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»Wa – wa – was?« stammelte der ortseingeborene Inkognitogast im Ratskeller zu Altershausen. Da saß er aufgeschreckt und ein wenig verdrießlich, dem jungen, höflichen Mann vor ihm Objekt einer wenig respektvollen und jedenfalls etwas heitervergnüglichen Vorstellung gewesen zu sein, und brummte:
»Ich pflege zu klingeln, wenn ich etwas brauche, lieber Freund.«
Da unter ihm lag der Kindheitsmarkt und da drüben das Haus mit der Blauen Stube. Er saß noch immer in dem allzu bequemen Fenstersessel, und an seinen Beinen hinuntersehend durfte er sich überzeugen, daß sie wirklich nicht in gelben Hosen und blanklackierten Husarenstiefeln steckten. Es schneite auch nicht in eine Christmondsnacht von vor zwei Menschenaltern hinein, sondern alles lag noch im schönsten Nachmittags-Spätsommersonnenschein in dem laufenden Jahr, in welchem er noch einmal dabeiwar in Altershausen, wo er eingeladen worden war, Kaffee zu trinken mit Minchen Ahrens und seinem Freunde Ludchen Bock!...
Eine halbe Stunde später sagte Minchen:
»Das ist zu freundlich von dir, Fritz; aber nun mußt du auch mit uns vorliebnehmen. Komm nur gleich in den Garten.«...
Was ihm kein Traum geben konnte, lieferte ihm nun die Wirklichkeit: alles, was er von seiner Lebens-Heimweh-Fahrt nach der Jugend – nach Altershausen verlangen konnte!...
Es hatte sich nichts verändert. Die dürre Hand, die die seinige in der Haustür faßte, war noch die weiche Kinderhand von vor sechzig Jahren. Es löste sich nichts in Phantasmen und Fratzen auf, und kein neuer Nußknacker löste den alten ab: das große offene Weltgeheimnis lag in seiner ganzen Schönheit und Herrlichkeit vor ihm im Lichte des eben gegenwärtigen Tages, und – er freute sich, daß er mit in der Welt war und zu dem Wunder mit gehörte. – – – – – – – – – – – – – – – – –
Dein blaues Wunder wirst du haben«, sagte Minchen. »Ich habe es ihm glaubhaft machen wollen, daß sein Freund Fritz zum Besuch dasei, und wenn er dich auch nicht so ästimieren kann, so hat's ihn doch darauf gebracht, alle eure Jungensherrlichkeiten von dazumal herauszulangen. Ich weiß nicht, wie es möglich gewesen ist, daß sich das alles so lange erhalten hat; aber es ist wirklich da, und vielleicht erkennst auch du noch was von dem wieder, was dir wohl mal mitgehört haben mag oder was du ihm bei eurer Abreise zurückgelassen und geschenket hast... Aber nicht wahr, hier bei mir hat sich auch nicht viel verändert, wenn du dich daran erinnern kannst?!«
O wie wohl kannte der greisenhafte Gast alles wieder! Von der Haustürschwelle an durch den dunkeln Gang mit dem Herdfeuer im Hintergrund und durch die Hoftür das Sonnenlicht und Gartengrün.
»Aber du kommst wohl zuerst wohl wieder mit in die Stube?«
»Jawohl, jawohl! Führe mich, aber an der Hand, durch deinen Zauber, Minchen, liebes Mädchen.«
»Jawohl, gern. Da guck nur mal, was er dir zu Ehren und Liebe gemacht und zusammengetragen hat! Es ist noch der Tisch, an dem ihr eurerzeit so oft die Köpfe über den Rektor Schuster seinen Aufgaben und, ich darf's wohl sagen, euren Dummheiten und Nichtsnutzigkeiten zusammengesteckt habt. Sieh mal, da steht noch dein Name eingeschnitten. Er kriegte damals Prügel drum von der Mutter.«
Geheimrat Feyerabend legte die Hand auf die Narbe des alten Eichentisches. In keinem Hör- und Lehrsaal, in keinem Prachtsaal der Wonneburgen der Walchen war ihm je das Herz so heiß in der Kehle heraufgestiegen wie jetzt in der Familienstube des Ackerbürgerhauses von vor sechzig Jahren. Was vorhin der Traum aufgebaut hatte, das hatte der »Junge«, sein Freund Ludchen Bock, ihm jetzt in der Wirklichkeit aus den Winkeln und Verstecken fernster Kindheitsvergangenheit hervorgeholt und – zu Ehren hingelegt als einer, der im ersten, schönsten, jüngsten Lebenssonnenschein und Kinderspiel der Erde noch immer mit dabei war! wirklich mit dabei war!
»Er macht heute noch sich alles wieder, was ihr damals zu eurem Pläsier brauchtet; aber es ist auch viel Altes dabei, auch aus deiner lieben Eltern Zeit. Da sieh, alle die Bilderbücher, die du ihm bei eurem Auszug hiergelassen hast. Einer der Herren Doktoren, die seinetwegen hier gewesen sind, hat mal gesagt, da sich so was nicht hielte in der Welt, so wäre manches Buch 'ne Kuriosität. Ich verstehe das nicht; aber guck – erkennen kann man ja von der Farbe nicht viel dran; aber aus deines Vaters Hause stammt auch der! Das weiß ich noch ganz genau, wie er ihn dir für eine von ihm gemachte Schlüsselbüchse abhandelte. Den Schlüssel hatte er seiner Mutter gestohlen, und woher ihr das Schießpulver hattet, weiß ich nicht; aber das nichtsnutzige Ding platzte dir beim ersten Abbrennen in der Hand. Der Doktor mußte damals auch um dich geholt werden; aber es ging glücklicher ab als nachher mit ihm. Euer Teil kriegtet ihr aber beide, er von seinem Vater und Mutter und du von deinen lieben Eltern. Ja, das ist der alte Knacker noch, Fritz. Die Kinnladen kann er wohl noch bewegen; aber eine Nuß knackt er euch nicht mehr.«
Da hatte er nun in der Wirklichkeit in der Hand, was er vorhin im Traum selber gewesen war. – Den alten, verblaßten, kinnladenlahmen Nußknacker, der einmal vor undenklicher Zeit so gut geknackt hatte, auf den er in der Blauen Stube seines Vaterhauses so stolz gewesen war und den – Ludchen Bock gerettet hatte, hielt er in der Hand.
»Sieh, das sind noch seine Schulbücher noch vom Rektor Schuster her«, sagte Minchen. »Er meint ja, er sei immer noch bei ihm drin in der Schule und werde aus ihnen aufgerufen. Du hast auch was drein geschrieben, Fritz, und auch gemalt. Da, guck mal, was! Ihr könnt euch heute noch gratulieren, daß das damals euer Herr Rektor nicht gesehen hat. Und noch dazu in die dicke Bibel und den Ziegenbeins Katechismus, den wir damals hatten – auch wir Mädchen. Heute haben sie einen andern, man sagt, einen bessern, aber das ist einerlei, Gottesfurcht habt ihr zwei damals nicht viel gehabt, und wie es jetzt damit in der Schule steht, was das Verschmieren von Büchern angeht, weiß ich nicht. Doch nun komm in den Garten! Er traut dir immer noch nicht und hat dir seine Ehre, diese hier mit seiner Schatzkammer auf dem Tische, wohl auch aus Furcht und Bangnis angetan; aber er steht im Gange da hinter der Tür schon lange und wartet auf dich, weil es ihm mit dem Kaffee zu lange dauert. Wie ich dir schon gesagt habe, darin ist er recht nach der Stunde geblieben. Unsere Laube wirst du auch wohl wiedererkennen: ich habe nicht viel aufzuwenden gehabt, und so ist alles natürlich so geblieben, wie es war und sich halten ließ. Wo mal ein Bein an der Bank oder am Tisch abmoderte, da ist er geschickt genug. O ja, was so was angeht, kein Mensch hätte mir mein Wesen hier so in Ordnung halten können wie dieser Arme, vom Schicksal Geschlagene, dein und mein Freund Ludchen!« –
In derselben Welle kann man nicht zum zweitenmal schwimmen, aber an demselben Tische kann man wieder sitzen, auch nach Menschenaltern. An der Hauswand zwischen kümmerlichen norddeutschen Weinranken war die Bank befestigt, vor dem der alte Tisch des Vaters und der Mutter Ahrens, zierlich gedeckt mit dem Kaffeegerät, den alten Töpfen und Tassen des Hauses, den Geheimrat Feyerabend erwartete. Nicht mehr in roter Jacke, gelben Hosen und Lackstiefeln – in der Jacke und den Hosen, aus der er seiner Mutter wieder mal herausgewachsen war, stand er da in Minchen Ahrens' Hausgarten, der Professor Geheimrat Dr. Friedrich Feyerabend. Er mußte sich am Türpfosten halten dieser neuen Verzauberung gegenüber. Rundum alles, wie es damals gewesen war. Mit den Hecken und Zäunen und Wegen und den Hausmauern und Giebeln und Scheunendächern der Nachbarschaft wachten auch alle Namen auf. Da Korbmacher Sievers' Anwesen hinter dem alten Birnbaum und dem Bienenhaus, in dem seit hundert Jahren kein Bienenkorb mehr gestanden hatte! Dort Tischler Engelkes Hausdach, wo man durch den Zaun zu des Nachbars Zwetschenbaum gelangen konnte! Da die alte Ahornlaube und die Esche, die ein Urgroßvater gepflanzt haben sollte. Und auf den Beeten, was um diese Jahreszeit damals gestanden hatte, heute noch drauf. Und nur die alten Blumen, nicht das neue bunte Zeug aus allen Weltteilen! Und dann die Stimmen rundum, die alten Laute von damals, Kinderstimmen und Vogelstimmen, Gänsegeschnatter und dann und wann das Muh einer Kuh aus einem näheren oder fernern Stall. Jetzt auch wohl das Keifen einer Frau Nachbarin, das Heulen eines Säuglings.
»Aber Junge, so komm doch endlich! Schäme dich! Ein so großer Junge und will sich noch vor Frem – vor seinen besten Freunden fürchten? Aber Junge, sieh dir doch unseren Besuch jetzt ganz genau an: kennst du denn Fritzchen Feyerabend nicht mehr? Komm Fritz, komm Ludchen, setzt euch hin! Und wenn es auch heute nicht Sonntag ist, so kriegst du doch ein Stück Zucker mehr; nein, Ludchen, du sollst dir selber nehmen dürfen!«...
Nun saßen sie einander gegenüber – die zwei Freunde. Der eine mit einer Welt von Erlebnissen zweier Menschenalter, der andere – – –
»Kannst du noch Mühle?« fragte der – andere. »Willst du noch mal?«
»Aber Ludchen?« stotterte Minchen Ahrens. Doch der Geheimrat winkte ihr und holte selber vom Tisch in der Stube das alte abgegriffene Spielbrett in den Garten.
»O Gott, Gott, aus Eurem Hause, Fritz, stammt das nicht mehr. Ich habe es uns kaufen müssen. Wir spielen es ja wohl manchen Abend lang zusammen, und ich bin nicht immer die beste«, flüsterte Minchen, stets von neuem die Hände ob des Wundertages faltend. »Weißt du, unsererzeit war deine Schwester mein Gegenpart. O Gott, was würde die sagen, wenn sie dich und uns jetzt so sehen könnte. Erzähle ihr nur ja nicht davon; glauben kann sie es doch nicht! Ja, hier geht es noch immer nur um türkische Bohnen beim Spiel.«
Beim Mühlenspiel geht es heute noch nur um die Ehre, und der – andere hatte, wie vor sechzig Jahren, eine Zwickmühle, ehe Fritze Feyerabend es sich versah.
»Ludchen, du hast gemogelt! Du hast den Stein da verschoben!« rief Geheimrat Feyerabend, lächelnd aus all seiner Überlegenheit heraus aber doch mit vollstem Ernst – trotz ihr mit vollstem Jungensernst bei der Sache.
»Willst du wieder was, Fritze?« Und in den Greisenaugen des – andern blitzte die ganze Jungens-Taugenichtigkeit wie vor sechzig Jahren. »Komm an, wenn du was willst!«
»Aber Kinder! Jungens!... Herr Geheimer Rat!« rief Minchen Ahrens. »Schlingel, Ludchen!« Und zu dem Gast in Altershausen sich wendend, sagte sie: »Er hat es auf den Kuchen abgesehen und verlangt für seinen Triumph ein Stück.«
»Gib es ihm«, seufzte Geheimrat Professor Doktor Feyerabend, und, um eine abgebrauchte Redensart in einer sehr ernsten Lebensstunde anzuwenden: die Stirn sank ihm tief in die Hand. – – –
»Das Stillesitzen hält er nicht lange aus«, sagte Minchen. »Weißt du was, Junge, geh du nur noch ein bißchen in den Holzstall an unser Winterholz. Du hast dich die letzte Zeit doch viel zu viel drum weggeschoben.«
»Fritze bleibt noch?« fragte Ludchen mit einem bedenklichen Blick auf den Freund und den Kuchenteller.
»Ja, ich bleibe noch«, sagte der Geheimrat. »Aber da! Nicht wahr, Minchen, den Kuchen darf er mitnehmen?«
Minchen Ahrens nickte, halb seufzend, halb lachend, und nun klang in das, was sie noch zu erzählen und am Maienborn abgebrochen hatte, geraume Zeit seine Säge herein. Wie am Maienborn waren sie dicht aneinandergerückt, die beiden Alten, und es kümmerte sie gar nicht, daß sie nachbarliche Zaungäste zur Genüge um sich hatten. Zumeist Kinder, doch auch Erwachsene, und da vorzüglich Frauen mit Kindern auf dem Arm.
Was nur der fremde Herr in Ahrens' Garten wollte?... Den ganzen Morgen schon sollte er mit der Jungfer Ahrens am Maienborn gesessen haben!... Und mit dem Stadt-Ludchen sollte er wie mit einem richtigen, verständigen Menschen umgehen... War es noch mal ein Doktor und wollte der so spät im Leben seine Kunst an ihm probieren und ihn gesund machen wollen?... Oder – er sah so fremd-vornehm aus! – war das einer aus Amerika, der Minchen Ahrens eine Erbschaft nach Altershausen brachte?...
Die Greisin hatte ihren Strickstrumpf wieder aufgenommen. Das können sie, wenn sie sich mit den größten Heldentaten, die auf Erden geschehen können, beschäftigen oder davon auf Andringen erzählen; und da Minchen Ahrens dem Kindheitsfreunde von einer solchen Bericht gab, hielt sie ihm jetzt schon ganz vertraulich ihr Werk aus grauer Wolle hin, einen Strumpf, in welchem der ausgewachsenste Elefantenfuß aus Deutsch-Ostafrika sich hätte wohlfühlen können.
»Er sorgt da im Stall für mich und ich hier für ihn. Man muß wirklich schon an den Winter denken, und was seinen Verbrauch hiervon betrifft, Fritz, so ist's damit noch gradeso wie in eurer Jungenszeit.«
»Er schnauft tüchtig bei seinem Sägebock«, sagte der Wirkliche Geheimrat nach dem Stall hin horchend.
»Ja, so dick und unbeholfen ist er nicht immer gewesen; aber er ist's früh geworden. Sie meinten, das hinge mit seinem Zustand zusammen. Nachdem wir aus der Schule gewesen sind – ihn haben sie mit hineingehen und hinsitzen lassen mit den anderen, seine Eltern und der Herr Rektor, weil er zu Hause im Wege gewesen ist –, bin ich eine Weile mehr von ihm abgekommen. Ich war eben auch ein frisches, junges Ding und lachte gern und dumm und ließ mich nicht gern um was aufziehen von anderen. Ich will es gestehen, ich ging gern aus dem Wege und sah nicht hin, wenn sie ihren Schabernack mit ihm trieben. Ich schämte mich, mich aus Mitleid und Ärgernis lächerlich machen und zum Weinen bringen zu lassen. Heute nun schäme ich mich noch; aber damals konnte ich nicht anders: die Welt ist einmal so, und ich bin meinerzeit nicht besser als die Welt gewesen und auch mal ein junges Mädchen.«
Es war, als liefe so etwas wie ein rosiger Schein über das Altjungferngesicht neben dem Wirklichen Geheimrat, und er brauchte nicht zu fragen:
»Woher der Abglanz?«
Es klang ihr wie Tanz- und Schützenhofsmusik, es glänzte ihr wie Pfingstmaiengrün aus dem neunzehnten Lebensjahr, und – sie legte einen Augenblick ihr Strickzeug auf den Tisch – sah, nein, horchte nach dem Holzstall, wo die Säge Ludchen Bocks noch immer im Gange war, nahm es wieder auf, sah mit jungjüngferlichem Augenniederschlag auf ihre Nadeln und lächelte:
»Jaja, Fritz, alte Bekannte hier aus der Zeit sagen, ich sei auch mal ein hübsches Mädchen gewesen.«
Ob der gelehrte Mann, der Mann aus den Wonneburgen der Walchen, ihr wohl hätte sagen dürfen, wie schön sie noch sei und was an der Welt schön sei?
Er machte den Versuch nicht einmal durch eine Handbewegung, und sie erzählte ihm weiter von Ludchen Bock und sich.
»Zu Hause hatten sie ihn jetzt mit an die tägliche Arbeit genommen; aber da ging erst das rechte Leiden an. Daß er beim Rektor Schuster nicht weiterkam, sondern ein Kind blieb, begriffen sie; daß er aber auch ein Kind auf dem Felde, im Stalle, in jedem Handwerk – in all unserer Hantierung hier bleiben sollte, das konnten sie nicht einsehen. Und von da an und daraus ist sein weinerlicher Ton angegangen, den nun seit so langen, langen Jahren eigentlich keiner ertragen kann als wie ich, die ich mich nach Gottes Willen nach und nach in der richtigen Weise dran gewöhnen lernte – konnte.«...
Gewöhnen konnte. Konnte!
Welch ein Lehrer wäre der berühmte Gelehrte gewesen, wenn er es seinen Schülern hätte beibringen können, was alles von dem, was die Welt zusammenhält, in diesem Verbum neutrum irregulare aus Minchen Ahrens' Munde lag! Aber wer konnte je in einem Lehr- und Hörsaale den Leuten auseinandersetzen, wie Mutter Natur bei der Arbeit ihr Kind weinen hört und singend die Wiege mit dem Fuße tritt? –
»Ja, ja, ja, Fritz, es war eine lustige Zeit, die Zeit, wo unsereins, ich meine uns Mädchen, nicht aus dem Kichern und Lachen herauskommen kann! Des Abends auf der Bank vor der Tür und am Brunnen und Sonntags sogar in der Kirche und nach der Kirche erst recht, und alles von Rektor Schusters Jungens, was eine sonsten bis zum Heulen und Brüllen erboset, geärgert und an den Zöpfen gezogen und allen Schabernack angetan hat, nun auf einmal ganz anders. Ein paar Flegel – natürlich nur gröber und unverschämter; aber die Besseren und Feinern – und, lieber Gott, doch die meisten! –, die Besseren nicht bloß anständig, sondern so manierlich und blöde, daß man da zwar hinter ihrem Rücken erst recht mit dem Kichern und Lachen herausplatzt, aber doch wieder bei Nacht so was wie Gewissensbisse hat und sich über sich selber ärgert und meint, daß man doch ein bißchen höflicher und nicht so grob hätte sein können.«
Der Schein auf dem Greisengesicht war immer rosiger geworden. Nun sah sie verschämt, verlegen und doch wirklich schalkhaft den Freund von der Seite an:
»Herr Geheimer Rat – dich meine ich, Fritz Feyerabend, du mußt es dir ganz allein auf deine Rechnung schreiben, daß ich so dumm schwatze. Wir sind doch eigentlich heute morgen vom Maienbrunnen her wie die Kinder aus ihm herausgekommen und sitzen hier so zusammen! So was wie Ludchen Bock und mir kann doch noch keinem andern auf Erden durch einen Besuch passiert sein, und ich kann ja auch immer noch nicht recht daran glauben.«
»Ich glaube an dich von ganzem Herzen, Minchen! Versuche es also auch weiter mit mir: glaube an den armen Schatten wie ich an dein junges, blühendes Leben. Das Wetter ist so schön, und ich möchte wirklich noch mal dabeisein – beim Kinderspiel der Erde!«
Plötzlich legte sie nun ihre Hand auf die des Freundes.
»Weißt du, Fritz, wie ich es machen will? Du hast mir so gut und ruhig von deiner lieben jungen Frau und deinem armen kleinen Kindchen erzählt: nun will ich mir denken, ich säße auf eurem Kirchhofe, wo sie liegen, bei ihren lieben Gräbern und will da, weil du es willst und noch dazu nach hieher jetzt gekommen sein mußt, weiter mir vom Herzen abschütteln, was drauf liegt seit – seit – ja, wie lange ist's eigentlich her?«
Der Weltwanderer und Gast von Altershausen sah verwundert ob der Frage auf; aber sie – die Freundin – hatte wohl Recht dazu an diesem Orte, in diesem Hausgarten, mit diesen Zäunen, Dächern und allem übrigen rundum – in diesem verzauberten Winkel, wo sie der Welt Schönheit zwei Menschenalter verschlafen hatte wie Dornröschen in ihrem dornenüberwachsenen Königsschloß! –
Die Säge Ludchen Bocks hatte schon seit einer Weile sich nicht hören lassen, und nun geschah etwas recht Absonderliches.
Um den Pfosten der Stalltür herum erschien das geschwollene, bartlose Jungens-Altgesicht des Freundes, und Ludchen Bock winkte dem Wirklichen Geheimen Rat, winkte vergnüglichst-vertraulich grinsend:
»Komm, Fritze, ich will dir mal was zeigen!«
Das war der Ton von vor sechzig Jahren, und Minchen Ahrens sah fast erschrocken auf und hin nach ihrem Schützling. Sie stotterte es fast hervor:
»Nun, was ist's denn, Ludchen?«
»Er hat meine Kaninchen noch nicht gesehen. Ich schenke ihm wieder mal eins mit roten Himbeeraugen für seine Mutter.«