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Sonntag Nachmittag erschien ich pünktlich um drei Uhr bei Susan, und da es zufällig ein strahlend schöner Sonntag war, begaben wir uns sofort in die wundervollen Gärten der botanischen Gesellschaft in Regentspark, wo wir auf dem samtweichen Gras dahin wandelten, das um diese Zeit unter den Strahlen der Sonne all seine Feuchtigkeit verloren hatte. Wir schlenderten durch das Palmenhaus, wo sich die Kronen der Bananen und Palmen haushoch über unsern Häuptern wölbten, und besuchten auch das Haus der Wasserlilien und betrachteten die Riesenblätter der Victoria regia.
Der größte Reiz des Regentsparks und besonders der botanischen Gärten lag für mich von jeher in der Unmasse von Vögeln, die man dort, inmitten der Häuserwildnis von London, ganz unerwartet vorfindet; ich glaube, mit Ausnahme von nur wenigen Spezialitäten, sind alle in England vorkommenden Gattungen von Vögeln vertreten.
Während wir ruhig und ungestört in dem um diese Jahreszeit nur wenig besuchten Park auf und ab wandelten, begann Susan plötzlich: »Jack, erst die Arbeit und dann das Vergnügen, wie jener Schulmeister sagte, der die Schuljungen immer erst in der letzten Viertelstunde vor dem Essen prügelte. Lassen Sie hören, was Sie mir zu sagen haben.«
Ich fühlte mich wohl ein wenig verlegen, aber geschehen mußte es nun doch einmal, und so berichtete ich ihr kurz und doch so ausführlich wie möglich meine Verlobung mit Miß Rock.
»Haben Sie sie gern, Jack?«
»Ja, ich glaube aufrichtig, daß ich sie so lieb habe, wie ich irgend ein Weib außer Ihnen lieb haben kann. Sie ist hübsch, gescheit, ohne geistreich zu sein, hat eine liebenswürdige Gemütsart, soweit ich dies beurteilen kann, liebt die Tiere und behandelt sie freundlich, was immer ein gutes Zeichen ist bei einer Frau, und hat außerdem, was ich Ihnen nicht erst zu sagen brauche, eine ungezählte Menge Geld.«
»Ich glaube, daß Sie recht thun,« antwortete sie; »ich kenne zufällig einige Leute, die mit Vater und Tochter zusammengetroffen sind und nur gutes von ihnen erzählt haben. Sie mögen sein, wie sie wollen, protzig sind sie nicht, und Miß Rock besonders, von der ich mehrere Bilder gesehen habe, soll nicht nur sehr schön, sondern auch sehr klug und gebildet sein. Gewiß, Jack, Sie haben in jeder Beziehung richtig und klug gehandelt, und ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Glück. Ihr Schwein war ohne Zweifel schon von Natur ganz gut, aber Sie haben es auch auf einen vorzüglichen Markt getrieben.«
Ich mute meinem Leser nicht zu, es zu glauben, aber ich bin in meinem innersten Herzen überzeugt und glücklich darüber, daß Susan Brabazons Glückwünsche aufrichtig und ernst gemeint waren.
»Und was wollten Sie mir von Bayswater erzählen?« fragte ich in dem Gefühl, daß es Zeit sei, von etwas anderm zu reden.
»Richtig, das muß ich Ihnen erzählen! Und es ist eine Geschichte, die sich im Freien am besten anhört. Noch auf meinem Totenbette werde ich darüber lachen. Also ich ging in das alte Kosthaus, um nach ein paar Büchern zu fragen, die ich zufällig zurückgelassen hatte. Ich hatte Bruno bei mir, einen riesigen Bernhardiner, den ich mir kürzlich gekauft hatte, er ist so groß wie ein Kalb, aber fromm wie ein Lamm; auch eine Hundepeitsche führte ich mit mir, die ich mehr zum Staat als zum Gebrauch zu tragen pflege, und diese hat an dem dicken Ende einen Ring, so daß sie auch als Koppel zu gebrauchen ist.«
»Ich kenne dies Instrument,« warf ich ein, »es besteht aus mehreren Riemen und ist mit Knoten versehen wie eine russische Knute.«
»Ganz recht,« erwiderte sie, halb erstickt von unterdrücktem Lachen. »Gut, ich gehe also hin, der alte Bruno liegt auf den Stufen vor der Hausthür, und ich gehe hinein, und während ich in dem verkommenen alten Eßzimmer wartete, wer anders erscheint, als die M'Lachlan in all ihrer Herrlichkeit.«
»Und was haben Sie zu ihr gesagt?«
»Nun, ich hatte ihre köstliche Epistel an Miß Vivian eingesteckt, und die ziehe ich nun heraus und frage sie mit dem Ernst eines Richters, ob dies ihr Name und ihre Handschrift sei. Erst wird sie so rot wie eine Pfingstrose und dann so weiß wie ein Betttuch. Dann rafft sie sich aber zusammen und sagt: ›Ja, gnädige Frau, das ist meine Handschrift, und ich hoffe, daß ich, als ich meine Pflicht erfüllte, ein bescheidenes Werkzeug in den Händen der Vorsehung war, um Gutes zu thun!‹ Und dann, Jack, macht mich ihre Unverschämtheit so wütend, daß ich die Kräfte eines Riesen in mir fühle; ich lege sie über meine Kniee wie ein unartiges Kind, halte sie fest, trotz all ihrem Zappeln und Sträuben und messe ihr mit Brunos Peitsche ein gutes Halbdutzend auf. Wie sie sich äußerte, als sie ihre Röcke wieder hinunter geschüttelt hatte, kann ich nicht wiederholen. ›Fluchen Sie nur weiter, Fräulein,‹ sagte ich so gelassen und kühl, wie möglich, ›es gehörte weit mehr dazu als Ihr Fluchen und Schimpfen, um diese Striemen wegzuwischen. Wenn Sie es sich nochmals beigehen lassen, Briefe über mich zu schreiben, so komme ich wieder und verabreiche Ihnen die gleiche Dosis noch einmal!‹«
Ich lachte, daß mir die hellen Thränen die Backen hinunterliefen.
»Und was that sie dann?«
»Nun, wissen Sie, Jack, mein Kind, sie watschelte aus dem Zimmer mit dem Aufgebot aller Würde, die sie unter diesen Umständen zusammenzubringen vermochte, und stolperte über das ›Mädchen für alles‹, das, wie ich vermute, die ganze Zeit kein Auge vom Schlüsselloch gebracht hatte. Auf der Thürmatte prallten die beiden aneinander. Außerdem kam auch, als ich gerade hinausgehen wollte, der gutmütige Bookmaker, fragte, wie mir's gehe und worüber ich so lache, und bewunderte meinen Hund. Ich sagte ihm, ich befinde mich wohl, dankte ihm für seine Artigkeit gegen Bruno und hieß ihn, Sarah oder Miß M'Lachlan um den Grund meiner Heiterkeit fragen, da ich ihm nicht wohl selbst erzählen könne, was geschehen sei. Mit breitem Grinsen trat er ins Haus, und natürlich kommt die Geschichte in der ganzen Nachbarschaft herum. Vermutlich wird die M'Lachlan frische Gefilde und neue Weiden aufsuchen müssen, sobald sie wieder gehen kann.«
Der derbe Humor dieser Scene war so unwiderstehlich komisch, daß wir beide aufs neue in Lachen ausbrachen.
»So, Jack, das war die Arbeit, da wir nun aber keine Arbeit mehr haben, stimme ich für das Vergnügen. Wenn ich auch nicht um die Ehre bitten kann, Brautjungfer Ihrer künftigen Frau zu werden, so sehe ich doch nicht ein, warum wir uns nicht heute zur Feier einen recht vergnügten Abend machen sollten. Morgen reise ich nach Rom ab, wir wollen heute deshalb noch recht vergnügt sein.«
Dieses Programm führten wir auch aus, und als es zwölf Uhr schlug, verabschiedeten wir uns voneinander wie getreue Geschwister, das heißt, wie wahlverwandte Geschwister. Bei natürlichen habe ich dies, soweit meine Erfahrungen gehen, in dieser Weise noch nie bemerkt.