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Die obigen Aphorismen wurden zum Verfassungstage 1931 in der Zeitschrift »Deutsche Republik« veröffentlicht und nach dem Zusammenbruch in der Zeitschrift »Die Wandlung« (Jahrg. 2, Heft 5) erneut gebracht.
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Verfassungstag – heute nicht ein Tag des Stolzes und der Freude, sondern ein Bußtag. Von der geltenden demokratischen Verfassung gilt heute in erster Linie ihr Diktatur-Artikel – die Diktatur muß dazu dienen, die Demokratie zu retten! Aber nicht die Verfassung hat versagt, sondern die Menschen und Parteien, denen es oblag, sie zu tragen.
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Die parlamentarische Staatsform ist angelegt auf den Willen der Parteien zur Macht. Er ist die Triebkraft, die allein das ganze Uhrwerk des Verfassungslebens in Bewegung zu halten vermag. Eine parlamentarische Verfassung muß notwendig versagen, wenn die Parteien, statt vom Willen zur Macht, von der Flucht vor der Macht und der Verantwortung beherrscht sind.
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Deutsche Parteien haben die einfache Wahrheit noch nicht zu beherzigen vermocht, daß regieren oder für eine Regierung verantwortlich sein heißt: Wählerstimmen verlieren. Die Kunst, ohne Risiko zu regieren, ist noch nicht erfunden. Unter der Herrschaft des Parlamentarismus müssen sich die Parteien auf das Wechselspiel einstellen: regieren und Stimmen verlieren, opponieren und die Stimmenzahl wiederherstellen.
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Parlamentarische Regierungsform bedeutet nicht, daß das Parlament regiert, sondern daß Führer regieren, die das Parlament beruft und jederzeit wieder abberufen kann, die es aber, solange sie regieren, auch wirklich regieren lassen muß. Das Wesen der Demokratie ist Führerauslese, ihr Grundproblem ist, demokratische Sanktion mit autoritativer Führung zu verbinden. Der Gedanke der Diktatur hat bei uns gegenüber dem Gedanken der Demokratie nur deshalb so sehr an Einfluß gewinnen können, weil bei uns das diktatorische Element, das in der Demokratie selbst enthalten ist, nicht genügend erkannt und gewertet wurde.
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Dem demokratischen Politiker ist es verboten, sich eines Besseren zu belehren. Lebenslang werden ihm frühere Aussprüche bei passender Gelegenheit höhnisch vorgehalten. Die Anpassung an die Einmaligkeit der jeweiligen Situation wird dadurch dem einzelnen und den Parteien bei uns schwerer gemacht als irgendwo sonst auf der Welt. Es ist ein Beweis für die Autorität Stresemanns, daß dieser wandlungsfähige Politiker zu den wenigen gehörte, denen man ihre Wandlungen nicht immer wieder griesgrämig ankreidete.
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Die Demokratie hat zu ihrem Hintergrunde den Relativismus. Sie ist bereit, jeder Auffassung die Führung im Staate zu überlassen, die die Mehrheit im Staate hinter sich zu bringen gewußt hat. Die Zahl der Anhänger, nicht der sachliche Gehalt einer politischen Auffassung entscheidet über die Führung im Staat, weil keine politische Anschauung beweisbar, keine widerlegbar ist. Solcher Relativismus aber enthält ein gut Teil Skepsis, ein gut Teil Resignation, setzt Reife und Weisheit voraus und ist für junge Menschen nicht leicht zugänglich, denen ihr notwendig noch begrenztes Weltbild als das Weltbild erscheinen muß.
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Wie oft muß man von jungen Menschen statt aller Beweise hören: »Wir jungen Menschen sind so oder so eingestellt.« Die Jugendbewegung hat die alte Generation gelehrt, daß Alter kein Argument ist. Es ist an der Zeit, der Jugend zu sagen, daß ebensowenig Jugend ein Argument ist.
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Wie tief verschieden von der Jugend der jetzt Fünfzigjährigen ist die gegenwärtige Jugendgeneration! Wir hatten eine beinahe krankhafte Furcht, uns weltanschaulich zu binden, die unbegrenzte Fülle der Möglichkeiten gegen eine begrenzte Wirklichkeit dahinzugeben. Das bedeutete für die jungen Menschen von damals weltoffene Bildungsmöglichkeit, konnte für den Alternden, der nicht darüber hinauskam, nihilistische Boheme bedeuten. Die heutige Jugend hat auf jene weltoffene Bildungsmöglichkeit Verzicht geleistet, sie kann sich nicht früh genug festlegen. Wenn so ein junger Mensch sich in die Brust wirft: »Ich bin Marxist«, »Ich bin Nationalsozialist«, ist man immer versucht, mit der Frage zu antworten: »Und was bist du sonst?«
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Keine politische Anschauung ist beweisbar, keine widerlegbar. Weil keine politische Anschauung beweisbar ist, ist sie von jeder andern Anschauung aus zu bekämpfen. Weil keine politische Anschauung widerlegbar ist, ist sie von jeder andern Anschauung aus zu achten. Entschiedenheit der eigenen Stellungnahme und Gerechtigkeit gegen die fremde Stellungnahme sind die beiden Grundsätze des politischen Kampfes. Der Deutsche aber hält die eigene Überzeugung für eine unfehlbare politische Offenbarung, und deshalb ist für ihn der politische Gegner entweder Tor oder Verbrecher.
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Der Deutsche lebt in einer höchst seltsamen Mischung von Parteifanatismus und Parteiprüderie: Parteipolitik – pfui; aber meine eigene Partei ist eine Partei über allen Parteien und deshalb eigentlich gar keine Partei mehr. Diese Gefühlsmischung ist ein verhängnisvolles Erbteil des Obrigkeitsstaates, der eine Obrigkeit über den Parteien zu haben vorgab, der deshalb die Möglichkeit eines Standpunkts über den Parteien behaupten mußte und von der Höhe dieses Standpunktes auf den Parteihader wie auf ein überflüssiges Gezänk hinunterblickte. Parteiprüderie und Parteifanatismus wachsen auf demselben Holz: auf dem Aberglauben an die Möglichkeit einer überparteilichen Politik.
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Das Nationale versteht sich immer von selbst. National sind wir alle, wir sind es nur auf verschiedene Weise, und niemand kann beweisen, daß seine Art richtig und die des andern falsch ist. Wenn bestimmte Parteien für sich allein in Anspruch nehmen, national zu sein, so ist das eine Beleidigung aller andern Parteien. Indem sie das Nationale zur Parteiparole machen, können sie es aber dahin bringen, daß sich die Gegnerschaft gegen ihre Parteiansicht auf das Wort »national« überträgt und man sich lieber die Zunge abbeißt, als sich mit so vielfältig mißbrauchtem Worte national zu nennen. Echtes nationales Empfinden wie echte Liebe wohnt im Herzen, nicht auf der Lippe.
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Ich kann mir nicht denken, daß irgendeine Nation so rechthaberisch sei wie die deutsche. Es gibt bei uns Menschen, die noch in der nationalen Katastrophe ein Piedestal ihrer siegreichen Rechthaberei erblicken.
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Im Kriege wurde an der Front der Feind geachtet, der Feindeshaß nahm proportional der Entfernung von der Front zu. So ist es auch in der Politik: die politischen Führer verschiedener Parteien, die parlamentarischen Abgeordneten, gewohnt, miteinander zu verhandeln und miteinander zu kämpfen, sich zu schlagen und zu vertragen, werden einander viel besser gerecht als die politischen Unteroffiziere in der Etappe und die politischen Heimkrieger am Stammtisch. Im politischen Hinterlande, nicht in der politischen Front schießt der Parteihaß am üppigsten ins Kraut.
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Während meiner militärischen Ausbildung sprach ein Unteroffizier zu uns Kriegsrekruten einmal so: »Ich nehme ja alle mögliche Rücksicht, aber in Humanität darf das doch nicht ausarten!« Ich erinnerte mich daran, als kürzlich ein jüngerer Gelehrter von meinen rechtsphilosophischen Ideen im Anschluß an Hegel sagte, daß sie der Nacht angehörten, die man Aufklärung nennt. Humanität, Aufklärung, Gerechtigkeit, Freiheit, Vernunft, diese ganze lichte Welt heller Begriffe ist in Mißkredit gekommen. Ich bestreite nicht, daß es interessantere, daß es tiefsinnigere Begriffe gibt – ich bestreite nur, daß diesen Begriffen die Herrschaft in der politischen Sphäre zukommt. Es gibt Dinge, die man auf der Goldwaage des Tiefsinns, und andere Dinge, die man auf der Krämerwaage des einfachen Menschenverstandes wiegt. Die politischen Dinge sind der letzteren Art.
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Politik spielt sich in Deutschland in einer viel tieferen Seelenschicht ab als bei andern Völkern – in einer zu tiefen Schicht. Man entscheidet über politische Fragen nach letzten weltanschaulichen Einstellungen und eben deshalb über letzte weltanschauliche Einstellungen nach der politischen Stellungnahme. Man ist Freidenker, weil man politisch fortschrittlich ist, wie man an Gott glaubt, weil Gott in einen konservativen Lebensstil paßt. Nicht in der Schicht der Weltanschauung sollte Politik gemacht werden, sondern in der der Oberfläche näheren Schicht des Zweckrationalen.
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Man kann den Menschen definieren als das deutesüchtige Lebewesen. Alles wird ihm zum Symbol. Ist man sich dessen wohl bewußt, wie die scheinbar realste Lebenssphäre, die Politik, angefüllt ist von Symbolen, wie gerade das Parlament stets in Gefahr ist, sich an Unwirklichkeiten und Unwägbarkeiten zu verlieren? Wer hat es nicht erlebt, daß sich an einer unscheinbaren Frage die Gegensätze der Parteien entzündeten, daß diese Frage einen politisch-symbolischen Sinn erhielt, der weit über ihre reale Bedeutung hinausging? Es wäre eine reizvolle Aufgabe zur Soziologie des Parlaments, einmal zu untersuchen, welche Fragen, die im Mittelpunkt der parlamentarischen Debatte standen, sich auch im Leben als die zentralen erwiesen haben.
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In der deutschen Politik geschieht das Vernünftige, nicht weil es vernünftig ist, sondern erst, wenn gar nichts anderes mehr übrigbleibt, als das Vernünftige zu tun. Man pflegt bei uns so lange zu warten, bis die Not mit ihrem heiligen Donnerschlage uns zwingt, vernünftig zu sein (zum Thema: Reichsreform).
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»Politik verdirbt den Charakter.« Nein: Politik erprobt den Charakter. Wer im Bereiche der Politik, in dem so vieles für erlaubt gilt, was im Privatleben unerlaubt wäre, keine weitherzigere Moral kennt als im Privatleben, dessen Charakter hat sich an der Politik bewährt.