Ludwig Preller
Griechische Mythologie Theogonie, Götter
Ludwig Preller

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Zweiter Abschnitt.
Die Götter.

Die beste Anleitung zu der schwierigen Aufgabe die griechische Götterwelt einigermaßen zu gliedern und einzutheilen giebt die Dreitheilung der Welt und ihre Vertheilung unter die drei Kronidenbrüder (S. 49); wenigstens tritt diese Eintheilung der Welt in die drei Hauptgebiete des Himmels der Erde und des Meeres, wie sie den Griechen und allen Anwohnern des Mittelmeers so nahe lag, auch sonst bei vielen Gelegenheiten als eine leitende Anschauung hervorIl. 18, 483 ἐν μὲν γαῖαν ἔτευξ', ἐν δ' οὐρανόν, ἐν δὲ ϑάλασσαν. Es sind dies die τρεῖς λήξεις Paus. 2, 24, 5, die tria corpora, tres species dissimiles mundi, welcher deshalb auch selbst triplex oder natura triplex genannt wird, Lucr. 5, 93, Ovid M. 5, 368; F. 5, 11, Stat. Theb. 4, 516, Lucil Aetn. 100, Orph. H. 11, daher bei der Hekate, bei der Aphrodite und andern All-Göttern immer ihre Herrschaft über die drei Theile besonders hervorgehoben wird, z. B. bei Hesiod th. 412. Sonst werden auch die Quellen und Flüsse, κρῆναι καὶ ποταμοί, neben den Mächten des Himmels und der Erde genannt, namentlich in Schwurformeln, vgl. Il. 3, 275 ff. und die der kretischen Stadt Dreros.. Selbst Poseidon wird, obwohl sonst zu den Olympiern gerechnet, doch nicht unter ihnen, sondern in der Tiefe des Meeres unter den übrigen Meeresgottheiten wohnhaft gedacht, welche auch sonst mit ihrer bald gaukelnden bald stürmischen Natur, ihrem geheimnißvollen Wesen und der Fülle ihrer wunderbaren Gestalten ein eignes Geschlecht ausmachen. Sonst werden freilich die Götter der Oberwelt und die der Unterwelt einander sehr oft entgegengesetztDer gewöhnliche Sprachgebrauch ist οἱ ἄνω und οἱ κάτω, οἱ ὕπατοι und οἱ χϑόνιοι, auch οἱ οὐράνιοι und οἱ χϑόνιοι. Vgl. die Schwurformeln Il. 15, 36, Od. 5, 184 u. Il. 19, 258, Soph. O. C. 1654 ὁρῶμεν αὐτὸν γῆν τε προσκυνοῦνϑ' ἅμα καὶ τὸν ϑεῶν Ὄλυμπον ἐν ταυτῶ λόγω, meine Dem. u. Perseph. 184 ff. u. die Cultusgebräuche b. Hermann Gottesd. Alterth. § 13, 6; 21, 12; 28, 16 u. 27; 29, 1; 45, 5. Auch im Cultus der Römer war dieser Gegensatz der vorherrschende, Röm. Myth. 46.; 83 wobei man sich aber hüten muß deswegen auf einen verschiedenen Ursprung dieser Culte und auf verschiedene Religionen zu schließen. Vielmehr ist der wahre Grund des Unterschiedes auch hier das Naturleben und die daraus für das menschliche Gemüth erwachsende Empfindung. Wie der Himmel der Sitz des Lichtes und der Klarheit ist, so sind auch seine Götter überwiegend von dieser Natur, die auch der Cultus durch Sinnbilder und Gebräuche von entsprechender Beschaffenheit andeutet. Dahingegen das irdische Naturleben in den Bergen und auf den Aeckern, in der Vegetation des Waldes und in den Blumen und Früchten so reich an Bildern der Lust, des Reizes und der Schönheit, aber auch an denen der Hinfälligkeit und schnellen Vergänglichkeit alles irdischen und creatürlichen Lebens ist, daß sich auch dieses sehr natürlich in dem Gottesdienste wiederspiegelte. Dazu kommt daß die Religion dieser Götter, namentlich derer die in der tiefen Erde hausend gedacht wurden (καταχϑόνιοι), der Sitz aller Todesgedanken und aller auf Tod und Unterwelt sich beziehenden Gebräuche und Sagen war.

Die himmlischen Götter sind auch die mächtigsten, durch die religiöse Dichtung und den Gottesdienst am meisten gefeierten: unter ihnen wieder Zeus als der Himmlische schlechthin und vor allen übrigen mächtig weise und herrlich: das Haupt und der persönliche Mittelpunkt der gesammten Götterwelt und Weltregierung, wie dieses die Titanomachie und Gigantomachie mythologisch rechtfertigten, die Heldensage es in ihren verschiedenen Cyclen in epischer Weise an der überall zu Grunde liegenden βουλὴ Διὸς durchführte, und alle ernsteren Dichter Philosophen und Theologen es in vielen erhebenden Bildern und Sprüchen bekräftigen. In keinem Bilde großartiger als in dem bekannten der Ilias 8, 13–27, wo Zeus jeden widerspenstigen Gott in den Tartaros zu werfen droht und darauf hinzusetzt, sie sollten es nur versuchen und eine goldne Kette vom Himmel herablassen und sich alle daran hängen, Götter und Göttinnen, sie würden ihn doch nicht vom Himmel auf die Erde hinabziehn, ihn den obersten Herrn und Meister, wenn sie sich auch noch so sehr anstrengten: er aber werde sie leicht zu sich hinaufziehn, mit der Erde und mit dem Meere, und die Kette dann um 84 die Kuppe des Olympos herumschlingen, so daß alle Dinge schwebend daran hängen würden; so sehr sei er über alle Götter und über alle Menschen. Ein in das Spiel des Wettziehens nach beiden Seiten verwandeltes Bild, mit welchem sich die allegorische und philosophirende Auslegung von jeher gerne beschäftigt hatEuripides deutet das Bild im Anaxagoreischen Sinne auf die Sonne, Or. 982, und so versteht es auch Plato Theaet. 153, welchem zu Liebe später die Neuplatoniker außerordentlich oft auf dasselbe zurückkommen., da der einfache Sinn wohl kein anderer ist als dieser daß der oberste Gott des Himmels, der im Aether thronende Zeus, auch der mächtigste von allen Göttern und in der ganzen Welt ist, von welchem eben deshalb alles Uebrige abhängt: welche Abhängigkeit durch das Bild der Kette und den daran hängenden Göttern treffend veranschaulicht wird. Denn der Himmel ist ein Sohn des Aethers, wie ein alter Dichter sagte (S. 33), d. h. jenes ewig strahlenden GlanzesIl. 8, 558 οὐρανόϑεν δ' ἀρ' ὑπερράγη ἄσπετος αἰϑήρ. Aesch. Pr. 1091 ὠ πάντων αἰϑὴρ κοινὸν φάος εἰλίσσων. Aristoph. Nub. 285 ὄμμα γὰρ αἰϑέρος ἀκάματον σελαγεῖται μαρμαρέαις ἐν αὐγαῖς. Eurip. b. Corn. n. d. 20 κορυφὴ δὲ ϑεῶν ὁ πέριξ χϑόν' ἔχων φαεννὸς αἰϑήρ. Plato Tim. 580 ἀέρος τὸ εὐαγέστατον ἐπίκλην αἰϑὴρ καλούμενος. Steph. B. αἰϑὴρ ὁ ὑπὲρ τὸν ἀέρα πεπυρωμένος τόπος. Ennius b. Cic. n. d. 3, 29 adspice hoc sublime candens quem invocant omnes Iovem. Vgl. Krische Forsch. 306 ff. Immer ist der Aether leuchtendes Feuer, strahlender Glanz; daher das beständige Epitheton λαμπρὸς αἰϑήρ. Auch der Name drückt dieses aus, αἰϑὴρ von αἴϑω wie πρήστηρ von πρήϑω., den man für die Quelle alles Lichts und die Substanz aller himmlischen Erscheinungen hielt, daher auch die Philosophen, namentlich seit Aristoteles und den Stoikern, diesen obersten und höchsten Himmel für den Sitz alles Unsterblichen und Herrschenden, alles Geistigen und Belebenden, ja für die Gottheit selbst zu erklären pflegten. In diesem Sinne also ist auch Zeus als ätherischer Lichtgott (αἰϑέρι ναίων) und als Inhaber des Blitzes, des ätherischen Feuers, zugleich der physisch stärkste und der geistig weiseste und beste unter den Göttern, welcher Himmel und Erde mit allen ihren Göttern und Geschöpfen schwebend trägt, an einer goldnen Kette weil Gold wie der goldne Regen bei der Geburt der Athena, des Perseus und des Herakles Licht bedeutet, und sie wird um den Gipfel des Olympos geschlungen diese Kette, weil Zeus in seiner höchsten Majestät auf diesem Berge thronend gedacht wurde (S. 50). Wird dieser Gott doch auch sonst immer in vielen alten, durch die epische Tradition gegebenen Wendungen als der Höchste, der Beste, der Mächtigste, der Herrlichste 85 gepriesenὕπατος μήστωρ, ϑεῶν ὕπατος καὶ ἄριστος, Ζεὺς ὕπατος Κρονίδης, ὕπατος κρειόντων, κύδιστε μέγιστε, ὃς πᾶσιν ϑνητοῖσι καὶ ἀϑανάτοισιν ἀνάσσει u. s. w. Ueber Ζ. Κρονίων s. oben S. 44., als der Vater von Göttern und Menschenπατὴρ ἀνδρῶν τε ϑεῶν τε, eine Erweiterung der alten Anrufungsformel Ζεῦ πάτερ, welche wie Jupiter, Janus Pater u. dgl., also nicht in genealogischem, sondern nur in patriarchalischem Sinne zu verstehen ist, Röm. Myth. 50. 166., der Gott unter den Göttern, welche neben ihm nicht selten als namenloser Collectivbegriff genannt werden, während Zeus eben so oft der Gott oder Gott schlechthin (ϑεός, ὁ ϑεός) heißtΖεὺς καὶ ϑεοὶ oder ϑεοὶ ἄλλοι, wie in Rom Jupiter ceterique dii. Ueber den Gebrauch von ϑεός und ὁ ϑεός s. Welcker Gr. Götterl. 1, 180 u. Lehrs popul. Aufs. 128. und auf genealogischem Wege sein Verhältniß zu den übrigen Göttern dadurch daß er der Erstgeborne, der Gatte, der Vater ist gleichfalls durchweg als das des obersten Hauptes festgestellt wird.

Insofern ist die griechische Götterwelt also keineswegs ohne Einheit, ja sie verräth einen sehr vernehmlichen Zug zum Monotheismus, nur daß diese Religion als Naturreligion niemals zu der Vorstellung eines schlechthin einzigen und von der Natur unabhängigen Gottes gelangen konnte, sondern immer nur einen comparativ höchsten gelten ließ und auch dessen Wesen mit den Bedingungen und Wandlungen des Naturlebens vielfach verstrickte. Indessen verräth sich der monotheistische Trieb, bei so großer Zahl und Mannichfaltigkeit der Götter die Einheit des Gedankens zu behaupten auch durch manche andere Merkmale, namentlich durch das sehr bemerkenswerthe der mythologischen Gruppenbildung, welche sich bald in gewissen herkömmlichen Zahlverhältnissen bald nach örtlichen oder genealogischen Beziehungen in den verschiedensten Formen wiederholt und überall wenigstens auf die Einheit eines collectiven Begriffs zurückführt. Unter den Zahlen, deren sich dieser Trieb bedient, ist außer der Paarung besonders die Dreizahl beliebt, wie in der Gruppe der Chariten, der Moeren, der Hesiodischen Kyklopen, der Hekatoncheiren, aber auch beim Schwure und beim Gebete, so daß drei Götter vor allen übrigen herausgegriffen und anstatt aller angerufen werden, wie bei Homer Zeus Athena und Apollon sehr oft als Inbegriff aller göttlichen Ehre und Macht genannt werdenεἰ γὰρ Ζεῦ τε πατερ καὶ Ἀϑηναίη καὶ Ἄπολλον Il. 2, 371; 4, 288; 7, 132; 16, 97, Od. 7, 311; 18, 235; 24, 376. Von Athena und Apoll allein εἰ γὰρ ἐγὼν ὧς εἴην ἀϑάνατος καὶ ἀγήραος ἤματα πάντα, τιοίμην δ' ὡς τίετ' Ἀϑηναίη καὶ Ἀπόλλων Il. 8, 537, und mit der characteristischen Variation: εἰ γὰρ ἐγὼν οὕτω γε Διὸς πάις αἰγιόχοιο εἴην ἤματα πάντα, τέκοι δέ με πότνια Ἥρη, τιοίμην δ' ὡς τίετ' Ἀϑηναίη καὶ Ἀπόλλων 13, 825. Es ist zu bemerken daß beidemal Hektor spricht und daß diese drei Götter, Zeus Athena und Apollon, die vornehmsten Burggötter von Troia waren, obwohl sie auch in Athen statt aller übrigen genannt wurden, s. Plato Euthyd. 302, Demosth. Mid. 198. Sie scheinen eine Art von feststehender Trias gebildet zu haben, wie die drei Capitolinischen Götter, Jupiter Juno Minerva für Etrurien und Rom und in andern Religionen andre Götter. und 86 Solon für den Gebrauch des attischen Staates drei Schwurgötter vorgeschrieben hatteHesych v. τρεῖς ϑεοί. Nach Poll. 7, 142 τρεῖς ϑεοὺς ὀμνύναι κελεύει Σόλων, ἱκέσιον καϑάρσιον ἐξακεστῆρα, wäre es Zeus in drei verschiedenen Eigenschaften gewesen. Die Heliasten schwuren beim Zeus Basileus, Apollo Patroos u. der Demeter, Arist. Eq. 941, Poll. 8, 122, Meineke Philol. 15, 139.. Daher bei erweitertem Umfange des Götterbegriffs, namentlich wo an öffentlichen Orten und viel besuchten Gegenden eine Art von Ausschuß der gesammten Olympischen Götterwelt vergegenwärtigt werden sollte, die bekannte Gruppe von zwölf Göttern oder sechs Götterpaaren entstand, wie der Sage nach Deukalion solche Altäre in Thessalien, Herakles in Olympia, Jason am Eingange zum Pontos gestiftet hatte und auch auf dem Markte von Athen und sonst in vielen Städten solche Zwölf-Götter-Altäre zu sehen warenVon Deukalion s. Hellanikos b. Schol. Apoll. 3, 1085. 1086, Von Herakles Pind. Ol. 5, 5 βωμοὺς ἓξ διδυμοὺς ἐγέραρεν ἑορταῖς ϑεῶν μεγίσταις, wo die Scholien nach Herodot als die Götter dieser sechs Altäre nennen: Zeus Poseidon, Hera Athena, Hermes Apollon, Dionysos und die Chariten, Artemis Alpheios, Kronos Rhea. Von Jason Apoll. Rh. 2, 532, wo die Scholien die zwölf in dieser Folge aufzählen: Zeus Hera Poseidon Demeter Hermes Hephaestos Apollon Artemis Hestia Ares Aphrodite Athena. Von dem Altare in Athen Herod. 6, 108, Thukyd. 6, 54. Auch nach Italien hatte sich dieses System der zwölf Götter mit den griechischen Colonien verbreitet, Röm. Mythol. 59.. Außerdem liefern die Götterversammlungen (ϑεῶν ἀγοραὶ) und Götterzüge der Dichter und der bildlichen Denkmäler, die Göttergruppen auf den Burgen und den Märkten der bedeutendsten Städte, die Anrufungen der Götter zu gewissen Zwecken des Gebets oder der Beeidigung oder sonst einer heiligen Handlung eine Menge von Beispielen desselben Triebes, welcher die Einheit der Handlung, des Zwecks, der örtlichen Beziehung dadurch ausdrückt daß er die Götter gleichsam in Accorden d. h. auf unzertrennliche Weise verbunden und zusammengehörig (σύνναοι, σύμβωμοι) auftreten läßt. Die griechische Götterwelt verliert auf diese Weise von selbst den Character der polytheistischen Zerstreutheit. Sie stellt sich vor als ein großes, schön und harmonisch geordnetes, die Einheit des Kosmos 87 wiederspiegelndes, wie die Pyramide auf breiter Basis zu dem einen Gipfel emporstrebendes Pandaemonium.

Was endlich die Natur der griechischen Götter betrifft so deutet schon der Doppelname ϑεοί und δαίμονες auf eine verschiedene Auffassung; wenigstens pflegt von diesen bei Homer und den älteren Dichtern von denselben Göttern gebrauchten Wörtern jenes mehr die Persönlichkeit eines Gottes, wie dieselbe durch Cultus und Mythologie bestimmter umschrieben war, das Wort δαίμων dagegen mehr seine im Leben und in der Natur hervortretende Macht und Wirkung, sein numen auszudrückenVgl. Nitzsch z. Od. 2, 135–37, Nägelsbach Hom. Theol. 68 ff., Nachhom. Th. 111 ff., Lehrs popul. Aufs. 123 ff. Etymologisch wird ϑεὸς jetzt gewöhnlich für gleiches Stammes mit divus gehalten, so daß ϑεοὶ eigentlich die Himmlischen, die Leuchtenden wären, doch widerspricht G. Curtius Grundz. 1, 220. δαίμων hängt zusammen mit δάω, δαίω in der Bedeutung wissen, vgl. δαήμων, δαΐφρων.: bis später, zuerst bei Hesiod (S. 70), die Dämonen sich als eine eigne Klasse von geisterartigen Wesen geltend machen, welche sich bald den größeren Cultusgöttern in ihren besonderen Kreisen als dienende Genien anschließen bald auf die einzelnen Beziehungen des menschlichen Lebens als hülfreiche Schutzgeister eingehen. Andre Unterschiede ergeben sich je nachdem man entweder von den bildlichen Vorstellungen des Cultus und der Cultuslegende ausgeht, wie uns deren besonders Pausanias viele überliefert, oder von dem örtlichen Märchen und der einfacheren Volkssage, in denen sich das Alterthümliche am längsten zu erhalten pflegt, oder endlich von den Traditionen der epischen Dichtung, welche durch eine längere Zucht und Schule der kunstmäßigen Uebung hindurchgegangen auch den religiösen Gedanken nicht mehr in seiner ursprünglichen Einfachheit und Innigkeit wiedergeben. Vielmehr treffen wir hier die Götter in einer so lebendigen Betheiligung an allen Vorgängen und Thatsachen der menschlichen Welt und des nationalen Lebens, namentlich in den höheren und ritterlichen Kreisen, daß eben deswegen gewisse Seiten des alten volksthümlichen und ohne Zweifel auch damals im Volke fortlebenden Götterglaubens entweder gar nicht oder doch nur beiläufig zur Sprache kommen. So sind alle Beziehungen der Götter zur Natur, so deutlich sie in dem Festcyclus der Griechen, in den örtlichen Culten und Cultuslegenden und in vielen Märchen vorliegen, in dieser poetischen Welt der Helden und ihrer Kriege und Abenteuer fast gänzlich verloren gegangen, so daß selbst die dem Natur- und ländlichen Kreise speciell angehörenden Götter, 88 namentlich Demeter und Dionysos, nur beiläufig erwähnt werden: eine so wesentlich in der Natur des weltlichen Gesanges und der epischen Kunstübung begründete Erscheinung, daß man sich eben deshalb hüten sollte andre als culturhistorische Folgerungen daraus zu ziehen. Dagegen ist die Vermenschlichung der Götter in der Ilias und Odyssee, diesen ältesten und merkwürdigsten Denkmälern der epischen Dichtung, schon so weit vorgeschritten wie es sich mit den Ansprüchen des religiösen Gefühls, welches neben denen der poetischen Evidenz doch auch immer seine Rechte behielt, nur eben vereinigen ließ. Denn allerdings begegnet man hin und wieder Aussprüchen die auf eine andre Anschauung zurückweisen, daß die Götter Alles wissen, Alles vermögen, daß das Auge des Zeus Alles sieht, sein Rath Alles überlegt u. s. w.; auch pflegt die Gestalt der Götter, ihr ganzes Auftreten namentlich bei Homer wunderbar und übernatürlich, hin und wieder geisterartig und allen Bedingungen von Raum und Zeit enthoben zu sein. Im Uebrigen aber ist die vorherrschende Weise dieser epischen Götter vielmehr die, daß sie ganz und gar sind wie die Menschen, von leiblichen Bedürfnissen, Essen TrinkenDoch ist die Nahrung der Götter eine andre als die der Menschen, so auch ihr Blut, sonst würden sie nicht unsterblich sein, Il. 5, 341 οὐ γὰρ σῖτον ἔδουσ', οὐ πίνουσ' αἴϑοπα οἶνον, τοὔνεκ' ἀναίμονές εἰσι καὶ ἀϑάνατοι καλέονται. Vielmehr ist ihre Nahrung Ambrosia d. i. die Speise der Unsterblichkeit (ἄμβροτος) und Nektar, welches Wort eine ähnliche Bedeutung zu haben scheint, s. Buttmann Lexil. 1,131 ff., Nägelsbach Hom. Th. 41, vgl. den indischen Göttertrank amrita und Grimm D. M. 294 ff., Kuhn Herabk. d. Feuers 175. Die Sprache der Götter scheint dagegen eine Fiction der Dichter zu sein, s. Grimm 307 ff., Lobeck Agl. 858 ff., Nägelsbach a. a. O. 177. Schlaf Wohnung u. s. w. so gut wie diese abhängig und auch durch menschliche Leidenschaften verunreinigt, Haß und Streit, sinnliche Liebe, Mordlust und Gemüthverblendung. Ja selbst vor offenbaren Verbrechen z. B. dem falschen Eide schreckt diese göttliche Natur nicht zurück, deren Wesen überall kein sittliches oder durch die Forderungen der Vernunft bestimmt ist, sondern nur ein ästhetisches; auch in ihrer Seligkeit, welche keine andere ist als die der höchsten, durch kein Alter und keinen Tod getrübte Empfänglichkeit für Schönheit Anmuth Freude, kurz für die Genüsse einer verfeinerten Sinnlichkeit. Kein Wunder also daß diese durch den reichsten Schimmer poetischer Vollendung empfohlene Auffassung in ästhetischer Hinsicht sehr anregend gewirkt hat, so daß Dichter und Künstler immer am liebsten auf sie zurückgegangen 89 sind, weil nur bei solchen festen und plastischen Umrissen eine mythologische Kunst möglich war; daher auch das Volk sich bald an diese derb sinnliche Auffassung gewöhnte und seine Götter nicht selten gerade so körperlich und leibhaftig erscheinen sah, wie seine Dichter sie schilderten und die Künstler sie bildetenVgl. Herod. 1, 60, den ähnlichen Vorfall b. Plut. Arat. 32 und die Verehrung der Apostel Paulus und Barnabas als Zeus und Hermes Apostelgesch. 14, 11. Gewöhnlicher sind die Epiphanien der Götter freilich geisterartig, wie der Ruf des Pan vor der Schlacht bei Marathon Her. 6, 105, die Erscheinung des Jacchoszuges vor der bei Salamis Her. 8, 65, die vielen Erscheinungen der Götter im Traume u. dgl. m., s. Nitzsch in den Kieler Studien 410 ff., Nägelsbach Nachhom. Th. 3.. Dahingegen andrerseits die Philosophen und die Reformatoren der Volksreligion seit Xenophanes und Pythagoras nicht müde geworden sind auf das Verwerfliche, den tieferen Bedürfnissen des menschlichen Gemüths Widerstrebende dieser poetischen Götterwelt hinzuweisen, mit welcher sich auch die ernsteren Dichter und der Gottesdienst, dieser vollends in den Zeiten der Mysterien, in den entschiedensten Widerspruch setzten. Diesen Gegensatz und seine Folgen ausführlicher zu entwickeln muß einer Geschichte der griechischen Religion vorbehalten bleiben, welche außerhalb der Grenzen dieses Buches liegt. Wohl aber müssen wir im voraus erklären daß es uns auch innerhalb dieser Grenzen vorzüglich darum zu thun ist, nicht blos die epische und poetische Mythologie der Griechen, sondern auch deren Begründung in dem älteren Naturglauben des griechischen Volks zu entwickeln, wie derselbe als ein lange vor Homer existirender mit Sicherheit vorausgesetzt werden darf und auch nach demselben an vielen Spuren jener gottesdienstlichen und volksthümlichen Ueberlieferung deutlich genug zu erkennen ist.


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