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Hier mag eine Reihe gesinnungsverwandter Schriften angeführt werden, vor allem Hendrik de Man, Zur Psychologie des Sozialismus, 1926; Die Intellektuellen und der Sozialismus, 1926; und Gertrud Hermes, Die geistige Gestalt des marxistischen Arbeiters, 1926; ferner Eduard Heimann, Die sittliche Idee des Klassenkampfes; Carl Mennicke, Der Sozialismus als Bewegung und Aufgabe, 1926; Albert Kranold, Die Persönlichkeit im Sozialismus, 1923; Zwang und Freiheit im Sozialismus, 1925; Vom Sozialismus als sittlicher Idee (in dem Sammelwerk: Der lebende Sozialismus); schließlich das von Walther G. Oschilewski herausgegebene Jungsozialisten-Heft der »TAT« (Juli 1927). Kritisch: Karl Korn, Die Weltanschauung des Sozialismus, 1927.
Das Erfurter Programm bezeichnet die sozialistische Gesellschaft als das naturnotwendige Ziel der wirtschaftlichen Entwicklung. Daß der Sozialismus nicht nur eine »natürliche«, eine geschichtliche, sondern auch eine sittliche Notwendigkeit sei, wird nicht ausgesprochen, sondern vorausgesetzt. Geschichtliche und sittliche Notwendigkeit werden nach der Weise Hegels zu einer unauflöslichen Einheit verschmolzen; gerade darin, daß der unvermeidliche Subjektivismus sittlicher Begründung unterging in der Objektivität einer geschichtlichen Voraussage, bestand ja die von Engels gepriesene »Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft«. Nicht mehr auf den schwankenden Boden humaner Wünsche und Hoffnungen gestellt, sondern gegründet auf das feste Fundament einer beweisbaren und unwiderlegbaren Berechnung, erwiesen als ein unaufhaltsames Schicksal, das jeden Widerstand entmutigen und jeder Hoffnung Flügel geben muß, gewann der Sozialismus erst seine hinreißende agitatorische Wucht.
Aber diese Verschlingung zweier trennbarer Fragen miteinander trug auch Gefahren in sich. Selbständig nicht aufgeworfen, mußte die Frage der sittlichen Notwendigkeit des Sozialismus nur zu leicht oberflächlich beantwortet werden durch die ungeprüfte Annahme landläufiger Wertungen. Das Kommunistische Manifest mündet aus in den Gedanken einer »Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist«. Das Erfurter Programm deutet als den sittlichen Sinn des Sozialismus Freiheit und Gleichheit, höchste Wohlfahrt und allseitige harmonische Vervollkommnung an. Beide Urkunden bekennen sich also letzten Endes zu Werten, die dem Leben des einzelnen, nicht des sozialen Ganzen angehören, und gründen damit das sozialistische Wirtschaftsprogramm auf eine durchaus individualistische Weltanschauung. Danach strebt der Sozialismus auf anderem Wege demselben Ziele einzelpersönlicher Vervollkommnung zu, welches der Individualismus des kapitalistischen Zeitalters als sein höchstes Ideal ansieht. Es zeigt sich, daß auch die sozialistische Gedankenbildung selbst sich der Bedingtheit durch die ökonomischen Machtverhältnisse nicht entziehen kann, welche die materialistische Geschichtsauffassung für den gesamten jeweiligen Zeitgeist behauptet. Eben deshalb aber erscheint jetzt, unter dem Einfluß einer langsam dem Sozialismus entgegenreifenden Wirtschaftsverfassung, auch das Reifen einer dem Sozialismus wesensverwandten Weltanschauung voraussehbar, und in der Tat braucht man nur ein wenig hellhörig zu sein, um den Schritt des neuen Zeitgeistes zu erhorchen, der auf leisen Sohlen durch die Massen, mit vernehmlichen Tritten durch die Jugend geht. Worte wie »Persönlichkeit« und gar »Übermensch«, auf denen vor noch nicht langer Weile das ganze Pathos ruhte, dessen die Zeit fähig war, haben von Tag zu Tag an Glanz und Farbe verloren, und neue Worte gewinnen einen immer tieferen und wärmeren Klang, vor allen andern das Wort »Gemeinschaft«. Es hat seinen Ausgang genommen von dem bedeutenden Werke von Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft, 1. Aufl. 1897.
Wie sozialistische Soziologie den einzelnen unlösbar in die Gemeinschaft eingebettet zeigt, so kann auch sozialistische Ideologie ihr Persönlichkeitsideal nicht jenseits der Gemeinschaft suchen. Mag letztes Ziel der Erdenkinder immerhin die Persönlichkeit sein, so ist es doch die Persönlichkeit nicht im Sinne des aus der Gemeinschaft losgelösten Übermenschen, sondern die Persönlichkeit in der Gemeinschaft. Gemeinschaft aber bleibt bloße Gemeinschaftsschwärmerei, wenn sie nicht Gemeinschaft einer gemeinsamen Sache, einer gemeinsamen Arbeit, eines gemeinsamen Werkes ist. Gemeinschaft ist nicht ein unmittelbares Verhältnis von Mensch zu Mensch, sondern die Verbundenheit der Menschen durch die gemeinsamen menschlichen Aufgaben, die Verbundenheit in einer gemeinsamen Sache, einem gemeinsamen Kampfe, einer gemeinsamen Arbeit, einem gemeinsamen Werke. Und so ergibt sich uns als Formel sozialistischer Weltauffassung: Persönlichkeit in Gemeinschaft, Gemeinschaft im Werke. Hier stehe diese Formel zunächst nur als eine Behauptung. Den Beweis ihrer Geltung für die sozialistische Kulturauffassung zu erbringen, ist die Aufgabe dieser Schrift in ihrer Gänze. Sie wird zeigen, daß die sozialistischen Ideologien der verschiedenen Kulturgebiete alle auf diesen einheitlichen Grundsatz zurückweisen und sich aus ihm zu der Geschlossenheit eines Systems entwickeln lassen. Zuvor aber ist darzutun, daß auch die andersgerichteten, nicht bewußt sozialistischen Ideologien folgerichtig in die sozialistische Gemeinschaftsidee ausmünden müssen.
Gerade erst in einer solchen Gemeinschaftsidee gelangen die Werte zur Erfüllung, die andere Auffassungen als letzte und höchste Werte setzen, die Persönlichkeit wie die Nation. Persönlichkeit gehört zu jenen höchsten Werten, die man nur erreicht, wenn man sie nicht erstrebt. Persönlichkeit ist nur der unverhoffte Lohn selbstloser Hingabe an die Sache, nur Geschenk und Gnade: »Wer da suchet, seine Seele zu erhalten, der wird sie verlieren, aber wer sie verliert, der wird ihr zum Leben verhelfen.« Zur Persönlichkeit wird man nur durch selbstvergessene Sachlichkeit. Der Junge, der sich in heißem Bemühen eine Charakterhandschrift einüben möchte, bekommt gewiß eine häßliche, aber niemals eine charakteristische Handschrift. So wird, wer sein Streben unmittelbar darauf richtet, Persönlichkeit zu werden, nimmermehr Persönlichkeit, wohl aber ein Geck mit dem Spiegel in der Hand. Das individualistische Zeitalter hat das geistige Leben der Eitelkeit ausgeliefert, das praktische der Machtbegier. Der Wille, der ohne ein übergeordnetes Ziel sein Gesetz nur sich selbst entnimmt, kann nur ein Wille sein, immer mehr wollen zu können, ein Wille zur unaufhörlichen Erweiterung des eigenen Willensbereichs – der »Wille zur Macht«. Der Wille wird verurteilt, in sinnlosem Leerlaufe um sich selbst zu kreisen, solange ihm nicht eine übergeordnete Gemeinschaft und ein erstrebtes Werk Inhalt und Richtung gibt. Wie Individualismus vergeblich Erfüllung sucht, bis er sich selbst in der Gemeinschaft aufgibt und wiederfindet, das hat, von den ersten St. Simonistischen Wellen des Sozialismus berührt, Goethe in dem tiefsinnigsten Staatsroman deutscher Zunge gezeigt. Wilhelm Meister, in den »Lehrjahren« ziellos umhergetrieben auf der Suche nach seiner Persönlichkeit, findet diese, da er es in den »Wanderjahren« aufgibt, sie zu suchen, da er sich entschließt, sich im Rahmen einer umfassenden Gemeinschaft einem begrenzten Werke selbstvergessen hinzugeben. Jugend meint, Leben sei Persönlichkeitsentfaltung, Mannheit weiß, daß Leben Schicksalserfüllung ist, Alter wird sich mit beglückendem Staunen bewußt, daß gerade diese sachhingegebene Schicksalserfüllung erst zur Persönlichkeitsentfaltung wurde.
Was von der Persönlichkeit gilt, gilt aber auch von der Gesamtpersönlichkeit eines Volkes, von der Nation. Auch sie ist durch noch so heißes Bemühen unmittelbar nicht zu erreichen, sie ist nur Geschenk und Gnade. Bewußte »Heimatkunst« und »Vaterlandsdichtung« bleibt künstlerisch immer zweiten Ranges. Aber Kunst, die sich um der Menschheit große Gegenstände müht, ist zugleich unentrinnbar national. Wo sich das Streben unmittelbar auf die Durchsetzung der nationalen Eigenart richtet, da wird Nationalgefühl zum Chauvinismus. Die Chauvinisten aller Länder aber zeigen im eigenen Wesen am wenigsten gerade das, wofür sie zu kämpfen meinen, die nationale Eigenart. Im Wettbewerb um die Macht, der notwendig von allen Nationen mit den gleichen Mitteln geführt werden muß, gleichen sich die Völker mehr und mehr an, löschen sie ihre nationale Eigenart mehr und mehr aus. Kämpften im Weltkrieg französischer »Esprit«, englischer »Common sense«, deutsches »Gemüt« miteinander oder nicht vielmehr gleichartige, nur verschieden große Massen von Maschinengewehren, Flugzeugen, Tanks? Das ist gerade die tiefste Sinnlosigkeit des Krieges, daß über die Auswirkung der Eigenart der Nationen das Maß ihrer Macht entscheidet, das mit ihr in keinerlei innerem Zusammenhange steht. So treten Zweck und Mittel einer nationalistischen Staatsauffassung, Nation und Macht, miteinander in schwer überwindlichen Widerspruch. Wie die Persönlichkeit, so muß auch die Nation, sucht sie ihr Ziel nur in sich selbst, von einem letzten Endes ziellosen Willen zur Macht sich treiben lassen. Dieser Machtwille aber zehrt die nationale wie die persönliche Eigenart am Ende völlig auf. Wie der Mensch, um Persönlichkeit zu werden, so braucht das Volk, um Nation zu werden, Aufgaben, die außerhalb und oberhalb der Person und des Volkes liegen.
So verweisen die Gedanken der Persönlichkeit und der Nation auf den Gemeinschaftsgedanken. Aber Gemeinschaft ihrerseits verweist wiederum zurück auf Persönlichkeit und Nation in einer Wechselwirkung, deren Ring nirgends durchbrochen werden kann. Wie Persönlichkeit nur durch Hingabe an Werk und Gemeinschaft zur Entwicklung gelangt, so ist Werk wiederum der Überfluß der Persönlichkeit, lebt Gemeinschaft nur aus dem Leben der Persönlichkeit. Wer immer in der Gemeinschaft lebt, wird schnell bettelarm. Gerade ein inniges Gemeinschaftsleben fordert viele einsame Stunden, in denen sich die Brunnen der Seele wieder mit lebendigem Wasser füllen. Und wie Persönlichkeit, so ist auch Nation Voraussetzung wahrer Gemeinschaft! Nicht das vereinzelte Werk ist ja Ziel der Gemeinschaftsarbeit, nicht das Buch, das in der Bibliothek verstaubt, die Bildsäule, die verschüttet in der Erde ruht, vielmehr die Kultur, d. h. das gegliederte Ganze, die lebendige Einheit, zu welcher alle Kulturwerke sich zusammenfinden. Diese Einheit liegt aber nicht in den Werken selbst, sondern in dem Bewußtsein, das sie zusammenfaßt, und nicht in einem Einzelbewußtsein, das ihre Fülle gar nicht aufzunehmen vermöchte, sondern im Gesamtbewußtsein der Nation und dem national gegliederten Gesamtbewußtsein der Menschheit. Von der Nation her und zur Nation hin ist alle Kultur. Keine Kultur ohne nationale Gemeinschaft, denn Kultur ist nichts anderes als der Geist, in dem ein Volk eins ist, und keine nationale Gemeinschaft ohne Kultur, denn eine Masse wird eben dadurch zu einem Volke, zu einer Nation, daß sie sich in ihrer Kultur ihrer Gemeinschaft bewußt wird.
Aus dem Gemeinschaftsgedanken ergeben sich die Grundforderungen der Gemeinschaftsethik. Die Gemeinschaft fordert im Verhältnis ihrer Glieder zueinander Kameradschaft, im Verhältnis jedes ihrer Glieder zur Gemeinschaft selbst Gemeinsinn, im Verhältnis ihrer Glieder zu dem, was Gemeinschaft erst schafft, zu ihrem Werke, Arbeitsfreude. Kameradschaft, Gemeinsinn, Arbeitsfreude, das sind die drei Grundgedanken sozialistischer Sittlichkeit.
Kameradschaft – das Wort führt auf den Begriff. Kamerad ist ursprünglich der, mit dem ich die Kammer, das Quartier teile; Kameradschaft ist also ein persönliches Verbundensein, das nicht aus einer Neigung, sondern aus einer gemeinsamen äußeren Lage entsprungen ist. Am stärksten kameradschaftsbildend wirkt die gemeinsame Gegnerschaft, aber wenn Kameradschaft nur auf der Zugehörigkeit zu einer und der Gegnerschaft gegen andere Personengruppen, nicht auch auf einem gemeinsamen überpersönlichen Interesse beruht, reden wir tadelnd von Kameraderie. Echte Kameradschaft gibt es nur zwischen solchen, die durch eine gemeinsame Sache, eine gemeinsame Arbeit, ein gemeinsames Werk verbunden sind – nur in der »Gemeinschaft«; die höchste Form des Kameraden ist der »Genosse«. Dagegen ist Kameradschaft noch nicht Freundschaft und um so sorgfältiger von ihr zu unterscheiden, als oft in unmerklichem Übergange aus Kameradschaft Freundschaft wird. Kameradschaft ist ein Ring, der von außen her um uns gelegt ist, Freundschaft ein Zirkel, der um jeden die eigene Neigung schlägt. In der Kameradschaft finden sich die Menschen auf dem Umwege über eine gemeinsame Sache, in der Freundschaft begegnen sich ihre Gefühle unmittelbar. Freundschaft gilt der Gesamtpersönlichkeit des Freundes, schließt Mensch an Mensch mit der Ganzheit ihres Wesens; Kameradschaft verbindet sie nur insoweit, als sie im Dienste jener gemeinsamen Sache stehen, setzt also nur begrenzte Teile der beiderseitigen Persönlichkeiten miteinander in Beziehung. Freundschaft kann einseitig sein, kann mit Goethes Philine sprechen: »Wenn ich dich liebe, was geht's dich an?«, Kameradschaft ist »gegenseitige Hilfe«; Freundschaft ist Liebesgemeinschaft, ein Einandergehören, Kameradschaft Arbeitsgemeinschaft, ein Aufeinanderangewiesensein. Freundschaft ist ein Gefühl, das man nicht verlangen, Kameradschaft ein Verhalten, das man fordern kann. Aber um den Preis einer unpersönlichen und nur teilweisen Verknüpfung erkauft die Kameradschaft die Fähigkeit, um Millionen ihren Ring zu schlagen, während Freundschaft nur einen engen Personenkreis um sich zu versammeln vermag. Alle Menschen Brüder – ein schöner Traum; alle Menschen Kameraden – eine noch nicht greifbare, doch sichtbare Möglichkeit! Wem aber diese nüchterne begriffliche Betrachtung über die Kameradschaft nicht genügt, der möge sich von dem großen, wundervoll einfachen und starken, ja strotzend ungeschlachten Sänger des neuen Gemeinschaftsgefühls sagen lassen, was Kameradschaft bedeute: von Walt Whitman!
Statt Kameradschaft sagen wir auch wohl Solidarität – »ein fremdes, unzulängliches Lehnwort für tiefinnerste seelische Erlebnisse des Proletariers, die der Darstellung spotten. Solidarität heißt: alle für einen und einer für alle, heißt Verlust der sicheren Stelle, Arbeitslosigkeit, Brotlosigkeit um der gemeinsamen Sache willen. Solidarität heißt unermüdliche, aufopfernde Kleinarbeit an der Organisation des Proletariats, geopferte Sonntags- und Feiertagsstunden, Nachtarbeit im Interesse der Organisation nach mühseliger Tagesleistung im kapitalistischen Betrieb. Solidarität heißt Gefängnis, Verbannung um der Genossen willen, heißt Tod auf der Barrikade. Solidarität heißt Verzicht auf höchste Akkordleistung um der minder Tüchtigen willen, heißt Einrichtung eines Gruppenakkordes, so, daß auch die Schwächeren allenfalls bestehen können. Alles, was der Arbeiter empfindet an Treu und Glauben für seine Klassengenossen, an Opferfreudigkeit um der gemeinsamen Sache willen, liegt in diesem Wort beschlossen. Es ist der Ausdruck für das Erlebnis der Verbundenheit in jener Form der Gemeinschaft, die dem Gemüt des einfachen Menschen als die höchste und wesentlichste erscheint: die des gesellschaftlichen Handelns in der äußeren Wirklichkeit.« (Gertrud Hermes.)
Sodann Gemeinsinn – man kann auch sagen: soziales Gefühl, das sich in jedem Augenblick des Handelns nicht nur der Nahwirkung von Mensch zu Mensch, sondern auch der Fernwirkung auf das soziale Ganze, auf seine Ordnung und damit die Wohlfahrt aller verantwortungsvoll bewußt ist. Ist die Liebe zu dem, was man nicht sieht, die edelste Liebe, so ist dieser Gemeinsinn der Vaterlandsliebe edelster Teil. Wie nämlich der Staat, dem sie gilt, drei Bestandteile hat: ein Land, ein Volk, eine Rechts- und Wirtschaftsordnung, so ist auch die Vaterlandsliebe dreifacher Art: sie ist Heimatgefühl, Nationalbewußtsein, schließlich Gemeinsinn. Gewiß ist der Gemeinsinn die schlichteste Art der Vaterlandsliebe, dem feiernden Lied und Wort am wenigsten zugänglich, und doch hat gerade von ihm der Patriotismus seinen Namen: noch das achtzehnte Jahrhundert verstand unter einem Patrioten vorzüglich den tätigen Bürger, der in nüchterner Gemeinnützigkeit bemüht ist, unser aller Haus im Innern wohnlich und freundlich zu machen. Und für uns ist Gemeinsinn wieder Kern- und Schlußstück aller Vaterlandsliebe geworden. Wir haben Anlaß, auf diese dritte Auswirkung der Vaterlandsliebe künftig besonderes Gewicht zu legen. Denn hier ist Vaterlandsliebe, die die Vaterländer verbindet, nicht trennt. Während sich das Heimatgefühl lokalpatriotisch in den engen Bezirk unserer Kinderfüße einschließt, das Nationalbewußtsein auf der Besonderheit beruht, die uns von anderen Völkern unterscheidet, erstreckt sich der Gemeinsinn über die Gemeinschaft der einzelnen in Gemeinde und Staat hinaus bruchlos und folgerichtig bis auf die erdumspannende Gemeinschaft der Staaten. »Ein wenig Patriotismus entfernt von der Internationale, viel Patriotismus führt zur Internationale zurück«, sagt Jean Jaurès.
Schließlich: Arbeitsfreude. Am treffendsten würde die Hingabe an die Sache der Gemeinschaft mit einem noch nüchterneren und schlichteren Wort bezeichnet: Sachlichkeit – wüßte man nur schon, was Sachlichkeit für ein gutes Ding ist. Die mannigfachsten Beweggründe haben die einzelnen zu ihrer Arbeit geführt, in glücklichen Fällen Neigung, oft Eitelkeit, Ehrgeiz, meist Erwerbssinn, Not: die Arbeit soll uns dienen. Aber nun wir an der Arbeit sind, haben wir vergessen, wozu sie uns dienen sollte: wir dienen der Arbeit. Das Gesetz des Werkes, das werden soll, gewinnt über uns Gewalt; in uns wirkt nicht mehr unser Selbst nach seinem Gefallen, sondern die große Sache nach ihrem eigenen Gesetz. Indem wir in der Sache aufgehen, fühlen wir uns erlöst von unserem Selbst und doch erst befreit zu unserem tiefsten Selbst. Niemals ist der Mensch lobenswerter, als wenn er fröhlich ist in seiner Arbeit. Aber nicht nur die Freude, auch der tiefe Ernst eines ganz sachhingegebenen Arbeitsgesichtes ist schön – schön, weil wir in ihm mit Augen sehen, wie eine überpersönliche Ordnung über die Einzelperson Gewalt, in ihr leibhaft und sichtbar Gestalt gewinnt.
Arbeitsfreude, Gemeinsinn, Kameradschaft, diese drei – aber die Kameradschaft ist die größte unter ihnen!