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Der Tag der Gerichtsverhandlung war gekommen, und ich fühlte mit Besorgnis, daß die Macht, die gegen mich ins Feld geführt wurde, sehr gefährlich war. Der Oberstaatsanwalt, der die Anklage vertrat, war ein kalter, klardenkender und berechnender Mann von bedeutender Persönlichkeit, einiger Beredsamkeit und großer Gewandtheit; auch die Hilfsstaatsanwälte, die ihn unterstützen sollten, waren teils durch Arbeitskraft und Erfahrung, teils durch bedeutende Kenntnisse ausgezeichnete Männer.
Der Richter, Sir John Manley, hatte einen bösen Ruf und galt für einen Richter mit einer Vorliebe für Todesurteile, was ganz unverdient war, denn er that lediglich seine Pflicht. Er war in einem Fall, wie dieser, als Richter sehr unangenehm, indessen war sein heller Verstand immerhin ein Gewinn. Ich bin überzeugt, daß er für die unglückliche Gefangene nicht das mindeste Mitleid fühlte, und doch hatte er einige merkwürdige menschenfreundliche Züge an sich, von denen vielleicht seine Verachtung, die sich bis zum Haß steigern konnte, gegen alles, was wie Grausamkeit, Niederträchtigkeit oder Unterdrückung aussah, der auffallendste war.
Fast alles hing teils von der Stimmung ab, in der er sich befand, und teils von seiner Auffassung des Falles.
Brechweinstein ist ein grausames Gift; es peinigt sowohl, als es tötet, und diese Thatsache sprach natürlich gegen uns; andrerseits waren die schrecklichsten Seelenqualen, welche die Angeklagte im Gefängnisse erduldet hatte, jedenfalls ganz dazu angethan, ihn zu ihren Gunsten zu stimmen. Alles in allem war ich mir doch nicht klar darüber, ob wir uns einen bessern Richter hätten wünschen können.
Außerdem muß ich noch hinzufügen, daß Sir John Manley, als er noch Advokat war, ein naher Freund meines Großvaters gewesen, und auch ich schon manche Freundlichkeit von ihm erfahren hatte.
Die Angeklagte erschien in der denkbar einfachsten Kleidung auf der Anklagebank; sie trug einen dicken Schleier, den sie nur aufschlug, um zu sprechen, und dann wieder fallen ließ. Die Geschworenen konnten denken, sie hätten über eine verschleierte Statue zu Gericht zu sitzen.
Die Rede des Oberstaatsanwaltes war logisch, leidenschaftslos und außerordentlich gefährlich. Er begann damit, den Geschworenen zu sagen, sie dürften, so wenig wie er, irgend einem andern Gefühl Raum geben, als dem Gefühl der natürlichsten Gerechtigkeit.
Daubray sei zwar tief unter der menschlichen Verachtung gestanden, nichtsdestoweniger aber auch unter dem Schutz des Gesetzes. Sein Charakter gehe sie gar nichts an, sie hätten es nur mit der Ursache seines Todes zu thun. Er wäre überzeugt, daß er ihnen klar und zweifellos beweisen könne, daß die Angeklagte die dringendsten Gründe von der Welt gehabt habe, ihn aus ihrem Weg zu räumen. Er würde ihnen darthun, wie sie sich heimlicherweise ein Gift gekauft, dessen Wirkung, wie wohl bekannt, einem gewöhnlichen Unwohlsein täuschend glich und das in den traurigen Annalen der Gerichtsverhandlungen immer wieder auftauche. Ferner würde er ihnen zeigen, wie Daubray, nachdem sie sich in den Besitz des Giftes gesetzt, sie auf ihre Aufforderung hin besucht habe, wie er gleich nach seinem Nachhausekommen von den heftigsten und ängstlichsten Symptomen befallen wurde und wie er sofort die Ueberzeugung ausgesprochen habe, er sei vergiftet worden, welche Ueberzeugung bestätigt wurde durch seinen alsbaldigen Tod und die Entdeckung des Giftes in seinem Körper, und zwar im Magen, was keinen Zweifel darüber aufkommen lasse, daß es ihm in verbrecherischer Absicht beigebracht worden war. Im voraus zu ermitteln, welche mögliche oder unmögliche Erklärung sein gelehrter Freund, der Herr Verteidiger, für diese Thatsachen, die bis auf die kleinsten Einzelheiten erwiesen werden konnten, vorbringen würde, das sei nicht seine Sache. Aufgabe der Geschworenen aber würde es sein, diese Thatsachen in ihrer vollen Tragweite zu prüfen und in Uebereinstimmung mit denselben ihr Urteil abzugeben. Und diese Thatsachen würde er nun so klar darlegen, als dies in menschlichen Dingen überhaupt möglich sei. Er bat die Geschworenen um nichts, als daß sie sich ihrer Pflicht so unparteiisch und so unbeeinflußt von persönlichem Empfinden entledigen möchten, als er zu Gott hoffte, die seinige zu erfüllen.
Ich muß gestehen, daß ich nie zuvor eine beredtere, mächtigere und leidenschaftslosere Rede gehört habe als diese.
Dann folgte die Vernehmung der Zeugen und diese nahm einen solchen Verlauf, daß ich mich immer wieder fragte, ob wohl die Geschworenen, einfache, an ihren Eid gebundene Leute, derselben zu widerstehen vermöchten.
Der Hauptpunkt, gegen den ich mich wandte, war die Quantität des genommenen Brechweinsteins, und auch hier hatte ich mehr die Absicht, die Geschworenen zu verwirren, als die, eine neue Auffassung aufzustellen. Die zwölf Geschworenen gerieten auch über die Dosis des Giftes sehr in Verwunderung. Es war genug gewesen, um sechs Männer zu töten. Wie konnte dies ein Mann zu sich nehmen, ohne es zu merken, und wie konnte er nach Hause gelangen, ohne unterwegs von der Wirkung überrascht zu werden? Wäre es so ganz unglaublich, daß er das Gift aus Prahlerei oder zur Drohung selbst genommen hätte, wissend, daß es, im Uebermaß genossen, sein eignes Gegengift sei? Ich konnte merken, daß sie, je mehr Daubrays Charakter dargelegt wurde, geneigt waren, jede Handhabe zu ergreifen, die es ihnen möglich machte, dem unglücklichen Mädchen die Wohlthat eines Zweifels angedeihen zu lassen.
Doch da es sich um einen Prozeß handelt, der Montag begann und erst Freitag nachts zu Ende ging, muß ich mich darauf beschränken, zu sagen, daß es mir noch vor Beendigung der Ausführungen der Staatsanwaltschaft gelang, durch Kreuzverhöre die Geschworenen so weit zu bringen, daß sie Daubray für eine Art schädliches Gewürm ansahen, dessen Tod, wenn auch auf ungesetzliche Weise herbeigeführt, als die Vollstreckung eines Urteils anzusehen sei, mit dem man nur einverstanden sein konnte.
Am vierten Tag der Verhandlungen, am Donnerstag, begann ich meine Verteidigungsrede, und ich kann mir nicht versagen, hier ganz kurz anzudeuten, welchen Weg ich verfolgte.
Mit den gewöhnlichen Gemeinplätzen beginnend, forderte ich die Geschworenen auf, zu glauben, daß dieser erbärmliche Abenteurer, Verführer und Erpresser den Schein zu erwecken gesucht habe, er wolle sich selbst vergiften, und diesen schändlichen Einschüchterungs- und Erpressungsversuch zu weit getrieben habe. Bei dieser Auffassung verweilte ich so lange und verfolgte sie in allen Einzelheiten, bis ich sah, daß die zwölf Geschworenen sie völlig erfaßt hatten und geneigt waren, an ihr festzuhalten, wenn es ihnen irgend möglich sein sollte. Und dann wagte ich mich an das, was ich auch heute nach so langer Zeit nicht anders als einen Coup bezeichnen kann.
Daubray hatte, wie ich die Geschworenen zu glauben bat, sein Opfer dadurch bestimmt, das Gift an verschiedenen Orten selbst und auf ihren eignen Namen zu kaufen, daß er ihr gesagt habe, er brauche es nötig und würde als Ausländer und in der Stadt nicht gut beleumundeter Mensch auf Schwierigkeiten stoßen, wenn er es sich selbst verschaffen wollte. Dann hatte er ihr, als er auf seine eigne Veranlassung mit ihr zusammentraf und das Präparat von ihr empfing, mit der dem verkommenen Franzosen eignen Vorliebe für dramatische Effekte gedroht, die ganze Dosis auf einmal zu nehmen, wenn sie nicht alle seine Forderungen bewillige. Ich erinnerte sie daran, daß die Drohung mit einem Selbstmord immer der dernier ressort eines französischen Abenteurers sei und zwar einer, auf den er unfehlbar zurückzugreifen pflege. Nehmen wir nun an, er habe seine verbrecherische Absicht ausgeführt und in ihrer Anwesenheit, vermutlich in falscher Berechnung ihrer vollen Wirksamkeit, die ganze Dosis getrunken, so geschah dies vielleicht in der Voraussetzung, das volle Quantum werde als eignes Gegengift wirken. Dann schilderte ich den Seelenzustand seines schaudernden Opfers, das nicht nur die Schande über seinem Haupte schweben, sondern auch den Galgen auf seinem Pfad errichtet sah, machtlos, verwirrt, gelähmt an Körper und Geist durch die Schrecken seiner Lage und die entsetzlichste Gefahr.
Daubray war, wie ich annahm, als er sah, daß nichts mit ihr anzufangen und längeres Verweilen bei ihr gefährlich sei, nach Hause geeilt. Schon auf diesem kurzen Weg hatte ihn die Todesangst und der Todeskampf erfaßt. Rasch hatte er dann nach ärztlicher Hilfe geschickt und war gestorben mit einer Lüge auf seinen meineidigen Lippen und mit dem Versuch, auch noch das Leben des Mädchens, das er ausgebeutet, zu Grunde gerichtet und verraten hatte, in Gefahr zu bringen. Sämtliche Einzelheiten des Falles und das ganze Vorleben des Mannes stimmten mit dieser Auffassung überein, die nichts unerklärt ließ, die keine Einzelheit der Zeugenaussagen widerlegte, sondern ein Ganzes für sich bildete. Wenn die Herren Geschworenen auch dieser Ansicht waren, so hatten sie die Pflicht, das junge Mädchen auf der Anklagebank von dem furchtbaren Verbrechen, unter dessen Anklage sie stand, freizusprechen. Ihr junges Leben und ihr guter Name lagen in ihren Händen und waren unendlich mehr wert, als das Leben dieses Schurken, der, wie ich sie zu glauben bat, mit Mord und Bosheit im Herzen starb und mit einer Lüge auf den Lippen vor den höchsten Richter trat.
Selbst der tragischste Kriminalfall hat eine grausam nüchterne Seite. Ich setzte mich, wie die Zeitungen sagten, unter lautem Beifall nieder, der aber von den Beamten des Gerichtshofes sofort zum Schweigen gebracht wurde. Doch konnte ich sehen, daß ich meinen Eindruck auf die Geschworenen nicht verfehlt hatte. Dann wandte ich meinen Blick nach links, wo die Angeklagte verschleiert und regungslos auf der Anklagebank saß. Dann sah ich hinauf nach der Bank der Friedensrichter, und trotz der Gemütserregung, in der ich mich befand, fuhr ich erstaunt zusammen.
Neben einem der Sheriffs mit dem gewohnten großen Blumenstrauß, einer Reminiscenz an jene gute alte Zeit, in der man den Gerichtshof als Schutz gegen das Kerkerfieber mit Kräutern bestreute, saß eine verschleierte Dame, die ich aber trotzdem sofort erkannte. Es war Susan Brabazon.
Ich eilte aus dem Gerichtssaal, da die Sitzung nach meiner Rede sofort ausgesetzt wurde, und suchte in allen Gängen und Vorzimmern nach ihr, doch ohne Erfolg. Alles, was ich erfahren konnte, war, daß die Dame mit einer von einem Sheriff ausgestellten Karte gekommen sei, daß ihr Wagen die ganze Zeit im Hof gewartet habe, und daß sie gleich nach Schluß der Sitzung fortgefahren sei.
Es blieb mir nichts andres zu thun übrig, als mit dem Richter, den Sheriffs und Aldermen das feierliche Gabelfrühstück in dem Privatzimmer der letzteren einzunehmen.