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II.

. »Meister, das Herz wird mir warm, und meine alten Augen füllen sich mit Thränen der Rührung und Andacht, wenn ich die ›Passionen‹ schau', die Ihr da auf den Blättern entworfen und teilweise auch in Holzgeschnitz ausgeführt habt! Ihr würdet der rechte Mann sein, um meinen Plan zu vollführen!«

So rief Martin Ketzel aus, als er selbigen Tages am Nachmittag in Veit Stoß' Werkstube stand.

Der Meister blickte befriedigt zu seinem Gaste hinüber. »Daß ich Euch gern dienen möcht', dessen könnt Ihr im voraus versichert sein! Wollt Ihr eine ›Passion‹ stiften zu St. Lorenz, St. Sebald oder vielleicht bei St. Ägidien, wenn Ihr nicht das Kloster der Augustiner- oder Dominikanerbrüder vorziehet?«

»Meister, im Freien soll das Werk stehen – allen Mitmenschen zur Erhebung!«

»Dann müßt' es also von Stein hergestellt oder in Erz gegossen werden.«

»In Stein, denk' ich, soll's gemeißelt sein, und nicht ein einfach' Bild stell' ich mir vor, das nur den Gottessohn am Kreuze zeigt, von den Schächern umgeben, und etwa drunter Johannes, den Apostel, mit der allerheiligsten Jungfrau als Schmerzensmutter, – sondern den ganzen Leidensweg, die ›Sieben Fälle‹, so unser Heiland für uns durchgemacht hat, will ich geschaffen haben. Genau, wie ich mir's schon fern im heiligen Lande vor Augen gestellt.«

»Ein großes Werk habt Ihr Euch da vorgenommen, das, wie ich's mir in den Gedanken zurechtlegen mag, eine meisterliche Hand erfordern wird!«

»Die habt Ihr, Meister Veit, das zeigen die Werke hier ringsum!«

»Aber die Zeit, lieber Ketzel …«

»Die müßt Ihr Euch nehmen – und lohnen will ich's Euch reichlich, soweit meine Mittel es zulassen!«

Veit Stoß war immer ernster geworden.

»Glaub' wohl, daß Ihr nicht geizen wollt, lieber Ketzel; aber ich will ganz redlich zu Euch reden. Ihr selber wißt wohl, daß mir's am liebsten ist, Kruzifixe in Holz zu schnitzen, dergleichen Ihr bei mir hier sehen mögt; in Stein meißle ich zwar auch, doch minder häufig. Das ist das eine; ein anderes fällt noch mehr ins Gewicht. All mein Schnitzwerk, und was ich sonst schaffen thu' – begehrt ist's ja in unserer Vaterstadt und drüber hinaus –, jedennoch bringt mir's nicht allzu viel ein, und reich kann man dabei nicht werden. Das ist nun auch gar nicht mein Begehren, aber was sein muß, muß sein! Mein Weib hat mir viel Kinder beschert, und die haben hungerige Mäuler; ich muß sie stopfen. Da reichen die wenigen Gulden nicht aus, die mir hier für eine ›Passion‹ gezahlt zu werden pflegen. Anderswo läßt sich das Geld leichter und reichlicher verdienen. Drum bin ich gesonnen, nach Polen, wo mein Weib heimisch ist, zurückzukehren und vielleicht in Krakau meinen Wohnsitz zu nehmen, das begüterte Bürger, große Kirchen und reiche Klöster hat und mir, als ich früher dort war, immer lohnende Beschäftigung gegeben hat. Man zieht ja nicht gern aus der Vaterstadt fort; aber es geht nun einmal nicht anders.«

Martin Ketzel hatte solches nicht gern vernommen.

»Seid Ihr entschlossen, nächstens schon von dannen zu ziehen?« fragte er traurig.

»Bestimmen kann ich den Tag zwar noch nicht, doch wird's wohl schon bald sein.« Veit Stoß hat 1477 sein Nürnberger Bürgerrecht aufgegeben, um nach Krakau überzusiedeln; nur vorübergehend ist er 1486 wieder in Geschäften zu Nürnberg gewesen, und erst 1496 hat er sich dort wieder als Bürger aufnehmen lassen.

»Meister, ist das Eure unumstößliche Absicht?«

»Es läßt sich nicht ändern, lieber Ketzel. Und daher seht Ihr selbst ein, daß ich, so leid es mir thun mag, Euern Plan nicht mehr ausführen kann; denn der erfordert lange Zeit hindurch eine gar emsige Thätigkeit!«

»Könnt Ihr mir nicht wenigstens raten, wer mir statt Eurer zu Diensten bereit und, mehr noch, zu dem Werke auch geschickt sein möcht'?«

»Einen trefflichen Gesellen, der schon Meister zu sein verdiente, hab' ich öfter beschäftigt …«

»Ist's ein gewisser Adam Krafft, von dem Meister Michael, der Maler, mir heut' morgen gesprochen hat?«

»Den eben mein' ich …«

»Und Ihr glaubt, daß er alles schaffen könnt', wie es sein muß?«

»Ich weiß keinen andern, der so vortrefflich in Stein zu meißeln vermag – und der Stein ist doch spröder als Holz, darin ich zu arbeiten gewohnt bin!«

Da ließ sich der Ketzel des jungen Künstlers Wohnung nennen, drückte dem Meister Veit zum Abschiede die Hand und eilte von dannen.

»Wenn Meister Michael und Meister Veit ihn empfehlen,« sprach er befriedigt vor sich hin, »so wird man's mit ihm schon versuchen können; aber freilich soll er noch jung sein. – Wenn er meinen Gedanken nur recht auffaßt und würdig durchführt!«

* * *

Am Abend dieses Frühlingstages trat Adam Krafft rüstigen Schrittes bei Ketzel ein, welcher denselben hatte einladen lassen, daß er nach Feierabend bei ihm vorsprechen möchte. Einen Augenblick hatte der junge Künstler freilich den Kopf etwas bedenklich geschüttelt. Das war ja derselbe Alte, welcher mittags vorübergeschritten, als ihm seine Magdalena das Stelldichein gab. Sollte er in der Sache mit ihm reden wollen? Doch er lachte sofort auf über diesen Gedanken. Den Vater Martin ging sein Liebeshandel doch gar nichts an, und nun blieb nur die Möglichkeit übrig, daß die begehrte Unterredung mit einer Kunstangelegenheit in Zusammenhang stand. Schon wollte er hoffen, daß die himmlischen Mächte sich seiner Liebe angenommen, doch er dämpfte diese beglückende Stimmung und sagte zurückhaltend zu sich selbst: »Ist's etwas Gutes, so kommt die Freude hernach noch rechtzeitig genug – will's vorerst abwarten!«

Ketzel machte große Augen, als der Bildhauer vor ihm stand. »Ihr seid Adam Krafft?« fragte er wenig freundlich. »Mir deucht, daß ich Euch heute schon einmal sah!«

Das setzte den jungen Mann nicht in Verlegenheit. »Ganz recht, Herr Martin, Ihr schrittet heute mittag nicht weit von mir vorüber der Stadt zu!«

Des Alten Antlitz erhellte sich nicht.

»Es pflegt gerade kein fleißiger, kein ernster Gesell zu sein, der schon am Mittage für Liebeshändel Zeit findet, und ich suche einen gewissenhaften Künstler von frommem Sinne, der seine ganze Kraft an die erhabensten Aufgaben wendet!«

»Gestrenger Herr, mein liebes Mädchen war's, das ich zum Eheweibe zu nehmen gedenke, sobald es die Verhältnisse gestatten, und eine wichtige Nachricht wollte mir die Jungfrau bringen!«

» Wichtige Nachricht! Was haltet Ihr Weltkinder nicht alles für wichtig! Wollen sich sehen, sich kosen – das ist ihnen die Hauptsache! Und dann wird gelacht und gescherzt; ›an das eine, was not thut‹, aber denkt man nimmer!«

Der junge Künstler dachte, daß er für eine solche Unterredung, wenn er sie vorausgesehen, wohl keinen einzigen Schritt gethan haben würde, und da ihm die Geduld auszugehen drohte, sagte er fast trotzig: »Sehr willkommen war mir's, – was soll ich's leugnen? – das Mädchen wiederzusehen, da es eins der besten hier in Nürnberg ist; doch die Kunde, die es mir gebracht, war zu Scherz und Kurzweil nicht grad' angethan! Aber Ihr sprachet, Herr Martin, sofern ich mich recht erinnere, von Aufgaben, die Ihr einem gewissenhaften Künstler zu stellen gedächtet; nach dem flüchtigen Blicke, den Ihr mir heut' mittag gegönnt habt, werdet Ihr schwerlich urteilen können, daß ich dazu unbrauchbar bin!«

Nun lenkte der Alte zusehends ein.

»Zugeben will ich Euch, daß Meister Michael, der Maler, und Meister Veit, der Bildschnitzer, Euch mir empfohlen haben, und wenn Ihr dem Werke gewachsen zu sein glaubt, das mir vorschwebt, braucht mich's ja wohl nicht zu kümmern, daß Ihr ein Mädchen liebt und zu Eurer Hausfrau zu machen gedenkt!«

Und darauf begann er den jungen Künstler über seine bisherigen Arbeiten zu befragen, und ob er sich getraue, an ein Werk zu gehen, welches lange, emsige Thätigkeit und mehr noch einen großen, frommen Sinn und eine kunstreiche Hand voraussetze.

So kamen die beiden allmählich in eine rege und lebhafte Unterhaltung, deren Ende es war, daß Martin Ketzel seine ursprünglichen Bedenken fast ganz aufgab und daß Adam Krafft, als er zu später Stunde den Alten verließ, ziemlich sicher zu sein glaubte, den großen Auftrag desselben zu erhalten.

»Kommt nur morgen mittag wieder zu mir,« – hatte Ketzel beim Abschiede gesprochen, – »da mögt Ihr mir einige von Euern früheren Entwürfen vorlegen, und dann gehen wir miteinander vors Tiergärtnerthor, um über die Plätze zu reden, an denen die ›Siebenfälle‹ aufgestellt werden können! Bis dahin suche ich unter meinen alten Papieren die Maße hervor, so ich im Jahre 1460 von meiner Reise im Gefolge Herzog Ottos von Bayern aus dem gelobten Lande mitgebracht hab'.« Nach der Ketzel'schen Gedenktafel in der Johanniskirche fand diese Pilgerfahrt im Gefolge des Herzogs Otto II. von Pfalz-Neuburg 1468 statt, in Wirklichkeit aber war sie schon 1460.

Ein kühler, scharfer Ostwind wehte durch die Straßen, als Adam Krafft dieselben durchschritt; doch er empfand die kühle Temperatur, welche nahezu den Nullpunkt erreicht haben mochte, nicht, denn sein Herz war warm von Freude und Hoffnung. Die bedeutende Aufgabe, welche ihm gestellt werden sollte, erhob ihm die Seele, und dabei dachte er auch an sein Mädchen, das er nun erobern zu können gewiß war. Eben stieg der Mond empor, durchbrach im Vollglanze die verhüllenden Wolken und goß seinen Silberschimmer über die Dächer, Zinnen und Türme der gewerbfleißigen Reichsstadt.

Da kam ihm der Gedanke, daß er seinem Mädchen die günstige Wendung, die, wie er meinte, nun eingetreten war, sofort mitteilen müsse. Wie dies möglich sein werde, darüber machte er vorerst sich gar keine Sorge – und schon stand er vor dem Vaterhause Magdalenas. Dort das Fenster im Giebel gehörte zu ihrem stillen Gemache, doch wie ließ sich die Holde benachrichtigen, ohne daß es andere vernahmen? Glücklicherweise ist ein Künstler, besonders ein jugendlicher, in solchem Falle nicht ratlos. Hurtig griff er in sein Wams, zog sein Taschentuch hervor, verknüpfte es in mehrere Knoten und schleuderte es dann zu dem Fenster empor. Leise, doch vernehmbar genug schlug es an die Butzenscheiben, – nicht kräftiger, als ob der Finger eines lieben Gastes anklopfe, der Einlaß begehrte. Und als das Tuch wieder herabfiel, hielt er es zu einem ferneren Versuche bereit, doch vorerst lauschte er gespannt, ob vielleicht schon ein Erfolg erzielt sei. Und siehe, jetzt öffnete sich vorsichtig das Fensterlein, und, vom milden Schimmer des Mondlichtes hold übergossen, zeigte sich Magdalenas schlanke Gestalt an der Öffnung. Ein schneeweißes Tüchlein umhüllte ihr Haupt, ein ebensolches Gewand wallte an ihrem Körper herab. Es war ein Bild, wie es sich der Künstler wünscht, um das Herz mit Begeisterung für die bildliche Darstellung zu erfüllen. Adam Krafft schaute seine »Madonna« leibhaftig, wie sie durch seinen Meißel aus dem leblosen Gesteine erst noch erstehen sollte. Schon hatte sie ihn erkannt, winkte ihm anmutig zu, aber bewegte sofort auch warnend den Finger. Da erhob der Künstler sein Haupt, legte die Hände geschickt zu einer Art Sprachrohr um den Mund und begann in kurzen, abgerissenen Worten den Grund seines Kommens emporzuflüstern. Sie hatte das Ohr mit den weißen Händen genügend unterstützt, um die Mär zu vernehmen, und sie lächelte gar süß dazu. Dann flüsterte sie eilige Antwort hinab: »Dank Dir, mein Adam, für die frohe Kunde – doch nun zieh' Dich schnell zurück, damit wir nicht belauscht werden, was mir üble Nachrede und den Zorn meines Vaters erregen müßte!«

Nochmals winkte sie holdselig und schloß dann schnell und leise das Fenster. Eingedenk der Warnung Magdalenas, zog sich Adam nun gleichfalls zurück, seiner Wohnung entgegen. Da kreuzten heitere Burschen seinen Weg, Gesellen aus den Werkstätten der Meister Wolgemut, Lindenast und Stoß, dazu Peter Vischer, der junge Erzgießer. Kaum hatten sie Adam Krafft erkannt, als sie ihm den Weg verlegten.

»Holla!« rief Peter Vischer, »Du kommst uns eben recht! In unserer gewöhnlichen Trinkstube gilt noch die Winterordnung; der Wirt wies uns um neun Uhr die Wege, weil er Furcht vor der gestrengen Obrigkeit hat. Doch da wir behaupten, daß die Sommerordnung beginnt, sobald draußen die Lerchen trillern und die Frühlingsblümlein aufbrechen, suchen wir jetzt einen entgegenkommenderen Wirt, und werden ihn auch zu finden wissen!«

»Wahrscheinlich,« bemerkte Krafft lachend, »standet Ihr bei Euerm Wirt schon so tief in der Kreide, daß er einen Vorwand suchte, Euch los zu werden! – Übrigens ist's für den ruhigen Bürger Zeit, daß er sein Lager aufsucht, und auch ich beabsichtige, dies zu thun.«

»Seht Ihr, daß Krafft ein Spießbürger wird!« rief ein junger Maler. »Man findet ihn gar nicht mehr in unserm Kreise, und es heißt, daß er verliebt sei und ein Eheweib nehmen wolle!«

»Wenn es so wäre,« erwiderte der Bildhauer bitter, »so würde es Dich schwerlich etwas angehen! Freilich wird's voraussichtlich noch lange währen, bis Du Dir die Hörner abstößest – wenn's überhaupt jemals dazu kommt!«

»Gemach, Ihr Freunde!« rief Peter Vischer dazwischen. »Ihr dürft mir hier keinen Streit anfangen! Unser Adam ist älter als ich und die meisten von Euch, und gereifter ist er gleichfalls; wir dürfen's ihm nicht verübeln, wenn er eher an eine Hausfrau denkt als wir! – Das aber sei Euch anderen gesagt: Ein Spielverderber ist er auch jetzt noch nicht, und ich behaupte, daß er uns begleitet, wenn wir ihn, wie sich's gehört, darum bitten. Übrigens haben wir, glaubt mir, keine Zeit zu verlieren. – Komm mit, Adam!« wendete er sich an Krafft, »Du wirst hinreichend ausschlafen, wenn Du Deinen Freunden ein knappes Stündlein schenkst!«

»Mir soll's recht sein!« lachte der Bildhauer. »Schlecht bin ich nicht gerade gelaunt, – wenn Ihr mich behandelt, wie der Freund von dem Freunde erwarten darf …«

»Ich bürge dafür!« gab Vischer zurück, ergriff Krafft am Arme, und die Schar zog durch die einsamen Straßen weiter, einem verborgenen Schenkhause zu, in welchem auf mehrfaches Pochen der Wirt auch bereit war, die durstigen Kehlen durch einige Becher Würzburger Weines zu letzen. Nicht mit Unrecht hegte er die Annahme, daß die gestrengen Herren, welche dermalen auf dem Rathause herrschten, lebenslustigen Künstlern gegenüber ein Auge zudrücken würden.

Adam Krafft war, das zeigte sich bald, kein vorzeitiger Kopfhänger, plauderte in ungezwungenem Tone und that redlich jedem der lustigen Gesellen, wie es sein muß, Bescheid. Denn es verträgt sich von jeher mit der wahren Kunst, so ernste und erhabene Aufgaben sie sich stellen mag, daß die Lebensfreude mit leichten, freien Schwingen in ihre heiligen Hallen hinüberschweben darf.

Als dann unser Bildhauer später als sonst sein Lager aufsuchte, mischten sich in seinen Träumen wunderbare Bilder miteinander. Neben der holden Gestalt Magdalenas tauchte der ernste, ehrsame Ketzel auf, von Madonnen und Christusgestalten umgeben, die des Künstlers Hand ihm gemeißelt, – und dann erschien wieder der heitere Jüngling, der unsern Bildhauer in den Kreis übermütiger Genossen mit fortgezogen hatte. Alles in allem war Adam Krafft mit den Schlummergestalten nicht weniger zufrieden als mit den wechselvollen Ereignissen des vorangehenden Tages.

Ziemlich zeitig am Morgen erhob er sich, stellte eine Anzahl früherer Entwürfe zusammen und begann dann mit dem Silberstifte auf Papier eine Zeichnung herzustellen, die dem Gedankenkreise Ketzels entsprach. Gegen Mittag packte er eine Mappe voll Blätter und schritt dem Hause des frommen Alten entgegen.

Er fand diesen in einer Art Museum. Auf Tischen und Stühlen waren zahlreiche Kästchen und Päckchen ausgebreitet, auf welchen jahrelanger Staub lag und die offenbar nach andauernder Ruhe soeben erst hervorgekramt waren. Ein Kind der neueren Zeit würde wohl von solchem »Kram« den Blick geringschätzend abgewendet haben; Ketzel aber ließ die Sächelchen vorsichtig durch seine Hände gleiten, und auf mehr als einem ruhten seine Augen mit Wohlgefallen, ja mit rührender Andacht. Dem Künstler entgegentretend, sagte er mit wehmütigem Ausdrucke: »Alles, was Ihr da schaut, stammt aus dem Lande, wo unser Erlöser gewandelt und gelitten hat. Mir wird beim Anblick dieser Erinnerungszeichen ganz eigentümlich zu Mute. Eins wie das andere trägt genaue Bezeichnung des Ortes, von dem ich's mitgebracht hab', und wenn ich die Schrift ablesen thu', steht mir der betreffende Ort wieder lebendig vor der Seele! – Seht hier den Splitter eines Holzwerks; ich hab' ihn an der Stelle gefunden, da Christus gekreuzigt ward. Dieses Steinlein hob ich auf in der Nähe des heiligen Grabes; wer weiß, ob es nicht auch von dem heiligen Fuße des Gottessohnes berührt worden ist! Hier ein Zweiglein Olivenholz ward im Garten Gethsemane gepflückt, allwo der Heiland im Gebete rang, bevor er von Judas verraten wurde. Auch ein Palmblatt von dem Ölberge schaut Ihr hier; der Baum, von welchem es geschnitten ist, stand ebenda, wo am Palmsonntage der Herr vorüberzog nach Jerusalem, dem Leiden und Sterben entgegen.«

Er hielt plötzlich inne und blickte traurig auf den Künstler: » Eins bekümmert mich tief, lieber Krafft: daß ich die Maße nicht finden kann, nach welchen die heilige Passion, sobald sie von Euch angefertigt ist, aufgestellt werden muß. Von dem Hause des Landpflegers Pilatus hab' ich dorten in der heiligen Stadt bis zum Kalvarienberge hin für jegliche Station die Entfernung sorgsam aufgenommen; denn schon damals hielt ich dies für wichtig genug, wenngleich der große Plan, den Ihr nun ausführen sollt, von mir erst neuerlich gefaßt ward. Was soll nun werden, wenn die Maße sich nicht wiederfinden?«

Krafft suchte den Alten zu beruhigen: »Sollte nicht das Bildwerk die Hauptsach' sein? Ich möchte meinen, daß dieses, sofern es recht ausgeführt worden, das meiste wirkt, um die Herzen andächtig zu stimmen. Die Entfernung der einzelnen Fälle voneinander könnten wir ja so nehmen, wie einsichtige geistliche Herren, deren wir genug in dieser Stadt haben, dies ratsam finden!«

Martin Ketzel schüttelte abwehrend das Haupt: »Ein unvollkommen', ein stümperlich' Werk nur würd's dann sein, ob Euer Meißel noch so Vollkommenes geschaffen hätt'! Nur dann kann der Gläubige zu seinem Heile des Herrn Leidensweg nachwandeln, wenn dieser auch genau mit demjenigen übereinstimmt, auf welchem er selbst zu seiner Kreuzesstätte gelangt ist! Deshalb, lieber Krafft, kann's auch nichts nützen, daß wir jetzt zusammen hinaus vor das Thor gehen. Erst muß ich die Maße weiter suchen.«

»Und wenn Ihr sie nicht finden solltet?« wagte der Künstler zu fragen.

»Dann muß ich nochmals gen Jerusalem ziehen, die Maße aufs neue aufzunehmen.«

Ein Schrecken durchzuckte den Künstler. »Wollt Ihr das heilige Werk, welches Ihr in unserer Vaterstadt aufzurichten gedenkt, wirklich so lange aufschieben

»Es geht nicht anders, lieber Krafft; ohne die Maße ist nichts zu thun!«

Und während der Künstler ernsten Blickes dabei stand, begann er aufs neue mit größtem Eifer ein Päckchen nach dem andern zu durchstöbern und von allen Seiten zu betrachten. Hernach schüttete er einen alten Kasten, welcher daneben stand, aus und prüfte dann jedes Partikelchen, das hierdurch zum Vorschein kam. Doch dabei wurde er nicht heiterer.

Eine erhebliche Zeit war auf diese Weise vergangen; der arme Künstler hatte sie in stummer Erwartung verbracht. Jetzt richtete sich der Alte auf, atmete tief und sagte tonlos: »Die Maße fehlen – sie sind mir wirklich verloren gegangen; ich muß sie zum zweiten Male holen

»Wollt Ihr nicht meine Entwürfe betrachten?« forschte der Künstler.

»Laßt mir Eure Mappe da; in diesem Augenblick bin ich zu aufgeregt und angegriffen, um einen Blick hineinzuthun. Wir sprechen dann nächstens einmal darüber. Für jetzt, lieber Krafft, will ich Euch nicht weiter bemühen!«

Er reichte dem Bildhauer die dürre Rechte und entließ ihn mit einem Händedruck.

In gedrückter Stimmung wanderte Adam Krafft aus Ketzels Hause. Die Angelegenheit hatte eine Wendung genommen, die seinen Hoffnungen und Wünschen nur wenig entsprach. Einen Augenblick blieb er stehen; er hatte nur wenig Lust heimzukehren. Da redete ihn ein Mädchen an, nannte einen Namen, der ihm teuer war, und übergab ihm ein Brieflein, welches bekannte Züge trug. Rasch brach er es auf und las die Worte: »Erwarte mich heute abend 6 Uhr am bekannten Orte. Deine Magdalena.«

Das war ja keine unwillkommene Mitteilung, jedoch gingen ihm gleich darauf einige Bedenken durch den Kopf. Sicherlich wollte das gute Mädchen seine Freude über die vielversprechenden Aussichten, welche er noch zu später Stunde gemeldet, ihm persönlich ausdrücken – und nun mußte er kommen und sagen, daß dieselben in eine weite Ferne entrückt seien. Das gefiel ihm so gar nicht. Sollte er in dieser Stimmung zu seiner Arbeit zurückkehren? Nein, nein, wenn die »Siebenfälle,« die er für den alten Ketzel schaffen sollte, voraussichtlich gar keine Eile hatten, so hatte er auch wenig Lust, jetzt für dieselben Skizzen zu machen, zu modellieren oder gar schon Meißel und Schlägel zu führen. Und da die Frühlingssonne so überaus mild und belebend auf die Erde herniederschien, konnte er nicht widerstehen; zum Tiergärtnerthore hinaus lenkte er die Schritte, eben dahin, wo ihn der Alte über die beabsichtigte »Passion« näher hatte bescheiden wollen. Unwillkürlich blieb er an dem Ketzelschen Garten stehen, schüttelte über den schrulligen Greis, der um der Maße willen nochmals die Beschwerden einer Pilgerfahrt nach Jerusalem auf sich nehmen wollte, lächelnd das Haupt und wanderte dann weiter hinaus in die Flur. Sein Blick fiel auf einige Frühlingsblumen, und er bückte sich, dieselben zu brechen, um sie am Abend seinem Mädchen mitzubringen. Dann erhob er fast erstaunt seine Augen gen Himmel; war es auch nur eine Lerche, die leicht beschwingt in die klaren Lüfte emporstieg, sie sang so schön, so hoffnungsfreudig, daß er gern einige Augenblicke lauschte. Wie kam es denn eigentlich, daß er so selten auf die lieben Vöglein geachtet, daß er sich während dieser Zeit des Erwachens und Wiederauflebens der Natur in die einsame Werkstatt, unausgesetzt in die bedrückende Enge der Straßen und Häuser hatte zurückziehen können? »Die Kunst!« sagte er leise, aber nicht im bittern Tone, denn sie hatte ihm immer als heilig, als göttlich gegolten, und auch in diesem Augenblicke erschien sie ihm noch immer jedes Opfers wert. Aber der Gedanke blieb ihm zugleich in dem kunstsinnigen Herzen haften, daß es gütige Absicht der Vorsehung sei, den rüstig schaffenden Geist des Künstlers ebenso durch die Natur zu erfrischen, wie durch den erwärmenden Strahl der Liebe zu befruchten.

Da klang ein heit'rer Gesang ihm entgegen, der einem auf der Straße daherkommenden frischen Gesellen entstammte.

O du wunderbarer, du lieblicher Held,
Der den Winter, den Winter bezwungen,
Entführst unsre Füße in Wald und in Feld,
Begeisterst die Alten, die Jungen!
Drum sei dir in alle Ewigkeit,
O Frühling, das schönste der Lieder geweiht!

Nun ade, ihr Eltern, Geschwister und Freund';
Wie vermöcht' ich noch länger zu bleiben?
Seht, wie die Sonne die Blümlein bescheint,
Die Vöglein ihr' Kurzweile treiben!
Jetzt hält nur ein Schächer im Schlupfe es aus;
Den Guten, den Fröhlichen treibt es hinaus!

Ich will wandern, wandern von Lande zu Land,
Bis die Blätter sich herbstlich verfärben,
Und reicht' mir das rosigste Mägdlein die Hand,
Ich ließ' mich nicht dauernd erwerben!
Im Lenze der rechte Wandersmann
Sich Küsse nur stiehlt auf der flüchtigen Bahn!

Wohl manchmal nickte der Künstler wie zustimmend zu den Worten dieses Liedes; denn daß es ein lustig Ding um das Wandern sein müsse, ging ihm gerade heute auf, doch bei den letzten Worten schüttelte er sehr entschieden das Haupt: Wenn du eine Magdalena gefunden hättest, würdest du nicht auf so flüchtigen, wechselvollen, ja hinterlistigen Minnegewinn sinnen!

Und mit diesen Gedanken lenkte er seine Schritte froher und zufriedener, als er gekommen, zur guten Stadt Nürnberg zurück.

Am Abende brachte er einen ganzen Schatz tröstlicher Gedanken, die er seinem Mädchen trotz Martin Ketzel vorführen wollte, zu dem Stelldichein mit. Doch, wunderbar genug, es gelang ihm gar nicht, dieselben anzubringen. Denn kaum war Magdalena erschienen, als sie in lebhaftester Weise zu erzählen begann, und der Künstler wagte nicht, sie zu unterbrechen.

»Weißt Du, lieber Adam, ich konnte, nachdem Du mir Deine günstigen Aussichten verkündet hattest, vor Freude lange nicht schlafen, und dann sah ich mich in vielen schönen und wechselreichen Träumen als Frau an Deiner Seite, saß neben Dir, während Du Deine Madonnen und Kruzifixe meißeltest, und machte Dir Dein fleißiges Leben recht glücklich. Als ich endlich am Morgen erwachte, konnte ich die Zeit gar nicht erwarten, wo ich meinem Vater alles, was ich von Dir wußte, mitteilen durfte. Dazu fand sich auch bald Gelegenheit. Ich begegnete ihm auf dem Wege nach seiner Werkstatt und bot ihm frohen Morgengruß. Da sah er mich freundlich an und sprach: ›Lieb ist's mir, daß Du heute so munter drein schaust!‹ – ›Vater,‹ antwortet' ich, ›das kommt, weil ich gut geschlafen hab'.‹ – ›So, so,‹ fragt' er, ›ist's nicht immer an dem?‹ – ›Lieber Vater,‹ gab ich zurück, ›Ihr wißt ja, um was ich mich die Tag' her immer bekümmert hab'!‹ – Erst schaut' er etwas finsterer drein, dann aber macht' er wieder ein freundliches Gesicht – denn, lieber Adam, Du kannst glauben: bös und hart ist er eigentlich nicht! › Geduld, Magdalen',‹ sprach er, ›solltest Du wenigstens haben!‹ – ›Daran, Vater, soll's mir nicht fehlen,‹ sagt' ich, ›wenn ich nur hoffen darf!‹ – Schon wollt' er fortgehen, und ich überlegte noch, ob ich ihm gleich alles mitteilen sollt', als er wieder stehen blieb und fragte: ›Was war denn das gestern abend draußen? Es mocht' zwischen neun und zehn Uhr sein, da schien mir's, als ob droben im Giebel das Fenster aufgegangen wär', und ein Sprechen glaubt' ich auch zu vernehmen, obwohl's sehr leise war.‹ Dabei sah er mir eigentümlich ins Gesicht, doch gar nicht böse. Nun faßt' ich mir schnell ein Herz: ›Vater, was soll ich's leugnen, mein Adam hat da vor dem Haus gestanden und mit einem Tüchlein ans Fenster geworfen, auf daß ich's öffnen thät'; denn was Wichtiges hätt' er mir zu melden.‹ Da droht' er mit dem Finger, aber war immer noch nicht böse. ›Hab' mir's wohl gedacht! Wird was Rechtes gewesen sein, das er Dir melden wollt'!‹ Nun erzählt' ich ihm alles, was ich von Dir wußt', und er unterbrach mich nicht und sagte am End' nur: ›Wollen seh'n, ob es sich also verhält!‹ Damit ging er fort. Hernach hab' ich's auch der Mutter berichtet, und sie hat mir versprochen, auf den Vater einzuwirken. Gegen Mittag ist der Vater ausgegangen, und als er zurückgekommen, hat er mit der Mutter eine Unterredung gehabt. Die hat mir hernach gesagt: ›Dein Vater ist wie umgewandelt. Mit Meister Michael, dem Maler, und Meister Veit, dem Bildschnitzer, hat er gesprochen, und die haben Deinem Adam das beste Zeugnis ausgestellt und auch bestätigt, daß er für den Ketzel die große »Passion« ausführen solle.‹ – ›Kind,‹ hat die Mutter hinzugefügt, ›ich glaub', daß nun alles noch gut werden wird!‹«

Als nun die Jungfrau einen Augenblick innehielt, hob der junge Künstler an: »Magdalena, freuen können wir uns ja, daß Dein Vater nachgiebiger geworden ist; aber ein Umstand ist da heut' morgen eingetreten, den wir recht beklagen müssen: Der Ketzel hat für die ›Siebenfälle‹ seine Maße verloren und will sie erst wieder aus dem heiligen Lande herbeiholen. Denk', wie lange es wohl dauern wird, ehe er zurückkehrt, und er hat's grad' heraus gesagt, daß er ohne die Maße nichts ausführen lassen mag. Was wird Dein Vater dazu sagen?«

»Laß Dich das nicht anfechten, Adam! Wenn mein Vater uns'rer Sach' einmal günstig gesinnt ist, wird er um solchen geringfügigen Umstand sich nicht gleich wieder umwandeln! Ich will gern ein Jahr länger warten, wenn ich nur weiß, daß ich Dich dann ganz gewiß zum Manne bekomm'!«

Da schlang der junge Künstler heiter den Arm um sein Mädchen.

» Das hab' ich Dir selber zum Troste sagen wollen; nun brauch' ich's nicht mehr zu thun! Magdalena, dieser Tag endet für uns besser, als ich gedacht hab'.«

* * *

Eine Woche war vorübergegangen; da saß Adam Krafft neben Martin Ketzel in dessen Schreibstube. Vor ihnen lagen auf dem großen Eichentische die Entwürfe des Künstlers.

»Mein Lieber,« hob der Alte an, »ich sehe aus allem, was Ihr da gezeichnet und auf Papier hingeworfen habt, zur Genüge, daß Ihr der Künstler sein mögt, als den Euch Männer von Urteil mir empfohlen haben. Und wenn ich auch noch nicht die Zeit für gekommen erachten mag, wo Ihr das Werk ausführen könnt, so übertrag' ich es Euch doch schon jetzt. Sobald ich von meiner Pilgerfahrt mit Gottes Hilfe heimgekehrt bin, sprechen wir noch einmal über die Einzelheiten; dann könnt Ihr mit Meißel und Schlägel zu arbeiten anfangen. Bis dahin mögt Ihr Euch mit dem Gegenstande immerhin schon emsig beschäftigen und die Entwürfe für jeden einzelnen Fall fertig stellen, damit Ihr sie mir vorlegen könnt, wenn ich zurückkehre.«

»Und wann werdet Ihr die Pilgerfahrt antreten?« forschte der junge Künstler.

»Lieber Krafft, es hat argen Strauß mit Barbara, meinem Eheweibe, gekostet; denn sie meint', daß ich die Beschwerden nicht mehr aushalten möcht'. Nun bin ich endlich ihrer Zustimmung sicher, nachdem der gnädige Herr Herzog Albrecht von Sachsen, welcher sehr bald nach dem heiligen Lande ziehen wird, versprochen hat, mich in sein Gefolge aufzunehmen. Nach der früher erwähnten Ketzelschen Gedenktafel zog der Alte zum zweiten Male 1472 nach Palästina; da aber Herzog Albrecht seine Pilgerfahrt 1476 unternahm, so spielt die Geschichte in diesem Jahre. Da werd' ich guten Schutz haben, wie einst im Gefolge Herzog Ottos von Bayern. Sollt' ich dennoch nicht wiederkehren, so würdet Ihr von einem der Gefährten die Maße richtig empfangen; denn ich hab' gestern vor einem Notar durch Urkunde ausdrücklich verordnet, daß die ›Siebenfälle‹ auch ausgeführt werden sollen, wenn der Tod mich vorzeitig dahinrafft. Damit Ihr mir aber für die Arbeit im voraus gebunden seid, will ich Euch, ehe ich fortziehe, hundert Gulden auszahlen lassen. Ich hoffe, daß Ihr inzwischen den Entwürfen allen Fleiß zuwendet.«

Er hatte sich erhoben. »Dafür, daß Euch der Vater Eurer Magdalen', die ein wackeres Mädchen sein soll, den Aufschub meiner großen ›Passion‹ nicht entgelten läßt, will ich bei diesem ein freundlich Wort einlegen. Und nun seid guten – oder vielmehr seid frommen Mutes, daß Gott Euch Gedeihen zu dem Werke geben mög'!«

Wie konnte unter solchen Verhältnissen der junge Künstler noch ein sorgenvolles Gesicht machen? Martin Ketzel zog zwar bald ins Morgenland fort, Adam Krafft aber führte seine Magdalena heim, die ihm dann, soviel er's verlangen mochte, für seine Madonnen- und Engelsköpfe geduldig Modell saß. Freilich sagte er dabei eines Tages unter Lächeln: »Alles paßt vortrefflich und alles gelingt, nur zur › Mater dolorosa‹ kann ich Dich nicht brauchen, und ich will dazu das Modell gern anderswoher nehmen!«


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