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[XI]

Herr Laborde. – Der Prinz Rakoto. – Züge aus seinem Leben. – Das Sambas-Sambas. – Maria. – Die Heeresschau auf dem Marsfelde. – Der madagaskarische Adel. – Der geheime Vertrag. – Die englische Missions-Gesellschaft und der englische Missionär Herr W. Ellis.

 

Die Lebensgeschichte unseres Wirthes, des Herrn Laborde ist folgende:

Er wurde in Frankreich geboren und ist der Sohn eines wohlhabenden Sattlers. In seiner Jugend diente er mehrere Jahre als Kavallerist in der französischen Armee, gab aber, da ihn stets Sehnsucht quälte, etwas mehr von der Welt zu sehen, nach dem Tode seines Vaters den Dienst auf, stellte einen Ersatzmann und ging nach Ostindien. Er legte in Bombay verschiedene Fabriken an, besserte Dampfmaschinen aus, verfertigte Waffen, errichtete eine Sattlerei und machte dabei ganz gute Geschäfte. Sein unruhiger Geist ließ ihn jedoch nicht lange an demselben Orte weilen; er übergab seine Werkstätten einem Freunde und schiffte sich im Jahre 1831 nach dem indischen Archipel ein. Das Schiff wurde von einem Sturme verschlagen und litt an der Küste von Madagaskar Schiffbruch; Herr Laborde verlor dabei nicht nur Hab und Gut, sondern auch seine Freiheit; denn, wie bekannt, werden auf dieser gastfreundlichen Insel alle Schiffbrüchigen zu Sklaven gemacht. Man brachte ihn nebst einigen seiner Unglücksgefährten nach Tananariva, um ihn daselbst zu verkaufen. Glücklicherweise erfuhr die Königin, daß er Waffen und andere Gegenstände zu verfertigen verstünde; sie ließ ihn nach Hofe kommen und versprach ihm die Freiheit, wenn er ihr fünf Jahre lang treu dienen wolle. Herr Laborde that dieß; er legte eine Werkstätte an und lieferte der Königin alle Arten von Waffen, sogar kleine Kanonen, sowie auch Pulver und andere Dinge. Trotz ihres Hasses gegen die Europäer, gewann die Königin Zutrauen und legte bald so viel Werth auf ihn, daß sie bei manchen wichtigen Unternehmungen seinen Rath einholte – ja nicht selten gelang es ihm, sie von Todesurtheilen abzuhalten.

Aber nicht nur bei der Königin allein steht Herr Laborde so gut angeschrieben, sondern auch beim Adel und Volk. Seine trefflichen Eigenschaften haben ihn überall beliebt gemacht und alle jene, die irgend eines Rathes, irgend einer Hilfe bedürfen, kommen zu ihm, und nie vergebens; er ist ihr Arzt, ihr Vertrauter und ihr Helfer.

Aus den fünf Jahren, welche Herr Laborde im Dienste der Königin bleiben sollte, wurden zehn Jahre; seine Beschützerin gab ihm Haus und Hof, Ländereien und Sklaven, und da er sich mit einer Eingeborenen verheirathet und einen Sohn von derselben hat, so bleibt er wohl für immer im Lande, obgleich er schon lange frei und unabhängig ist und die Insel verlassen kann, wann es ihm beliebt.

Nebst der Waffen- und Pulverfabrik hat dieser industriöse Mann auch eine Glashütte, eine Indigo-Färberei, eine Seifen- und Kerzen-Siederei, und eine Rhum-Brennerei angelegt. Er lehrte den Leuten das Zuckerrohr geregelt pflanzen und versuchte mit gutem Erfolge den Wein- und Getreidebau. Auch mit europäischen Früchten und Gemüsen wollte er die Insel beschenken, und der größte Theil von ihnen gedieh vortrefflich; allein leider blieben seine Bemühungen ohne Nachahmung. Die Eingeborenen zogen es vor, in ihrer angewohnten Trägheit fortzuleben und nichts als Reis und von Zeit zu Zeit ein Stück Ochsenfleisch zu essen.

Gelang es aber Herrn Laborde mit seinen Unternehmungen nicht, jeden Zweck zu erreichen, den er beabsichtigte, so haben sie jedenfalls dazu gedient, die Kulturfähigkeit dieses schönen Landes zu beweisen.

Wir waren gegen 4 Uhr Nachmittags in Herrn Laborde's Hause angelangt.

Unser freundlicher Wirth stellte uns sogleich zwei Europäern vor, den einzigen, welche sich zu der Zeit in Tananariva aufhielten. Es waren zwei Herren vom geistlichen Stande, von welchen der eine schon seit zwei Jahren, der andere seit sieben Monaten bei Herrn Laborde wohnte. Es schien nicht an der Zeit, als Missionäre aufzutreten, und sie verbargen diese Eigenschaft auf das sorgfältigste. Nur der Prinz und wir Europäer wußten um das Geheimniß. Den einen hielt man für einen Arzt und der andere galt für den Lehrer des Sohnes Herrn Laborde's, welcher vor zwei Jahren von Paris zurückgekommen war, wohin ihn sein Vater zur Erziehung gesandt hatte.

Ein herrliches Mahl versammelte uns alsbald um die Tafel, die ich ganz auf europäische Weise gedeckt und geordnet fand, nur mit der Eigenthümlichkeit, daß sämmtliche Teller und Schüsseln von gediegenem Silber waren; selbst statt der Trinkgläser prangten silberne Pokale. Ich äußerte scherzweise zu Herrn Laborde, daß ich ähnlichen Luxus noch an keiner Tafel gesehen und am allerwenigsten in Tananariva erwartet hätte. Er erwiederte mir, daß dieser Luxus bereits in jedem reichen Hause herrsche (deren es freilich nur sehr wenige gäbe), und daß er selbst ihn eingeführt habe, aber keineswegs aus Verschwendung, sondern im Gegenteil aus Sparsamkeit – Porzellan-Geschirr müßte nämlich jeden Augenblick erneuert werden, weil die Sklaven ganz vorzüglich darin geschickt seien, alles in kürzester Zeit in Stücke zu brechen, und käme daher viel theurer zu stehen.

Wir waren noch lange nicht mit unserem fröhlichen Mahle zu Ende, eben wurde Champagner gereicht und die Toaste fingen an, als ein Sklave in größter Hast herbeigelaufen kam, uns die Ankunft des Prinzen Rakoto zu melden. Wir sprangen rasch vom Tische auf, hatten aber nicht mehr Zeit ihm entgegen zu gehen. In seiner Ungeduld Herrn Lambert zu sehen, war er dem Sklaven auf dem Fuße gefolgt. Lange hielten sich die beiden Männer umschlossen, lange fand keiner von ihnen ein Wort, seine Freude auszudrücken. Man sah es ihnen an, daß sie wirklich tiefe Freundschaft für einander fühlten. Wir alle, die wir umherstanden, konnten uns bei diesem Anblicke einer wahrhaft feierlichen Rührung nicht erwehren. Der Prinz Rakoto, oder wie sein ganzer Name lautet: Rakodond-Radama, ist ein junger Mann von 27 Jahren. Er besaß gegen meine Erwartung durchaus kein unangenehmes Aeußere. Seine Statur ist klein und gedrungen, das Gesicht und dessen Farbe entspricht keiner der vier Racen, welche Madagaskar bewohnen. Es hat ganz den Typus der moldauischen Griechen. Das schwarze Haar ist kraus, aber nicht wollig, die dunklen Augen sind voll Feuer und Leben, und schöne Zähne zieren den wohlgeformten Mund. Seine Züge drücken eine so wahrhaft kindliche Güte aus, daß man sich sogleich zu ihm hingezogen fühlt. Er geht häufig europäisch gekleidet.

Dieser Prinz ist bei Hoch und Nieder gleich geliebt und geachtet, verdient aber, wie mir die Herren Lambert und Laborde versicherten, diese allgemeine Liebe und Achtung in vollem Maße. So grausam die Königin, seine Mutter, so gutherzig ist der Sohn, und so sehr erstere das Blutvergießen liebt, einen so unüberwindlichen Abscheu hat letzterer dagegen; sein größtes Streben und Trachten ist dahin gerichtet, die harten Strafen, die vielen Hinrichtungen, welche die Königin über ihre Unterthanen verhängt, zu mildern oder zu verhindern. Zu jeder Stunde ist er bereit, die Unglücklichen anzuhören und ihnen zu helfen, und seinen Sklaven hat er auf das strengste verboten, jemanden mit dem Bescheide abzuweisen, daß er schliefe oder sein Mahl einnähme. Dieß wissend kommen oft Leute mitten in der Nacht und wecken den Prinzen aus dem Schlafe, um seine Hilfe für ihre Verwandten zu erflehen, die am frühen Morgen hingerichtet werden sollen. Kann er ihre Begnadigung bei seiner Mutter nicht bewirken, so geht er wie zufällig denselben Weg zur Zeit, zu welcher die Armen mit Stricken gebunden nach dem Richtplatze geführt werden, durchschneidet deren Bande und heißt sie entweder fliehen oder ruhig nach Hause gehen, je nachdem die Gefahr für sie größer oder geringer ist. wenn man der Königin dann berichtet, was ihr Sohn gethan, macht sie darüber nie eine Bemerkung. Nur sucht sie die nächsten Verurtheilungen so viel als möglich geheim zu halten und deren Vollstreckung zu beschleunigen. Urtheil und Ausführung folgen deshalb so rasch aufeinander, daß, wenn der Prinz zufällig von der Stadt abwesend ist, die Botschaft zu spät an ihn gelangt, um Hilfe schaffen zu können. Sonderbar ist es bei dieser gänzlichen Verschiedenheit der Charaktere, daß sich Mutter und Sohn auf das zärtlichste lieben. Der Prinz ist der Königin mit der größten Zuneigung ergeben. Er sucht die grausamen Handlungen derselben auf alle mögliche Art zu entschuldigen, und nichts ist ihm schmerzlicher, als der Gedanke, daß sie weder geliebt noch geachtet sein kann.

Der edle Charakter des Prinzen ist um so mehr zu bewundern, als er von frühester Kindheit an das böse Beispiel seiner Mutter vor Augen hatte, aus deren Bereich er nie kam, und daß für seine Erziehung auch nicht das geringste gethan wurde. In hunderten von ähnlichen Fällen würde der Sohn gewiß die Vorurtheile und bösen Eigenschaften der Mutter angenommen haben.

Außer einigen Worten der englischen Sprache hat man ihm keine Kenntnisse beizubringen gesucht – was er ist und weiß, verdankt er sich selbst. Was hätte aus diesem Prinzen werden können, wenn durch eine zweckmäßige Bildung sein Geist und sein Talent entwickelt worden wären!

Ich hatte häufig Gelegenheit, ihn zu sehen und zu beobachten, denn selten verging ein Tag, an welchem er nicht Herrn Lambert besuchte – ich habe keine anderen Fehler an ihm bemerkt, als zu wenig Selbstständigkeit und Vertrauen in seine Fähigkeit und das einzige, was ich befürchte, sollte die Regierung einst in seine Hände gelangen, ist, daß er zu wenig energisch auftreten und seine gewiß ganz guten Absichten nicht durchgreifend ausführen dürfte.

Ich will nur einige Thaten dieses Mannes erzählen, aus welchen man am besten seinen Edelmuth kennen lernen kann. Es geschieht häufig, daß die Königin Hunderten ihrer Unterthanen befiehlt, für diesen oder jenen Großen des Landes monatelang die schwersten Arbeiten zu verrichten, z. B. Bauholz zu fällen, es 30 Meilen weit zu schleppen, Steine zu behauen u.dgl.m., und zwar, ohne daß die Leute die geringste Entschädigung dafür anzusprechen haben. Wenn dieß der Prinz erfährt, läßt er sich in die Gegend spazieren tragen, in welcher die Leute arbeiten, begegnet ihnen anscheinend zufälliger Weise und erkundigt sich, für wen sie diese Arbeit verrichten. Auf ihre Antwort fragt er sie weiter, ob sie auch Nahrung bekämen (von Lohn ist natürlich nie die Rede). Da zeigt es sich gewöhnlich, daß sie nicht nur keine Nahrung erhalten, sondern oft schon die eigenen mitgebrachten Lebensmittel aufgezehrt haben und ihren Hunger mit Wurzeln und Kräutern zu stillen suchen. Der Prinz läßt dann sogleich, je nach der Zahl der Arbeiter, auf Kosten des Arbeitgebers einen oder zwei Ochsen schlachten und mehrere Centner Reis herbeischaffen und unter die Leute vertheilen. Kommt der Große, über eine solche Zumuthung ganz erstaunt, zu dem Prinzen, um sich darüber zu beschweren, so wird er mit dem Bescheid abgefertigt: »Wer für Euch arbeitet, den müßt Ihr billiger Weise auch ernähren, und wollt Ihr es selbst nicht thun, so werde ich Euren Schatzmeister machen.«

Vor einigen Jahren ging an der Küste Madagaskar's ein Schiff mit dem größten Theil der Mannschaft zu Grunde; fünf Matrosen, die sich aus dem Schiffbruch gerettet hatten, wurden, wie dieß gebräuchlich ist, nach der Hauptstadt gebracht, um daselbst als Sklaven verkauft zu werden. Der Prinz begegnete ihnen auf einem Ausfluge, den er gerade machte, ungefähr eine Tagreise von Tananariva und als er bemerkte, daß einer der Matrosen keine Schuhe anhatte, und mühselig den andern nachhinkte, zog er seine eigenen aus und gab sie ihm. Außerdem sorgte er dafür, daß sie reichlich genährt wurden. Herr Laborde kaufte diese fünf Matrosen, bekleidete sie, gab ihnen Reisegeld und Empfehlungsschreiben und half ihnen wieder nach ihrem Vaterlande. Der Prinz ist selten in der Lage, dergleichen Handlungen vollführen zu können. Er besitzt kein Geld oder nur sehr wenig; sein ganzer Reichthum beschränkt sich auf Sklaven, Reisfelder und Ochsen, die ihm seine Mutter gibt.

Ein anderes Mal sah der Prinz einen Europäer, welchen mehrere Malegaschen als Gefangenen nach der Hauptstadt brachten. Der Arme wurde gleich einem Thiere von seinen Wächtern mit Hieben und Stößen getrieben; er war von der weiten Reise, von den schlechten Wegen so ermüdet und abgemattet, daß er sich kaum mehr fortschleppen konnte. Der Prinz verwies den Wächtern ihre Grausamkeit, stieg von seinem Takon (so wird, wie bereits bemerkt, der Tragstuhl genannt), und hieß den Gefangenen seinen Platz einzunehmen.

Auch an einem unserer Träger fand der Prinz Gelegenheit seine Großmuth auszuüben. Dieser Unglückliche hatte, den Gewohnheiten seiner Landsleute getreu, in der Nähe der Hauptstadt einen Ochsen gestohlen und nach einem der Märkte getrieben, wo er ihn verkaufen wollte; er wurde jedoch dabei ertappt und nach der Hauptstadt gebracht. In ähnlichen Fällen geht die Justiz auf Madagaskar mit unglaublicher Schnelligkeit zu Werke; noch denselben Tag sprach sie das Todesurtheil über ihn aus, und gegen Abend sollte er in der landesüblichen Weise mit der Lanze (Sagaya) hingerichtet werden. Herr Laborde erfuhr dieß und sandte nach allen Orten und Enden, um den Prinzen aufzusuchen und seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Prinz wurde zum Glück noch zu rechter Zeit gefunden, ging kaum eine halbe Stunde vor der Hinrichtung nach dem Gefängniß, öffnete dem Verbrecher der Thüre, und rieth ihm, so eilig als möglich nach seiner Heimath zu fliehen.

Aehnliche Thaten hörte ich viele von dem Prinzen erzählen, und wenige Tage sollen vergehen, an welchen er nicht Menschenleben rettet oder auf sonst eine Weise Wohlthaten ausübt. Häufig gibt er seinen letzten Thaler her und theilt alle seine Vorräthe an Reis und Lebensmitteln aus, und doppelte Freude gewährt es ihm, wenn er einem Unglücklichen helfen kann, ohne daß dieser erfährt, von wem die Hilfe kommt. Kräftiger und schöner als meine schwache Feder reden zum Lob dieses edlen Mannes folgende Worte, die ich selbst aus seinem Munde vernahm. Er sagte: daß es ihm einerlei sei, ob Frankreich oder England, oder was immer für eine Nation die Insel in Besitz nehme, wenn nur das Volk gut regiert werde. Er verlange für sich weder Thron noch Königstitel und sei jederzeit bereit, seinen Rechten schriftlich zu entsagen und irgendwo einfach als Privatmann zu leben, könne er dadurch das Wohl seines Landes bezwecken.

Ich muß gestehen, diese Aeußerung rührte mich tief und flößte mir so hohe Achtung für den Prinzen ein, wie ich sie noch für wenige Menschen gefühlt. In meinen Augen ist ein Mann mit einer solchen Denkungsweise größer als der ausgezeichnetste unter den herrschsüchtigen und ruhmesstolzen Monarchen Europa's.

31. Mai. Diesen Morgen sandte die Königin einen der Würdenträger des Reiches, um sich nach unserem Befinden zu erkundigen und uns einzuladen, den nächsten Tag um 2 Uhr das Sambas-Sambas in dem Hause der Dame Rasoaray einzunehmen.

Sie schickte bei dieser Gelegenheit Herrn Lambert als Zeichen ihres Wohlwollens ein Geschenk, das aus einem prachtvollen, gemästeten Ochsen, wie ich deren selbst in Europa wenig gesehen, aus sehr schönem gemästeten Geflügel jeder Art und aus einem Korbe voll Eiern bestand. Die Geschenke der Königin erstrecken sie nie auf andere Gegenstände und gewöhnlich beschränken sie sich auf Geflügel und Eier; Ochsen werden nur beigefügt, wenn sie jemanden ganz besonders auszeichnen will.

Das Sambas-Sambas ist ein Gericht, welches aus feinen, in Fett gerösteten Streifchen Rindfleisch und Reis bereitet wird. Es herrscht die Sitte, in dem ersten Monate des hiesigen neuen Jahres, wenn sich Freunde oder Verwandte besuchen, mit diesem Gerichte die Gäste zu bewirthen. Jedermann nimmt davon eine Prise zwischen zwei Finger, erhebt sich von seinem Sitze, wendet sich links und rechts und sagt: »Möge die Königin noch tausend Jahre leben.« Er kann dann von der Speise nach Belieben genießen, oder auch nicht, das ist einerlei. Diese Feierlichkeit hat ungefähr dieselbe Bedeutung wie bei uns der Neujahrswunsch.

Da wir gerade in dem ersten Monate des Jahres angekommen waren und die Königin Herrn Lambert alle möglichen Aufmerksamkeiten erweisen wollte, lud sie ihn zu diesem Feste ein; meiner geringen Person und den übrigen Europäern wurde diese Ehre als Freunde Herrn Lambert's zu Theil. Alle dergleichen Festessen, zu welchen Fremde gezogen werden, finden jedoch nicht in dem königlichen Palaste statt, sondern bei der Dame Rasoaray, die von sehr hoher Geburt ist und deren große, reich eingerichtete Wohnung sich am besten dazu eignet. In dem Palaste der Königin oder gar in ihrer Gesellschaft zu essen, wäre für einen Fremden eine zu große Ehre; so weit geht die Herablassung dieser hochmüthigen, eingebildeten Person nicht.

Ich benützte den heutigen Tag, die Stadt zu besehen, von welcher ich jedoch nichts weiter zu sagen finde, als daß sie sehr belebt und ungemein ausgebreitet ist, besonders wenn man die Vorstädte dazu rechnet. Man behauptet, sie enthalte mit der nächsten Umgebung 50.000 Häuser, oder wie man hier sagt »Dächer« und 100.000 Bewohner. Diese Angabe mag wohl sehr übertrieben sein; aber ungewöhnlich groß ist die Häuserzahl wirklich und dieß aus der einfachen Ursache, weil die Häuser selbst sehr klein sind, – keines besteht aus mehr als einem, höchstens zwei Gemächern. Ist die Familie groß, so werden neben dem Stammhause zwei oder drei andere eben so kleine gebaut; die Küche befindet sich bei den nur einigermaßen Wohlhabenden ebenfalls unter einem eigenen Dache, und die Sklaven sind natürlich auch in mehrere Häuschen vertheilt. Dessenungeachtet glaube ich kaum, daß es in Tananariva mehr als 15 oder höchstens 20.000 Häuser geben mag. Herr Laborde z. B. besitzt neun Häuschen, in welchen sieben freie Leute und ungefähr 30 Sklaven wohnen; hier wäre also das Verhältniß der Bewohner zur Häuserzahl wie 4 zu 1. Herr Laborde ist aber ein Europäer und wohnt mit seinen Leuten nicht so enge und gedrängt, wie die Eingeborenen; bei letzteren kann man gewiß sechs oder wenigstens fünf Personen auf jedes Häuschen rechnen.

1. Juni. Um 2 Uhr Nachmittags begaben wir uns nach dem Hause der Dame Rasoaray. Man führte uns in einen großen Saal, dessen Wand mit europäischen Tapeten bekleidet und dessen Boden mit schönen Matten belegt war. Eine höchst elegant gedeckte Tafel, deren sich kein Fürst in Europa zu schämen gehabt hätte, stand in der Mitte. Die übrige Einrichtung war einfach, aber geschmackvoll. Eine Engländerin hätte freilich den größten Verstoß gegen Anstand und Sitte darin gefunden, daß in demselben Saale, in welchem das Mahl eingenommen wurde, zwei Betten und zwar sehr schöne Betten mit reichen, schwer seidenen Vorhängen standen. Da ich aber keine Engländerin, sondern eine schlichte Deutsche bin, nahm ich kein Aergerniß daran und der Anblick der beiden Betten hinderte mich nicht im geringsten, ganz wohlgemuth meine Portion Reis und Fleisch zu verzehren. Außer diesen Gerichten gibt es bei dem Sambas-Sambas nichts zu essen, und von Getränken erhält man nur Wasser.

Ich bewunderte sehr zwei silberne Vasen in Relief gearbeitet, welche auf dem Tische standen und meine Bewunderung stieg auf das höchste, als ich erfuhr, daß sie von inländischen Gold- und Silberschmieden verfertigt worden seien. Sie hätten gewiß selbst in Europa Beifall gefunden. Die Eingeborenen besitzen gleich den Chinesen eine große Geschicklichkeit im Nachahmen; dagegen fehlt ihnen Erfindungsgeist.

Unter den hohen Personen, welche nebst uns zu diesem Mahle geladen worden waren, gab es verschiedene, welche englisch oder französisch sprachen; mehr jedoch englisch. Die Kenntniß dieser Sprache rührt noch aus der Zeit des Königs Radama her, unter dessen Regierung englische Missionäre nach Madagaskar gekommen und eine gewisse Anzahl junger Leute nach Mauritius oder England zur Erziehung geschickt worden sind.

Die Feierlichkeit des Sambas-Sambas war sehr bald beendet, und wir kehrten früh nach Hause zurück, wo wir Abends von einem Besuche des Prinzen Rakoto überrascht wurden. Er kam in Begleitung der Mutter seines fünfjährigen Sohnes, um sie mir vorzustellen. Wie ich schon bemerkt habe, konnte der Prinz diese Frau, da sie eine Sklavin war, nach den hiesigen Gesetzen nicht ehelichen, und ihr Sohn hat durchaus keinen Anspruch auf des Vaters Rang. Dessenungeachtet beehrt man sie beide mit dem prinzlichen Titel. Freilich haben in diesem Lande die Gesetze, dem Regenten gegenüber, wenig zu bedeuten; sie hängen einzig und allein von dessen Willkür ab, und sobald Prinz Rakoto auf den Thron gelangt, kann er sie nach Belieben umstoßen und die einstmalige Sklavin zur Königin und ihren Sohn zum Kronprinzen machen.

Des Charakters dieser Frau habe ich erwähnt. Was ihre Schönheit anbelangt, so muß man dieselbe natürlich nicht mit den europäischen Augen betrachten, oder man muß sehr lange unter diesem Volke gelebt haben und an dessen häßliche Züge gewöhnt sein, um die minder häßlichen schön zu finden.

2. Juni. Heute sahen wir eine große Heerschau auf dem Marsfelde, einer schönen Wiese, die sich an dem Fuße des Hügels vor der Stadt ausbreitet. In Tananariva sollen stets 10 bis 12.000 Mann versammelt sein; diese Angabe ist aber wahrscheinlich gleich jener von der Häuserzahl um die Hälfte übertrieben. Das bei der erwähnten Gelegenheit aufgestellte Militär betrug keinesfalls mehr als 4500 bis 5000 Mann. Die Soldaten bildeten ein großes Doppelviereck, in dessen Mitte die Offiziere nebst der Musikbande standen.

Eine solche Heerschau wird alle 14 Tage, an dem dritten Tage jeder zweiten Woche abgehalten, um zu püfen, ob die dienstpflichtigen Soldaten gegenwärtig, ob sie gesund, und ob ihre Kleider und Waffen in Ordnung sind. Man ruft die Namen auf und wenn bei einer Compagnie nur wenige Leute fehlen, dann kommt der Kapitän mit einem Verweise davon; fehlen aber gar zu viele, so wird er gleich an Ort und Stelle mit einem Dutzend oder mehr Hieben bestraft. Der letztere Fall soll sich ziemlich oft ereignen, denn unter einer so großen Anzahl von Soldaten gibt es viele, deren Heimath mehrere Tagreisen von der Hauptstadt entfernt ist, so daß sie von einer Heerschau zu anderen nicht Zeit genug finden, dahin zu wandern, ihr Feld zu bestellen, sich mit Lebensmitteln zu versehen und wieder zurückzukommen.

Militärische Uebungen wurden nicht gemacht, und wie man mir sagte, wird der Krieg ohne System und ungefähr in derselben Art geführt, wie bei den ganz wilden Völkern. Wenn sich eine Truppe verloren glaubt, hört die Subordination augenblicklich auf, und die Leute fliehen nach allen Seiten. Schrecklich ist das Loos der Kranken und verwundeten Soldaten, und zwar nicht nur auf der Flucht (da bekümmert sich natürlich niemand um sie), sondern selbst auf den gewöhnlichen Märschen. Ihre Kameraden sind wohl verpflichtet, für sie zu sorgen, sie zu tragen und zu ernähren; wie kann man aber dieß von Leuten verlangen, die an allem Mangel leiden, die durch ausgestandenen Hunger, durch Mühseligkeiten jeder Art oft selbst so geschwächt sind, daß sie nur mit Mühe ihre eigene Person und ihre Waffen weiterschleppen! Gar häufig geschieht es, daß man sich der Armen gewaltsam zu entledigen sucht. Man schlägt sie nicht gerade todt, was beinahe unter diesen Verhältnissen eine Wohlthat für sie wäre; aber man schleift sie auf dem Boden fort, reicht ihnen keine Lebensmittel, ja nicht einmal einen Labetrunk aus der nahen Quelle, und wenn sie kein Lebenszeichen mehr von sich geben, läßt man sie am Wege liegen, ohne zu untersuchen, ob sie wirklich todt sind.

Auf den Märschen gehen unglaublich viel Menschenleben zu Grunde. In dem letzten Kriege z. B., welchen die Königin vor zwei Jahren mit den Seklaven führte, wurden 10.000 Mann in's Feld gesandt; von diesen starb mehr als die Hälfte während des Marsches aus Mangel an Nahrung, viele liefen davon, und als das Heer auf dem Kriegsschauplatze anlangte, zählte es kaum etwas mehr als 3000 Mann.

Die Gefangenen sind viel besser daran, denn für sie wird Sorge getragen, weil man aus ihrem Verkaufe Nutzen zieht; ja selbst als Sklaven sind sie bei weitem nicht in einer so unglücklichen Lage, wie die Soldaten oder Bauern. Ihre Herren kleiden, nähren und beherbergen sie, und mit Arbeit werden sie auch nicht überladen, denn in diesem Falle setzt sich der Eigenthümer der Gefahr aus, seinen Sklaven durch Davonlaufen zu verlieren, und von flüchtigen Sklaven wird selten einer eingebracht, da es weder Polizei noch eine sonstige Aufsicht im Lande gibt. Der Herr kann freilich, wie ich schon früher gesagt habe, seinen Sklaven mit dem Tode strafen, die Regierung bekümmert sich darum nicht; doch hält ihn natürlicher Weise sein eigenes Interesse davon ab. Viele Sklaven geben ihren Herren eine jährliche kleine Abgabe an Geld und leben wie freie Leute – manche halten sogar selbst wieder Sklaven, die sie für sich arbeiten lassen.

Nach der Heerschau zog das Offizier-Corps mit der Musik an unserem Hause vorüber, um Herrn Lambert zu bewillkommnen.

Die Offiziere waren wie jene in Tamatavé größtentheils auf europäische Art gekleidet und sahen nicht minder komisch und lächerlich aus. Der eine trug einen Frack, dessen Schöße bis an die Fersen reichten, ein anderer einen Rock von geblümtem Kammertuch, ein dritter eine halbverbleichte rothe Jacke, die einst einem englischen Marine-Soldaten gedient haben mochte. Eben so verschiedenartig und gewählt war die Kopfbedeckung. Da gab es Stroh- und Filzhüte von allen Größen und Farben, Mützen und Kappen von nie gesehenen Formen. Die Generale trugen gleich den europäischen, zweieckige Hüte und waren beritten.

Die militärischen Grade sind hier ganz den europäischen nachgebildet; sie bestehen aus dreizehn Abstufungen, von dem gemeinen Soldaten bis zu dem Feldmarschall.

Auch die Titel des europäischen Adels war ich so glücklich in Madagaskar vorzufinden; es wimmelte von Baronen, Grafen und Fürsten, wie an den deutschen Höfen.

Die ganze Bevölkerung Madagaskar's ist in elf Kasten eingetheilt. Zu der elften Kaste gehören die regierenden Häupter, zu der zehnten die Abkömmlinge der königlichen Familie. In dieser Kaste allein dürfen sich Geschwister heirathen, vermuthlich, um einer zu großen Nachkommenschaft königlichen Blutes vorzubeugen. Die folgenden sechs Kasten, von der neunten bis einschließlich vierten, begreifen die Adeligen höheren und niederen Ranges. Zur dritten Kaste gehört das Volk, zur zweiten Kaste die weißen Sklaven, unter welchen man alle jene versteht, die früher freie Leute waren und als Kriegsgefangene oder aus Strafe für begangene Verbrechen verkauft wurden, und zur ersten Kaste die schwarzen Sklaven, das heißt jene, welche als Sklaven geboren sind.

Ein Adeliger kann sich eine Frau nicht nur aus seiner eigenen Kaste wählen, sondern auch aus den zwei Kasten, die unter ihm stehen, nie aber aus einer höheren. Mit einer Sklavin darf er sich auf keinen Fall verheirathen, und das Gesetz gestattet nicht einmal ein Liebesverhältniß zwischen einem Adeligen und einer Sklavin. (In dieser Beziehung könnte Madagaskar den von Weißen beherrschten Ländern, in welchen Sklaverei eingeführt ist, zum Vorbilde dienen.) Jenes Gesetz soll in früheren Zeiten sehr strenge beobachtet worden sein, und entdeckte man ein derartiges Verhältniß, so wurde der Adelige als Sklave verkauft und die Sklavin geköpft. Hatte eine adelige Frau ein Verhältniß mit einem Sklaven, so wurden beide getödtet. In der neueren Zeit hat jedoch diese Strenge sehr abgenommen. Wäre dieß nicht der Fall, so müßte bei der allgemeinen Sittenlosigkeit, die heutzutage in diesem Lande herrscht, bei weitem der größere Theil der Würdenträger und Adeligen hingerichtet werden, und was würde dann aus dem Hofe werden?! Aber etwas Gutes bewirkt jenes Gesetz doch immer, denn wenn ein Adeliger seinen Umgang mit einer Sklavin der Gefahr der Entdeckung ausgesetzt sieht, so muß er ihr die Freiheit geben, um der Strafe zu entgehen.

Da die Polygamie hier eingeführt ist, so kann jedermann so viele Frauen nehmen, als er will; bei den Adeligen hat jedoch nur eine gewisse Anzahl der Frauen Anspruch auf den rechtmäßigen Gattin-Titel, und die erste Frau behält immer Vorrechte über die nach ihr genommenen. Sie allein wohnt in dem Hause ihres Gemahles, es wird ihr größere Achtung erwiesen, und auch ihre Kinder haben den Vorzug vor jenen der übrigen Frauen. Letztere wohnen jede einzeln in eigenen Häuschen, gleich den Nebenweibern. Der König kann zwölf rechtmäßige Gattinnen nehmen, die aber alle aus den höchsten Familien sein müssen. Die regierende Königin, eben so wie deren Schwester und Töchter, haben das Recht ihre Gatten zu verabschieden und neue zu nehmen, so oft es ihnen beliebt.

Unser Frühstück war eben zu Ende und ich hatte mich in mein Zimmerchen zurückgezogen, als Herr Lambert kam, um mir zu melden, daß uns die Königin zur Vorstellung oder Audienz rufen ließe. Diese Ehre wird den Fremden gewöhnlich erst acht oder zehn Tage nach ihrer Ankunft bewilligt; die Königin schien aber Herrn Lambert vor allen Europäern, welche ihren Hof bisher besucht hatten, auszeichnen zu wollen, und so ward uns schon am vierten Tage das Glück zu Theil, vor ihrer hohen Person erscheinen zu dürfen.

Alle diese Ehrenbezeigungen und Auszeichnungen überraschten Herrn Lambert sehr. Schon auf Mauritius hatte er mir gesagt, daß er an dem Hofe der Königin zwar sehr viele Freunde, aber auch einige höchst gefährliche Feinde besäße, welche seine Abwesenheit benützt haben dürften, ihn sowohl bei der Königin als auch bei dem Prinzen Rakoto auf das ärgste zu verleumden. Was mir aber Herr Lambert damals nicht vertraute und erst hier gestand, war, daß auch von einer anderen Seite versucht worden war, die Königin gegen ihn einzunehmen, und daß er in Folge dessen zu erwarten hatte, wenn nicht gerade schlecht, so doch immer mit einigem Mißtrauen empfangen zu werden.

Ich bekam bei dieser Gelegenheit den ersten wirklichen Einblick in Herrn Lambert's Pläne und Absichten, die freilich nichts weniger als geeignet waren, der Königin eine besondere Neigung für ihn einzuflößen. Als Herr Lambert im Jahre 1855 zum ersten Male nach Tananariva kam und sah, mit welch' unerhörter Grausamkeit die Königin regierte, erwachte in ihm der Wunsch, das unglückliche Volk von dieser Tyrannin zu befreien. Es gelang ihm, die Freundschaft des Prinzen Rakoto zu erwerben, den das Elend seines Volkes ebenfalls tief berührte und der schon damals zu Herrn Lambert sagte, daß es ihm gleich sei, wer sein Volk regiere, wenn es nur gut und gerecht regiert werde.

Die beiden Männer verständigten sich bald; Herr Lambert schloß mit dem Prinzen Rakoto einen Vertrag ab, und nahm sich vor, bei der französischen oder englischen Regierung Unterstützung zu suchen.

Im Jahre 1856 ging er nach Paris, schilderte dem Kaiser in einer Privat-Audienz das namenlose Elend des Volkes auf Madagaskar und suchte ihn zu bewegen, sich dieses unglücklichen Landes anzunehmen. Aber wo blos Philanthropie und sonst keine anderen Interessen im Spiele sind, da ist es schwierig die Theilnahme einer europäischen Regierung zu erregen. Die Audienz blieb ohne Erfolg, eben so jene, welche Herr Lambert in demselben Jahre in London bei dem Premier-Minister Lord Clarendon nahm, und anstatt Vortheile durch diese Schritte zu erlangen, erwuchsen daraus für Herrn Lambert nur Schwierigkeiten und Hindernisse.

Die englische Missions-Gesellschaft erfuhr nämlich alles, was Herr Lambert in Bezug auf Madagaskar gethan hatte. Sie befürchtete, daß, wenn Frankreich die Insel in Besitz nähme, die römisch-katholische Religion allein eingeführt und erlaubt werden dürfte – ein Unglück, das natürlich für die Bewohner viel größer wäre, als jenes von einem so grausamen Weibe regiert zu werden, wie die Königin Ranavola, das nach Laune mit Menschenleben spielt und sie opfert. Die Gesellschaft faßte deshalb den edlen Entschluß, Herrn Lambert auf alle Art entgegenzuarbeiten und sandte sogleich einen ihrer Auserwählten, den Missionär Herrn William Ellis, nach Tananariva, um der Königin mitzutheilen, was Herr Lambert gegen sie unternommen habe.

Herr William Ellis bewies leider bei dieser Gelegenheit, daß auch englische Missionäre, wenn es sich darum handelt, irgend etwas durchzusetzen, verstehen, Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit bei Seite zu lassen und sich jesuitischer Kunstgriffe zu bedienen.

Die ganze Reise des Herrn Ellis bestand, wie meine Leser sehen werden, aus einem Gewebe von »Unwahrheiten« (um nicht Lügen zu sagen) und von Erfindungen.

In Mauritius, welche Insel Herr Ellis auf der Reise nach Madagaskar berührte, erzählte er, daß ihn die Königin Ranavola nach Tananariva berufen habe (erste Unwahrheit).

In Tananariva angelangt, sagte er der Königin, daß er von der englischen Regierung an sie gesandt worden sei (zweite Unwahrheit), um ihr zu versichern, daß England nichts sehnlicher wünsche, als mit ihrem Lande fortwährend in demselben freundschaftlichen Verhältnisse zu stehen, wie dieß unter Georg dem Vierten der Fall gewesen war. Er theilte der Königin ferner alles mit, was Herr Lambert in Frankreich und England gegen sie unternommen habe, schilderte diesen als einen sehr gefährlichen Mann, als einen Spion der französischen Regierung und behauptete, er würde in kurzer Zeit mit französischen Truppen (dritte Unwahrheit) kommen, um die Königin zu Gunsten ihres Sohnes zu entthronen.

Hätte diesen verschiedenen Lügen noch ein edler Zweck zu Grunde gelegen, so könnte man sie mit dem ebenfalls jesuitischen Grundsatz entschuldigen: »Der Zweck heiligt die Mittel,« – hier aber handelte es sich im Gegentheil darum, eine Unternehmung, die das Wohl eines ganzes Volkes betraf, ein rein christliches, menschenfreundliches Werk zu erschweren oder gar unmöglich zu machen. Eine Missions-Gesellschaft sollte die Nächstenliebe wahrlich besser verstehen, die Gebote der Religion nicht so weit vergessen und bedenken, daß sie mit Politik nichts zu schaffen hat.

Der Beruf eines Missionärs ist der schönste, den es geben kann. Nicht leicht bietet ein anderer so viel Gelegenheit, Edles und Gutes zu wirken; aber es ist ein Unglück, daß die meisten Missionäre sich mehr um die Welthändel als um die Verbesserung der Menschen bekümmern, und statt Milde, Eintracht und Duldung zu lehren und auszuüben, ihren Anhängern nichts eifriger predigen, als jene andere Sekte zu hassen, zu verachten und wo möglich zu verfolgen. (Ich verweise meine Leser auf das, was ich schon in meinen früheren Werken über Missonäre, besonders über die englischen und nordamerikanischen, geschrieben habe.)

So kam auch Herr Ellis, anstatt mit dem Oelzweige, mit dem Schwerte nach Tananariva. Bei der Königin verrieth und verleumdete er Herrn Lambert, und dem Prinzen Rakoto hielt er eine lange Predigt über dessen unerhörtes Vergehen, sich gegen seine edle Mutter empören zu wollen. Er sagte dem Prinzen, daß der englische Hof, als er davon gehört habe, so betrübt gewesen sei, daß er Trauer angelegt habe (vierte, höchst lächerliche Unwahrheit.)

Der Prinz war so herablassend, sich diesem Manne gegenüber zu entschuldigen und erwiederte ihm, daß, wenn er seine Mutter blos in der Absicht von dem Throne zu entfernen suchte, um sich selbst hinauf zu schwingen, er (der Missionär) mit seinen Vorwürfen vollkommen Recht hätte. Dieß sei jedoch nicht der Fall und sein einziger Wunsch bestehe darin, daß der Königin nur die Macht benommen wurde, Grausamkeiten zu begehen; alles übrige gönne er ihr gerne, und für sich selbst verlange er nicht das geringste.

Sowohl in Tananariva wie in Mauritius erzählte Herr Ellis, daß Herr Lambert den Prinzen um die Unterschrift des Kontraktes betrogen habe (fünfte Unwahrheit), der Prinz sei durchaus nicht geneigt dazu gewesen, einen Privat-Vertrag mit Herrn Lambert einzugehen; letzterer habe ihn zu einem großen Mahle geladen, betrunken gemacht und in diesem Zustände zur Unterzeichnung vermocht. Als der Prinz am folgenden Tage davon in Kenntniß gesetzt worden sei, habe ihn diese hinterlistige Handlungsweise so sehr gegen Herrn Lambert aufgebracht, daß er ihn für immer aus seiner Gegenwart verwiesen. Dieser poetischen Erdichtung fügte Herr Ellis in Mauritius noch bei, daß er Herrn Lambert nicht rathen möchte, je wieder nach Madagaskar zu gehen, denn er hätte von dem Haß und von der Verachtung sowohl der Königin wie des Prinzen Rakoto das ärgste zu befürchten.

In Tananariva erzählte mir der Prinz selbst die Geschichte von der Unterzeichnung des Vertrages. Er ließ mich denselben lesen, und gab mir die Versicherung, daß die Geschichte von der Berauschung erfunden, daß er in vollkommener Kenntniß von dem gewesen sei, was er unterzeichnet habe, und daß er diesen Schritt nicht im geringsten bereue. Ich wollte, Herr Ellis hätte gesehen, mit welcher Erbitterung, mit welcher Verachtung der Prinz bei dieser Gelegenheit seiner gedachte.

Auch der sechsten und letzten Unwahrheit, die dieser Herr bei seiner Rückkehr von Madagaskar nach Mauritius mitbrachte, muß ich widersprechen. Er rühmte sich überall der guten Aufnahme, die er in Tananariva gefunden und der großen Gunst, in welcher er bei der Königin und bei dem Prinzen gestanden. Diese Gunst war so groß, daß er nach kaum vierwöchentliche Aufenthalte von Tananariva fortgeschafft wurde. Er suchte um die Erlaubniß an, länger bleiben zu dürfen, und führte als Grund an, daß die Zeit des Fiebers nicht vorüber sei, daß es im Gegentheil in den Niederungen noch sehr stark herrsche, daß er Frau und Kinder habe – die Königin möge dies berücksichtigen und ihn nicht der Gefahr des Todes aussetzen. Alles aber war umsonst, er mußte Tananariva verlassen. Die Königin war höchst aufgebracht gegen ihn, weil er mehrere Bibeln ausgetheilt, und der Prinz Rakoto, weil er Herrn Lambert so verleumdet hatte.

Doch genug von diesen Intriguen und Unwahrheiten, die leider weder der englischen Missions-Gesellschaft noch Herrn Ellis Ehre machen.


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