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Eine vom Adel des Landes

Der Frühling kam von jenseits über die Erde. Da lag das Land steif und reglos vor ihm wie ein im Schnee erfrorenes Kind. Und wie man ein solches Kind auf die Hände nimmt, den leblosen Leib streichelt, es an sich preßt, mit der Wärme seines Körpers wärmt und ihm auf die Wangen haucht – so tat der Frühling. Und sieh, es kam Leben in den erfrorenen Körper, die Glieder regten sich, die Quellen und Teiche, die Augen der Erde, schlugen ihre Eislider auf, und die Haut des Erdkörpers sproßte.

*

Es war der Tag, der Ostern heißt, als der freundliche Weltenwanderer Frühling die Erde, das im kalten All ausgesetzte Kind, fand.

Der Pastor kommt! Der Pastor wird aus Wiesbaden kommen! Wißt ihr es schon? Wißt ihr schon, daß der Pastor nächste Woche kommt?

Am Mittwoch der Osterwoche kam der Diener Gottes nach zweijähriger Abwesenheit zu seiner Herde zurück. War das eine Freude! Der Pastor stieg bei Himmelsplatz aus dem Wagen aus, um zu zeigen, wie wohl es ihm gehe, und ging mit den ihn einholenden Pfarrkindern ins Kirchdorf. Im Pastorat empfingen ihn die ihm untergebenen und ihm befreundeten Geistlichen. Es gratulierte auch eine Abordnung von Bauern und Ortseingesessenen unter Führung des Peterpauls Hary. Für die Schuljugend war der Sohn des Hary erschienen. Die meisten Leute spotteten über den scheuen Jungen und erklärten ihn für einen Dummkopf, denn Peterpauls Hary, der an seinen Benden und seinem Viehstand so großes Glück genoß, mußte doch wenigstens in seiner Familie geschlagen sein. Als der Junge seinen Spruch gesagt hatte, legte ihm der Herr Pfarrer die Hand auf den Kopf – der Junge stand darunter wie ein Pfahl – und frug: »Nun, kleiner Napoleon, was willst du denn mal werden?«

Der Junge sah ihn verwirrt an, schluckte und sagte: »Lehrer.«

»So, Lehrer? Warum denn?«

»Weil ... die Bücher, die der Herr Lehrer ...«

»Ihr habt einen klugen Jungen«, sagte der Pfarrer.

»Er ist mein Jung'«, sagte Peterpauls Hary.

»Er ist ein kluger Junge, ich weiß es aus der Schule.«

»Ich schlüg' ihm auch die Knochen im Leib kaput, wenn er es nicht wär'«, sagte der Vater und sah voll Freude und Stolz auf seinen Sohn.

»Ihr müßt ihn studieren lassen.«

»Ach was, studieren. Mein Jung' soll wirken wie ich. Ich bin auch nicht mit einem goldenen Löffel auf die Welt geholt worden.« Der Pfarrer wurde sichtlich warm. »Aber Hary, Ihr seid doch in ein gemachtes Bett gekommen. Euer Vater Peterpaul war doch schon ein reicher Mann. Warum wollt Ihr Euern Sohn nicht studieren lassen?«

Hary entschied: »Mein Jung' soll nicht klüger werden als der Vater.«

Als der Rektor am andern Tage dem Pfarrer förmlich die Geschäfte übergab, war dieser, der aus Bequemlichkeit Neuerungen abgeneigt war, recht ungehalten über die eigenmächtigen Unternehmungen seines Stellvertreters und machte ein sehr ernstes Gesicht. Aber er war auch zu bequem, einmal gemachte Neuerungen abzuschaffen und den alten Stand der Dinge wiederherzustellen.

Der Rektor wanderte mit schleppenden Füßen, an Verantwortung leichter, aber schwer an Erfahrungen, auf stillen Umwegen durch die in üppigem Wuchs stehenden Hochbenden nach seinem Ludwigsmünster.

Der Knopfmann war ein gerissener Bursche. Eines Tages hatte er zum Rektor geäußert, er könne nicht mehr in Ludwigsmünster arbeiten, der Weg von dorther sei zu weit. Er wolle sich einen Platz in einer der hiesigen Steingruben suchen. Das aber trug der Knopfmann verbrieft in der Tasche, die Verpflichtung des Rektors, für alle etwaigen Schäden, die ihm aus der Übernahme des Schweizeramtes erwachsen konnten, aufzukommen. Der Rektor hatte gelacht bei dieser Ängstlichkeit, den Schein unterzeichnet und das Bewußtsein gehabt, niemals seinen Namen so überflüssigerweise geschrieben zu haben. Der Knopfmann fand einen Platz auf der Grube des Tieß Bertz, wo er neben dem gottesfürchtigen de Losy arbeitete. Sie sprachen sehr oft miteinander vom Kulturkampf und andern heiligen Dingen. Der Knopfmann erschien unregelmäßig zur Arbeit, je nachdem Messen, Seelenämter und Begräbnisse lagen. Die geringe Zeit, die er arbeitete, war er nun keineswegs fleißig; sogar faul war er. »Er stinkt vor Faulheit«, sagte Tieß Bertz. Aber der Knopfmann war so etwas wie ein Mann der Kirche. Und Tieß Bertz war ein gottesfürchtiger Mann, hätte aber doch den Knopfmann zum Teufel gejagt, wenn er nicht den Herrn Rektor, durch den er die Lieferung für die Kirchhofskreuze hatte, noch mehr gefürchtet hätte als den lieben Gott. Darum arbeitete er mit eignen Arbeitgeberhänden das nach, was jener verlümmelte. Unter diesen Verhältnissen ging es eine Zeitlang gut. Aber bald gab es Reibereien und Händel zwischen dem Knopfmann und den übrigen Grubenarbeitern. Da diese schon von der Kirche her einen Haß auf ihn hatten, so drohten sie eines Tages mit dem Streik, wenn der Knopfmann nicht von der Grube entfernt würde. Der Knopfmann mußte gehen. Fröhlich schulterte er die Werkkiste. Er sprach auf den übrigen Gruben und Kalkbrennereien um Arbeit vor, selbstverständlich ohne Erfolg.

Eines Tages erschien er wieder vor dem Rektor. Er erklärte, seine kirchliche Beschäftigung mache ihm eine bürgerliche unmöglich, er werde überall fortgejagt, er könne von seinem Schweizergehalt nicht leben – er lege hiermit seinen Schein vor.

Der Rektor brauste auf.

Der Knopfmann stand auf seinem Schein.

Der Rektor verwandte sich in der ganzen Umgegend. Aber befehlen konnte er nicht, und ihm zu Gefallen tat man nichts. Nicht einmal die Bauern, die Zäunemacher und Fuhrleute wollten den Knopfmann nehmen.

Also mußte der Rektor zahlen.

Der Knopfmann war sehr zufrieden. Nach den kirchlichen Verrichtungen machte er weite Spaziergänge durchs Land, auf denen er die Allmacht Gottes in der Natur bewunderte und seine Größe pries.

Bei seiner Mißliebigkeit war es natürlich, daß er für seine Spaziergänge einsame Gegenden wählte. So kam er oft in die Wüstenei. Und in der Wüstenei sah er die Stolzen Bärb.

Die Wüstenei war kein schlimmer Ort. Der Name war von Leuten gegeben worden, die auf fettem Lande in großen Steinhäusern saßen. Die Wüstenei war ein lehmiger Grund, wo man Ziegel buk und verbaute, und Ziegelhäuser verachtete man in den Steinhäusern.

In dem Ziegelbäckerhaus, einem niedrigen Fachwerkbau, wohnte einsam Stolzen Bärb, eine alte Jungfrau, reich an Tugend und – wie es hieß – an Geld. Ihr Name war eine Geschichte. Sie entstammte einer Familie von Stolze, die 1794 beim Einfall der Franzosen den schwachen Widerstand des Landes geführt hatte und daher ihrer Güter beraubt worden war. Die Hoch- und Diepenbenden hatte damals Peterpaul, der Vater des Peterpauls Hary, zu einem niedrigen Preise gekauft und war ein reicher Mann geworden. Als 1815 das Land preußisch wurde, kamen die von Stolze als arme Leute zurück. Aber sie waren nicht ratlos. Sie erwarben die Wüstenei und buken Ziegelsteine. Sie, die in der alten Staatsform als Herren über die Wiesen geritten waren, standen jetzt am Formtisch und füllten die eisernen Mulden, und ihre Söhne und Töchter kneteten mit nackten Füßen den Lehm in den Gruben. Das adlige Geschlecht brachte es so weit, daß es mit Anstand leben und ohne Schulden sterben konnte. Aber es schien, als ob durch diese jahrzehntelange Knechtearbeit die Kraft des Stammes gebrochen worden sei. Die Barbara war das einzige dürre Reislein, das von ihm übrigblieb. Sie behielt von ihrer Familie die vornehme Zurückhaltung gefallener Größen.

Die Erinnerung an den Namen von Stolze war im Lande erloschen. Die Barbara selbst wußte kaum, daß sie einen adligen Namen trug. Der Name Stolze war dem allgemeinen Empfinden gleichbedeutend mit: einsam, zurückgezogen. Eines Sonntags erhielten der Knopfmann und die Stolzen Bärb von der Kanzel den ersten Ruf. Die Barbara war aber fünfzig, der Knopfmann fünfunddreißig Jahre.

Noch an demselben Sonntag abends versammelte sich auf dem Platze im Kirchdorf eine große Menge junger Leute der Gemeinden. Sie hatten Hörner, Kindertrompeten, Kesseldeckel, Peitschen und Pferdeglocken, Kuhschellen und Querpfeifen, alle Arten von Lärminstrumenten. Die nichts hatten, pfiffen auf den Fingern. Der lebensgefährliche Johann trug an einer hohen Stange ein Bündel leeres Stroh.

Hinter dem Träger des Abzeichens setzte sich die Rotte in Bewegung, wem sollte die Katzenmusik gebracht werden?

Der Zug schlug den breiten Kirchweg durch die Wiesen ein und kam nach der Pavei – laut lärmten die dickgenagelten Schuhe auf dem Pflaster –, wandte sich an den Diepenbenden ab, stieg die Hochbenden hinan – aus allen Höfen und Häusern, von Weiten und Seiten kam Zulauf – da, oben am Kreuzweg, bog der Zeichenträger auf die Wüstenei ein.

Nach einer Viertelstunde stand die Rotte um das Ziegelbäckerhaus herum. Ein Pfiff vom Standartenträger – und es erhob sich eine jämmerliche Katzenmusik. Lärmen, Schreien, Pfeifen, Johlen, Trompetenstöße, geschlagene Deckel, Kuhglocken, Trommelrasseln ... O Gott, o Gott!

Im Ziegelbäckerhaus wurde es hell, ein Licht lief an drei Fenstern vorbei, eine Scheibe wurde vorsichtig geöffnet – ungeheures Gelächter erhob sich draußen – das Fenster schlug zu, das Licht erlosch. Die Stolzen Bärb dachte sich: »Die werden schon vor mir müde.«

Nachdem der Lärm eine halbe Stunde gedauert hatte, legten sie Feuer an das Strohbündel auf der Stange, die Flamme loderte hoch auf, es war hell auf dem alten Ziegelbäckerplatz; dann fiel das Feuer zusammen, und von dem unfruchtbaren Strohwisch blieb nur ein Haufen glimmender Asche zurück.

»So, nun wissen sie's«, sagte der Lebensgefährliche.

Die Menge verlief sich allmählich, und Stolzen Bärb schlief ein.

Ein kräftiger Volksstamm hatte gegen eine Ehe protestiert, in der keine Kinder mehr erzeugt werden.

Nach drei Wochen feierten die Stolzen Bärb und der Knopfmann Hochzeit. Der glückliche Bräutigam hatte richtig gerechnet: seine Frau besaß ein hübsches kleines Vermögen, die Pension des Rektors war zwar dünn – der Knopfmann hatte sogar etwas nachgelassen –, das Schweizergehalt auch nicht allzu fett, aber alles zusammen ermöglichte ein sorgenfreies behagliches Leben.

Die beiden lebten sehr glücklich, und die Gemeinden gewöhnten sich im Laufe der Jahre an den Knopfmann.


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