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Sommernachmittag. Auf der Hauswiese der Peterpauls hinter dem Bering des Hofes in den Diepenbenden ist Licht und Ruhe, Stille und Sonne.
Aber auch ein heißes Ringen zwischen Licht und Schatten, ein Kampf auf Leben und Tod, ein Streit voll Wut und Verzweiflung. Unter und hinter den Obstbäumen ringen die von Ewigkeit her erbitterten Feinde. Dort, auf der einen Seite gewinnt das Licht langsam Boden, langsam drängt es vor, langsam geht der Feind zurück, langsam und immer weiter, triumphierend drängen die Heerscharen des Lichtes voran. In der unabsehbaren Menge leuchten und glänzen die Panzer und Waffen, in der Schlachtlinie schlagen die glühenden Speere und Pfeile der gelben Armee auf die schwarzen Schilde der andern ... stumm ... Zwei schlanke Grashalme, die Sonne spiegelnd, leuchten auf – Voran! Sieg! blasen sie in der gelben Armee auf langen goldenen Posaunen ... Aber sie merken nicht, daß auf der andern Seite des Schlachtfeldes die Gelben zurückweichen, langsam gewinnt der Schatten Boden, langsam drängt er vor, langsam geht der Feind zurück, langsam und immer weiter, stumm und ohne Lärm verfolgt der erbitterte Sieger den Feind ... So wogt der Kampf auf beiden Flügeln des Schlachtfeldes unter und hinter dem Apfelbaum mit gleichen Kräften und gleichem Glück von Ewigkeit her bis in alle Ewigkeit, Amen.
Sommernachmittag ... Ruhe und Licht ...
Aus dem Bauernhaus mit der schöngeschwungenen Freitreppe, dessen Türflügel weit geöffnet stehen, klingt der Schlag einer Wanduhr in die Sonnenstille heraus. Zwei Uhr. Ein Mensch ist nicht zu sehen.
Im Schatten der Obstbäume und der hohen Schwarzdornhecke steht das Vieh, und liegt das Vieh, wiederkäuend.
Die Stirnen der Kühe sind platt wie Bretter; darauf die Figuren, die den Tieren den Namen einbringen. Die eine trägt ein weißes Muster zwischen den kurzen Hörnern, einen Schild; sie heißt »Schild«. Die zweite heißt »Raute«. Daß die dritte aber »Wanda« heißt, dafür liegt zwischen den Hörnern kein Grund vor.
Glänzende Fliegen schwirren durch die Luft, stahlblaue, goldgelbe, silberhelle, kupferrote. Es ist, als ob das Metall der Erde, das in Kügelchen tief im Boden und Dunkel liegt, sich an diesem Tage beflügelt hätte, um ein wenig in Luft und Licht sich zu bewegen, heraufgelockt von dem Liebreiz der Sonne ...
Die Kühe aber schlagen mit den Schwänzen nach ihnen. Rechts die Flanke, links die Flanke peitscht der Schwanz ... Die Stechfliege bringt sich außerhalb des Bereiches des schlimmen Schwanzes und setzt sich auf den Hals. Unmutsvoll wirft Wanda den Kopf und leckt mit der Zunge nach ihr. Die Fliege sitzt am ersten Rückenwirbel. Die Haut zittert im Umkreis einer Hand. Die Bremse fliegt auf und sitzt hinter dem Ohre; Wanda kraut sich mit dem Hinterhuf. Aber die Bremse weiß einen Augenblick Ruhe und Gelegenheit zum Saugen am Ansatz des Hinterschenkels zu finden, denn Wanda leckt sich den verletzten rechten Hinterhuf ... Jetzt saust plötzlich der Schwanz durch die Luft, die Quaste peitscht, die Rinderbremse liegt erschlagen am Boden.
In den Winkeln der Glotzaugen aber treibt sich ein Haufe kleiner Fliegen in gottverlassener Schamlosigkeit herum und ist durch kein Plinkern und Zwinkern zu vertreiben. Wanda führt ihre Gegenmaßregeln mit großer Stetigkeit und Geduld aus.
Das Rind ist noch jung. Hat die Schwere des irdischen Daseins noch nicht erfaßt und sich noch nicht mit Geduld gewappnet. Um sich von der Bremse am Halse zu befreien, rennt es unter den Apfelbaum und reibt den Hals an der Rinde ...
Über den Steinpfad durch Nachbars Erbe wandern Mädchen, scherzen und lachen. Ihre Sprache ist sehr laut; als ob in diesem Lande die Ohren tauber wären. Und dann ist es, als ob die Mädchen gläserne Kehlen hätten.
Die Sonne geht langsam um die hohe Buschhecke herum. Der Schattenraum wird kleiner. Mehr und mehr drängt sich das Vieh zusammen.
Nur einige Kälber bewegen sich trotz Sonne und Hitze. Sie treiben sich ziellos herum, laufen hierhin und dorthin, kehren um und rennen zurück, grad und quer, hin und her, ohne Verstand und Zweck.
Die Sonne steigt mehr und mehr vom Mittag herab.
Nun erhebt sich ein junger, noch nicht ausgewachsener Stier, der den Namen »Schinderhannes« führt, des Ruhens müde, und stellt schlimm den Kälbern nach. Er jagt sie vor seinem Mutwillen her ... jetzt stutzt er vor dem Käferchen auf einem Grashalm, gespannt und andächtig verfolgt er den stillen Weg des roten Tierchens ... und nimmt plötzlich vor irgendeinem Etwas oder Nichts Reißaus und rennt davon, daß die Erde dröhnt.
Unter der Hecke liegt ein einbeiniger Melkstuhl. Eine Spreitschaufel lehnt an der Steinwand des Hauses bratend in der Sonne; das Licht blitzt in der blanken Platte. Nahebei eine Geburtsmaschine für Kälber; die Winde, über welche das Seil läuft, an dem das junge Vieh in diese Welt hereingezogen wird, ist glatt vom Gebrauche.
Etwas später rührt sich auf dem Hofe das Leben. Der Peterpauls kommt, einen Hammer und einen dicken zugespitzten, am Dorn angebrannten Pfahl auf der Schulter. Er wählt einen Standpunkt, prüft den Boden und treibt den Pfahl mit wuchtigen Hammerschlägen ein. Das ist ein »Schubbiack«, der Pfahl, der in jeder Wiese stehen soll, daß das Vieh sich reiben kann. Der Peterpauls umwindet die Stämme der Obstbäume mit Stacheldraht.
Weggehend begegnet er dem kleinen Napoleon, der das Vieh zur Tränke holt; die lange Peitsche knallt. »Wo hast du gesteckt, du Untugend?« fragt der Vater.
In heiliger Angst stößt der Junge hervor: »Geschlafen. – Wie Ihr, Vater!« setzt er in Furcht eilig hinzu.
Der Bauer, der ihm eben eine Ohrfeige verabreichen wollte, holt die Hand ein und sagt lächelnd: »Du Schubbiack.«
Glücklich, dem Verhängnis entronnen zu sein, knallt Napoleon lauter zwischen den Steinpfeilern des Falltores stehend mit der Peitsche, und lockt das Vieh: » Aah, komm, komm, komm, Kühchere! ... aah, komm, komm, komm, Kühchere! ... aah, komm, komm, komm!«
In langer Reihe bewegt sich langsam das Vieh herzu, ein Stück hinter dem andern, die älteren vor, die jüngeren, die Rinder und Kälber, hinterher. Der Stier, der nicht in der Reihe des Weibervolkes gehen mag, trabt abseits.
» Aah, komm, komm, komm, Kühchere! ...«
Eine Kuh steigt auf ihre Vorderfrau.
»Lump, du Nachtigall, willst du wohl von der Weintraube bleiben!« ruft laut der kleine Napoleon und langt mit der Peitsche hinüber.
*
Sankt Johanni!
Zent Jan. Arbeiten an Zent Jan? – Hahaha ...!
Sankt Johann ist der Schutzpatron der Steinmetzen.
Der technische Direktor hatte diesen Feiertag zu unterschlagen versucht. Am Vorabend gab er den Arbeiterabteilungen Anweisungen für die Arbeit des nächsten Tages. Sie lachten alle. Als er frug: »Verstanden?« sagte der Scharlemang: »Zent Jan.«
»Zent Jan?« tat Tieß Bertz erstaunt.
Sie lachten alle.
Da sagte Tieß Bertz: »Die Direktion hat angeordnet, daß morgen gefeiert wird.«
Sie nickten.
Und Scharlemang stellte ein Bein aus dem Haufen heraus und sagte: »Wenn Ihr uns denn absolut was spendieren wollt – –«
Tieß Bertz sagte: »Die Direktion hat angeordnet, daß jede Arbeitersektion ein Faß Bier bekommt.«
Sie waren zufrieden.
Es war ein sehr schöner und angenehmer Tag. Man warf mit Weihwasser benetzte Kränze über die Dächer der Häuser. Das schützt vor Blitz und Feuerschaden.
Am Nachmittag war überall Musik. Die Mädchen banden ihre seidenen Schürzen vor, welche die Burschen hinten zuknöpften, wobei sie ihnen in den Hals bliesen. Auf schnellbereiteten Bretterböden in den Werkhütten war Tanzvergnügen. In den Hütten sangen die Steinmetzgesellen so herzhaft und mit so natürlicher Begabung in den Tag hinein, daß Lenates, der im Gefolge des Menniken war, meinte, es sei, wie wenn die Wilden am Träumen wären.
Speckkopfs Töchter waren auch da. Zu Hause still wie kranke Hühner, waren sie hier von den Lautesten und Tollsten.
Aber Bürgermeisterstöchter, tanzten sie nur mit Steinmetzen, nicht mit Steinbrechern, Grubenarbeitern und Fuhrleuten. Die letzteren sagten: »Sie meinen sich was.«
Auf allen Gruben der Chemischen Blausteinwerke war den Arbeitern der Genuß von Schnaps im allgemeinen untersagt. Doch abends um die sechste Stunde legte in jeder Sektion ein Arbeiter sein Werkzeug beiseite, kramte eine Flasche hervor und holte den Schnaps. Einmal, es war am frühen Morgen, stellte der technische Direktor einen Arbeiter, der Branntwein einzuschmuggeln versuchte. Er frug nach dem Inhalt der Flasche. Der rote Sef, der den Schelm im Ärmel hatte und die Frömmigkeit des Tieß Bertz kannte, sagte: »Weihwasser«. Aber der Direktor ließ sich die Flasche geben, entkorkte sie, roch an dem Weihwasser und goß in den Straßengraben. Das kam dem roten Sef wie ein Sakrileg, Schändung heiliger Dinge, vor.
An diesem Tage ist es ein altes Recht der Arbeiter sich über ihre Vorgesetzten lustig zu machen. Solche Dinge in Szene zu setzen, war immer dem roten Sef überlassen als dem geborenen Pläsiermeister. Auf einem Handkarren fuhr er Spottfiguren herum, Speckkopfs, des Bürgermeisters, und der beiden Direktoren. Als der Bürgermeister die Gruben an diesem Ehrentage der Steinmetzen besuchte, da machte ihm der Hahn im Hühnerhofe, als den er sich dargestellt fand, wenig Herzensfreude. Aber es galt, sich mit Würde und zugleich Leutseligkeit aus der Lage zu ziehen. Er holte seinen Retter aus aller Not hervor, stimmte plötzlich sein Lachen an, sein donnerndes Lachen, sein goldenes Lachen, das Lachen, das nur der Speckkopf lachen konnte, das Speckkopfslachen. Die ganzen Rheinischen Blausteinwerke lachten mit.
Der lange Tieß Bertz hieß gelegentlich der »Heilige«. Der rote Sef hatte eine Art von Sonnengott aus ihm gemacht mit Sonnenscheibe und Strahlenkranz aus vergoldeter Pappe als Heiligenschein. Und weil er »im Geruche der Heiligkeit« stand, war die Figur köstlich parfümiert. Als Tieß Bertz das sah, lachte er einmal. Lachte es einmal um seinen Mund. Das Ereignis wurde sehr bemerkt.
Daneben war Bernhard Menniken seinem Namen getreu als »Menniken« gebildet, und so, daß der »Heilige« dem Kleinen wie segnend die Hand auf den Kopf legte, und dazu die Inschrift: »Bernhard, das Männchen«. Wenn man das gedankenlos las, schaute der rote Sef einen mit der stolzen und zugleich leidvollen Miene des Künstlers an, der sein Werk nicht ganz verstanden sieht.
Bernhard Männchen!
Ob der Tieß Bertz verstand? Aber es war vergeblich, in seinem Gesicht zu forschen. Sein Gesicht schien durch den langen Verkehr mit dem Stein etwas von dessen Härte angenommen zu haben.
Es war ein sehr gemütlicher Tag ...
Nach diesem »blau gemachten« Tage wurde die Arbeit am andern Morgen frisch wieder aufgenommen. –
Um diese Zeit wurde Frau van den Daele krank und starb. Als sie tot und begraben, war der Wiederaufbau des »Sternes«, für den sie Jahre hindurch die seltsamsten Pläne hatte anfertigen lassen, endgültig verhindert und die große Gefahr weiterer Stilverbesserung im Lande glücklich und nachdrücklich entfernt. Die »Frau von Knauel« begleitete über das Grab hinaus der Fluch der Lächerlichkeit seitens der gewöhnlichen Leute und der Unwille der Einsichtigen und Einflußreichen.