Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Platons Werke. Erster Theil
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

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Hippias

Eudikos • Sokrates • Hippias

(363) Eudikos: Du aber, Sokrates, warum schweigst du, nachdem Hippias uns so vieles ausgestellt, und lobst nicht entweder mit uns etwas von dem Gesagten, oder tadelst auch, wenn dir etwas nicht gut gesagt zu sein scheint? Zumal auch nur wir übrig geblieben sind, die wir uns doch vorzüglich bestreben teilzuhaben an wissenschaftlicher Beschäftigung.

Sokrates: Allerdings, Eudikos, habe ich einiges, was ich ganz gern erfragen möchte vom Hippias, über das was er eben sprach vom Homeros. Denn auch von deinem Vater Apemantos habe ich gehört, die Ilias wäre ein schöneres Gedicht als die Odysseia, und zwar um soviel schöner als Achilleus besser wäre dann Odysseus. Jedes nämlich von diesen Gedichten, sagte er, wäre auf Einen, das eine auf den Odysseus gedichtet, das andere auf den Achilleus. Darüber nun möchte ich mich gern, wenn es dem Hippias gelegen ist, weiter befragen, was ihn wohl dünkt von diesen beiden Männern, welchen er für den besseren hält; da er uns ja doch so viel und vielerlei anderes vorgetragen hat über andere Dichter sowohl als über den Homeros.

Eudikos: Offenbar wird dir ja Hippias nicht abschlagen, wenn du ihn etwas fragst zu antworten. Nicht wahr, Hippias, wenn Sokrates dich etwas fragt wirst du antworten? oder was wirst du tun?

Hippias: Das wäre ja arg, o Eudikos, wenn ich nach Olympia zwar in die Festversammlung der Hellenen, wenn die Spiele gefeiert werden, jedesmal von Hause aus Elis hinaufginge nach dem Tempel und mich anböte, sowohl was nur einer will von allem zur Prunkrede mir schon vorbereiteten vorzutragen, als auch Jedem zu antworten, der mich nur was immer fragt, jetzt aber des Sokrates Frage ausweichen wollte!

Sokrates: In einem glückseligen Zustande befindest du dich, Hippias, wenn du jede Olympiade, so guter Zuversicht für (364) deine Seele was Weisheit betrifft, zum Feste kommst; und es sollte mich wundern, wenn irgend einer von denen, die sich dort in Leibesübungen zeigen, so furchtlos und fest vertrauend auf seinen Leib dort hinginge zum Kampf, wie du sagst auf deinen Verstand.

Hippias: Ganz natürlich, o Sokrates, daß es mir so ergeht. Denn seitdem ich angefangen bei den Olympischen Spielen mich im Wettkampf zu zeigen, bin ich noch auf keinen jemals getroffen, der in irgend etwas vortrefflicher gewesen wäre als ich.

Sokrates: Ein schönes Denkmal der Weisheit, o Hippias, muß dieser dein Ruhm sowohl der Stadt Elis sein als auch deinen Eltern. Allein was sagst du uns wegen des Achilleus und des Odysseus? welchen hältst du, und worin, für besser? Denn als unserer so viele drin waren und du deine Schaurede hieltest, blieb ich zurück hinter deiner Rede. Denn ich trug Bedenken dich weiter zu fragen, weil viel Volks drinnen war, und um dir nicht Störung zu machen durch mein Fragen in deiner Prunkrede. Nun wir aber weniger sind und Eudikos mir zuredet zu fragen: so sprich doch und lehre uns deutlicher, was du sagtest von diesen beiden Männern? wie unterschiedest du sie?

Hippias: Ich will dir also noch deutlicher als damals erklären, was ich meine von diesen und andern. Ich behaupte nämlich, Homeros habe in seinen Gedichten als den besten unter den nach Troja gekommenen den Achilleus dargestellt, als den weisesten aber den Nestor, und als den vielgewandtesten den Odysseus.

Sokrates: Weh mir Hippias! Tätest du mir wohl soviel zu Liebe mich nicht auszulachen, wenn ich nur mit Mühe begreife was du meinst, und oft weiter frage? so versuche denn mir gern und sanftmütig zu antworten.

Hippias: Das wäre ja schändlich, Sokrates, wenn ich Andere zwar eben hierin unterwiese und mir Geld dafür geben ließe, selbst aber von dir befragt keine Nachsicht beweisen und dir nicht sanftmütig antworten wollte.

Sokrates: Sehr schön gesprochen! Ich also, wie du sagtest; Achilleus werde als der beste dargestellt, glaubte ich zu verstehen was du meintest, so auch wie Nestor als der weiseste. Hernach aber als du vom Odysseus sagtest, der Dichter habe ihn als den vielgewandtesten dargestellt, dieses, um dir die Wahrheit zu sagen, weiß ich ganz und gar nicht wie du es meinst. Sage mir also, ob ich es vielleicht hieraus besser verstehn werde, wird Achilleus nicht als vielgewandt vom Homeros dargestellt?

Hippias: Ganz und gar nicht, Sokrates, sondern als höchst einfach. Denn gleich in der Bittgesandtschaft wo er sie mit (365) einander redend vorstellt, sagt sein Achilleus zum Odysseus: Edler Laertiad', erfindungsreicher Odysseus, Sieh ich muß die Rede nur grad' und frank dir verweigern, So wie im Herzen ich denk und wie's zu vollenden ich meine. Denn mir verhaßt ist Jener so sehr wie des Aides Pforten, Wer ein Andres im Herzen verbirgt, ein Anderes redet. Aber ich selbst will sagen, so wie's unfehlbar geschehn wird. In diesen Versen offenbart er die Gemütsart jedes der beiden Männer, daß nämlich Achilleus wahr sei und einfach, Odysseus aber vielgewandt und falsch. Denn den Achilleus läßt er ja diese Verse dem Odysseus sagen.

Sokrates: Jetzt mag ich wohl beinahe verstehen, Hippias, was du meinst. Unter dem vielgewandten nämlich meinst du einen falschen, wie sich ja zeigt.

Hippias: Allerdings, Sokrates. Denn als einen solchen stellt Homeros den Odysseus dar an vielen Orten, sowohl in der Ilias als in der Odysseia.

Sokrates: Also dünkte, wie es scheint, den Homeros ein anderer Mann wahrhaft zu sein, und wieder ein anderer falsch, nicht aber derselbe?

Hippias: Wie sollte es auch nicht Sokrates?

Sokrates: Dünkt es etwa dich auch selbst so, Hippias?

Hippias: Vor allen Dingen freilich! Es wäre ja auch arg, wenn nicht.

Sokrates: So wollen wir dann den Homeros jetzt lassen, da es ohnedies unmöglich ist ihn zu befragen, was er sich wohl dachte, als er diese Verse dichtete. Da du aber dich der Sache offenbar annimmst, und du selbst das glaubst, was du behauptest daß Homeros meine: so antworte gemeinschaftlich für den Homeros und für dich selbst.

Hippias: Das soll geschehen, und frage nur in kurzem was du willst.

Sokrates: Meinst du unter den Falschen solche die untüchtig sind etwas zu tun, wie die Kranken, oder die tüchtig sind etwas zu tun?

Hippias: Tüchtige meine ich, und zwar gar sehr zu vielem Andern sowohl als auch dazu die Menschen zu hintergehen.

Sokrates: Tüchtig sind sie also nach deiner Rede wie es scheint und vielgewandt. Nicht wahr?

Hippias: Ja.

Sokrates: Vielgewandt nun und betrügerisch sind sie das etwa aus Albernheit und Unklugheit. oder aus einer gewissen List und Klugheit?

Hippias: Aus List allerdings und aus Klugheit.

Sokrates: Klug sind sie also wie es scheint.

Hippias: Ja beim Zeus gar sehr.

Sokrates: Und als Kluge sollten sie nicht dessen kundig sein, was sie tun? oder sind sie es?

Hippias: Wohl sind sie dessen gar sehr kundig; darum eben tun sie ja übel.

Sokrates: Und als dessen Kundige, sind sie Unverständige oder Weise?

Hippias: Weise allerdings, eben darin im Betrügen.

(366) Sokrates: Komm denn, laß uns noch einmal wiederholen, was das ist, was du sagst. Die Falschen behauptest du sind tüchtig und klug und kundig und weise, worin sie falsch sind?

Hippias: Das behaupte ich freilich.

Sokrates: Und Andere sind die Wahren und die Falschen, ganz einander entgegengesetzt.

Hippias: Das meine ich.

Sokrates: Wohlan also von den Tüchtigen und Weisen sind die Falschen welche, nach deiner Rede?

Hippias: Ganz gewiß.

Sokrates: Wenn du nun sagst, tüchtig und weise wären auch die Falschen eben darin: meinst du daß sie tüchtig sind zu lügen, wann sie wollen darin, worin sie eben lügen, oder untüchtig?

Hippias: Tüchtig, meine ich.

Sokrates: Um es also kurz zusammen zu fassen, die Falschen sind weise und tüchtig zu lügen?

Hippias: Ja.

Sokrates: Ein zum Lügen untüchtiger und unverständiger Mann wäre also nicht falsch?

Hippias: So ist es.

Sokrates: Tüchtig aber ist doch wohl Jeder, der das was er will alsdann tut wann er es will; ich meine aber nicht wenn einer aus Krankheit daran verhindert wird, oder des etwas; sondern so wie du vermögend bist meinen Namen zu schreiben, wann immer du willst, so meine ich. Nennst du nicht den tüchtig, mit dem es so steht?

Hippias: Ja.

Sokrates: Sage mir also, Hippias, bist du nicht wohl erfahren im Rechnen und der Rechenkunst?

Hippias: Ganz vorzüglich, Sokrates.

Sokrates: Also wenn auch dich Jemand fragte nach dreimal Siebenhundert, welche Zahl das ist, so würdest du, wenn du nur wolltest, ganz vorzüglich und geschwind das Richtige hierüber sagen?

Hippias: Allerdings.

Sokrates: Etwa weil du der tüchtigste und weiseste bist hierin?

Hippias: Ja.

Sokrates: Bist du aber wohl nur der weiseste und tüchtigste, oder auch der beste eben darin, worin der tüchtigste und weiseste, im Rechnen?

Hippias: Auch der beste offenbar, Sokrates.

Sokrates: Das wahre also hierüber zu sagen wärst du der tüchtigste; nicht wahr?

Hippias: Ich denke wenigstens.

Sokrates: Wie aber das Falsche eben hierin? Und beantworte mir das wie das vorige o Hippias unverhohlen und edelmütig. Wenn dich Jemand fragte nach dreimal Siebenhundert wieviel das ist, würdest du wohl auch am besten lügen, und jedesmal auf gleiche Weise das Falsche hierüber sagen können, wenn du lügen und niemals richtig antworten wolltest; oder könnte der Unverständige im Rechnen besser lügen als du wenn du wolltest? Oder würde der Unverständige oft, wenn er auch falsches sagen wollte, das Richtige vorbringen unvorsätzlich wenn es sich eben träfe, weil er es nämlich nicht weiß? Du aber der Unterrichtete würdest, wenn du doch lügen wolltest, jedesmal gleich gut lügen?

(367) Hippias: Ja, so verhält es sich, wie du sagst.

Sokrates: Ist nun wohl der Falsche in andern Dingen zwar falsch, aber nicht in Zahlen? und könnte er im Zählen nicht lügen?

Hippias: Beim Zeus auch in Zahlen.

Sokrates: Setzen wir also auch dies, Hippias, es sei ein Mensch falsch in Rechnungen und Zahlen?

Hippias: Ja.

Sokrates: Wer also wäre dieser? Muß ihm nicht, wenn er falsch sein soll, das zukommen, wie du eben eingestandest, daß er tüchtig ist im Lügen? Denn von dem Untüchtigen im Lügen sagtest du, wenn du dich noch erinnerst, daß er nie falsch sein könne.

Hippias: Dessen erinnere ich mich, und so wurde gesagt.

Sokrates: Und zeigtest du dich nicht eben, als der allertüchtigste zum Lügen im Rechnen?

Hippias: Ja, auch das wurde gesagt.

Sokrates: Und bist du nicht auch der tüchtigste das Richtige zu sagen in Rechnungen?

Hippias: Allerdings.

Sokrates: Also derselbe ist der tüchtigste das Wahre und auch das Falsche zu sagen im Rechnen? Dies aber ist der gute hierin, der Rechner?

Hippias: Ja.

Sokrates: Wer anders wird uns also falsch im Rechnen, Hippias, als der gute? Denn der ist auch der tüchtige, der aber ist auch der wahre?

Hippias: So zeigt es sich.

Sokrates: Siehst du also, daß derselbe der Falsche ist und auch der Wahre hierin? Und der Wahre um nichts besser als der Falsche? Denn er ist ja derselbe, und keinesweges verhalten sie sich ganz entgegengesetzt, wie du vorhin meintest.

Hippias: Es scheint nicht, hierin wenigstens.

Sokrates: Willst du, daß wir es auch anderwärts betrachten?

Hippias: Wenn anders auch du es willst.

Sokrates: Bist du nicht auch in der Meßkunst erfahren?

Hippias: Das bin ich.

Sokrates: Wie nun? verhält es sich in der Meßkunst nicht eben so? derselbe ist der tüchtigste zu lügen und auch das Richtige zu sagen über die Umrisse, der Meßkünstler?

Hippias: Ja.

Sokrates: Ist nun hierin ein Anderer gut, als eben dieser?

Hippias: Kein anderer.

Sokrates: Also der gute und weise Meßkünstler ist der geschickteste zu beidem. Und wenn irgend Einer falsch ist in dem was Umrisse betrifft; so ist er es, der gute. Denn dieser ist tüchtig. Der Schlechte aber war untüchtig zum Lügen, so daß er nie falsch sein kann, da er untüchtig ist zum Lügen, wie wir waren einig geworden.

Hippias: So ist es.

Sokrates: Nun auch noch den dritten, laß uns betrachten den Sternkundigen, in welcher Kunst du noch mehr ein Meister zu sein glaubst als in den vorigen. Nicht wahr, Hippias?

Hippias: Ja.

(368) Sokrates: Ist es nun nicht in der Sternkunde ganz dasselbe?

Hippias: Wahrscheinlich wohl Sokrates.

Sokrates: Auch in der Sternkunde also, wenn irgend einer falsch ist wird es der gute Sternkundige sein, der tüchtig ist zum Lügen. Denn der Untüchtige nicht, der ist unverständig.

Hippias: So ergibt es sich.

Sokrates: Derselbe also wird auch in der Sternkunde der Wahrhafte sein und der Falsche.

Hippias: Das scheint so.

Sokrates: Komm also, Hippias, und erwäge es überall so in allen Erkenntnissen, ob es sich irgendwo anders verhält oder so. Denn du bist ja in den meisten Künsten unter allen Menschen der weiseste. Wie ich dich auch einmal habe rühmen gehört und deine vielfältige beneidenswerte Weisheit beschreiben auf dem Markt an den Wechseltischen. Du sagtest nämlich, du wärest einmal so nach Olympia gekommen, daß alles was du an deinem Leibe hattest deine Arbeit gewesen wäre. Zuerst der Ring den du anhattest, damit fingst du an, wäre deine Arbeit gewesen, daß du also auch Steine zu schneiden verständest, und noch ein anderes Siegel deine Arbeit, und einen Badekratzer und ein Ölfläschchen, die du selbst gemacht. Hernach auch die Schuhe, die du anhattest behauptetest du selbst geschnitten zu haben, und den Mantel gewebt und das Unterkleid, und was Allen das sonderbarste schien und der größten Geschicklichkeit Ausstellung, als du sagtest, der Gürtel deines Unterkleides sehe zwar aus wie die Persischen der Vornehmen, diesen aber hättest du selbst geflochten. Überdies hättest du Gedichte bei dir gehabt, epische und Tragödien und Dithyramben und ungebunden gar viele und mancherlei ausgearbeitete Vorträge. Und so wärest du in jenen Künsten also, deren ich vorhin erwähnte, als ein Meister hingekommen ausgezeichnet vor den andern, und auch im Tonmaß und Wohllaut und der Sprachrichtigkeit, und noch überdies in vielen andern, wie ich mich gar wohl zu erinnern glaube. Wiewohl dein Erinnerungskunststück habe ich ganz vergessen, wie es scheint, worin du glaubtest am meisten zu glänzen. Ich glaube aber auch noch viel anderes vergessen zu haben. Also, was ich eigentlich meine, sowohl in Hinsicht auf deine eignen Künste, denn auch die sind schon hinreichend, als auch auf Anderer ihre, sage mir, ob du irgend findest nach dem bisher unter uns eingestandenen, worin der Wahrhafte und der Falsche getrennt sind, und nicht derselbe. Erwäge dies an welcher Geschicklichkeit oder Kunststück oder wie du es am liebsten nennen magst, du nur immer willst. Gewiß, du wirst keine finden, Freund, denn es gibt keine. Aber sage selbst.

(369) Hippias: Ich weiß nichts, Sokrates, so jetzt gleich.

Sokrates: Du wirst auch niemals, wie ich glaube. Wenn ich aber Recht habe: so erinnerst du dich doch was uns aus der Rede folgt.

Hippias: Noch merke ich nicht recht, Sokrates, was du willst.

Sokrates: Jetzt vielleicht bedienest du dich eben nicht deines Erinnerungs-Kunststückes, offenbar weil du glaubst daß du nicht darfst. Ich will dich aber wohl erinnern. Du weißt doch, daß du sagtest, Achilleus sei wahrhaft, Odysseus aber falsch und vielgewandt?

Hippias: Ja.

Sokrates: Jetzt aber, merkst du doch, hat sich gezeigt, daß der Wahre und der Falsche derselbe ist: so daß, wenn Odysseus falsch war, er auch wahr wird, und Achilleus der wahre auch falsch, und daß die Männer nicht verschieden sind oder entgegengesetzt, sondern ähnlich.

Hippias: O Sokrates, jedesmal flichtst du solcherlei Reden zusammen, und aufnehmend was nur das schwierigste an einer Sache ist, bleibst du an diesem hängen und greifst es immer nur bei wenigem an; niemals aber streitest du gegen die ganze Sache von der die Rede ist. Denn auch jetzt, wenn du willst, will ich dir durch viele Beweisstellen in einer tüchtigen Rede dartun, daß Homeros in seinen Gedichten am Achilleus einen Besseren darstellt als Odysseus, und ohne Falsch, diesen aber als listig und vieles erlügend und schlechter als Achilleus. Wenn du nun willst: so stelle dieser Rede eine andere entgegen, daß jener der bessere ist. Dann werden die hier Anwesenden leichter erfahren, welcher von uns besser spricht.

Sokrates: O Hippias, ich bestreite das ja gar nicht, daß du nicht weiser wärest als ich. Aber ich pflege jedesmal wenn Jemand etwas sagt recht Acht zu geben, zumal wenn ich den für weise halte, der da redet; und aus Verlangen zu verstehen was er meint, forsche ich nach, und überlege die Sache weiter, und vergleiche das Gesagte um es zu verstehen. Wenn mir aber der Sprechende unbedeutend vorkommt: so frage ich weder weiter, noch kümmere ich mich überhaupt um das was er sagt. Und hieran eben kannst du erkennen, wen ich für weise halte. Denn du wirst mich immer gar emsig darüber her finden, was ein solcher sagt, und forschend von ihm, damit ich etwas lerne und gefördert werde dadurch. Daher habe ich auch itzt während deiner Rede mir bedacht, daß in Absicht der Verse, welche du vorhin anführtest und zeigtest Achilleus sage sie gegen den Odysseus als gegen einen der leere Worte mache, wie wunderbar es mich bedünken würde, wenn du Recht haben solltest; (370) weil Odysseus, der vielgewandte, nirgends als ein Lügner erscheint, Achilleus aber erscheint als ein vielgewandter nach deiner Rede; er lügt wenigstens. Denn nachdem er jene Verse gesprochen, welche auch du vorhin anführtest, Denn mir verhaßt ist jener so sehr wie des Aides Pforten Wer ein Andres im Herzen verbirgt ein Anderes redet: so sagt er bald darauf, er würde sich weder vom Odysseus und Agamemnon herumbringen lassen, noch überhaupt vor Troja bleiben, sondern Morgen, spricht er, bring ich ein Opfer für Zeus und die anderen Götter, Wohl dann belad' ich die Schiffe und wann ich ins Meer sie gezogen, Wirst du schaun so du willst, und solcherlei Dinge dich kümmern Schwimmen im Morgenrot auf dem flutenden Hellespontos Meine Schiff' und darin die eiferig rudernden Männer; Und wenn glückliche Fahrt der Gestaderschütterer gönnet, Möcht ich am dritten Tag in die schollige Phthia gelangen. Und noch vor diesem hatte er zankend zum Agamemnon gesagt : Doch nun geh ich gen Phthia! Denn weit zuträglicher ist es, Heim mit den Schiffen zu gehn, den gebogenen! Schwerlich auch wirst du Weil du allhier mich entehrst noch Schätz' und Güter dir häufen. Ohnerachtet er nun dieses gesprochen das eine Mal vor dem ganzen Heer, das andere Mal zu seinen Freunden: so zeigt sich doch nirgend, daß er weder die geringste Zurüstung gemacht, noch irgend versucht die Schiffe in See zu lassen um nach Hause zu segeln; sondern vielmehr daß er sehr vornehm sich wenig daraus macht ob er wahr redet. Deshalb nun Hippias fragte ich dich von Anfang an, zweifelhaft welchen von diesen Männern der Dichter als den besseren gedichtet hat, und in der Meinung, daß beide sehr vortrefflich wären, und schwer zu entscheiden, welcher der bessere sowohl in Absicht auf Wahrheit und Falschheit als in jeder andern Tugend. Denn beide sind auch hierin einander fast gleich.

Hippias: Du untersuchst eben die Sache gar nicht ordentlich, Sokrates. Denn was Achilleus lügt, das lügt er offenbar gar nicht hinterlistig sondern unvorsätzlich, weil er durch die Unglücksfälle des Heeres genötiget ward zu bleiben und Hülfe zu leisten, Odysseus aber tut es vorsätzlich und hinterlistig.

Sokrates: Du betrügst mich, liebster Hippias, und ahmest selbst den Odysseus nach.

(371) Hippias: Keinesweges, Sokrates! Was meinst du aber, und worin?

Sokrates: Weil du behauptest, Achilleus lüge nicht mit böser Absicht, der doch so listig und tückisch ist noch außer seinen leeren Worten, wie ihn nämlich Homeros gedichtet hat, daß er sich um so viel klüger zeigt als Odysseus in der Kunst leicht und unentdeckt mit seinen Worten zu spielen, daß er es sogar wagte in jenes Gegenwart sich selbst zu widersprechen, ohne daß Odysseus es bemerkt. Wenigstens findet sich nirgend, daß Odysseus so mit ihm spricht, als habe er bemerkt, daß jener gelogen.

Hippias: Was meinst du nur hiemit, Sokrates?

Sokrates: Weißt du nicht, daß nachher einmal redend er zum Odysseus zwar gesagt hatte, er werde mit der Morgenröte absegeln, zum Ajas aber sagt, er werde nicht absegeln, sondern ganz andere Dinge redet?

Hippias: Wo denn?

Sokrates: Wo er sagt: Denn nicht werd' ich eher des blutigen Kampfes gedenken Ehe des waltenden Priamos Sohn der göttliche Hektor schon die Gezelt' und Schiffe der Myrmidonen erreicht hat Agos Volk hinmordend, und Glut in den Schiffen entflammet. Doch wird hoff ich bei meinem Gezelt und dunkelen Schiffen Hektor wie eifrig er ist, sich wohl enthalten des Kampfes. Du also Hippias glaubst, der Sohn der Thetis und des so sehr weisen Cheiron Zögling sei so vergeßlich gewesen, daß nachdem er kurz zuvor diejenigen aufs heftigste geschmäht die leere Worte machen, er unmittelbar darauf zum Odysseus gesagt habe, er werde schiffen, zum Ajas aber er werde bleiben, es aber doch nicht aus böser Absicht getan habe, noch in der Meinung Odysseus sei einfältig, und er selbst werde ihn im Ränkemachen und Lügen weit übertreffen?

Hippias: Nicht so dünkt mich, Sokrates; sondern auch hier spricht er, weil er sich anders besonnen aus Einfalt zum Ajas anders als zum Odysseus. Odysseus aber, wenn er wo die Wahrheit sagt tut er es in böser Absicht, und wenn er lügt eben so.

Sokrates: So ist, wie es scheint, Odysseus besser als Achilleus.

Hippias: Keinesweges doch wohl, Sokrates.

Sokrates: Wie denn? sind uns nicht eben die vorsätzlich Lügenden besser erschienen als die unvorsätzlich?

Hippias: Und wie sollten doch, o Sokrates, die welche vorsätzlich beleidigen und Andern Unheil bereiten und Übles zufügen besser sein, als die es unvorsätzlich tun, gegen die man ja (372) viel Nachsicht pflegt zu haben, wenn Jemand ohne Wissen beleidigt oder hintergeht oder sonst etwas Übles tut. Wie denn auch die Gesetze weit härter sind gegen die, welche vorsätzlich etwas Böses tun oder lügen, als gegen die Andern.

Sokrates: Siehst du, Hippias, daß ich Recht habe, wenn ich sage daß ich emsig bin im Fragen der Weisen? Und ich mag wohl nur dies Eine Gute haben, übrigens aber es schlecht genug um mich stehen. Denn wie die Dinge sich eigentlich verhalten, das entgeht mir und ich weiß davon nichts. Das ist daraus zur Genüge abzunehmen, daß wenn ich mit einem von euch zusammenkomme, die ihr gepriesen werdet um eure Weisheit, und denen alle Hellenen ihre Weisheit bezeugen, ich immer als einer erscheine der nichts weiß. Denn ich bin, um es gerade heraus zu sagen, fast über gar nichts derselben Meinung mit euch. Und welchen größeren Beweis des Unverstandes könnte es wohl geben, als wenn Jemand mit weisen Männern uneins ist. Nur dies Eine sonderbare Gute habe ich an mir, was mich noch erhält; ich schäme mich nämlich nicht zu lernen, sondern ich forsche und frage und bin Jedem sehr dankbar der mir antwortet, und habe noch nie Jemanden diesen Dank entzogen. Denn ich habe noch nie verläugnet wo ich etwas gelernt hatte, und etwa das Gelernte für das Meinige ausgegeben als hätte ich es erfunden. Sondern ich lobpreise meinen Lehrer als einen Weisen und zeige was ich von ihm gelernt. So auch jetzt in dem was du sagst, stimme ich dir nicht bei, sondern weiche gar sehr weit von dir ab. Und soviel weiß ich sehr gut, daß die Schuld davon ganz an mir liegt, weil ich eben ein solcher bin wie ich bin, um nichts größeres auf mich selbst zu sagen. Denn mir, o Hippias, scheint ganz das Gegenteil von dem, was du sagst, daß nämlich wer Andern Schaden tut und sie beleidigt belügt betrügt und sonst sich vorsätzlich vergeht, und nicht unvorsätzlich, besser ist als wer unvorsätzlich. Bisweilen freilich dünkt mich auch wieder das Gegenteil davon, und ich schwanke also über die Sache, offenbar weil ich sie nicht weiß. Jetzt nun in diesem Augenblick habe ich jenen Anfall bekommen, daß mich die vorsätzlich in etwas fehlenden besser dünken als die unvorsätzlich. Ich beschuldige aber die bisherigen Reden an dem jetzigen Zufall Ursache zu sein, daß mir eben jetzt die, welche dies Alles unvorsätzlich tun, schlechter erscheinen als welche vorsätzlich. Du also nimm dich meiner an, und schlage mir nicht ab meine Seele zu heilen. Denn weit größere Wohltat erzeigst du mir ja, wenn du meine Seele von ihrem Unverstande befreist, als wenn meinen Leib von einer Krankheit. (373) Willst du nun eine lange Rede sprechen: so sage ich dir voraus, daß du mich nicht heilen wirst; denn ich könnte dir nicht folgen. Willst du mir aber so wie bisher antworten: so wirst du mir großen Nutzen schaffen, und auch selbst, glaube ich, keinen Schaden davon haben. Mit Recht auch könnte ich dich zu Hülfe rufen, o Sohn des Apemantos. Denn du hast mich aufgeregt mit dem Hippias zu reden. Wenn er mir also nun nicht antworten will, so bitte du ihn für mich.

Eudikos: Gewiß, Sokrates, ich glaube, daß es bei dem Hippias unserer Bitte gar nicht bedürfen wird. Denn so lautet gar nicht, was er uns vorher gesagt, sondern daß er keines Menschen Frage ausweichen wollte. Nicht wahr, Hippias sagtest du das nicht?

Hippias: Das habe ich gesagt. Aber Sokrates verwirrt einen immer im Gespräch, Eudikos, und tut recht wie einer der auf Beleidigung ausgeht.

Sokrates: O bester Hippias, nicht vorsätzlich tue ich das, sonst wäre ich ja gar weise und gewaltig nach deiner Rede, sondern unvorsätzlich, so daß du mir Nachsicht zu beweisen hast. Denn du sagst ja, man müsse, wenn Jemand unvorsätzlich beleidigt, Nachsicht beweisen.

Eudikos: Tue auch nur ja nicht anders, Hippias; sondern sowohl deiner vorigen Reden als auch unserntwegen antworte was dich Sokrates fragt.

Hippias: Gut ich will antworten, da auch du mich bittest. Frage also was du willst.

Sokrates: Ich trage eben großes Verlangen, o Hippias, das itzt besprochene zu erforschen, wer wohl besser ist die vorsätzlich oder die unvorsätzlich fehlenden. Nun, glaube ich, so am besten der Untersuchung beizukommen; antworte mir also. Nennst du einen Läufer gut?

Hippias: Ja.

Sokrates: Auch schlecht?

Hippias: Ja.

Sokrates: Nicht wahr, gut ist der gut läuft schlecht aber der schlecht?

Hippias: Ja.

Sokrates: Und der langsam laufende läuft schlecht, der geschwind laufende gut?

Hippias: Ja.

Sokrates: Im Laufen also und für den Läufer ist die Geschwindigkeit das Gute, die Langsamkeit das Schlechte?

Hippias: Wie sollte es nicht.

Sokrates: Welcher ist nun der bessere Läufer, der vorsätzlich langsam läuft, oder der unvorsätzlich?

Hippias: Der vorsätzlich.

Sokrates: Heißt nun nicht Laufen doch etwas verrichten?

Hippias: Ja.

Sokrates: Und wenn verrichten, dann doch auch tun?

Hippias: Ja.

Sokrates: Wer also schlecht läuft, der tut schlechtes und unrühmliches im Lauf?

Hippias: Schlechtes. Wie sollte er nicht?

Sokrates: Und schlecht läuft der langsam laufende?

Hippias: Ja.

Sokrates: Der gute Läufer also tut dieses schlechte und unrühmliche vorsätzlich, der schlechte unvorsätzlich?

Hippias: So scheint es wenigstens.

Sokrates: Im Laufen also ist der nichtsnutziger, der das schlechte unvorsätzlich, als der es vorsätzlich tut?

Hippias: Im Laufen, ja.

(374) Sokrates: Und wie im Ringen? welcher ist der bessere Ringer? der vorsätzlich fällt oder unvorsätzlich?

Hippias: Der vorsätzlich, scheint es.

Sokrates: Und was ist doch schlechter und unrühmlicher beim Ringen, das Fallen oder das Niederwerfen?

Hippias: Das Fallen.

Sokrates: Auch im Ringen also ist der vorsätzlich das schlechte und unrühmliche tut der bessere Ringer als der unvorsätzlich?

Hippias: Es scheint.

Sokrates: Und wie in jeder andern Tätigkeit des Leibes? Kann nicht der dem Leibe nach Bessere beides hervorbringen, das starke und das schwache, das häßliche und das schöne? So daß, was sie schlechtes in Beziehung auf den Leib verrichten, der dem Leibe nach Bessere vorsätzlich verrichtet, der schlechtere aber unvorsätzlich?

Hippias: Es scheint auch in Absicht auf die Stärke sich so zu verhalten.

Sokrates: Und wie in Absicht auf die Schönheit der Bewegungen, Hippias? wird nicht der schönere Leib sich nur vorsätzlich in schlechte und häßliche Stellungen gestalten, der schlechtere aber unvorsätzlich? oder wie dünkt dich?

Hippias: Eben so.

Sokrates: Also auch von der Häßlichkeit der Bewegungen steht die vorsätzliche auf Seiten der Güte, die unvorsätzliche aber auf Seiten der Schlechtigkeit des Leibes.

Hippias: So zeigt es sich.

Sokrates: Und was meinst du von der Stimme? Welche hältst du für besser, die vorsätzlich mißtönende oder die unvorsätzlich?

Hippias: Die vorsätzlich.

Sokrates: Und untauglicher, die es unvorsätzlich tut?

Hippias: Ja.

Sokrates: Und möchtest du lieber das Gute besitzen oder das Schlechte?

Hippias: Das Gute.

Sokrates: Möchtest du also lieber daß deine Füße vorsätzlich hinkten oder unvorsätzlich?

Hippias: Vorsätzlich.

Sokrates: Und ist nicht das Hinken eine Schlechtigkeit und Ungestaltheit der Füße?

Hippias: Ja.

Sokrates: Und wie? ist nicht die Blödsichtigkeit eine Schlechtigkeit der Augen?

Hippias: Ja.

Sokrates: Was für Augen also möchtest du haben, und mit was für welchen zufrieden sein? mit denen einer vorsätzlich etwas undeutlich sieht und übersieht, oder unvorsätzlich?

Hippias: Mit denen vorsätzlich.

Sokrates: Besser also achtest du an dir selbst dasjenige was vorsätzlich etwas schlecht verrichtet als was unvorsätzlich?

Hippias: Ja in solchen Dingen.

Sokrates: Nicht auch über Alles wie Ohren Nase und Mund und alle Sinne erstreckt sich diese eine Erklärung, daß man die unvorsätzlich schlechtes verrichtenden nicht zu haben begehrt weil sie schlecht sind; die es aber vorsätzlich tun wohl zu haben wünscht weil sie gut sind?

Hippias: Mich dünkt es.

Sokrates: Und welche Werkzeuge im Gebrauch zu haben ist besser, mit denen einer vorsätzlich die Sache schlecht verrichtet oder unvorsätzlich? Wie ein Steuerruder womit Einer unvorsätzlich schlecht steuert, ist das besser, oder womit vorsätzlich?

Hippias: Womit vorsätzlich.

Sokrates: Und Bogen eben so, und Leier und Flöte, und Alles zusammen?

Hippias: Du hast Recht.

(375) Sokrates: Und wie? ist es besser ein Pferd mit einer solchen Seele zu haben, daß es Einer nur vorsätzlich schlecht reitet, oder unvorsätzlich?

Hippias: Vorsätzlich.

Sokrates: Diese also ist die bessere?

Hippias: Ja.

Sokrates: Mit der besseren Pferdeseele also wird Einer die Geschäfte dieser Seele vorsätzlich schlecht verrichten, mit der schlechten unvorsätzlich?

Hippias: Allerdings.

Sokrates: Nicht auch eben so bei Hunden und allen andern Tieren?

Hippias: Ja.

Sokrates: Und wie, ist es besser einen Schützen mit einer solchen Seele zu haben, welche vorsätzlich das Ziel verfehlt, oder welche unvorsätzlich?

Hippias: Welche vorsätzlich.

Sokrates: Also ist diese die bessere zum Schießen?

Hippias: Ja.

Sokrates: Also auch die unvorsätzlich fehlende Seele ist schlechter als die vorsätzlich?

Hippias: Im Schießen, ja.

Sokrates: Wie aber in der Heilkunde? Ist nicht die welche vorsätzlich Übles an Leibern anrichtet, heilkundiger?

Hippias: Ja.

Sokrates: Besser also ist sie in dieser Kunst als die nicht heilkundige?

Hippias: Besser.

Sokrates: Und wie die tonkundigere, sei es auf der Leier oder Flöte und so in allem übrigen was Künste und Wissenschaften betrifft, wird nicht überall die bessere vorsätzlich das schlechte und unrühmliche tun und also fehlen, die schlechtere aber unvorsätzlich?

Hippias: So zeigt es sich.

Sokrates: Also unserer Knechte Seelen möchten wir wohl lieber so haben daß sie vorsätzlich als daß sie unvorsätzlich fehlen und übel tun, weil jene besser sind hiezu?

Hippias: Ja.

Sokrates: Und wie, unsere eigene wollten wir nicht so gut als möglich haben?

Hippias: Ja.

Sokrates: Und wird sie nun nicht besser sein wenn sie vorsätzlich übel tut und fehlt als wenn unvorsätzlich?

Hippias: Arg wäre das aber doch, Sokrates, wenn die vorsätzlich Unrechttuenden besser sein sollten als die unvorsätzlich.

Sokrates: Aber es zeigt sich doch so aus dem Gesagten.

Hippias: Mir doch nicht.

Sokrates: Ich glaubte doch, Hippias, es habe sich dir auch gezeigt. Antworte mir aber noch einmal. Die Gerechtigkeit, ist sie nicht entweder eine Kraft oder eine Erkenntnis oder beides? Oder ist nicht notwendig daß die Gerechtigkeit eines von diesen ist?

Hippias: Ja.

Sokrates: Also wenn die Gerechtigkeit eine Kraft der Seele ist: so ist doch die tüchtigere Seele die gerechtere. Denn als besser war uns eben diese erschienen, Bester.

Hippias: So war sie uns erschienen.

Sokrates: Und wie wenn eine Erkenntnis, ist dann nicht die weisere Seele die gerechtere? und die ungelehrigere die ungerechtere?

Hippias: Ja.

Sokrates: Und wie wenn beides, ist dann nicht die welche beides hat, Erkenntnis und Kraft, die gerechtere? und die unverständigere auch die ungerechtere? Verhält es sich nicht notwendig so?

Hippias: Es scheint.

Sokrates: Und die tüchtigere und weisere, hatte sich die nicht auch als die bessere gezeigt und die mehr im Stande ist beides zu verrichten das Schöne sowohl als das Schlechte in jedem Geschäft?

Hippias: Ja.

(376) Sokrates: Wenn sie also schlechtes verrichtet: so verrichtet sie es vorsätzlich durch Kraft und Kunst. Und dieses scheint zur Gerechtigkeit zu gehören entweder beides oder eins von beiden.

Hippias: Das scheint.

Sokrates: Und Unrecht tun heißt schlechtes verrichten, nicht Unrecht tun aber Schönes?

Hippias: Ja.

Sokrates: Also die tüchtigere und bessere Seele, wenn sie Unrecht tut, wird sie vorsätzlich Unrecht tun, die schlechtere aber unvorsätzlich?

Hippias: Es scheint.

Sokrates: Und der gute Mann ist doch der die gute Seele hat, der schlechte aber der die schlechte.

Hippias: Ja.

Sokrates: Der gute Mann also wird vorsätzlich Unrecht tun, der schlechte aber unvorsätzlich, wenn doch der gute die gute Seele hat.

Hippias: Die hat er freilich.

Sokrates: Der also vorsätzlich fehlt und das schlechte und unrechte tut, o Hippias, wenn es einen solchen gibt, wäre kein anderer als der gute.

Hippias: Auf keine Weise kann ich dir dieses doch einräumen, o Sokrates.

Sokrates: Auch ich nicht mir selbst, Hippias. Aber es scheint uns doch itzt notwendig so aus unserer Rede. Indes wie ich schon gesagt habe, ich schwanke hierüber bald so bald so und bleibe mir niemals gleich in meiner Meinung. Und daß ich schwanke, ist wohl nichts wunderbares, und jeder Ungelehrte: wenn aber auch ihr schwanken wollt, ihr Weisen, das ist dann ein großes Unglück auch für uns, wenn wir nicht einmal bei euch zur Ruhe kommen können von unserm Schwanken.


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