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Neuntes Kapitel.

Den Tag darauf war das Eis besser als je. Ein begeisterter Schotte hatte nach Pertshire telegraphiert um » curling stones«, ein schottisches Eisspiel, das ein Mittelding zwischen Kegel und Croquet ist, aber weit unter diesen steht und den Zuschauer unendlich langweilt. Da die Sache aber neu war, so »zog« sie, wie man beim Theater sagt.

Ich gesellte mich zu der auserlesenen Gruppe auf dem Eis – die Dorfbewohner durften diesem für sie gänzlich unverständlichen Sport aus der Ferne zusehen. Als alles auf einem Haufen stand und jeder behauptete, das Spiel ganz genau zu kennen, und es irgend einem andern erklärte, benutzte ich die Gelegenheit, neben Izzie zu kommen. Unter dem Vorwand, ihr mit meinem Stock das Spiel zu zeigen und sie auf die Schönheiten desselben aufmerksam zu machen, begann ich eine kurze, aber nachdrückliche Unterhaltung mit ihr.

»Es kann Ihnen doch unmöglich ernst sein mit dem, was Sie gestern sagten?« bemerkte ich ausholend.

»Gewiß war es mir ernst und ist es noch. Sie brauchen mir nicht aus Güte und Erbarmen Ihr Taschentuch zuzuwerfen, Mr. Severn. Die Welt ist groß genug für mich und für Sie, und einem armen Landmädchen, wie mir, steht es nicht zu, gegen Mrs. Brabazon in die Schranken zu treten, von deren Schönheit und Talenten ich schon so viel gehört habe.«

»Ich verstehe nicht, was Mrs. Brabazon mit dieser Sache zu thun haben soll,« erwiderte ich mit beträchtlicher Wärme. »Ich liebe Sie innig und begehre Sie zur Frau. Es scheint mir, daß Mrs. Brabazons Name dabei ganz aus dem Spiel bleiben kann. Ich weiß nicht, was man Ihnen über die Dame erzählt haben mag, aber würden Sie die Wahrheit erkennen, so wüßten Sie so gut wie ich, daß diese Beziehungen beinahe kindisch harmlos sind.«

»So denken Sie!« sagte Izzie.

»Ja, das thue ich. Mrs. Brabazon und ich lebten in demselben Kosthaus und trafen uns jeden Tag. Sie ist bedeutend älter als ich.«

»Das habe ich gehört,« unterbrach mich Izzie.

»Sie ist bedeutend älter als ich,« fuhr ich mit zornigem Nachdruck fort. »Unsre Umgebung bestand aus einer Anzahl ungebildeter, dummer Leute, und sie faßte ein freundliches Interesse für mich und leistete mir bei einer besondern Veranlassung einen sehr großen Dienst. Dies ist die ganze Geschichte, ohne den geringsten Vorbehalt. Natürlich habe ich ihr erklärt, daß ich sie bewundere, und sie hat kurz und bündig gesagt, ich sei ein dummer Junge, und – bildlich gesprochen – mir eine Ohrfeige gegeben. Wenn Sie je den Secrétaire intime gelesen haben –«

»Ich lese keine französischen Romane, Mr. Severn.«

»Sollten Sie also je dies Buch lesen, so werden Sie verstehen, was ich meine. Sie mag nicht beabsichtigt haben, mich auf demütigende Weise zu verabschieden, denn sie ist von Natur sehr gutherzig, aber immerhin hat es auf mich diese Wirkung gehabt. Seither habe ich nichts mehr von ihr gehört oder gesehen und weiß gar nicht einmal, wo sie ist.«

»O, Sie werden sie ohne Zweifel bald genug sehen oder von ihr hören, Mr. Severn; ich bin überzeugt, daß Sie nicht so leicht verzagen, und in der Zwischenzeit muß sich eben Ihre Seele in Geduld fassen und warten.«

»Sie machen sich über mich lustig,« sagte ich.

»Ich mache mich gar nicht über Sie lustig, und es ist nicht schön von Ihnen, daß Sie dies sagen. Ich thue nur, was recht ist.«

Mit unermüdlicher Beharrlichkeit machte ich mich an meine Aufgabe und wurde nicht müde, die gleichen Versicherungen zu wiederholen, in der Hoffnung, daß ich um meines vielen Sprechens willen endlich doch erhört würde. Zu meiner eignen Verwunderung brachte ich denn auch den gewünschten Eindruck hervor, und noch ehe wir das Eis verließen, hatte Izzie mich versichert, sie glaube jedes Wort, das ich gesprochen habe, und liebe mich noch gerade so innig, als je.

So kam ich in glücklicher Gemütsverfassung nach Hause und machte mich auch den übrigen Familiengliedern angenehmer als gewöhnlich.

Am andern Morgen hatte sich das Wetter geändert, es regnete nicht gerade, aber es war neblig, und das Quecksilber stand etwas über dem Gefrierpunkt. Der Schnee knisterte nicht mehr und war trübe und löcherig geworden, bei der leisesten Bewegung der Zweige schüttelten die Bäume ihre Last ab und die Dachrinnen und Strohdächer tropften in eintöniger Weise.

All dies beobachtete ich in unzufriedener, kläglicher Stimmung von einem Fenster der Halle aus, als plötzlich der Jagdwagen Mr. Vivians vorfuhr. Mr. Vivian selbst führte die Zügel und ein Groom saß neben ihm. Mir schwante Unheil, und obgleich ich durchaus nicht gewillt war, dem Kampf aus dem Wege zu gehen, hielt ich es doch für klüger, mich vorerst abseits zu halten und abzuwarten, als selbst etwas Uebereiltes zu thun. Demgemäß zog ich mich aus der Halle zurück, statt, wie ich sonst gethan hätte, dem Besuch entgegen zu gehen und ihn zu begrüßen.

Von einem obern Zimmer aus beobachtete ich, wie Mr. Vivian in die Bibliothek geführt wurde, wo mein Vater, wie ich wohl wußte, um diese Stunde Zeitungen, Briefe und Rechnungen durchsah. Dann nahm ich meine Pfeife und ging in das Gehölz, nachdem ich hinterlassen hatte, wo ich zu finden sei, falls man meiner bedürfe.

Ich hatte keine Veranlassung, mir im voraus einen Plan auszusinnen, da ich nichts zu verbergen und nichts zu verheimlichen brauchte. Wenn ich mich in London auch nicht gerade mit Ruhm bedeckt hatte, so war ich doch nach dem gewöhnlichen Zeitraum zugelassen worden und war nun ein wohlbestallter Advokat, der als Esquire im Rang den Friedensrichtern gleichstand und unmittelbar nach dem Sheriff und dem Staatsanwalt der Grafschaft kam. Von meiner Liebesepisode mit Mrs. Brabazon und meinen geschäftlichen Beziehungen zu Mr. Raphael wußten sowohl mein Vater als auch Mr. Vivian zuverlässig nichts, sonst hätte der erstere gleich bei meiner Rückkehr in jedenfalls unliebsamer Weise darauf Bezug genommen, und Izzie hätte mir gesagt, daß ihr Vater alles wisse.

Es mußte sich etwas anders ereignet haben; was dies war, erfuhr ich sofort, als mich ein Bedienter zu meinem Vater rief. Sobald ich die Bibliothek betrat, ein düsteres, winkliges Gemach mit wuchtiger verblichener Einrichtung, stand mein Vater in seiner gebieterischen Haltung auf dem Kaminteppich, während Mr. Vivian auf einem steifen Roßhaarstuhl saß und nichts weniger als behaglich aussah.

Herausfordernd, mit einem Blick, der deutlich sagte: »Meine Herren von der Garde, schießen Sie zuerst!« trat ich ins Zimmer.

»Mr. Vivian teilt mir soeben mit, Jack, daß du dich gegen alle jene Gesetze der Gastfreundschaft, die das Leben eines Gentleman leiten und bestimmen sollen, in so hohem Grade vergangen hast, daß du dich seiner Tochter wiederum in höchst unpassender, eines gebildeten Mannes unwürdiger Weise genähert hast; du hast, wie er mir sagt und wofür er das Wort der jungen Dame selbst anführt, ihr wiederum von deinen Gefühlen gesprochen, trotz allem, was früher vorgekommen ist, und trotz all dem Unheil, das dein Benehmen schon verursacht hat. Du hast ihr sogar, wie er sagt, eine Liebeserklärung gemacht. Ist dies der Fall, so verlangt dein Betragen weit mehr als eine Erklärung.«

Mr. Vivian drückte sein Einverständnis mit diesen in so schöne Worte gekleideten regelrechten Anschauungen durch einen Fluch aus, der, wenn auch nicht neu oder passend, so doch frisch und kräftig war, und für welchen jeder der beiden Herren in seiner Eigenschaft als Magistratsperson einen Bauern mit fünf Schilling Strafe und fünfundzwanzig Schilling Kosten belegt hätte.

Die Sache war heraus, und ich stand fest zu meinen Thaten.

»Was du gehört hast, Vater, ist vollständig wahr.«

»Bei Gott, dann verdienen Sie die Reitpeitsche!« brüllte Mr. Vivian.

»Sie befinden sich unter dem Dache meines Vaters,« erwiderte ich, mich so scharf zu ihm wendend, daß er in seinem Sessel zusammenschrak. »Wenn Sie wirklich dieser Ansicht sind, so wiederholen Sie mir dieselbe gefälligst nächsten Dienstag auf dem Marktplatz, ich will dann zu Ihrer Bequemlichkeit meine eigne Peitsche mitbringen.«

Dies war nun wirklich schrecklich; es war beinahe zu viel. Hier stand ich, der reine Junge, und trotzte diesen beiden Herren, von denen der eine schon thatsächlich Obersheriff gewesen war, und der andre jedes Jahr erwartete, dazu gewählt zu werden. Meine Worte fielen auf die beiden Magnaten wie eine Bombe – sie trauten kaum ihren Ohren.

»Du solltest dich schämen!« rief mein Vater mit einer Stimme, die er so weit zum Gebrüll zu steigern suchte, als ihr natürlicher Umfang es gestattete.

»Sie sind nur hinter meiner Tochter Geld her!« heulte Mr. Vivian in der ihm eignen gewählten Ausdrucksweise.

Nun hatte aber Mr. Vivian seine Güter nur dadurch vor dem Hammer gerettet, daß er Izzies Mutter, eine der beiden Töchter eines reichen Oelmüllers in Wapping, vier Wochen vor dem Zwangsverkauf geheiratet hatte. Ich hielt die Gelegenheit für zu günstig, um ihm nicht die Thatsache ins Gedächtnis zurückzurufen.

Er stieß einen weiteren, eines Feldwebels würdigen Fluch hervor und sprang mit allen Symptomen eines kommenden Schlaganfalls auf seine Füße.

»Verlasse sofort das Zimmer!« schrie mein Vater gellend.

»Gern,« erwiderte ich, drehte mich auf dem Absatz herum und warf die Thür laut und herausfordernd zu.

Dann zündete ich mir in der Halle eine Cigarre an, ging auf die Terrasse, wo sie mich, wie ich wußte, sehen konnten, schlenderte gleichgültig auf und ab und paffte den Rauch meiner Cigarre in die Luft mit einer Miene, die den vollen Genuß derselben hinlänglich verriet.

Sie mußten noch etwa zwanzig Minuten miteinander gesprochen haben, dann hörte ich Mr. Vivians Jagdwagen über den Kies rollen. Ich kehrte ins Haus zurück, begab mich in die Speisekammer und führte mir einen Krug Ale zu Gemüte. Mein Vater schien meiner nicht zu bedürfen, jedenfalls ließ er mich nicht rufen, und da ich nichts Bessres zu thun wußte, wählte ich mir einen starken Spazierstock, pfiff einem meiner Lieblingshunde und schlug den Weg nach dem nächsten Dorfe ein, wo ich den Wirt zum »Wappen von Severn« ausforschen wollte, um zu erfahren, was etwa über meine Angelegenheit unter die Leute gekommen wäre.


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