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Vorrede.

An dieser Stelle möchte ich dem Verfasser dieses Buches meinen Dank aussprechen für viele, schöne Stunden, die er mir dadurch bereitet hat, daß ich mit Hilfe meines Vaters sein Werk ins Deutsche übertragen durfte. Ich bin überzeugt, daß es auch dem deutschen Leser großes Interesse abgewinnen wird, und daß er mit Spannung und Bewunderung den scharfsinnigen und doch leicht faßlich ausgedrückten Gedanken des Verfassers folgen wird. Möchte es mir gelungen sein, auch im Deutschen wenigstens einen Begriff von der Schönheit der Sprache des redegewandten Franzosen wiederzugeben.

Der Überblick, den er über den heutigen Standpunkt der Wissenschaft und über ihre allmähliche Entwicklung gibt, wie sie sowohl bis jetzt vor sich gegangen ist, als wie er sich ihre zukünftigen Fortschritte denkt, ist für den Gelehrten zweifellos von größtem Interesse. Der Verfasser selbst vergißt aber seine wissenschaftliche Bildung und stellt sich freundlich auf den Standpunkt derer, »die noch keine Geometrie kennen«, und durch zahlreiche Beispiele und Erläuterungen macht er sein Werk allen zugänglich.

Dadurch gewinnt das Buch auch für einen nicht wissenschaftlich vorgebildeten Leser großen Wert; ja gerade ihm gibt es einen klaren Begriff von dem, was der Zweck der Wissenschaft, das Ziel aller Bemühungen der Gelehrten ist, und wir bekommen einen Einblick in die Mittel, mit denen sie zu Werke gehen, und in die Schwierigkeiten, gegen die sie zu kämpfen haben.

Im ersten Teil erschüttert er allerdings das, was der Laie als vollständig gegeben und selbstverständlich angesehen hat, den Begriff von Raum und Zeit; aber er regt durch seine eigenen, geistvollen Betrachtungen auch in uns Gedanken an, die uns bis dahin fremd waren.

Im weiteren Verlauf des Buches beweist er, daß die Wissenschaft nie vergeblich ist, und daß die darauf verwendete Zeit und Mühe auch dann noch nicht als verloren zu betrachten sind, wenn spätere Generationen die Theorien der Vorfahren als irrtümlich und unzutreffend ansehen. Er zeigt uns, daß ein Mißerfolg den Gelehrten nie entmutigen und abschrecken darf, daß er im Gegenteil stets von neuem seine Kraft einsetzen muß, auch ohne praktischen Nutzen zu sehen, ja daß gerade der schönste Zweck der Wissenschaft nur der ist, die Wissenschaft zu bereichern.

Ich darf schließlich nicht unterlassen, den Freunden meinen Dank zu sagen, die meiner Arbeit mit Interesse gefolgt sind und sie durch Hilfe bei der Korrektur gefördert haben. Insbesondere gilt dieser Dank Herrn Professor Wellstein, dessen sachkundiger Rat das Verständnis vertieft und den deutschen Ausdruck verbessert hat. Mein Dank gilt auch dem Herrn Verleger, auf dessen Anregung ich die Arbeit unternommen habe, und der allen Wünschen in bezug auf Druck und Ausstattung des Werkes bereitwillig entgegengekommen ist.

Straßburg, im März 1906.
Emilie Weber.

 

Zur zweiten deutschen Auflage.

Die Wissenschaft hat immer Ungläubige und Verleumder gefunden, die gleich bereit waren, aus relativen Mißerfolgen und vorübergehendem Stillstand Beweise zu ziehen, und die Geständnisse der Gelehrten aufzuzeichnen, die bekennen, daß die Wissenschaft begrenzt ist, die aber versäumen hinzuzufügen, daß sie innerhalb ihrer Grenzen die Herrschaft behält.

Wer die wissenschaftliche Arbeit von außen betrachtet, wird darüber erstaunen, eine gestrige Wahrheit so leicht morgen zum Irrtum werden zu sehen. Er glaubt dann, daß unsere Eroberungen vorübergehend sind, daß die feierlichst zugesicherten Prinzipien nur eine Modesache sind, und er sieht nicht, daß unter diesen notwendigen Umgestaltungen die wissenschaftliche Wahrheit immer die eine, sich selber gleiche bleibt. Sie bleibt ewig unveränderlich, und nur die Kleider, in die man sie hüllt, wechseln mit den Launen der Mode.

Und ich spreche hier nicht von irgendeiner ganz abstrakten Wahrheit, die so allgemein geworden wäre, daß sie jede genaue Bedeutung verloren hätte; eine Wahrheit, die man mit großen Buchstaben schreiben und die man bewundern müßte, ohne etwas dazu sagen zu können. Die bleibenden wissenschaftlichen Wahrheiten sind die Tatsachen, und nicht allein die rohen Tatsachen, sondern die wahren Beziehungen zwischen den Tatsachen; was sich ändert ist die Sprache, in der diese Tatsachen ausgedrückt werden; diese Sprache ändert sich, weil auf jede alte Tatsache der Widerschein der neuen Tatsachen fällt, die in jedem Augenblick entdeckt werden und die man so gut wie möglich auszudrücken sucht, nicht nur in dem, was diese Tatsache ist, sondern in den wechselnden Ansichten, die sie unter den vielseitigen Beleuchtungen darbietet.

Glücklicherweise ist die Wissenschaft zu Anwendungen zu gebrauchen, und das läßt die Skeptischen verstummen. Wenn sie sich eine neue Erfindung zunutze machen wollen, und wenn sie sich überzeugen, daß die Sache geht, so müssen sie wohl anerkennen, daß da etwas anderes ist als Träume. Und wir müssen auch den Segen anerkennen, der in der Entwicklung der Industrie liegt.

Ich will nicht sagen, daß die Wissenschaft für die Anwendungen gemacht sei; nicht im entferntesten; man muß sie um ihrer selbst willen lieben, aber der Anblick der Anwendungen bewahrt uns vor dem Skeptizismus.

Und dann haben die Feinde der Wissenschaft einen anderen Beweis: sie beobachten, daß viele Erfindungen von Arbeitern gemacht werden, von Männern ohne große Bildung; daß die Gelehrten ihre ersten Versuche mit Achselzucken aufnehmen, und beweisen, daß das nicht gehen kann; wenn der Erfinder ausharrt, so ist manchmal das, was ihm zum Erfolg verhilft, daß er die Wissenschaft verachtet; und erst nachdem es geht, beweisen die Gelehrten, daß es gehen muß.

Und das ist manchmal teilweise wahr; kühne Unternehmungen sind oft denen zu verdanken, die schwindelfrei sind, und um Schwindel zu vermeiden, darf man nicht allzuklar sehen. Unter diesen Kühnen zählt man nur, die Erfolg haben; man wird die nicht zählen, die dabei den Hals brechen.

Nicht weniger wahr ist es, daß die moderne industrielle Entwicklung, im ganzen betrachtet, unmöglich gewesen wäre ohne den Fortschritt der Wissenschaft. Der Unwissendste lebt heute in einer durch die Wissenschaft gestalteten Umgebung und empfängt unbewußt ihren Einfluß. Die Wissenschaft ist es, die seinen Träumen die Form gibt, die in anderen Jahrhunderten eine ganz andere gewesen wäre. Meistens führt zu ihrer Anwendung eine Idee wissenschaftlichen Ursprungs, die aber ihr Erfinder anfangs nur für eine Art geistreicher Spielerei und absolut unausführbar hielt, wegen tausend praktischer Schwierigkeiten, die er voraussah. Alle Erfinder haben Vorgänger gehabt, ihnen kommt aber das Verdienst zu, nicht bei Schwierigkeiten anzuhalten, die sie nicht alle gleichzeitig sahen, und die sie eine nach der anderen überwanden.

H. Poincaré.


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