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Fast drei Jahre waren seit jenen Ereignissen vergangen; das Weihnachtsfest 1495 stand nahe bevor. In Begleitung seiner drei Söhne Peter, Hans und Konrad, sowie zahlreicher Freunde aus dem Kreise des Nürnberger Patriziates und der Geistlichen von St. Lorenz trat der alte Imhoff in diese Pfarrkirche ein. Gegen die winterliche Kälte hatte er sich durch einen prächtigen Pelzmantel vorsichtig geschützt, doch sonst zeigte er in Bewegung und Sprache die frühere Frische und Lebendigkeit. Hatte er doch für jeden, der seiner Einladung Folge geleistet und ihn an dem Kirchenportal erwartet, einen herzlichen Händedruck und muntere Worte der Begrüßung bereit.
Erwartungsvoll näherte sich diese Schar dem Hochaltare. Auf der Evangelienseite desselben wurde sie von Adam Krafft und zweien seiner Gesellen empfangen. Dort stand, an eine Säule des Chors sich anlehnend, das große Werk, welches der Meister seinem Auftraggeber überantworten sollte; noch war es von schützender Hülle umgeben und den Blicken der Kommenden entzogen. Ein fragendes Wort Adam Kraffts, ein zustimmender Wink des alten Ratsherrn – und es fiel der Vorhang nieder, also daß des Künstlers Gebilde plötzlich vor ihren Augen stand. Nur ein Dämmerlicht hatte der unfreundliche Wintertag bisher in die hochgewölbten Hallen entsandt; jetzt schien es plötzlich, als ob die Hand des Künstlers auch die Nebelhülle vor der Sonne hinweggenommen habe; denn diese ergoß ihr Licht durch die farbigen Scheiben – erst nur einige flüchtige Strahlen, dann allen Glanz, dessen sie um Weihnachten fähig ist.
Also zeigte sich das Bildwerk sofort in vorteilhaftester Weise und offenbarte den Schauenden seine ganze Schönheit. In einer Höhe von 64 Fuß Also über 19 Meter. wuchs es zu dem Gewölbe empor mit der im Grundrisse festgehaltenen Stellung und Hauptform des Quadrates, um dann in eine gebogene Spitze, die einem Krummstabe glich, zu endigen.
Durch die Versammlung flog ein vernehmbarer Laut des Erstaunens, und auf allen Gesichtern ward deutlich erkennbar, wie ergreifend der Anblick wirkte. Man mußte, so schien es, die Deckenwölbung hinwegwünschen, damit sich das Meisterwerk wie eine prächtige Pflanze, vom Tau erquickt, dem Morgenlichte entgegenstrecken und in seiner ganzen Vollkommenheit darstellen könne. Ein von Berthold Daun gebrauchtes, sehr passendes Bild. Wie war es nur möglich gewesen, fragte man sich, die vielen zierlichen Figuren, die Türmchen, die Kreuzblumen und das Rankwerk aus Stein so leicht und zierlich aufzubauen, daß sie aus Stein gewachsen zu sein schienen?!
Lange sprach niemand ein Wort, und auch dann waren es zunächst mehr Zeichen als Worte, durch welche man dem Meister seine Anerkennung kund that.
Endlich trat Hans Imhoff der Ältere an diesen heran, drückte ihm herzlich die Hände und sprach: »Ihr habt gehalten, was Ihr versprochen! …«
»So sind wir quitt und der Verpflichtungen ledig?«
»Nein, Meister Adam; ich will Euch über meine Verpflichtung hinaus noch ein ›Ehrengeld‹ von siebzig Gulden zahlen, dazu soll Euer liebes Weib einen guten, neuen Mantel erhalten. Der Mantel, über welchen sich im Geheimbüchlein Hans Imhoffs unterm 17. März 1496 eine Bemerkung findet, kostete 6 Gulden 2 Schilling und 6 Heller. – Nun aber müßt Ihr auch meinen Freunden die Einzelheiten Euers Werkes erklären; ich selbst habe diese, indem ich Eure Werkstatt oftmals besuchte, gewissermaßen vor meinen Blicken entstehen sehen.«
Des Bildhauers Augen erstrahlten in dankbarer Freude; nun trat er vor seine Schöpfung hin.
»Der eigentliche Bau,« so begann er, »besteht in seiner ganzen Anlage aus drei Hauptteilen: Erstens aus dem auf einen Sockel gestellten Tabernakel, zweitens aus der darüber aufgeführten Bekrönung, und drittens aus der erhöhten Galerie mit Ab- und Aufgangstreppen. Für alle bildlichen Darstellungen habe ich, wie auch Herr Hans Imhoff es wünschte, dem Zwecke des Werkes entsprechend, die Leidensgeschichte unsers Heilandes zu Grunde gelegt. Diese beginnt unterhalb und findet ganz oben durch die Auferstehung des Herrn ihren Abschluß … Den Sockel habe ich nach der Vorschrift des Vertrages gestaltet – vier Stützen, zwei Stiegen und einen Gang umher.«
»Ihr habt da freilich einen Zusatz gemacht,« bemerkte der alte Imhoff lächelnd, »doch er widerspricht meinen Gedanken keineswegs!«
Er wies auf die drei lebensgroßen Gestalten, welche den ganzen Bau zu tragen schienen.
»Ihr müßt verzeihen, daß ich mich und die zwei Gesellen, welche bei dem Werke vorzugsweise thätig gewesen sind, hier unten angebracht habe.« In der Auffassung der drei untersten Gestalten bin ich der Ansicht des Nürnberger Schreibmeisters Neudörffer, welcher 1547 kurze Berichte über zeitgenössische Künstler und Kunsthandwerker seiner Vaterstadt verfaßt hat.
»Mögen die Künstler mit ihrem Werke bis zu den spätesten Zeiten fortleben!« sagte freundlich der alte Ratsherr.
»An dem durchbrochenen gotischen Geländer,« fuhr der Meister fort, »habe ich, wie es Euer Wunsch gewesen ist, Euer Wappen, dazu das Eurer beiden Gattinnen, der ehr- und tugendsamen Frauen Margarete Neuerding und Ursula Lemmlin, angebracht, auch an den Ecken acht Heilige aufgestellt, unter welchen hier St. Laurentius und St. Sebaldus, die Schutzheiligen unserer Hauptpfarrkirchen, deutlich hervortreten. An dem ›Ciborium‹ Dem eigentlichen Weihbrotbehälter. habe ich an Meister Friedrich einen Mitarbeiter gehabt, der seine Sache wohl ausgeführt.«
»Er hat,« erläuterte der alte Imhoff, »die drei schönen Gitterthüren geschmiedet.« Dafür erhielt er 20 Gulden.
»Um das Ciborium habe ich,« begann Krafft wieder, »vorn die Gestalten der heiligen Jungfrau und des Engels Gabriel angebracht, um den ›englischen Gruß‹ anzudeuten, an den hinteren Ecken schaut man den Propheten Moses mit den Gesetzestafeln und den jüngeren Jakobus …«
»Ganz köstlich,« sprach bewundernd Jörg Holzschuher, »ist der Schmuck, den Ihr über diesen vier Gestalten angefügt habt; es sind gotische Baldachine, die teils mit Türmchen, teils mit kleinen Heiligen verziert sind und wie das ganze Werk in gebogenen Spitzen endigen!«
Zufrieden lächelte der Künstler.
»Über der mittleren Thür,« schilderte er weiter, »habe ich Gott den Vater dargestellt, der aus Gewölk hervorblickt. Vom Weihbrotbehälter aufwärts sind drei Reliefbilder zu schauen, vorn das heilige Abendmahl, zu den Seiten der Ölberg und Christi Abschied von seiner heiligen Mutter und von Maria Magdalena.«
Alle schauten mit lebhafter Spannung zu diesen Bildern auf.
»Mir scheint,« rief Michel Lemmlin, »als wenn das heilige Abendmahl hier anders dargestellt wäre, wie ich es sonst geschaut hab'!«
»Wie meinst Du das?« fragte der greise Imhoff.
»Sonst erscheint der Heiland,« erwiderte sein Schwager, »meist in der Mitte des Bildes hinter einem langen Tische, und die Jünger schließen sich auf jeder Seite in zwei Reihen an. Alle sind mit dem Mahle beschäftigt, und etwas abgesondert sitzt Judas auf einem besondern Stuhle. Bisweilen sieht man diesen Verräter schon zur Thür hinausgehen oder mit dem Beutel in der Hand …«
»Ich habe,« erläuterte der Künstler, »an die Scene gedacht, da unser Heiland eben die Worte gesprochen: ›Einer von Euch wird mich verraten!‹ Nicht alle, aber doch mehrere der Jünger haben die Worte vernommen. Einige von ihnen führen darüber ein Gespräch. Der Lieblingsjünger Johannis ruht schlafend in Jesu Armen. Der Nachbar zur Rechten beteuert dem Herrn seine Unschuld; dieser aber taucht, indem er sein schmerzerfülltes Antlitz wie zur Bestätigung seiner Worte jenem zuwendet, den Bissen in den Becher des ihm gegenüber sitzenden Verräters. Das bemerkt des Judas Nachbar mit Entsetzen; einige Jünger schauen erstaunt auf des Heilands Beginnen, doch andere zeigen sich unbekümmert: der hier füllt seinen Becher, jener dort führt ihn zum Munde.« Es unterliegt keinem Zweifel, daß Leonardo da Vinci durch sein berühmtes, leider unkenntlich gewordenes Wandgemälde im Refektorium von Santa Maria delle grazie zu Mailand den von Adam Krafft gewählten Augenblick noch großartiger dargestellt hat, doch kommt ihm unser Künstler jedenfalls sehr nahe.
»Mir ist's nur möglich,« sprach Imhoff der Ältere voll Überzeugung, » diese Art der Darstellung lebhaft zu rühmen. Was kann den Kreis um unsern Heiland heftiger in Bewegung versetzt haben, als daß er, nachdem er allen die Füße gewaschen, ihrer einen des schnödesten Verrates beschuldigte? Nur dieser Augenblick oder allenfalls auch jener, in welchem er das heilige Sakrament einsetzte, durfte hier veranschaulicht werden; denn das Ostermahl an sich, welches alle Juden genossen, hatte für uns Christen keine hervorragende Bedeutung!«
»Laßt uns,« bemerkte Jörg Holzschuher, »den Abendmahlsraum nicht übersehen, welchen ich gar schön dargestellt finde. Es ist eine gewölbte Stube, von der man durch zwei große Rundbogenöffnungen auf die ferne Landschaft hinaus schaut!«
»Darf ich die Blicke dem zweiten Bildwerke zuwenden?« fragte bescheiden der Künstler, um dann also fortzufahren: »Hier nimmt der Heiland von seiner Mutter Abschied, der er sein bevorstehendes Schicksal verkündet hat. Nun will er sich gefaßt entfernen, doch seine heilige Mutter wirft sich vor ihm nieder und bittet ihn, zu bleiben. Da macht er eine abwehrende Bewegung, legt die Hand auf die Brust und entfernt sich. Die in der Nähe befindliche Maria Magdalena teilt ihren tiefen Schmerz einer andern Frau mit. Unterdessen kommen aus der mit Häusern und Türmen geschmückten Landschaft im Hintergrunde seine Jünger heran.«
»Kann diese Scene ergreifender wiedergegeben werden?« rief der alte Imhoff fast begeistert. »Und dennoch,« fuhr er fort, »muß ich dem › Ölberge‹ noch ein größeres Lob spenden, – mag es auch sein, daß ich dem Eindrucke folge, welchen dieses dritte Reliefbild von Anfang an auf mich gemacht hat. Laßt mich selber hiervon reden: Dieser Christus kann wohl kaum mit tieferer Empfindung dargestellt werden. Während er betend die Hände erhebt, blickt er gläubig zu seinem Vater empor und der drohenden Gefahr entgegen. Dabei ist seine Haltung so einfach, so natürlich; in großen, einfachen Falten fällt das Gewand an seinen Gliedern herab. Dort im Vordergrunde sieht man die Jünger im tiefsten Schlafe. Ein Holzzaun trennt den Garten Gethsemane von einer felsigen und baumgeschmückten Landschaft. Schon naht aus dem Hintergrunde Judas mit den Schergen und ist im Begriffe, das Thor des Zaunes zu durchschreiten; einer aus der Schar aber beugt sich, um Christus zu beobachten, über den Zaun vor …«
»Es ist in der That eine überaus ergreifende Darstellung,« bemerkte der Pfarrer von St. Lorenz, »und ich weiß nicht, ob hier die Kunst mehr zu preisen ist oder die fromme, tiefe Empfindung des Meisters!«
»Die Gewandung der Gestalten,« setzte Holzschuher hinzu, »ist als von stärkeren Stoffen herrührend zu denken, und dies ist ein offenbarer Vorteil der Darstellung, denn die Falten zeigen eine vortreffliche Rundung. Man sieht, daß der Künstler das Kleinliche vermieden und das Gewicht auf die Gesamtwirkung gelegt hat! … Doch unser Meister, man erkennt es, möchte selbst seine Schilderung fortsetzen. – Ich möchte ihm nur zuvor noch aussprechen, daß ich jenen Kranz bildnerischen Schmuckwerkes, den er über die drei Reliefbilder gesetzt hat, um zu seinen weiteren Darstellungen aus der Leidenszeit Jesu hinüberzuleiten, wie ein Wunderwerk an technischer Vollkommenheit anstaune. Wie kann nur die Menschenhand mit Meißel und Schlägel aus Sandstein solch phantastisches Rankenwerk nebst Türmchen und Kreuzblumen bilden?! Noch niemand hat's vorher vermocht, und niemand hernach wird's vermögen!«
»Bei ernstlichem Streben,« versetzte Krafft bescheiden, »gelingt mit der Zeit alles besser! … Auf den bildnerischen Kranz, von dem Ihr gesprochen, lasse ich einen Aufzug von dünnen Säulchen folgen. Innerhalb desselben habe ich in Rundfiguren nebeneinander die Geißelung des Herrn, die Erscheinung Christi vor dem Volke und seine Verurteilung abgebildet. Im Vordergrunde steht auf allen drei Bildern die duldende und doch ergebene Gestalt unsers Herrn; gemeinsam ist ihnen sonst die Feindseligkeit der Juden und die Roheit der Schergen …«
»Schade, daß die größere Höhe,« sagte der Pfarrer, »schwächeren Augen bereits verwehrt, die Einzelheiten dieser herrlichen Darstellungen vollauf zu würdigen und gleichsam auch in den Gesichtern der Personen zu lesen! Nicht oft genug kann der Christ namentlich den leidenden Heiland deutlich vor Augen haben, nicht nur um zu gedenken, wie viel dieser für ihn gethan hat, sondern um auch von ihm zu lernen, wie er selber sich in der Trübsal verhalten soll.«
»Um den Blicken der Gläubigen,« bemerkte der Künstler, »zur Hilfe zu kommen, bin ich eben in meinen höheren Bildwerken von den Relief- zu den Rundfiguren übergegangen, und ich möchte auch hoffen, daß diese Darstellungsweise genügt, so daß die meisten wenigstens bei ausreichendem Sonnenlichte mein ganzes Werk einigermaßen überschauen können.«
Lebhaft ergriff der alte Imhoff das Wort.
»Zwar hab' ich vor der Aufstellung des Tabernakels mich an den Einzelheiten desselben aus nächster Nähe erfreuen können und bin daher auch mit dem Kleinen wie mit dem Großen des Werkes ganz genau bekannt; aber wer's heute zum erstenmal schaut, mein' ich, hat es gleichfalls nicht schwer, sich bis zur Höhe empor zurechtzufinden und auch aus den oberen Bildern Erhebung des Gemütes zu gewinnen. Denn deutlicher und auch größer hat unser Meister die Figuren gestaltet, je weiter sein Kunstwerk zur Wölbung emporsteigt.«
»Ja, das muß ich auch sagen,« fügte Holzschuher hinzu, »daß die Gruppierung da oben sehr wohl gelungen ist; ich kann meine Blicke gar nicht wieder abwenden von diesen Rundfiguren, die in so völlig freier und lebendiger Bewegung erscheinen und eine wie die andere aufs sorgfältigste ausgearbeitet sind.«
»Darf ich die Aufmerksamkeit auf jene neun Gestalten hinlenken,« erklärte Adam Krafft weiter, »welche ein wenig unterhalb der drei Rundfigurenbilder aus dem Schnörkelkranze hervorragen? Es sind Engel, die mit den Marterwerkzeugen versehen sind. Durch eine Art Baldachin leite ich dann zu dem folgenden Aufzuge über. Diesen Übergangsbau habe ich geschaffen, indem ich den Säulchen der vorigen Abteilung Türmchen, Spitzbogen und, noch höher, allerhand Maßwerk aufgesetzt … Hoffentlich wird die Gruppe, welche das Innere des betreffenden Aufzuges einnimmt, deutlich hervortreten!«
»O, ich kann dort alles genau erkennen,« sagte Michel Lemmlin, »den gekreuzigten Heiland, dessen heilige Mutter und den heiligen Johannes, die betend zu ihm aufschauen, dazu die knieende Frauengestalt, welche händeringend und schmerzvoll zu dem sterbenden Gottessohne das Haupt erhebt.«
»Letztere Person,« fuhr der Meister fort, »stellt Maria Magdalena dar, welche nach Herrn Imhoffs Wunsch dort angebracht worden ist. An den Strebepfeilern dieser Abteilung bemerkt man etwa in gleicher Höhe mit dem Gekreuzigten die vier Evangelisten … Da sich der Aufbau der Kirchenwölbung zu immer mehr verengt, fehlte in weiterer Höhe der Raum für Gruppierungen; doch fand sich wenigstens Platz, um das Ereignis zu veranschaulichen, durch welches das Erlösungswerk des Gottessohnes vollendet worden ist. Und so bildet den krönenden Abschluß des Bildwerkes der auferstandene Christus, der Fürst des Lebens!«
»Es ist, soweit ich erkennen kann,« rief Holzschuher, »eine herrliche Gestalt, die aus Säulchen, Spitzbogen und zierlichem Maßwerk dort oben hervortritt! … Und noch mehr verengt sich darüber der turmartige Bau, bis er, sich gleich bleibend in zierlichem Steinwerk, welches in Säulchen, Türmchen, Spitzbogen oder kleineren Schnörkeln besteht, zu der Wölbung der Kirche hinaufwächst, woselbst er sich – das deutet die gewundene Spitze an – gleichsam unter deren Last beugen muß.«
Wieder lächelte der Künstler.
»Ich freue mich, Herr Holzschuher, daß Ihr meine Gedanken also zu treffen vermögt!«
»Seid versichert,« nahm Konrad Imhoff, Es ist derjenige, nach dessen testamentarischer Verordnung die Rochuskapelle zu Nürnberg erbaut wurde. der jüngste der Söhne des alten Kaufherrn, das Wort, »daß wir alle, selbst wir jüngeren, in der Bewunderung Eures herrlichen Werkes übereinstimmen.«
»Ja wohl,« bemerkte der Pfarrer, »auch ich stimme dieser Beurteilung ohne Einschränkung zu, und Ihr dürft meine früheren Worte nicht mißverstehen. Mögt Ihr die Phantasie, wie es dem Künstler zu gehen pflegt, oft zu sehr kühnem Fluge emporsteigen lassen, so habt Ihr sie doch stets wieder zu bändigen und innerhalb der Schranken der Schönheit festzuhalten vermocht. Bei den Hauptbildwerken zumal finde ich allenthalben tiefen Ernst und hohen Adel; derselbe paart sich mit trefflichem, in rechten Schranken gehaltenem Humor in Nebendingen …«
»Fassen wir diese Schöpfung lediglich als Kunstwerk auf,« begann wieder Holzschuher, »so sehe ich in ihm eine solche Fülle und Fruchtbarkeit der Erfindung architektonischer Formen, daß das Auge trotz aller Aufmerksamkeit nicht fertig werden kann, und doch stets im Ganzen den Eindruck der wunderbarsten, der durch nichts gestörten Harmonie empfindet. Vielleicht möchte man sagen, daß von dem beigefügten Schmuckwerk einiges fortbleiben könnte, ohne daß der Gesamteindruck der herrlichen Schöpfung darunter litte; dennoch aber weise ich auf das entschiedenste die Ansicht zurück, daß sich irgendwo ein überflüssiges Anhängsel oder ein gewaltsam eingeschobener Lückenbüßer finde. In allem zeigt sich eine Ungezwungenheit und Kühnheit des Aufbaus und der technischen Gestaltung, vor welcher man wie vor einem Rätsel steht; denn es wird uns ja versichert, daß selbst das äußerste, frei in die Luft hinausragende, zierlichste Giebelblümchen aus jenem Sandstein besteht, welcher in der Nähe unserer Stadt für den Meister gebrochen worden ist.« Vgl. die Ausführungen von Prof. Fr. Wanderer über das Kunstwerk.
»Wie der Künstler,« fügte der greise Imhoff ein, »jene zarten Gestaltungen fertig gestellt, habe ich mehrfach beobachten können. Sie sind nicht minder Meisterstücke der Geduld als der Kunst. Wer von Euch eine der vielen gewundenen Fialen in der Nähe betrachten könnte, würde kaum entdecken können, daß sie aus zehn und mehr kleinen Teilchen vermittelst eines durch dieselben gebohrten Öhrs an einem Eisendraht aneinander gereiht und daß, um die Täuschung vollkommen zu machen, die schwachen Fugen zwischen ihnen mit Blei ausgegossen sind.«
»Da, wie ich hörte,« sagte Michel Lemmlin, »die drei knieenden Gestalten, unter welchen unser Meister Adam vorzüglich getroffen ist, eine ungeforderte Zugabe des letzteren bilden, so möchte ich auch auf die liebliche Täuschung verweisen, als wenn der ganze kunstvolle, hochragende Aufbau ohne sie in sich selber zusammenstürzen müßte.«
* * *
Eine lange Zeit der Betrachtung war vorübergegangen, und doch schien es, als ob die Versammelten sich von dem Meisterwerke nicht zu trennen vermöchten.
Endlich sagte der greise Stifter desselben: »Glücklich schätz' ich mich heute, daß mein Auftrag ausgeführt worden ist, ehe ich ins Grab sank. An jenem Tage, da zwischen mir und dem Meister der Vertrag darüber abgeschlossen ward, habe ich keinen heißeren Wunsch besessen als den, das große Werk noch vollendet an dieser heiligen Stätte aufgerichtet schauen zu dürfen. Dieser Wunsch hat nur erfüllt werden können, weil unserm Meister nicht bloß unübertreffliche Kunst, sondern auch unermüdlicher Fleiß verliehen worden ist. Und auch für letzteren danke ich ihm herzlich.« Die Nachweise B. Dauns lassen es als sicher erscheinen, daß das Tabernakel in der festgesetzten Zeit von drei Jahren, also auch mehrere Jahre vor des Stifters Tode, vollendet ist.
Innig drückte er Adam Krafft die Hände und schritt dann, allen anderen voraus, zu den Pforten des Gotteshauses.
Als der Meister hernach in sein Haus trat, eilte ihm seine Ehefrau entgegen. Sie fand ihn überaus ernst, fast konnte man ihn für traurig halten.
»Adam, lieber Adam,« rief sie fast erschrocken, »wie hat man Dein Tabernakel gefunden?«
»Magdalen', man hat sich überboten in großem Loben und Rühmen.«
»Adam, das verdienst Du selbst und ebenso Deine Schöpfung.«
»Nein, Magdalen', es ist doch viel zu viel gewesen! … Gearbeitet hab' ich ja redlich und mancherlei Stücke hinzugefügt, die nicht verlangt waren; weiß auch, daß ich in kürzerer Zeit und mit geringerem Fleiße das Geld hätt' verdienen mögen, das mir der alte Herr Imhoff versprochen; – aber wo bleibt die Vervollkommnung, die jeglicher Künstler doch anstreben muß, wenn diese Leute gar nichts auszusetzen finden?«
»Laß gut sein, Adam, Du darfst nicht zu bescheiden sein. Hast Du doch soeben erst gesagt, daß Du weit über die Ansprüche hinausgegangen bist, die der Stifter des Gehäusleins gestellt hatte, und Tag für Tag hab' ich beobachten können, wie Dein Werk Dir alles, Dein eigner Vorteil Dir nichts galt. – Nicht will ich nun fragen, wieviel Gewinn Dir verbleibt, wenn Du den Gesellen gelohnt und noch einige Schulden, die verblieben sind, gezahlt hast!«
»Magdalen', die ausbedungene Preissumme ist mir von den Imhoffs schon ausbezahlt worden, Schulden könnt' ich also nicht mehr davon gut machen; doch ein ›Ehrensold‹, den mir der alte Herr versprochen, soll nun dazu dienen. Übrig behalt' ich auch dann freilich nichts; aber den wahren Künstler darf das nicht bekümmern! So, wie Du vorhin gesagt hast, muß er es auch halten: Sein Werk muß ihm alles, der Gewinn aber wenig gelten! Kommt es so, wie heute die Beschauer meinten: daß mein Bildwerk in St. Lorenz ein dauerndes Denkmal für mich sein wird, so mag immerhin mein eigen Dasein in Dürftigkeit eilig verlaufen.«
Da schlang sie herzlich die Arme um ihn.
»Mein Adam, Gott mag das verhüten!« Das Sakramentshäuschen Kraffts ist noch jetzt verhältnismäßig gut erhalten, dennoch ist es schon oftmals (schon 1501) ausgebessert worden, zuletzt 1837/38. Man hat etwa fehlende Teilchen vorsichtig in Gips ersetzt. Vorzüglich sind besonders die Bildwerke des oberen Teils erhalten, so daß die volle Schönheit dieses Meisterwerks noch erkannt zu werden vermag. Der verwendete Sandstein ist sehr feinkörnig, fett und von grünlich-grauer Farbe; er hat sich zu dem Werke recht wohl geeignet.