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(309) Freund: Woher erscheinst du uns, Sokrates? oder versteht es sich von der Jagd auf des Alkibiades Schönheit? Wahrlich auch ich fand den Mann erst neulich, als ich ihn sah, noch recht schön; aber ein Mann ist er doch, Sokrates, unter uns gesagt, und dem der Bart schon überall hervorwächst.
Sokrates: Nun und was ist das mehr? Lobst du nicht den Homeros, welcher das die holdesten Reize der Jugend nennt, wenn nun der Bart aufkeimt? Und dieser eben erfreut sich jetzt Alkibiades.
Freund: Aber was nun? Kommst du von ihm? und wie zeigt sich der Jüngling gegen dich?
Sokrates: Sehr gut, dünkt es mich, und zumal heute. Denn gar vieles hat er zu meiner Verteidigung geredet; auch komme ich grade von ihm. Etwas wunderbares aber muß ich dir sagen, nämlich obgleich er zugegen war, habe ich doch wenig auf ihn geachtet, ja ihn nicht selten ganz vergessen.
Freund: Was kann doch so großes zwischen dir und ihm gewesen sein? Denn einen andern schöneren hast du doch hier in der Stadt wohl nicht angetroffen.
Sokrates: Und zwar einen weit schöneren.
Freund: Was sagst du? einen Einheimischen oder Fremden?
Sokrates: Einen Fremden.
Freund: Und von wannen?
Sokrates: Von Abdera.
Freund: Und so schön dünkte dich der Fremde, daß er dir schöner erschien als der Sohn des Kleinias?
Sokrates: Wie sollte denn nicht, du kluger Freund, das weisere als das schönere erscheinen?
Freund: So bist du wohl eben mit einem Weisen zusammen gewesen, und kommst uns von daher?
Sokrates: Und zwar mit dem Weisesten unter denen wenigstens die jetzt leben; wenn du den Protagoras für den Weisesten hältst.
Freund: O was du sagst! Protagoras ist bei uns eingewandert?
Sokrates: Seit drei Tagen schon.
Freund: Und eben aus seiner Gesellschaft kommst du?
Sokrates: Nachdem ich gar vieles mit ihm gesprochen und von ihm gehört.
(310) Freund: Warum also läßt du nicht den Knaben dort aufstehn, und setzest dich hieher, um uns eure Verhandlungen zu erzählen, wenn dich nichts hindert?
Sokrates: Sehr gern sogleich, und werde euch noch Dank wissen, wenn ihr zuhört.
Freund: Wahrlich auch wir dir, wenn du erzählst.
Sokrates: Beiden geschieht also erwünschtes. So höret denn. Diese vergangene Nacht, noch am ersten grauen Morgen, pochte Hippokrates, der Sohn des Apollodoros, des Phason Bruder gewaltig mit dem Stock bei mir an die Türe, und als ihm einer geöffnet hatte, stürmte er sogleich herein, und rief mir mit lauter Stimme: Sokrates wachst oder schläfst du? Ich ihn an der Stimme erkennend entgegnete: Das ist ja Hippokrates! Du bringst doch nichts Neues? – Nichts wenigstens, sagte er, als Gutes. – Das möge wahr sein, sprach ich, was gibt es aber? und weshalb bist du so frühe schon hier? – Protagoras ist hier, sagte er, indem er zu mir herantrat. – Seit vorgestern, sprach ich, und du hast es jetzt erst erfahren? – Bei den Göttern, sagte er, gestern Abend. Zugleich tappte er nach dem Bette, setzte sich mir zu Füßen und fuhr fort. Gestern Abend also ganz spät, als ich aus Oinoe zurückkam. Satyros der Bursche war mir entlaufen; ich wollte dir auch sagen, daß ich ihm nachsetzen würde, über etwas anderem aber entfiel es mir wieder. Als ich nun zurück war, nach der Mahlzeit erst, da wir uns eben zur Ruhe legen wollten, sagte mir der Bruder, Protagoras ist da. Zuerst wollte ich sogleich zu dir gehen, hernach aber dünkte es mich doch schon zu spät in der Nacht zu sein. Nun aber bin ich, sobald nur nach solcher Ermüdung der Schlaf mich verlassen wollte, aufgestanden und hieher gegangen. – Ich nun, der ich sein mutiges und eifriges Wesen kenne, fragte: Was hast du denn aber? tat dir Protagoras etwas zu Leide? – Da sagte er lachend: Ja bei den Göttern, Sokrates, daß er allein weise ist, und mich nicht dazu macht. – Nun, beim Zeus, sprach ich, wenn du ihm nur Geld gibst und ihn überredest, wird er dich auch wohl weise machen. – Wollte doch Zeus und alle Götter, rief er aus, es beruhte nur hierauf, so ließ ich es weder an dem meinigen ermangeln, noch an der Freunde Beistand. Aber eben deshalb komme ich jetzt zu dir, damit du meinetwegen mit ihm redest. Denn ich selbst bin nicht nur zu jung, sondern habe auch den Protagoras noch niemals weder gesehen noch gesprochen, denn ich war noch ein Kind, als er das erstemal hieher kam. Aber alle, o Sokrates, loben ja den Mann, und sagen, er wäre der kunstreichste im Reden. Warum aber gehen wir nicht gleich zu ihm, damit wir ihn noch zu Hause treffen? Er wohnt, wie ich (311) gehört habe, bei dem Kallias, dem Sohne des Hipponikos. Laß uns doch gehen. – Da sagte ich: Jetzt gleich, mein Guter, laß uns noch nicht dorthin gehen, denn es ist noch zu früh; sondern laß uns aufstehn, und komm in den Hof hinaus, da wollen wir auf und abgehend verweilen bis es Tag wird, und dann gehen. Ohnedies hält sich Protagoras viel zu Hause, darum sei guten Mutes, wir wollen ihn wohl finden. Somit standen wir auf, und gingen im Hofe umher. Ich nun wollte gern des Hippokrates Stärke versuchen, betrachtete mir ihn daher recht, und fragte ihn: Sage mir, Hippokrates, zum Protagoras willst du jetzt, um ihm Geld für dich zu entrichten, hingehn; aber als zu wem willst du doch hingehn? und um was doch zu werden? Wie wenn du zu deinem Namensverwandten, dem Hippokrates von Kos, dem Asklepiaden, gehen wolltest, dem Lehrgeld für dich zu bezahlen, und es fragte dich Jemand: Sage mir, Hippokrates, dem Hippokrates willst du Lehrgeld entrichten: als wem doch? Was würdest du antworten? – Ich würde sagen, sprach er, als einem Arzte. – Und um was doch zu werden? – Ein Arzt, sagte er. – Oder wenn du zum Polykleitos von Argos oder zum Pheidias hier aus Athen zu gehn im Sinne hättest, um ihnen Lehrgeld für dich zu entrichten, und es fragte dich Jemand: Als wem gedenkst du denn dem Polykleitos oder dem Pheidias dieses Geld zu entrichten? Was würdest du antworten? – Ich würde sagen als Bildhauern. – Und um was doch selbst zu werden? – Offenbar ein Bildhauer. – Gut, sprach ich. Nun aber gehen wir zum Protagoras, ich und du, und sind bereit ihm Lehrgeld für dich zu bezahlen, wenn das unsrige dazu hinreicht, und wir ihn um diesen Preis überreden können, wo nicht, auch noch das unserer Freunde daran zu wenden. Wenn uns nun Jemand in solchem Eifer über diese Sache sehend fragte: Sagt mir doch, Sokrates und Hippokrates, als wem gedenkt ihr dem Protagoras dieses Geld zu geben? Was würden wir antworten? mit was für einem andern Namen hören wir den Protagoras noch genannt, wie den Pheidias einen Bildhauer und den Homeros einen Dichter? was hören wir ähnliches vom Protagoras? – Einen Sophisten, o Sokrates, sagte er, nennen sie den Mann. – Also als einem Sophisten wollen wir ihm das Geld entrichten gehn? – Freilich. – Wenn dich nun Jemand auch das noch fragte: Und um was doch selbst zu werden gehst du zum Protagoras? – Da sagte er errötend, denn der Tag schimmerte (312) schon etwas, so daß ich es deutlich sehen konnte: Wenn es sich damit wie mit dem vorigen verhält, so ist es offenbar um ein Sophist zu werden. – Und du, sprach ich, um der Götter willen, würdest du dich nicht schämen, den Hellenen dich als einen Sophisten darzustellen? – Beim Zeus, Sokrates, sagte er, wenn ich reden soll wie ich denke, ja. – Vielleicht aber, Hippokrates, ist gar nicht deine Meinung, daß dein Unterricht bei dem Protagoras ein solcher sein solle, sondern so wie der war bei deinem Sprachlehrer, deinem Musiklehrer und deinem Lehrer in den Leibesübungen. Denn in dem Allen nahmst du Unterricht nicht als Kunst, um ein Gewerbe daraus zu machen, sondern als Übung, wie es einem von freier Herkunft, der sich selbst leben will, geziemt. – Allerdings, sagte er, dünkt mich der Unterricht beim Protagoras mehr von dieser Art zu sein. – Weißt du also wohl, was du jetzt zu tun im Begriff bist, oder merket du es nicht? sagte ich. – Was meinst du denn? – Daß du im Begriff stehst deine Seele einem Sophisten, wie du sagst, zur Bearbeitung zu übergeben, was aber ein Sophist eigentlich ist, sollte mich wundern wenn du es wüßtest. Und doch wenn dir dieses unbekannt ist, weißt du auch nicht, wem du deine Seele übergibst, ob einem guten oder einem schlechten Dinge. – Ich glaube wenigstens, sagte er, es zu wissen. – So sage denn, was glaubst du ist ein Sophist? – Ich meines Teils, sagte er, wie auch schon der Name besagt, der welcher sich auf Kluges versteht. – Aber, sprach ich, dieses kann man auch von Malern und Zimmerleuten sagen, daß sie die sind, welche sich auf Kluges verstehen. Wenn uns aber Jemand weiter fragte, auf was für Kluges verstehen sich denn die Maler, so würden wir ihm sagen, auf das zur Verfertigung von Bildern gehörige und so auch im übrigen. Wenn uns aber Jemand fragte: Und der Sophist, auf was für Kluges denn der? Was würden wir ihm antworten, was zu verfertigen er verstehe? was würden wir sagen, daß er sei? – O Sokrates, er verstehe gewaltig zu machen im Reden. – Vielleicht, sprach ich, sagten wir dann etwas richtiges, aber hinreichend doch nicht. Denn die Antwort bedarf uns noch einer Frage, nämlich im Reden worüber denn der Sophist gewaltig macht? So wie der Musikmeister doch auch wohl seine Schüler gewaltig macht im Reden, darüber nämlich, worin er ihn auch sachverständig macht, über die Musik. Nicht wahr? – Ja. – Gut, also der Sophist, im Reden worüber macht denn der gewaltig? Offenbar über das, worauf er sich auch versteht? – So sollte man denken. – Was ist also dasjenige, worin er selbst, der Sophist, sachverständig ist, und auch seinen Schüler dazu macht? – Beim Zeus, sagte er, weiter weiß ich dir nun nichts (313) zu sagen. – Darauf sprach ich: Wie nun? weißt du also welcher Gefahr du gehst deine Seele preiszugeben? Oder würdest du wenn du deinen Körper einem anvertrauen solltest auf die Gefahr, ob er gestärkt werden würde oder verdorben, dann wohl erst vielfach überlegen, ob du ihn ihm anvertrauen wollest oder nicht, und zur Beratung deine Freunde herbeirufen und deine Verwandte, mehrere Tage lang der Sache nachdenkend: was du aber weit höher als deinen Körper achtest, und demgemäß alle deine Angelegenheiten gut oder schlecht gehen müssen, je nachdem es gestärkt wird oder verdorben, die Seele, hierüber hast du dich weder deinem Vater noch deinem Bruder mitgeteilt, noch irgend einem von uns, deinen Freunden, ob du diesem eben angekommenen Fremdling anvertrauen sollst oder nicht deine Seele; sondern nachdem du gestern Abend von ihm gehört, wie du sagst, kommst du heute mit dem frühesten Morgen, nicht etwa um noch darüber irgend Gespräch und Beratung zu pflegen, ob du dich selbst ihm hingeben sollst oder nicht, sondern ganz bereit schon, dein und deiner Freunde Vermögen daran zu wenden, also als wäre dieses schon fest beschlossen, daß du auf alle Weise dich mit dem Protagoras einlassen mußt, welchen du doch weder kennst, wie du sagst, noch auch jemals gesprochen hast; sondern du nennst ihn nur einen Sophisten, was aber ein solcher Sophist eigentlich ist, dem du dich selbst übergeben willst, darin zeigst du dich ganz unwissend. – Als er dieses angehört, sagte er: So hat es freilich das Ansehn, o Sokrates, nach dem was du sagst. – Ist etwa, Hippokrates, der Sophist ein Kaufmann oder Kleinkrämer in solchen Waren, von welchen die Seele sich nährt? Mir wenigstens scheint er ein solcher. – Aber wovon nährt sich die Seele, Sokrates? – Von Kenntnissen doch wohl, sprach ich. Daß also nur nicht der Sophist uns betrüge, Freund, was er verkauft uns anpreisend, wie Kaufleute und Krämer mit den Nahrungsmitteln für den Körper tun. Denn auch diese verstehen selbst nicht, was wohl von den Waren, welche sie führen, dem Körper heilsam oder schädlich ist, loben aber alles, wenn sie es feil haben; noch auch verstehen es die, welche von ihnen kaufen, wenn nicht einer etwa ein Arzt ist, oder ein Vorsteher der Leibesübungen. Ebenso auch die, welche mit Kenntnissen in den Städten umherziehen, und Jedem der Lust hat davon verkaufen und verhökern, loben freilich alles was sie feil haben; vielleicht aber, mein Bester, mag auch unter ihnen so Mancher nicht wissen, was wohl von seinen Waren heilsam oder schädlich ist für die Seele, und eben so wenig wissen es die, welche von ihnen kaufen, wenn nicht etwa einer darunter in Beziehung auf die Seele ein Heilkundiger ist. Verstehst du dich nun darauf was hievon heilsam oder schädlich ist, so kannst du unbedenklich Kenntnisse kaufen vom Protagoras sowohl als von jedem Anderen; wo aber nicht, so siehe wohl zu, du Guter, daß du nicht um (314) dein teuerstes würfelnd ein gefährliches Spiel wagst. Denn überdies noch ist weit größere Gefahr beim Einkauf der Kenntnisse als bei dem der Speisen. Denn Speisen und Getränke, die du vom Kaufmann oder Krämer eingehandelt hast, kannst du in andern Gefäßen davontragen, und ehe du sie essend oder trinkend in deinen Leib aufnimmst, sie zu Hause hinstellen, und auch dann noch einen Sachverständigen herbeirufend beratschlagen, was davon du essen und trinken sollst und was nicht, und wieviel und wann; so daß es bei dem Einkauf nicht viel bedeutet mit der Gefahr. Kenntnisse aber kannst du nicht in einem andern Gefäß tragen, sondern hast du den Preis bezahlt, so mußt du sie in deine Seele selbst aufnehmend lernen, und hast deinen Schaden oder Vorteil schon weg, wenn du gehst. Dies also laß uns wohl überlegen, und zwar mit Älteren als wir sind: Denn wir sind noch zu jung um eine so wichtige Angelegenheit zu entscheiden. Jetzt indes, wie wir einmal unsern Sinn darauf gesetzt haben, laß uns immer hingehn und den Mann hören; haben wir ihn aber gehört, dann auch mit Anderen uns besprechen. Denn Protagoras ist auch nicht allein dort, sondern auch Hippias von Elis, und ich glaube auch Prodikos von Keos und viele andere gar weise Männer. Dies beschlossen gingen wir. Und als wir in den Vorhof kamen, standen wir still, und sprachen noch über eine Sache, die uns unterweges eingefallen war. Um nun diese nicht abzubrechen, sondern zu Ende zu bringen ehe wir hineingingen blieben wir im Vorhofe stehen und sprachen bis wir einig waren untereinander. Dies dünkt mich mochte der Türsteher, ein Verschnittener, etwa gehört haben, und er scheint wohl wegen der Menge der Sophisten Allen die das Haus besuchen sehr unhold zu sein. Als wir daher anpochten, und er aufmachte und uns ansichtig ward, rief er aus: Ha, schon wieder Sophisten! er hat nicht Muße; und somit schlug er die Tür ohne Umstände mit beiden Händen recht tüchtig wieder zu, und wir pochten eben aufs neue. Darauf gab er uns durch die verschlossene Türe zur Antwort: Leute, habt ihr denn nicht gehört, daß er nicht Muße hat? – Aber guter Mann, sprach ich, weder kommen wir zum Kallias noch sind wir Sophisten. Gib dich also zufrieden, wir sind nur gekommen um den Protagoras zu besuchen, und so melde uns hinein. Darauf öffnete uns der Mensch endlich mit genauer Not die Türe.
Als wir nun hineintraten, fanden wir den Protagoras im bedeckten Gange herumwandelnd. Mit ihm wandelten hintereinander auf der einen Seite Kallias der Sohn des Hipponikos, und sein Halbbruder von mütterlicher Seite Paralos der Sohn des Perikles, und Charmides der Sohn des Glaukon: auf der andern Seite aber der andere Sohn des Perikles Xanthippos, (315) und Philippides der Sohn des Philomelos, und Antimoiros von Menda, der gepriesenste unter allen Schülern des Protagoras, der auch ordentlich auf die Kunst bei ihm lernt, um selbst ein Sophist zu werden. Die übrigen hinter diesen folgenden, Zuhörer nur des Gesprochenen, waren größtenteils Fremde, deren Protagoras aus allen Städten, die er durchzieht, mitbringt, kirrend sie mittelst der Töne Gewalt, wie Orpheus, und sie folgen ihm auf den Ton, die Gekirrten; indes befanden sich doch auch einige Einheimische unter dem Chor. Diesen Chor nun betrachtend ergötzte ich mich besonders daran, wie artig sie sich in Acht nahmen, niemals dem Protagoras vorn im Wege zu sein, sondern wenn er mit seinen Begleitern umwendete, wie ordentlich und geschickt diese Hörer zu beiden Seiten sich teilten, und sich dann im Kreise herumschwenkten, um fein artig immer hinten zu sein. Jenem zunächst erblickte ich, spricht Homeros, den Hippias von Elis in dem bedeckten Gange gegenüber auf einem Sessel sitzend. Um ihn herum saßen auf Bänken: Eryximachos der Sohn des Akumenos, und Phaidros der Myrrhinusier, und Andron der Sohn des Androtion, und einige Fremde, teils Landsleute von ihm, teils andere. Sie schienen über die Natur und die Himmelserscheinungen allerlei Fragen aus der Sternkunde dem Hippias vorzulegen, und er auf seinem Throne sitzend ging mit jedem seine Frage durch, und gab seine Entscheidung. Auch den Tantalos schaut' ich; Prodikos nämlich der Keier war auch angekommen, und befand sich in einem Gemach, welches Hipponikos ehedem als Vorratskammer gebraucht hatte, jetzt aber hatte Kallias wegen Menge der Einkehrenden auch dieses ausgeleert und zum Gastzimmer gemacht. Prodikos nun lag noch dort eingehüllt in Decken und Felle, und zwar in sehr viele wie man sah. Auf den nächsten Polstern um ihn her saßen Pausanias der Kerameer, und neben ihm ein noch kaum halb erwachsener Jüngling schöner und edler Natur, wie ich glaube, von Gestalt aber gewiß sehr schön; mich dünkt gehört zu haben, daß man ihn Agathon nannte, und es sollte mich nicht wundern, wenn er der Liebling des Pausanias wäre. Dieser Jüngling also und die beiden Adeimante, der Sohn des Kepis, und der des Leukolophides, nebst einigen andern zeigten sich da. Wovon sie aber sprachen, konnte ich von draußen nicht vernehmen, wiewohl sehr begierig den Prodikos zu hören, denn gar weise und göttlich dünkt mich der Mann zu sein. Allein die Tiefe seiner Stimme (316) verursachte in dem Gemach ein dumpfes Getöse, das alles Gesprochene unvernehmlich machte. Und wir waren nur eben eingetreten, als hinter uns noch herein kamen: Alkibiades, der Schöne wie du sagst und auch ich glaube, und Kritias der Sohn des Kallaischros. Wir nun verweilten nach unserm Eintritt ein wenig, um dies alles zu beschauen; dann gingen wir zum Protagoras heran, und ich sagte: Protagoras, zu dir kommen wir um etwas, ich und hier Hippokrates. – Wollt ihr etwa, fragte er, allein mit mir sprechen, oder hier mit den übrigen? – Uns, sprach ich, macht es keinen Unterschied, höre aber weshalb wir kommen und überlege es dann selbst. – Was ist es denn also, fragte er, weshalb ihr hergekommen seid? – Dieser Hippokrates, sagte ich, ist hier einheimisch, der Sohn des Apollodoros von einem großen und glänzenden Geschlecht, und auch er selbst dünkt mich, was seine natürlichen Anlagen betrifft, es mit seinen Altersgenossen wohl aufnehmen zu können, und Lust zu haben ein ausgezeichneter Mann in unserer Stadt zu werden; und eben dieses glaubt er am besten zu erreichen, wenn er mit dir sein könnte. Ob du nun meinst hierüber mit uns allein sprechen zu müssen oder vor Andern, das überlege dir selbst. – Sehr mit Recht, Sokrates, sprach er, bist du besorglich um mich. Denn ein Fremdling der die großen Städte durchreiset, und dort die vorzüglichsten Jünglinge überredet, dem Umgang mit andern Verwandten und Mitbürgern, Alten und Jungen entsagend, sich zu ihm zu halten, weil sie durch den Umgang mit ihm besser werden würden, ein solcher muß freilich auf seiner Hut sein. Denn nicht wenig Mißgunst entsteht hieraus und Übelwollen und Nachstellungen aller Art. Daher auch behaupte ich, daß die sophistische Kunst zwar schon sehr alt ist, daß aber diejenigen unter den Alten, welche sie ausübten, aus Furcht vor dem Gehässigen derselben einen Vorwand genommen und sie versteckt haben, einige hinter der Poesie, wie Homeros, Hesiodos und Simonides, andere hinter Mysterien und Orakelsprüchen, wie Orpheus und Musaios, ja einige habe ich bemerkt bedienten sich dazu sogar der Kunst der Leibesübungen, wie Ikkos der Tarentiner, und auch jetzt noch einer, der ein Sophist ist so gut als irgend einer, Herodikos der Selymbrianer, ursprünglich aber aus Megara. Die Musik hat Agathokles euer Landsmann zum Vorwande genommen, der ein großer Sophist ist, so auch Pythokleides von Keos und viele andere. Alle diese, wie gesagt, haben aus Furcht des Neides sich jener Künste zum Deckmantel bedient. Ich aber will mich hierin (317) ihnen allen nicht gleich stellen, glaube auch daß sie das nicht ausgerichtet haben was sie wollten, diejenigen nämlich nicht getäuscht, welche in einem Staate mächtig sind, um derentwillen eben solche Vorwände gesucht werden; denn der große Haufe, daß ich es kurz heraus sage, merkt überall nichts, und singt nach, was Jene ihm vorsagen. Wenn nun Jemand heimlich davonlaufen will und nicht kann, sondern entdeckt wird; so ist schon das Unternehmen sehr töricht, und muß die Menschen notwendig noch mehr aufbringen; denn neben allem andern halten sie dann einen solchen auch noch für einen Ränkemacher. Daher habe ich den ganz entgegengesetzten Weg eingeschlagen und sage grade heraus, daß ich ein Sophist bin, und die Menschen erziehen will, und halte diese Vorsicht für besser als jene, sich lieber dazu zu bekennen, als es zu leugnen. Und noch einige andere beobachte ich, so daß mir, es sei mit Gott gesprochen, noch nicht übles um deswillen widerfahren ist, daß ich mich für einen Sophisten ausgebe, obgleich ich diese Kunst schon viele Jahre lang treibe; wie ich denn überhaupt schon hoch in Jahren bin, und es keinen unter euch gibt, dessen Vater ich nicht dem Alter nach sein könnte. So daß es mir weit lieber ist, wenn ihr etwas wünscht, daß ihr vor Allen die hier zugegen sind eure Sache anbringt. – Darauf sprach ich, denn ich merkte wohl, er wollte den Prodikos und Hippias sehen lassen, und damit groß gegen sie tun, daß wir als seine Verehrer hingekommen wären: Warum rufen wir also nicht gleich auch den Prodikos und Hippias und die bei ihnen sind, damit sie uns auch hören? – O ja, sagte Protagoras. – Wollt ihr also, sprach Kallias, so wollen wir eine Sitzung veranstalten, damit ihr euch niederlassen und mit einander verhandeln könnt. – Das waren wir sehr zufrieden; und hoch erfreut, daß wir die weisen Männer sollten reden hören, legten wir selbst Hand an, und machten Bänke und Polster da zurecht, wo Hippias saß, denn da standen schon die Bänke. Darüber kamen auch Kallias und Alkibiades, den Prodikos, den sie aus seinem Lager aufgestört hatten, und seine Gesellschaft herbeiführend.
Als wir uns nun alle gesetzt hatten, hub Protagoras an. Nun also, Sokrates, da auch diese Männer alle hier sind, so trage jetzt vor, wessen du vorhin erwähntest gegen mich wegen (318) dieses Jünglinges. – Ich sagte also: Mein Anfang, o Protagoras, ist derselbe wie vorher, wegen dessen warum ich gekommen bin. Hier dieser Hippokrates nämlich trägt großes Verlangen nach deinem näheren Umgange; was ihm aber eigentlich daraus herkommen wird, wenn er sich zu dir hält, dies möchte er, wie er sagt, gern vorher vernehmen. Das ist unsere Rede. – Darauf nahm Protagoras das Wort, und sprach: Junger Mann, es wird dir also geschehen, wenn du dich zu mir hältst, daß du schon an dem ersten Tage, den du bei mir zubringst, besser geworden nach Hause gehen wirst, und an dem folgenden ebenfalls, und so alle Tage zum besseren fortschreitest. – Als ich das gehört hatte, sprach ich: Dieses ist nichts wunderbares gesagt, Protagoras, sondern ganz natürlich. Denn auch du, wiewohl so alt und so weise, wenn dich jemand lehrte, was du noch nicht wüßtest, würdest besser werden. Aber nicht also; sondern so wie wenn Hippokrates, sein Verlangen plötzlich ändernd, nun verlangte sich zu dem kürzlich hier angekommenen jungen Manne zu begeben, zu dem Zeuxippos von Herakleia, und er nun zu diesem käme, und von ihm dasselbe hörte, was du jetzt sagst, daß er an jedem bei ihm zugebrachten Tage besser werden und Fortschritte machen würde, und ihn weiter fragte, in wiefern, sagst du, daß ich besser werden und worin Fortschritte machen werde? ihm Zeuxippos gewiß antworten würde in der Malerei; oder wie wenn er zum Orthagoras von Thebä sich begebend, von diesem dasselbe hörte wie von dir, und er ihn dann weiter fragte, worin er denn besser werden würde durch seinen Umgang, dieser ihm gewiß sagen würde im Flötenspielen: Eben so sage doch auch du dem jungen Manne und mir, der ich an seiner Stelle frage, Hippokrates soll, wenn er sich zum Protagoras hält, schon an dem ersten Tage, den er bei ihm zubringt, besser nach Hause gehen, und so täglich Fortschritte machen, in wiefern, Protagoras, und worin? – Und nachdem Protagoras mich ausgehört hatte, sagte er: Du fragst sehr gut, Sokrates, und mir macht es Freude, denen die gut fragen zu antworten. Wenn also Hippokrates zu mir kommt, wird ihm das nicht begegnen, was ihm bei einem andern Sophisten begegnen würde. Die andern nämlich mißhandeln die Jünglinge offenbar. Denn nachdem diese den Schulkünsten eben glücklich entkommen sind, führen jene sie wider ihren Willen wiederum zu Künsten, und lehren sie Rechnen, und Sternkunde, und Meßkunde, und Musik, – wobei er den Hippias ansah, – bei mir aber soll er nichts lernen, als das weshalb er eigentlich kommt. Diese Kenntnis aber ist die Klugheit in seinen eignen Angelegenheiten, wie er sein Hauswesen am besten verwalten, und dann auch in den Angelegenheiten des Staats, wie er am geschicktesten sein (319) wird, diese sowohl zu führen als auch darüber zu reden. – Folge ich wohl, sagte ich darauf, deiner Rede? Du scheinst mir nämlich die Staatskunst zu bezeichnen, und zu verheißen, du wolltest zu tüchtigen Männern für den Staat die Männer bilden? – Eben dieses, sagte er, ist das Anerbieten, wozu ich mich erbiete. – Gewiß eine schöne Kunst, sprach ich, besitzest du, wenn du sie besitzest, denn zu dir soll nichts anderes geredet werden als ich denke. Ich nämlich, Protagoras, meinte, dieses wäre nicht lehrbar; dir aber, da du es sagst, weiß ich nicht wie ich nicht glauben sollte. Weshalb ich aber denke, dies sei nicht lehrbar, noch könne ein Mensch es dem andern verschaffen, das muß ich billig sagen. Ich halte nämlich, wie auch wohl alle Hellenen tun, die Athener für weise, und nun sehe ich, wenn wir in der Gemeinde versammelt sind, und es soll im Bauwesen der Stadt etwas geschehen, so holen sie die Baumeister zur Beratung über die Gebäude; wenn im Schiffswesen, dann die Schiffbauer und in allen andern Dingen eben so, welche sie für lehrbar und lernbar halten. Will sich aber ein Anderer unterfangen ihnen Rat zu geben, von dem sie glauben, daß er kein Kunstverwandter in dieser Sache ist, sei er auch noch so schön und reich und vornehm: so nehmen sie ihn doch nicht an, sondern lachen ihn aus und betreiben Lärm bis er entweder heruntergelärmt von selbst wieder abtritt, oder die Gerichtsdiener ihn herunterziehen oder herausschaffen auf Geheiß der Prytanen. Und in allem, wovon sie glauben, daß es auf Kunst beruhe, verfahren sie so. Wenn aber über Verwaltung der Stadt etwas zu ratschlagen ist, so steht Jeder auf und erteilt ihnen seinen Rat: Zimmermann, Schmied, Schuster, Krämer, Schiffsherr, Reiche, Arme, Vornehme, Geringe, einer wie der andere, und niemand macht einem Vorwürfe darüber, wie im vorigen Falle, daß er ohne dies irgendwo gelernt zu haben, oder seinen Meister darin aufzeigen zu können, sich nun doch unterfangen wolle Rat zu geben. Offenbar also glauben sie, dies sei nicht lehrbar. Und nicht nur das versammelte Volk denkt so, sondern auch zu Hause für sich sind unsere verständigsten und vortrefflichsten Mitbürger nicht im Stande, diese Tugend welche sie besitzen Andern mitzuteilen. Perikles zum Beispiel, der Vater dieser beiden jungen Männer, hat sie in Allem, was von Lehrern abhing, (320) vortrefflich unterrichten lassen; aber in dieser Sache, worin er selbst weise ist, unterrichtet er sie weder selbst, noch hat er sie einem Andern übergeben, sondern sie laufen ganz frei herum und weiden allein, ob sie irgendwo von selbst etwas von dieser Tugend antreffen möchten. Wenn du noch mehr willst, derselbe Perikles ist Vormund von Kleinias, dem jüngern Bruder dieses Alkibiades hier, und aus Besorgnis, daß er von dem Alkibiades möchte verdorben werden, trennte er ihn von diesem, und gab ihn in das Haus des Ariphron, um ihn dort erziehen zu lassen, der aber gab ihn ihm zurück ehe sechs Monate um waren, weil er nicht wußte, was er mit ihm anstellen sollte. Und so kann ich dir sehr viele Andere nennen, welche selbst treffliche Männer, dennoch niemals irgend einen besser gemacht haben, weder von ihren Angehörigen noch sonst. Ich meines Teils also, Protagoras, halte hierauf Rücksicht nehmend nicht dafür, die Tugend sei lehrbar. Nun aber ich dich dieses behaupten höre, lenke ich um und denke, du werdest wohl Recht haben, weil ich von dir halte, du habest vieles in der Welt erfahren, vieles gelernt, und manches auch selbst erfunden. Kannst du uns also deutlicher zeigen, daß die Tugend lehrbar ist, so wolle es nicht vorenthalten, sondern zeige es. – Gut, Sokrates, sagte er, ich will es auch nicht vorenthalten. Aber wie soll ich es euch zeigen, indem ich ein Märchen erzähle wie Ältere wohl Jüngeren zu tun pflegen, oder indem ich eine Abhandlung vortrage? – Viele nun der umher sitzenden sagten, er möchte es vortragen, auf welche Weise er selbst am liebsten wollte. – So dünkt es mich denn anmutiger, sagte er, euch ein Märchen zu erzählen.
Es war einst eine Zeit, wo es Götter zwar gab, sterbliche Geschlechter aber gab es noch nicht; nachdem aber auch für diese die vorherbestimmte Zeit ihrer Erzeugung gekommen war, bildeten die Götter sie innerhalb der Erde aus Erde und Feuer auch das hinzumengend, was von Erde und Feuer gemengt ist. Und als sie sie nun ans Licht bringen sollten, übertrugen sie dem Prometheus und Epimetheus, sie auszustatten, und die Kräfte unter sie, wie es jedem zukomme, zu verteilen. Vom Prometheus aber erbat sich Epimetheus, er wolle verteilen, und, sagte er, wenn ich ausgeteilt, so komme du es zu besichtigen. Und so nachdem er ihn beredet, verteilte er. Bei der Verteilung nun verlieh er Einigen Stärke ohne Schnelligkeit, die Schwächeren aber begabte er mit Schnelligkeit; Einige bewaffnete er, Anderen, denen er eine wehrlose Natur gegeben, ersann er eine andere Kraft zur Rettung. Welche er nämlich in Kleinheit gehüllt hatte, denen verlieh er geflügelte Flucht oder unterirdische Behausung, welche aber zu bedeutender Größe ausgedehnt, die rettete er eben dadurch, (321) und so auch verteilte er alles übrige ausgleichend. Dies aber ersann er so aus Vorsorge, daß nicht eine Gattung gänzlich verschwände. Als er ihnen nun des Wechselverderbens Entfliehungen zu Stande gebracht, begann er ihnen auch gegen die Zeiten vom Zeus leichte Gewöhnung zu ersinnen durch Bekleidung mit dichten Haaren und starken Fellen, hinreichend um die Kälte, aber auch vermögend die Hitze abzuhalten, und außerdem zugleich jedem, wenn es zur Ruhe ging, zur eigentümlichen und angewachsenen Lagerbedeckung dienend. Und unter den Füßen versah er einige mit Hufen und Klauen, andere mit Haaren und starken blutlosen Häuten. Hiernächst wies er dem einen diese, dem anderen jene Nahrung an, dem einen aus der Erde die Kräuter, dem anderen von den Bäumen die Früchte, einigen auch verordnete er zur Nahrung anderer Tiere Fraß. Und diesen letzteren verlieh er dürftige Zeugung, dagegen den von ihnen verzehrten eine vielerzeugende Kraft dem Geschlecht zur Erhaltung. Wie aber Epimetheus doch nicht ganz weise war, hatte er unvermerkt schon alle Kräfte aufgewendet [für die unvernünftigen Tiere;] übrig also war ihm noch unbegabt das Geschlecht der Menschen, und er war wieder ratlos was er diesem tun sollte. In dieser Ratlosigkeit nun kommt ihm Prometheus die Verteilung zu beschauen, und sieht die übrigen Tiere zwar in allen Stücken weislich bedacht, den Menschen aber nackt, unbeschuhet, unbedeckt, unbewaffnet, und schon war der bestimmte Tag vorhanden, an welchem auch der Mensch hervorgehn sollte aus der Erde an das Licht. Gleichermaßen also der Verlegenheit unterliegend, welcherlei Rettung er dem Menschen noch ausfände, stiehlt Prometheus die kunstreiche Weisheit des Hephaistos und der Athene, nebst dem Feuer, – denn unmöglich war, daß sie einem ohne Feuer hätte können angehörig sein oder nützlich, – und so schenkt er sie dem Menschen. Die zum Leben nötige Wissenschaft also erhielt der Mensch auf diese Weise, die bürgerliche aber hatte er nicht. Denn diese war beim Zeus, und dem Prometheus stand in die Feste, die Behausung des Zeus, einzugehen nicht mehr frei, auch waren furchtbar die Wachen des Zeus. Aber in das dem Hephaistos und der Athene gemeinschaftliche Gemach wo sie ihre Kunst übten geht er heimlich hinein, und nachdem er so die feurige Kunst des Hephaistos und die andere der Athene gestohlen, gibt er sie dem Menschen. Und von da an genießt nun der Mensch Behaglichkeit des Lebens; den Prometheus aber hat (322) hernach, so wie erzählt wird, die Strafe für diesen Diebstahl um des Epimetheus willen ergriffen. Da nun aber der Mensch göttlicher Vorzüge teilhaftig geworden, hat er auch zuerst, wegen seiner Verwandtschaft mit Gott das einzige unter allen Tieren, Götter geglaubt, auch Altäre und Bildnisse der Götter aufzurichten versucht, dann bald darauf Töne und Worte mit Kunst zusammengeordnet, dann Wohnungen und Kleider und Beschuhungen und Lagerdecken und die Nahrungsmittel aus der Erde erfunden. So ausgerüstet wohnten die Menschen anfänglich zerstreut, Städte aber gab es nicht. Daher wurden sie von den wilden Tieren ausgerottet, weil sie in jeder Art schwächer waren, als diese, und die verarbeitende Kunst war ihnen zwar zur Ernährung hinreichende Hülfe, aber zum Kriege gegen die Tiere unwirksam; denn die bürgerliche Kunst hatten sie noch nicht, von welcher die kriegerische ein Teil ist. Sie versuchten also sich zu sammeln, und sich zu erretten durch Erbauung der Städte; wenn sie sich aber gesammelt hatten, so beleidigten sie einander, weil sie eben die bürgerliche Kunst nicht hatten, so daß sie wiederum sich zerstreuend auch bald wieder aufgerieben wurden. Zeus also für unser Geschlecht, daß es nicht etwa gar untergehn möchte, besorgt, schickt den Hermes ab, um den Menschen Scham und Recht zu bringen, damit diese der Städte Ordnungen und Bande würden der Zuneigung Vermittler. Hermes nun fragt den Zeus, auf welche Art er doch den Menschen das Recht und die Scham geben solle. Soll ich, so wie die Künste verteilt sind, auch diese verteilen? Jene nämlich sind so verteilt: Einer, welcher die Heilkunst inne hat, ist genug für viele Unkundige, und so auch die andern Künstler. Soll ich nun auch Recht und Scham eben so unter den Menschen aufstellen, oder soll ich sie unter Alle verteilen? Unter Alle, sagte Zeus, und Alle sollen Teil daran haben; denn es könnten keine Staaten bestehen, wenn auch hieran nur Wenige Anteil hätten, wie an anderen Künsten. Und gib auch ein Gesetz von meinetwegen, daß man den, der Scham und Recht sich anzueignen unfähig ist, töte wie einen bösen Schaden des Staates. Auf diese Art also, Sokrates, und aus dieser Ursach glauben alle anderen und auch die Athener, daß wenn von der Tugend eines Baumeisters die Rede ist oder eines andern Künstlers, alsdann nur Wenigen Anteil zustehe an der Beratung; und wenn Jemand außer diesen Wenigen dennoch Rat geben will, so dulden sie es nicht, wie du sagst, und zwar ganz mit Recht, wie ich sage. Wenn sie aber zur Beratung über die bürgerliche Tugend gehen, wohin Alles auf Gerechtigkeit und Besonnenheit ankommt, so dulden sie mit Recht einen Jeden, weil es Jedem (323) gebührt, an dieser Tugend doch Anteil zu haben, oder es könnte keine Staaten geben. Dieses, Sokrates, ist hievon die Ursach. Nimm aber auch noch diesen Beweis hinzu, damit du nicht etwa glaubest nur damit überlistet zu werden, daß wirklich alle Menschen annehmen, ein Jeder habe Anteil an der Gerechtigkeit und der übrigen bürgerlichen Tugend. In anderen Dingen nämlich, wie du selbst sagst, wenn Jemand behauptet, im Flötenspiele vortrefflich zu sein, oder in irgend einer anderen Kunst, worin er es nicht ist, verlachen ihn die Leute entweder oder werden unwillig, und seine Angehörigen gehen hin und stellen ihn zur Rede als einen Verwirrten. In Sachen der Gerechtigkeit aber und der übrigen bürgerlichen Tugend, wenn sie auch sehr wohl wissen, daß einer ungerecht ist, er selbst aber wollte hierüber gegen sich selbst die Wahrheit reden vor vielen Menschen: so würden sie eben dieses, was sie in jenem Falle für vernünftig hielten, nämlich die Wahrheit zu sagen, in diesem für eine Verrücktheit erklären, und behaupten, ein Jeder müsse wenigstens behaupten er sei gerecht, möge er es nun sein oder nicht, oder er wäre verrückt, wenn er sich die Gerechtigkeit nicht zuschriebe; als ob notwendig ein jeder Mensch auf irgend eine Art Anteil an ihr haben müsse, oder gar nicht unter Menschen leben. Daß sie also mit Recht einen Jeden als Ratgeber in Sachen dieser Tugend annehmen, weil sie nämlich glauben, daß ein Jeder Anteil an ihr habe, das habe ich hiedurch gezeigt. Daß sie aber dennoch nicht glauben man habe sie von Natur, oder sie komme ganz von selbst, sondern sie sei allerdings lehrbar, und durch Fleiß habe sie Jeder erlangt, der sie erlangt habe, das will ich dir demnächst zu beweisen suchen. Nämlich über ein Übel, wovon Jeder glaubt, wer es hat habe es von Natur oder durch ein Unglück, erzürnt sich Niemand, oder schilt oder belehrt oder bestraft die mit dergleichen behaftet sind, damit sie etwa aufhören möchten, so zu sein, sondern man bemitleidet sie; wie die Häßlichen, die Kleinen, die Schwächlichen, wer wäre wohl so unverständig gegen solche etwas dergleichen zu tun? weil man nämlich weiß, glaube ich, daß in diesen Dingen das Gute und das Entgegengesetzte den Menschen von Natur oder durch Zufall kommt. Von was für Gutem sie aber glauben, daß es der Mensch durch Fleiß, Übung und Unterricht erlange, wenn Jemand das nicht hat, sondern das entgegengesetzte Böse, darüber entstehen dann die Erzürnungen und die Bestrafungen und die Ermahnungen. Wovon eins nun auch die Ungerechtigkeit ist und die Gottlosigkeit, und überhaupt alles der bürgerlichen Tugend entgegengesetzte. Hier also (324) schilt und zürnt einer auf den andern offenbar als werde diese allerdings durch Achtsamkeit und Unterricht erworben. Denn wenn du bedenken willst das Bestrafen der Unrechttuenden, was damit wohl gemeint ist, so wird schon dieses dich lehren, daß alle Menschen glauben die Tugend sei zu erwerben. Denn Niemand bestraft die welche Unrecht getan haben darauf seinen Sinn richtend und deshalb, weil einer eben Unrecht getan hat, außer wer sich ganz vernunftlos wie ein Tier eigentlich nur rächen will. Wer aber mit Vernunft sich vornimmt einen zu strafen, der bestraft nicht um des begangenen Unrechts willen, denn er kann ja doch das Geschehene nicht ungeschehen machen, sondern des zukünftigen wegen, damit nicht auf ein andermal wieder, weder derselbe noch einer der diesen bestraft gesehen hat, dasselbe Unrecht begehe. Und indem er dieses beabsichtiget, denkt er doch wohl, daß die Tugend kann angebildet werden; denn der Ablenkung wegen straft er ja. Dieser Meinung sind also Alle zugetan, welche Strafen verhängen von Volks wegen und zu Hause. Es strafen und züchtigen ja aber sowohl die übrigen Menschen den, von welchem sie glauben er habe unrecht getan, als auch nicht minder die Athener, deine Mitbürger; so daß hieraus zu schließen auch die Athener zu denen gehören, welche annehmen, die Tugend könne gelehrt werden und durch allerlei Anstalten hervorgebracht. Daß also ganz mit Recht deine Mitbürger es annehmen, wenn auch ein Schmied und Schuster ihnen Rat erteilen in bürgerlichen Dingen, und daß sie dennoch glauben, die Tugend könne gelehrt und erworben werden, dieses, Sokrates, ist dir nun hinlänglich erwiesen, wie es mir scheint. Jetzt ist noch der Zweifel übrig, den du vorher hegtest von wegen der vortrefflichen Männer, warum nämlich wohl diese ihre Söhne in Allem, was von Lehrern abhängt, unterrichten und weise machen, in der Tugend aber, worin sie selbst sich auszeichnen, sie nicht besser machen als Andere. Hierüber nun, Sokrates, will ich dir nicht mehr eine Erzählung vorlegen, sondern die Gründe. Erwäge die Sache so. Gibt es oder gibt es nicht etwas gewisses, was notwendig alle Bürger an sich haben müssen, wenn es einen Staat geben soll? Denn hiedurch wird dieser Zweifel gelöset, den du hegst, oder sonst durch nichts. Denn wenn es so etwas gibt und wenn dieses Etwas nicht die Zimmerkunst ist noch die Schmiedekunst noch die Töpferkunst, sondern die Gerechtigkeit und die Besonnenheit und das Frommsein, und was ich Alles in Eins (325) zusammengefaßt die Tugend eines Mannes nennen möchte, wenn diese das ist, was Alle an sich haben müssen, und mit dieser ein Jeder, der sonst etwas lernen und verrichten will, Alles verrichten muß, ohne sie aber nichts; oder wer sie nicht an sich hat, sei es Mann oder Kind oder Weib, wird belehrt und gezüchtiget, bis er durch die Züchtigung besser geworden ist, wer aber auf die Züchtigung und Belehrung nicht merkt, als ein Unheilbarer aus dem Staate herausgetrieben oder getötet; wenn es sich so verhält, und wenn bei so bewandten Sachen deine vortrefflichen Männer ihre Söhne in allem Andern unterrichten lassen, hierin aber nicht: so sieh doch zu, wie wunderlich diese trefflichen Männer sein müssen. Denn daß sie es für lehrbar halten zu Hause und öffentlich im Staate, das haben wir gezeigt. Und obgleich es gelehrt und angebildet werden kann, sollten sie ihren Söhnen wohl alles Andere lehren lassen, worauf nicht der Tod oder eine andere Strafe gesetzt ist, wenn sie es nicht wissen; weshalb aber ihren Söhnen der Tod als Strafe bevorsteht oder die Verweisung, wenn sie es nicht gelernt haben, noch zur Tugend gebildet worden sind, und außer dem Tode die Einziehung der Güter, und daß ich es kurz sage, das Verderben des ganzen Hauses, dieses sollten sie ihnen nicht lehren lassen und nicht alle Sorgfalt daran wenden? Man muß ja wenigstens glauben, Sokrates, daß sie es tun. Schon von der zartesten Kindheit anfangend, solange sie leben, belehren und ermahnen sie ein Kind, sobald es nur versteht was zu ihm geredet wird, sowohl die Wärterin als die Mutter, der Knabenführer und der Vater selbst beeifern sich darauf, daß der Knabe aufs beste gedeihe, indem sie ihn bei jeder Handlung und Rede belehren und ihm zeigen, dies ist recht, jenes ist unrecht, dies gut, jenes schlecht, dies fromm, jenes gottlos, dies tue, jenes tue nicht; und wenn er gutwillig gehorcht, gut; wo nicht, so suchen sie ihn wie ein Holz, das sich geworfen und verbogen hat, wieder grade zu machen durch Drohungen und Schläge. Hernach wenn sie ihn in die Schule schicken, schärfen sie dem Lehrer weit dringender ein, für die Sittsamkeit der Kinder zu sorgen als für ihr Lesen und ihr Spiel auf der Lyra. Die Lehrer also haben hierauf Acht, und auch wenn die Kinder nun Lesen gelernt haben, und auch das Geschriebene schon verstehen wie vorher nur den Ton: so geben sie ihnen auf den Bänkchen die Gedichte der trefflichsten Dichter zu lesen, und lassen sie sie einlernen, in denen viele Zurechtweisungen enthalten sind und Erläuterungen, auch Lob und Verherrlichung alter trefflicher Männer, damit (326) der Knabe sie bewundernd nachahme, und sich bestrebe auch ein solcher zu werden. Die Musikmeister eben so sehen auf Sittsamkeit, und daß die Knaben nicht Unfug treiben. Überdies wenn sie nun die Lyra spielen gelernt haben, lehren diese ihnen wiederum anderer vortrefflicher Dichter, nämlich der liederdichtenden, Gedichte, welche sie den Gesangweisen unterlegen, und arbeiten dahin Zeitmaß und Wohlklang den Seelen der Kinder geläufig zu machen, damit sie milder werden, und indem sie Maß und Ton halten, auch geschickter zum Reden und Handeln. Denn überall bedarf das Leben der Menschen richtiges Zeitmaß und Zusammenstimmung. Über das alles schicken sie sie noch zum Meister der Leibesübungen, damit sie dem Körper nach besser ausgebildet auch der richtigen Gesinnung dienen können, und nicht nötig haben sich feigherzig zurückzuziehn wegen des Körpers Untüchtigkeit, es sei nun im Kriege oder bei andern Geschäften. Und dieses nun führt am besten aus, wer es am besten vermag; am besten aber vermögen es die Reichsten, deren Kinder auch am frühesten in ihrer Jugend anfangen die Lehre zu suchen, und am spätesten damit aufhören. Wenn sie dann aber ihre Lehrer verlassen, so nötiget wiederum die Stadt sie, die Gesetze zu lernen und nach diesen zu leben, wie nach einer Vorschrift, damit sie nicht eignem Gutdünken folgend etwas Ungeschicktes beginnen; sondern recht eigentlich wie der Sprachlehrer den Kindern, die noch nicht schreiben können, die Buchstaben mit dem Griffel vorschreibt, und ihnen dann die Tafel hingibt und ihnen befiehlt, diese Züge, wie er sie ihnen vorgeschrieben hat, nachzuziehen, eben so schreibt die Stadt die Gesetze vor von trefflichen alten Gesetzgebern ausgedacht, und befiehlt ihnen nach diesen zu regieren und sich regieren zu lassen. Wer aber hievon abweicht, den züchtiget sie, und diese Züchtigung heißt bei euch und an vielen andern Orten, gleichsam weil die Strafe den Menschen wieder weise macht, eine Weisung. Da nun sowohl zu Hause als von Staats wegen so viele Sorgfalt auf die Tugend gewendet wird, wie kannst du dich noch wundern, Sokrates, und Zweifel hegen, ob sie lehrbar sei? Darüber ist sich nicht zu wundern, sondern vielmehr wenn sie nicht lehrbar wäre. Weshalb aber mißraten viele Söhne vortrefflicher Männer? Das erfahre nun auch. Dies nämlich ist nichts wunderbares, wenn ich anders im vorigen richtig gesagt habe, daß in dieser Sache, nämlich der Tugend, wenn es Staaten geben soll, niemand unwissend sein (327) darf. Wenn dieses sich so wie ich sage verhält, es verhält sich aber allerdings und auf alle Weise so: so erwäge einmal die Sache an irgendeiner andern Kunst und Geschicklichkeit, an welcher du am liebsten willst. Wenn es keinen Staat geben könnte, wofern wir nicht alle Flötenspieler wären, wie gut eben jeder könnte, und wenn hierin Jeder den andern unterrichtete zu Hause und im öffentlichen Leben, und den schlechtspielenden tadelte, und ihm dies nicht neidisch vorenthielte, so wie jetzt keiner dem Andern das Gerechte und Gesetzmäßige vorenthält oder verbirgt, wie es wohl in andern Künsten geschieht; – denn Jedem von uns glaube ich nützt die Gerechtigkeit und Tugend der Andern, deshalb lehrt Jeder so gern den Andern das Gerechte und Gesetzmäßige; – wenn nun eben so im Flötenspielen Jeder dem Andern alle Bereitwilligkeit und Dienstfertigkeit erzeigte ihn zu unterrichten: glaubst du, Sokrates, sagte er, daß dann mehr die Söhne guter Flötenspieler gute Flötenspieler werden würden als die Söhne der schlechten? Ich glaube es nicht, sondern wessen Sohn die besten Anlagen zum Flötenspieler hätte, der würde zu einem ausgezeichneten gedeihen, wessen es aber daran fehlte, der würde unberühmt bleiben, und oft würde der Sohn eines guten Flötenspielers ein schlechter werden, und der eines schlechten ein guter; aber Alle würden doch ordentliche Flötenspieler sein in Vergleich mit den Ununterrichteten, die gar nichts vom Flötenspiel verstehen. So glaube nun auch jetzt, daß selbst derjenige, welcher sich dir als der ungerechteste zeigt von Allen, die unter Gesetzen und mit Menschen auferzogen sind, dennoch gerecht ist, und wirklich ein ausübender Künstler in dieser Sache, wenn du ihn mit solchen Menschen vergleichen solltest, die gar keine Erziehung haben, keine Gerichtshöfe, keine Gesetze, und überall keinen Zwang, der sie zwingt sich in allen Stücken der Tugend zu befleißigen, sondern die solche Wilde wären, wie sie uns im vorigen Jahre der Dichter Pherekrates am Bakchosfest aufgestellt hat. Wahrlich, wenn du dich unter solchen Menschen befändest, wie die Menschenfeinde in jenem Chore, würdest du sehr zufrieden sein, wenn du auch nur einen Eurybatos oder Phrynondas anträfest, und würdest jammern aus Sehnsucht nach der Schlechtigkeit der hiesigen Menschen. Nun aber bist du verwöhnt, Sokrates, weil eben Alle Lehrer der Tugend sind, Jeder so gut er kann, und siehst deshalb nirgends einen. Eben als wenn du nachfragtest, wo es wohl einen Lehrer im hellenisch sprechen gäbe, würdest du auch keinen einzigen finden. Ja ich glaube nicht einmal, wenn du nachfragtest, wer wohl die Söhne unserer Handwerker in der Kunst unterrichtete, die sie bereits (328) von ihrem Vater, so weit er es im Stande war, und von seinen kunstverwandten Freunden gelernt haben. Wer unterrichtet diese wohl noch besonders? Ich glaube, es würde nicht leicht sein, Sokrates, ihren Lehrer aufzuzeigen, dagegen der noch ganz unkundigen sehr leicht. So ist es in der Tugend und in allen andern Dingen. Also wenn einer auch nur um ein weniges besser als wir versteht, sie in der Tugend weiter zu bringen, muß man es gern annehmen. Von welchen nun auch ich glaube einer zu sein und besser als andere Menschen mancherlei zu verstehen, wodurch einer gut und trefflich wird, wohl wert der Belohnung, die ich dafür fordere und noch größerer, nach dessen Meinung selbst der gelernt hat. Daher ich auch diese Art meine Belohnung zu bestimmen eingerichtet habe. Wenn nämlich jemand bei mir gelernt hat und er will, so gibt er mir den Preis, den ich fordere, wo nicht, so geht er in den Tempel und schwört dort, wie hoch er die erworbenen Kenntnisse schätze und soviel gibt er dann. Somit, Sokrates, sagte er, habe ich dir durch Geschichte und Gründe erwiesen, daß die Tugend allerdings lehrbar ist, und daß auch die Athener sie dafür halten und daß es dennoch nicht zu verwundern ist, wenn die Söhne guter Väter schlecht und schlechter gut werden. Denn auch die Söhne des Polykleitos von gleichem Alter mit dem Paralos und Xanthippos hier sind nichts im Vergleich mit ihrem Vater und so auch andere anderer Künstler. Diesen aber darf man hieraus noch keinen Vorwurf machen, sondern man muß Gutes von ihnen hoffen, denn sie sind jung.
Protagoras nun, nachdem er sich so und so ausführlich vor uns gezeigt hatte, hörte auf zu reden; ich aber, auf lange Zeit bezaubert, sah noch immer auf ihn, als würde er weiterreden, lüstern zu hören. Da ich aber merkte, daß er wirklich aufgehört hatte, sammelte ich mich sozusagen endlich mit Mühe, wendete mich zu dem Hippokrates und sagte: Wie danke ich dir, Sohn des Apollodoros, daß du mich aufgefordert hast, hieher zu gehn! Denn gar viel ist es mir wert, das gehört zu haben vom Protagoras, was ich gehört habe. Bis jetzt nämlich glaubte ich, es wären nicht menschliche Bemühungen, wodurch die Guten gut werden; nun aber bin ich davon überzeugt. Ausgenommen eine Kleinigkeit ist mir im Wege, was offenbar Protagoras leicht noch dazu lehren wird, da er ja dieses viele gelehrt hat. Denn wenn sich jemand über eben (329) dieses mit einem von unsern Volksrednern bespräche, könnte er solche Reden vom Perikles oder einem von den andern Meistern im Reden auch wohl hören; aber wenn einer etwas weiter fragt, so wissen sie wie die Bücher nichts weiter weder zu antworten noch selbst zu fragen; aber wenn einer auch nur ein Weniges von dem gesagten fragt, dann, wie Metall, worauf einer geschlagen, lange forttönt, wenn es nicht einer anrührt; ebenso auch diese Redner, um weniges gefragt, dehnen eine meilenlange Rede. Unser Protagoras aber versteht zwar ebenfalls lange und schöne Reden zu halten, wie eben die Tat gezeigt, er versteht aber auch, sowohl gefragt im kurzen zu antworten, als auch selbst fragend die Antwort abzuwarten und aufzunehmen und hierauf sind nur wenige ausgerüstet. Jetzt also, Protagoras, fehlt mir noch ein Weniges, um alles zu haben, wenn du mir dieses beantworten möchtest. Du sagst, die Tugend sei lehrbar, und ich, wenn ich irgend einem Menschen glaube, glaube ich gewiß dir. Was mir aber aufgefallen ist, als du sprachst, das ergänze mir noch in meiner Seele. Du sagtest nämlich, Zeus habe den Menschen die Gerechtigkeit geschickt und die Scham und wiederum erwähntest du vielfältig in deiner Rede der Gerechtigkeit und Besonnenheit und Frömmigkeit und dieses alles, als ob es zusammen genommen eins wäre, die Tugend. Eben dieses also setze mir doch genauer auseinander, ob die Tugend eins zwar ist, doch aber Teile von ihr sind die Gerechtigkeit und die Besonnenheit und die Frömmigkeit, oder ob alles, was ich jetzt genannt habe, nur verschiedene Namen sind für eine und dieselbe Sache. Das ist es, was ich noch vermisse. – Sehr leicht, sagte er, ist dies ja zu beantworten, Sokrates, daß von der Tugend, die eins ist, dieses Teile sind, wonach du fragst. Ob wohl auf die Art, sprach ich, wie die Teile des Gesichtes Teile sind, Mund und Nase und Augen und Ohren? Oder so wie die Teile des Goldes gar nicht unterschieden sind eins vom andern und vom Ganzen als durch Größe und Kleinheit? – Auf jene Art scheint es mir, Sokrates, wie die Teile des Gesichtes sich zum ganzen Gesicht verhalten. – Besitzen denn auch die Menschen, fragte ich, von diesen Teilen der Tugend der eine den, der andere jenen, oder muß notwendig, wer einen hat, auch alle haben? – Keineswegs, sprach er, denn viele sind ja tapfer, aber ungerecht, und gerecht, weise aber nicht. – Also dies sind auch Teile der Tugend, fragte ich, Weisheit und Tapferkeit? – (330) Freilich vor allen Dingen, sprach er, und der größte sogar ist die Weisheit unter diesen Teilen. – Und jeder von ihnen sagte ich, ist etwas anderes als der andere? – Ja. – Hat auch jeder seine eigene Verrichtung, wie im Gesicht das Auge nicht ist wie die Ohren noch seine Verrichtung dieselbe und überhaupt kein Teil wie der andere ist, weder der Verrichtung nach noch sonst, ist nun eben so auch von den Teilen der Tugend keiner wie der andere, weder an sich selbst noch auch seine Verrichtung? Oder muß nicht offenbar die Sache sich so verhalten, wenn sie doch unserm Beispiel ähnlich sein soll? – Sie verhält sich auch so, Sokrates, sagte er. – Darauf sprach ich: Also ist keiner von den anderen Teilen der Tugend wie die Erkenntnis, oder wie die Gerechtigkeit oder wie die Besonnenheit oder wie die Frömmigkeit? – Nein, sagte er. – Wohlan also, sprach ich, laß uns zusammen sehen, welcherlei doch jedes von ihnen ist. Zuerst so. Ist die Gerechtigkeit etwas bestimmtes, oder ist sie nicht etwas bestimmtes? Mir scheint sie so etwas zu sein, wie denn dir? – Auch mir, sagte er. – Wie nun? Wenn einer mich und dich fragte: Sagt mir doch, Protagoras und Sokrates, dieses, was ihr jetzt eben genannt habt, die Gerechtigkeit, ist sie eben dieses gerecht oder ungerecht? Würde ich ihm freilich antworten, gerecht; du aber, was für eine Stimme würdest du geben, dieselbe mit mir oder eine andere? – Dieselbe, sagte er. – Die Gerechtigkeit also ist eben das wie gerecht sein, würde ich sagen dem Fragenden zur Antwort. Du auch? – Ja, sagte er. – Wenn er uns nun nach diesem fragte: Sagt ihr nicht auch, daß es eine Frömmigkeit gibt? Würden wir es doch bejahen, glaube ich? – Freilich, sagte er. – Sagt ihr auch, daß diese etwas bestimmtes ist? Sollen wir es zugeben oder nicht? – Auch dies bejahte er. – Sagt ihr nun, daß diese von Natur eben das ist wie gottlos sein, oder fromm? Ich, sprach ich, würde unwillig werden über die Frage und sagen: Rede nicht dergleichen, lieber Mensch! Wie wollte denn irgend etwas anderes fromm sein, wenn die Frömmigkeit selbst nicht fromm wäre! Und wie du? Würdest du nicht so antworten? – Allerdings, sagte er. – Wenn er nun hierauf spräche fragend: Wie habt ihr doch vor kurzem gesagt? Habe ich euch etwa nicht recht vernommen? Mich dünkt, ihr sagtet, die Teile der Tugend verhielten sich so gegeneinander, daß keiner von ihnen wäre wie der andere? So würde ich ihm sagen: Übrigens hast du wohl recht gehört, daß du aber glaubst, ich hätte dieses auch gesagt, das hast du verhört. Denn, Protagoras (331) hier hat dies geantwortet, ich aber nur gefragt. Wenn er nun fragte: Spricht dieser wahr, Protagoras? Du also sagst, kein Teil der Tugend sei wie der andere? Deine Rede ist dies? Was würdest du ihm antworten? – Natürlich, sagte er, mich dazu bekennen. – Was also, Protagoras, werden wir, dieses eingestanden, ihm antworten, wenn er uns weiter fragt: Also ist die Frömmigkeit nicht wie gerecht sein und die Gerechtigkeit nicht wie fromm, sondern wie nicht fromm und die Frömmigkeit wie nicht gerecht, also ungerecht und jene gottlos? Was werden wir ihm antworten? Ich meines Teils für mich wenigstens würde sagen, daß die Gerechtigkeit allerdings fromm sei und die Frömmigkeit gerecht; und auch für dich, wenn du es mir zuließest, würde ich das nämliche antworten, daß die Gerechtigkeit entweder dasselbe ist mit der Frömmigkeit oder ihr doch so ähnlich, als nur irgend möglich und also auf alle Weise die Gerechtigkeit wie die Frömmigkeit, und die Frömmigkeit wie die Gerechtigkeit. Sieh also zu, ob du mir verbietest, so zu antworten oder ob es dich ebenso dünkt? – Keineswegs, sprach er, dünkt mich dieses unbedingt so zu sein, daß man zugeben müsse, die Gerechtigkeit sei Frommes und die Frömmigkeit Gerechtes, sondern mich dünkt wohl noch etwas verschiedenes darin zu sein. Doch was liegt daran, sprach er? Wenn du willst, soll uns auch die Gerechtigkeit fromm und auch die Frömmigkeit gerecht sein. – Das ja nicht! sagte ich. Ich begehre gar nicht, daß ein solches Wenn du willst und Wie du meinst untersucht werde, sondern ich und du. Das Ich und Du sage ich aber in der Meinung, der Satz selbst werde am besten geprüft werden, wenn man dieses Wenn ganz herausläßt. – Aber doch, sprach er, ist ja die Gerechtigkeit der Frömmigkeit ähnlich; denn auch jedes Ding ist jedem Dinge gewissermaßen ähnlich. Sogar ist auf eine Art das Weiße dem Schwarzen ähnlich und das Harte dem Weichen und was sonst einander am meisten entgegengesetzt zu sein scheint, und auch das, wovon wir vorher sagten, jedes habe eine eigene Verrichtung und eines sei nicht wie das andere, die Teile des Gesichtes sind einander doch auch gewissermaßen ähnlich und eins ist wie das andere, so daß du auf diese Art auch das beweisen könntest, wenn du wolltest, daß alles einander ähnlich ist. Aber es ist nicht recht, Dinge, die etwas Ähnliches haben, gleich ähnlich zu nennen, und die etwas Unähnliches haben, unähnlich, auch wenn sie gar wenig Ähnliches und Unähnliches haben. – Darüber verwundert, sagte ich zu ihm: Verhält sich denn bei dir das Gerechte und das Fromme so gegeneinander, daß es ein wenig Ähnliches mit einander hat? – Nicht ganz so, sprach er, aber doch auch (332) nicht so, wie du zu glauben scheinst. – Ei nun, sprach ich weil dir dieses ungelegen zu sein scheint, wollen wir dieses nun lassen und dies andere von dem, was du sagtest, in Betracht ziehen.
Du nennst doch Etwas Unsinnigkeit? – Er sagte ja. – Ist nicht davon ganz das Gegenteil die Weisheit? – Mich dünkt es so, sagte er. – Und wenn die Menschen richtig und wie es heilsam ist handeln, scheinen sie dir dann besonnen zu sein, wenn sie so handeln, oder wenn entgegengesetzt? – Alsdann sind sie besonnen, sagte er. – Nicht wahr, durch die Besonnenheit sind sie besonnen? – Natürlich. – Und nicht wahr, die nicht richtig handelnden handeln unsinnig und sind nicht besonnen, indem sie so handeln? – Das dünkt mich ebenso, sagte er. – Das Gegenteil ist also das unsinnig handeln vom besonnenen? – Er gab es zu. – Nicht wahr, was unsinnig getan wird, wird durch Unsinnigkeit und was besonnen durch Besonnenheit getan? – Das räumte er ein. – Nicht wahr, wenn etwas mit Stärke getan wird, das wird stark getan und wenn mit Schwäche schwach? – So schien es ihm. – Und was mit Schnelligkeit schnell, was mit Langsamkeit langsam. – Er bejahte. – Und also, wenn etwas ebenso getan wird, wird es auch von demselben getan, wenn aber entgegengesetzt, dann auch von dem entgegengesetzten. – Er stimmte bei. – Wohlan, sagte ich, gibt es etwas Schönes? – Er räumte es ein. – Und ist diesem noch irgendetwas entgegengesetzt außer dem Häßlichen? – Nichts weiter. – Und wie? Gibt es etwas Gutes? – Es gibt. – Ist diesem etwas entgegengesetzt außer dem Bösen? – Nichts weiter. – Und wie? Gibt es etwas hohes in der Stimme? – Er bejahte es. – Ist diesem nichts anderes entgegengesetzt außer dem tiefen? – Nein, sagte er. – Also, sprach ich, jedem einzelnen von diesen entgegengesetzten ist auch nur eins entgegengesetzt und nicht viele? – Dazu bekannte er sich. – Komm denn, sprach ich, laß uns zusammenrechnen, was wir eingestanden. Haben wir eingestanden, daß einem nur eins entgegengesetzt ist, mehreres aber nicht? – Das haben wir eingestanden. – Und das, was auf entgegengesetzte Art getan wird, auch durch Entgegengesetztes getan wird? – Er bejahte. – Und haben wir eingestanden, daß was unsinnig getan wird, auf entgegengesetzte Art getan wird, als was besonnen? – Er bejahte es. – Und daß, was besonnen getan wird, durch Besonnenheit verrichtet wird, was aber unsinnig durch Unsinnigkeit? – Er räumte es ein. – Also da es auf entgegengesetzte Art getan wird, muß es auch durch entgegengesetztes verrichtet werden? – Ja. – Es wird aber das eine durch Besonnenheit und das andere durch Unsinnigkeit verrichtet? – Ja. – Auf entgegengesetzte Art? – Freilich. – Also auch durch entgegengesetztes? – Ja. – Entgegengesetzt also ist die Unsinnigkeit der Besonnenheit? – Das ist klar. – Erinnerst du dich wohl, daß im vorigen von uns eingestanden (333) war, die Unsinnigkeit sei der Weisheit entgegengesetzt? – Das gestand er. – Und daß einem nur eins entgegengesetzt sei? – Das behauptete ich. – Welche von unsern beiden Behauptungen wollen wir nun aufgeben, Protagoras? Die, daß einem nur eins entgegengesetzt ist, oder jene, als wir sagten, die Besonnenheit wäre etwas anderes als die Weisheit? Und beide wären Teile der Tugend? Und außerdem, daß jede etwas anderes wäre, wären sie auch einander unähnlich, sie selbst und ihre Verrichtungen, wie die Teile des Gesichts? Welches von beiden wollen wir nun aufgeben? Denn zugleich können diese beiden Behauptungen nicht sehr musikalisch vorgetragen werden, denn sie stimmen nicht und klingen nicht zusammen. Wie können sie auch zusammen klingen, wenn notwendig eins nur einem entgegengesetzt ist, mehreren aber nicht, der Unsinnigkeit aber, welche eins ist, sich sowohl die Weisheit als die Besonnenheit entgegengesetzt zeigt? Ist es so, Protagoras, fragte ich, oder anders wie? – Er gestand es sehr ungern. – So wären diese also wohl eins, die Besonnenheit und die Weisheit? Vorher aber zeigten sich uns die Gerechtigkeit und die Frömmigkeit fast als dasselbe? Komm also, sprach ich, Protagoras, laß uns nicht müde werden, sondern nun das Übrige auch noch durchnehmen. Scheint dir ein Mensch, welcher Unrecht tut, wohl darin besonnen zu sein, daß er Unrecht tut? – Ich würde mich ja schämen, o Sokrates, sagte er, dieses zuzugeben, obgleich die meisten Menschen es wohl sagen. – Soll ich also an jene meine Rede richten oder an dich? – Wenn du willst, sagte er, so rede zuerst gegen jenen Satz der meisten. – Gut, sprach ich, mir verschlägt es nichts, wenn du nur antwortest, ob übrigens du selbst dieses annimmst oder nicht. Denn ich will eigentlich nur den Satz prüfen, aber es ereignet sich dann wohl, daß dabei auch ich, der Fragende und der Antwortende geprüft werden. – Zuerst nun zierte sich Protagoras und klagte, es wäre ein gar beschwerlicher Satz; endlich aber bequemte er sich doch zu antworten. – Komm also, sprach ich, antworte mir von Anfang an. Dünken dich einige Menschen, indem sie Unrecht tun, besonnen zu sein? – Es soll so sein, sagte er. – Unter dem Besonnensein aber meinst du, daß sie sich wohl besinnen? – Er bejahte es. – Und sich recht besinnen heißt, daß sie sich wohl beraten in dem, was sie Unrecht tun? – Das soll gelten, sagte er. – Obwohl, fragte ich, wenn sie sich wohlbefinden beim Unrechttun oder wenn übel? – Wenn sie sich wohlbefinden. – Nimmst du nun an, daß einiges gut ist? – Das sage ich. – Ist etwa, sprach ich, dasjenige gut, was den Menschen nützlich ist? – Ja, auch beim Zeus, sagte er, manches, was den Menschen nicht nützlich ist, nenne ich wenigstens doch gut. – Und mich dünkte Protagoras schon ganz verdrießlich zu sein und sich zu ängstigen und zu sträuben gegen das Antworten; und da ich ihn in dieser Verfassung sah, nahm ich mich in acht und fragte nur ganz bedächtig weiter. Meinst (334) du nur, sprach ich, was keinem Menschen nützlich ist, oder auch was ganz und gar nicht nützlich ist, und nennst du auch solche Dinge gut? – Keineswegs, sagte er, aber ich kenne sehr viele Dinge, welche zwar dem Menschen völlig unnütz sind, Speisen, Getränke, Arzneien und sonst tausenderlei; andere sind ihm nützlich; wiederum andere sind dem Menschen zwar keines von beiden, wohl aber den Pferden, andere wieder nur den Ochsen, andere den Hunden, noch andere keinem von allen diesen, wohl aber den Bäumen; ja einiges ist wiederum für die Wurzeln der Bäume gut, für die Zweige aber schädlich, wie zum Beispiel der Mist um die Wurzeln gelegt allen Pflanzen heilsam ist, wolltest du ihn aber auf die Triebe oder auf die jungen Zweige legen, so würde alles verderben. So ist auch das Öl allen Pflanzen sehr schädlich, und auch den Haaren der anderen Tiere sehr verderblich, nur denen des Menschen nicht, denn diesen ist es zum Wachstum beförderlich und so auch seinem übrigen Körper. Und so schillert das Gute und verwandelt sich immer wieder, daß auch dieses hier für die äußeren Teile des Körpers zwar sehr gut ist, dasselbige aber den inneren sehr übel. Daher verbieten auch alle Ärzte den Kranken das Öl, bis auf etwas weniges an dem was sie genießen, nur so viel eben hinreicht um das Widrige zu dämpfen, was verschiedene Speisen sonst für die Empfindungen, die wir durch die Geruchswerkzeuge bekommen, an sich haben würden.
Als er dies gesagt, erhoben die Anwesenden ein Geräusch von Beifallsbezeugungen, wie schön er spräche. Ich aber sagte, o Protagoras, ich bin ein sehr vergeßlicher Mensch, und wenn Jemand so lange spricht, vergesse ich ganz wovon eigentlich die Rede ist. So wie nun, wenn ich etwas taub wäre, du glauben würdest, wenn du anders mit mir reden wolltest, lauter sprechen zu müssen als mit anderen: so auch jetzt, da du mit einem Vergeßlichen zu tun hast, beschneide mir die Antworten und mache sie etwas kürzer, wenn ich dir anders folgen soll. – Wie heißest du mich denn kurz antworten? etwa kürzer soll ich dir antworten, sagte er, als nötig ist? – Keinesweges, sprach ich. – Also so viel als nötig ist? – O ja, sagte ich. – Soll ich dir also so viel antworten als ich für nötig halte, oder so viel als du? – Ich habe doch gehört, sprach ich, du besäßest die Geschicklichkeit und teiltest sie auch Andern mit, über dieselbe Sache sowohl lange zu reden, wenn du willst, so daß dir die Rede niemals abreißt, als auch wiederum so kurz, daß sich niemand kürzer fassen kann als du. Willst du nun mit mir ein Gespräch führen, so bediene dich gegen mich der andern Art zu reden, der Kurzrednerei. – O Sokrates, (335) sagte er, schon mit vielen Menschen habe ich den Kampf des Redens bestanden, hätte ich aber das getan, was du von mir verlangst, nämlich immer auf die Art das Gespräch geführt, wie mein Gegner es mich führen hieß, so würde ich gewiß keinen Einzigen überwunden haben, und Protagoras würde keinen Namen haben unter den Hellenen. – Ich aber, denn ich merkte wohl, daß er sich in seinen vorigen Antworten gar nicht gefallen hatte, und daß er gutwillig nicht würde der Antwortende sein wollen im Gespräch, glaubte daß für mich in dieser Zusammenkunft nichts mehr zu tun wäre, und sagte: Aber Protagoras, auch ich bin ja nicht erpicht darauf, daß unsere Unterhaltung anders als es dir recht ist geführt werde; sondern wenn es dir gelegen sein wird so Gespräch zu führen, wie ich dir folgen kann, dann will ich mit dir reden. Denn du, wie man von dir rühmt und du auch selbst sagst, verstehst beides sowohl in langen Reden als in kurzen die Unterhaltung zu führen; denn du bist eben ein weiser Mann, ich aber weiß nun einmal mit diesen langen Reden gar nicht umzugehn, wiewohl ich sehr wünschte auch das zu verstehen. Also solltest du, der du beides kannst, uns nachgeben, damit eine Unterhaltung zu Stande käme. Nun aber du nicht willst, und auch ich nicht länger Zeit habe, und es nicht abwarten könnte, wenn du deine Reden so in die Länge zögest, denn ich muß anders wohin: so gehe ich; wiewohl auch dieses hörte ich gewiß gern von dir. Und mit diesen Worten stand ich auf, um fortzugehen; aber so wie ich aufstand ergriff mich Kallias mit einer Hand bei der Rechten, und mit der andern hielt er mich hier beim Mantel und sagte: Wir werden dich nicht loslassen, Sokrates, denn wenn du uns fortgehst wird es mit unseren Gesprächen gar nicht mehr dasselbe sein. Ich bitte dich also bei uns zu bleiben; denn ich weiß keinen, den ich lieber hören möchte als dich und den Protagoras mit einander reden. Sei also uns Allen gefällig. – Ich erwiderte, ich war aber schon aufgestanden um zu gehen: Immer, Kallias, habe ich an deiner Liebe zur Wissenschaft meine Freude gehabt, und so lobe und liebe ich sie auch jetzt. So daß ich dir gern willfahren würde, wenn du etwas mögliches bätest; nun aber ist es, wie wenn du mich bätest mit dem Krison aus Himera, unserm stärksten Wettläufer, oder mit irgend einem andern Wettläufer oder Eilboten zu laufen und gleichen Schritt mit ihnen zu halten, ich dir dann sagen würde, mir wäre es noch weit lieber als dir, wenn ich diesen nachkommen könnte im (336) Laufen; aber ich kann doch nicht. Ist es dir also lieb mich und den Krison zusammen laufen zu sehen, so bitte diesen, daß er nachlasse; denn ich kann nicht geschwind laufen, er aber kann langsam. Wünschest du also mich und den Protagoras zusammen zu hören, so bitte diesen, wie er mir vorher geantwortet hat in kurzen Worten und auf das was ich fragte, so auch jetzt noch mir zu antworten; wo aber nicht, welches soll denn die Weise der Gespräche sein? Denn ich wenigstens habe immer geglaubt, dies wären zwei ganz verschiedene Dinge, Gespräch mit einander führen, und Reden halten. – Aber sieh nur, Sokrates, sagte er, Protagoras scheint doch Recht zu haben, wenn er verlangt, ihm solle erlaubt sein zu sprechen, wie er will, und dir, wie du willst. – Darauf nahm Alkibiades das Wort und sagte: Du hast Unrecht Kallias! denn Sokrates gesteht ja mit der Langrednerei nicht Bescheid zu wissen, und räumt darin dem Protagoras den Vorzug ein: aber ein ordentliches Gespräch recht zu führen, dem Andern Rede zu stehen und ihn dann auch wieder auszufragen, darin sollte es mich sehr Wunder nehmen, wenn er irgend Jemand den Vorzug einräumte. Gesteht nun Protagoras seiner Seits, daß er schlechter ist im Gesprächführen als Sokrates, so ist Sokrates zufrieden; will er sich ihm aber gegenüberstellen, wohl, so mag er auch ordentlich in Frage und Antwort mit ihm sprechen, nicht aber nach jeder Frage eine lange Rede ausspinnen, der Frage ausweichen, und anstatt den Andern zum Worte zu lassen immer weiter reden, bis die mehresten unter den Zuhörern vergessen haben, was die Frage eigentlich betraf. Denn für den Sokrates verbürge ich mich, daß er es nicht vergessen wird, ob er gleich scherzt und sagt, er sei vergeßlich. Mir also scheint, was Sokrates sagt, billiger; denn Jeder muß seine Meinung kund geben. – Nach dem Alkibiades war es glaube ich Kritias welcher sagte: O Prodikos und Hippias, Kallias freilich dünkt mich sehr für den Protagoras zu sein, Alkibiades aber ist auch immer rechthaberisch wenn er worauf seinen Sinn gesetzt hat. Uns aber ziemt es für keinen von Beiden Partei zu nehmen, weder den Sokrates noch den Protagoras, sondern nur insgemein Beide zu bitten uns die (337) Unterhaltung nicht in der Mitte abzubrechen. – Als er dies gesagt, sprach Prodikos: Sehr richtig dünkst du mich zu sprechen, Kritias. Denn die bei einer solchen Unterredung gegenwärtigen müssen zwar beide Unterredner insgemein anhören, nicht aber beide gleich, denn das ist nicht einerlei. Nämlich sie müssen zwar beide insgemein anhören, nicht aber beiden gleiches gewähren, sondern dem Weiseren mehr, dem Unweiseren weniger. Auch ich, o Protagoras und Sokrates, bitte euch beide nachzugeben, und über eure Sätze zu streiten, aber nicht zu zanken, denn streiten können auch Freunde mit Freunden in allem Wohlmeinen, aber zanken nur die, welche uneinig und auch feindselig gegen einander sind. Und auf diese Art wird unsere Unterhaltung am schönsten fortgehen. Denn ihr, die Sprechenden, werdet so am meisten von uns, den Hörenden, geachtet werden, nicht gelobt; geachtet nämlich wird man in den Seelen der Hörenden ohne Betrug, gelobt aber mit Worten von Solchen die oft gegen ihre Überzeugung unwahres reden: wir aber, die Hörenden, werden so am meisten Vergnügen davon haben, nicht Genuß, denn Vergnügen hat auch wer etwas erlernt und Gedanken auffaßt mit der Seele selbst, Genuß aber nur wer etwas ißt oder sonst eine angenehme Empfindung durch den Körper selbst empfängt. – Mit dieser Rede fand Prodikos bei den mehrsten Anwesenden großen Beifall. Nach dem Prodikos aber sprach Hippias der weise. Ich denke, sagte er, ihr versammelten Männer, daß wir Verwandte und Befreundete und Mitbürger von Natur sind nicht durch das Gesetz. Denn das Ähnliche ist dem Ähnlichen von Natur verwandt, das Gesetz aber, welches ein Tyrann der Menschen ist, erzwingt vieles gegen die Natur. Für uns also wäre es schändlich die Natur der Sache zwar zu kennen, uns aber dennoch, obgleich die weisesten unter den Hellenen, und eben deshalb in dieser Stadt als dem Hauptsitz Hellenischer Weisheit, und in diesem Hause als dem angesehensten und glänzendsten dieser Stadt versammelt, dieser Würde nicht würdig zu zeigen, sondern wie die gemeinsten Menschen untereinander uns zu veruneinigen. Ich bitte und rate euch daher, o Protagoras und Sokrates, von uns als euern Schiedsrichtern in der Mitte zusammengeführt euch zu vereinigen, so daß weder du diese strengste Art des Gespräches forderst, die allzugedrungene Kürze, wenn sie dem Protagoras nicht angenehm (338) ist, sondern den Reden ein wenig die Zügel nachlassest, damit sie sich mutiger und in schöneren Bewegungen zeigen können, noch auch Protagoras alle Segel beisetze, um mit vollem Winde das Land ganz aus dem Gesicht verlierend in die hohe See der Reden zu entfliehen, sondern daß ihr euch beide in einem mittleren Durchschnitt haltet. Folget mir daher und macht es so, daß ihr einen Kampfrichter und Aufseher und Vorsitzer erwählet, welcher darauf halte, daß Jeder von euch das gehörige Maß in seinen Reden beobachte. – Das gefiel den Anwesenden, und sie lobten ihn alle, und Kallias versicherte er würde mich nicht loslassen, und sie baten einen Aufseher zu erwählen. Ich sagte also, es würde schimpflich sein einen Kampfrichter für unser Gespräch zu bestellen; denn wenn der gewählte schlechter wäre als wir, so wäre es nicht richtig, daß der Schlechtere über Bessere die Aufsicht führe. Wenn er uns ähnlich wäre, wäre es auch so nicht richtig; denn der Ähnliche würde auch ähnliches wie wir tun, so daß er ganz zum Überfluß würde gewählt sein. Aber ihr werdet freilich einen Besseren als wir sind erwählen. Einen in der Tat weiseren als unser Protagoras, ist euch, glaube ich, unmöglich zu wählen. Werdet ihr aber einen wählen, der nichts besser ist, von dem ihr es aber behauptet, so ist auch das für diesen hier schimpflich, daß ihr ihm wie einem gemeinen Menschen einen Aufseher bestellt, denn mir für mein Teil gilt es gleich. Dies aber will ich tun, damit wie ihr es wünscht Unterhaltung und Gespräch zwischen uns zu Stande komme. Wenn Protagoras nicht antworten will: so mag er fragen und ich will antworten, und dabei versuchen ihm zu zeigen, wie ich meine, daß der Antwortende antworten müsse. Nachdem aber ich geantwortet habe wieviel nur er hat fragen gewollt, soll auch er wiederum gleichermaßen mir Rede stehen; und zeigt er sich nicht geneigt auf das erfragte selbst zu antworten, dann wollen ich und ihr ihn insgemein bitten, wie ihr jetzt mich, uns die Unterhaltung nicht zu zerstören. Und es braucht deshalb nicht Einer Aufseher zu sein, sondern ihr Alle könnt insgemein die Aufsicht führen. Alle waren der Meinung, so müßte es gehalten werden. Und Protagoras wollte zwar gar nicht recht, ward aber doch genötigt zu versprechen, daß er fragen, und wenn er genug gefragt hätte, auch wiederum Rede stehen und in der Kürze antworten wollte. Er fing also an zu fragen, ohngefähr so.
Ich glaube, sprach er, o Sokrates, daß es ein wichtiges Stück der Unterweisung ist für einen Mann, in Gedichten stark zu (339) sein. Dies besteht aber darin, daß er im Stande ist, das von den Dichtern gesagte zu verstehen was gut gedichtet ist und was nicht, auch es erklären und wenn er gefragt wird, Rechenschaft geben zu können. So soll auch jetzt zwischen uns die Frage noch ferner von derselben Sache sein, worüber wir jetzt sprechen ich und du, nämlich von der Tugend, nur zunächst in Beziehung auf ein Gedicht, dies soll der ganze Unterschied sein. Simonides sagt doch irgendwo zum Skopas dem Sohne des Thessalier Kreon: Ein trefflicher Mann zu werden schon wahrhaftig ist schwer, ein kernfester von Hand und Fuß und Sinn und tadellos gebildeter. Kennst du das Lied, oder soll ich es dir ganz hersagen? – Ich sagte, es ist nicht nötig, denn ich kenne es, und gar viel habe ich mich gemüht um das Lied. – Schön, sprach er. Glaubst du also, daß dies gut und richtig gedichtet ist oder nicht? – Sehr, sagte ich, gut und auch richtig. – Dünkt dich das denn gut gedichtet, wenn der Dichter sich selbst widerspricht? – Nicht gut, sagte ich. – Überlege es dir noch besser, sprach er. – Aber mein Guter, ich habe es hinlänglich bedacht. – Weißt du also, sprach er, daß er weiterhin im Gedicht irgendwo sagt: Auch ist mir nicht abgemessen genug das Pittakeische Wort obwohl von einem weisen Manne gesprochen: schwer ist es, sagt er, tugendlich sein. Bedenkst du wohl, daß er derselbige Mann dieses sagt, und auch jenes vorige? – Ich weiß wohl, sagte ich. – Dünkt dich denn, sprach er, dieses mit jenem übereinzustimmen? – Mir scheint es, sagte ich. Zugleich aber ward mir bange, was er sagte, möchte doch etwas sein, und ich fragte: Also dir erscheint es nicht so? – Wie sollte auch wohl derjenige mit sich selbst übereinstimmend erscheinen, der dieses beides sagt, zuerst selbst annimmt, es sei schwer in Wahrheit ein trefflicher Mann zu werden, nachdem er aber etwas weiter vorgerückt ist im Gedicht, dies wieder vergißt und den Pittakos, der ganz dasselbe sagt wie er, daß es schwer sei tugendlich sein, darüber tadelt, und ihm nicht beistimmen will, da er doch ganz das nämliche wie er selbst behauptet. Wenn er nun den tadelt, der dasselbe wie er sagt, so ist doch offenbar, daß er sich selbst auch tadelt. So daß entweder das erste oder das andere nicht richtig ist. Als er das gesagt, erregte er wieder Geräusch und Beifall von Vielen der Zuhörer. Mir aber wurde zuerst, wie von einem guten Faustkämpfer tüchtig getroffen, ganz dunkel vor den Augen und schwindlich, als er das sagte und die Andern das Geräusch des Beifalls erhoben. Hernach aber wendete ich mich, damit ich doch dir wenigstens die Wahrheit sage, um Zeit zu gewinnen zum Nachdenken, was der Dichter wohl meinte, zum Prodikos, rief ihn auf und sagte: Prodikos, dein Landsmann ist ja Simonides, du bist schuldig dem Manne beizustehen. Ich werde dich also dünkt mich zu Hülfe rufen, wie Homeros erzählt, daß Skamandros vom Achilleus bedrängt (340) den Simoeis zu Hülfe gerufen und gesagt habe: Bruder wohlan! die Gewalt des Mannes da müssen wir beid' jetzt bändigen. Dergestalt rufe auch ich dich herbei, damit Protagoras uns den Simonides nicht ganz werf' in den Staub. Überdies auch bedarf des Simonides Verteidigung deine Kunst, durch welche du das Wollen und Begehren unterscheidest, daß das nicht einerlei ist, und was du nur eben wieder Vieles und Schönes gesagt hast. Sieh doch also auch hier zu, ob du derselben Meinung bist wie ich. Mir nämlich scheint es nicht, als ob Simonides sich selbst widerspräche. Du aber, Prodikos, eröffne zuerst deine Meinung. Dünkt dich das Werden und das Sein einerlei oder zweierlei? – Zweierlei beim Zeus, sagte Prodikos. – Hatte nun nicht, sprach ich, in der ersten Stelle Simonides seine eigene Meinung dahin geäußert, daß ein trefflicher Mann in Wahrheit zu werden schwer sei? – Du hast ganz recht, sagte Prodikos. – Und Pittakos, fuhr ich fort, den er tadelt, sagt gar nicht wie Protagoras glaubt dasselbe, sondern etwas Anderes. Denn Pittakos erklärt gar nicht das für das schwere tugendlich werden, wie Simonides, sondern das, Sein. Und wie unser Prodikos sagt, o Protagoras, so ist Werden und Sein gar nicht das nämliche, ist aber Werden und Sein nicht dasselbe, so hat auch Simonides nicht sich selbst widersprochen. Vielleicht würde auch Prodikos und mancher Andere sagen, nach dem Hesiodos sei gut zu werden zwar schwer, denn vor die Tugend hätten die Götter den Schweiß gestellt, wäre aber einer erst zum Gipfel gelanget, alsdann werde sie leicht, wie schwer sie zuvor auch gewesen zu erlangen. – Als Prodikos dies hörte, lobte er mich. Protagoras aber sagte: Deine Verteidigung, Sokrates, hat noch schlimmere Gebrechen als was du verteidigst. – Dann, sprach ich, habe ich schlechte Arbeit gemacht, und bin wohl ein lächerlicher Arzt, wenn ich durch meine Behandlung die Krankheit verschlimmere. – Aber so verhält es sich, sagte er. – Und wieso? fragte ich. – Großer Unverstand, sprach er, wäre ja das von dem Dichter, wenn er es so für etwas geringes hielte die Tugend zu besitzen, was unter allem das schwierigste ist, wie alle Menschen glauben. – Darauf sprach ich: Beim Zeus, recht zur gelegenen Zeit ist Prodikos uns zugegen bei der Verhandlung. Denn es mag wohl, o Protagoras, des Prodikos Weisheit eine göttliche sein schon seit lange her, habe sie nun vom Simonides angefangen oder noch weit eher. Du aber wiewohl so vieles Anderen kundig bist (341) dieser offenbar unkundig, nicht wie ich kundig weil ich ein Schüler des Prodikos bin. Auch jetzt dünkst du mich nicht zu merken, daß auch dieses »Schwer« Simonides vielleicht gar nicht so gemeint hat, wie du es meinst, sondern wie Prodikos mich immer schilt wegen des Furchtbaren, wenn ich dich oder einen andern lobend sage, Protagoras ist doch gar ein weiser und furchtbarer Mann, fragt, ob ich mich denn nicht schäme etwas Gutes furchtbar zu nennen, denn das Furchtbare, sagt er, ist böse, kein Mensch redet ja jemals von furchtbarem Reichtum oder furchtbarem Frieden oder furchtbarer Gesundheit, sondern von furchtbarer Krankheit, furchtbarem Kriege, furchtbarer Armut, so daß das Furchtbare böses ist. Vielleicht nun verstehen eben so die Keer und mit ihnen Simonides unter Schwer entweder das Böse oder sonst etwas was du nicht weißt. Laß uns also den Prodikos fragen, denn es ist ja billig über des Simonides Sprache ihn zu befragen; was doch, o Prodikos, hat Simonides mit dem Schwer gemeint? – Böses, sagte er. – Und deswegen, Prodikos, sprach ich, tadelt er auch wohl den Pittakos, welcher sagt Schwer ist es tugendlich sein, als ob er ihn hätte sagen gehört Böse ist es tugendlich sein. – Was sonst, sagte er, glaubst du denn habe Simonides sagen gewollt als eben dieses, und daß er dem Pittakos vorwerfen will, er wisse die Worte nicht zu unterscheiden, wie denn dieser auch ein Lesbier war, ein in barbarischer Mundart auferzogener. – Du hörst doch, Protagoras, sprach ich, was Prodikos sagt; hast du etwas dagegen zu sagen? – Darauf sagte Protagoras: Weit gefehlt, Prodikos, daß es sich so verhalten sollte. Sondern das weiß ich ganz gewiß, daß Simonides unter Schwer eben das verstanden hat, was wir Andern darunter verstehn, nämlich nicht das Böse, sondern das was nicht leicht ist, sondern nur durch viele Mühe zu erlangen. – Auch ich glaube, sprach ich, daß Simonides dieses gemeint hat, und daß auch Prodikos es recht gut weiß, er scherzt aber und scheint dich versuchen zu wollen, ob du imstande sein wirst deinem Satz beizustehen. Denn daß Simonides unter dem Schweren nicht das Böse versteht, davon ist gleich das folgende ein deutlicher Beweis, wo er sagt: Gott allein mag diese Ehre besitzen. Denn hätte er gesagt Böse ist es tugendlich sein; so konnte er ja unmöglich hernach sagen dies komme Gott allein zu, und Gott allein dies als Vorzug beilegen. Oder Prodikos müßte einen ganz ruchlosen Simonides meinen und gar nicht einen Keischen. Aber was mir Simonides zu meinen scheint in diesem Liede, das will ich dir sagen, wenn du doch einen Versuch von mir sehen willst, ob ich was du nennst in Gedichten stark bin; (342) wenn du aber willst, will ich es von dir hören. – Protagoras nun, als er mich dies sagen hörte, sagte: Wenn du willst, Sokrates. – Prodikos und Hippias aber drangen sehr darauf und die andern auch. – So will ich denn, sprach ich, was mich von diesem Liede dünkt, versuchen euch darzulegen. Nämlich die älteste und meiste Philosophie unter den Hellenen ist in Kreta und Lakedaimon. Auch die meisten Sophisten sind dort zu Lande, aber sie verläugnen es und stellen sich unwissend, damit sie nicht bekannt dafür werden, daß sie die übrigen Hellenen an Weisheit übertreffen, eben wie jene Sophisten von welchen Protagoras vorher sagte, sondern damit sie das Ansehen haben als überträfen sie sie nur im Fechten und in der Tapferkeit, weil sie glauben, wenn bekannt würde, worin ihre Stärke bestehe, würden sich eben darauf Alle befleißigen. Nun aber indem sie das wahre verborgen gehalten, haben sie in andern Städten Lakonisierenden getäuscht, daß diese um ihnen nachzuahmen sich die Ohren einschlagen, nicht anders als mit Kampfriemen gehen, sich ganz den Leibesübungen ergeben und kurze Mäntel tragen, als ob hierdurch die Lakedaimonier die Hellenen beherrschten. Die Lakedaimonier aber, wenn sie einmal in Ruhe ihren Sophisten zuhören wollen, und es schon satt haben sich nur heimlich bei ihnen zu versammeln, veranstalten sie eine Fremdenaustreibung jener Lakonisierenden sowohl als wer sonst noch von Fremden sich bei ihnen aufhält, und besuchen dann ihre Sophisten den Fremden unvermerkt. Sie aber lassen von ihren Jünglingen keinen in andere Städte reisen, wie auch die Kreter nicht, damit sie nicht verlernen was sie ihnen lehren. Und in diesen beiden Staaten gibt es nicht nur Männer, welche sich ihrer Kenntnisse rühmen, sondern auch Frauen. Daß ich aber dies Alles mit Wahrheit sage, und die Lakedaimonier auch zur Philosophie und zum Reden am besten unterrichtet sind, das könnt ihr hieraus abnehmen. Wenn sich Jemand auch mit dem schlechtesten Lakedaimonier einläßt, er wird finden, daß dieser sich lange Zeit in seinen Reden ganz schlecht zeigt, hernach aber wo es sich trifft im Gespräch schießt er auf ihn ein tüchtiges ganz kurzes zusammengedrängtes Wort wie ein gewaltiger Bogenschütze, so daß wer mit ihm spricht nicht besser als ein Kind gegen ihn erscheint. Eben dieses nun haben sowohl von den Neueren einige eingesehen als auch von den Alten, daß das Lakonisieren weit mehr in der Liebe zur Weisheit besteht als in der Liebe zu den Leibesübungen, wohl wissend, (343) daß solche Sprüche reden zu können nur dem vollkommen Unterrichteten gegeben ist. Unter diesen nun waren auch Thales von Miletos, Pittakos von Mytilene, Bias von Priene, unser Solon, Kleobulos von Lindos, Myson von Chenä, und als der siebente wurde zu diesen gezählt der Lakedaimonier Chilon. Alle diese waren Nacheiferer, Verehrer und Lehrlinge der Lakedaimonischen Künste. Denn Jeder kann ihre Weisheit wissen, daß sie von dieser Art ist, kurze denkwürdige Sprüche die ein jeder geredet hat. Diese haben auch gemeinschaftlich Musterstücke ihrer Weisheit dem Apollon und seinem Delphischen Tempel gewidmet, darauf schreibend was in aller Munde ist, das »Kenne dich selbst« und »Nichts zu viel«. Weshalb sage ich nun dieses? weil das die Weise der Alten war in der Philosophie, solche lakonische Kurzrednerei. Und so ging auch dieser Spruch des Pittakos herum von den Weisen vielgepriesen: Schwer ist es tugendlich sein. Simonides nun, auch dem Ruhm der Weisheit nachtrachtend, gedachte, wenn er diesen Spruch niederwerfen könnte wie einen berühmten Fechter und überwinden, müßte auch er berühmt werden unter seinen Zeitgenossen. Gegen diesen Spruch also, und aus dieser Ursach, diesem nachstellend ihn zu unterdrücken, hat er das ganze Lied gedichtet wie es mir scheint. Laßt es uns einmal betrachten, ob ich wohl recht habe. Denn gleich der Anfang des Liedes müßte als unsinnig erscheinen, wenn er überhaupt nur hätte sagen wollen, daß es schwer wäre ein trefflicher Mann zu werden und hätte doch dieses Schon hineingebracht. Denn dies muß ohne den mindesten Grund hineingeworfen zu sein scheinen, wenn man nicht annimmt Simonides sage es wie im Streit gegen den Spruch des Pittakos. Was nämlich Pittakos sagt, Schwer ist es tugendlich sein, dieses bestreitend sagt er: Nein sondern schon ein trefflicher Mann zu werden ist schwer, o Pittakos, wahrhaftig. Nicht etwa ein in Wahrheit trefflicher; denn dieses Wahrhaftig sagt er nicht in der Beziehung, als ob es Einige gäbe die wahrhaft trefflich sind und wieder Andere, die zwar trefflich sind, aber nicht in Wahrheit trefflich, denn das wäre ja offenbar einfältig und nicht vom Simonides; sondern man muß annehmen dieses Wahrhaftig sei eine Wortversetzung in dem Liede, und so ohngefähr der Spruch des Pittakos hinzuzudenken, als wenn wir den Fall setzten, Pittakos selbst redete und Simonides antwortete, und jener sagte: O ihr Leute, schwer ist es tugendlich (344) sein; und dieser antwortete: O Pittakos, du redest nicht richtig; denn nicht zu sein, sondern schon zu werden ein trefflicher Mann, kernfest an Hand und Fuß und Sinn und tadellos gebildet ist wahrhaftig schwer. Auf diese Art ist das Schon vernünftig hineingebracht und das Schwer steht hinten wie es sich gebührt; und auch alles folgende bestätiget, daß es so gemeint ist. Denn vielfältig könnte man von jedem Einzelen in diesem Liede gesagten zeigen, wie schön es gedichtet ist, denn es ist alles sehr anmutig und bedeutsam; allein es wäre weitläuftig es so durchzugehen; aber den ganzen Umriß desselben laßt uns durchgehn und die Absicht, daß sie auf alle Weise eine Widerlegung dieses Pittakeischen Spruches ist durch das ganze Lied. Denn er sagt hierauf, nachdem er noch einiges beigebracht, wie wenn er den Satz ausführte, daß schon ein trefflicher Mann zu werden wahrhaftig schwer ist, doch aber möglich auf einige Zeit wenigstens; wenn man es aber geworden ist, auch in dieser Verfassung zu bleiben und ein trefflicher Mann fortdauernd zu sein, wie du sagst, Pittakos, das ist unmöglich und nicht dem Menschen angemessen, sondern Gott allein darf diese Ehre besitzen. Dem Menschen aber ist nicht möglich nicht schlecht sein, welchen ein ratloses Unglück niederwirft. Wen wirft nun ein ratloses Unglück nieder bei der Regierung eines Schiffes? Offenbar doch nicht den Unkundigen, denn der ist schon immer niedergeworfen. So wie nun niemand den Liegenden niederreißen kann, sondern den Stehenden zwar kann man niederreißen, daß er ein Liegender wird, den Liegenden aber nicht: so kann auch nur den, der sich sonst wohl zu raten weiß, ein ratloses Unglück niederwerfen, den immer ratlosen aber nicht. Und den Steuermann kann ein heftiger Sturm der ihn überfällt ratlos machen, den Landmann schlechte Witterung die eintritt, und ähnliches auch den Arzt. Denn dem Vortrefflichen kann es begegnen einmal schlecht geworden zu sein, wie auch ein anderer Dichter bezeugt, welcher sagt: Auch wohl ein Trefflicher ist nun schlecht, dann wieder zu rühmen; dem Schlechten aber begegnet nicht es einmal gewesen zu sein, sondern ihm ist notwendig es immer zu sein, so daß der wohlberatene, weise und treffliche, wenn ihn ratloses Unglück niederwirft, nicht anders kann als schlecht sein; du aber, Pittakos, sagst: Schwer ist es tugendlich sein. Es ist aber tugendlich werden schon schwer, jedoch möglich; sein aber unmöglich. Denn jeglicher Mann wer gut gehandelt ist gut, schlecht aber wenn schlecht. Was ist nun im Lesen das gute Handeln? und was macht einen Mann gut hierin? Offenbar die Erlernung davon. Und welches Guthandeln (345) macht einen guten Arzt? Offenbar die Erlernung des Behandelns der Kranken. Schlecht aber wer schlecht. Wer kann denn ein schlechter Arzt werden? Offenbar der, von welchem zuerst gesagt werden kann, daß er ein Arzt ist, und dann daß er ein guter Arzt ist. Denn der kann auch ein schlechter werden. Wir aber, die der Arzeneikunst Unkundigen, wir können niemals durch schlecht handeln weder Ärzte werden, noch Zimmerleute, noch irgend etwas anderes, und wer kein Arzt werden kann indem er schlecht handelt, der auch offenbar kein schlechter. So auch kann der treffliche Mann wohl auch einmal schlecht werden, es geschehe aus Schuld der Zeit, aus Ermüdung oder durch Krankheit oder irgend einen andern Zufall; denn dies ist ja das einzige Schlechthandeln, der Erkenntnis beraubt sein: der schlechte Mann aber kann nie schlecht werden, denn er ist es immer, sondern wenn er schlecht werden soll, muß er erst gut geworden sein. So daß auch diese Stelle des Liedes darauf abzweckt zu zeigen, ein trefflicher Mann zu sein es unausgesetzt immer bleibend sei nicht möglich, trefflich aber werden könne einer und schlecht auch eben derselbe; am weitesten aber gedeihen und die trefflichsten sind, welche die Götter lieben. Dieses alles ist gegen den Pittakos gesagt, und auch das folgende im Liede macht dies noch deutlicher. Er sagt nämlich: Darum will ich auch nie was nicht sein kann suchend, vergeblich unerfüllter Hoffnung ein Teil der Zeit hinwerfen, einen tadellosen Mann unter Allen die wir der weitbewohnten Erde Früchte brechen. Find' ich ihn, dann verkünd' ich es euch. So heftig und durch das ganze Lied fällt er aus gegen den Spruch des Pittakos. Alle daher lobe ich und liebe, wer nichts schlechtes vollbringt, aus freier Wahl; der Notwendigkeit jedoch sträuben sich auch Götter nicht. Auch dies ist wieder gegen dasselbe gesagt. Denn so ununterrichtet war Simonides nicht, daß er gesagt hätte, er lobe diejenigen, die nichts böses aus freier Wahl tun, als gäbe es welche, die aus freier Wahl böses tun. Ich wenigstens glaube dieses, daß kein weiser Mann der Meinung ist, irgend ein Mensch fehle aus freier Wahl, oder vollbringe irgend etwas Böses und Schlechtes aus freier Wahl, sondern sie wissen wohl, daß Alle welche Böses und Schlechtes tun, es unfreiwillig tun. Daher auch Simonides nicht dessen der nicht aus freier Wahl Böses tut Lobredner zu sein behauptet, sondern dieses aus freier Wahl bezieht sich auf ihn selbst. Er glaubte nämlich ein guter und edler Mann zwinge oft sich selbst Jemandes Freund und Lobredner zu werden, wie ja manchem begegne einen unliebenswürdigen Vater zu haben oder Mutter oder ein solches Vaterland oder (346) sonst etwas dergleichen. Schlechte Menschen nun die so etwas beträfe, sähen es fast gern und verbreiteten tadelnd und anklagend die Schlechtigkeit der Eltern oder des Vaterlandes, damit sie selbst von den Menschen nicht ihrer Vernachlässigung wegen möchten angeklagt, und ihnen dies zur Schande angerechnet werden, daß sie sie vernachlässigen. Weshalb sie sie auch wohl über die Gebühr tadeln und noch selbstgemachte Mißhelligkeiten zu allem unvermeidlichen hinzufügen. Gute Menschen aber suchten dergleichen zu verbergen, und zwängen sich noch zum Lobe, und wenn sie erzürnt wären gegen Eltern oder Vaterland wegen erlittenen Unrechtes, ermahnten sie sich selbst und versöhnten sich, indem sie sich noch nötigten die Ihrigen zu lieben und zu loben. Und oft auch meine ich hat Simonides selbst geglaubt einen Tyrannen oder einen Andern solchen zu loben und zu preisen nicht aus freier Wahl, sondern gezwungen. Dieses sagt er daher auch dem Pittakos: Ich, o Pittakos, tadle dich nicht etwa deshalb, weil ich tadelsüchtig wäre. Denn mir genügt wer nicht schlecht ist noch gänzlich tatenlos, kundig des Staat fördernden Rechts ein gesunder Mann. Nicht will ich ihn tadeln, denn nicht bin ich ein Gerntadler; unzählig sind ja die Geschlechter der Toren, so daß wenn einer liebt zu tadeln, er genug haben kann, wenn er jene tadelt. Alles ist schön dem nichts schlechtes ist beigemischt. Dies meint er nicht so als ob er sagte: alles ist weiß, dem nichts schwarzes ist beigemischt, denn das wäre ja lächerlich auf alle Weise, sondern er will sagen, daß er selbst sich auch an dem mittelmäßigen genügen läßt, so daß er es nicht tadle. Und ich suche nicht, sagt er, einen tadellosen Mann unter allen die wir der weitbewohnten Erde Früchte brechen. Find' ich ihn dann verkünd' ich es euch. So daß ich deshalb keinen loben will, sondern es genügt mir wenn sich einer in der Mitte hält und nichts schlechtes tut. Daher werde ich Alle loben und lieben, und hier bedient er sich gar der Mundart der Mytilener, als sagte er ausdrücklich zum Pittakos dieses: Alle daher lobe ich und liebe, wer nichts Schlechtes vollbringt, (und hier muß man inne halten bei dem vollbringt,) aus freier Wahl, denn es gibt auch die ich wider Willen lobe und liebe. Dich nun, wenn du auch nur mittelmäßig wahr und verständig gesprochen hättest, o Pittakos, hätte ich nimmer getadelt, nun aber täuschest du dich zu sehr und über die wichtigsten Dinge und (347) glaubst doch Wahres gesagt zu haben, deshalb tadle ich dich.
In dieser Meinung, o Prodikos und Protagoras, sprach ich, dünkt mich Simonides dieses Lied gedichtet zu haben. – Darauf sagte Hippias: Sehr gut, Sokrates, dünkt mich, hast auch du dieses Lied erklärt; indes habe auch ich darüber eine ganz schöne Rede, welche ich euch vortragen will, wenn ihr wollt. – O ja, sprach Alkibiades, hernach nämlich. Jetzt aber muß erst noch, wie Protagoras und Sokrates übereingekommen sind, entweder wenn Protagoras noch etwas fragen will, Sokrates antworten, oder wenn jener dem Sokrates antworten will, dieser fragen. Ich sagte darauf, Für meinen Teil überlasse ich dem Protagoras welches ihm lieber ist; will er indes, so wollen wir Lieder und Gedichte beiseite lassen, worüber ich dich aber zuerst fragte, Protagoras, das möchte ich gern mit dir untersuchend zu Ende bringen. Denn mich dünkt über Gedichte sprechen habe allzu viel Ähnlichkeit mit den Gastmahlen ungebildeter und gemeiner Menschen. Denn auch diese, weil sie sich nicht selbst mit einander unterhalten können beim Becher noch durch ihre eigne Stimme und Rede aus Unbildung, verteuern sie die Flötenspielerinnen und mieten für vieles Geld die fremde Stimme der Flöte und unterhalten sich durch deren Stimme. Wo aber gute und edle und unterrichtete Zecher zusammen kommen, da findest du keine Flötenspielerin noch Tänzerin noch Lautenschlägerin, sondern du findest sie sich unter einander genug zur Unterhaltung ohne diese Possen und Tändeleien durch ihre eigene Stimme jeden an seinem Teile bald redend bald hörend ganz sittsam, und sollten sie auch sehr vielen Wein getrunken haben. So bedürfen auch solche Unterhaltungen, wie die gegenwärtige, wenn Männer darin begriffen sind, wie die meisten unter uns sich zu sein rühmen, keiner fremden Stimme und keiner Dichter, welche man nicht einmal befragen kann über das, was sie sagen, so daß auch die, welche ihrer in ihren Reden erwähnen, teils sagen, dies habe der Dichter gemeint, teils wieder etwas anderes, indem sie von einer Sache reden, welche sie nicht auszumitteln vermögen; sondern solcher Unterhaltung entschlagen sie sich und unterhalten sich selbst durch sich selbst, indem sie sich in eignen Reden einander versuchen und versuchen (348) lassen. Solche dünkt mich sollten ich und du lieber nachahmen, und die Dichter bei Seite setzend aus uns selbst mit einander reden, um die Wahrheit und uns zu erforschen. Willst du mich also noch weiter fragen, so bin ich bereit mich dir als Antwortender zu stellen; willst du aber, so stelle du dich mir, um den Gegenstand dessen Erörterung wir abgebrochen haben, zu Ende zu führen. – Hierauf und was ich weiter hinzufügte, erklärte sich Protagoras nicht, welches von beiden er tun wollte. Daher sagte Alkibiades zum Kallias sich wendend: Wie ist es, Kallias? Dünkt dich auch nun Protagoras recht zu tun, indem er nicht erklären will ob er Rede stehen will oder nicht? Mich dünkt nicht, sondern entweder setze er die Unterredung fort, oder er sage daß er sie nicht fortsetzen will, damit wir wissen, woran wir mit diesem sind, und Sokrates sich dann mit einem andern unterreden könne, oder welcher andere sonst Lust hat mit einem andern. Hierauf, beschämt wie es mir schien, da Alkibiades so sprach und Kallias ihn bat und fast alle Anwesende mit, bequemte sich Protagoras endlich wieder zum Gespräch, und hieß mich ihn fragen, indem er antworten wollte.
Ich fing also an und sagte: Glaube nur nicht, Protagoras, daß ich irgend etwas anderes wollend mich mit dir unterrede, als nur das worüber ich eben Zweifel habe erforschen. Denn ich glaube, daß Homeros gar Recht hat, wenn er sagt: Wo Zween wandeln zugleich, da bemerket der Ein' und der Andre; denn so sind alle Menschen besser gerüstet zu jeder Handlung und Rede und Untersuchung. Doch der Einzele, ob er bemerket, geht er dennoch sogleich umher, und suchet bis er einen findet, dem er es vorzeige, und mit dem er es sich recht begründe. So wie auch ich eben deshalb so gern mit dir rede, lieber als mit einem andern; weil ich glaube daß du am besten sowohl alles Andere, worüber ein rechtlicher Mann wohl nachdenken mag, auseinandersetzen kannst, als auch besonders das, was die Tugend betrifft. Denn wer auch anders als du, der du nicht nur selbst glaubst gut und edel zu sein, wie Andere die selbst zwar ganz rechtliche Männer sind, aber keinen Andern dazu machen können: sondern du bist sowohl selbst ein trefflicher Mann als auch im Stande Andere zu trefflichen Männern zu machen, und vertrauest so sehr dir selbst, daß da auch Andere diese Kunst verbergen, du dich selbst öffentlich (349) dazu ausrufend vor allen Hellenen unter dem Namen eines Sophisten dich zum Lehrer in der Tugend und Vollkommenheit anbietest, als der erste, der dafür Bezahlung zu erhalten begehrt. Wie sollte man also nicht dich herbeirufen zu solcher Dinge Untersuchung und dich befragen und sich mit dir beraten? Gewiß man kann auf keine Weise anders. Und so wünsche ich auch jetzt, daß du das, worüber ich dich zuerst befragte, teils mir von Anfang wieder in Erinnerung bringen, teils es weiter mit mir untersuchen wollest. Es war aber, wie ich glaube, die Frage diese, ob Weisheit und Besonnenheit und Tapferkeit und Gerechtigkeit und Frömmigkeit, ob dies nur fünf verschiedene Namen für Eine Sache sind, oder ob jedem dieser Namen auch ein eigener Begriff unterliegt und eine eigne Sache die jede ihre besondere Verrichtung haben, so daß die eine nicht ist wie die andere. Du nun hattest gesagt es wären nicht nur verschiedene Namen für Eines, sondern jeder dieser Namen sei einer besonderen Sache untergelegt, und diese alle wären Teile der Tugend, nicht wie die Teile des Goldes einander und dem Ganzen ähnlich sind, dessen Teile sie sind, sondern wie die Teile des Gesichtes dem Ganzen, dessen Teile sie sind, und auch sich untereinander unähnlich, und jeder seine besondere Verrichtung habend. Dünkt dich nun dieses noch eben so wie vorher, so sage es; wo aber anders, so erkläre dieses. Denn ich will dich nicht verantwortlich machen, wenn du jetzt etwas anderes behauptest, indem es mich gar nicht wundern sollte, wenn du damals um mich zu versuchen jenes gesagt hättest. – So sage ich dir denn, Sokrates, sprach er, dies alles sind freilich Teile der Tugend, und die vier anderen sind einander auch sehr nahe, die Tapferkeit aber ist von ihnen allen gar sehr unterschieden. Daß ich aber richtig rede kannst du hieraus erkennen. Du wirst nämlich viele Menschen finden, welche sehr ungerecht sind und sehr ruchlos, sehr unbändig und sehr unverständig, tapfer aber ganz ausgezeichnet. – Halt doch, sagte ich, denn was du da sagst, ist wohl wert, daß wir es betrachten. Nennst du die Tapfern dreist oder etwas anderes? – Und auch keck zufahrend worauf die Meisten sich fürchten zu gehen. – So komm denn! sagst du die Tugend sei etwas Schönes? und als in etwas Schönem erbietest du dich in ihr zum Lehrer? – Und zwar das Schönste allerdings, sagte er, wenn ich anders nicht von Sinnen bin. – Ob etwa, sprach ich, einiges an ihr schlecht ist und anderes schön? oder alles schön? – Alles durchaus schön so sehr als immer möglich. – Weißt du auch wohl, welche (350) dreist ins Wasser springen? – O ja, die Schwimmer. – Weil sie es verstehen, oder aus einer anderen Ursach? – Weil sie es verstehen. – Und wer ficht im Kriege dreist zu Pferde? die Reiter oder die Unberittenen? – Die Reiter. – Und wer mit kurzen Schilden? die Leichtbewaffneten oder Andere? – Jene, sagte er, und überhaupt sind auch in allen andern Dingen, wenn du darauf hinaus willst, die Kundigen dreister als die Unkundigen, und nachdem sie es gelernt haben dreister als sie selbst waren ehe sie es gelernt hatten. – Hast du auch schon solche gesehen, fragte ich, die aller dieser Dinge unkundig waren, und doch zu allem dreist? – O ja, sagt er, und sehr dreist. – Sind wohl diese Dreisten auch tapfer? – Dann wäre ja, sagte er, die Tapferkeit etwas sehr schlechtes, denn diese sind toll. – Was sagst du denn von den Tapfern? sprach ich, nicht daß sie die Dreisten sind? – Auch jetzt noch, sagte er. – Also diese, sprach ich, die auf solche Art dreist sind, scheinen nicht tapfer zu sein, sondern toll? Und vorher dort, waren welche die weisesten auch die Dreistesten, und wenn die Dreistesten, auch die Tapfersten? Und so wäre ja nach dieser Rede die Weisheit die Tapferkeit? – Nicht richtig, sagte er, trägst du vor, o Sokrates, was ich gesagt und dir geantwortet habe. Gefragt von dir, ob die Tapfern dreist wären, habe ich dies bejaht, ob aber die Dreisten auch tapfer sind, das wurde ich gar nicht gefragt. Denn wenn du mich das gefragt hättest, würde ich gesagt haben, nicht Alle. Daß aber die Tapfern nicht dreist wären, und ich diese meine Behauptung mit Unrecht behauptet hätte, hast du nirgends erwiesen. Hernach zeigst du von den einer Sache kundigen, daß sie dreister darin sind, als sie selbst vorher waren, und so auch dreister als andere Unkundige, und deshalb meinst du nun sei Weisheit und Tapferkeit dasselbe. Wenn du es so herumholen willst, kannst du auch glauben, Stärke sei Weisheit. Denn zuerst wenn du mich mit einer solchen Wendung fragtest, ob nicht die Starken kraftvoll sind, so würde ich Ja sagen, und dann ob nicht die des Fechtens kundigen kraftvoller sind als die unkundigen, und auch nachdem sie es gelernt kraftvoller als sie selbst waren ehe sie es lernten, so würde ich es ebenfalls bejahen. Nachdem ich nun dieses zugegeben, könntest du dann eben diesen Beweis anwendend sagen, daß nach meinem Geständnis Weisheit Stärke wäre. Aber ich gebe ja keinesweges weder in diesem Falle zu, daß die Kraftvollen stark, jedoch daß die Starken kraftvoll sind, nämlich nicht, daß Kraft und Stärke einerlei ist; denn jene, die Kraft, entsteht auch aus Kenntnis, ja auch (351) aus Wahnsinn oder aus Gemütsbewegung, die Stärke aber aus der guten Natur und der Wohlgenährtheit des Körpers. Noch auch in unserm Falle, daß Dreistigkeit und Tapferkeit einerlei ist, so daß zwar folgt die Tapfern sind dreist, jedoch nicht, daß die Dreisten auch alle tapfer sind. Denn Dreistigkeit entsteht dem Menschen auch aus Kunst oder aus Tollheit oder aus Gemütsbewegung, wie die Kraft; die Tapferkeit aber entsteht aus der Gutartigkeit und Wohlgenährtheit der Seele. – Sagst du denn, Protagoras, sprach ich, daß einige Menschen gut leben und Andere schlecht? – Er sagte ja. – Dünkt dich nun wohl ein Mensch gut zu leben, wenn er gequält und gepeinigt lebt? – Nein. – Wie aber wenn er nach einem vergnügten Leben seinen Lauf beschließt, dünkt dich dieser nicht gut gelebt zu haben? – Dann wohl, sagte er. – Also vergnügt leben ist gut, unangenehm leben aber böse? – Wenn man nämlich, sagte er, am Schönen Vergnügen findend lebt. – Wie doch, Protagoras? Nennst auch du, wie die meisten, einiges Angenehme böse und Peinliches gut? Ich meine nämlich in wiefern es angenehm ist, ob es in sofern nicht gut ist; nicht wenn etwa anderes daraus entsteht? und auf der andern Seite wiederum das Peinliche ob es nicht in sofern peinlich auch böse ist? – Ich weiß nicht, Sokrates, sagte er, so unbedingt wie du fragst ob ich antworten soll, daß alles Angenehme gut ist und das Peinliche böse. Vielmehr dünkt es mich nicht nur in Beziehung auf die gegenwärtige Antwort sicherer, sondern auch für mein ganzes übriges Leben, wenn ich antworte, daß es einiges gibt unter dem Angenehmen was nicht gut, und wiederum unter dem Unangenehmen einiges was nicht böse ist, anderes was so ist, und drittens noch anderes was keins von beiden ist, weder gut noch böse. – Angenehm aber, sprach ich, nennst du doch womit Lust verbunden ist, oder was Lust macht? – Allerdings, sagte er. – Dieses nun meine ich, ob es nicht in wiefern angenehm auch gut ist, nach der Lust selbst fragend, ob die nicht gut ist? – Darauf sagte er: Laß uns zusehn, Sokrates, wie du ja immer sagst, und wenn die Untersuchung zur Sache zu gehören scheint, und sich zeigt, daß das Gute und Angenehme einerlei ist, so wollen wir es einräumen, wo aber nicht, so wollen wir es dann schon bestreiten. – Willst nun, sprach ich, du die Untersuchung führen? oder soll ich sie führen? – Es ist billig, antwortete er, daß du sie führst, denn du leitest ja das Gespräch. – Vielleicht also, sagte ich, wird es uns auf diese Art offenbar werden. So wie (352) nämlich Jemand der einen Menschen aus der Gestalt in Absicht auf seine Gesundheit oder sonst eine körperliche Beschaffenheit untersuchen sollte, wenn er nichts von ihm sähe als das Gesicht und die Hände, gewiß zu ihm sagen würde, komm her, entblöße mir auch die Brust und den Rücken, und zeige sie mir, damit ich dich genauer betrachten kann: so ohngefähr vermisse auch ich etwas bei unserer Untersuchung, und möchte, nachdem ich gesehen, wie du über das Angenehme und Gute denkst, dir eben so sagen: Komm her, Protagoras! enthülle mir von deiner Gesinnung auch noch dieses, was du von der Erkenntnis hältst, ob du auch hierüber so denkst wie die meisten Menschen oder anders? Die meisten nämlich denken von der Erkenntnis so ohngefähr, daß sie nichts starkes leitendes und beherrschendes ist, und achten sie auch gar nicht als ein solches, sondern daß gar oft, wenn auch Erkenntnis im Menschen ist, sie ihn doch nicht beherrscht, sondern irgend sonst etwas, bald der Zorn, bald die Lust, bald die Unlust, manchmal die Liebe, oft auch die Furcht, so daß sie offenbar von der Erkenntnis denken wie von einem elenden Wicht, daß sie sich von allem andern herumzerren läßt. Dünkt nun dich so etwas von ihr, oder vielmehr sie sei etwas Schönes, das wohl den Menschen regiere? und wenn einer Gutes und Böses erkannt habe, werde er von nichts anderem mehr gezwungen werden, irgend etwas anderes zu tun als was seine Erkenntnis ihm befiehlt, sondern die richtige Einsicht sei stark genug dem Menschen durchzuhelfen? – So dünkt es mich, antwortete er, wie du jetzt sagst, Sokrates, und zudem wäre es, wenn für irgend einen andern, gewiß auch für mich unziemlich zu behaupten, daß Weisheit und Erkenntnis nicht das mächtigste wäre unter allem menschlichen. – Wohl gesprochen von dir, sagte ich, und sehr wahr. Du weißt aber doch, daß die meisten Menschen mir und dir nicht glauben, sondern sie sagen, daß Viele, welche das Bessere sehr gut erkennen, es doch nicht tun wollen, obgleich sie könnten, sondern etwas anderes tun. Und so Viele ich gefragt habe, was doch die Ursach wäre hiervon, haben mir Alle gesagt, von der Lust überwunden oder der Unlust, oder von irgend einem unter den Dingen deren ich vorhin erwähnte bezwungen, täten die das, die es tun. – Sagen doch wohl, sprach er, die Leute, o Sokrates, noch viel anderes unrichtiges. – So komm denn, und versuche mit mir die Leute zu überreden, und zu belehren, was für ein Zustand das ist, was sie nennen von der Lust überwunden (353) werden, und um deswillen das Bessere nicht tun, denn erkannt habe man es ja. Vielleicht nämlich, wenn wir ihnen nur sagten: Ihr habt Unrecht Leute und ihr irrt euch, möchten sie uns fragen, O Sokrates und Protagoras, wenn dieser Zustand nicht darin besteht von der Lust überwunden zu werden, was ist er denn, und wie erklärt ihr ihn? Sagt es uns doch! – Aber o Sokrates, sagte Protagoras, was sollen wir denn die Meinung der Leute in Betrachtung ziehen, welche sagen was ihnen einfällt? – Ich glaube nur, sprach ich, daß uns dies etwas helfen wird, um zu entdecken, wie sich die Tapferkeit eigentlich zu den übrigen Teilen der Tugend verhalte. Bleibst du also noch bei dem eben beschlossenen, daß ich führen soll, so folge mir auch dahin, wo ich glaube, daß sich uns die Sache am deutlichsten darstellen wird. Willst du aber nicht, so will ich es gut sein lassen, wenn dir das lieber ist. – Nein sagte er, du hast recht, bringe es nur zu Ende, wie du es angefangen hast. – Noch einmal also, sprach ich, wenn sie uns fragten: Wie erklärt ihr also das was wir nannten zu schwach sein gegen die Lust? so würde ich zu ihnen sagen: Hört denn! Protagoras und ich, wir wollen versuchen, es euch zu erklären. Ihr meint doch darunter nichts anderes, als was euch in solchen Dingen begegnet, wie daß ihr oft von Speise und Trank und Wollust als dem Angenehmen bezwungen, wiewohl ihr wißt, daß es schlecht ist, es dennoch tut? – Das würden sie bejahen. – Nicht wahr, dann würden wir sie wieder fragen, ich und du: Aber in wiefern sagt ihr, daß diese Dinge schlecht sind? etwa eben deshalb, weil sie diese Lust für den Augenblick gewähren, und also jedes für sich angenehm sind? oder weil sie in der folgenden Zeit Krankheit und Mangel herbeiführen, und viel anderes der Art bewirken? Oder sollten sie auch, wenn sie nichts dergleichen in der Folge bewirken, sondern nur Vergnügen machen, dennoch etwas böses sein, weil sie was einer auch treibe ihn vergnügt machen und auf welche Art es auch sei? Sollen wir glauben, Protagoras, daß sie uns etwas anderes antworten werden, als diese Dinge wären nicht wegen der Lust, welche sie für den Augenblick gewähren, böse, sondern allerdings wegen der hernach entstehenden Krankheiten und des Übrigen? – Ich glaube, sagte Protagoras, daß die Leute so antworten werden. – Und was Krankheit bringt, bringt Unlust, was Armut bringt, bringt Unlust? Das würden sie zugeben denke ich? – Protagoras war auch der Meinung. – Also scheinen euch, ihr Leute, wie ich und Protagoras behaupten, diese Dinge aus keiner andern Ursach böse zu sein, als weil sie selbst in Pein endigen und euch anderer Lust berauben? Das würden sie doch zugeben? So schien es uns beiden. Wenn wir sie nun auch nach dem entgegengesetzten (354) fragten: Ihr Leute, die ihr wiederum sagt, daß manches Peinliche gut ist, meint ihr damit nicht dergleichen wie die anstrengenden Leibesübungen, die Feldzüge, die Behandlungen der Ärzte mit Brennen und Schneiden, Arzneinehmen und Fasten, daß dergleichen gut ist aber peinlich? so würden sie das bejahen? – So schien es ihm auch. – Ob ihr sie nun wohl deshalb gut nennt, weil sie für den Augenblick die heftigsten Qualen und Schmerzen verursachen? oder weil in der Folge Gesundheit daraus entsteht und Wohlbefinden des Körpers und Rettung der Staaten und sonst Herrschaft und Reichtum? Sie würden das letztere bejahen wie ich glaube. – Er glaubte es ebenfalls. – Sind also diese Dinge aus einer andern Ursache gut, als weil sie in Lust endigen und in der Unlust Anwendung und Vertreibung? oder habt ihr ein anderes Ziel anzugeben in Beziehung auf welches ihr sie gut nennt als nur Lust oder Unlust? Ich glaube sie werden kein anderes angeben. – Auch ich glaube es nicht, sagte Protagoras. – Also jaget ihr doch der Lust nach als dem Guten, und die Unlust flieht ihr als das Böse? Das würden sie zugeben? – So dünkte es ihn auch. – Dies also haltet ihr eigentlich für böse, die Unlust, und die Lust für gut; wenn ihr doch behauptet das Wohlbefinden selbst sei in dem Fall böse, wenn es größere Lust raubt als es selbst enthält, oder größere Unlust herbeiführt als seine eigene Lust nicht war. Denn wenn ihr in einer andern Hinsicht das Wohlbefinden für böse hieltet und in Beziehung auf ein anderes Ziel: so würdet ihr uns denn auch wohl sagen können, aber ihr werdet es nicht können. – Ich glaube auch nicht daß sie es können, sagte Protagoras. – Ist es nun nicht wiederum mit dem Übelbefinden selbst die nämliche Sache? Alsdann nennt ihr selbst das Übelbefinden gut, wenn es entweder noch größere Unlust als die es selbst in sich hat, entfernt, oder größere Lust als die Unlust war, bereitet? Denn wenn ihr auf etwas anderes sähet, indem ihr das Übelbefinden gut nennt, als was ich sage: so würdet ihr es uns wohl sagen können, aber ihr werdet es nicht können. – Ganz recht, sagte Protagoras. – Weiter also, sprach ich, wenn ihr mich fragtet ihr Leute: Warum sagst du hierüber soviel und von allen Seiten? so würde ich antworten: Habt schon Nachsicht mit mir; denn erstlich ist es überhaupt nicht leicht zu zeigen, was das eigentlich sei, was ihr nennt von der Lust überwunden werden, und dann beruht grade hierauf der ganze Beweis. Es steht euch aber auch jetzt noch frei zu widerrufen, falls ihr etwa zu sagen wißt, das Gute sei noch etwas anders als die Lust, und das Böse noch etwas anders als die Unlust. Oder ist euch das genug, euer Leben angenehm (355) hinzubringen ohne Unlust? Wenn euch nun das genug ist, und ihr nichts anderes zu sagen wißt, was gut oder böse wäre was sich nicht hierin endigte, so hört nun das weitere. Nämlich ich sage euch wenn sich dies so verhält, wird das nun eine lächerliche Rede, wenn ihr sagt, daß oftmals der Mensch, obgleich das Böse erkennend, daß es böse ist, es dennoch tut, ohnerachtet ihm frei stände es nicht zu tun, weil er von der Lust getrieben wird und betäubt; und ihr dann auch wieder sagt, daß der Mensch, das Gute erkennend, es dennoch nicht zu tun pflegt der augenblicklichen Lust wegen und von dieser überwunden. Daß dies lächerlich ist, wird euch ganz klar werden, sobald wir uns nur nicht mehr der vielerlei Namen zugleich bedienen wollen des Angenehmen und Peinlichen und des Guten und Bösen, sondern da sich gezeigt hat, daß dieses nur zweierlei ist, es auch nur mit zwei Worten bezeichnen wollen, zuerst überall durch gut und böse, und dann wieder überall durch angenehm und peinlich. Dieses also festgestellt sagen wir, daß der Mensch das Böse erkennend, daß es böse ist, es dennoch tut. Wenn uns nun Jemand fragt, Warum denn? so werden wir sagen, weil er überwunden ist. Wovon denn? wird uns jener fragen; wir aber dürfen nicht mehr sagen, Von der Lust, denn die Sache hat nun einen andern Namen bekommen, und statt Lust heißt sie Gutes. Wir antworten also jenem und sagen: Weil er überwunden ist. Wovon denn? fragt er. Von dem Guten werden wir beim Zeus sagen müssen. Ist nun der welcher uns fragt ein Spötter, so wird er lachen und sagen, das ist doch wahrhaftig eine lächerliche Sache, was ihr da sagt, daß ein Mensch das Böse, indem er erkennt daß es böse ist, und da er es nicht tun muß, dennoch tut, weil er vom Guten überwunden ist! Von einem Guten, wird er fragen, welches wert oder welches nicht wert war jenes Böse zu überwinden? Offenbar werden wir zur Antwort sagen müssen: Von einem welches dessen nicht wert war; denn sonst hätte der nicht gefehlt von dem wir sagen, daß er zu schwach war gegen die Lust. Und weshalb, wird er vielleicht sprechen, ist denn das Böse des Guten, oder das Gute des Bösen unwert? etwa wegen etwas anderen als weil das eine größer und das andere kleiner ist? oder das eine mehr und das andere weniger ist? wir werden nichts anderes angeben können. Offenbar also, wird er sagen, meint ihr unter diesem überwunden werden, daß Jemand für geringeres Gute mehr Böses erhält. So demnach auf diese Art. Nun laßt uns für dieselben Dinge wieder jene Namen zurückrufen, das Angenehme und Unangenehme, und laßt uns sagen, Der Mensch tut, vorher sagten wir das Böse, nun aber wollen wir sagen das Unangenehme, erkennend daß es unangenehm ist, überwunden aber von dem Angenehmen; offenbar nämlich von einem solchen, welches nicht wert (356) war zu siegen. Und welche andere Schätzung gibt es denn für Lust gegen Unlust als den Überschuß oder das Untermaß der einen gegen die andere, das heißt, je nachdem eine größer ist oder kleiner als die andere, mehr oder weniger, stärker oder schwächer? Denn wenn Jemand sagen wollte: Aber, Sokrates, ein großer Unterschied ist doch auch zwischen dem augenblicklich Angenehmen und dem erst für die künftige Zeit Angenehmen und Unangenehmen, so werde ich ihn fragen, Liegt er in etwas anderem als in Lust und Unlust? auf keine Weise ja in etwas anderem. Sondern wie ein des Abwägens kundiger lege das Angenehme zusammen und das Unangenehme zusammen und auf der Waage, das Entfernte und das Nahe abschätzend sage dann welches das größere ist. Denn wenn du Angenehmes gegen Angenehmes wägst, mußt du immer das mehrere und größere nehmen, wenn Unangenehmes gegen Unangenehmes das kleinere und geringere; wenn aber Angenehmes gegen Unangenehmes mußt du, wenn das Unangenehme vom Angenehmen übertroffen wird, es sei nun das nähere von entfernterem oder das entferntere von näherem, die Handlung verrichten, darin sich dieses Verhältnis findet; wird aber in einer das Angenehme vom Unangenehmen übertroffen, die mußt du nicht verrichten. Verhält es sich etwa anders hiermit ihr Leute? würde ich sagen; ich weiß, sie würden nichts anderes zu sagen wissen. – So dünkte es ihn auch. – Wenn sich nun dies so verhält, so beantwortet mir doch folgendes, werde ich sagen. Erscheint eurem Gesicht dieselbe Größe von nahem größer, von weitem aber kleiner, oder nicht? – Das werden sie bejahen. – Und die Dicke und die Menge eben so? Und derselbe Ton von nahem stärker, von weitem aber schwächer? – Sie werden ja sagen. – Wenn nun unser Wohlbefinden darauf beruhte, daß wir große Linien zögen und zu erlangen suchten, kleine aber vermieden und nicht zögen: was würde sich dann zeigen als das Heil unseres Lebens? die Kunst zu messen oder die Gewalt des Scheins? Oder würde nicht die letzte uns gewiß irre führen und machen, daß wir oft das unterste wieder zu oberst kehren müßten in derselben Sache, und wieder andere Entschließungen fassen in unserer Hervorbringung und Auswahl des Großen und Kleinen? die Meßkunst hingegen dieses Trugbild unwirksam machen, und durch deutliche Bezeichnung des Wahren der Seele, welche dann bei der Wahrheit bliebe, Ruhe verschaffen und auf diese Art unserm Leben Heil bringen? Würden die Leute bekennen, daß in diesem Falle die Meßkunst uns Heil bringen müßte, oder würden sie eine andere nennen? – Die Meßkunst, gestand er. – Wie aber wenn das Heil unseres Lebens auf der Wahl grader und ungrader Zahlen beruhte, von beiden wann es recht wäre das größere zu wählen, und wann das kleinere im Vergleich jeder Art mit sich selbst sowohl als mit der andern, sie möchten nun nahe sein oder fern, was würde dann das Heil unseres Lebens sein? Nicht auch eine Erkenntnis? (357) Und wäre sie nicht, da sie ja auf Überschuß und Untermaß geht, eine messende Kunst? und da auf Grades oder Ungrades kann sie wohl eine andere sein als die Rechenkunst? Würden uns das die Leute eingestehen oder nicht? – Auch Protagoras glaubte, sie würden es eingestehen. – Gut, ihr Leute. Da sich nun aber gezeigt hat, daß das Heil unseres Lebens auf der richtigen Auswahl von Lust und Unlust beruht, der mehreren oder wenigeren, größeren oder kleineren sowohl nahen als fernen: zeigt sich zuerst nicht auch diese als ein Messen, da sie Überschuß, Untermaß und Gleichheit gegenseitig zu untersuchen hat? – Notwendig ja. Und wenn sie ein Messen ist, so ist sie notwendig eine Kunst und Erkenntnis? – Dem werden sie beistimmen. – Was für eine Kunst und Erkenntnis sie nun sein wird, wollen wir hernach sehn, daß es aber eine Erkenntnis ist, soviel ist jetzt hinreichend zu dem Beweise, den ich und Protagoras zu führen haben über das, wonach ihr uns gefragt habt. Ihr fragtet uns nämlich, wenn ihr euch dessen erinnert damals als wir Beide mit einander einverstanden waren, es gebe nichts stärkeres als die Erkenntnis, und wo sie nur wäre, herrschte sie auch überall über die Lust und alles andere, ihr aber behaupten wolltet die Lust herrsche oftmals auch über den erkennenden Menschen, wir aber euch dies nicht zugeben wollten, damals fragtet ihr uns, O Protagoras und Sokrates, wenn dieser Zustand das nicht ist, daß man von der Lust überwunden wird, so sagt uns doch, was er denn ist, und wie ihr ihn erklärt? Wenn wir euch nun damals gleich gesagt hätten, er wäre eben Unverstand, so würdet ihr uns ausgelacht haben; jetzt aber wenn ihr uns auslachen wollt, müßt ihr euch selbst mit auslachen, denn ihr habt selbst eingestanden, wer bei der Wahl der Lust und Unlust, das heißt des Guten und Bösen fehle, der fehle aus Mangel an Erkenntnis, und nicht nur an Erkenntnis, sondern noch weiter habt ihr ja zugegeben, daß es eine messende sei. Eine ohne Erkenntnis verfehlte Handlung aber, wißt ihr wohl selbst, wird aus Unverstand so verrichtet, so daß also dieses zu schwach sein gegen die Lust der größte Unverstand ist; für welchen eben dieser Protagoras ein Arzt zu sein behauptet, so auch Prodikos und Hippias. Weil ihr aber meint, es sei etwas anderes als Unverstand, so geht ihr weder selbst zu diesen Lehrern hierin, den Sophisten, noch schickt ihr eure Söhne zu ihnen, als ob es nicht lehrbar wäre; sondern euer Geld so hegend, und es diesen nicht gebend, handelt ihr schlecht als Hausväter und als Staatsbürger. Dieses also würden wir den Leuten geantwortet haben.
Nun aber frage ich nächst dem Protagoras auch euch beide, (358) Hippias und Prodikos, denn gemeinschaftlich soll eure Rede sein, ob ihr glaubt, daß ich wahr rede oder unwahr? – Alle hielten das Gesagte für über die Maßen richtig. – Ihr gebt also zu, sprach ich, daß das Angenehme gut ist und das Peinliche böse. Aber hier des Prodikos Unterscheidung der Worte verbitte ich. Du magst nun das, was ich meine, angenehm nennen oder erfreulich oder vergnügend oder wie und woher du sonst dieses zu benennen vorziehst, bester Prodikos, beantworte mir nur dieses in Beziehung auf das was ich will. – Lachend gab es nun Prodikos zu und die andern auch. – Wie aber, ihr Männer, sprach ich, ist es hiemit, die hierauf sich beziehenden Handlungen auf das schmerzlos und angenehm leben, sind die nicht alle auch schön? und ist nicht jede schöne Tat gut und nützlich? – Das schien ihnen ebenso. – Wenn nun, sprach ich, das Angenehme gut ist, so wird ja niemand, – er wisse nun oder glaube nur, daß es etwas besseres, als er tut, und auch ihm mögliches, gibt, – noch jenes tun, da das Bessere in seiner Macht steht; und dieses zu schwach sein gegen sich selbst ist also nichts anders als Unverstand, und das sich selbst beherrschen nichts anderes als Weisheit. – Dem gaben Alle Beifall. – Wie nun? nennt ihr das Unverstand falsche Meinungen zu haben und sich zu täuschen über wichtige Dinge? – Auch dem stimmten Alle bei. – Ist es nicht auch so, daß Niemand aus freier Wahl dem Bösen nachgeht, oder dem was er für böse hält? und daß das, wie es scheint, gar nicht in der Natur des Menschen liegt, dem nachgehn zu wollen, was er für böse hält anstatt des Guten, wenn er aber gezwungen wird von zwei Übeln eins zu wählen, niemand das größere nehmen wird, wenn er das kleinere nehmen darf? – Dieses alles kommt uns Allen einem vor wie dem andern. – Wie nun? sprach ich, nennt ihr etwas Angst und Furcht? und zwar dasselbe was ich? Deinetwegen sage ich das Prodikos, ich verstehe nämlich darunter die Erwartung eines Übels, ihr mögt das nun Angst nennen oder Furcht. – Protagoras und Hippias sagten, das wäre Angst und Furcht; Prodikos hingegen, Angst wäre es, Furcht aber nicht. – Es ist daran nichts gelegen, Prodikos, sprach ich; sondern nur hieran, wenn das vorhergesagte seine Richtigkeit hat, ob dann irgend ein Mensch dem wird nachgehen wollen, wovor er sich ängstigt, wenn er auch nach etwas Anderem kann; oder ob dies dem eingestandenen zu Folge unmöglich ist. Denn wovor sich Jemand ängstiget, das ist eingestanden halte er für böse, und was er für böse hält, dem will Niemand weder nachgehn noch es auch mit seinem guten Willen hinnehmen. – Auch das bejaheten Alle. – Ist nun dieses so festgestellt, (359) sagte ich, o Prodikos und Hippias, so mag sich doch hier unser Protagoras verteidigen über das was er zuerst geantwortet hat, wie es wohl richtig sein kann. Nicht was er ganz zuerst sagte, denn damals behauptete er, von fünf Teilen der Tugend, die es gäbe, sei keiner wie der andere, und jeder habe seine eigene Verrichtung; dies meine ich nicht, sondern was er hernach behauptet hat. Denn hernach sagte er wieder, die viere wären einander zwar sehr nahe, der eine aber, nämlich die Tapferkeit, unterschiede sich gar sehr von den übrigen. Und erkennen, sprach er, könnte ich dies hieraus. Du wirst nämlich Menschen finden, Sokrates, die sehr ruchlos sind und sehr ungerecht, und sehr unbändig und unverständig, tapfer aber ganz ausgezeichnet, woraus du denn schließen kannst, daß die Tapferkeit von den übrigen Teilen der Tugend sehr weit unterschieden ist. Und ich verwunderte mich gleich damals höchlich über diese Antwort, noch mehr aber hernach, seitdem ich dieses mit euch abgehandelt habe. Ich fragte ihn also, ob er sagte, die Tapfern wären dreist, und er sagte: Und auch keck zufahrend. Erinnerst du dich, sprach ich, Protagoras, daß du dies geantwortet hast? Er gestand es ein. So komm denn, sprach ich, und sage uns, worauf meinst du denn, daß die Tapfern so keck zufahren? etwa auf das nämliche worauf auch die Feigen? – Nein, sagte er. – Also auf etwas anderes? – Ja, sagte er. – Gehen etwa die Feigen auf das Unbedenkliche los, die Tapferen aber auf das Furchtbare? – So sagen die Leute, Sokrates, antwortete er. – Schon recht, sprach ich, aber darnach frage ich nicht, sondern du, worauf du sagst, daß die Tapfern keck zufahren, ob sie auf das Furchtbare zufahren, indem sie es selbst für furchtbar halten, oder auf das nicht furchtbare? – Aber dies, sagte er, ist ja in dem, was du gesprochen, so eben als unmöglich erwiesen worden. – Auch darin hast du ganz recht, sagte ich; so daß, wenn dieses richtig erwiesen ist, Niemand dem nachgeht was er für furchtbar hält, da ja das sich selbst nicht beherrschen können als ein Unverstand erfunden wurde. – Das gab er zu. – Aber auf das, wozu man guten Mut hat, geht wieder ein Jeder los, die Feigen wie die Tapferen, und auf diese Art gehen also beide auf dasselbe los, die Feigen und die Tapferen. – Aber dennoch, sagte er, sind das ganz entgegengesetzte Dinge, Sokrates, worauf die Feigen und worauf die Tapferen losgehen. Gleich zum Beispiel in den Krieg wollen die Einen sehr leicht gehn, die anderen wollen nicht. – Indem es, sagte ich, schön ist hinzugehen oder schlecht? – Schön, sagte er. – Wenn also schön, sprach ich, dann auch gut, haben wir schon vorher eingestanden; denn wir gestanden, daß alle schönen Handlungen auch gut wären. – Das ist richtig, und immer habe auch ich so gedacht. – Sehr wohl, sprach ich. Aber welche von beiden behauptest du wollen nicht zu Felde gehen, wenn es schön und (360) gut ist? – Die Feigen, sagte er. – Und, sprach ich, wenn es schön und gut ist, wird es auch angenehm sein? – Das ist wenigstens eingeräumt worden, sagte er. – Wissentlich also wollen die Feigen doch nicht hingehen nach dem Schöneren, Besseren und Angenehmeren? – Aber auch hiedurch, wenn wir es eingeständen, sagte er, zerstörten wir unsere vorigen Eingeständnisse. – Und wie der Tapfere, fragte ich, geht der nicht nach dem Schöneren, Besseren und Angenehmeren? – Notwendig, sagte er, ist dies anzunehmen. – Also überhaupt, wenn die Tapfern sich fürchten, ist das keine schlechte Furcht, und wenn sie dreist sind, ist das keine schlechte Dreistigkeit? – Ganz recht, sagte er. – Und wenn nicht schlecht, ist dann beides nicht schön? Das gab er zu. – Und wenn schön auch gut? – Ja. – Werden also nicht im Gegenteil die Feigen und Verwegenen und Tollkühnen sich mit einer schlechten Furcht fürchten, und mit einer schlechten Dreistigkeit dreist sein? – Das gab er zu. – Und können sie wohl zu dem schlechten und bösen aus einer andern Ursach dreist sein als aus Unkenntnis und Unverstand? – So muß es sich verhalten, sagte er. – Und wie? dasjenige, wodurch die Feigen feig sind, nennst du das Feigheit oder Tapferkeit? – Feigheit, versteht sich, sagte er. – Und haben wir nicht gesehen, daß sie eben durch die Unkenntnis dessen, was furchtbar ist, feige sind? – Allerdings, sprach er. – Also durch diese Unkenntnis sind sie feige? – Er gab es zu. – Und wodurch sie feige sind, das räumst du ein ist die Feigheit? – Er sagte ja. – Also wäre ja wohl die Unkenntnis dessen was furchtbar ist, und was nicht, die Feigheit? – Er winkte zu. – Aber der Feigheit, sagte ich, ist doch die Tapferkeit entgegengesetzt? – Er bejahte es. – Ist nun nicht die Kenntnis von dem was furchtbar ist und was nicht der Unkenntnis darin entgegengesetzt? – Auch hier winkte er noch zu. – Und die Unkenntnis davon war die Feigheit? – Hier winkte er nur mit großer Mühe noch zu. – So ist demnach die Weisheit in dem was furchtbar ist und was nicht die Tapferkeit, weil sie der Unkenntnis davon entgegengesetzt ist. – Darauf wollte er mir nun nicht einmal mehr zuwinken, und schwieg ganz still. – So Protagoras? sprach ich. Du bejahst weder noch verneinest was ich dich frage? – Bringe es nur allein zu Ende, sagte er. – Nur Eins, sprach ich, will ich dich noch fragen, ob dich auch jetzt noch, wie vorher, einige Menschen sehr unverständig dünken, zugleich aber ausgezeichnet tapfer? – Du scheinst, sagte er, etwas besonderes darein zu setzen, Sokrates, daß ich dir antworten soll. So will ich dir denn gefällig sein, und sagen, daß nach dem, was wir mit einander festgestellt haben, dieses unmöglich zu sein scheint. – Keinesweges, sprach ich, frage ich alles dieses aus irgend einer andern Absicht, als um zu ergründen, wie es sich wohl eigentlich verhält mit der Tugend, und was sie wohl selbst ist die Tugend. Denn soviel weiß ich, wäre dies nur erst ausgemacht, so würde auch jenes bald entschieden sein, worüber (361) ich und du Jeder eine lange Rede gehalten haben, ich behauptend die Tugend sei nicht lehrbar, du sie sei lehrbar. Und der jetzige Ausgang unseres Gesprächs scheint mir ordentlich wie ein Mensch uns anzuklagen und auszulachen, und wenn er reden könnte sagen zu wollen: Ihr seid wunderliche Leute, Sokrates und Protagoras! du, der du im Vorigen behauptest die Tugend sei nicht lehrbar, dringst jetzt auf das was dir zuwider ist, indem du zu zeigen suchst, daß alles Erkenntnis ist, die Gerechtigkeit, die Besonnenheit und die Tapferkeit, auf welche Weise denn die Tugend am sichersten als lehrbar erscheinen würde. Denn wenn die Tugend etwas anderes wäre als die Erkenntnis, wie Protagoras zu behaupten unternahm, so wäre sie sicherlich nicht lehrbar. Jetzt aber, wenn sie sich als Erkenntnis offenbaren wird, worauf du dringst, Sokrates, wäre es ganz wunderbar, wenn sie nicht sollte lehrbar sein. Protagoras wiederum, der damals annahm sie sei lehrbar, scheint jetzt das Gegenteil zu betreiben, daß sie eher fast alles andere sein soll nur nicht Erkenntnis, und so wäre sie doch am wenigsten lehrbar. Ich nun, Protagoras, indem ich zusehe, wie schrecklich uns dieses alles durcheinander geschüttelt wird, das unterste zu oberst, bin voll Eifers die Sache zur Klarheit zu bringen, und ich wünschte, nachdem wir dies durchgegangen, könnten wir auch weiter zurückgehen auf die Tugend selbst, was sie wohl ist, und dann wieder diese Untersuchung aufs neue anfangen ob sie lehrbar ist oder nicht, damit nicht etwa jener Epimetheus, der Hintennachdenker, uns auch in unsern Untersuchungen hinterlistig betrüge, wie er uns schon in der Verteilung schlecht behandelt hat, wie du sagst. Auch in jener Geschichte hat mir Prometheus, der Vorausdenker besser gefallen, und eben weil ich es mit ihm halte, und auf mein ganzes Leben im Voraus Bedacht nehmen möchte, beschäftige ich mich mit diesen Dingen, und wenn du nur wolltest, möchte ich sie, wie ich auch gleich Anfangs sagte, am liebsten mit dir gemeinschaftlich untersuchen. – Darauf sagte Protagoras: Ich meines Teils, Sokrates, lobe gar sehr deinen Eifer sowohl als deine Art das Gespräch durchzuführen; denn auch im übrigen denke ich kein übler Mensch zu sein, neidisch aber zumal am wenigsten unter allen Menschen. Wie ich denn auch von dir schon zu Mehreren gesagt, daß unter allen mit denen ich zusammentreffe, ich dich ganz vorzüglich schätze, von allen deines Alters zumal, und ich füge hinzu es wird mich gar nicht wundern, wenn du einst unter die berühmten wegen ihrer Weisheit gehören wirst. Hierüber nun wollen wir, wenn du willst, ein andermal weiter sprechen; jetzt ist es Zeit auch zu etwas Anderem zu schreiten. – Gut, sagte ich, so wollen wir es halten, (362) wenn du meinst. Denn auch für mich ist es schon lange Zeit dorthin zu gehn, wovon ich schon sagte, und nur um Kallias dem Schönen gefällig zu sein, habe ich bis jetzt hier verweilt. Diese Reden wurden gewechselt, und so gingen wir.