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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Als ich am nächsten Morgen etwas später als sonst erwachte – ich fühlte mich noch ein wenig abgespannt, aber, wie ich glaube, mehr von der Freude über den Triumph als von der Anstrengung – wurde mir ein Paket Briefe gebracht und gemeldet, mein Schreiber warte draußen. Dieser brachte gute Nachrichten. Ich hätte diesen Tag zwei Verhandlungen haben sollen, wovon er die eine einem Kollegen übertragen und die andre hatte vertagen lassen, so daß ich einen völlig freien Tag vor mir hatte, den ich recht genießen wollte.

Durch diesen tugendhaften Entschluß gestärkt, legte ich mich behaglich in meine Kissen zurück und öffnete meine Briefe. Nachdem ich alle Geschäftsbriefe ausgeschieden hatte, blieben nur noch drei zurück.

Der erste, als »streng vertraulich« bezeichnet, war von Sir John Manley, der mich zu meinem Erfolg beglückwünschte und mit den nachdrücklichen Worten schloß: »Nichtsdestoweniger haben Sie, junger Herr, die Gerechtigkeit betrogen.« Ein weiterer, langer, leidenschaftlicher, aber sehr gescheiter Brief war von meiner Klientin selbst; sie schrieb etwa gerade so, wie man es von einer jungen Dame in ihrer Lage erwarten konnte, und schloß mit der Bitte, ich solle mich nicht bemühen, ihr zu antworten. Der dritte Brief war, wie ich schon an der Aufschrift gesehen hatte, von Susan Brabazon, und ich legte mich im Bett zurecht, um ihn behaglich zu lesen, denn sie mußte noch spät in der Nacht aufgewesen sein und geschrieben haben, wenigstens war das Schreiben viele Seiten lang.

Sie erzählte mir zuerst, was ich nicht gewußt hatte, daß sie der Versuchung nicht hatte widerstehen können, von Nizza herüber zu kommen, um der Schwurgerichtssitzung beizuwohnen, was sie auch von Anfang bis zu Ende gethan habe. Dann teilte sie mir ihre Ansicht über den Fall selbst mit, auf die ich aber, so klug sie auch war, hier nicht näher eingehen will. Offenbar war sie der Meinung, daß ich der Gerechtigkeit ein Schnippchen geschlagen habe. Dann folgten einige Erinnerungen an frühere Tage, und dann die Nachschrift, in der bei einem Damenbrief immer die Hauptsache zu finden ist.

»Ich bin nur für kurze Zeit hier, und da ich Ihnen die Ehre erwiesen habe, einige Tage ganz Ihnen zu widmen, so möchte ich gerne, daß Sie es ermöglichten, mir an einem der noch übrigen Tage Ihre Gesellschaft zu schenken. Wir wollen ihn in der alten Weise verleben: Sie fahren mich aufs Land und dann essen wir irgendwo ein gebratenes Huhn mit Kartoffeln und Apfeltörtchen. Ich sehne mich nach einem Wirtshaus mit einem großen Schild über der Thür und einem Hauch ländlicher Einfachheit.«

Der Brief war von Claridges Hotel, ganz nahe bei meiner Wohnung, datiert, und ich sandte sofort einen Boten hin mit ein paar Zeilen, die ihr mitteilten, daß ich sie, sobald ich angekleidet sei, abholen und hinführen werde, wo sie wolle.

Als ich mit ihr im Kaffeezimmer des Gasthofes zusammentraf, zog sich der Kellner rücksichtsvoll zurück, und da gerade niemand anders im Zimmer war, faßte sie meine beiden Hände und gab mir einen herzhaften Kuß.

»Das haben Sie herrlich gemacht, Jack!« rief sie. »Natürlich war sie schuldig, obgleich man Sie ja danach nicht fragen darf, aber Sie haben es beinahe fertig gebracht, mich von ihrer Unschuld zu überzeugen. Jedenfalls haben Sie dargethan, daß die Beweise nicht genügten, um daraufhin auch nur einen – sagen wir, einen Kater zu hängen, und heute sehen Sie nun so frisch aus, als ob gar nichts geschehen wäre. Es ist wirklich wunderbar, – das muß wohl die Gewohnheit thun!«

Dies waren ungekünstelte Lobsprüche, die mir sehr wohl gefielen. Ich sagte ihr, ich käme mir um mehrere Zoll gewachsen und entsprechend bedeutender vor. Dann begaben wir uns auf die Straße, wo mein Groom mit dem Wagen wartete; Mrs. Brabazon saß im Augenblick auf ihrem Platz, ich folgte ihr, ergriff Zügel und Peitsche, der Groom sprang hinten auf, und fort ging's.

Obgleich es erst Anfang Februar war, schien doch die Sonne freundlich und warm auf die festen, trocknen Wege, und in den kahlen Bäumen flatterten und zwitscherten die Vögel lustig und laut umher. Wir fuhren in den »Roten Löwen« in Ellstree, einem hübsch an einem See gelegenen kleinen Dorf, das vor sieben Jahren einmal der Schauplatz einer grausigen Mordthat gewesen ist.

Der Wirt versicherte, daß er uns ein sehr gutes Mahl bereiten werde, ich könne ihm ruhig alles überlassen; ich bestellte das Essen auf die Dämmerstunde, und dann machten wir uns zu einem Spaziergang auf.

Wir plauderten über alles Mögliche – über den großen Fall, über den Richter (Susan hatte sich in ihn verliebt), über die neueste Posse und den neuesten Roman, über Nizza, wo Susan sich länger aufgehalten, und über Monte Carlo, wo sie vorsichtig gespielt und beharrlich verloren hatte. Dann kamen wir auf unser altes Kosthaus in Bayswater zu sprechen, und dabei brach Susan in ein so lustiges, schallendes Gelächter aus, daß es das benachbarte Echo wach rief.

»Davon muß ich Ihnen was erzählen,« sagte sie.

»Was ist es denn?« fragte ich.

»Ich will es bis nach Tisch aufsparen; es ist zu nett für jetzt.«

Als es Zeit wurde, begaben wir uns in unser Wirtshaus, doch will ich nicht näher berichten, wie vergnügt wir waren, wie wir das Essen in die Länge zogen und es uns schmeckte, wie wir schwatzten und plauderten, wie wir den Wirt hereinriefen und lobten, ihn nötigten, einen riesigen Krug von seinem eignen Wein zu trinken und eine meiner Cigarren anzustecken, und wie er uns seine Meinung über das Ministerium und über den Stand der landwirtschaftlichen Verhältnisse mitteilte; wie die Wirtin, als das Tandem vorfuhr, mit einem Strauß früher Veilchen und kleinen Gläsern mit heißem Milchpunsch erschien, den sie nach einem Rezept ihrer Großmutter gebraut hatte und der gegen den Abendnebel schützen sollte; wie lustig wir dann davonfuhren, und wie wir nur allzubald vor der Thüre von Susans Gasthof hielten. Dies alles will ich nicht näher schildern; ich will nur noch hinzufügen, daß dieser Tag als ein glücklicher in den »Tafeln meines Gedächtnisses« eingegraben bleiben wird.

»Treten Sie noch einen Augenblick ein,« sagte Susan, und ich trat ein.

»Morgen ist Sonntag,« fuhr sie fort, »da haben Sie auf dem Gericht nichts zu thun. Wie wäre es, wenn Sie zu Tisch zu mir kämen? Kommen Sie schon früh und holen Sie mich vorher zu einem Spaziergang in den Park ab. Ich will Sie nämlich von der Gesellschaft der Speichellecker und Schmeichler fern halten, sonst könnte Ihr großer Erfolg doch Ihren jungen Kopf verdrehen.«

»Gut,« sagte ich lachend, »dann werde ich um drei Uhr hier sein, und wenn es schön ist, gehen wir in den Park, wenn es regnet, bleibe ich bei Ihnen hier. Uebrigens haben Sie mir Ihren auf Bayswater bezüglichen Spaß noch nicht erzählt.«

Wieder fing sie an zu lachen.

» A demain. Es ist eine ziemlich gepfefferte Geschichte. Ich will sie Ihnen im Park erzählen, wenn es schön ist, oder hier, wenn es regnet. Nun gehen Sie aber und seien Sie morgen pünktlich.«

»Auch ich habe Ihnen etwas zu berichten,« sagte ich noch, »etwas sehr Wichtiges.«

»Was ist es, Jack?« fragte sie mit plötzlich veränderter Stimme.

»Ich will es auf morgen aufsparen, bis Sie mir Ihre eigne Geschichte erzählt haben.«

»Also seien Sie morgen recht pünktlich.«

Zu Hause fand ich unter anderm ein Telegramm aus Paris vor. Es war von Mr. Cyrus Napoleon Washington A. Rock, dem seine Namen so gut gefielen, daß sie auch in der Drahtbotschaft alle aufgeführt waren. Der Inhalt derselben lautete:

»Prächtig gemacht, mein Sohn. Hier alles ganz entzückt davon. Wären Sie geborner amerikanischer Bürger, würden Sie zur Präsidentenwahl vorgeschlagen. Elizabeth einverstanden. Wir sind beide fidel. Schreiben Sie und erwarten Sie Brief. Paris ist ganz nett, aber nicht mit Saratoga zu vergleichen. Alles ziemlich englisch hier außer uns Yankees. Herzliche Grüße und Glückwünsche von uns beiden.«

»Er ist ein famoser Kerl,« sagte ich, als ich in mein Bett kletterte – und was mehr ist, es war mir ernst damit.


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