren Regenten in den geraubten und mit Flittergold verbrämten Lumpen ihrer Untertanen paradieren.
Die Stadt ist wirklich schön und das Rathaus eines der schönsten Gebäude, die ich auf der ganzen Reise hieher gesehen. Der Magistrat läßt sich auch die äußere Verschönerung der Stadt, man sollte glauben, um so mehr angelegen sein, als die innern Kräfte derselben abnehmen. Die Schminke der ausgedienten Buhlschwester täuscht wohl den vorübergehenden Fremden, aber wer sie am Nachttische besucht ... Vor kurzem ließ das Bauamt auf Befehl des Rates eine Verordnung ergehen, daß die Dachrinnen, welche das Wasser sonst auf die Gassen spritzten und das Pflaster verdarben, an den Häusern herab sollten geführt werden. Eine Gesellschaft von Kaufleuten protestierte dagegen, und in ihrer Vorstellung an den Rat wurde gesagt, die Römer wären eben nicht auf der höchsten Stufe ihrer Größe gewesen, als der Appische Weg gemacht worden. – Ich weiß nicht, ob der Konzipient seinen Spaß trieb. Man sagt sonst: Jede Vergleichung hinkt. Neben den Römern sind die Krücken der Augsburger gar zu sichtbar.
Die Stadt bekömmt das Trinkwasser größtenteils aus dem Lech, welcher in einiger Entfernung vorüberfließt. Das Werk, wodurch das Wasser in der Stadt verteilt wird, ist wirklich bewundernswürdig. Der bayrische Hof kann dieses unentbehrliche Bedürfnis derselben abschneiden und setzt sie unter Androhung dieser Katastrophe öfters in Kontribution. Er hat nebst dem noch verschiedene Mittel in Händen, den hohen Rat in einer gewissen Abhängigkeit zu erhalten. Um sich gegen die Unterdrückung dieses Hofes sicher zu setzen, sucht die Stadt den Schutz des Wiener Hofes und macht sich auf dieser Seite ebenso abhängig als auf der ersten, und die Staatskunst des hochweisen Rates ist also ein Ball, womit beide Höfe unter sich spielen. – Der kaiserliche Minister für den schwäbischen Kreis residiert gemeiniglich hier und versichert seinem Hof einen immerwährenden Einfluß. – Es liegen immerfort auch Östreicher und Preußen auf Werbung hier, und die Parteilichkeit der Stadtregierung für die erstern ist sehr merklich. – Im Krieg von 1756 war die Bürgerschaft für beide Höfe in zwo gleiche Parteien geteilt. Die Katholiken betrachteten den Kaiser und die Protestanten den König von Preußen als ihren Schutzgott, und bald hätte der Religionshaß hier einen blutigen Bürgerkrieg veranlaßt.
Der Bischof, welcher sich von dieser Stadt benennt, aber zu Dillingen residiert, hat ohngefähr 200.000 Gulden Einkünfte. Leb wohl.
Unter allen Kreisen des deutschen Reiches ist der schwäbische am meisten zerstückt. Er zählt nicht mehr als vier geistliche und dreizehn weltliche Fürstentümer, neunzehn unmittelbare Prälaturen und Abteien, sechsundzwanzig Graf- und Herrschaften und einunddreißig Freie Reichsstädte. Die sogenannten kreisausschreibende Fürsten sind der Bischof von Konstanz und der Herzog von Württemberg, welcher letztere aber allein das Direktorium der zu verhandelnden Kriegssachen hat.
Das Gemische dieser vielen Regierungsarten und Religionssekten, der Druck der Größern auf die Kleinern, die Dazwischenkunft des kaiserlichen Hofes, welcher viele zerstreute Stücke Landes unabhängig vom Kreise in Schwaben besitzt und zufolge eines dem Erzherzogtum Östreich eigenen Privilegiums seine Besitzungen in demselben auf verschiedene Arten erweitern kann: alles das gibt der Wirtschaft des Landes und dem Charakter der Bewohner eine sonderbare Gestalt. In vielen Gegenden sieht man auf einigen Poststationen die höchste Kultur mit der äußersten Verwilderung, einen ziemlichen Grad von Aufklärung und Zucht mit der tiefsten Unwissenheit und Bigotterie, Spuren von Freiheit mit der tiefsten Unterdrückung, Nationalstolz mit Verachtung oder Gleichgültigkeit gegen das Vaterland und alle gesellschaftlichen Verhältnisse auf die auffallendste Art miteinander abstechen.
Offenbar sind die größern Länder in Schwaben, wie das Württembergische, Östreichische und Badensche, am besten gebaut. Das ganze Schwabenland mag in der Größe beinahe neunhundert deutsche Quadratmeilen betragen, in welchem Umfange ohngefähr zwei Millionen Menschen wohnen, von denen über die Hälfte den drei bemeldten Häusern zugehöret, ob sie schon bei weitem nicht die Hälfte des ganzen Landes besitzen.
Wenn sich die kleinen deutschen Herren vernünftig wüßten einzuschränken, wenn sie nicht größer scheinen wollten, als sie sind, wenn sie mehr Liebe zu ihren Untertanen hätten und nicht so fühllos gegen die sanftern Empfindungen der Menschlichkeit und gegen die Reize der Musen wären, so könnte die Kleinheit dieser Staaten selbst ihr Glück sein. Wenngleich ein kleiner Bauernstaat für manche Bedürfnisse Geld muß ausfließen lassen, so kann doch, wenn der Herr nicht übermäßigen Luxus liebt, ein guter Teil des Landesertrags, in Betracht des kleinen Kreises, in einem viel engern und also vorteilhaftern Umlauf erhalten werden, wenn das Höfchen seinen und den von dem seinigen unzertrennlichen Vorteil seiner Untertanen versteht und die Einnahme wieder in die gehörigen Kanäle zurückgießt. Da die meisten Herren dieser Gegend katholisch sind und ihren jüngern Söhnen die reichen Stifter der Nachbarschaft offenstehn, so haben sie sich wenig um Apanagen zu kümmern. Viele derselben sind selbst geistlich und können also durch ihre gesetzliche Leibesprodukten ihren Untertanen niemals zur Last fallen. Aber hier, wo vom Glücke der Völker die Rede ist, kommen diese Herren doch nicht in Anschlag. Wegen Mangel der Familienbande betrachten sie sich bekanntlich nie als Angehörige ihres Landes, sondern als Kommandanten, die da sind, um das Volk zu brandschatzen ... Die Entbehrlichkeit des Soldatenstandes, die Leichtigkeit, das Ganze zu übersehen, die Entfernung von dem politischen Gezerre der größern Staaten, die Sicherheit, daß ihre Regenten keine großen Eroberer spielen können, und noch viele andre Verhältnisse könnten diesen kleinen Völkerschaften zustatten kommen, wenn ihre Häupter gesünder wären.
Allein, die Höfe von Stuttgart und Karlsruhe ausgenommen, habe ich zu meinem großen Leidwesen keinen in Schwaben gefunden, der das Glück seiner Untertanen als seinen Beruf betrachtete. Die andern scheinen im Wahn zu stehn, daß die Völker wegen ihnen und nicht sie wegen dem Volk geschaffen seien. Die Kameralisten dieser Herren, deren ich einige sehr genau kennenlernte, machen einen sehr wesentlichen Unterschied zwischen dem Interesse des Hofes und jenem des Volkes, und wenngleich der Untertan, wie ich dir schon gesagt, gegen die gröbste Tyrannei sicher ist, so ist er es doch nicht gegen die feine Beutelschneiderei der Finanziers.
Die Erziehung der meisten dieser Herren ist zu abscheulich, als daß es besser sein könnte. Sie ist fast durchgehends in Händen von Pfaffen, teils Mönchen, deren Kenntnisse in ihre Kapuzen eingeschränkt sind, teils jungen Abbés, die soeben von der Schule gekommen und durch die Familie ihres Eleven ihr Glück machen wollen. Und worin besteht nun die Moral des jungen Herrn? Der Mönch gewöhnt ihn, die Verehrung des heiligen Franziskus, Benediktus oder Ignatius, die öftern Bestellungen von Messen, die Skapuliere, Rosenkränze, Almosen für Klöster und dergleichen mehr für die wesentlichsten Pflichten zu halten und zu wähnen, man könne damit eine Menge Vergehungen andrer Art wieder gutmachen. – Und der Abbé? Dieser ist gemeiniglich ein junger Mensch, der auf der Schul seine ganze Philosophie und Moral von Mönchen geholt hat, ans Kriechen gewohnt ist, sich zum Schuheputzen gebrauchen läßt und aus Furcht, beim Regierungsantritt des jungen Herrn sein gehofftes Brot zu verlieren, in den kritischesten Jugendjahren ihm gerne durch die Finger sieht. Beide vergessen natürlich nicht, dem heranwachsenden Regenten zu sagen, daß es Sünde sei, die Menschen wie die Fliegen totzuschlagen, auf offener Straße zu rauben, die Weiber ihrer Untertanen durch Jäger oder Husaren aus den Betten auf das Schloß holen zu lassen und dergleichen. Aber das feinere sittliche Gefühl, Achtung für jedes Geschöpf, das ihnen ähnlich sieht, Empfindungen für höhere Tugenden, als die in den Legenden zum Muster dargestellt werden, weiß keiner dieser Herren in dem Zögling rege zu machen. Und sind die Klöster und Schulen auch der Ort, die Welt, die zarten Nuancen der menschlichen Pflichten, und besonders die Erfordernisse zu einem guten Regenten, kennenzulernen?
Ich hatte Gelegenheit, einer Prüfung beizuwohnen, die der Hofmeister von den Söhnen eines ansehnlichen schwäbischen Herrn mit denselben sehr feierlich angestellt. Die Eltern, welche sich wenigstens durch den Eifer, ihre Kinder gut zu erziehen, vor vielen andern schwäbischen Häusern auszeichnen, nahmen viel Teil daran und hatten alle Verwandten und Freunde dazu gebeten. Der Hofmeister, ein Benediktiner, bot alle Prälaten und Prioren in der Gegend auf, um den Triumph seiner Erziehungskunst glänzender zu machen, die dann um so zahlreicher sich einfanden, als bei diesem Anlaß ein fetter Schmaus zu erwarten stand. Die Zöglinge waren so zwischen den vierzehn und achtzehn Jahren. Der Anfang wurde mit der lateinischen Sprache gemacht, und der ältere dieser Jünglinge las eine lateinische Rede ab, die er nach dem Vorgeben verfaßt haben sollte, die aber offenbar das Werk seines Lehrers war, welches dieser auch in seinen Blicken und Mienen während des Ablesens zu gestehen schien. Die Rede war durch alle die bekannte Figuren durchgearbeitet, und alle Fragen, Ausrufungen, Invektionen usw. waren gegen die neuern Philosophen gerichtet, die der Religion und der menschlichen Gesellschaft überhaupt den Untergang androhen. Ich war sehr aufmerksam, weil ich einigemal den Voltairius und Rousseauvius mit aller rhetorischen Wut bestürmen hörte. Ich konnte nicht begreifen, was z. B. Rousseau, dessen Moral im ganzen, besonders für Regenten, vortrefflich ist und der, auf der guten Seite genommen, in diesen Gegenden zum Besten der Menschheit wichtige Revolutionen machen könnte, einem jungen schwäbischen Herrn oder seinem Hofmeister, die ihn zuverlässig weder in Person noch in seinen Schriften kennen, Leids getan haben sollte. Einer unserer Landsleute, der Sprachmeister der jungen Herren, durch den ich Eintritt fand, half mir aus dem Traum und sagte mir, daß es seit mehrern Jahren unter den Geistlichen dieser Gegenden Mode sei, dem Voltaire und Rousseau allen erdenklichen Unsinn aufzubürden und auf den Kanzeln und bei jeder öffentlichen Gelegenheit ihren Witz an denselben zu schärfen ... Nachdem die Rede gehörig beklatscht und die Komplimente und Gegenkomplimente verhallt waren, schritt man zu der Geschichte. Da ging's durch die vier Universalmonarchien, und die jungen Herrn nennten eine Menge babylonischer, assyrischer, chaldäischer, ägyptischer, persischer und andrer Regenten der Vorwelt, von denen sich nichts weiter sagen läßt, als daß ihre Asche mit der Erde, die wir bewohnen, vermischt ist. Und alle die Monarchien drehten sich um das Alte Testament herum und wurden auf den Salomonischen Tempel aufgehaspelt. In Griechenland wußte man nichts als die Sieben Weisen mit ihren Sprüchen aufzufinden, und hier, wie in dem republikanischen Rom, war weder von den großen Tugenden noch von der Kultur, noch von den Ursachen des Steigens und Fallens dieser Völker die Rede. In den Augen eines Mönchen kann ein Heide keine Tugend haben, und die Aufklärung, die Philosophie dieser berühmten Nationen war eben der Gegenstand, gegen den die Rede mit ihrem Feuer spielte. Dafür schien der Hofmeister als Lehrer der Geschichte gar keinen Sinn zu haben. In der Kaisergeschichte war weiter nichts zu melden als die zehn oder zwanzig Verfolgungen der Christen. Ich weiß nicht, ob es noch mehrere waren, ob ich schon der römischen Geschichte, wie du weißt, eben nicht fremd bin. Man nennte alle nennbare Märtyrer, die unter diesen Kaisern litten. In der neuen Geschichte spielten natürlicherweise die Ahnen der jungen Herren die Hauptrolle; wie sie Klöster gestiftet und begabet, die Kreuzzüge mitgemacht usw. Hierauf kam man zur Geographie, und da wußte man von Arabien, Abessinien, Monomotapa, Nubien, Monömugi und den Ländern, die wir am wenigsten kennen, am meisten zu sprechen. Nachdem man zur Prüfung einige wohlgeübte Exempelchen der Rechenkunst auf eine Tafel gekratzt hatte, kam endlich die Reihe an die Glaubens- und Sittenlehre. Es wurde in Behandlung des erstern Gegenstandes so viel von den untrüglichen Kennzeichen der alleinseligmachenden Kirche gesprochen, daß ich bald davongelaufen wäre. Ich hatte in einem Lande von vermischter Religion wie dieses solche harte Ausdrücke um so weniger erwartet, da die Toleranz der herrschenden Sekten ein Reichsgrundgesetz ist. Die moralische Prüfung war folgende:
Hofmeister: "Welches sind die Haupttugenden?" Erster Eleve: "Glaub, Hoffnung und Liebe." – Hofmeister: "Erwecken Sie mir den Glauben, Graf Karl!" – Graf Karl: "O mein Gott, ich glaube alles...", usw. – Hofmeister: "Graf Max, erwecken Sie mir die Hoffnung!" – Graf Max: "O mein Gott, ich hoffe alles...", usw. – Hofmeister: "Graf August, erwecken Sie mir die Liebe!" – Graf August: "O mein Gott, ich liebe alles...", usw. Es war recht herzbrechend für die guten Eltern anzuhören, wie ihre Kinder den Glauben, die Hoffnung und die Liebe so hübsch nach dem Katechismus auswendig gelernt hatten. – Hofmeister: "Welches sind die Hauptlaster?" – "Neid, Zorn, Unkeuschheit, Füllerei ...", usw. Da fielen mir die Prälaten mit ihren roten dicken Köpfen auf, besonders einer, der mit einer faunischen Miene die Hand auf dem Schoß der gnädigen Frau liegen hatte... Hofmeister: "Welches sind die schweren Sünden in den Heiligen Geist?" – "An einer erkannten Wahrheit zweifeln, in einem erkannten Irrtum verharren..., usw. Hofmeister: "Wieviel gibt es gute Werke, Graf Karl?" Graf Karl: "Sieben; erstens: die Hungrigen speisen; zweitens: die Durstigen tränken; drittens: die Nackenden bekleiden; viertens: die Gefangenen erlösen...", usw. Und das war nebst den Zehn Geboten Gottes und den fünf Geboten der Kirche alles, was die Sittenlehre anbelangt. – Also nur sieben gute Werke, Herr Graf! – Also für einen Herrn Grafen von 50.000 Gulden Einkünften ist es ein gutes Werk, keine Pflicht, den Hungrigen zu speisen! Also tut der Herr Graf ein gutes Werk, wenn er seinen Spitzbuben die Gefängnisse öffnet! – Es war alles buchstäblich so, Bruder, wie ich dir's niederschreibe, es ist nichts übertrieben, nichts verkleinert. Von Pflichten der Größern gegen die Kleinern, von dem wollüstigen Geschäfte, andre glücklich zu machen, von sündlicher Verschwendung des mit Schweiß und Tränen benetzten Geldes der Untertanen, von Großmut, Sanftmut und ähnlichen Dingen war so wenig die Rede als in dem wissenschaftlichen Teil der Prüfung von landwirtschaftlichen und statistischen Kenntnissen.
Der Hofmeister führte sodann seine Zöglinge triumphierend zu dem Schwarm der Zuhörer, die ihn und die jungen Herren mit einem verwirrten Gemurmel von Glückwünschen empfingen. Der Zug ging hierauf sehr feierlich zur Tafel, wo ich im Punkt der schönen Sitten meine Bemerkungen über die Erziehungsart der jungen Herren fortsetzen konnte. Eine gewisse grimassierende Steifheit war mir in ihren Bewegungen schon beim ersten Anblick aufgefallen, aber der Sprachmeister machte mich erst bei Tische auf das Detail ihrer schönen Manieren aufmerksam. Da wußten sie alle die Löffel, Messer und Gabeln gar methodisch zu beiden Seiten der Teller auszuteilen, die Servietten, einer wie der andre, fein durch das oberste Knopfloch zu ziehn, gerade eine Spanne weit vom Tisch, mit steifen Rücken und die Hände züchtiglich neben die Teller gelegt, dazusitzen, und wenn sie die Nase putzen wollten, es gar unsichtbar mit dem Schnupftuche unter der Serviette zu tun. Die Kaffeetassen nahmen sie mit dem Daumen und dem Zeigefinger und streckten die übrigen Finger, alle gleich, sehr artig neben aus. Keiner durfte den Mund auftun, als wenn er angeredet wurde. Wenn sie standen, so mußten die Füße fein fest auf einem Fleck und nicht gar weit auseinander stehn und die eine Hand in der Weste und die andre in der Rocktasche stecken. – Der Sprachmeister sagte mir, die ganze Familie und der Hofmeister wären innig überzeugt, daß kein Mensch zu Paris anderst bei Tische säße, anderst die Tasse nähme oder anderst die Nase putzte. Er werde oft versucht, dem Benediktiner bei seinen Lektionen von der Art unter die Nase zu lachen, wenn er ihm nicht subordiniert wäre.
Wenn nun auch diese junge Herren auf die Universität oder auf Reisen gehn, so geschieht es unter der Aufsicht ihres jetzigen Hofmeisters, der ihnen alles, was sie sehen, durch seine alte Mönchsbrille zeigt und alle Kenntnisse, die sie allenfalls sammeln, auf den dürren Stamm seiner ehemaligen Lehren einpfropft. Welche Vorbereitung wird nicht erfodert, um mit Nutzen reisen zu können? – Und wenn nun endlich der junge Erbherr die Regierung seines Landes antritt, kann es besser werden, als es ist?
Dank dem allweisen Schicksal oder der allgütigen Vorsicht, die in den Regierungen der Länder nur gar zu sichtbar die Hände hat! Wenn man den Anbau dieser Gegenden des Schwabenlandes betrachtet und weiß, wie wenig von den Herren desselben für sie getan wird, so muß man glauben, es wache immer ein mächtiger Genius über ihnen, der allezeit das, was die Regenten verderben, zum Teil wieder gutmachen muß. Lebe wohl.