Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Platons Werke. Erster Theil
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Minos

In der Übersetzung von
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

Einleitung

Auch weniges wohl wird hinreichen, um der Verwerfung dieses Gespräches Beifall zu gewinnen. Zuerst, weshalb es auch eigentlich hieher ist gestellt worden, sieht Jeder gewiß die merkwürdige Ähnlichkeit desselben mit dem »Hipparchos«, die so groß ist daß beide nur als aus Einer Form gegossen erscheinen. Eben so gewaltsam stürmt der Anfang herein; eben so fade und ungehörig bricht das Ende ab nach scheinbar eben erst wieder erneuerter Untersuchung. So daß auch in Absicht auf diese schlechte Arbeit Einige sich mit dem Verdacht beruhiget haben, wir hätten sie nur nicht vollständig; als ob eine solche Anlage jemals zu etwas Gutem könnte gediehen sein. Gleich dem »Hipparchos« ist ferner der »Minos« zierlich verunziert in der Mitte durch eine den Inhalt gar nicht weiter führende Diatribe über eine altertümliche Person. Ja eben so hat auch nur diese dem Gespräch den Namen gegeben, der Unterredner aber ist, wie von Charakter und Verhältnissen entblößt, so auch namenlos, und darf um so weniger Minos genannt werden, da er sich nirgends durch irgend etwas als Fremder zu erkennen gibt, Minos aber niemals ein Athenischer Name gewesen ist. Aber auch ferner, wer auf Absicht und Gang des Gesprächs achtet, wird es als unplatonisch erkennen. Nie wird etwas gewonnen durch allen Reichtum von Beispielen, noch auch durch Herbeiführung eines ähnlichen Begriffes irgend etwas näher bestimmt; dagegen aber mit ganz unsokratischem Leichtsinn von einem Begriff zum andern übergegangen wie von dem des Beschlusses zu dem der Meinung, und alles einmal gesagte auch nützliche und zu einer Bestimmung hinführende immer wieder vernachlässigt. So daß was den lahmen Gang der Untersuchung betrifft der »Minos« dem »Hipparchos« zwar ähnlich ist, aber noch weit schlechter, welches jedoch dem Gedanken von Einerleiheit des Verfassers keinen Eintrag tut, sondern sich hinlänglich durch die Natur des Gegenstandes erklärt. Wie denn überhaupt die Absicht gar nicht auf Erörterung eines Begriffs kann gegangen sein, sondern dies nur Schein ist und Umgebung, weil nämlich ein sokratisches Gespräch doch ohne dies nicht bestehen kann, die Hauptsache aber nur eine schlechte Rechtfertigung war für des Sokrates Vorliebe für Kreta. Noch ein besonderes Zeichen der Unächtheit aber hat dieser »Minos« an sich, nämlich die vorzügliche Unbeholfenheit der Sprache. Anstatt die dem Hauptwort durch Abstammung und Ton verwandten Worte entweder ernsthaft zu gebrauchen oder ohne Schaden der Untersuchung und ohne sophistische Gefährde damit zu spielen verwickelt er sich kläglich dazwischen als ein Ungeschickter. Plump und ohne alle Rückweisung steht auch als etwas angenommenes da der Name der königlichen Kunst für die Staatskunst und des königlichen Mannes für den Staatsmann, herüber genommen aus späteren platonischen Dialogen, aus denen jedoch irgend etwas tieferes zu schöpfen der Verfasser unfähig war, dessen Nachahmung sich nur auf den besuchtesten Plätzen herumdreht. Doch es ist unnötig mehr hinzuzufügen über etwas Jedem der sehen will klar vor Augen liegendes.


 << zurück weiter >>