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Drittes Kapitel.

Das Glück war mir nicht immer hold. Beim Billard spielt der Zufall eine geringere Rolle als bei irgend einem Spiel der Welt, allein sogar im Billard kann man beharrlich Pech haben, und so erinnere ich mich eines Tages, an dem ich gar kein Geld mehr hatte. Mein Vater war mit seinem Zuschuß im Rückstand geblieben, und ich wußte buchstäblich keinen Menschen, an den ich mich hätte wenden können; so kleidete ich mich denn mit mehr als gewöhnlicher Sorgfalt an, wobei ich den Stiefeln meine ganz besondre Aufmerksamkeit zuwandte, und begab mich nach dem Geschäft des Mr. Raphael in Half-moon Street, Piccadilly.

Mr. Raphael war ein Geldverleiher, aus welcher Thatsache er keinerlei Geheimnis machte; an der Hausthür befand sich ein blankes Messingschild und eine Geschäftsglocke mit einem kleinen Plättchen darunter. Ich wurde in ein mit ausgezeichneten Bildern, Statuetten und kostbarem Porzellan ausgestattetes Wartezimmer geführt. Offenbar war Mr. Raphaels Geschmack ebenso gut wie seine Menschenkenntnis. In sein Allerheiligstes zugelassen, kam ich gleich zur Sache, ich brauchte hundert Pfund und sagte dies Mr. Raphael. Dieser betrachtete mich scharf, und ich erwies ihm die nämliche Höflichkeit. Zweifellos war er ein Hebräer, aber einer der besseren Sorte; er war einfach gekleidet und hatte nicht einmal einen Diamantring an den Händen, und diese waren – dem Aeußern nach wenigstens – klein, weiß und rein.

Bald hatte er ermittelt, daß ich nach dem Tode meiner Mutter die Anwartschaft auf ein kleines Vermögen hatte.

»Sehr gut, Mr. Severn,« sagte er, »Sie müssen mir einen Pfandschein darüber ausstellen, den mein Sachwalter, Mr. Jakobs, aufsetzen wird. Es ist doch noch nicht verpfändet?«

»Gewiß nicht,« antwortete ich, »ich habe nie daran gedacht. Wie bald kann ich das Geld haben?«

»Nun, Mr. Jakobs muß erst Erkundigungen einziehen. Vermutlich haben Sie's eilig?«

Ich versicherte äußerst nachdrücklich, daß dem also sei.

»Nun wenn, wie ich glaube, alles stimmt, so können Sie übermorgen um ein Uhr das Geld haben.«

»Und unterdessen können Sie mir eine Zehnpfundnote geben?«

»Ich halte Sie für ehrlich, Mr. Severn; ja, ich glaube, man kann Ihnen mit einer Zehnpfundnote trauen.«

So brachte er denn zwei Fünfpfundnoten zum Vorschein, für die ich ihm einen Schuldschein ausstellte, während er auch noch eine Flasche sehr guten Sekt und ein Kistchen Cigarren hervorholte.

»Beiläufig bemerkt,« sagte er, »Sie haben noch gar nicht gefragt, wieviel ich Ihnen für diese hundert Pfund anrechne, und mir auch nicht gesagt, wie lange Sie das Geld brauchen.«

Ich wurde dunkelrot; er hatte mich empörend rasch durchschaut.

»Ein armer Teufel darf nicht wählerisch sein,« erwiderte ich. »Vermutlich werden Sie Ihre Bedingungen schon stellen.«

»Nun, ich rechne zwanzig Pfund und nehme Ihren Wechsel auf drei Monate. Nach Ablauf dieser Frist werde ich ihn wohl wieder erneuern. Beiläufig bemerkt, haben Sie einen Beruf?«

»Ich bereite mich zur Advokatur vor.«

»Ah so! Ich wünsche Ihnen alles Glück, aber dieser Beruf ist furchtbar überfüllt, und soweit ich es beurteilen kann, schneiden sich die Advokaten untereinander den Hals ab. Um Ihretwillen hätte ich lieber gesehen, Sie wären irgend etwas andres geworden. Wenn Sie nach den ersten fünf Jahren auf Ihre Kosten gekommen sind, so ist es Ihnen außerordentlich gut gegangen. Nehmen Sie mir's nicht übel, aber für gewöhnlich rühre ich einen Advokaten nicht mit einem Stecken an. Sie sollten die Tochter eines Anwaltes heiraten; Jakobs hat eine, die gut für Sie passen würde. Eine Schönheit ist sie gerade nicht, auch hat sie ein höllisches Temperament, aber man kriegt auch was für sein Geld, denn sie wird wohl so ihre zwei Zentner wiegen. Jedenfalls könnten Sie schlimmer fahren – überlegen Sie sich's!«

Lachend versprach ich dies, und im nämlichen Augenblick trat ein Schreiber ein.

»Nun, Mason, was gibt's?«

»Oberst Pierre ist da.«

»Ganz recht, ich bin nicht für ihn zu sprechen. Sagen Sie ihm dies.«

»Er sagt, er habe noch zwei weitere Bürgen und hat das Schriftstück mitgebracht. Es sind gute Namen, Mr. Raphael.«

»Das ist was andres. Lassen Sie ihn eine halbe Stunde warten; dann führen Sie ihn herein. Guten Morgen, Mr. Severn. Mason, begleiten Sie Mr. Severn hinaus.«

Wir schüttelten uns die Hand, und ich verließ Mr. Raphael, ohne einen allzuschlechten Eindruck von ihm mitzunehmen.

Hat man sich einmal von dem Gedanken losgemacht, daß ein Geldverleiher durchaus zu den unreinen Tieren gehört, so wird man, falls der Geldverleiher ein Jude ist, wahrscheinlich finden, daß er einen weit höheren Begriff von Ehre hat, als die meisten seiner Kunden. Jedenfalls ist er mir lieber als ein Sachwalter, und ich glaube, auf die Länge wird man ihn auch billiger finden. Anwälte haben schon mehr Güter verschlungen und mehr Familien zu Grunde gerichtet, als noch einmal so viele Geldverleiher.

Hier wohnt in stiller, in ländlicher Pracht
Der Anwalt, so lang er's nicht weiter gebracht;
Ihn plagen nur wenig des Lebens Sorgen
Hinter seinem Parkthor, auf seinen zwölf Morgen.
Doch wart' eine Weile: sein Nachbar, groß,
Ist bald ruiniert, und in seinen Schoß
Fällt all das Silber und Gold in Haufen –
Nun kann er den Park sich zum Parkthor kaufen.

Es ist eine Seltenheit, daß ein Geldverleiher sich ein großes Vermögen macht; eben so selten ist es aber, so überfüllt wie der Beruf ist, daß ein Anwalt arm stirbt.

Mit meinen zehn Pfund bewaffnet, eilte ich heim und fand, wie ich geahnt hatte, Mrs. Brabazon zu Hause.

»Was ist denn mit Ihnen, Jack? Sie sind ja ganz erhitzt vor Freude. Schwindeln Sie mir nichts vor! Sie haben wieder im Billard gewonnen, davon bin ich überzeugt.«

»Nein, das hab' ich nicht; aber trotzdem habe ich Glück gehabt! Wir wollen irgendwo essen und dann ins Theater gehen.«

»Ja, ich bin dabei, wenn Sie lieb und mit einem vernünftigen Mittagessen zufrieden sein und nachher ruhig auf Parkettplätze gehen wollen. Ich kann keine Verschwendung dulden.«

Der Vertrag wurde entworfen und gutgeheißen. Wir speisten – einerlei wo – um den gewöhnlichen Preis von einer halben Guinee, eine wohlgekühlte Flasche Champagner zwischen uns. Dann saßen wir höchst vernünftig auf unsern Parkettplätzen und nahmen soviel Interesse an der Vorstellung, als die übrigen Leute auch. Vor der Posse gingen wir fort, und ich kaufte einen Schleier in Coventry Street, unter dessen Schutz Mrs. Brabazon mit mir ins Café de l'Europe ging, wo wir ein bescheidenes Abendessen einnahmen.

Es war wirklich, wie ich bereits bemerkt habe, etwas Kindliches und in dieser Beziehung Unschuldiges in unsrer schlichten Art, uns Vergnügen zu suchen. Dann fuhren wir nach unserm Kosthause zurück, doch bestand meine Gefährtin darauf, daß ich an der Straßenecke ausstieg und sie vollends allein nach Hause fahren ließ. Da es nicht anging, ihr allzu rasch zu folgen, so verweilte ich noch in einem benachbarten Gasthof, wo ich mit dem Wirt in dessen Schenkstübchen saß, bis ich mir schließlich mit meinem eignen Drücker Eingang in das Kosthaus verschaffte.

Doch ich will mich nicht in weiteren Einzelheiten über diese folles journées ergehen. So viel steht fest, daß ich bis über die Ohren verliebt war, und ebenso gewiß ist es, daß Mrs. Brabazon Wohlgefallen an meiner Verehrung fand. Schon oft habe ich mich gewundert, wie es kam, daß ich sie nicht geheiratet habe, ich glaube aber, die Antwort auf diese Frage ist in dem Mrs. Brabazon eignen gesunden Menschenverstand zu finden und noch mehr in ihrer Ehrenhaftigkeit und Treue. Ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, sie sei älter als ich, und es sei besser, unsre Beziehungen blieben unverändert und währten, solange sie mochten, so daß wir einst, wenn die sommerliche Blüte der Liebe abgefallen, uns jedenfalls die herbstliche Frucht der Freundschaft gerettet hätten. Und ehrlich gesprochen, glaube ich daß Susan Brabazon meine Freundschaft höher schätzte als meine Liebe, und daß sie, als sie anfing mich zu ermutigen, dies mehr aus Langweile als aus irgend einem andern Grunde that. Ohne eitel oder geckenhaft zu sein, glaube ich sagen zu dürfen, daß sie stolz auf mich war und wünschte, mich im Leben etwas leisten und dann denen entgegentreten zu sehen, die mich schlecht behandelt und über die Achsel angeblickt hatten.

Wir Männer wundern uns nie, wenn sich ein Mann von fünfundfünfzig Jahren in ein siebzehnjähriges Schulmädchen verliebt. Wir denken nicht an das Leben, zu dem das arme Kind in seinen schönsten Jahren verdammt ist. O nein! Die alten Graubärte wackeln mit den Köpfen und versichern, es sei eine höchst passende und glückliche Verbindung. Warum sollte es nicht auch ein gleich passendes und glückliches Zusammentreffen von Umständen sein können, wenn eine Frau von mittleren Jahren einen jungen Fant, der ganz gut ihr Sohn sein könnte, unter ihre Flügel nimmt? Man wird mir entgegenhalten, dies sei schon oft dagewesen und ich verteidige meine eigne Sache. Wohl, aber ist es nicht die Pflicht eines jeden Mannes, seine eigne Sache zu verteidigen, und hat es je etwas Neues gegeben unter der Sonne?

Wenn ich heute auf all dies zurückblicke, kann ich mich nur über mein Glück wundern und es dankbar preisen. In ihrem unendlichen Gleichmut und ihrer unverfälschten weiblichen Güte wachte Mrs. Brabazon über mich, wollte aber nichts weiter. Ich bin fest überzeugt, daß sie in jedem Augenblick unsrer Freundschaft oder unsres mehr als freundschaftlichen Verhältnisses sich mehr als irgend jemand sonst gefreut hätte, mich glücklich und gut verheiratet zu sehen, und alles aufgeboten haben würde, eine derartige Verbindung zu stande zu bringen, wenn sie Zeit, Ort und Gelegenheit hierzu hätte ausfindig machen können.

Prüde und Sittenprediger, welch letztere noch schlimmer sind als die Prüden, mögen von ihrem Benehmen denken, was sie wollen: mir ist es stets »echt weiblich« erschienen.


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