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X.

. Das Jahrhundert war zu Ende gegangen. Solch einem Wechsel der Zeiten hat man immer in banger Erwartung, oft auch mit Zittern und Zagen entgegengesehen. Diesmal schien mehr als jemals Ursache hierzu zu sein. Allenthalben machte sich ein Gären, ein ungestümes Ringen und Drängen bemerkbar, als wenn sich der Untergang der bestehenden Formen auf sämtlichen Gebieten des Lebens ankündigte – namentlich des geistigen Lebens. Die neue Welt war inzwischen entdeckt, der Seeweg nach Indien gefunden, der Gedanke, daß man die Wissenschaften am besten aus den Urquellen schöpfe, durch die Humanisten zu allgemeinerer Geltung gebracht worden. Eifrig hatte man besonders auch in Nürnberg die alten Schriftsteller zu studieren begonnen. Sollte das große Gebiet der Kunst davon unberührt bleiben? Bisher hatte die Gotik mit ihren phantastischen, in die Wolken emporstrebenden Formen unbestritten geherrscht; jetzt wiesen dieselben Männer, welche der Griechen und Römer Schriften als Weisheitsquellen empfahlen, immer entschiedener auch auf Kunstwerke hin, die jener älteren Kulturperiode entstammten. Ein anderer Geschmack begann sich vorzubereiten, die Tage der Gotik waren gezählt, die Ära der Renaissance bereitete sich vor.

Und Adam Krafft? Seinem innern Drange folgend, hatte er die Grundsätze der Gotik ergriffen, aber nicht, um sie in verbrauchten Formen zu erschöpfen, sondern um innerhalb der allgemein herrschenden Kunstanschauungen Neues zu schaffen, die bisherige Schule nochmals würdig und großartig zu vertreten und gewissermaßen zum Abschlusse zu bringen. So Großes und Bedeutendes er nun aber auch geschaffen, soviel Beifall er für seine Werke gefunden hatte, – es mußte in ihm doch allmählich eine Befürchtung entstehen, daß seine Kunstrichtung bald nach ihm zu Grabe gehen und unter dem alsdann geltenden Geschmack auch die Wertschätzung seiner Schöpfungen erheblich leiden möchte.

Das waren keine Gedanken, die nach einem arbeitsreichen, arbeitsfrohen Leben den alternden Künstler frisch und heiter stimmen konnten.

In einem Kreise, zu welchem außer Peter Vischer der wieder nach Nürnberg zurückgekehrte Veit Stoß, der Kupferschmied Sebastian Lindenast, der städtische Baumeister Hans Behaim der Ältere, und zuletzt wohl auch der weit jüngere Albrecht Dürer gehörten, suchte und fand er damals oft, was notwendig war: verständnisvolle Würdigung und zerstreuende Unterhaltung. Doch bei den mannigfachen Erörterungen über Kunstwerke, welche dann stattfanden, mußte er wohl nicht ohne schmerzliche Empfindung erkennen, daß jüngere Freunde, wie Peter Vischer und Albrecht Dürer, von der neuen Kunstrichtung nicht mehr unberührt blieben.

Noch weit tiefer müssen damals andere Verhältnisse des Künstlers Seele bewegt haben.

Vor allem war eine, wie es schien, unausfüllbare Lücke in seinem häuslichen Leben entstanden.

Zu Anfang des Jahres 1502 war ihm Magdalena Nach neueren Forschungen halte ich die Annahme, daß Kraffts erste Gemahlin Magdalena geheißen und er 1503 eine zweite Gattin, Barbara, genommen hat, für wahrscheinlich. Magdalenas Tod setze ich daher in das Jahr 1502. geraubt worden. Wie viel er an ihr verloren, kam ihm erst jetzt zum vollen Bewußtsein. An der Bahre der Verstorbenen saß er viele Stunden gebeugten Hauptes und unter zahlreichen Thränen. Keine laute Klage kam über seine Lippen, nur bisweilen ein leiser, kaum vernehmbarer Seufzer, unter welchem sich die kräftige Brust krampfhaft bewegte. Aber seine Gedanken umfaßten alle die vergangenen Jahre, in welchen sie ihm zur Seite gestanden hatte. Wohl war es ihr nicht vergönnt gewesen, die häßlichen Sorgen um geringfügige Dinge des Daseins von seinen Schultern zu nehmen, also daß er ganz ungehindert, wie's eine Künstlerseele sich wünscht, seinen Schöpfungen hätte leben dürfen; aber als eines Künstlers echte Gattin hatte sie sich dennoch stets erwiesen: in dem fröhlichen, liebreichen Wesen, mit welchem sie ihm zur Seite stand und seine düstere Stirn zu glätten suchte; in dem feinen Sinn für das Schöne, mit welchem sie des Meisters Bahnen mitzuwandeln und oft in wenigen passenden Worten seine leisen Andeutungen auf den Kunstgebilden richtig zu deuten wußte – und nicht zuletzt auch durch die milde weibliche Anmut, welche ihm so oft die edeln Züge seiner Madonnen gewährte. Wenn sie jetzt ihm entrissen und der Zeitlichkeit entrückt worden war, so erwuchs ihm doch zu seinem Troste allmählich die Gewißheit, daß es dem aufstrebenden Künstlergeiste mehr als anderen vergönnt ist, die Kluft zu überbrücken, welche die himmlischen Höhen von der Erdenwelt trennt. Er, dessen »Tabernakel« ihren figurenreichen Bau, gleich den Verkörperungen andächtiger Gedanken, himmelwärts emporstreckten, durfte wohl hoffen, auch die jetzige Wohnstätte der Verklärten zu erreichen.

So erhob er sich, mehr durch die Kraft seiner Künstlerseele als durch den Zuspruch derer, die ihm freundschaftlich nahe standen, verhältnismäßig schnell aus der dumpfen Betäubung, in welche ihn die Plötzlichkeit des herben Verlustes anfänglich versetzt hatte. Neues, kräftiges Schaffen sollte, wie er hoffte, das Weitere thun, um ihm das Gleichgewicht seines Gemütes wieder herzustellen.

Aber nun brachen auch andere Widerwärtigkeiten auf ihn ein. Vor allem gestalteten sich seine Vermögensverhältnisse noch ungünstiger als vordem. Hatte er bis dahin selbst von den bedeutendsten Werken nichts übrig behalten, so riß jetzt, nach dem Tode seiner Gattin, eine Unordnung in seinem Hausstande ein, welche zum völligen Ruin zu führen drohte. O diese leidigen Zahlen, sie hemmten den trefflichen Meister allenthalben in seinem gewohnten Schaffen! Wie manche Forderung kam da, von der er gar nichts wußte, und deren Berechtigung er doch nicht widerlegen konnte; wie manche Summe dagegen ging ihm verloren, weil er nicht den nüchtern-wirtschaftlichen Blick hatte, um seine eigenen Forderungen in Einklang mit der Zeit und den Unkosten zu setzen, welche von denselben beansprucht wurden. Manche Einnahme muß er auch eingebüßt haben, weil er über seine Außenstände nicht Buch führte.

Daß es auch Schuldner gab, welche ihm einen Teil des redlich verdienten Lohnes vorenthielten, ergiebt sich aus einem Rechtsstreite, den er zu Anfang des Jahres 1503 mit dem Nürnberger Bürger Sebald Hornung auszufechten hatte. Auf dessen Wunsch war von ihm die Vollendung eines größeren Bildwerkes übernommen worden, welches »Meister Symon mit der lahmen Hand« begonnen hatte. Welcher Art dieses Werk gewesen, ist leider nicht überliefert, dagegen wird jener Meister Symon von Neudörffer als ein kunstreicher Mann geschildert, der Bildhauer, Goldschmied, Uhrmacher und Maler zugleich war. Derselbe war über der Arbeit gestorben. Hernach forderte Adam Krafft neunzig Gulden; doch Hornung wies diese Rechnung als eine zu hohe zurück. Er machte geltend, daß Meister Symons Thätigkeit an dem Werke über den Entwurf weit hinausgegangen und daher mit siebzehn Gulden bezahlt worden sei, auch habe Meister Adam von ihm bereits dreißig Gulden erhalten. Da er so entschieden auf Ermäßigung jener Forderung drang, wurden Veit Stoß, Michael Wolgemut, Peter Vischer und Hans Behaim zu einem Gutachten aufgefordert. Ihr unterm 1. Februar 1503 aufgestellter und von beiden Parteien angenommener Vergleich geht dahin, daß Hornung im ganzen nur fünfundsechzig Gulden zahlen und Krafft sich hiermit begnügen solle.

Oftmals wurde damals unter dem Drange unerfreulicher Verhältnisse die emsige Hand des Künstlers schlaff; ja, auch seines Geistes Flug schien vorzeitig erlahmen zu wollen. Man sah ihn häufig wieder still und in unfruchtbarem Brüten dasitzen. Daß größere Aufträge eine Zeitlang fehlten und nur kleinere Arbeiten von ihm verlangt wurden, konnte nicht zur Besserung seines Seelenzustandes beitragen.

Seine Freunde hatten das alles beobachtet und waren miteinander darüber zu Rate gegangen. Peter Vischer übernahm die Aufgabe, eine Einwirkung auf Adam Krafft zu versuchen.

Eines Tages trat er unerwartet in dessen Werkstatt. Er fand ihn vor einem kleinen Steinrelief, doch nicht bei der Arbeit.

»Was machst Du da, Adam?« fragte er schnell.

Krafft schaute ihn mit müden Augen trübselig an.

»Eben nicht viel – eigentlich gar nichts!«

»So solltest Du mir folgen; denn die Werkstatt ist zur Arbeit bestimmt und nicht für das Träumen!«

»Was soll ich da draußen?«

»Dich aufraffen und erheben!«

»Dazu ist's ja doch zu spät …«

»Ein Meister wie Du ist noch nicht am Ende seines Wirkens angelangt; – noch stehst Du im kräftigen Mannesalter. …«

»Schon mancher ist vorzeitig zum Greise geworden! Auch ich habe mich erschöpft; was zu wirken ich Fähigkeit und Beruf hatte, ist zum Abschlusse gekommen; es ist genug! Vielleicht wäre mir noch mancherlei sonst gelungen, wenn meine äußeren Verhältnisse sich anders gestaltet hätten …«

»Du fühlst Dich unglücklich, Adam, – das beeinträchtigt Dein Schaffen. Es muß anders mit Dir werden!«

»Ich hoffe nichts mehr …«

»Sobald neue Triebkraft in Deine Seele gepflanzt wird, werden auch die hohen künstlerischen Gedanken, welche Deinem Geiste verliehen sind, wieder hervorbrechen und Gestaltung gewinnen! – Doch nun zunächst vorwärts ins Freie

Unwiderstehlich war dieser meisterliche Erzgießer, wenn er zu überreden versuchte. Er ergriff seinen Freund am Arm und zog ihn mit sich fort; kaum daß dieser noch Zeit fand, den Schurz abzulegen.

Bald waren sie auf der Straße. Vischer begann seinen Freund auf dies und das aufmerksam zu machen; er war ein unermüdlicher Plauderer. Doch es wollte ihm so gar nicht gelingen, den erwünschten Eindruck auf seinen Gefährten zu machen. Düster ging dieser neben ihm her und fand nur selten eine kurze Antwort.

Endlich sagte der Erzgießer: »Ich sehe ein, daß wir hier draußen nicht vorwärts kommen, und da Du doch wohl in einen heitern Kreis nicht hineinpaßt, so magst Du mich nach meiner Wohnung begleiten!«

»Wirst es behaglicher haben, als ich!« erwiderte Krafft und ließ sich von dem Freunde dem vorgeschlagenen Ziele entgegenführen. An St. Lorenz vorüber näherten sie sich der engen Gasse, in welcher der Erzgießer wohnte.« Sie heißt jetzt Peter Vischer-Gasse und liegt in der Nähe des Stadttheaters.

Margarete, dessen Weib, empfing die Kommenden freundlich.

»Ich will mit meinem Freunde Krafft hier ein Stündchen verplaudern,« sprach Vischer zu ihr, »bring uns dazu einen Trunk in die Wohnstube!«

Bald saßen die beiden Männer einander gegenüber, und der Wirt füllte die Becher, um dann mit dem Gaste anzustoßen.

Dieser hatte unwillkürlich den Blick durch das Zimmer schweifen lassen.

»Das sieht nach einer ordnenden Hand aus,« bemerkte er halblaut, »mußt Dich recht wohl fühlen!«

»Da hast Du recht, armer Adam; schade, daß Du's nicht ebenso daheim findest.«

»Früher war mein Haus auch wohnlich und in guter Ordnung, doch meine Magdalen' fehlt jetzt darin.«

»Könntest Du's nicht auch wieder so haben, wie vordem, wenn Du nur wolltest?«

Der Bildhauer schaute seinen Freund ungläubig, fast verwundert an.

»Magdalen' kann mir nicht zurückgegeben werden!«

»Weiß ja, daß sie ein vortrefflich Weib gewesen ist, und gewünscht hätt' ich's Dir, daß Du sie nicht verloren, – doch zu ändern ist's nun einmal nicht. – Hab' auch solchen Verlust kennen gelernt. Hatt' erst eine Margaret', ein liebes Weib, das ich in jugendlicher Liebe umfing, doch es starb mir früher dahin, als Deine Magdalen' Dir. Da nahm ich mir die Dorothea, die Du auch gut gekannt hast, im Jahre 1493 war's, aber auch sie sollt' mir nicht bleiben. Hernach hab' ich die zweite Margaret' heimgeführt, Anno 1496; die wird mir unser Herrgott ja wohl länger lassen, denn sie ist ein kräftig Weib, und dabei ist sie wirtschaftlich und emsig, wie Du es gesehen hast. Peter Vischer hat in der That jene drei Frauen gehabt. Du würdest also wohl auch einen Ersatz für Deine Magdalen' finden.«

Adam Krafft schaute ihn noch immer nachdenklich an.

»Meinst Du, Peter? Hab' bisher immer nur merken müssen, wie sehr mir mein teures Weib an allen Orten und zu allen Zeiten fehlt und wie unglücklich ich bin, es so früh verloren zu haben; daß ich ein ebensolches könnt' wiederfinden, hab' ich niemals zu denken gewagt, und auch jetzt noch will mir's nicht in den Kopf, wiewohl Du da Erfahrungen gemacht hast, auf die man was geben darf.«

»Adam, die Zeiten ändern sich ja: in jungen Jahren meint man, das Mädchen, welches einem gefällt, könnt' einem schon auf Erden den Himmel schenken; keinen Fehler irgend welcher Art hab's an sich, es sei eben ein Engel. Hernach täuscht sich dann mancher. Ist die Ehe wirklich gut geworden, aber leider der Tod dazwischen gefahren, wie bei uns beiden, so wird man nicht wieder zum feurigen Liebhaber werden können, wie beim erstenmal; man wird auch nicht die Augen auf ein ganz junges Ding werfen, dessen Vater man wohl sein könnt', sondern eine Frau wird man sich suchen, die ein vernünftig Alter hat, den Haushalt versteht und es mit einem auch wohl herzlich gut meint. Ganz verblüht und häßlich braucht sie deshalb doch nicht zu sein.«

»Und Du glaubst, daß ich eine solche Frau finden würde?«

»Wenn Du Dich darnach umthätest, würde Dir's wohl nicht schwer fallen.«

Da trank Adam Krafft seinen Becher leer, erhob sich und sagte: »Will mir die Sache überlegen; es kann ja sein, daß Du recht hast.«

Dann drückte er seinem Freunde die Hand und eilte fort.

Peter Vischer schien darüber nicht verwundert zu sein.

»Ein seltsamer Kerl,« sprach er vor sich hin, »ist der Adam immer gewesen. Seine Phantasie nimmt den höchsten Flug, der uns Erdenbürgern möglich ist, aber das, was ganz nahe, fast handgreiflich vor ihm liegt, entgeht seinen Blicken. Doch nun,« setzte er befriedigt hinzu, »hat er die Sache ergriffen; das Weitere darf man wohl der Zukunft überlassen.«

Unterdessen stürmte unser Bildhauer von dannen, – wohin, wußte er selber nicht; denn der Gedanke, welchen sein Freund in ihm erweckt hatte, beschäftigte ihn so vollständig, daß er alles andere übersah. Einige Bekannte, die grüßend an ihm vorüberschritten, beachtete er nicht. Da klang plötzlich ein Glöcklein zu seinen Ohren. Er blickte auf und sah sich in der Nähe von St. Lorenz, und von dieser ihm so wohl bekannten Pfarrkirche tönte jenes Glöcklein herab, das zum Abendgebete einlud.

Unwillkürlich lenkte er seine Schritte hinein; er war lange nicht dort gewesen. Vereinzelte Andächtige saßen niedergebeugten Hauptes in den Kirchstühlen; er beachtete sie nicht, sondern trat bis zum hohen Chore vor und ließ sich unweit des Hochaltares auf einer Bank nieder. Zum Gebete hatte das Glöcklein gerufen, doch schon war ihm der Gedanke daran geschwunden; er stützte das Haupt und verlor sich wieder in Grübeln. Da schien es ihm, als hörte er neben sich leise Schritte und das Rauschen eines Gewandes. Gleichgültig erhob er den Blick, doch die Neugier lag ihm so fern, daß er nicht um sich schaute, sondern nur vorwärts in den hochgewölbten Raum. Wie ward ihm da so eigentümlich zu Mute! Vor ihm im Glanze der Abendsonne und übergossen von dem farbigen Lichte der hohen Bogenfenster erhob sich sein eigenstes, sein größtes Werk, Hans Imhoffs Stiftung, das Sakramentshäuschen. Wie ein Gebilde der Märchenwelt strebte es in seinen schlanken, anmutigen Formen und seiner Fülle edler Gestalten noch immer zum Himmel empor. Wunderbar schien es ihm, seine Schöpfung wieder vor sich zu sehen, und doch erinnerte er sich nun, daß er in die St. Lorenzkirche getreten war, wo er einst – es waren nun nahezu neun Jahre – dieses Bildwerk aufgestellt hatte … Wie vieles hatte sich seitdem geändert! Der alte Imhoff, welcher damals ihm so warm gedankt, lag seit über vier Jahren im Grabe, und von den Hoffnungen, mit denen er selber damals zu Magdalena zurückgekehrt, waren so viele gescheitert!

Doch dieses Bildwerk stand noch immer in der damaligen Herrlichkeit da, und dort droben, in der höchsten Höhe des durchbrochenen, himmelwärts strebenden Bauwerks thronte, wie zu Anfang, der siegreiche Christus, der Überwinder von Hölle und Tod … Da begann seinem eigensten Werke für ihn selber, für sein Herz ein beglückendes Gefühl zu entströmen, das seine Quelle mehr aus der Religion als aus der Kunst herleitete, und ganz von selbst falteten sich seine Hände zum stillen Gebete.

Als er hernach die Blicke wie von ungefähr umherschweifen ließ, blieben sie auf einer Frauengestalt haften, die in der Nähe kniete. Ein dunkles Trauergewand umhüllte ihre kräftigen Glieder; das düstere Tuch, welches ihr Haupt bedeckte, ließ nur wenig von dem Gesichte hervortreten, doch schien dieses ebenmäßig und nicht unschön gebildet zu sein. Mit gefalteten Händen, die Augen zu dem Gekreuzigten im »Tabernakel« droben gewendet, betete sie still, wobei sich ihre Lippen leise bewegten; was um sie her geschah, beachtete sie nicht. Um so mehr fühlte sich unser Künstler durch die Unbekannte gefesselt, welche vor jenem gekreuzigten Christus, den sein Meißel geschaffen, für den tiefen Schmerz, der sie drücken mochte, Trost zu begehren schien. Es war nur ein Steinbild, doch vor dem Blicke der Andacht kann der Stein sich erwärmen und beleben …

So verging eine längere Zeit, ohne daß Meister Adam sich rührte. Endlich erhob sich die Frau und wendete sich dem Ausgange zu. Nur ein flüchtiger Blick von ihr fiel bei dieser Gelegenheit auf den Künstler, den sie augenscheinlich nicht kannte und jedenfalls keiner Beachtung für wert hielt. Wie anders war es um diesen bestellt! Einem unerklärlichen Drange folgend, ging er der Unbekannten nach; er wollte, er mußte wissen, wo sie wohnte und wer sie sei.

Die Frau wendete sich schnellen Schrittes nordwärts. An dem Tugendbrunnen vorbei und über die Fleischbrücke hinweg gelangte sie nach der Winklerstraße, durchschritt diese und verschwand hernach, unweit der Burg, in einem ärmlichen Häuschen. Eben überlegte er noch, ob er ihr in dessen Inneres folgen oder vorläufig weitere Forschungen aufgeben sollte, als ein Mütterchen aus der Hausthür hervortrat. Sie grüßte ihn, anscheinend über seine Anwesenheit verwundert. Er folgte ihr langsam eine Strecke Weges, fragte sie, wo sie hingehe und wie alt sie sei, und erkundigte sich dann möglichst unauffällig auch nach der Beterin.

»Jesus Maria!« begann die Alte, »Ihr meint Frau Barbara … Das arme Weib hat so glücklich mit ihrem Manne gelebt, aber unser Herrgott hat sie schwer genug heimgesucht! Sterben da erst ihre Kinder, ein Mägdlein war's und ein Bub, eins schöner als das andere; hernach legt sich ihr Mann, ein fleißiger Meister, und soviel sie ihn pflegen mocht', ist er doch voriges Jahr 'naus auf den Kirchhof kommen. Hinterlassen hat er ihr auch nicht viel, denn was er vordem erworben, hat die Krankheit allmählich aufgefressen … Und nun läuft sie täglich nach St. Lorenz und betet dort für ihre Toten; der Heilige mag ihr Trost geben, denn sie hat's nötig!«

Der Künstler gab ihr ein paar Heller zum Geschenk und wendete sich dann heim, seiner Werkstatt zu. Dort saß er an jenem Abende noch lange ganz still; doch als er sich endlich erhob und seinem Lager zuschritt, zeigte er einen entschlossenen Blick.

»Sie ist verlassen, wie ich;« sprach er bei sich, »was mir fehlt, wird sie gleichfalls ersehnen müssen. Wert scheint sie es auch zu sein; wenn sie also einwilligt, könnt' ich dem Rate meines Freundes Peter folgen und es mit ihr versuchen.«


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