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In der Übersetzung von
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Schon das Altertum hatte Zweifel gegen die Ächtheit dieses Gespräches, indem Einige es dem Xenophon beilegten. Hiezu nun gab es freilich keine besondern Gründe, am wenigsten eine bestimmte Ähnlichkeit der Schreibart; und vielmehr dürfte diese Vermutung wohl von jedem Sprachkenner gradezu abgewiesen werden. Allein nur um desto eher läßt sich glauben, daß wenigstens irgend ein bestimmter Grund vorhanden gewesen um dies kleine Werk dem Platon abzusprechen; doch es bedarf in der Tat nichts eines solchen Zeugnisses um ein entschiedenes Verwerfungsurteil daran zu hängen, wiewohl dies Gespräch von ganz anderer Beschaffenheit ist als die bisher verworfenen oder bezweifelten. Nämlich Mancher könnte vielleicht sagen, es sei besser in vieler Hinsicht, Jeder aber wird gewiß gestehen müssen, es sei auch weit unplatonischer in den Gedanken, in der Anordnung und auch in der Ausführung. Denn was zuerst den Inhalt betrifft: so haben die Erklärer sonst sich gefreut, hier die reine Lehre des Sokrates vom Gebet anzutreffen; und dies ist vornehmlich die Ursach warum dem Gespräch sein Platz grade hier ist angewiesen worden, um nämlich auf den »Euthyphron« und die »Verteidigung« gleich zurückzuweisen. Denn eine Lehre des Sokrates beim Platon rein auffinden kann doch immer nur heißen untermischt mit den Lehren anderer Weisen, nicht aber ganz entfremdet von der Art wie nun Platon einmal für immer den Sokrates aufgefaßt hatte. Wie wollte nun Jemand der die Andeutungen des »Euthyphron« und den Geist der »Verteidigung« verstanden hat, dies für eine sokratische Lehre annehmen, daß die Götter ohne bestimmten Grundsatz und ohne selbst das Beste zu erwägen bald gewähren und bald verweigern, ja daß man den Fall als möglich setzen dürfe, sie böten an, was dem Menschen anzunehmen gefährlich sein könnte? oder daß nach vollbrachten schönen Taten den Tod zu finden oder aus der Stadt verbannt zu leben ein großes Übel wäre, welches zu vermeiden man große Vorsicht anwenden müsse? Vielmehr ist ja offenbar jene Lehre von den Göttern eine solche von denen Sokrates im »Euthyphron« sagt, daß eben vielleicht weil er dergleichen nicht annehme, wenn es Jemand von den Göttern behaupte, er verläumdet und der Gottlosigkeit verklagt werde. Und eben so augenscheinlich streitet die letzte Ansicht mit allen in der »Verteidigung« dem Sokrates selbst beigelegten Begriffen, um nicht von andern platonischen Gesprächen zu reden die der Verfasser von diesem hier gewiß vor Augen gehabt. Und dann, sei nun der Gedanke sokratisch oder nicht, wie schlecht ist er doch ausgeführt. Denn so lange Voraussetzung von der Götter unstetem und unzuverlässigem Sinne bestehen bleibt, was hilft es doch daß man um zu beten die Erkenntnis des Besten abwarte, wenn sie doch auch dieses nach Gutdünken verweigern. Wollte aber Jemand sagen, Platon habe eben durch diesen Widerspruch jene Voraussetzung vernichten wollen: so fehlt es eben ganz sowohl am Ende an jeder Aufzeigung des Widerspruches wie im »Protagoras« und andern ähnlichen Fällen, als auch im Laufe des Gesprächs an jeder in solchem Falle dem Platon nicht zu erlassenden Spur von Ironie. Allein genauer betrachtet soll gewiß auch nach der Absicht des Verfassers die Lehre vom Gebet gar nicht der Hauptinhalt des Gespräches sein, sondern das von den Vernünftigen und Unvernünftigen, und von dem Verhältnis anderer Künste und Wissenschaften zu der des Guten und Besten. Diese Lehre nun ist freilich platonisch genug, und eine vorläufige Behandlung derselben fände recht ihre Stelle hier in Beziehung auf die bald folgenden Gespräche. Gar nicht platonisch aber und auch sokratisch nicht ist die Art wie sie herbeigeführt wird, denn es war ja wohl Sokrates selbst welcher sagte, daß alle Güter besondere und gemeinschaftliche nur aus der Tugend entstehen könnten und nicht umgekehrt; hier aber wird die Notwendigkeit der Erkenntnis des Besten selbst nur darauf gegründet, weil eben sonst die Sicherheit gefährdet wird und der Staat schlecht geraten muß. Und eben so ist diese Art zu folgern weder sittlich noch wissenschaftlich genug, wie sich schon bis jetzt gezeigt hat und noch mehr für die Zeit seiner späteren Werke zeigen wird, die doch offenbar genug unser Verfasser auch vor Augen gehabt hat. Noch weniger aber ist auch bei diesem Teile des Inhalts die Ausführung des Platon würdig. Denn unmittelbar ehe das letzte Ergebnis recht herauskommt, daß nämlich im Staate diejenigen herrschen müssen, die zur Erkenntnis des Besten gelangt sind, springt Sokrates wieder auf jenes vom Gebet zurück, was doch nur Einfassung des Ganzen sein kann. Ja noch eher zerstört er schon das Werk durch die Behauptung, daß die Unwissenheit selbst gewissermaßen ein Gut sein könne, eine Behauptung, welche in Ermangelung des Besseren noch ein ungeselliges ungebildetes von vorn anfangendes Leben übrig läßt, wie es denen, welche die kynischen Grundsätze mißverstanden, sich aufdrängte, von welchen sich überhaupt hier manche Spur findet, jedoch auch nicht ohne Widerspruch. Die Anordnung ferner, wie nämlich dieses von der Kenntnis des Besten mit jenem vom Gebet verknüpft ist, muß jedem so willkürlich scheinen und so von aller Kunst entblößt, daß es nicht möglich ist den Platon mit einem solchen Werke zu beladen. Und eben so was die Ausführung betrifft ist das unplatonische im Ganzen, die schlechten Reden des Sokrates und die erbärmlichen Formeln mit denen er, um das Gespräch, das ihm unter den Händen reißt, wieder anzuknüpfen, des Alkibiades Meinung darüber fordert, die gar wenige Benutzung und Auszeichnung des Alkibiades, die Unklarheit in allem Beiwerk, und was man noch mehr anführen könnte, so hervorstechend, daß einzelne Wendungen, die platonisch genug herauskommen, gar kein Bedenken gegen die Unächtheit erregen können, sondern nur das Urteil befestigen, der Verfasser habe zwar fleißig genug seinen Meister gelesen, sei aber doch in den Geist weniger eingedrungen als in die Sprache, und unfähig gewesen ihm die eigentlichen Geheimnisse abzulernen.
Beiläufig wird so auch Platon von einem der schlimmsten Anachronismen befreit deren man ihn zeihen kann. Denn man darf nur im Allgemeinen mit den Zeiten bekannt sein, und was in Absicht auf einzelne hieher gehörige Tatsachen noch streitig ist mag entschieden werden wie es will, so muß man es unmöglich finden daß Sokrates mit dem Alkibiades über den Tod des Archelaos kann gesprochen haben; um nichts davon zu sagen, daß ihm in demselben Gespräch ohne alle Not der Vorsatz geliehen wird den Perikles umzubringen, als ob dieser auch noch könne gelebt haben als kürzlich Archelaos umgebracht war.