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(178) Lysimachos: Gesehen habt ihr nun, o Nikias und Laches, den Mann in ganzer Rüstung fechten; weshalb aber wir, ich und Melesias, euch genötiget haben mit uns ihm zuzusehen, dies sagten wir gleich damals nicht, wollen es aber jetzt sagen. Denn wir glauben zu euch ja freimütig reden zu dürfen. Denn es gibt freilich welche, die einen hiermit nur auslachen; und wenn Jemand sie zu Rate zieht, so sagen sie nicht was sie denken, sondern den Fragenden erratend reden sie etwas anderes gegen ihre Meinung. Euch aber hielten wir nicht nur tüchtig zu der Sache Beurteilung, sondern auch, daß nachdem ihr sie beurteilt, ihr aufrichtig sagen werdet, was ihr denkt, und so haben wir euch mit zu unserer Beratung genommen, über das was wir euch eröffnen wollen. Worüber ich aber schon (179) so lange so vieles vorrede, das ist folgendes. Diese hier sind unsere Söhne, der da ist dessen, nach seinem Großvater Thukydides genannt; der meinige aber hier führt ebenfalls den großväterlichen Namen meines Vaters, denn er heißt Aristeides. Für diese nun haben wir beschlossen so gut als möglich zu sorgen, und nicht, wie die Meisten es machen, nun sie halb erwachsen sind, sie gehn und tun zu lassen was sie wollen, sondern vielmehr nun erst recht anzufangen die möglichste Sorgfalt auf sie zu wenden. Da wir nun wissen, daß auch ihr Söhne habt: so glauben wir, wenn irgend Jemand, werdet gewiß ihr darauf gesonnen haben, auf welche Art behandelt sie am besten gedeihen werden. Solltet ihr aber etwa nicht sehr auf diese Sache gedacht haben: so wollen wir euch ermahnen, sie nicht zu vernachlässigen, und euch auffordern gemeinschaftlich mit uns Sorge zu tragen für die Söhne. Weshalb wir nun dieses beschlossen, o Laches und Nikias, müßt ihr hören, wenn es auch etwas ausführlicher sein sollte. Wir nämlich speisen zusammen, ich und Melesias, und unsere Knaben mit uns. Wie ich nun gleich Anfangs gesagt, wir wollen freimütig zu euch reden. Jeder von uns nämlich hat von seinem Vater zwar viele schöne Taten zu erzählen, teils welche sie im Kriege getan haben, teils welche im Frieden, sowohl der Bundesgenossen Angelegenheiten verwaltend als auch der Stadt; eigne Taten aber von sich selbst hat keiner von Uns den Jünglingen zu erzählen. Deswegen also schämen wir uns vor diesen, und klagen auch unsere Väter an, daß sie uns nachdem wir herangewachsen nach Gutdünken leben ließen, selbst aber nur fremde Angelegenheiten verwalteten. Diesen Jünglingen aber halten wir das Beispiel vor, und sagen ihnen, daß wenn sie sich vernachlässigen und uns nicht gehorchen, sie auch werden unberühmt bleiben, würden sie aber Fleiß anwenden, so könnten sie vielleicht der Namen sich wert machen, welche sie führen. Sie nun versprechen zu gehorchen, und wir denken darauf, was diese wohl lernen und üben müssen, um recht tüchtige Männer zu werden. Da hat uns also einer auch auf diese Kunst gewiesen, daß sie es wohl einem Jünglinge anständig wäre in ganzer Rüstung fechten, und hat uns dazu diesen gerühmt, welchen ihr eben gesehen habt sich in seiner Kunst zeigen, und uns geheißen ihm zuzuschauen. Wir aber glaubten, wir müßten nicht nur selbst kommen ihn zu sehen, sondern auch euch mitnehmen als Mitzuschauer zunächst, dann aber auch als Mitberater und Teilnehmer, wenn ihr wollt, an der Sorge für die Söhne. Dieses ist, weshalb wir uns mit euch zusammentun wollten. Jetzt also ist eure Sache Rat zu erteilen, sowohl wegen dieser Kunst, ihr mögt nun (180) meinen daß sie erlernt werden müsse oder nicht, als auch übrigens wenn ihr uns für einen jungen Mann eine Kunst anzurühmen habt oder eine Wissenschaft, so auch wegen eurer Gemeinschaft mit uns, zu sagen was ihr tun wollt.
Nikias: Ich meines Teils, o Lysimachos und Melesias, lobe nicht nur eure Gesinnung, sondern bin auch bereit mit euch gemeine Sache zu machen; ich glaube aber dasselbe auch von Laches.
Laches: Und ganz richtig glaubst du, o Nikias. Denn was Lysimachos eben sagte von seinem und des Melesias Vater, das scheint mir sehr richtig bemerkt zu sein, nicht nur über jene, sondern auch über uns, und Alle, welche die öffentlichen Geschäfte verwalten, indem Allen fast dieses begegnet, was er sagt, sowohl was ihre Kinder betrifft als alle andere eignen Angelegenheiten, daß diese nämlich hintangesetzt und nachlässig betrieben werden. Dieses also war sehr gut gesagt, o Lysimachos; daß du aber uns zu Mitberatern wegen der Erziehung dieser Jünglinge berufest, den Sokrates hier aber nicht berufest, darüber wundere ich mich, da er zuförderst dein Zunftgenosse ist, demnächst aber sich immer da aufhält, wo etwas von dem zu finden ist was du suchst für die Jünglinge, irgendeine anständige Wissenschaft oder Kunst.
Lysimachos: Wie sagst du, o Laches? Läßt Sokrates sich dergleichen irgend angelegen sein?
Laches: Allerdings, o Lysimachos.
Nikias: Dieses kann auch ich bezeugen nicht minder als Laches. Denn auch mir selbst hat er nur neulich einen Mann zugeführt, als Lehrer für meinen Sohn in der Tonkunst, des Agathokles Schüler, den Damon, einen gar vortrefflichen Mann in der Tonkunst nicht nur, sondern auch sonst wie brauchbar du willst zum lehrreichen Umgang für solche Jünglinge.
Lysimachos: Gar wenig, o Sokrates, Nikias und Laches, sind wir, die wir so alt sind, mehr bekannt mit den Jüngeren, da wir gar viel zu Hause bleiben unseres Alters wegen. Wenn also auch du, o Sohn (181) des Sophroniskos, diesem deinem Zunftgenossen etwas gutes zu raten hast, so rate. Auch geziemt es dir so, da du schon vom Vater her mir befreundet bist; denn immer waren ich und dein Vater Freunde und Vertraute, und er ist eher gestorben als er einen Zwist mit mir gehabt hätte. Überdies kommt mir jetzt eine Erinnerung von dem was diese sagen. Denn wenn die Knaben zu Hause unter einander reden, erwähnen sie oft des Sokrates und rühmen ihn sehr, noch nie indes habe ich sie befragt, ob sie wohl den Sohn des Sophroniskos meinen. Sagt also, ihr Kinder, ist dieses der Sokrates dessen ihr immer erwähnt?
Knaben: Allerdings, o Vater, ist es dieser.
Lysimachos: Sehr gut, bei der Here, o Sokrates, daß du so deinem Vater, dem trefflichen Manne, Ehre bringst, schon an sich besonders aber auch weil nun das deinige auch uns eignen wird, so wie das unsrige dir.
Laches: Wahrlich, o Lysimachos, lasse ja den Mann nicht los. Ich meines Teils habe ihn auch anderswo schon gesehen nicht nur seinem Vater Ehre bringen, sondern auch seinem Vaterlande. Denn bei der Flucht vor Delion ging er mit mir zurück, und ich versichere dich, wenn die Übrigen sich hätten so beweisen wollen, unsere Stadt wäre damals bei Ehren geblieben, und hätte nicht einen so schmählichen Sturz erlitten.
Lysimachos: O Sokrates, dieses ist ein schönes Lob, welches dir jetzt erteilt wird von glaubwürdigen Männern zumal in dem, weshalb sie dich loben. Sei also versichert, daß es mich freut dieses zu hören, deines guten Rufes wegen, und zähle mich zu denen welche dir am meisten wohlwollen. Und schon eher zwar hättest du von selbst fleißig zu uns kommen sollen und uns zu den deinigen rechnen: nun aber von heute an, da wir einander bekannt geworden, tue ja nicht anders, sondern halte dich zu uns, und lerne auch du uns kennen und diese Jüngeren, damit auch Ihr unsere Freundschaft fortsetzet. Dies tue also von selbst, und auch wir wollen dich dessen öfter wieder erinnern. Darüber aber, wovon wir anfingen, was sagt ihr? was dünkt euch? ist die Kunst den Jünglingen ersprießlich in der ganzen Rüstung fechten zu lernen oder nicht?
Sokrates: Sowohl hierin, o Lysimachos, will ich versuchen dir zu raten, wenn ich nur kann, als auch alles Andere, wozu du mich einladest, will ich tun. Das schicklichste aber dünkt mich zu sein, daß ich als der Jüngste von diesen und der Unerfahrenste zuerst sie höre, was sie meinen, und von ihnen lerne, wenn ich aber etwas anderes habe außer dem von ihnen gesagten, dann erst es ihnen vortrage, und sie und dich überzeuge. Also, o Nikias, warum redest du nicht zuerst unter uns?
Nikias: Nichts hindert mich, o Sokrates. Mich nämlich dünkt auch diese Kunst zu verstehen könne jungen Männern in vieler Art nützlich sein. Denn schon deshalb, daß sie unterdes nicht eine andere Beschäftigung treiben, von denen welche junge Leute zu lieben pflegen in der Muße, sondern diese wodurch doch ihr Körper notwendig an Stärke gewinnen muß, ist sie gut, denn diese Leibesübung ist nicht schlechter als irgend eine andere, noch geringere Anstrengungen erfordernd; zugleich aber gehört sie für einen anständigen Mann vor allen andern diese und das Reiten. Denn auf den Kampf, worin wir ja (182) Künstler sein sollen, und den wir wirklich zu bestehen haben, üben sich doch nur die, welche sich mit diesen im Kriege zu handhabenden Werkzeugen üben. Ferner kann diese Kunst ihnen auch vorteilen in der Schlacht selbst, wenn sie in geschlossener Ordnung fechten sollen mit vielen andern. Ihr größter Nutzen jedoch zeigt sich erst dann, wenn die Glieder sich trennen und schon der Einzele gegen den Einzelen entweder verfolgend den sich verteidigenden zusetzen, oder auch fliehend gegen den, der ihn angreift, sich selbst verteidigen soll. Alsdann kann wohl nicht leicht, wer dieses versteht, von Einem bezwungen werden, vielleicht auch nicht von Mehreren, sondern dürfte überall die Oberhand haben. Ferner fodert dies auch auf zum Streben nach einer andern edlen Kunst. Denn Jeder, welcher gelernt hat in voller Bewaffnung zu fechten, wird auch Verlangen tragen nach der verwandten Kunst der Schlachtordnung, und wer diese erlangt hat und sich darin hervorgetan, der wird dann gewiß zu allem, was sonst dem Heerführer nötig ist, fortschreiten. Und so ist schon offenbar, wie anständig und einem Manne höchst nützlich zu lernen und zu üben die hieran hängenden Künste und Kenntnisse sind, zu denen diese der Anfang sein kann. Noch ein nicht Geringes aber wollen wir hinzufügen, daß nämlich diese Kenntnis einen Jeden im Kriege um nicht weniges dreister und tapferer als er sonst wäre machen wird. Auch das wollen wir nicht verschmähen zu sagen, obgleich es Menschen geringfügiger dünken möchte, daß durch sie auch ein Mann in besserem Anstande sich zeigt, grade da, wo er durch seinen Anstand den Feinden noch furchtbarer erscheint. Mich also, o Lysimachos, dünkt, wie ich sage, daß die Jünglinge dieses erlernen müssen, und auch weshalb es mich dünkt habe ich hiemit ausgesprochen. Was aber Laches etwa anderes hierüber meint, wünsche ich nun selbst auch zu hören.
Laches: Zwar ist es bedenklich, o Nikias, von welcher Kunst es auch sei, zu sagen, daß man sie nicht lernen solle. Denn auch alles zu wissen scheint gut zu sein, und so auch dieses Fechterstück, wenn es eine Kunst ist, wie diejenigen die es lehren behaupten, und eine solche wie Nikias sagt muß man lernen. Ist es aber keine Kunst, sondern betrügen uns nur, die es zu lehren verheißen, oder ist es zwar eine Kunst, jedoch zu gar keinem ernsthaften Gebrauch, wozu sollte man sie denn wohl lernen? Ich spreche aber hierüber so in der Hinsicht, weil ich glaube dieses würde, wenn es etwas wäre, den Lakedaimoniern nicht entgangen sein, denen ja nichts anderes fast anliegt im Leben, als dasjenige zu lernen und zu üben, was gelernt und geübt ihnen Übermacht verschaffen kann über Andere im Kriege. Wäre es ihnen aber auch entgangen, so würde doch den Lehrern dieser Kunst eben das nicht entgangen sein, daß Jene (183) am meisten unter allen Hellenen sich dieser Dinge befleißigen, und daß wer von ihnen deshalb geachtet wäre, auch bei den andern desto mehr Geld gewinnen müßte, eben wie ein Tragödiendichter der bei uns geachtet ist. Denn gewiß wer eine Tragödie schön gedichtet zu haben glaubt, der wird nicht rund um Attika in andern Städten herumziehend sie zur Schau geben, sondern er kommt geradezu hieher und stellt sie bei uns zur Schau, wie billig. Diese Fechtkünstler aber sehe ich, daß sie Lakedaimon für ein unzugängliches Heiligtum halten und es auch nicht mit der Fußspitze betreten, sondern sich lieber bei allen andern zeigen, am liebsten aber bei denen, welche selbst gestehen, daß Viele ihnen überlegen sind, was den Krieg betrifft. Ferner, o Lysimachos, bin ich schon mit nicht gar Wenigen von diesen zusammen gewesen bei der Tat selbst, und habe gesehen was sie wert sind. Aber auch daraus können wir dieses beurteilen, daß, recht als müßte es so sein, niemals irgend einer von diesen Fechtkünstlern ein berühmter Mann geworden ist im Kriege, da doch sonst überall die berühmten aus denen herkommen, welche sich jeder Sache besonders befleißigen, diese aber wie es scheint sind hierin vor allen andern sehr unglücklich gewesen. Ja auch diesen Stesilaos, den ihr mit mir vor einer so großen Volksmenge sich zeigen gesehn habt und so vieles von sich rühmen als er gerühmt hat, den habe ich anderwärts schon besser gesehen ganz der Wahrheit nach, wo er sich wahrhaft zeigte, aber eben nicht gern. Als nämlich das Schiff, auf welchem er sich befand, mit einem Frachtschiff zusammenstieß, so focht er mit einem Sichelspeer, einem sonderlichen Gewehr, wie auch er sonderlich war vor den Übrigen. Sonst nun verdient wohl nichts von dem Manne erzählt zu werden, doch aber diese Erfindung mit der Sichel an dem Speer wie sie ablief. Indem er nämlich damit herumfocht faßte er irgendwo an dem Takelzeug des Schiffes, und blieb hängen. Nun zog Stesilaos daran um ihn loszumachen und konnte nicht. Die Schiffe aber gingen einander vorbei. Anfangs nun lief er längs dem Schiffe seinen Speer festhaltend ihm nach, als aber jenes Schiff schon vorüber war vor dem seinigen und ihn nun mitzog, weil er seinen Speer halten wollte, so ließ er den Speer allmählig nach durch die Hand, bis er nur noch die äußerste Spitze am untern Ende hielt. Da war nun groß Gelächter und Geklatsch unter denen auf dem Frachtschiff schon über diese Stellung, hernach aber (184) als ihm einer einen Stein vor die Füße auf das Verdeck warf, und er den Speer losließ, dann konnten auch die auf dem Kriegsschiffe das Lachen nicht mehr halten, als sie an, dem Frachtschiffe hängen sahen jenen Sichelspeer. Vielleicht also kann zwar dennoch etwas an der Sache sein, wie auch Nikias sagt, was ich aber daran gefunden habe war nicht besser als dieses. Wie ich also schon anfangs sagte, hat er so wenigen Nutzen wenn es eine Kunst ist, oder ist es gar keine, und sie geben es nur dafür aus: so ist es wohl nicht der Mühe wert, es zu lernen. Daher nun dünkt mich, wenn ein Feiger glaubte, dieses verstehen zu müssen und sich dadurch dreist machen ließe, so würde nur um so offenbarer werden was für einer er war; wenn aber ein Tapferer der würde, von allen Menschen beobachtet, auch wenn er nur um ein Weniges fehlte, großen Tadel davon tragen; denn neiderweckend ist es sich einer solchen Wissenschaft zu rühmen. So daß wer nicht, ich weiß nicht wie sehr, sich auszeichnet vor Andern in der Tapferkeit, unmöglich vermeiden kann lächerlich zu werden, wenn er sich dafür ausgibt diese Wissenschaft zu besitzen. Solche Bewandtnis dünkt es mich zu haben, o Lysimachos, mit dem Bestreben um diese Kunst. Du mußt aber, wie ich dir gleich sagte, auch den Sokrates hier nicht loslassen, sondern ihn bitten Rat mitzuteilen, was ihn dünkt von der vorliegenden Sache.
Lysimachos: Darum bitte ich dich allerdings, o Sokrates; zumal unsere Beratung mir gleichsam noch eines Schiedsrichters zu bedürfen scheint. Denn wenn diese beiden übereinstimmten, so würde es dessen weniger bedürfen; nun aber, wie du siehst, Laches für die entgegengesetzte Seite gestimmt hat als Nikias, so ist es sehr dienlich auch dich noch zu hören, welchem von den Männern du beistimmst.
Sokrates: Wie also, o Lysimachos? welches von beiden die meisten unter uns billigen, das willst du annehmen?
Lysimachos: Wie sollte es einer denn auch wohl anders machen, o Sokrates?
Sokrates: Würdest auch du, o Melesias, es so machen? Und wenn von Kampfspielen in Beziehung auf deinen Sohn die Frage wäre, auf welches er sich üben sollte, würdest du den Mehresten von uns glauben, oder dem der von einem guten Lehrer in Leibesübungen unterrichtet wäre, und sie eingeübt hätte.
Melesias: Diesem wohl natürlich, o Sokrates.
Sokrates: Dem würdest du wohl mehr glauben als uns allen Vieren?
Melesias: Vielleicht wohl.
Sokrates: Denn nach der Kenntnis der Sache meine ich muß entschieden werden, nicht nach der Zahl, was gut soll entschieden werden.
Melesias: Wie sollte man nicht?
Sokrates: Also auch jetzt müssen wir zuerst dieses (185) untersuchen, ob einer von uns kunstverständig ist in dem worüber wir Rat pflegen, oder nicht, und ist es einer, alsdann diesem folgen, wäre es auch nur Einer, die Andern aber lassen; ist es aber keiner, dann einen andern suchen. Oder glaubt ihr, du und Lysimachos, jetzt nur eine Kleinigkeit zu wagen und nicht vielmehr dasjenige was das größte ist unter allem eurigen? Denn je nachdem die Söhne tüchtig geraten oder im Gegenteil, wird auch das ganze Hauswesen des Vaters so verwaltet werden, wie die Söhne geraten sind.
Melesias: Sehr richtig gesprochen.
Sokrates: Viele Vorsicht muß also hiebei gebraucht werden.
Melesias: Allerdings.
Sokrates: Wie also würden wir was ich eben sagte untersuchen, wenn wir beurteilen wollten, wer von uns im Wettkampfe der kunstverständigste wäre? Nicht wer es gelernt und geübt hat? und wer auch tüchtige Lehrer gehabt hat in eben dieser Kunst?
Melesias: So scheint es mir wenigstens.
Sokrates: Nicht auch noch eher, was denn das eigentlich ist, worin wir nach Lehrern fragen?
Melesias: Wie meinst du dieses?
Sokrates: So wird es vielleicht deutlicher werden. Es dünkt mich nicht, daß wir uns anfänglich darüber verständiget haben, was es eigentlich ist, worüber wir beratschlagen und untersuchen, wer von uns darin kunstverständig ist und dazu gute Lehrer gehabt hat, und wer nicht.
Nikias: Ist denn nicht, o Sokrates, die Frage von dem Fechten in ganzer Rüstung, ob die jungen Männer es lernen sollen oder nicht?
Sokrates: Allerdings freilich, o Nikias; aber wenn einer wegen eines Mittels für die Augen überlegt, ob er es aufstreichen soll oder nicht, glaubst du seine Beratschlagung betreffe dann die Arznei oder die Augen?
Nikias: Die Augen.
Sokrates: Also auch wenn Jemand überlegt, ob er dem Pferde den Zaum anlegen soll oder nicht, und wann, dann beratschlagt er wohl über das Pferd und nicht über den Zaum?
Nikias: Gewiß.
Sokrates: Also mit einem Worte, wenn Jemand etwas eines Anderen wegen überlegt, so betrifft seine Beratung dasjenige, um deswillen er es überlegte, nicht das, was er um des andern willen suchte.
Nikias: Notwendig.
Sokrates: Also müssen wir auch in Absicht des Ratgebers untersuchen, ob er kunstverständig ist in der Behandlung dessen, um deswillen wir unsere Untersuchung anstellten.
Nikias: Freilich wohl.
Sokrates: Und nicht wahr, jetzt sagen wir, daß wir, ob eine Kunst soll gelernt werden, überlegen, um der Seele der Jünglinge willen.
Nikias: Ja.
Sokrates: Ob also Jemand von uns kunstverständig ist in Behandlung der Seele, und geschickt diese gut zu behandeln, und darin gute Lehrer gehabt hat, das müssen wir untersuchen.
Laches: Wie doch, o Sokrates? Hast du noch nie solche gesehen, welche ohne Lehrer kunstreicher geworden sind in manchen Dingen, als mit Lehrern?
Sokrates: Wohl habe ich, o Laches, denen du aber gewiß nicht würdest trauen wollen, wenn sie behaupten gute Künstler (186) zu sein, wofern sie dir nicht ein Werk ihrer Kunst zu zeigen haben, das gut gearbeitet ist, und wohl mehr als eins.
Nikias: Darin hast du sehr Recht.
Sokrates: Auch wir also, o Laches und Nikias, müssen da Lysimachos und Melesias uns zur Beratung ihrer Söhne wegen gerufen haben, deren Seelen sie so trefflich als möglich zu bilden bestrebt sind, ihnen die Lehrer zeigen, welche wir gehabt, welche selbst zuerst tüchtige Männer gewesen und vieler jungen Männer Seelen gut gebildet, hernach auch uns so gelehrt haben; oder wenn einer von uns sagte, einen Lehrer habe er zwar nicht gehabt, so müßte doch auch dieser seine Werke anführen können, und zeigen, welche Athener oder Fremde, Knechte oder Freie durch ihn eingeständlich sind gut geworden. Wenn aber nichts hiervon sich bei uns findet: so müssen wir diese heißen Andere zu suchen, nicht aber an befreundeter Männer Söhnen die Gefahr wagen sie zu verderben und so den härtesten Vorwurf uns zuziehen von denen die uns so nahe sind. Ich nun, o Lysimachos und Melesias, erkläre zuerst was mich betrifft, daß ich keinen Lehrer hierin gehabt habe, wiewohl ich der Sache nachtrachte schon seit meiner Jugend. Allein ich habe nicht den Sophisten ihren Lohn zu bezahlen, welche doch allein verhießen im Stande zu sein mich zu einem trefflichen und edlen Manne zu machen; selbst aber die Kunst zu erfinden bin ich noch unvermögend für jetzo. Wenn aber Nikias oder Laches sie erfunden haben oder gelernt, will ich mich nicht wundern, denn sowohl an Gelde sind sie vermögender als ich, so daß sie sie von andern können erlernt haben, als auch zugleich älter um sie schon erfunden zu haben. Deshalb dünken sie mich wohl tüchtig zu sein einen Menschen zu bilden, sonst würden sie auch nicht so dreist etwas behauptet haben von den Übungen, welche einem Jünglinge nützlich sind oder schädlich, wenn sie nicht sich selbst vertrauten, daß sie es genugsam verständen. Im Übrigen also glaube ich ihnen, nur daß sie verschiedener Meinung sind, wundert mich. Dieses bitte ich dich daher meinerseits, o Lysimachos, so wie eben Laches dir zuredete mich nicht loszulassen sondern zu fragen, so ermahne ich nun dich, doch ja den Laches nicht loszulassen noch auch den Nikias, sondern frage sie und sprich zu ihnen: Sokrates behauptet daß er nichts von der Sache versteht, und nicht tüchtig ist zu entscheiden welcher von euch das Richtige sage, denn er selbst sei weder Erfinder noch Ausgelernter in irgend etwas hieher gehörigem. Ihr aber, o Laches und Nikias, sagt uns doch Jeder, wer der größte Meister ist in der Erziehung der Jünglinge, mit dem ihr umgegangen seid, und ob ihr, was ihr wißt, erlernt habt oder selbst erfunden, (187) und wenn erlernt, wer eines jeden Lehrer gewesen ist und welche sonst noch Künstler derselben Art sind, damit wenn ihr nicht Muße habt vor den Angelegenheiten der Stadt wir zu Jenen gehen können, und sie durch Geschenke oder Bitten oder beides überreden sich unserer und eurer Söhne anzunehmen, damit diese nicht schlecht geratend ihren Voreltern Schande bringen. Wenn ihr aber selbst Erfinder hierin seid, so zeigt uns Beweise, welche Andere ihr schon durch eure Sorgfalt habt zu Edlen und Guten gemacht. Denn wollt ihr etwa jetzt erst anfangen zu erziehen, so möget ihr wohl erwägen, daß ihr nicht am Karier den Versuch macht, sondern an den Söhnen und an eurer Freunde Kindern, damit es euch nicht nach jenem Sprüchwort ergehe vom Töpfer, der beim Fasse anfängt. Saget also, was hievon bei euch zutrifft und zu finden ist, und was nicht. Dieses, o Lysimachos, erforsche von ihnen und laß die Männer nicht los.
Lysimachos: Sehr wahr, ihr Männer, dünkt mich Sokrates gesprochen zu haben. Ob aber ihr Willens seid euch hierüber fragen zu lassen und Rede zu stehen, das müßt ihr selbst beurteilen, o Nikias und Laches. Denn mir und dem Melesias würde es offenbar erfreulich sein, wenn ihr Alles, was Sokrates fragt, ordentlich durchgehen wolltet. Fing doch von Anfang meine Rede damit an, daß wir deshalb euch zur Ratschlagung berufen hätten, weil wir glaubten ihr würdet euch dieses haben angelegen sein lassen, wie zu vermuten war nicht nur an sich schon, sondern noch mehr, weil eure Söhne beinahe dasselbe Alter haben wie die unsrigen zur Erziehung. Wofern ihr also nicht etwas dagegen habt, so sprecht und überlegt gemeinschaftlich mit dem Sokrates gegenseitig euch anhörend und antwortend. Denn auch darin hat er recht gesprochen, daß wir jetzt über das größte beratschlagen unter allem Unsrigen. Seht also zu, ob ihr glaubt so tun zu müssen.
Nikias: O Lysimachos, ich sehe wohl daß du in der Tat den Sokrates nur von seinem Vater her kennst, mit ihm selbst aber nicht umgegangen bist, außer als er noch ein Knabe war wenn er da etwa unter den Zunftgenossen seinen Vater begleitend dir in die Nähe gekommen, sei es im Tempel oder bei einer andern Versammlung der Zunft; seitdem er aber älter geworden hast du den Mann noch gar nicht angetroffen, das ist offenbar.
Lysimachos: Wie so doch, o Nikias?
Nikias: Du scheinst gar nicht zu wissen, daß wer der Rede des Sokrates nahe genug kommt, und sich mit ihm einläßt ins Gespräch, unvermeidlich, wenn er auch von etwas ganz anderem zuerst angefangen hat zu reden, von diesem so lange ohne Ruhe herumgeführt wird, bis er ihn da hat, daß er Rede stehen muß über sich selbst, auf welche Weise er jetzt lebt, und auf welche er das vorige Leben gelebt hat; wenn ihn aber Sokrates da (188) hat, daß er ihn dann gewiß nicht eher herausläßt, bis er dies Alles gut und gründlich untersucht hat. Ich nun bin schon mit ihm bekannt, und weiß, daß man dieses notwendig von ihm leiden muß; ja auch daß es mir selbst begegnen wird weiß ich sehr wohl. Denn gern, o Lysimachos, lasse ich mich ein mit dem Manne, und halte es nicht für etwas übles daran erinnert zu werden, wo wir etwa nicht schön gehandelt haben oder noch handeln; sondern für notwendig, daß derjenige vorsichtiger werden muß für sein nachheriges Leben, der dieses nicht scheut, sondern es wünscht nach des Solons Wort, und gern lernen will so lange er lebt, nicht aber meint, daß das Alter ihm schon von selbst den Verstand mitbringen werde. Mir also ist es weder ungewohnt noch ungewünscht vom Sokrates geprüft zu werden, vielmehr schon lange wußte ich es beinahe, daß von den Knaben nicht die Rede sein würde, wenn Sokrates zugegen wäre, sondern von uns selbst. Wie gesagt also, an meinem Teil hindert nichts, daß wir uns mit dem Sokrates unterreden, wie er es selbst will; den Laches aber befrage wie er hierüber gesonnen ist.
Laches: Sehr einfach, o Nikias, ist meine Weise in Absicht solcher Reden, oder wenn du willst nicht einfach sondern zwiefach; denn ich könnte einem scheinen ein Freund davon zu sein, und auch wiederum ein Feind. Wenn ich nämlich über die Tugend oder über irgend eine Art der Weisheit einen Mann reden höre, der wirklich ein Mann ist und der Reden wert welche er spricht, dann freue ich mich über die Maßen zugleich den Redenden und seine Reden betrachtend, wie beide zusammen gehören und stimmen; und ein solcher scheint mir eigentlich ein musikalischer Mann zu sein der den schönsten Einklang gestimmt, nicht die Leier oder sonst ein Werkzeug des Spiels, sondern wahrhaft zu leben sich gestimmt sein eignes Leben zusammenklingend mit den Worten die Werke, ächt dorisch, nicht jonisch, auch glaube ich nicht phrygisch oder lydisch, sondern nach jener einzigen ächt hellenischen Tonart. Ein solcher also macht mich erfreut, wenn er nur den Mund öffnet, so daß ich Jedem als ein Freund der Reden erscheine, so gern nehme ich von ihm an was er redet. Wer aber hiervon das Gegenteil tut, der ist mir nur um so mehr zuwider, je besser er mir zu reden scheint, und macht daß ich als ein Redefeind erscheine. Von des Sokrates Reden nun habe ich noch keine Erfahrung, sondern zuerst habe ich wie es scheint seine Taten erproben gesollt; und in denen habe ich ihn wohl würdig befunden auch Schönes zu reden mit aller Freimütigkeit. Ward ihm nun auch dieses, so freue ich mich mit ihm und möchte gern von einem solchen geprüft werden und es mich nicht verdrießen lassen zu lernen. Sondern auch ich (189) stimme dem Solon bei, nur noch mit einem Zusatz, ich wünsche nämlich alt zu werden vieles noch lernend, jedoch nur von Guten. Denn dieses mag er mir nachgeben, daß auch der Lehrer selbst ein guter sei, damit ich nicht ungelehrig erscheine ungern lernend. Ob aber der Lehrende jünger ist, oder noch keinen Ruf hat, oder was er von dieser Art sonst an sich hat, das soll mich nicht kümmern. Dir also, o Sokrates, erbiete ich mich, daß du mich sowohl belehrest als prüfest worin du willst, und auch wiederum lernen was ich weiß. So stehest du bei mir seit jenem Tage, an welchem du mit mir die Gefahr bestanden, und einen Beweis deiner Tugend gegeben hast, wie ihn derjenige geben muß der ihn recht geben will. Sage also was du Lust hast und rechne unser Alter dabei für nichts.
Sokrates: Euch, scheint es, werden wir nicht beschuldigen können, daß ihr eures Teils nicht bereit gewesen wäret mit zu beratschlagen und mit zu untersuchen.
Lysimachos: Nun also beruht die Sache auf uns, o Sokrates, denn dich rechne ich für einen der unsrigen. So untersuche nun an meiner Statt zum Besten der Jünglinge, was wir von diesen Männern zu erforschen haben, und pflege Rat mit ihnen im Gespräch. Denn ich vergesse schon Alters wegen gar vieles, was ich im Sinn gehabt hatte zu fragen, und so auch was ich gehört habe; kommen aber gar andere Reden zwischen ein, so behalte ich fast nichts mehr. Ihr also redet und handelt allein dasjenige ab unter euch, was wir euch vorgelegt haben; ich aber will zuhören, und nachdem ich gehört mit dem Melesias dasjenige tun, was euch gut dünkt.
Sokrates: Wir werden wohl, o Nikias und Laches, dem Lysimachos und Melesias gehorchen müssen. Was wir nun so eben uns vorsetzten zu untersuchen, wer nämlich unsere Lehrer gewesen sind in dieser Kunst, oder welche Andere wir schon besser gemacht haben, auch darüber uns selbst zu prüfen wäre gewiß nicht übel; aber ich glaube die folgende Untersuchung wird uns zu demselbigen Ziele führen, und fängt eher fast noch etwas höher hinauf an. Wenn wir nämlich von irgend etwas wissen, daß es einem andern einwohnend dieses besser macht dem es einwohnt, und zugleich im Stande sind zu bewirken, daß es jenem einwohne: so kennen wir doch offenbar eben dieses, worüber wir Rat geben sollen, wie Jemand es am leichtesten und besten erwerben könne. Vielleicht indes versteht ihr noch nicht was ich meine, so aber werdet ihr es besser verstehen. Wenn wir wissen, das Sehen, den Augen einwohnend, (190) mache die besser denen es einwohnt, und zugleich vermögen zu bewirken, daß es den Augen einwohne: so kennen wir doch offenbar das Sehen selbst, was es ist, über welches wir Rat geben sollen, wie Jemand es am leichtesten und besten erwerben möge. Denn wenn wir auch dieses nicht einmal wüßten, was das Sehen ist oder das Hören, so hat es gute Wege, daß wir taugliche Ratgeber und Ärzte sein könnten für Augen und Ohren, auf welche Weise Jemand Gehör und Gesicht am besten erlangen könnte.
Laches: Richtig ist, was du sagst, o Sokrates.
Sokrates: Haben nun nicht, o Laches, auch jetzt diese beiden uns zur Beratung gerufen, auf welche Weise wohl den Seelen ihrer Söhne Tugend beigebracht werden und sie besser machen möge?
Laches: Freilich.
Sokrates: Muß also nicht dieses wenigstens sich bei uns finden, daß wir wissen was die Tugend ist? Denn wenn wir etwa ganz und gar nicht wüßten von der Tugend, was sie eigentlich ist, wie könnten wir wohl Jemanden Rat darüber erteilen, auf welche Weise er sie am besten erwerben möge?
Laches: Wir könnten es ganz und gar nicht, wie mich wenigstens dünkt, o Sokrates.
Sokrates: Behaupten wir also, o Laches, daß wir wissen, was sie ist?
Laches: Freilich wollen wir das.
Sokrates: Wovon wir aber wissen, davon müssen wir doch auch sagen können was es ist?
Laches: Wie sollten wir nicht.
Sokrates: Laß uns aber nicht, o Bester, nach der ganzen Tugend sogleich fragen, denn vielleicht wäre dies Geschäft zu groß, sondern von einem Teile derselben zuerst sehen, ob wir tüchtig sind ihn zu verstehen, so wird uns wahrscheinlich die Untersuchung leichter sein.
Laches: Wohl, o Sokrates, laß es uns so machen, wie du willst.
Sokrates: Welchen also sollen wir wählen von den Teilen der Tugend? Oder nicht wahr den gewiß, auf welchen diese Kunst des Fechtens abzuzwecken scheint? und das scheint sie doch den Leuten auf die Tapferkeit?
Laches: Allerdings so scheint es ihnen.
Sokrates: Dieses also wollen wir zuerst versuchen zu erklären was die Tapferkeit ist; dann aber nach diesem auch überlegen, auf welche Art sie den Jünglingen beizubringen wäre, so weit es nämlich möglich ist sie durch Übung und Unterricht beizubringen. Also versuche nun, wie ich sage, zu beschreiben was die Tapferkeit ist.
Laches: Dieses, o Sokrates, ist beim Zeus nicht schwer zu sagen. Denn wenn Jemand pflegt in Reihe und Glied Stand haltend die Feinde abzuwehren und nicht zu fliehen, so wisse daß ein solcher tapfer ist.
Sokrates: Sehr wohl zwar gesprochen, o Laches; vielleicht aber bin ich, weil ich mich nicht deutlich erklärt, Schuld daran, daß du nicht dasjenige geantwortet hast, was ich im Sinne hatte bei meiner Frage, sondern etwas anderes.
Laches: Wie meinst du dieses, o Sokrates?
Sokrates: Ich will es dir erklären, wenn ich es nur werde im (191) Stande sein. Tapfer freilich ist auch der, den du beschreibst, der im Gliede Stand haltend gegen die Feinde ficht.
Laches: So wenigstens behaupte ich.
Sokrates: Ich gewiß auch. Aber was ist doch der, welcher fliehend gegen die Feinde ficht, und nicht Stand haltend?
Laches: Wie doch fliehend?
Sokrates: Wie ja von den Skythen gesagt wird, daß sie nicht minder fliehend als verfolgend den Feind bekriegen. Und auch Homeros, indem er irgendwo die Pferde des Aeneias lobt, sagt: Dort zu sprengen und dort, verständen sie, in Verfolgungen und in Entfliehung. Ja auch den Aeneias selbst lobt er in dieser Hinsicht daß er sich auf die Furcht verstände, und nennt ihn Meister des Schreckens.
Laches: Und das sehr richtig, o Sokrates, denn er spricht von Wagen, und so auch du meinst das von den Skythen in Beziehung auf die Reuter; denn die Reuter bei ihnen fechten so, das Fußvolk der Hellenen aber so wie ich sage.
Sokrates: Ausgenommen doch wohl, o Laches, das der Lakedaimonier; denn von diesem wird erzählt, als es bei Plataiai auf die Schildträger gestoßen, habe es nicht Stand haltend fechten gewollt, sondern sei geflohen, nachdem aber die Reihen der Perser sich getrennt, habe es umkehrend wie Reuter gefochten, und dadurch in jener Schlacht gesiegt.
Laches: Richtig.
Sokrates: Das ist nun eben was ich meinte, ich wäre Schuld daran, daß du nicht recht geantwortet hast, weil ich dich nicht recht gefragt habe; denn ich wollte nicht nur erfahren, welches die Tapfern im Fußvolke wären, sondern auch in der Reuterei, und in Allem was zum Kriege gehört; und nicht nur die im Kriege, sondern auch die Tapfern in den Gefahren zur See, ferner auch die, welche in Krankheiten und in Armut und in der Staatsverwaltung tapfer sind, ja noch mehr nicht nur die gegen den Schmerz tapfer sind und gegen die Furcht, sondern auch die gegen Begierden und Lust stark sind zu fechten, und sowohl Stand haltend als umwendend. Denn es sind doch Einige, o Laches, auch in diesen Dingen tapfer?
Laches: Gar sehr, o Sokrates.
Sokrates: Tapfer also sind alle diese, aber Einige beweisen in der Lust, Einige in der Unlust, Einige in der Begierde, Einige in der Furcht ihre Tapferkeit: Andere aber dagegen, meine ich, Feigheit eben hierin?
Laches: Allerdings.
Sokrates: Was ist wohl jede von diesen? darnach fragte ich. Noch einmal also versuche zuerst die Tapferkeit zu erklären, was doch seiend sie in allem diesem dasselbige ist. Oder verstehst du noch nicht, was ich meine?
Laches: Noch nicht recht.
Sokrates: Ich meine es so, als wenn ich fragte, was wohl die Geschwindigkeit ist, was sie nämlich sowohl im Laufen ist, als (192) in der Musik, im Reden, im Lernen und in vielen andern Dingen, und fast haben wir sie ja in allem wovon nur der Mühe lohnt zu reden sowohl in den Verrichtungen der Hände als der Füße, des Mundes und der Stimme oder auch des Verstandes. Oder meinst du nicht auch so?
Laches: Allerdings.
Sokrates: Wenn nun Jemand mich fragte, wie erklärst du dieses, o Sokrates, was du in allen Dingen Geschwindigkeit nennst, so würde ich sagen, daß ich die in kurzer Zeit vieles vollbringende Kraft Geschwindigkeit nenne, sowohl in der Stimme als im Lauf und in allen andern Dingen.
Laches: Sehr gut wäre dieses erklärt.
Sokrates: Versuche also auch du, o Laches, so die Tapferkeit zu erklären, welche Kraft wohl seiend dieselbe in der Lust und Unlust und allen andern Dingen, worin wir sagten, daß sie statt habe, sie Tapferkeit genannt wird.
Laches: So dünkt sie mich denn eine gewisse Beharrlichkeit der Seele zu sein, wenn ich doch das in allem sich findende von der Tapferkeit sagen soll.
Sokrates: Das mußt du allerdings, wenn wir uns die Frage wirklich beantworten wollen. Dieses ist mir indes deutlich, daß doch nicht jede Beharrlichkeit, glaube ich, dir als Tapferkeit erscheint. Ich schließe es aber hieraus, das nämlich weiß ich doch, daß du die Tapferkeit unter die vortrefflichen Dinge rechnest.
Laches: Davon halte dich überzeugt, unter die allervortrefflichsten.
Sokrates: Also ist die Beharrlichkeit mit Verstand wohl gut und vortrefflich?
Laches: Allerdings.
Sokrates: Wie aber die mit Unverstand? ist diese nicht im Gegensatz von jener schädlich und verderblich?
Laches: Ja.
Sokrates: Vortrefflich also, wolltest du behaupten, wäre was so schädlich ist und verderblich?
(193) Laches: Keinesweges wäre das recht, o Sokrates.
Sokrates: Also wirst du auch nicht zugeben, daß eine solche Beharrlichkeit Tapferkeit ist, da sie ja nicht vortrefflich ist, die Tapferkeit aber etwas vortreffliches.
Laches: Richtig.
Sokrates: Die verständige Beharrlichkeit also wäre nach deiner Rede Tapferkeit?
Laches: So sieht es aus.
Sokrates: Laß uns also sehen, ist es die in etwas gewissem, oder die in allen Dingen verständige, sie seien groß oder klein. Wie wenn Jemand im Geldausgeben verständig beharrte, wohl wissend, daß er durch das Ausgeben gewinnen wird, möchtest du diesen tapfer nennen?
Laches: Beim Zeus, ich nicht.
Sokrates: Wie aber wenn ein Arzt, den sein Sohn oder sonst ein mit der Lungenentzündung behafteter bäte, er solle ihm zu essen oder zu trinken geben, sich doch nicht erweichen ließe, sondern auf der Weigerung beharrte?
Laches: Keinesweges, auch nicht diese.
Sokrates: Aber einen im Kriege beharrlichen und zum Streite Mut behaltenden, welcher es verständig berechnete, weil er wüßte, daß nicht nur Andere ihm zu Hülfe kommen werden; sondern auch, daß er gegen Wenigere und Schlechtere zu fechten hat, als die zu denen er selbst gehört, und überdies noch mehr durch seinen Standort begünstiget ist, würdest du diesen mit solcher Kenntnis und solchen Hülfsmitteln beharrenden für tapferer erklären, oder den der in dem entgegenstehenden Heere noch Lust hätte Stand zu halten und auszudauern?
Laches: Mich dünkt den im entgegenstehenden Lager, o Sokrates.
Sokrates: Aber dessen Beharrlichkeit ist ja doch unverständiger als die des Andern.
Laches: Das ist wahr.
Sokrates: Und wirst du wohl den mit der Reitkunst in einem Reutergefecht aushaltenden weniger für tapfer erklären als den ohne diese Kunst?
Laches: Mich wenigstens dünkt es so.
Sokrates: Also auch den der mit der Fertigkeit des Schleuderns oder des Bogenschießens oder irgend einer andern beharrt?
Laches: Freilich.
Sokrates: Und welche in den Brunnen springen und im Untertauchen auszuharren denken, oder in sonst etwas dergleichen, wiewohl sie in der Sache nicht stark sind, die, behauptest du, wären tapferer als die, welche stark darin sind?
Laches: Was sollte Einer denn anders behaupten, o Sokrates?
Sokrates: Nichts, wenn er es wirklich so meint.
Laches: Aber ich meine es freilich so.
Sokrates: Doch aber, o Laches, gefährden sich diese und beharren unverständiger als die dasselbe mit der Kunst tun.
Laches: So scheinen sie.
Sokrates: Und hatte sich nicht die unverständige Kühnheit und Beharrung in dem vorigen als schlecht und verderblich gezeigt?
Laches: Freilich wohl.
Sokrates: Die Tapferkeit aber waren wir übereingekommen sei etwas vortreffliches?
Laches: Darin waren wir übereingekommen.
Sokrates: Nun aber behaupten wir wieder, jenes schlechte, die unverständige Beharrung, sei Tapferkeit?
Laches: Das behaupteten wir offenbar.
Sokrates: Dünkt dich also, daß wir etwas richtiges sagen?
Laches: Beim Zeus, o Sokrates, mich nicht.
Sokrates: Wir beide sind also wohl nicht, deiner Rede zufolge, dorisch gestimmt, ich und du, o Laches; die Taten nämlich sind uns nicht im Einklang mit den Reden. Denn in den Taten möchte Einer wohl sagen, wie es scheint, daß wir die Tapferkeit besäßen, in den Reden aber glaube ich wohl nicht, wenn er jetzt unser Gespräch hörte.
Laches: Sehr wahr ist dieses.
Sokrates: Wie also? dünkt es dich gut zu sein, daß es so um uns steht?
Laches: Auch nicht im geringsten.
Sokrates: Willst du also, daß wir dem, was wir behaupten, wenigstens so weit gehorchen?
(194) Laches: Wie weit doch, und welchem?
Sokrates: Der Behauptung, welche zu beharren befiehlt. Wenn du nämlich willst, so wollen auch wir der Untersuchung Stand halten und beharren, damit doch grade die Tapferkeit uns nicht auslache, daß wir sie nicht tapfer suchen, wenn doch vielleicht eben die Beharrung Tapferkeit ist.
Laches: Ich wenigstens bin bereit, o Sokrates, nicht eher abzulassen, ob schon ich ungewohnt bin solcher Reden. Aber es hat mich ordentlich ein Eifer ergriffen über das gesagte, und ich bin ganz unwillig, wie ich, was ich in Gedanken habe, so gar nicht im Stande bin zu sagen. Denn in Gedanken glaube ich es doch zu haben, was die Tapferkeit ist; ich weiß aber nicht, wie sie mir jetzt entgangen ist, daß ich sie nicht ergreifen konnte in der Rede, und heraussagen, was sie ist.
Sokrates: Nicht so, Lieber, der gute Jäger muß nachsetzen und nicht ablassen?
Laches: Auf alle Weise freilich.
Sokrates: Willst du also, daß wir auch den Nikias hier herbeirufen zur Jagd, ob er etwa mehr ausrichten kann als wir?
Laches: Ich will es wohl; warum sollte ich nicht?
Sokrates: Hieher also, Nikias! Guten Freunden, die eine stürmische Fahrt haben in der Untersuchung und nicht vorwärts können, komm zu Hülfe, wenn du etwas vermagst. Denn unser Tun siehst du wie es nichts fördert. Sage du also, was du glaubst daß die Tapferkeit sei, um dadurch sowohl uns aus der Verlegenheit zu erlösen, als auch dir selbst, was du im Sinne hast durch die Rede noch fester zu begründen.
Nikias: Ihr dünkt mich also schon lange, o Sokrates, die Tapferkeit nicht recht bestimmt zu haben. Denn was ich dich sonst schon sehr richtig habe sagen gehört, das wendet ihr nicht an.
Sokrates: Was doch, o Nikias?
Nikias: Oft habe ich dich sagen gehört, darin wäre Jeder von uns gut, worin er klug ist, worin aber dumm, darin auch schlecht.
Sokrates: Wahr ist, beim Zeus, was du sagst, o Nikias.
Nikias: Also wenn der Tapfere gut ist, ist er offenbar auch klug?
Sokrates: Hast du gehört, o Laches?
Laches: Ich habe wohl, nur verstehe ich eben nicht sehr was er meint.
Sokrates: Ich aber glaube es zu verstehen, nämlich mich dünkt der Mann zu meinen, die Tapferkeit sei irgend eine Klugheit.
Laches: Was doch für eine Klugheit, o Sokrates!
Sokrates: Willst du das nicht von diesem lieber erfragen?
Laches: Das tue ich.
Sokrates: So komm denn, o Nikias, und sage ihm, was doch für eine Klugheit die Tapferkeit sein soll, nach deiner Rede. Denn die des Flötenbläsers ist sie doch nicht?
Nikias: Keinesweges.
Sokrates: Auch nicht dessen, der die Lyra spielt?
Nikias: Eben so wenig.
Sokrates: Also was für eine Erkenntnis ist sie denn und wovon?
Laches: Ganz recht fragst du ihn das, o Sokrates, und er sage also was für eine er behauptet, daß sie sei.
Nikias: Diese, o Laches, die Erkenntnis des gefährlichen und des unbedenklichen im Kriege sowohl als in allen andern (195) Dingen.
Laches: Was für ungereimte Dinge er redet, o Sokrates!
Sokrates: Weshalb meinst du denn das, o Laches?
Laches: Weshalb? Klugheit ist doch wohl etwas ganz anderes als Tapferkeit!
Sokrates: Nein, meint eben Nikias.
Laches: Freilich meint er nein, und eben das ist verwirrt geredet.
Sokrates: So laß uns ihn belehren aber nicht schmähen.
Nikias: Freilich nicht. Aber Laches dünkt mich nur zu wünschen, daß ich mich auch als einen zeigen möchte der Nichts sagt, weil er sich eben als einen solchen gezeigt hat.
Laches: Allerdings, o Nikias, und ich will wenigstens versuchen, es zu beweisen; denn du sagst auch Nichts. Nämlich gleich in Krankheiten, erkennen da nicht die Ärzte das gefährliche? oder scheinen dir die Tapfern es zu erkennen? oder nennst du die Ärzte tapfer?
Nikias: Keinesweges.
Laches: Auch wohl nicht die Landwirte glaube ich; wiewohl das im Ackerbau furchtbare grade diese erkennen, und so auch alle Gewerbetreibende erkennen jeder in seiner Kunst das gefährliche und das unbedenkliche; aber keinesweges sind sie deshalb tapfer.
Sokrates: Was dünkt dich Laches zu sagen, o Nikias? Es sieht doch aus als sagte er etwas.
Nikias: Er sagt auch wohl etwas, aber nur nichts Richtiges.
Sokrates: Wieso?
Nikias: Weil er meint die Ärzte wüßten noch etwas mehr von den Kranken, als daß sie sagen können, was ihnen gesund ist und ungesund; in der Tat aber wissen sie nur dieses. Ob aber Einem eben dieses gefährlich ist, das Gesundsein mehr als das Kranksein, glaubst du, o Laches, daß dies die Ärzte wissen? Oder meinst du nicht, daß es Vielen besser ist von der Krankheit nicht aufzukommen als aufzukommen? Hierüber erkläre dich, behauptest du, daß es für Alle besser ist zu leben, und nicht für Viele besser zu sterben?
Laches: Ich dieses letztere.
Nikias: Welchen also das Sterben dienlich ist, glaubst du daß denen dasselbe gefährlich ist, als welchen das Leben?
Laches: Nicht ich.
Nikias: Und dieses zu erkennen schreibst du den Ärzten zu? oder irgend einem der ein anderes Geschäft treibt, außer dem, der sich auf das gefährliche und unbedenkliche versteht, und welchen eben ich tapfer nenne?
Sokrates: Merkst du nun, o Laches, was er meint?
Laches: O ja, daß er nämlich die Wahrsager tapfer nennt. Denn welcher Andere kann wissen wem besser ist zu leben oder zu sterben? Du selbst aber, o Nikias, welches behauptest du, daß du ein Wahrsager bist? oder weder ein Wahrsager noch auch tapfer?
Nikias: Wie denn? meinst du nun wieder dem Wahrsager komme zu das gefährliche zu erkennen und das unbedenkliche?
Laches: Das meine ich. Wem sonst?
Nikias: Dem weit mehr, welchen ich meine, o Bester. Denn der Wahrsager soll nur die Zeichen dessen erkennen, was geschehen wird, ob einem Tod oder Krankheit oder Verlust des Vermögens bevorsteht, ob Siegen oder Besiegtwerden im Kriege oder in jedem andern Kampf. Was aber einem besser (196) ist von diesen Dingen zu erfahren oder nicht zu erfahren, wie sollte das mehr dem Wahrsager zu beurteilen zukommen als Jedem Andern sonst?
Laches: Nein diesen kann ich nicht begreifen, o Sokrates, was er sagen will. Denn weder ist es der Wahrsager noch der Arzt, noch stellt er sonst einen auf, den er für tapfer erklärt, wo er nicht etwa nur irgend einen Gott dafür erklärt. Mir nun scheint nur Nikias nicht ehrlich gestehen zu wollen, daß er Nichts gesagt hat, sondern er windet sich hin und her, um seine Verlegenheit zu verbergen. Das aber hätten wir auch vorher gekonnt, ich und du, uns so winden, wenn wir gestrebt hätten nicht das Ansehn zu haben, daß wir uns selbst widersprächen. Wenn nun unsere Reden vor Gericht wären, so hätte er vielleicht nicht ganz unrecht es so zu machen; nun aber, weshalb sollte wohl einer in solchem Zusammensein sich unnützerweise mit leeren Worten schmücken?
Sokrates: Das dünkt mich auch zu nichts zu führen, o Laches. Aber laß uns sehen, ob nicht Nikias wirklich glaubt etwas zu sagen, und nicht bloß um zu streiten dieses vorträgt? Laß uns daher ihn noch genauer ausforschen, was er wohl meint; und wenn sich zeigt, daß etwas Richtiges darin liegt, so wollen wir es ihm zugestehen, wo aber nicht, so wollen wir ihn belehren.
Laches: Forsche du also weiter, Sokrates, wenn du willst; denn ich habe, denk ich, schon genug ausgeforscht.
Sokrates: Nichts hindert mich, denn die Nachforschung wird gemeinschaftlich sein für mich sowohl als dich.
Laches: Allerdings.
Sokrates: Sage mir also, o Nikias, oder vielmehr uns, denn ich und Laches haben gemeinschaftliche Sache, die Tapferkeit, sagst du, wäre die Erkenntnis des gefährlichen und des unbedenklichen.
Nikias: Das sage ich.
Sokrates: Und dieses wäre nicht Jedermanns Sache zu erkennen, da ja weder der Arzt noch der Wahrsager es wissen soll, also auch nicht tapfer sein, wenn er nicht jene Erkenntnis besonders erlangt hat. Meintest du es nicht so?
Nikias: So allerdings.
Sokrates: Nach dem Sprüchwort also wird in der Tat nicht jedes Schwein dieses wissen, noch auch tapfer sein.
Nikias: Nein wie ich denke.
Sokrates: Offenbar also, o Nikias, wirst du auch von dem krommyonischen Schwein nicht glauben es sei tapfer gewesen. Und das sage ich nicht scherzend, sondern ich meine, es ist notwendig für den, der dieses behauptet, keinem Tiere Tapferkeit zuzugestehen oder zuzugeben, irgend ein Tier sei so weise, daß was wenige Menschen wissen, weil es schwer einzusehen ist, dieses dennoch ein Löwe oder Tiger oder Eber wissen könne; sondern vielmehr, daß Löwe und Hirsch, Stier und Affe, was Tapferkeit betrifft, gleicher Natur sind, muß derjenige behaupten, der die Tapferkeit so erklärt, wie du sie erklärst.
(197) Laches: Bei den Göttern, und sehr richtig ist, was du sagst, und beantworte uns doch dieses nach der Wahrheit, o Nikias, ob du behauptest weiser als wir wären diese Tiere, denen wir alle zugestehen, daß sie tapfer sind, oder ob du allen widersprechend wagest, sie auch nicht tapfer zu nennen?
Nikias: Niemals, o Laches, werde ich weder ein Tier noch sonst ein Wesen tapfer nennen, was nur aus Unwissenheit das gefährliche nicht fürchtet, sondern furchtlos und töricht nenne ich es. Oder meinst du, ich nenne auch alle Kinder tapfer, welche sich aus Unwissenheit vor nichts fürchten. Sondern ich meine, furchtlos und tapfer ist nicht dasselbe. Denn Tapferkeit und Vorsicht findet sich nur bei sehr Wenigen, denke ich; Verwegenheit aber und Kühnheit und furchtloses Wesen mit Unvorsichtigkeit bei gar vielen Männern sowohl als Frauen und Kindern und Tieren. Das also, was du mit den Meisten tapfer nennst, nenne ich nur kühn, tapfer aber nur, was verständig ist in der Art wie ich sagte.
Laches: Nun sieh nur, o Sokrates, wie schön dieser sich selbst, seiner Meinung nach, durch seine Erklärung schmückt, denen aber Alle zugestehen daß sie tapfer sind, die untersteht er sich dieser Ehre zu berauben.
Nikias: Ganz und gar nicht, o Laches! sei guten Mutes; denn ich behaupte eben, daß du klug bist, und Lamachos wohl auch, weil ihr ja tapfer seid und noch verschiedene andere Athener.
Laches: Ich werde nichts hierauf sagen, obschon ich könnte, damit du nicht etwa sagen mögest, ich wäre ein rechter Aixoneer.
Sokrates: Sage auch nur ja nichts, o Laches. Denn mich dünkt, du merkst noch gar nicht, daß Nikias diese Weisheit von unserem Freunde Damon überkommen hat; Damon aber ist sehr genau bekannt mit dem Prodikos, welcher dafür gilt am besten unter allen Sophisten solche Wörter zu unterscheiden.
Laches: Ja wohl, o Sokrates, ziemt es auch besser einem Sophisten sich mit solchen Dingen zu rühmen, als einem Manne, den die Stadt wert achtet ihr vorzustehen.
Sokrates: Das aber ziemt sich doch auch, du Stolzer, daß der, dem das größte anvertraut wird, auch die größte Weisheit besitze. Mich dünkt daher, es verdient wohl näher erwogen zu werden, worauf doch Nikias eigentlich geht bei seiner Erklärung dieses Wortes der Tapferkeit.
Laches: So untersuche du es denn selbst, o Sokrates.
Sokrates: Das will ich soeben tun, o Bester. Glaube jedoch nicht, daß ich dich losgeben werde aus der Gemeinschaft der Rede, sondern merke wohl auf und erwäge mit was gesagt wird.
Laches: Das soll geschehen, sofern du es nötig findest.
Sokrates: So finde ich es allerdings. Du aber, Nikias, sage uns noch einmal von Anfang an. Du weißt doch, daß wir im Anfang unseres Gesprächs nach der Tapferkeit fragten, als nach einem Teile der Tugend?
(198) Nikias: Sehr gut.
Sokrates: Also auch du hast dieses so beantwortet als einen Teil, so daß es noch andere Teile gibt, welche insgesamt Tugend genannt werden.
Nikias: Wie sonst?
Sokrates: Meinst auch du wohl dieselben die ich meine? Ich nenne nämlich außer der Tapferkeit auch noch die Besonnenheit, und die Gerechtigkeit und einige Andere dergleichen. Nicht auch du?
Nikias: Allerdings.
Sokrates: Halt also; denn hierüber wären wir einig, aber wegen des furchtbaren und des unbedenklichen, laß uns zusehen, damit nicht etwa du darunter etwas Anderes verstehst und wir wieder etwas anderes. Was nun wir darunter verstehen, wollen wir dir anzeigen, wenn aber du nicht einig damit bist, wirst du uns davon belehren. Wir nämlich halten das für gefährlich was Furcht macht, für unbedenklich aber das, was keine Furcht macht, Furcht aber machen weder die vergangenen Übel noch die gegenwärtigen, sondern die, welche erwartet werden; denn Furcht ist die Erwartung eines bevorstehenden Übels. Oder dünkt es eben so nicht auch dich, o Laches?
Laches: Gar sehr eben so, o Sokrates.
Sokrates: Das unsrige also, o Nikias, hörst du, daß wir sagen: künftige Übel wären das gefährliche, das unbedenkliche aber wäre dasjenige Zukünftige was entweder nicht übel ist, oder gut. Du aber, erklärst du dich eben so oder anders hierüber?
Nikias: Eben so ich.
Sokrates: Und die Erkenntnis hievon nennst du Tapferkeit?
Nikias: Ganz recht.
Sokrates: Nun laß uns auch noch das dritte sehn, ob du darin gleicher Meinung bist mit uns.
Nikias: Was doch ist dieses?
Sokrates: Ich will es dir sagen. Es dünkte nämlich mich und diesen, daß wovon immer es eine Erkenntnis gibt, davon gebe es nicht eine eigne für das was geschehen ist zu wissen wie es geschah, und wieder eine eigne für das was geschieht, wie es geschieht, und noch eine andere wie das am besten wirklich werden und geschehen könnte was noch nicht geworden ist, sondern eine und dieselbe. Zum Beispiel was die Gesundheit anbetrifft übersieht für alle Zeiten keine andere als die Arzneikunst, die Eine ist, das geschehende sowohl als das geschehene, und das was geschehen wird wie es geschehen wird. Und gegen das was aus der Erde wächst, verhält sich die Kunst der Landwirtschaft eben so. Und gar was den Krieg betrifft könnt ihr selbst bezeugen, daß die Kriegskunst am besten nicht nur das übrige bedenkt, sondern auch das was geschehen wird, und daß sie auch der Kunst des Wahrsagers nicht glaubt dienen sondern befehlen zu müssen, weil sie nämlich besser versteht was in Beziehung auf den Krieg geschieht und geschehen wird. Eben so verordnet auch das Gesetz, daß (199) nicht der Wahrsager dem Heerführer befehle, sondern der Heerführer dem Wahrsager. Wollen wir dies behaupten, o Laches?
Laches: Wir wollen.
Sokrates: Wie aber du, o Nikias? stimmst du uns bei, daß in Beziehung auf dieselben Dinge auch dieselbe Erkenntnis sowohl das was sein wird als auch das werdende und gewordene verstehe?
Nikias: Ich stimme ein, denn es dünkt mich so, o Sokrates.
Sokrates: Also, o Bester, auch die Tapferkeit ist die Erkenntnis des gefährlichen und des unbedenklichen, wie du behauptest. Nicht wahr?
Nikias: Ja.
Sokrates: Das gefährliche aber und das unbedenkliche war uns auch einstimmig dieses das künftige Gute, jenes das künftige Übel.
Nikias: Ganz recht.
Sokrates: Und daß es nur eine und dieselbe Erkenntnis gebe für einerlei Dinge, sie mögen nun künftig sein oder sich sonst wie verhalten?
Nikias: So ist es.
Sokrates: Nicht also allein des gefährlichen und des unbedenklichen Erkenntnis ist die Tapferkeit. Denn nicht nur auf die künftigen Güter und Übel versteht sie sich, sondern auch auf die, welche da sind und gewesen sind, und wie sie sich immer verhalten mögen, eben wie die übrigen Erkenntnisse.
Nikias: So sieht es aus.
Sokrates: Also etwa ein Dritteil der Tapferkeit, o Nikias, hast du uns angegeben in deiner Antwort, da wir doch nach der ganzen Tapferkeit fragten was sie sei. Und auch jetzt wie es scheint ist nach deiner Rede die Erkenntnis nicht nur des gefährlichen und unbedenklichen, sondern überhaupt die Erkenntnis aller Güter und Übel, wie sich auch jedes verhalte, würde, wie jetzt wieder deine Rede lautet, Tapferkeit sein. So wieder umzuändern, o Nikias, oder wie meinst du?
Nikias: Ich denke so, o Sokrates.
Sokrates: Dünkt dich denn aber, du Wunderbarer, dem noch irgend etwas von der Tugend zu fehlen, welcher Erkenntnis hätte von allen Gütern in jeder Art, wie sie entstehen und entstehen werden und entstanden sind, und eben so auch von den Übeln? Und derjenige glaubst du bedürfe noch irgend Besonnenheit oder Gerechtigkeit oder Frömmigkeit, welchem allein schon eigen ist gegen Götter sowohl als Menschen das gefährliche zu vermeiden und das nicht solche und das gute ins Werk zu richten, und der also weiß sich recht gegen sie zu verhalten?
Nikias: Dies scheint mir etwas gesagt zu sein, o Sokrates.
Sokrates: Nicht also ein Teil der Tugend wäre das jetzt von dir beschriebene, sondern die gesamte Tugend?
Nikias: So sieht es aus.
Sokrates: Wir aber behaupteten doch die Tapferkeit wäre nur einer von den Teilen der Tugend.
Nikias: Das behaupteten wir freilich.
Sokrates: Das jetzt beschriebene aber erscheint nicht so.
Nikias: Es sieht nicht so aus.
Sokrates: Wir haben also nicht gefunden, o Nikias, was die Tapferkeit ist?
Nikias: Wir scheinen nicht.
Laches: Ich aber, o lieber Nikias, glaubte gewiß du werdest (200) sie finden, da du mich so weit übersahest als ich dem Sokrates antwortete. Gar große Hoffnung hatte ich gewiß, daß vermittelst der Weisheit vom Damon her du sie finden würdest.
Nikias: Wahrlich schön, o Laches, daß du das für gar nichts mehr rechnest, daß du selbst dich eben gezeigt hast als ein von der Tapferkeit nichts wissender, sondern nur, ob auch ich ebenfalls als ein solcher erscheinen werde, darauf siehst du, und machst dir nun nichts mehr daraus wie es scheint, wenn nur mit mir, nichts zu wissen von dem, wovon doch einem Manne der sich etwas zu sein dünkt Erkenntnis zu haben geziemt. Du also scheinst mir recht das menschliche zu tun, nicht auf dich selbst zu sehn, sondern nur auf die andern. Ich aber glaube über dasjenige wovon die Rede war schon jetzt mich ganz erträglich erklärt zu haben, und sollte etwas darin noch nicht hinlänglich erklärt sein, es noch in der Folge zu berichtigen mit dem Damon sowohl, den du auslachen zu dürfen glaubst ohne ihn doch jemals gesehen zu haben, als auch mit Anderen. Und wenn ich es recht werde begründet haben will ich es auch dich lehren und es dir nicht vorenthalten, denn du dünkst mich noch gar sehr des Lernens zu bedürfen.
Laches: Du freilich bist sehr klug, Nikias. Dennoch aber gebe ich dem Lysimachos hier und dem Melesias den Rat nach dir und mir, was die Erziehung der Jünglinge betrifft, nicht weiter zu fragen, sondern nur den Sokrates hier, wie ich auch gleich anfangs sagte, ja nicht loszulassen. Denn wenn meine Söhne schon das Alter dazu hätten, würde ich dasselbige auch tun.
Nikias: Dagegen wende auch ich nichts ein, wenn nämlich Sokrates sich der jungen Leute annehmen will, daß sie ja keinen Andern suchen sollen. Wie auch ich den Nikeratos am liebsten ihm übergeben möchte wenn er nur wollte; allein er empfiehlt mir jedesmal Andere, wenn ich ihm davon erwähne, selbst aber will er nicht. Sieh du also zu, o Lysimachos, ob dir Sokrates besser gehorchen wird.
Lysimachos: Das sollte er wohl billig, o Nikias. Denn auch ich möchte ihm gern vieles tun, was ich nicht eben vielen Andern tun würde. Was sagst du also, o Sokrates? Wirst du gehorchen, und mit zu dem Besserwerden der Jünglinge helfen?
Sokrates: Das wäre ja wohl arg, o Lysimachos, irgend Jemanden nicht helfen zu wollen zu seinem Besserwerden. Wenn also in unsern jetzigen Gesprächen ich mich gezeigt hätte als einen Kundigen, diese beiden aber sich als Unkundige, dann möchte es billig sein mich vorzüglich zu diesem Geschäfte zu berufen; nun wir aber Alle auf gleiche Weise in Verlegenheit gewesen sind, wie könnte wohl Jemand Einen von uns besonders vorziehn? Mir meines Teils dünkt das Keinem zu gebühren. Sondern da die Sache sich so verhält, so erwäget ob dies euch ein guter Rat dünkt, den ich geben will. Ich nämlich sage: Ihr Männer, denn keine auszubringende Rede (201) ist es, wir müssen alle gemeinschaftlich zuerst für uns selbst den besten Lehrer suchen den wir bekommen können, denn wir bedürfen seiner, dann aber auch für die jungen Männer, und weder Geld dabei schonen noch sonst etwas. Es aber dabei bewenden zu lassen, wie es jetzt mit uns bewandt ist, das rate ich nicht. Sollte uns aber Jemand auslachen wollen, daß wir so alt schon noch Lehrer besuchen wollen: so dünkt mich müssen wir uns mit dem Homeros schützen, welcher gesagt hat: Nicht gut sei Scham dem darbenden Manne. Auch wir also wollen es gut sein lassen wenn einer etwas sagt, und gemeinschaftlich für uns und für die Jünglinge Sorge tragen.
Lysimachos: Mir meines Teils gefällt, o Sokrates, was du sagst; und ich will so viel ich der älteste bin, so viel auch der bereitwilligste sein mit den jungen Leuten zugleich zu lernen. Das aber tue mir, komme morgen früh zu mir zu Hause und verfehle es ja nicht, damit wir weiter Rat pflegen können über eben diese Sache. Für jetzt aber müssen wir auseinander gehn.
Sokrates: Ja das werde ich tun, o Lysimachos, und morgen früh zu dir kommen, so Gott will.