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II.

Beynahe vierzehn Tage waren verstrichen, ohne daß man eine Feindseligkeit vom Marquis merkte, als eines Nachts, lange nach der Stunde der Ruhe, Julie durch ein Geläut im Kloster geweckt wurde. Sie wußte, daß jetzt nicht die gewohnte Stunde zum Gebethe war, und horchte mit Schrecken und Erstaunen auf den Laut, der durch die tiefe Stille des Gebäudes rollte. Unmittelbar darauf hörte sie die Thüren verschiedener Zellen an ihren Angeln krachen, und schnelle Fußtritte in den Gängen rauschen; und durch die Spalten ihrer Thüre erblickte sie vorüber gehende Lichter. Das Rauschen der Fußtritte vermehrte sich, und alles im Kloster schien wach zu seyn. Ihr Schrecken stieg immer höher; es fiel ihr ein, daß der Marquis die Abtey mit seinen Leuten umringt hätte, um sie gewaltsam aus ihrer Zuflucht zu reißen, und sie stand eilends auf, um in Madame de Menons Zimmer zu gehen, als sie ein leises Klopfen an der Thür hörte. Ihre Frage, wer da wäre, wurde von Madame beantwortet, und ihre Furcht schnell vertrieben; denn sie hörte, daß das Geläut die Schwesterschaft zusammen rufen sollte, um eine sterbende Nonne zum Altare zu begleiten, wo sie die letzte Öhlung empfangen sollte. Sie verließ mit Madame das Zimmer, und ging nach der Kirche. Der Schein der Fackeln an den Mauern, der Schimmer, den ihr Auge oft von den Mönchen in ihren langen, schwarzen Gewändern auffing, die schweigend durch die engen, sich krümmenden Gänge schritten, das feyerliche Geläut der Glocken entzückte die Einbildungskraft, und flößte ihrem Herzen heilige Ehrfurcht ein. Allein die Kirche zeigte einen feyerlichen Anblick, wie sie noch nie zuvor gesehen hatte. Unvollkommen sah man die dunkeln Wölbungen durch das Kerzenlicht vom Hochaltare, der ein schwaches Licht auf die entlegenen Theile des Gebäudes warf, und große Massen von Licht und Schatten, mächtig und erhaben in ihrer Wirkung, hervor brachte. Während sie staunend da stand, hörte sie einen fernen Gesang durch die Flügel herein dringen; die Töne schwollen in leisem Gelispel zum Ohre, und kamen immer näher und näher, bis eine plötzliche Lichtflamme aus einer der Thüren hervor ging, und die Procession hereintrat. Die Orgel stimmte sogleich einen erhabenen, feyerlichen Choral an; alle Stimmen erhoben sich vereint und verstärkten die heilige Melodie. An der Spitze erschien der Padre Abbate mit langsamem, abgemessenem Schritte, das heilige Kreuz in seiner Hand. Gleich hinter ihm folgte ein Tragbett, auf welchem die Sterbende lag, mit einem weißen Schleyer bedeckt, und von weißgekleideten Nonnen, jede eine brennende Kerze tragend, umgeben. Zuletzt kamen die Mönche, zwey und zwey, schwarz gekleidet, und jeder ein Licht in der Hand.

Als sie den Hochaltar erreichten, wurde die Bahre nieder gesetzt, und nach wenig Augenblicken hörte der Chor auf. Der Abt trat herzu; die letzte Öhlung zu ertheilen; der Schleyer der sterbenden Nonne ward aufgedeckt – und –– o Gott! Julie erkannte ihre geliebte Cornelia! –Das Bild des Todes war bereits ihrem Gesichte aufgedrückt; allein in ihren Augen schimmerte ein schwacher Strahl von Erinnerung, als sie sich auf Julien häfteten, die einen kalten Schauder durch ihre Nerven beben fühlte, und sich an Madame lehnte. Zum ersten Mahle sah Julie jetzt Corneliens unglücklichen Geliebten, in dessen Zügen die Angst seines Herzens gemahlt war, und der bleich und schweigend über der Bahre hing. Nach geendigter Ceremonie hob der Chor wieder; an; die Bahre ward aufgehoben – Cornelia winkte schwach mit der Hand, und ward wieder auf den Stufen des Altars niedergelassen. In wenig Minuten hörte die Musik auf; sie richtete ihre schweren Augen mit einem Ausdrucke unaussprechlicher Zärtlichkeit und Schmerzens auf ihren Liebhaber, versuchte zu sprechen, allein die Töne erstarben auf ihren erstarrenden Lippen. Ein schwaches Lächeln schwebte über ihr Gesicht hin, und wurde durch einen Strahl hoher Andacht verdrängt; sie faltete ihre Hände auf ihrer Brust, schlug mit einem Blicke sanfter Ergebung ihre Augen, in welchen jetzt die letzten Funken des scheidenden Lebens flammten, gen Himmel auf, und in einem kurzen, tiefen Seufzer floh ihre Seele von dannen. – Ihr Liebhaber sank zurück, kämpfend, seine Bewegung zu verhehlen; allein das tiefe Schluchzen, welches seine Brust zerriß, verrieth seine Qual, und die Thränen aller Anwesenden bethauten den geheiligten Fleck, wo Schönheit, Verstand und Unschuld dahin ging. – Die Orgel schwoll nun in klagenden Tönen, und die Stimmen der Versammlung sangen in Choralmelodie ein tiefes, feyerliches Requiem dem Geiste der Abgeschiedenen. Madame trieb Julien, die beynahe eben so leblos war, als ihre geschiedene Freundinn, aus der Kirche fort. Ein so plötzlicher Tod erhöhete den Schmerz, welchen Trennung ohnehin verursacht haben würde. Corneliens Krankheit war von solcher Art, daß sie einen trieglichen Anschein hatte. Sie nahm seit langer Zeit ab, aber so allmählich und unmerklich, daß sie die Besorgnisse ihrer Freunde in Sicherheit wiegte. Mit ihr selbst war es anders; sie fühlte die Veränderung, wollte aber diejenigen, welche zärtlichen Theil an ihr nahmen, nicht mit der Wahrheit betrüben. Die Stunde ihrer Auflösung kam ihr selbst plötzlich und unerwartet; allein sie war gefaßt und sogar glücklich. Julie schien in Corneliens Tode Hippolytus Tod aufs neue zu beklagen. Ihr Hinscheiden schien das letzte Band aufgelöst zu haben, welches sie an sein Gedächtniß knüpfte. – Madame erkannte mit Erstaunen in einem der Klostermönche den Pater, der den sterbenden Vincent Beicht gehört hatte. Sein Anblick erweckte die Erinnerung an die Scene, welche sie auf dem Schlosse Mazzini mit ansah, und Vincents letzte Worte, mit den Umständen, welche seit dem sich ereignet hatten, vereinigt, erneueten all ihr Erstaunen und Neugierde. Allein mehr noch, als Empfindungen der Verwunderung, erregte sein Anblick. Sie fürchtete, daß er vom Marquis, der ihn kannte, bestochen seyn möchte, seinen Einfluß bey dem Abt für Juliens Auslieferung zu verwenden. – Julie wagte sich jetzt nicht mehr aus den Mauern des Klosters hervor. In der Abenddämmerung schlich sie sich zu Zeiten in die Kreuzgänge, und wandelte oft nach Corneliens Grabe, wo sie um Hippolytus so wohl als um ihre Freundinn klagte. Eines Abends während der Vesper wurde die Klosterglocke plötzlich gezogen; der Abt, dessen Gesicht zugleich Erstaunen und Mißfallen ausdrückte, hielt mit dem Dienste inne, und verließ den Altar. Die ganze Gemeinde verfügte sich in den Saal, wo sie vernahmen, daß ein Mönch, der nach dem Kloster zurück gegangen sey, einen Haufen bewaffneter Leute durch den Wald habe heran kommen sehen, und da er nicht zweifelte, daß es des Marquis Leute wären, die in feindlichen Absichten heran nahten, so hätte er es für nöthig gehalten, die Glocke zu ziehen. Der Abt stieg auf einen Thurm, und entdeckte von da durch die Bäume ein Schimmern von Waffen, und gleich darauf ging ein Haufen Leute aus dem Walde hervor in eine lange Allee, die gerade auf den Fleck stieß, wo er stand. Man konnte nun das Klappern der Hufe deutlich hören, und Julie, die vor Schrecken beynahe umsank, erkannte den Marquis an der Spitze des Haufens, der sich bald in zwey Flügel theilte, und das Kloster umzingelte. Die Thore wurden sogleich verschlossen; der Abt stieg vom Thurme herab, und versammelte die Mönche im Saale, wo seine Stimme bald durch alles Getümmel sich hören ließ. Juliens Schrecken machte sie des hochwürdigen Vaters Versprechen ganz vergessen, und sie wünschte, in die tiefen Höhlen des Klosters, die unter den Wäldern sich hinwinden, fliehen zu können. Madame, die Scharfsinn genug besaß, um des Abts Charakter richtig zu beurtheilen, gründete ihre Sicherheit auf seinen Stolz. Sie rieth also Julien von jedem Versuche ab, die Ehrlichkeit des Klosterdieners, der die Schlüssel zu den Gewölben führte, zu bestechen, und rieth ihr, sich gänzlich auf die Wirkung des Zorns, den der Abt gegen den Marquis hägte, zu verlassen. – Während Madame ihr Fassung einzusprechen suchte, erschien eine Bothschaft vom Abt, der sie augenblicklich zu sehen verlangte. Sie gehorchte, und er befahl ihr, ihm in ein Zimmer, das gerade über den Klosterthoren war, zu folgen. Von da aus sah sie ihren Vater, von dem Herzoge von Luovo begleitet, und in eben dem Augenblicke, da ihr Herz bey dem Anblicke erstarb, rief der Marquis wüthend dem Abte zu, sie unverzüglich in seine Hände zu liefern, und drohte, die Thore zu sprengen, wenn sie nur einen Augenblick zurück gehalten würde. Bey dieser Drohung verdunkelte sich des Abts Gesicht; er schleppte Julien mit Gewalt an das Fenster, von welchem sie zurück gefahren war. »Frevelhafter Prahler!« rief er; »ewige Rache über dich! – Von diesem Augenblicke an treiben wir dich von allen Rechten und Gemeinheiten unserer Kirche aus. So kühn und vermessen du auch bist, lache ich deiner Drohungen! Sieh hier,« sagte er, und zeigte auf Julien, »und vernimm, daß du in meiner Gewalt bist; wenn du es wagst, diese geheiligten Mauern zu verletzen, so will ich laut in das Angesicht des Tages ein Geheimniß ausrufen, welches das Blut in deinem Herzen erstarren machen soll; ein Geheimniß, worein deine Ehre, ja dein Leben selbst verwickelt ist. Nun triumphire und frohlocke in gotteslästerlichen Drohungen!« Der Marquis fuhr bey dieser Rede unwillkürlich zusammen; seine Züge veränderten sich – bald aber suchte er sich zu fassen, und seine Bestürzung zu verhehlen. Er war einige Augenblicke unschlüssig, ungewiß, wie er verfahren sollte. Von der Gewalt abzustehen, hieß sich des gedrohten Geheimnisses schuldig bekennen; und doch fürchtete er sich, den Abt aufs äußerste zu treiben, dessen Drohungen sein eigenes Herz nur zu sehr unterstützte. Endlich rief er: »Alles, was ihr gesagt habt, verachte ich als die feige Ausflucht mönchischer List. Eure neuen Schmähungen setzen zu dem Verlangen, meine Tochter wieder zu bekommen, noch das hinzu, euch zu strafen. Ich würde zu augenblicklicher Gewalt schreiten; allein das wäre nur eine unvollkommene Rache, und ich ziehe also meine Leute zurück, um an eine höhere Macht zu appelliren. So sollt ihr mit eins gezwungen werden, meine Tochter heraus zu geben, und eure schändlichen Schmähungen meiner Ehre abzubüßen.« – Mit diesen Worten drehte er sein Pferd von den Thoren, und mit seinem Gefolge hinter sich zog er sich schnell zurück, und ließ den Abt, frohlockend in seinem Siege, und Julien in Erstaunen und zweifelhafter Freude verloren. Als sie Madame die Umstände dieser Conferenz erzählte, verweilte sie besonders bey den Drohungen des Abts; allein Madame, obgleich ihre Verwunderung bey jedem Worte stieg, sah wohl ein, wie das Geheimniß, was es auch seyn mochte, in Erfahrung gebracht war. Sie hatte Vincents Beichtvater bereits im Kloster bemerkt, und ohne Zweifel hatte er alles, was aus Vincents sterbenden Worten aufgehascht war, dem Abte entdeckt. Sie wußte auch, daß das Geheimniß nie würde entdeckt werden, außer als Strafe für unmittelbare Gewaltthätigkeit, da es einer der ersten Grundsätze der Klosterreligion ist, ein unverbrüchliches Stillschweigen über alles, was im Beichtstuhle anvertrauet wird, zu beobachten. – Als der erste Sturm von Juliens Bewegungen sich geleget hatte, machte ihre Freude über die plötzliche Abreise des Marquis Besorgnissen Platz. Er hatte gedroht, an eine höhere Macht zu appelliren, die den Abt zwingen sollte, sie heraus zu geben. Diese Drohung erregte ein gerechtes Schrecken in ihr, und es blieb kein Mittel, der Tyranney des Marquis zu entgehen, außer das Kloster zu verlassen. Sie hielt also um eine Audienz bey dem Abte an, und nachdem sie ihm die Gefahr ihrer gegenwärtigen Lage vorgestellt hatte, bath sie um seine Erlaubniß, nach einem sicherern Aufenthalte sich umsehen zu dürfen. Der Abt, der wohl wußte, daß der Marquis ganz in seiner Macht war, lachte, als sie seine Drohungen wiederhohlte, und schlug ihre Bitte unter dem Vorwande ab, daß er jetzt der Kirche für sie Rede stehen müßte. Er hieß sie ruhig seyn und versprach ihr seinen Schutz; allein seine Versicherungen wurden so kalt und hochmüthig ertheilt, daß Julie ihn mehr mit verstärkter, als mit verminderter Furcht verließ. Als sie durch den Saal ging,– sah sie einen Mann eilends zu einer andern Thür herein kommen. Er trug keine Ordenskleider, sondern war in einen Mantel gewickelt, und schien gern unbemerkt bleiben zu wollen. Als sie bey ihm vorüber ging, richtete er den Kopf auf, und Julie erkannte – ihren Vater. Er schoß einen Blick der Rache auf sie; ehe sie aber nur denken konnte, verhüllte er sein Angesicht, als besänne er sich plötzlich, und rauschte an ihr vorbey. Ihre zitternden Glieder konnten sie kaum nach Madame's Zimmer tragen, wo sie sprachlos auf einen Stuhl sank, und nur durch das Entsetzen in ihrem Blicke die Angst ihrer Seele ausdrücken konnte. Als sie sich etwas erhohlt hatte, erzählte sie, was sie gesehen hatte, und ihre Unterredung mit dem Abte. – Madame war in eben so großer Verwirrung, als sie, wie sie des Marquis Erscheinung erklären sollte. Warum kam er nach dieser letzten vermessenen Drohung insgeheim, um den Abt zu besuchen, durch dessen Hülfe er allein Zugang ins Kloster konnte gefunden haben! Und was konnte den Abt zu einem solchen Verfahren bewegen? – Diese Umstände, alle gleich unerklärlich, bestärkten sie in der Furcht vor Verrath und Auslieferung. Aus der Abtey zu entwischen, war jetzt unmöglich; denn die Thore waren stets besetzt: und wäre es selbst möglich gewesen, heraus zu gelangen, so mußte Julie unfehlbar erwarten, von des Marquis Leuten entdeckt zu werden, die in die Wälder gelagert waren. So mit Gefahr umzingelt, konnte sie nur im Kloster den Ausgang ihres Geschicks abwarten. – Während sie mit Madame ihr unglückliches Schicksal beklagte, erschien aufs neue ein Bothe, der sie zum Abte rief. In diesem Augenblicke verließen sie alle ihre Lebensgeister; die Krisis ihres Schicksals schien gekommen zu seyn; sie konnte nicht zweifeln, daß der Abt Willens war, sie dem Marquis auszuliefern, mit dem er aller Wahrscheinlichkeit nach, die Bedingungen zur Aussöhnung ausgemacht hatte. Eine lange Zeit verstrich, ehe sie Fassung genug wieder erlangen konnte, dem Befehle zu gehorchen; und als sie endlich ging, vermehrte jeder Schritt nach des Abts Zimmer ihr Grausen. Sie stand einen Augenblick vor der Thür stille, ehe sie Muth hatte, sie zu öffnen; der Gedanke an ihres Vaters unmittelbare Rache stieg vor ihrer Seele auf, und sie stand auf dem Punkte, wieder in ihr Zimmer zurück zugehen, als ein plötzlicher Schritt, von innen bey der Thür ihr Zögern zerstörte und sie ins Cabinett trieb. Der Marquis war nicht da, und ihr Muth lebte wieder auf. Das Frohlocken des Sieges schwebte auf den Zügen des Abts, obgleich noch ein Schatten unbefriedigter Rache sichtlich blieb. »Tochter!« sagte er: »die Nachricht, welche wir dir mitzutheilen haben, muß dich erfreuen. Deine Sicherheit hängt jetzt ganz von dir ab; ich gebe dein Schicksal in deine eignen Hände, und der Ausgang desselben komme über dem Haupt!« – Er hielt inne, und sie schwebte in verwunderungsvoller Erwartung des Ausspruchs, der nun kommen würde. – – »Feyerlich sichere ich dir hier meinen Schutz zu,« sagte er; »aber nur unter einer Bedingung: daß du der Welt entsagst und Gott deine Tage widmest.« – Mit Schmerz und Erstaunen horchte Julie zu. – »Ohne diese Bewilligung von deiner Seite ist es nicht in meiner Macht, dich zu schützen, wenn ich selbst wollte. Wenn du den Schleyer nimmst, so bist du in den Mauern der Kirche vor weltlicher Gewalt gesichert. Wenn du aber dieses vernachlässigst, oder verweigerst, so wird der Marquis sich an eine Macht wenden, von der ich nicht appelliren kann, und ich werde mich endlich gezwungen sehen, dich heraus zu geben. Um aber deine Sicherheit gewiß zu machen, wofern du den Schleyer wählst, wollen wir uns eine Dispensation von den gewöhnlichen Formen der Probezeit verschaffen, und wenige Tage sollen deine Gelübde bestätigen.« – Er hielt inne; aber Julie, von der grausamsten Unruhe zerrissen, wußte nicht, was sie antworten sollte. »Wir vergönnen dir drey Tage Bedenkzeit,« fuhr er fort, »über die Sache zu entscheiden, nach deren Verlauf entweder der Schleyer, oder der Herzog Luovo auf dich wartet.«

Julie verließ in stummer Verzweiflung das Cabinett, und ging zu Madame, die ihr kaum die demüthige Gabe des Trostes darzubiethen vermochte. Während dessen weidete sich der Abt an der siegenden Rache, und der Marquis seufzte unter den Stacheln vereitelter Hoffnung. Die Drohung des Ersteren war zu ernstlich beruhigend, als daß der Marquis gewaltthätige Maßregeln zu verfolgen wagen konnte; er hatte also beschlossen Geiz gegen Stolz aufzulehnen, und die Macht zu besänftigen, die er nicht zu überwinden vermochte. Nur wollte er nicht gern dem Abte einen Beweis seines Nachgebens und seiner Furcht durch Anbiethen einer Bestechung in einem Briefe anvertrauen, und wählte lieber den sichrern, obgleich demüthigendern Weg einer geheimen Zusammenkunft. Seine prächtigen Anerbiethungen machten den Abt Anfangs unschlüssig; allein seines Vortheils gewiß, ließ er sich auf nichts ein, und ließ den Marquis in ängstlicher Ungewißheit fortgehen. Nachdem er aber reiflicher die Vorschläge erwogen hatte, siegte sein Stolz über seinen Geiz, und er beschloß, Julien zu bereden, die Hoffnungen des Marquis mit einem Streiche zu Boden zu schlagen, indem sie ihr Leben der Religion widmete. – Julie brachte die Nacht und den folgenden Tag in einer Geistesqual hin, die alle Beschreibung übersteigt. Die Thore des Klosters, die mit Wache besetzt, die Wälder, die mit des Marquis Leuten umzingelt waren, machten es unmöglich, zu entwischen. Vor einer Verbindung mit dem Herzoge, dessen letztes Betragen die verhaßte Idee bestärkt hatte, die sie gleich Anfangs von seinem Charakter faßte, bebte ihr Herz voll Grausen zurück; in den Mauern eines Klosters aber lebenslänglich begraben zu seyn, war ein nicht weniger schreckliches Geschick. Doch war die Eingebung der geheiligten Liebe, die sie für Hippolytus Gedächtniß trug, so mächtig, so groß ihre Abneigung gegen den Herzog, daß sie bald sich entschloß, den Schleyer zu nehmen. Den folgenden Abend that sie dem Abte ihren Entschluß kund. Sein Herz schwoll von heimlicher Freude, und selbst die natürliche Strenge seines Betragens ließ bey dieser Nachricht ab. Mit einer Güte, die er noch nie gezeigt hatte, versicherte er sie seines Beyfalls und Schutzes, und sagte ihr, die Ceremonie sollte am dritten Tage vollzogen werden. Ihre Bewegung ließ ihr kaum zu, diese Worte zu hören. Jetzt, da ihr das Schicksal ohne Widerruf bestimmt war, bereuete sie beynahe ihre Wahl. Ihre Fantasie vergesellschafftete fremde Schreckbilder damit; und über dem Übel, welches sie, da es ihrer Entscheidung frey gestellt ward, ohne vieles Bedenken angenommen hatte, brütete sie jetzt in zweifelhafter Reue. So geneigt sind wir, uns einzubilden, daß das gewisseste Unglück auch das schrecklichste ist! –

Als der Marquis die Antwort des Abts las, wurden alle peinigenden Leidenschaften seiner Natur zu einem Grade, der beynahe an Wahnsinn grenzte, aufgereizt und entflammt. Im ersten Anfalle seiner Wuth hätte er die Thore des Klosters sprengen und der äußersten Boßheit seines Feindes Trotz biethen mögen. Eines Augenblicks Überlegung aber regte seine Furcht vor dem angedrohten Ausspruche wieder auf, und er sah, daß er noch immer in Mönchsgewalt war. Der Abt schaffte die nothwendige Dispensation herbey, und man traf unverzüglich die Zurüstungen zu der bevor stehenden Ceremonie. Julie sah mit der kalten Stärke der Verzweiflung die Augenblicke, welche ihr Schicksal herbey führten, verfließen. Sie hatte kein Mittel, vor dem kommenden Übel zu entwischen, ohne sich einem noch schlimmern auszusetzen; sie betrachtete es mit standhaftem Auge, und schrak nicht länger vor seiner Annäherung zurück. – Am Morgen vor dem Tage ihrer Einweihung sagte man ihr, daß ein Fremder am Sprachgitter sie zu sprechen verlangte. Ihre Seele war so lange an immer wechselnde Besorgnisse gewöhnt worden, daß Furcht die einzige Empfindung war, die sich in ihr regte. Sie vermuthete, ohne zu wissen, warum, daß der Marquis unten wäre, und war unschlüssig, ob sie hinunter gehen sollte. Endlich entschloß sie sich – sie ging in das Sprachzimmer, und sah zu ihrer unaussprechlichen Freude und Erstaunen Ferdinanden. –

Während der Abwesenheit des Marquis vom Schlosse bewerkstelligte Ferdinand, der Juliens entdeckten Aufenthalt erfahren hatte, eine Flucht, und war zum Kloster geeilt, in der Absicht, sie zu erlösen. Er war verkleidet durch die Wälder gekommen, und mit vieler Schwierigkeit der Bemerkung der Leute des Marquis entgangen, die noch rings um die Abtey vertheilt waren. Im Kloster war er, da er allein kam, ohne Bedenken zugelassen worden. Als er hörte, unter was für Bedingungen der Abt seinen Schutz gewährt hatte, und daß der folgende Tag zu Juliens Einweihung bestimmt war, erschrak er, und stand unentschlossen da. Ein so kurzer Zwischenraum ließ ihm wenig Zeit zu Hülfsmitteln, und noch weniger zum Zögern. Die Nacht eben dieses Tages war die einzige Zeit, die zum Versuche und zur Ausführung eines Plans zur Flucht ihm übrig blieb, und wenn er fehlschlug, so war Julie nicht nur lebenslang in die Mauern eines Klosters gebannt, sondern auch jeder Strafe unterworfen, welche die Strenge des Abts, durch die Entdeckung aufgebracht, ihr aufzulegen gut fand. Die Gefahr war verzweifelnd, aber die Lage war es auch. Das edle, uneigennützige Betragen ihres Bruders erfüllte Julien mit Dank und Bewunderung; allein Verzweiflung an dem Erfolge machte sie unschlüssig, ob sie sein Anerbiethen annehmen sollte. Sie erwog, daß seine Großmuth ihn wahrscheinlich mit in ihr Verderben verwickeln würde, und schwieg in tiefem Nachsinnen, als Ferdinand ihr einen Umstand entdeckte, den er bisher sorgfältig verschwiegen hatte, und der auf ein Mahl jede Furcht, jeden Zweifel vertrieb. »Hippolytus lebt noch!« sagte Ferdinand. »Lebt?« – wiederhohlte Julie mit bebender Stimme; »o, sage mir, wo? – wie?« – Ihr Athem verließ sie, und überwältigt von den gewaltsamen und mannigfaltigen Gefühlen, die zu ihrem Herzen strömten, sank sie in ihren Stuhl. Ferdinand, den das Gitter verhinderte, ihr beyzuspringen, sah mit äußerster Angst sie in diesem Zustande. Als sie wieder zu sich kam, sagte er ihr, daß ein Bedienter von Hippolytus, den sein Herr ohne Zweifel abgeschickt hätte, um nach Julien zu fragen, kürzlich von des Marquis Leuten in der Nachbarschaft des Schlosses aufgespürt wäre. Von ihm hatte man erfahren, daß der Graf von Vereza noch lebte, daß man aber an seinem Leben verzweifelt hätte, und daß er noch an gefährlichen Wunden in einer kleinen Stadt an der Küste von Italien läge. Der Mann hatte durchaus den Ort, wo sein Herr sich aufhielte, nicht sagen wollen. Als er erfuhr, daß der Marquis jetzt auf der St. Augustinerabtey wäre, wohin er seine Tochter verfolgte, verschwand er von Mazzini, und hatte sich seitdem nicht wieder sehen lassen. – Julien war es genug zu wissen, das Hippolytus noch lebte; ihre Furcht, entdeckt zu werden, ihre Bedenklichkeiten wegen Ferdinands verschwanden – sie dachte nur an Flucht, und die Mittel, welche noch vor kurzem ihr so furchtbar, so schwer zu erfinden, so gefährlich auszuführen schienen, waren jetzt in ihren Augen leicht, gewiß, und beynahe schon vollbracht. Sie gingen nun über den Plan zur Ausführung zu Rathe, und kamen überein, daß sie in zu große Gefahr laufen würden, wenn sie einen Bedienten im Kloster zu bestechen versuchten, und doch sahen sie keine Möglichkeit, ohne diesen Versuch ihren Zweck zu erreichen. Nach vielem Hin- und Hersinnen beschlossen sie, ihr Geheimniß niemand, außer Madame, anzuvertrauen. Ferdinand sollte Mittel ausfinden, sich bis zur Nacht in der Kirche zu verbergen, in welche einige Thüren aus dem Kloster gingen. Wenn die Einwohner der Abtey in Ruhe gesunken wären, sollte Julie in die Kirche schleichen, wo Ferdinand sie erwartete, und wo sie vielleicht durch eine äußere Thür des Gebäudes, oder durch ein Fenster entwischen könnten, auf welchen Fall Ferdinand sich mit Strickleitern versehen sollte. Ein Paar Pferde sollten zwischen die Felsen, jenseit der Wälder, gestellt werden, um die Flüchtlinge zu einem Seehafen zu führen, von wo sie leicht nach Italien übergehen konnten. Nachdem sie diesen Plan aufs reine gebracht hatten, trennten sie sich mit ängstlicher Hoffnung, in der Nacht sich wieder zu treffen. Madame nahm warmen Antheil an Juliens gegenwärtigen Erwartungen, und fühlte sich nun einiger Maßen von dem Drucke des Selbstvorwurfs befreyt, Julien aus einem sichern Zufluchtsorte gerissen zu haben. Die Nachricht, daß Hippolytus lebte, hatte Juliens Lebensgeister plötzlich wieder belebt. Aus der stumpfen Betäubung, worein Verzweiflung sie stürzte, erwachte sie als aus einem Traume, und ihre Empfindungen glichen den Gefühlen eines Menschen, der plötzlich von einer schrecklichen Erscheinung erwacht, und dessen Gedanken noch durch die Furcht und Ungewißheit umnebelt sind, womit die vorübergehenden Bilder seine Fantasie erfüllten. Ihre Verzweiflung schwand; Freude erhellte ihr Gesicht; doch zweifelte sie noch an der Wirklichkeit der Scene, die sich jetzt vor ihrem Blicke öffnete. Schwerfällig wälzten sich die Stunden fort bis zum Abende, wo Erwartung der Furcht Platz machte: denn sie wurde nochmahls zum Abte gerufen. Er hatte sie nur hohlen lassen, um ihr die gewöhnlichen Ermahnungen über die heran nahende Feyerlichkeit zu ertheilen, und nachdem er sie lange mit einer ernsthaften, langweiligen Rede aufgehalten hatte, entließ er sie mit einem feyerlichen Segen.


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