Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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a. Nereus und die Nereiden.

433 Nereus ist ein besonderer Liebling der griechischen Sage und mag mit seiner blühenden Umgebung anmuthiger Töchter bei dem griechischen Volke, wie es auf den Inseln und Küsten lebte, erst recht populär gewesen sein. Die Dichter schildern ihn als einen guten und freundlichen, lieben alten Meeresgreis, der mit tiefer Erfahrung einen aufrichtigen und redlichen Sinn verbindet und mit seinen Töchtern die Tiefe des Meeres in schimmernder Höhle bewohntIl. 18, 35. 50. 141, Hesiod th. 234. In Gytheion hieß er der Alte schlechthin (ὁ γέρων, Paus. 3, 21, 8) und dieses scheint überhaupt ein volksthümlicher Ausdruck für die Meeresgötter zweiten Ranges gewesen zu sein.. Der Name Νηρεὺς ist von νάω, ναρὸς abzuleitenAeschylos b. Phot. ναρᾶς τε Δίκης i. e. ῥευστικῆς, s. Unger Parod. Theb. p. 88. Auch die Νηίδες Ναιάδες und die Empedokleische Νῆστις gehören zu demselben Stamme. Nerine Galatea Virg. Ecl. 7, 37, nerinas aquas i. e. marinas Nemes. ecl. 4, 52, animantia nerina i. e. pisces Auson. ep. 4, 55, nerina chelys i. e. marina Martian. Cap. 9, 915. Im Neugriechischen ist noch jetzt νερὸ der allgemeine Ausdruck für Wasser., sein ganzes Wesen ein ehrwürdiger Ausdruck des ruhigen und freundlichen Meeres, das dem unternehmenden Geiste des Menschen willig seinen Rücken bietet, seine Sinne mit tausend lieblichen Erscheinungen erfreut und seinen Geist zu vielen Erfahrungen, seinen Erwerb zu großem Gewinn anleitet. Seine Töchter, die Nereiden, deren er mit der Okeanine Doris nach Hesiod Pindar und SophoklesO. C. 719 ἑκατόμποδας Νηρῆδας, als tanzender Chor zu denken. Hundert Nereiden zählen Plato Krit. p. 116 E, Ovid F. 6, 493. Andre unterscheiden ächte und unächte Nereiden, Mnaseas b. Ammon. d. diff. verb. v. Νηρείδες. in runder Zahl fünfzig, nach späteren Mythologen hundert erzeugt hat, vergegenwärtigen den Reichthum dieser Meereswelt in der zierlichsten Weise, indem auch ihre Namen sinnbildlich und malerisch sind und von den Dichtern so wie die der Okeaninen gruppirt werdenAußer Hesiod th. 240 ff. s. Il. 18, 35 ff., Apollod. 1, 2, 6. Nicht selten werden sie einfach Seenymphen, Seejungfern genannt, νύμφαι ἅλιαι, πελάγιαι, Nymphae marinae s. Sophokl. Phil. 1470, Ovid M. 13, 736; 14, 566.. So paart sich bergende Rettung mit der wogenumrauschten Meeresherrschaft (Σαώ τ' Ἀμφιτρίτη τε), Windstille mit glänzendem Farbenschimmer (Γαλήνη und Γλαύκη), Wogenschnelle mit der bergenden Grotte (Κυμοϑόη und Σπειώ), flinkes Wellenspiel und reizende Strömung (Θόη und Ἁλίη 434 ἐρόεσσα), sanftes Tragen mit mächtigem Andrang (Φέρουσα und Δυναμένη). Oder es wird das Bild der Anmuth mit dem einer schönen Bucht und hoher Würde zusammengestellt (Μελίτη Εὐλιμένη Ἀγαυή), der lockende Reiz des Wassers mit Liebesfülle und Siegesfreude (Πασιϑέη Ἐρατώ Εὐνείκη), das Wellengeflüster am Strande mit der rings umflossenen Insel (Νησαίη Ἀκταίη). Und noch lebendiger wird dieses Namengemälde wenn es an die reichen Gaben des Meeres (Δωρίς Δωτώ Εὐδώρη), die weite Aussicht seiner Fläche (Πανόπη) erinnert, oder an die Schnelligkeit und Verschlagenheit der gleitenden Wogen (Ἱπποϑόη Ἱππονόη), an den Handelsmarkt und sein geschäftiges Treiben worin doch Ordnung waltet (Λειαγόρη Εὐαγόρη Λαομέδεια), an Geschäft und Gewinn (Αὐτονόη und Λυσιάνασσα), oder endlich an den landschaftlichen Hintergrund der sandigen Küste oder der grünenden Bucht, an welcher Lämmer und Pferde weiden (Εὐάρνη Ψαμάϑη Μενίππη). Auch werden an den Töchtern dieselben Tugenden gepriesen die den Vater zieren, rechtliche Billigkeit, erfahrene Weisheit, offene Redlichkeit (Θεμιστώ Προνόη Νημερτής ϑ' ἣ πατρὸς ἔχει νόον ἀϑανάτοιο). Vor allen übrigen berühmt sind Amphitrite, Poseidons Gemahlin, und Thetis, die Herrin und Chorführerin der fünfzig Nereidenδέσποινα πεντήκοντα Νηρήδων κορᾶν Aesch. fr. 168., um welche Zeus und Poseidon gefreit und die sich doch dem sterblichen Peleus ergeben müssen. Doch wurden auch Psamathe, die Geliebte des Aeakos, und bei andern Dichtern Panope und Galateia genannt, letztere die schalkhafte Geliebte des Kyklopen Polyphemos und ein großer Liebling der Sicilianer und GroßgriechenAlkiphr. 1, 19 Πανόπη νομίζων ἢ Γαλατείᾳ ταῖς καλλιστευούσαις τῶν Νηρηίδων συνεῖναι. Γαλάτεια ist die Milchweiße, vgl. Himer. ecl. 13, 21 am Meeresstrande bei Korinth χόρος Νηρηίδων ἐχόρευε, λευκαὶ πᾶσαι, γαλὰ αὐτὸ οἷον ἂν ἐκεῖνο γένοιτο τέχναις ποιμένων ἱστάμενον, γλαυκαὶ τὸ ὄμμα, κομῶσαι τῷ βρύῳ, ἔτι λευκὸν ἐκ τῆς ϑαλάττης ἄφρον ἐξ ἄκρων πλοκάμων στάζουσαι und Lukian D. Mar. 1, Jacobs z. Philostr. im. p. 507. Kleinere Gedichte auf sie Anthol. lat. 1, 626. 627. 630. 631.. Der Nereidenchor im Ganzen aber pflegt bei Dichtern und Künstlern alles ruhige Seeleben durch reizende Tänze und anmuthige Bewegungen zu verschönernEurip. Ion 1081 πεντήκοντα κόραι Νηρέος αἱ κατὰ πόντον ἀενάων τε ποταμῶν δίνας χορευόμεναι. Vgl. Iph. T. 426, Iph. A, 1054.. Denn in der Tiefe des Meeres wohnend führen sie gewöhnlich ein idyllisches Stillleben auf der Höhe des Meeres oder an den Küsten und Buchten, indem sie bei sonnigem Wetter oder beim 435 Mondscheine das feste Land und die Mündungen der Flüsse suchen und sich die nassen Haare, die grünlichen trocknenHorat. Od. 3, 28, 10, Ovid M. 2, 12, Stat. Silv. 1, 5, 15., oder sie musiciren mit den Tritonen, oder sie überlassen sich am Strande des Meeres oder an den Ufern der Ströme ihrer Lust an Tanz und Gesang, die sie mit allen Nymphen theilen, oder sie gleiten auf Delphinen Hippokampen und anderen Meeresgeschöpfen durch die Fluth, unter ihnen häufig die nah verwandle Aphrodite des MeeresVgl. Müller Handb. § 402, 3. Schöne Nereidengruppen sieht man in Gerhards Apulischen Vasenbildern. Nereidennamen auf Vasen b. O. Jahn Einleit. z. Vasenk. p. 117, 858.. Und so wurden sie auch auf den Inseln wie an den Küsten und Strommündungen viel verehrt, indem man in solchen Gegenden auch wohl von Achill und von Thetis und von den Argonauten erzähltePaus. 2, 1, 7 ταύταις καὶ ἐτέρωϑι τῆς Ἑλλάδος βωμοὺς οἶδα ὄντας, τοὺς δὲ καὶ τεμένη σφίσιν ἀναϑέντας ποιμαίνισιν, ἔνϑα καὶ Ἀχιλλεῖ τιμαί, wo wohl zu lesen ist πρὸς ἠιόσιν, vgl. Schol. Apollon. 2, 658 u. P. 3, 26, 5, wo die Nereiden den Sohn des Achill auf seiner Brautfahrt an der lakonischen Küste aufsuchen, wie Thetis ihn nach Lykophr. 857 Tzetz. im Garten der Iuno Lacinia b. Kroton beklagt. Von den Argonauten s. Apollon. 4, 842 ff. u. Catull 64, 14 ff., wo u. a. illaque haudque alia viderunt luce marinas mortales oculi nudato corpore Nymphas. Culte und Sagen von den Nereiden an der Küste Sepias unter dem Pelion b. Herod. 7, 191, in Lesbos Plut. Sap. conv. 20, auf Delos Aristot.b. Athen. 7, 47, am Isthmos von Korinth Arg. Pind. Isthm., auf Kerkyra Schol. Apollon. 4, 1217. Ohne Zweifel war dieser Glaube über das ganze Mittelmeer verbreitet, vgl. Plin. 9, 9–12., denen sie auf ihrer Fahrt beigestanden hatten, obwohl sie sich sonst vor sterblichen Augen nicht leicht sehen ließen, am wenigsten nackend. Doch pflegte der Antheil aller Götter am Heldenleben auch diese Wesen ihrem elementaren Wohlbehagen zu entziehen, selbst den alten Vater Nereus, wie namentlich die Heraklessage und die des Peleus von solchen Abenteuern berichteten. Und zwar erscheint Nereus in solchen Dichtungen und auf den dazu gehörigen Bildern als königlicher Meeresgreis, weissagerisch und reich an Verwandlungen, wie alle See- und FlußgötterHorat. Od. 1, 15, 5. Nereus auf einem Seepferde mit dem Dreizack und langen grauen Locken bei Gerhard A. V. t. 8. Sonst führt er auch den Scepter und ist durch sparsames Haar characterisirt.. Die jüngere Tradition weiß auch von einem Sohne desselben mit Namen Nerites, welcher wunderschön und ein Liebling der Aphrodite gewesen sei, die ihn, als er ihr nicht in den Himmel folgen wollte, in die gleichnamige Muschel verwandelt und statt seiner Eros 436 zu ihrem Begleiter erwählt habeAelian N. A. 14, 28, Et. M. v. ἀνηρίτης. Andre nannten ihn einen Liebling des Poseidon, den Helios in eine Muschel verwandelt habe.. Doch scheint dieses nur eine der vielen Verwandlungsgeschichten späterer Erfindung zu sein; dahingegen die große Schaar seiner Töchter den Glauben des Volks immer viel beschäftigt hat, ja noch jetzt beschäftigt, obwohl die jetzigen Griechen unter den Nereiden, von denen ihre Lieder und Sagen erzählen, nicht blos die Nymphen der See, sondern die des Wassers überhaupt verstehenRoß Inselr. 3, 45, Pashley trav. in Crete 2, 214 ff.. Wohl aber sieht man in den griechischen Seeplätzen noch jetzt die altherkömmlichen Bilder der Meeresfrauen und Seejungfern oft mit roher Hand an die Wand gemalt, mit Fischschwänzen und einem Schiffe auf der Hand.


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