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Ich ging von der Akademia grade nach dem Lykeion den Weg außerhalb der Mauer dicht unter der Mauer hin. Als ich aber an dem Pförtchen war, wo die Quelle des Panops ist, da traf ich den Hippothales, des Hieronymos Sohn, und den Paianier Ktesippos, und mehr andere Jünglinge um sie her gedrängt stehend. Und als Hippothales mich herankommen sah, rief er mich an: Wohin gehst du, o Sokrates, und woher? – Aus der Akademia, sprach ich, gehe ich gerade nach dem Lykeion. – Hieher also, sprach er, zu uns lenkst du nicht ein? es lohnt doch. – Wohin eigentlich, fragte ich, meinst du? und wer sind die ihr? – Hieher, sprach er und zeigte mir der Mauer gegenüber einen eingeschlossenen Platz mit offener Tür; hier halten (204) nicht nur wir uns auf, sondern noch viel andere Schöne. – Was ist aber dieses? und was treibt ihr dort? – Es ist, sagte er, eine ganz neugebaute Palaistra, und meistenteils besteht die Beschäftigung in Gesprächen, von welchen eben wir dir gern mitteilten. – Sehr wohl, sprach ich, werdet ihr daran tun. Aber wer lehrt hier? – Von dir, sagte er, ein großer Freund und Verehrer, Mikkos. – Beim Zeus, sprach ich, kein schlechter Mann, sondern ein tüchtiger Sophist. – Willst du uns also folgen, sagte er, daß du auch die sehest, welche drinnen sind? – Gern möchte ich hier erst vernehmen, was mir dann werden soll für das Hineingehn, und wer eigentlich der Schöne ist. – Einer von uns, sagte er, hält diesen dafür, der andere jenen. – Welchen denn aber du, o Hippothales? Das sage mir. Auf diese Frage errötete er, und ich sprach weiter, O Sohn des Hieronymus, das darfst du mir nun nicht mehr sagen, ob du einen liebst oder nicht; denn ich sehe nicht allein, daß du liebst, sondern auch daß es schon weit mit dir gekommen ist in dieser Liebe. Übrigens wohl mag ich schlecht sein und wenig nutz; dieses aber ist mir so von Gott verliehen, daß ich gleich erkennen kann Liebende sowohl als Geliebte. – Als er dieses hörte, errötete er noch mehr. Ktesippos aber sagte: Das ist fein, Hippothales, daß du rot wirst, und dich weigerst dem Sokrates den Namen zu sagen, da er doch, wenn er nur kurze Zeit mit dir ist, sich fast tot wird daran hören müssen, wie oft du ihn nennst! Uns wenigstens, o Sokrates, hat er die Ohren schon ganz betäubt und angefüllt mit dem Lysis. Und hat er gar ein wenig getrunken, so ist es uns ganz gewohnt, daß wir auch beim Erwachen aus dem Schlafe noch glauben den Namen des Lysis zu hören. Doch was er so gesprächsweise arges vorbringt, ist noch nicht gar arg: aber wenn er erst anfängt uns mit den Gedichten zu überschwemmen und mit den Reden! Ja was noch ärger ist als alles, so singt er auch auf seinen Geliebten mit wundervoller Stimme, die wir geduldig anhören müssen. Nun aber von dir befragt errötet er nur. – Dieser Lysis, sprach ich, ist also einer von den Heranwachsenden, wie es scheint. Ich schließe es nämlich nur, denn der Name fiel mir nicht auf als ein bekannter, da ich ihn hörte. – Sie nennen ihn eben nicht oft bei seinem Namen, antwortete er, sondern er wird noch nach dem Vater genannt, weil sein Vater sehr bekannt ist. Auch bin ich gewiß, daß der Knabe dir keinesweges unbekannt ist von Gestalt, und an der allein kann man ihn genug wieder erkennen. – So sage denn, sprach ich, wem er angehört. – Es ist des Demokrates von Aixone ältester Sohn. – Schön, sprach ich, o Hippothales! welche edle und in jeder Art herrliche Liebe hast du dir da ausgespürt! So komm denn und laß mich alles hören, was du diesen zu hören gibst, damit ich sehe, ob du auch weißt, wie dem Verliebten gezieme über seinen Liebling zu diesem selbst und (205) auch zu Andern zu reden. – Und darauf, sagte er, gibst du etwas, o Sokrates, was der da sagt? – Willst du etwa, sprach ich, auch läugnen, daß du den nicht liebst, den dieser nennt? – Das nicht, sprach er, aber daß ich weder Gedichte mache auf meinen Liebling noch Reden. – Es ist eben nicht richtig mit ihm, sagte Ktesippos, sondern er faselt und redet irre. – Darauf sagte ich: ich begehre ja, o Hippothales, weder die Verse zu hören noch die Weise, wenn du dergleichen gemacht hast auf den Knaben, sondern nur den Sinn davon, damit ich erfahre, auf welche Art du deinen Liebling behandelst. – Der da wird dir wohl alles sagen, sprach er, denn er weiß es ja genau, und hat es im Gedächtnis, wenn er mich doch, wie er sagt, bis zum Überdruß angehört hat. – Bei den Göttern, sagte Ktesippos, sehr gut weiß ich es, o Sokrates! es ist ja auch lächerlich genug. Denn daß ein Liebender, und der mehr als jeder andre immer nur auf seinen Knaben denkt, auch gar nichts eignes zu sagen weiß, was nicht jedes Kind ebenfalls sagen könnte, wie sollte das nicht lächerlich sein? Was aber die ganze Stadt erzählt von Demokrates und Lysis des Knaben Großvater und von allen seinen Vorältern, ihren Reichtum, ihre Pferdezucht und ihre Siege in den Pythischen, Isthmischen und Nemeischen Spielen mit dem Viergespann und dem Rennpferde, das bringt er in Gedichte und Reden. Und noch altväterischeres als dieses. Denn die Bewirtung des Herakles schilderte er uns neulich in ich weiß nicht was für einem Gedichte, wie nämlich wegen Verwandtschaft mit dem Herakles ihr Ahnherr den Herakles aufgenommen, selbst auch vom Zeus erzeugt mit der Tochter von dem ersten Stifter jener Zunft, kurz was die alten Mütterchen singen, und viel anderes dergleichen. Solcherlei ist es, was er in Reden und Gedichten vortragend auch uns anzuhören zwingt. – Als ich dies gehört, sagte ich, du lächerlicher Hippothales! ehe du noch gesiegt hast, dichtest du schon und singst auf dich selbst das Lobgedicht? – Auf mich selbst, o Sokrates, sagte er, habe ich doch nie weder gedichtet noch gesungen. – Du meinst es wenigstens nicht. – Aber wie wäre denn das, fragte er? – Auf alle Weise, sagte ich, zielen doch diese Gesänge auf dich. Denn gewinnst du dir einen Liebling solcher Art, so wird dir selbst zur Zierde gereichen, was du gesprochen und gesungen hast, und ein wahres Lobgedicht sein auf dich, als der den Preis davon getragen, weil du einen solchen Liebling erlangt hast: entgeht er dir aber, so wirst du je größeres du lobend gesagt hattest von diesem Liebling, auch nach Verhältnis des Schönen und Guten, so du verfehlst, um desto mehr verspottet (206) werden. Wer also, o Freund, in der Kunst zu lieben ein Meister ist, der lobt den Geliebten nicht eher bis er ihn hat, aus Furcht, wie die Sache ablaufen werde. Überdies auch werden die Schönen, wenn man sie lobt und verherrlicht, voll Einbildung und Hochmut; oder meinst du nicht? – Das wohl, sagte er. – Nicht auch das, je hochmütiger sie sind, desto schwerer sie zu besiegen werden? – Wahrscheinlich. – Was für ein Jäger also dünkt dich der, welcher jagend das Wild so aufscheucht, daß er es ungleich schwerer bekommt? – Ein schlechter offenbar. – So auch durch Reden und Gesänge nicht ankirren sondern wild machen, ist große Unkunde; nicht so? – Mich dünkt es. – Sieh also zu Hippothales, daß du nicht alles dessen schuldig machst durch dein Dichten. Denn ich glaube doch, demjenigen der durch seine Dichtungen sich selbst schadet, wirst du nicht zugestehn wollen, daß er ein guter Dichter sei, da er sich selbst zum Schaden ist. – Nein, beim Zeus, sagte er, das wäre ja große Unvernunft. Aber deshalb eben, o Sokrates, vertraue ich mich dir, und hast du etwas anderes, so rate mir, worüber man denn reden und was man tun muß um dem Geliebten angenehm zu werden. – Nicht leicht, sprach ich, ist das zu sagen: wolltest du aber bewirken, daß er mir selbst zum Gespräch käme, so könnte ich dir vielleicht einen Versuch zeigen, was mit ihm zu reden ist anstatt dessen, was, wie diese sagen, du redest und singst. – Das, sagte er, ist nichts schweres. Denn wenn du nur hier mit dem Ktesippos hineingehst und dich niedersetzest im Gespräch, so glaube ich wird er schon von selbst herzukommen; denn hörbegierig, o Sokrates, ist er vor Allen. Zumal sie nun die Hermaien feiern, sind Knaben und Jünglinge ohne Unterschied zusammen; er kommt dir also gewiß. Wo nicht, so ist er doch sehr bekannt mit dem Ktesippos durch dessen Vetter Menexenos, der sein vertrautester Freund ist unter allen. Ktesippos also kann ihn rufen, wenn er ja nicht von selbst kommt. – So sprach ich müssen wir es machen; und somit nahm ich den Ktesippos und ging in die Palaistra, die Andern aber gingen hinter uns.
Als wir nun hineintraten, fanden wir dort die Knaben nach vollbrachtem Opfer und fast aller heiligen Dinge Vollendung, alle schön geschmückt mit Knöcheln spielend. Die meisten nun spielten im Vorhofe draußen; einige aber auch in einem Winkel des Auskleidegemachs, spielten grade und ungrade mit gar vielen Knöcheln, die sie aus den Körbchen vorholten. Um diese her standen Andere zusehend, deren einer dann auch Lysis war, welcher dastand unter den Knaben und Jünglingen bekränzt und durch sein Ansehn sich auszeichnend vor Allen, (207) nicht etwa nur schön zu heißen verdienend, sondern schön und edel. Wir nun bogen um und setzten uns gegenüber, denn dort war es ruhig, und redeten etwas mit einander. Lysis aber sah sich häufig um nach uns, und hatte offenbar große Lust, sich zu uns zu gesellen. So lange nun war er bedenklich und verlegen, allein heranzukommen; hernach kam Menexenos währendes Spiels aus dem Vorhofe herein, und als er mich und den Ktesippos gewahr ward, kam er um sich zu uns zu setzen. Als das Lysis sah, folgte er ihm und setzte sich ebenfalls zu uns neben den Menexenos. Darauf nun traten auch die Andern herzu, und auch Hippothales, da er mehrere herumstehen sah, versteckte sich hinter diesen, und stellte sich, wo er glaubte vom Lysis nicht gesehen zu werden, aus Furcht es möchte ihm zuwider sein, und so ganz nahebei hörte er zu. Ich also wendete mich zum Menexenos, und sagte: Welcher von euch, o Sohn des Demophon, ist wohl der Ältere? – Wir streiten darüber, antwortete er. – Auch wohl darüber, sprach ich, könntet ihr streiten, welcher der Vornehmere wäre? – Allerdings. – Gewiß auch welcher der Schönere, eben so? Da lachten sie beide. Keinesweges aber, sprach ich weiter, will ich fragen, welcher der Reichere ist von euch beiden, denn ihr seid ja Freunde, nicht wahr? – Gar sehr, sagten sie. – Und Freunden ist ja alles gemein, wie man sagt. So daß hierin keine Verschiedenheit statt finden kann, wenn ihr anders die Wahrheit sagt von eurer Freundschaft. – Das gaben sie zu. – Und hierauf war ich eben im Begriff zu fragen, welcher wohl der gerechtere und weisere wäre von ihnen. Indem aber kam einer dem Menexenos zu sagen, der Meister der Palaistra riefe nach ihm; es schien mir, als habe er die Opferschau.
Dieser also ging weg; ich aber fragte den Lysis weiter, und sagte: Gewiß, o Lysis, lieben dich dein Vater und deine Mutter sehr? – Allerdings, sagte er. – Also wollten sie auch wohl, daß du so glücklich wärest als möglich? – Wie sollten sie nicht? – Scheint dir aber der glücklich zu sein, welcher dient, und nichts tun darf, wozu er Lust hat? – Beim Zeus, mir nicht, sagte er. – Also wenn die Eltern dich lieben, und wünschen daß zu glücklich seist: so sorgen sie doch gewiß auf alle Weise dafür, daß du ganz zufrieden bist? – Wie sollten sie nicht? sagte er. – Sie lassen dich also tun, was du willst, und schelten dich um nichts, oder verwehren dir etwas zu tun, wozu du Lust hast? – Ja wohl, beim Zeus, wehren sie mir, o Sokrates, und das gar Vieles. – Wie sagst du? sprach ich, Sie wollen, daß es dir wohl gehe und verwehren dir doch (208) zu tun was du willst? Sage mir doch dieses. Wenn du Lust hättest, auf einem von des Vaters Wagen zu fahren, und die Zügel selbst zu führen, wenn Wettlauf gehalten wird, würden sie dich nicht lassen, sondern es dir verwehren? – Beim Zeus, sagte er, sie würden mich doch nicht lassen. – Aber wen denn? – Da ist ein Wagenführer, der bekommt seinen Lohn vom Vater. – Wie sagst du? und einem Mietling erlauben sie eher als dir zu tun was er will mit den Pferden, und geben dem dafür auch noch Geld? – Aber wie anders? sprach er. – Doch das Maultiergespann glaube ich immer werden sie dir erlauben zu regieren, und auch wenn du die Peitsche nehmen und sie schlagen wolltest, würden sie es zugeben. – Woher, sagte er, würden sie es zugeben? – Wie denn, sprach ich, darf Niemand sie schlagen? – Ja freilich, sagte er, der Maultiertreiber. – Und ist der ein Knecht oder ein Freier? – Ein Knecht. – Einen Knecht also, wie es scheint, achten sie höher als dich ihren Sohn, und übergeben ihm das ihrige lieber als dir, und lassen ihn tun was er will, dir aber verwehren sie es? So sage mir doch noch dieses, lassen sie dich wohl dich selbst regieren, oder erlauben sie dir auch dieses nicht? – Wie sollten sie das doch erlauben! sagte er. – Sondern es regiert dich einer? – Hier der Knabenführer, sprach er. – Ist der auch ein Knecht? – Was sonst? unserer wenigstens. – Gewiß, sagte ich, das ist arg, daß du ein Freier von einem Knechte regiert wirst! Was tut aber eigentlich dieser Knabenführer, daß er dich regiert? – Er führt mich eben zum Lehrer. – Und gebieten dir die etwa auch, die Lehrer? – Allerdings ja. – Gar viele Herren und Gebieter setzt dir also dein Vater recht mit Bedacht. Aber doch wenn du nach Hause kommst zur Mutter, läßt diese dich, damit du ihr recht vergnügt seist, alles tun was du willst, es sei nun an der Wolle oder am Weberstuhl, wenn sie webt? Denn gewiß, sie verbietet dir weder die Weberlade anzurühren noch das Schiff, noch was sonst irgend zu ihrer Weberei gehört? – Da lachte er und sagte, beim Zeus, o Sokrates, nicht nur verbietet sie mirs, sondern ich bekäme gewiß Schläge, wenn ich etwas anrührte. – Herakles! sagte ich, hast du auch etwa dem Vater etwas zuleide getan oder der Mutter? – Beim Zeus, sagte er, ich nicht. – Aber weshalb verwehren sie dir so mit Gewalt glücklich zu sein und zu tun was du willst, und halten dich den ganzen Tag über immer unter Jemandes Befehlen, mit einem Wort, daß du fast gar nichts tun kannst, was du möchtest? So daß, wie es scheint, dir weder aller dieser Reichtum etwas nutzt, denn jeder Andere hat ja mehr darüber zu gebieten als du, noch auch diese so vorzügliche Gestalt, denn auch deinen Körper hütet und pflegt ja ein Anderer: du aber, o Lysis, hast über nichts zu gebieten, und kannst nichts (209) tun was du möchtest. – Ich habe eben, sprach er, noch nicht die Jahre dazu, o Sokrates. – Das mag es wohl nicht sein, o Sohn des Demokrates, sagte ich, was dich hindert! Denn dergleichen, glaube ich, überlassen dir doch der Vater sowohl als die Mutter, und warten nicht erst bis du die Jahre habest, zum Beispiel wenn sie etwas wollen vorgelesen haben oder geschrieben, werden sie es, denke ich, dir eher auftragen als irgend Einem im Hause. Nicht so? – Zuverlässig, sagte er. – Und nicht wahr, hier steht dir frei, welchen Buchstaben du willst zuerst zu schreiben und zum zweiten; und ebenso beim Lesen; und wenn du deine Lyra nimmst, glaube ich, wehrt dir weder Vater noch Mutter, welche Saite du willst, höher zu stimmen oder tiefer, und mit dem Finger zu kneipen oder mit dem Plektron zu schlagen. Oder verwehren sie dirs? – Ganz und gar nicht. – Was mag also nur, o Lysis, die Ursach sein, daß sie dir hier nicht wehren, wohl aber in dem, was wir vorher sagten? – Ich glaube, sprach er, weil ich dieses verstehe, jenes aber nicht. – Wohl, antwortete ich, Bester! Nicht also deine Jahre erwartet dein Vater, um dir alles zu überlassen, sondern welchen Tag er glauben wird, du seist klüger als er, an dem wird er dir sich selbst und alles das Seinige überlassen. – Das glaube ich selbst, sagte er. – Wohl, sprach ich, wie aber der Nachbar? hat der nicht dieselbe Regel deinetwegen, wie dein Vater? Meinst du, er wird dir sein Hauswesen zu verwalten überlassen, sobald er glaubt, du verstehest dich besser auf die Haushaltungskunst als er, oder er wird ihm dann noch selbst vorstehen wollen? – Er wird es mir überlassen, meine ich. – Und wie die Athener? glaubst du, sie werden dir nicht ihre Angelegenheiten übergeben, wenn sie merken, daß du Klugheit genug besitzest? – Ich glaube es. – Und beim Zeus, fuhr ich fort, wie wohl der große König? ob er wohl seinem ältesten Sohn, auf den die Regierung von Asien kommt, wenn Fleisch gekocht wird eher erlauben wird alles in die Brühe zu werfen, was er nur hineinwerfen will, als uns, wenn wir nämlich zu ihm kämen, und ihm zeigten, daß wir uns besser verständen als sein Sohn auf die Zubereitung der Speisen? – Uns offenbar, sagte er. – Und jenen zwar würde er auch nicht das mindeste hineinwerfen lassen, uns aber, wollten wir auch ganze Hände voll Salz nehmen, ließe er doch hineinwerfen. – Wie sollte er nicht? – Wie aber wenn sein Sohn an den Augen litte, ließ er ihn wohl an seinem eignen Augen etwas tun, wenn er ihn für keinen Arzt hält, oder verböte er es ihm? – Er verböte es gewiß. – Uns aber, wenn er uns für Arzneikundige hielte, wollten wir ihm auch die Augen aufreißen und mit Asche einstreuen, würde er doch, meine ich, nicht wehren, wenn er glaubte, daß wir es gründlich verständen. – (210) Du hast Recht. – Würde er nicht auch alles andere eher uns überlassen als sich und seinem Sohne, worin nämlich wir ihm weiser zu sein schienen als sie beide? – Notwendig, o Sokrates. – So verhält es sich also, lieber Lysis, sagte ich. Darüber, wovon wir uns richtige Einsichten erworben, wird Jedermann uns schalten lassen, Hellenen und Ausländer, Männer wie Frauen; wir werden darin tun was wir nur wollen, und Niemand wird uns gern hindern, sondern wir werden hierin ganz frei sein, und auch gebietend über Andere, und dieses wird das unsrige sein, denn wir werden Genuß davon haben. Wovon wir aber keinen Verstand erlangt haben, damit wird uns Niemand verstatten zu tun was uns gut dünkt; sondern Alle werden uns hinderlich sein, soviel sie können, nicht die Fremden allein, sondern Vater und Mutter, und wenn uns Jemand noch näher verwandt sein könnte als sie. Vielmehr werden wir selbst was diese Dinge betrifft Andern folgsam sein, und sie werden uns also fremd sein, denn wir werden keinen Genuß von ihnen haben. Räumst du ein, daß es sich so verhalte? – Ich räume es ein. – Werden wir also Jemanden lieb sein, und wird uns Jemand lieben in Hinsicht auf dasjenige, wozu wir unnütz sind? – Nicht füglich, sagte er. – Jetzt also liebt weder dich dein Vater noch sonst Jemand Jemanden in sofern er unbrauchbar ist. – Es ist nicht zu glauben, sagte er. – Wenn du aber verständig wirst, o Sohn, dann werden Alle dir freund und alle dir zugetan sein: denn du wirst brauchbar sein und gut. Wenn aber nicht: so wird weder irgend ein Anderer dir freund sein, noch selbst dein Vater, oder deine Mutter, oder deine Verwandten. Ist es also wohl möglich, o Lysis, sich damit viel zu wissen, worin man noch nichts weiß? – Und wie könnte man, sagte er. – Wenn also du noch des Lehrers bedarfst, weißt du noch nicht? – Richtig. – Also weißt du dich auch nicht viel wenn du doch noch unwissend bist. – Wahrlich, o Sokrates, sagte er, ich glaube auch nicht.
Als ich dies von ihm hörte, sah ich mich um nach dem Hippothales, und beinahe hätte ich mich verredet. Denn ich war schon im Begriff ihm zu sagen: So, o Hippothales, muß man mit dem Liebling reden, ihn demütigend und zur Ordnung bringend, nicht aber ihn aufblähend und verwöhnend. Da ich ihm aber ansah, wie er ganz in Angst und Verwirrung war über das Gesagte, erinnerte ich mich, daß er wollte, Lysis solle nicht einmal merken, daß er dabei stehe. Also begriff ich mich wieder, und hielt mit der Rede an mich, und darüber kam auch Menexenos zurück, und setzte sich neben (211) den Lysis, von welchem Platz er aufgestanden war. Lysis nun gar kindlich und freundlich, sagt mir ganz leise damit es Menexenos nicht höre, Was du mir gesagt hast, o Sokrates, das sage doch auch dem Menexenos. – Ich antwortete, Dieses kannst du ihm ja sagen, o Lysis, denn du hast sehr genau Acht gegeben. – Das freilich, sagte er. – Versuche also, sprach ich, es möglichst im Gedächtnisse zu behalten, damit du ihm Alles genau sagen kannst, solltest du aber etwas davon vergessen haben, so frage mich wieder, sobald du mich nur antriffst. – Wohl, sagte er, so will ich es machen, o Sokrates, aufs allergenauste, verlasse dich darauf. Aber sage ihm etwas anderes, damit ich auch zuhöre, bis es Zeit ist, nach Hause zu gehen. – Ja, das muß ich wohl tun, sprach ich, zumal du es wünschest. Aber sieh auch zu, wie du mir helfen willst, wenn Menexenos drauf ausgeht mich zu widerlegen. Oder weißt du nicht, daß er sehr streitbar ist? – Ja, beim Zeus, sagte er, gewaltig. Deshalb eben will ich, daß du dich mit ihm unterredest. – So, sprach ich, damit ich mich lächerlich mache? – Nein, beim Zeus, sondern damit du ihn etwas züchtigest. – Woher? sprach ich, das ist nicht leicht. Denn er ist ein gewaltiger Mensch, ein Schüler des Ktesippos; und da ist auch er selbst, siehst du ihn nicht? der Ktesippos! – Kümmere du dich um niemand, o Sokrates, sagte er, sondern geh rede mit ihm. – So muß ich wohl anfangen, sprach ich. – Indem wir dieses noch unter uns redeten, fragte Ktesippos: Ihr da, was tut ihr euch da gütlich allein, wovon ihr uns nichts mitteilen wollt? – Allerdings, sagte ich, wollen wir mitteilen. Dieser nämlich versteht etwas nicht, was ich sage, meint aber Menexenos werde es wissen, und heißt mich, diesen fragen. – Warum also fragst du ihn nicht? sagte Ktesippos. – Eben will ich es tun, sprach ich.
Sage mir also, o Menexenos, was ich dich fragen werde. Ich trage nämlich von Kindheit an groß Verlangen nach einer Sache, wie denn Jeder so die seinige hat. Denn einer hat große Lust Pferde zu haben, einer Hunde, einer Geld, einer Ehre. Ich aber bin gegen alle diese Dinge ziemlich gleichgültig, dagegen aber auf den Besitz von Freunden ganz leidenschaftlich, und einen guten Freund zu haben wäre mir lieber als die beste Wachtel oder der beste Hahn von der Welt; ja, beim Zeus, lieber als ein Pferd oder ein Hund; und ich glaube beim Hunde, ich würde allem Golde des Dareios bei weitem den Besitz eines Freundes vorziehn, weit mehr (212) noch als Dareios selbst; so sehr bin ich ein Freundelieb. Indem ich nun euch sehe, dich und den Lysis, bin ich erstaunt und preise euch glücklich, daß euch so jung schon gelungen ist dieses Besitztum schnell und leicht zu erwerben, und du dir diesen so schnell und sehr zum Freunde erworben hast, und dieser wiederum dich. Ich aber bin so weit von der Sache, daß ich nicht einmal dieses weiß, auf welche Art einer des andern Freund wird, sondern eben dieses von dir erfragen will, als einem Kundigen. Sage mir also, wenn einer einen liebt, welcher wird des andern Freund, der Liebende des Geliebten, oder der Geliebte des Liebenden? oder macht das keinen Unterschied? – Mir wenigstens, sagte er, scheint es keinen Unterschied zu machen. – Wie sagst du? sprach ich! beide also werden einander freund, wenn auch nur der eine den andern liebt? – Mich wenigstens, sagt er, dünkt es so. – Wie doch? geschieht es nicht, daß der Liebende nicht wieder geliebt wird von dem den er liebt? – Es geschieht. – Und wie? geschieht es auch, daß der Liebende gehaßt wird? wie doch manchmal die Liebhaber mit den Lieblingen dran zu sein glauben. Denn wiewohl liebend so sehr es nur irgend möglich ist, meinen doch Einige, daß sie nicht wieder geliebt, Andere gar, daß sie gehaßt werden. Oder dünkt dich dieses nicht wahr zu sein? – Sehr wahr, sagte er. – Und in einem solchen Falle, sprach ich, liebt doch der Eine, der Andere wird geliebt? – Ja. – Welcher also von ihnen ist des Andern Freund? der Liebende des Geliebten, mag er nun wieder geliebt werden oder auch gehaßt? oder der Geliebte des Liebenden? Oder ist im Gegenteil keiner von beiden in diesem Falle des Andern Freund, wenn nicht beide einander lieben? – Es hat wohl das Ansehen, als verhielte es sich auf die letzte Art. – Anders also scheint es uns jetzt als es vorher schien. Damals nämlich, daß wenn auch nur der Eine liebt, beide Freunde wären: jetzt aber, daß wenn nicht beide lieben, keiner Freund ist. – So kommt es heraus, sagte er. – Das Liebende ist also auch keinem freund, was nicht wiederliebt? – Es scheint nicht. – Also ist auch der kein Pferdefreund, den seine Pferde nicht wieder lieben, noch auch Wachtelfreund, noch Hundefreund, noch Weinfreund, noch Weisheitsfreund, welchen die Weisheit nicht wiederliebt? Oder liebt zwar Jeder von diesen seinen Gegenstand, ist ihm aber doch nicht freund, sondern der Dichter hat unrichtig gesprochen, welcher sagt: Glücklich, wer, denen er freund ist, Kinder und mutige Pferde, Hunde zur Jagd, Gastfreund' auch in der Ferne besitzt? – Nicht so scheint es mir wenigstens. – Sondern richtig dünkt er dich zu reden? – Ja. – Der Liebende ist also allerdings dem Geliebten freund, wie es scheint, o Menexenos, dieser mag ihn nun lieben oder hassen. So wie auch den Kindern, teils den ganz jungen, welche noch nicht lieben, teils auch denen, welche hassen, wenn sie eben von der (213) Mutter oder dem Vater gezüchtiget worden, dennoch selbst in dieser Zeit, wenn sie hassen, die Eltern über alles in der Welt freund sind. – Mir, sagte er, scheint es so zu sein. – Nicht also der Geliebte ist Freund nach dieser Rede, sondern der Liebende. – Das ist deutlich. – Also ist auch der Hassende feind, nicht der Gehaßte? – So scheint es. – Viele also lieben die, welche ihnen feind sind, und hassen dagegen die, welche ihnen freund sind, und sind also den Feinden freund und dagegen den Freunden feind, wenn nämlich der Liebende Freund ist, und nicht der Geliebte? Dieses aber ist doch große Unvernunft, lieber Freund, oder vielmehr, glaube ich, gar unmöglich, dem Feinde freund sein und dem Freunde feind? – Sehr recht, sagte er, hast du offenbar, o Sokrates. – Also wenn dieses unmöglich ist, so wäre wohl der Geliebte dem Liebenden freund? – Das leuchtet ein. – Also auch der Gehaßte dem Hassenden feind? – Notwendig. – Wird aber nicht so herauskommen, daß wir notwendig dasselbe zugeben müssen, wie bei dem Vorigen, daß oft einer freund ist dem der ihm nicht freund ist, oft auch dem, der ihm feind ist, wenn Jemand geliebt wird nicht wiederliebend, oder wohl gar hassend; daß auch oft einer feind ist dem der ihm nicht feind ist, sondern wohl gar freund, wenn Jemand gehaßt wird nicht wieder hassend, oder wohl gar liebend? – So scheint es zu werden, sagte er. – Was also sollen wir machen, sprach ich, wenn weder die Liebenden Freunde sein sollen, noch auch die Geliebten, noch auch nur die zugleich Liebenden und Geliebten, sondern wir von Andern außer diesen behaupten sollen, daß sie einander freund werden? – Beim Zeus, sagte er, o Sokrates, ich weiß gar keinen Rat. – Haben wir auch etwa, sprach ich, o Menexenos, unsere Untersuchung überall unrichtig angelegt? – So dünkt es mich wohl, o Sokrates, sagte Lysis, und wie er es gesagt, so errötete er. So daß das Wort ihm schien wider Willen entschlüpft zu sein, weil er mit ganzer Seele darauf achtete, was gesprochen ward. Und so hatte er offenbar auch, als er zuhörte, immer getan.
Ich also, teils weil ich den Menexenos ausruhen wollte, teils auch in der Freude über Jenes Nachdenklichkeit, wechselte um, und die Rede an den Lysis richtend sagte ich: O Lysis, du scheinst mir richtig zu sprechen, denn wenn wir unsere Untersuchung recht angelegt hätten, so würden wir schwerlich so in die Irre geraten sein. Hier also laß uns nicht weitergehen, denn sie ist offenbar gar ein schlimmer Weg diese Untersuchung; sondern wo wir abgelenkt haben, da, glaube ich, müssen wir weiter gehn, und nach den Dichtern untersuchen. Denn diese sind doch gleichsam unsere Väter und Führer in der Weisheit. Sie reden aber so, daß sie sich wahrlich nicht schlecht erklären über Freunde, wer sie sind, sondern der Gott (214) selbst, sagen sie, führe sie einander zu, und mache sie zu Freunden. Es lautet aber dieses bei ihnen wo ich nicht irre so: Wie doch stets den Gleichen ein Gott gesellet zum Gleichen, und ihn bekannt macht. Oder sind dir diese Verse niemals vorgekommen? – Mir wohl, sagte er. – Auch wohl Schriften sehr weiser Männer sind dir vorgekommen, welche eben dasselbe sagen, daß das Ähnliche dem Ähnlichen notwendig immer freund sei. Und dies sind die, welche von der Natur und dem All reden und schreiben. – Richtig, sagte er. – Sprechen sie also wahr? – Vielleicht, sagte er. – Vielleicht, sprach ich, zur Hälfte, vielleicht aber auch ganz, und wir verstehen es nur nicht. Denn uns scheint der Böse dem Bösen, je näher er ihm kommt, und je genauer er mit ihm umgeht, um desto mehr feind werden zu müssen. Denn er beleidigt; die Beleidigenden aber und Beleidigten können unmöglich Freunde sein. Nicht so? – Gewiß, sagte er. – Auf diese Art also wäre von dem Gesagten die Hälfte nicht wahr, wenn doch die Bösen einander auch ähnlich sind. – Du hast Recht. – Aber mich dünkt, sie wollen nur von den Guten sagen, daß sie einander ähnlich sind und freund; die Bösen aber, was ja auch von ihnen gesagt wird, wären niemals nicht einmal sich selbst ähnlich, sondern veränderlich und nicht zu berechnen. Was aber sich selbst unähnlich ist, und mit sich selbst in Zwiespalt, damit hat es gute Wege, daß es jemals sollte einem andern ähnlich werden und freund. Oder meinst du nicht auch so? – Ich allerdings, sagte er. – Dieses also, o Freund, wollen jene, wie mich dünkt, andeuten, welche sagen das Ähnliche sei dem Ähnlichen freund, daß nämlich nur der Gute und nur dem Guten freund ist, der Böse aber niemals weder mit dem Guten noch mit dem Bösen zu einer wahren Freundschaft gelangt. Stimmst du mit ein? – Er bejahete es. – Das also hätten wir nun, welche Menschen Freunde sind; denn die Rede zeigt ganz deutlich an, es sind die welche gut sind. – So, sagte er, scheint es allerdings. Auch mir, sprach ich; wiewohl eines verdrießt mich daran. Komm also, und um Zeus willen, laß uns betrachten was ich zu sehen glaube. Der Ähnliche ist dem Ähnlichen, sofern er ähnlich ist, freund; und ist ein solcher einem solchen auch nützlich. Oder vielmehr so: jedes Ähnliche, welchen Nutzen kann es jedem Ähnlichen wohl bringen, oder welchen Schaden ihm zufügen, den es nicht auch sich selbst täte? oder überhaupt, was ihm antun, was nicht auch jedes sich selbst antun könnte? Solche Dinge also, wie können sie (215) Anhänglichkeit an einander haben, da sie einander gar keine Hülfe gewähren? Kann es irgendwie sein? – Es kann gar nicht sein. – Und ohne Abhänglichkeit, wie kann etwas freund sein? – Auf keine Weise. – Allein so ist zwar der Ähnliche dem Ähnlichen nicht freund, wohl aber könnte der Gute dem Guten, sofern er gut, nicht sofern er ähnlich ist, freund sein? – Vielleicht. – Wie aber? wird nicht der Gute, in wiefern er gut ist, in sofern auch sich selbst genügen? – Ja. – Der aber sich selbst genügt bedarf keines Andern, soweit dieses Genügen geht? – Wie sollte er? – Der aber keines bedarf, wird auch keinem anhängen? – Freilich nicht. – Der aber keinem anhängt, wird auch keinen lieben? – Nicht füglich. – Und der nicht liebt, ist doch wohl nicht freund? – Nein, offenbar. – Wie also können uns nur überall Gute mit Guten freund werden, welche weder in der Abwesenheit sich nach einander sehnen, denn sie genügen Jeder sich selbst auch einzeln, noch auch vereinigt irgend Nutzen von einander haben? Wie ist zu bewerkstelligen, daß solche einander sehr wert seien? – Auf keine Art, sagte er. – Freunde aber können sie doch nicht sein, wenn sie einander nicht sehr wert sind. – Das ist richtig. – Sieh also zu, o Lysis, wie wir übel ankommen! Werden wir auch etwa um ein Ganzes dabei betrogen? – Wie so, sprach er. – Ich habe schon irgendwann einen sagen gehört, und erinnere mich dessen itzo, daß das Ähnliche dem Ähnlichen, also auch der Gute dem Guten am meisten feind wäre. Ja auch den Hesiodos führte er zum Zeugen an, sagend, daß ja auch ein Töpfer ist feind dem Anderen, Sängern die Sänger, Bettlern der Bettler sogar, und von allem andern zeigte er auf gleiche Weise, daß notwendig das Ähnlichste am meisten mit Neide, Streit und Feindschaft gegen einander erfüllt sein müsse, das Unähnlichste aber mit Freundschaft. Denn dem Reichen sei der Arme genötiget Freund zu sein, und dem Starken der Schwache des Beistandes wegen, und dem Arzt der Kranke, und jeder Unkundige müsse sich anhängen an den Kundigen und ihn lieben. Ja auch noch weiter führte er den Satz aus in einem höheren Sinne behauptend, daß weit gefehlt das Ähnliche sei dem Ähnlichen freund, vielmehr das Gegenteil hievon sich zeige, und das Entgegengesetzte dem Entgegengesetzten am meisten freund sei. Denn dessen begehre ein Jedes, nicht aber des Ähnlichen, das Trockne nämlich des Feuchten, das Kalte des Warmen, das Bittre des Süßen, das Scharfe des Stumpfen, das Leere der Erfüllung und das Volle der Ausleerung, und so alles Andere auf dieselbige Weise. Denn jedes Gegenteil sei Nahrung für sein Gegenteil, von dem Ähnlichen (216) aber habe das Ähnliche gar keinen Genuß. Und zwar, o Freund, dünkte er sich recht wichtig, da er dieses sagte; denn er sprach sehr gut. Euch aber, sprach ich, wie gefällt seine Rede? – Sehr gut, sagte Menexenos, soviel man so hören kann. – Wollen wir also annehmen, daß jedem sein Entgegengesetztes auch am meisten freund ist? – Das wollen wir. – Wohl, sprach ich, ist es auch nicht ungereimt, Menexenos? und werden nicht voller Freuden sogleich die hochweisen streitkundigen Männer auf uns losgesprungen kommen, und uns fragen, ob nicht der stärkste Gegensatz zur Feindschaft die Freundschaft wäre? Was nun sollen wir diesen antworten? Oder müssen wir nicht notwendig zugeben, es sei wahr was sie sagen? – Notwendig. – Ist also, werden sie sagen, Feindschaft der Freundschaft freund, oder Freundschaft der Feindschaft? – Keines von beiden, sprach er. – Aber doch das Recht um Unrecht, oder das Besonnene dem Unbändigen, oder das Gute dem Bösen? – Mir scheint es nicht sich so zu verhalten. – Dennoch aber, sagte ich, wenn der Entgegensetzung wegen eins dem andern freund wird, müssen auch diese freund sein. – Notwendig. – Weder also ist das Ähnliche dem Ähnlichen freund noch das Entgegengesetzte dem Entgegengesetzten. – Es läßt sich nicht so an. – Laß uns aber auch dieses noch sehen: verbirgt sich uns auch nicht die Freundschaft noch mehr, und ist nichts von dem allen, sondern es wird nur so etwa das weder gut noch böse dem Guten freund. – Wie, sagte er, meinst du? – Ja, beim Zeus, sprach ich, ich weiß es nicht, sondern ich bin in der Tat selbst schwindlich von der Verwirrung der Sache; und so wird wohl am Ende nach dem alten Sprichwort das Schöne das Liebe sein. Wenigstens läßt dieses sich an wie etwas gar weiches, glattes, schlüpfriges. Darum auch vielleicht entschlüpft es uns so leicht und entkommt uns, weil es so geartet ist. Ich meine nämlich das Gute sei schön. Meinst du nicht auch? – Ich ebenfalls. – Ich meine also nur gleichsam ahndend, daß dem Schönen und Guten das weder gut noch böse freund ist. In welcher Beziehung aber ich dieses ahnde, das höre. Ich denke mir nämlich dieses als drei verschiedene Gattungen, erst das Gute, dann das Böse, dann das weder gut noch böse. Wie du? – Auch ich, sagte er. – Und daß weder das Gute dem Guten, noch auch das Böse dem Bösen, noch auch das Gute dem Bösen freund ist, wie auch die bisherige Rede nicht zuläßt. Also bleibt, wenn nämlich etwas einem freund sein soll, nur übrig, daß das weder gut noch böse freund sein kann entweder dem Guten oder solchem wie es selbst ist. Denn dem Bösen kann doch nichts freund sein. – Richtig. – Aber auch nicht das Ähnliche dem Ähnlichen, sagten wir vorhin. Nicht wahr? – Ja. – Also kann auch nicht dem weder gut noch bösen dasjenige freund sein, was eben so ist? – Nein wie man sieht. – Es folgt also, daß allein das weder gut noch böse dem Guten (217) allein kann freund werden. – Notwendig, wie es das Ansehn hat. – Wird uns aber auch, sagte ich, ihr Kinder, das jetzt gesagte richtig führen? Wenn wir zum Beispiel betrachten wollen den gesunden Leib, der bedarf weder der Arzneikunst noch Hülfe; denn er ist sich selbst genug, so daß kein Gesunder einem Arzt freund wird der Gesundheit wegen. Nicht wahr? – Keiner. – Aber der Kranke, glaube ich, der Krankheit wegen? – Wie sollte er nicht? – Und die Krankheit ist doch ein Übel, die Arzneikunst aber etwas Hülfreiches und Gutes? – Ja. – Der Leib aber ist doch sofern er Leib ist weder gut noch böse? – So ist es. – Genötiget aber wird der Leib der Krankheit wegen der Arzneikunde anzuhängen und sie zu lieben? – So scheint es mir. – Das weder bös noch gute also wird freund dem Guten wegen einer bösen Anhaftung? – So folgt es. – Offenbar aber doch ehe es noch durch das ihm anhaftende Böse selbst böse geworden ist. Denn, böse geworden, könnte es doch nicht mehr des Guten begehren und ihm freund sein; denn unmöglich, behaupteten wir, kann das Böse dem Guten freund sein. – Es ist auch unmöglich. – So erwäget denn, was ich sage. Ich sage nämlich, daß Einiges zwar wie das was ihm anhaftet selbst auch so ist, anderes aber nicht. Wie wenn Jemand mit irgend einer Farbe etwas bestreicht, so haftet doch auf dem Bestrichenen das Aufgestrichene. – Allerdings. – Ist aber dann auch das Bestrichene der Farbe nach so wie das darauf befindliche? – Ich verstehe nicht, sagte er. – Aber doch so, sprach ich. Wenn Jemand deine goldfarbigen Haare mit Bleiweiß bestriche, wären sie dann wohl weiß, oder schienen sie nur so? – Sie schienen nur. – Doch aber haftete an ihnen die Weiße. – Ja. – Nichts desto weniger aber wären sie doch nicht weiß, sondern ohnerachtet der anhaftenden Weiße sind sie weder weiß noch schwarz. – Richtig. – Wenn aber, o Freund, das Alter ihnen diese nämliche Farbe mitgeteilt hat, dann sind sie geworden wie das ihnen anhaftende, weiß nämlich wegen des Anhaftens der Weiße. – Wie könnte es anders sein? – Hiernach also frage ich eben, ob das, worauf etwas haftet, immer so ist wie das daran haftende? oder ob nur wenn es auf eine gewisse Weise daran haftet jenes eben so sein wird, wenn aber anders dann nicht? – Das letzte also, sagte er. – Auch das weder gut noch böse ist also bisweilen bei daran haftendem Bösen noch nicht böse, in andern Fällen aber ist es schon ein solches geworden. – Allerdings. – Also wenn es noch nicht böse ist ohnerachtet des daran haftenden Bösen, so erregt eben dieses Anhaften ihm ein Verlangen nach dem Guten; ein bösemachendes Anhaften aber beraubt es dieses Verlangens sowohl als auch der Freundschaft zum Guten. Denn (218) nun ist es kein weder gut noch böses mehr, sondern ein Böses, und das Böse war dem Guten nicht freund. – Freilich nicht. – Dem gemäß könnten wir daher auch sagen, daß die schon Weisen nicht mehr Weisheitsfreunde sind, seien dies nun Götter oder Menschen, noch auch diejenigen ihr freund sind, welche den Unverstand so an sich haben daß sie böse sind; denn kein Böser und Ungelehriger liebt die Weisheit. Übrig also bleiben diejenigen, welche jenes Übel zwar haben, den Unverstand, noch nicht aber dadurch unverständig und gelehrig geworden, sondern noch der Meinung sind, sie wüßten das nicht, was sie wirklich nicht wissen. Daher auch nur diejenigen philosophieren, welche noch weder gut noch böse sind, alle Bösen aber philosophieren nicht, noch auch die Guten. Denn weder das Entgegengesetzte war dem Entgegengesetzten freund noch das Ähnliche dem Ähnlichen, wie sich gezeigt hatte in unsern vorigen Reden. Oder erinnert ihr euch nicht? – Sehr gut, sagten sie. –
Jetzt also haben wir, sprach ich, o Lysis und Menexenos, ganz sicher ausgefunden was freund ist und was nicht? Wir behaupten nämlich sowohl in Betreff der Seele als des Leibes und überall sei nur das weder gut noch böse wegen Anhaftung eines Bösen freund dem Guten. – Auf alle Weise wollten sie behaupten und einräumen daß es sich so verhalte. – Und auch ich selbst freute mich sehr, als hätte ich wie ein Jäger nun zur Genüge was ich gejagt hatte. Hernach aber kam mir, ich weiß nicht woher, der seltsamste Verdacht, daß wohl Alles nicht wahr wäre, was wir zusammen ausgefunden hatten. Und sehr verdrießlich sagte ich: O weh, Lysis und Menexenos, wir werden wohl nur im Traume den Schatz gehoben haben. – Was ist wieder, fragte Menexenos? – Ich fürchte, sprach ich, wie auf prahlerische Menschen, so sind wir wohl auf eben solche falsche Gedanken über die Freundschaft gekommen. – Woher? fragte er. – Laß es uns so betrachten, sprach ich. Wer freund ist, ist der Jemanden freund oder nicht? – Notwendig, sagte er. – Und um keines Endzwecks willen, auch keiner Ursache wegen? oder wegen etwas und um etwas willen? – Um etwas und wegen etwas. – Ist er nun auch dieser Sache freund, um derentwillen er der andern freund ist, oder ist er ihr weder freund noch feind? – Ich folge dir nicht recht, sagte er. – Kein Wunder, sprach ich. Aber so wirst vielleicht du besser folgen, und, denke ich, auch ich besser wissen was ich meine. Der Kranke, sagten wir eben, ist dem Arzt freund. Nicht wahr? – Ja. – Und zwar der Krankheit wegen um der Gesundheit willen ist er dem Arzte freund? – Ja. – Die Krankheit aber ist etwas böses? – Wie sollte sie nicht? – Die Gesundheit aber, ist die gut oder böse oder keines von beiden? – (219) Gut, sprach er. – Wir sagten also, wie es scheint, der Leib, weder gut noch böse, wäre wegen der Krankheit, das heißt etwas bösen, der Arzneikunst freund. Die Arzneikunst aber ist etwas gutes; und um der Gesundheit willen empfängt die Arzneikunst die Freundschaft; die Gesundheit aber ist gut. Nicht so? – Ja. – Ist er nun der Gesundheit freund oder nicht freund? – Freund. – Der Krankheit aber feind? – Allerdings. – Das weder bös und gute also ist wegen des Bösen und Verhaßten dem Guten freund, um eines Guten willen, dem es freund ist? – So zeigt es sich. – Freund ist man also dem man freund ist um etwas willen, dem man freund ist wegen etwas dem man feind ist. – So sieht es aus. – Gut, sprach ich. Da wir nun hier angekommen sind, Kinder, so laßt uns wohl Acht geben, daß wir nicht betrogen werden. Denn daß nun Freund dem Freunde freund geworden ist, lasse ich gehn, obgleich so das Ähnliche dem Ähnlichen freund wird, welches wir für unmöglich erklärt haben. Dieses aber laßt uns wenigstens erwägen, damit nicht das jetzt angenommene uns betrüge. Der Arzneikunst, sagten wir, ist man freund um der Gesundheit willen? – Ja. – Also ist man auch der Gesundheit freund? – Allerdings. – Wenn aber, so ist man es um etwas willen? – Ja. – Und zwar um etwas willen dem man freund ist, wenn auch dies dem vorhin angenommenen folgen soll. – Allerdings. – Also auch jenem wird man freund sein um eines Andern willen, dem man freund ist? – Ja. – Müssen wir also nicht müde werden, so umher zu gehen, und bei einem Anfange ankommen, der nicht wieder auf eine andere Freundschaft zurückführt, sondern auf jenes selbst geht, dem wir zuerst freund sind, allem andern aber nur um seinetwillen freund zu sein gestehen? – Notwendig. – Dies ist es nun eben, was ich meine, daß nur nicht alles, welchem wir um jenes willen freund zu sein bekennen, als bloßes Schattenbild davon uns betrügt, eigentlich aber nur jenes erste es ist, dem wir wahrhaft freund sind. Wir wollen es nämlich so überlegen: Wenn jemand aus etwas sehr viel macht, wie der Vater den Sohn pflegt allen andern Dingen vorzuziehen; kann nicht ein solcher, eben deshalb, weil ihm der Sohn über Alles geht, sich auch aus etwas Anderem sehr viel machen? Etwa wenn er gewahr würde, Jener habe Schierling getrunken, würde er sich dann nicht sehr viel aus Wein machen, indem er glaubte, dieser könne den Sohn retten? – Was wird er nicht? sagte er. – Ja auch aus dem Gefäß, worin der Wein wäre? – Auch wohl. – Achtet er aber deshalb keines von beiden höher, den tönernen Becher oder seinen Sohn? die drei Maß Wein oder seinen Sohn? Oder verhält es sich nicht vielmehr so. Alle solche Sorgfalt geht eigentlich gar nicht auf dasjenige, was um eines Andern willen herbeigeschafft wird, sondern auf jenes, um (220) deswillen das Andere alles herbeigeschafft wird. Wenn gleich wir öfters sagen, wir machen uns viel aus Gold und Silber, mag das doch demohnerachtet nicht das wahre sein; sondern woraus wir uns viel machen, das ist jenes, was sich als das zeigt, um dessentwillen wir das Gold und alles andere Erworbene erwerben. Wollen wir dies behaupten? – Allerdings. – Also auch von dem Freunde gilt dasselbe? Denn wovon wir sagen, daß wir ihm um eines Andern willen freund sind, das benennen wir offenbar nur mit einem fremden Wort, freund aber mögen wir in der Tat wohl nur jenem sein, in welchem alle diese sogenannte Freundschaften endigen. – So wird es sich wohl verhalten, sagte er. – Dem also, welchem wir in Wahrheit freund sind, sind wir es nicht um eines Andern willen, dem wir auch freund wären? – Richtig. – Dieses also ist abgemacht, wem wir freund sind, sind wir es nicht um eines Andern willen, dem wir es auch sind. Aber sind wir wohl dem Guten freund? – Mich dünkt es. – Wird also wegen des Bösen das Gute geliebt, und es verhält sich so: wenn von jenen drei eben erwähnten Gattungen, dem Guten, dem Bösen und dem weder gut noch bösen, die beiden andern gesetzt werden, das Böse aber aus dem Wege geschafft wird, und nichts mehr berühren kann, weder Leib noch Seele, noch etwas anderes von dem, was wie wir sagten an und für sich weder gut noch böse ist, wäre dann wohl das Gute uns gar nichts mehr nutz, sondern wäre unnütz geworden? Denn wenn uns nichts mehr schadete, so bedürften wir auch nirgends keiner Hülfe. Und so würde alsdann offenbar, daß wir nur des Bösen wegen dem Guten anhingen und es liebten, weil nämlich das Gute die Arznei ist wider das Böse, das Böse aber die Krankheit. Gibt es nun keine Krankheit mehr, so bedarf man auch keiner Arznei. Ist es wohl so beschaffen mit dem Guten, und wird es wohl so des Bösen wegen geliebt von uns, die wir mitten inne sind zwischen dem Bösen und Guten, hat aber selbst an und für sich gar keinen Nutzen? – Es hat das Ansehn, sprach er, sich so zu verhalten. – Jenes erste also, in welchem sich alle übrigen Dinge endigten, denen wir um eines Andern willen freund waren, hat mit allen diesen gar keine Ähnlichkeit. Denn allen diesen nannten wir uns freund um eines Andern willen, dem wir freund waren; jenes eigentliche aber scheint diesen ganz entgegengesetzt geartet zu sein, indem sich zeigte, daß wir ihm freund sind wegen etwas dem wir feind sind. Würde aber dieses letztere fortgeschafft, so würden wir ihm wie es scheint nicht mehr freund sein. – Mich dünkt nicht, sprach er, nach dem wenigstens, was eben gesagt wird. – Ob man wohl, sprach ich, um Zeus willen, wenn auch alles (221) Böse untergegangen ist, dann nicht hungern wird und nicht dursten, und nichts anderes der Art? Oder wird zwar Hunger sein, wenn doch Menschen und andere Tiere sein sollen, aber er wird nicht verderblich sein; und so auch der Durst und die andern Begierden, nur nicht böse werden sie sein, da ja das Böse untergegangen ist. Oder ist es eine lächerliche Frage, was alsdann sein wird und nicht sein? Denn wer weiß es? Dieses aber wissen wir doch, daß auch jetzt schon wer hungert Schaden davon haben kann, auch Nutzen davon haben kann, nicht wahr? – Allerdings. – Nicht auch wer durstet oder etwas anderes dergleichen begehrt, begehrt es bisweilen sich zum Nutzen, bisweilen zum Schaden, bisweilen ohne eins von beiden? – Gewiß. – Also wenn auch das Böse unterginge, wie käme das was nicht böse ist dazu mit dem Bösen zugleich unterzugehn? – Auf keine Weise. – Die weder gut noch bösen Begierden werden also bleiben, wenn auch das Böse untergeht? – Das leuchtet ein. – Ist es aber wohl möglich etwas zu begehren und zu lieben, ohne dem freund zu sein was man begehrt und liebt? – Mich dünkt es nicht. – Also auch wenn das Böse untergegangen ist, wie es scheint, werden wir einigen freund sein? – Ja. – Nicht doch, wenn das Böse die Ursach der Freundschaft war, könnte wohl nach Untergang des Bösen nichts mehr einem Andern freund sein; denn ist eine Ursach weggenommen, so kann unmöglich das noch statt finden, wovon dieses die Ursach war. – Du hast Recht. – Darüber aber waren wir einig, daß wer einem freund ist es auch liebe, und zwar wegen etwas, und wir glaubten damals wenigstens, das weder gut noch böse liebe so des Bösen wegen das Gute? – Richtig. – Jetzt aber, wie es scheint, zeigt sich wieder eine andere Ursach des Liebens und Geliebtwerdens? – So scheint es. – Ist nun in der Tat, wie wir jetzt sagten, das Begehren die Ursach der Freundschaft, und das Begehrende dem freund was es begehrt, dann wann es begehrt? alles aber, was wir zuvor sagten vom freund sein war nur Geschwätz wie ein langes zurechtgelegtes Machwerk. – So wird es wohl sein, sagte er. – Aber, sprach ich, das Begehrende begehrt doch das, was ihm fehlt. Nicht wahr? – Ja. – Wem also etwas fehlt, das ist dem freund, was ihm fehlt? – Mich dünkt. – Jedem aber fehlt das, was ihm entzogen ist? – Wie anders? – Auf das Angehörige also, wie es scheint, geht Liebe und Freundschaft und Verlangen, wie sich zeigt, o Menexenos und Lysis? – Sie stimmten ein. – Ihr beide also, wenn ihr gegenseitig Freunde seid, müßt irgendwie von Natur einander angehören. – Offenbar, sagten sie. – Und auch sonst ihr Kinder, sprach (222) ich, wo einer des andern begehrt und liebt, er würde ihn weder begehren noch lieben, noch ihm freund sein, wenn ihm nicht der Geliebte angehörig wäre überhaupt der Seele nach oder wegen irgend einer Gesinnung, Art und Eigenschaft. – Gewiß, sagte Menexenos; Lysis aber schwieg. Wohl, sprach ich. Das von Natur angehörige also müssen wir, wie sich zeigt, notwendig lieben? – So folgt es, sagte er. – Notwendig also muß auch der echte Liebhaber, und der sich nicht nur so anstellt, wiedergeliebt werden von seinem Liebling? – Diesem nun wollten Lysis und Menexenos kaum Bejahung zuwinken. Hippothales aber wechselte alle Farben vor Freude. – Da sagte ich in der Absicht den Satz noch näher zu betrachten: Ja wenn das Angehörige von dem Ähnlichen irgend verschieden wäre, o Menexenos und Lysis, dann wäre hiemit etwas gesagt über die Freundschaft, was sie ist. Wenn aber das Ähnliche und das Angehörige dasselbe ist, so ist es doch nicht so leicht unsern vorigen Satz wegzuwerfen, daß nämlich das Ähnliche dem Ähnlichen, soweit seine Ähnlichkeit geht, unnütz ist. Zu dem unnützen aber als freund sich zu bekennen, ist Frevel. Wollt ihr also, da wir gleichsam berauscht sind von der Rede, daß wir nachgeben und behaupten, das Angehörige sei etwas anderes als das Ähnliche? – Allerdings. – Wollen wir nun auch weiter sagen, das Gute sei Jedem angehörig, das Böse aber Jedem fremdartig? oder das Böse sei dem Bösen angehörig, und dem Guten das Gute, und dem weder gut noch bösen das weder gut noch böse? – Sie meinten auf die letzte Art schiene ihnen jedes Jedem angehörig zu sein. – Da sind wir also, sprach ich, ihr Kinder, wieder in die vorher verworfenen Gedanken von der Freundschaft hineingeraten. Denn so wird der Ungerechte dem Ungerechten und der Böse dem Bösen nicht weniger freund sein als der Gute dem Guten. – So scheint es, sagte er. – Wie aber, wenn wir sagten, das Gute und das Angehörige sei einerlei, wird dann nicht der Gute dem Guten allein freund sein? – Gewiß. – Aber auch dieses glaubten wir uns selbst widerlegt zu haben. Oder erinnert ihr euch nicht? – Sehr gut erinnern wir uns. – Was haben wir also nun noch an dem Satz? Offenbar wohl nichts. Ich bitte euch daher, wie vor Gericht die Redner pflegen, das Gesagte alles noch einmal zurückzurufen. Wenn nämlich weder die Geliebten noch die Liebenden, noch die Ähnlichen noch die Unähnlichen, noch die Guten noch die Angehörigen, noch was wir sonst durchgenommen haben, denn ich erinnere es mich nicht mehr alles vor der großen Menge; wenn also nichts von allem diesem der Gegenstand der Freundschaft ist, so weiß ich meines Teils nicht mehr was ich sagen soll.
Dieses gesprochen, war ich im Begriff, einen anderen von den (223) Älteren in Bewegung zu setzen. Da kamen aber eben wie schlimme Geister die Knabenführer herbei, der des Menexenos sowohl als der des Lysis mit deren Brüdern an der Hand, und riefen sie ab, sie sollten nach Hause gehn, denn es war schon spät. Zuerst zwar wollten wir und die Umstehenden sie forttreiben; da sie sich aber nichts um uns kümmerten, sondern in sehr schlechtem Hellenisch brummten und schalten, und doch immer wieder riefen: so glaubten wir, zumal sie an den Hermaien ein wenig mochten getrunken haben, daß nichts mit ihnen würde auszurichten sein; und lösten, gezwungen von ihnen, die Gesellschaft auf. Doch sagte ich noch als sie schon gingen: Diesmal, o Lysis und Menexenos, haben wir uns lächerlich gemacht, ich der alte Mann und ihr. Denn diese wenn sie nun gehen, werden sagen, wir bildeten uns ein Freunde zu sein, nämlich ich rechne auch mich mit zu euch; was aber ein Freund sei, hätten wir noch nicht vermocht auszufinden.