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Das Bad der Königin. – Soldaten und Offiziere. – Festessen und Ball. – Abreise von Tamatavé. – Zweiter Besuch Antandroroho's. – Vovong. – Die Fieber. – Andororanto. – Land und Kultur. – Lage des Volkes. – Manambotre. – Die schlechten Wege und die Träger. – Ambatoarana.
Am 13. Mai kam endlich Herr Lambert an. Den 15. Mai sah ich die Vorfeier des großen Festes »Bad der Königin.« Es ist dieses das einzige Nationalfest auf Madagaskar, und es wird in allen dem Scepter der Königin unterworfenen Ländern auf das großartigste gefeiert.
Ich habe das Fest selbst nicht gesehen, kann daher meinen Lesern nur die Beschreibung wiederholen, welche mir mehrere Augenzeugen davon gemacht haben. Es findet an dem ersten Tage jedes Jahres statt und ist daher eigentlich das madagaskarische Neujahrsfest; jedoch folgen die Madagaskaren nicht unserer Zeitrechnung. Sie theilen zwar auch das Jahr in zwölf Monate ein; jeder Monat hat aber nur die Dauer des Mondes, und wenn sich letzterer zwölfmal erneuert hat, ist das Jahr zu Ende.
Am Vorabend des Festes erscheinen bei Hofe alle jene hohen Offiziere, Adeligen und Chefs, welche die Königin einladen läßt; sie versammeln sich in einem großen Saale, eine Schüssel voll Reis, mit Honig vermischt, wird umhergereicht und jeder der Gäste nimmt davon mit den Fingern eine Prise und ißt sie. Darauf beschränkt sich für diesen Abend die ganze Feier. Am folgenden Morgen erscheint dieselbe Gesellschaft in demselben Saale. Sobald aller vereint ist, tritt die Königin hinter einen Vorhang, welcher in einer Ecke des Saales angebracht ist, entkleidet sich und läßt sich mit Wasser überschütten. Nachdem man sie wieder angekleidet hat, tritt sie hervor, in der Hand ein Ochsenhorn haltend, welches einiges von dem über sie gegossenen Wasser enthält, schüttet einen Theil desselben über die hohen Gäste, begibt sich hierauf in eine Gallerie, die nach dem Hofe des Palastes sieht und gießt den Rest über das daselbst aufgestellte Militär.
An diesem glücklichen Tage gibt es in dem ganzen Lande nichts als Festessen, Tanz, Gesang und Jubel bis tief in die Nacht hinein.
Das Fest währt acht Tage, welche von dem Tage des Bades zählen. Es ist Sitte, an dem ersten Tage so viele Ochsen zu schlachten, als man in den folgenden sieben zu verzehren gedenkt; wer nur immer einige Ochsen besitzt, schlachtet zu diesem Feste wenigstens einen. Die Armen tauschen ein Stück Fleisch gegen Reis, süße Kartoffeln, Tabak u. s. w. ein. Das Fleisch ist noch am achten Tage ziemlich frisch; es wird in lange feine Streifen geschnitten, welche eingesalzen und fest aufeinander gelegt werden.
Die Vorfeier des Festes findet acht Tage früher statt und besteht in militärischen Umzügen. Die Vergnügungssüchtigen beginnen schon mit diesem Tage das Fest und belustigen sich also während vierzehn Tagen – eine Woche vor und eine Woche nach dem Feste.
Das Militär, welches ich bei dem Umzuge in Tamatavé sah, gefiel mir ganz gut: die Soldaten machten ihre Schwenkungen und Uebungen ziemlich regelrecht, und die Musik fand ich wider Erwartung nicht nur anhörbar, sondern wirklich harmonisch. Schon vor mehreren Jahren hat die Königin einen europäischen Musiklehrer nebst allen Instrumenten kommen und ihren ergebenen Unterthanen die musikalischen Kenntnisse wahrscheinlich einbläuen lassen. Es ist ihr gelungen, und viele der Schüler sind schon zu Lehrern geworden und unterrichten ihre Landsleute.
Die Soldaten waren einfach, nett und vollkommen gleich gekleidet. Sie trugen ein enge anliegendes Oberkleid von weißem Zeuge, das bis an die Brust und über einen Theil der Schenkel reichte. Die Brust selbst war unbedeckt und das glänzendweiße Riemzeug der Patrontasche stach grell von der schwarzen Hautfarbe ab, was einen ganz hübschen Effekt machte. Den Kopf hatten sie ebenfalls unbedeckt. Ihre Waffen bestanden aus einem Gewehre und aus der landesüblichen Lanze, »Sagaha« genannt.
Die Offiziere dagegen sahen höchst komisch aus; sie gingen in abgetragenen, europäischen Civil-Kleidern, die mich an die zur Zeit meiner Kindheit herrschenden Moden erinnerten. Zu diesen Kleidern denke man sich die häßlichen Gesichter, das wollig gekrauste Haar – es konnte wahrlich nichts Lächerlicheres geben, und ich bedauerte, kein Maler zu sein, denn ich hätte hier Stoff zu den drolligsten Karikaturen gefunden. Außer den Paraden und Uebungen gehen Offiziere wie Soldaten in der Tracht, die ihnen behagt. Die Soldaten wohnen in einer Art Kaserne, in deren Hofe die Uebungen und die Strafen abgehalten werden; der Eintritt in die Kaserne ist den Europäern auf das strengste untersagt.
Leicht kann die Königin von Madagaskar eine zahlreiche Armee besitzen. Es bedarf dazu blos ihres mächtigen Wortes, denn die Soldaten erhalten keinen Sold und müssen sich außerdem selbst nähren und kleiden. Sie verschaffen sich ihren Lebens-Unterhalt dadurch, daß sie mit Erlaubniß ihrer Vorgesetzten auf Arbeit, oder auch nach ihrer Heimath gehen, ihr Feld zu bebauen. Um aber die Erlaubniß des Offiziers für oft wiederholte Entfernungen zu erlangen, muß der Soldat diesem einen Theil seines Gewinnes, wenigstens einen Thaler pr. Jahr, abgeben. Die Offiziere sind nämlich meistens nicht viel reicher als die Soldaten; sie erhalten zwar, gleich den Civil-Beamten, für ihre Dienstleistungen eine Entschädigung von den Einkünften des Zolles; diese Entschädigung ist aber so gering, daß sie davon nicht leben können und gezwungen sind, ihre Zuflucht zu anderen Auswegen, leider nicht immer zu den ehrlichsten, zu nehmen.
Von den Einkünften des Zolles soll, dem Gesetze nach, ein ganz kleiner Theil auch auf den gemeinen Soldaten abfallen; wie man mir aber sagte, finden die Offiziere den Betrag, der durch ihre Hände geht, wahrscheinlich zu unbedeutend, um sich die Mühe zu geben, ihren Untergebenen davon Rechenschaft abzulegen, und sie behalten ihn lieber für sich selbst, so daß der arme Soldat, der keine Arbeit findet oder zu weit von seiner Heimath entfernt ist, um von Zeit zu Zeit dahin gehen zu können, im buchstäblichen Sinne des Wortes Gefahr läuft Hungers zu sterben. Er muß sich mit Kräutern und Wurzeln, mit allen denkbaren, oft sehr ekelhaften Dingen zu ernähren suchen und sich glücklich schätzen, wenn er zeitweise eine Handvoll Reis empfängt. Er wirft diesen in ein großes mit Wasser gefülltes Gefäß, trinkt des Tages über das magere Reiswasser und erlaubt sich nur Abends eine Handvoll Körner zu genießen. Dagegen entschädigt er sich im Kriege, sobald er auf feindlichem Boden ist, für die erlittenen Entbehrungen. Da wird alles geraubt und geplündert, die Dörfer werden in Asche verwandelt und die Bewohner getödtet oder gefangen mitgeschleppt und als Sklaven verkauft.
Nach der Parade zogen die Offiziere in Begleitung der Musik vor unserem (oder besser gesagt, vor Mademoiselle Julie's) Hause auf, um Herrn Lambert zu begrüßen, und im Namen der Königin zu einem Festessen einzuladen. Dieß ist die einzige Ausgabe, welche die Königin für Personen macht, die sie auszeichnen will.
Herr Lambert bewirthete die Offiziere mit guten Weinen, worauf sie unter Abspielung der Volkshymne, die wirklich ganz musikalisch klang, wieder abzogen.
Am 17. Mai fand das feierliche Mittagessen in dem Hause des ersten Richters statt. Die Stunde war für 3 Uhr gegeben, aber erst um 5 Uhr kam man, uns abzuholen. Wir begaben uns nach dem Hause, welches in der Mitte eines umzäunten großen Platzes oder Hofes lag. Von dem Eingange des Hofes bis an die Thüre des Hauses bildeten die Soldaten Spalier und während unseres Durchzuges spielte das Musikcorps die Volkshymne. Man führte uns unmittelbar nach dem Speisesaale, vor dessen Thüre zwei Schildwachen mit gekreuzten Gewehren standen, was jedoch keineswegs verhinderte, daß jeder, der nur irgend Lust dazu hatte, ganz ruhig aus- und einging.
Die Gesellschaft, aus ungefähr dreißig Personen bestehend, war bereits versammelt, um den Hauptgast, Herrn Lambert, gebührend zu empfangen.
Der erste Gouverneur, zugleich Kommandant von Tamatavé, trug schwarze europäische Kleidung und über der Brust ein breites, rothes Atlas-Band, einem Ordens-Bande ähnlich (merkwürdiger Weise gibt es auf Madagaskar noch keine Orden); der zweite Gouverneur hatte eine alte europäische Uniform an von verschossenem, himmelblauen Seiden-Sammt und reich mit Gold gestickt. Die übrigen Herren waren alle ebenfalls auf europäische Art gekleidet.
Die Tafel prangte mit Fleischgerichten aller Art, mit zahmem und wildem Geflügel, mit Fischen und anderen See-Produkten; ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, daß es über vierzig große und kleine Schüsseln gab. Das Haupt-Schaustück war der Kopf eines ziemlich groß gewachsenen Kalbes, den man aber von Fleisch so entblößt hatte, daß er vollkommen einem Todtenschädel glich, was gerade keinen appetitlichen Anblick gewährte. Auch Getränke gab es in Menge: französische und portugisische Weine, englische Biere u. s. w. Nach den Fleischgerichten wurde schlecht zubereitetes kleines Backwerk aller Art serviert und zum Schlusse Früchte und Champagner-Wein, letzterer in solchem Ueberflusse, daß man ihn gleich aus den Wassergläsern trank.
Soviel ich bemerken konnte, waren sämmtliche Gäste mit ausgezeichnetem Appetit versehen, vergaßen aber über dem Essen keineswegs des Trinkens, was die unzähligen Toaste bewiesen.
Wenn die Gesundheit des Kommandanten, des zweiten Gouverneurs, oder eines abwesenden Prinzen ausgebracht wurde, ging jedesmal einer der Offiziere vor die Thüre und schrie den im Hofe aufgestellten Soldaten aus voller Kehle zu, wessen Gesundheit es galt. Die Musik begann dann zu spielen und sämmtliche Herren erhoben sich und tranken. Das Diner währte vier volle Stunden. Erst um 9 Uhr Abends verließen wir die Tafel und begaben uns in ein anstoßendes Zimmer, wo abermals englisches Bier gereicht wurde. Hierauf führten zu meinem größten Erstaunen zwei der höchsten Offiziere eine Art Contre-Tanz auf – andere folgten ihrem Beispiel und tanzten eine Polka. Ich dachte im Anfang, diese Tanzlust sei eine Folge des genossenen Champagners, Herr Lambert belehrte mich jedoch eines besseren und sagte mir, daß diese Tänze zur Etiquette gehörten. So sonderbar mir dieser Gebrauch vorkam, so sehr belustigten mich die grotesken Figuren der Tänzer, und es that mir leid, daß sie dieses Vergnügen nicht länger fortsetzten.
Zum Schlusse der erhabenen Feierlichkeit wurde mit Anis-Liqueur unter Abspielung der Volkshymne ein Toast auf das Wohl der Königin ausgebracht. Nach dem königlichem Toaste darf nichts weiter unternommen werden, da dieß eine Entheiligung Ihrer Majestät wäre, die sich gleich ihrem verstorbenen Gemahle von dem Volke beinahe göttlich verehren läßt.
Wir brachen nun auf; als ich aber meinen Sonnenschirm nehmen wollte, den ich bei der Ankunft in eine Ecke des Speisesaals gestellt hatte, war er verschwunden – er hatte das Schicksal meiner Uhr getheilt.
Obwohl Diebstähle sehr strenge, ja häufig mit dem Tode bestraft werden und obgleich man jeden Dieb, den man auf der That ertappt, erschlagen kann, ohne sich bei dem Gerichte rechtfertigen zu müssen, so wird doch in Tamatavé mehr gestohlen als irgendwo.
Wie ich bereits erwähnt habe, gehört es nicht unter die seltenen Fälle, daß Offiziere und Beamte Antheil an nächtlichen Einbrüchen nehmen. Vor einigen Jahren wurde in Tamatavé ein ziemlich bedeutender Raub ausgeführt und die meisten der gestohlenen Gegenstände wurden bei einem Offiziere gefunden. Der Beraubte erhielt bei weitem nicht sein ganzes Gut, sondern nur einen Theil davon zurück und diesen mit dem Bedeuten, von dem Raube nicht zu sprechen, wenn er sich nicht den größten Unannehmlichkeiten aussetzen wolle. Damit war die Sache abgethan.
Es geht auch selten Jemand zu Gerichte, um einen Diebstahl anzuzeigen. Für Kleinigkeiten lohnt es sich nicht der Mühe, um so mehr als das Gericht nur selten den Dieb auffindet, und bei bedeutenderen Diebstählen sind gewöhnlich hochgestellte Personen im Spiele, gegen welche es gefährlich wäre, eine Klage zu führen.
Daß die Soldaten zu den größten Dieben gehören, ist bei ihrer armseligen Lage leicht zu begreifen. Der Offizier, der Beamte erhält freilich nur einen sehr geringen Sold; aber er erhält doch wenigstens etwas. Dabei ist er Kaufmann oder Landbesitzer, hat Sklaven, die für ihn arbeiten und zieht selbst aus den ihm untergebenen Soldaten Nutzen. Der arme gemeine Soldat dagegen erhält gewöhnlich gar nichts, und Hungers zu sterben kann man denn doch billiger Weise nicht von ihm verlangen.
Am 19. Mai traten wir endlich die Reise nach Tananariva, der Hauptstadt des Landes an. Die Reisegesellschaft bestand aus Herrn Lambert, Herrn Marius und mir. Herr Marius, ein geborner Franzose, lebt schon seit zwanzig Jahren auf Madagaskar; er machte die Reise aus Freundschaft für Herrn Lambert mit, und übernahm das Amt des Dolmetschers, so wie die Leitung der ganzen Reise – eine Gefälligkeit, die für uns von unberechenbarem Werthe war.
Schon den ganzen Tag zuvor und die Hälfte des heutigen Tages war man vollauf beschäftigt gewesen, alle Kisten und Koffer, welche die Geschenke für die Königin, für den Prinzen Rakoto und unser eigenes Gepäck enthielten, in große trockene Blätter einzuhüllen, um sie gegen den Regen zu schützen.
Herr Lambert hatte die Geschenke für die Königin und ihren Hof auf eigene Rechnung und nicht, wie man in Mauritius behauptete, mit französischem Gelde gekauft. Sie bestanden aus vollständigen und überaus kostbaren Toiletten für die Königin und für einige der ihr verwandten Prinzessinnen, aus sehr reichen, in Gold gestickten Uniformen für den Prinzen Rakoto und aus werthvollen Kunstgegenständen aller Art, darunter viele Spieluhren, mehrere Drehorgeln u. s. w. Diese Geschenke hatten Herrn Lambert mehr als 200.000 Franken gekostet. Man benöthigte zu ihrer Fortschaffung nach der Hauptstadt über 400 Menschen, welche für diese Arbeit dieselbe Bezahlung erhielten wie die Soldaten, das heißt: gar keine – es war Frohndienst. In allen Dörfern, den ganzen Weg entlang, hatte man den Transport bereits angesagt, und die armen Träger mußten sich auf den bestimmten Stationen zur bestimmten Zeit einfinden.
Die Leute, die uns selbst und unser Gepäck trugen, an zweihundert an der Zahl, wurden von Herrn Lambert bezahlt. Die Taxe für einen Träger von Tamatavé nach Tananariva (220 Meilen) ist nur ein Thaler und die Leute haben sich dafür selbst zu verköstigen. Herr Lambert versprach ihnen außer dem Thaler auch noch eine gute Nahrung, wofür sie durch großen Jubel und durch Freudengeschrei ihre Dankbarkeit zu erkennen gaben.
Wir machten den ersten Tag nur sieben Meilen und übernachteten in Antandroroho, der Besitzung des jüngeren Sohnes von Mademoiselle Julie.
Hier sah es ganz anders aus, als an dem Tage, an welchem ich allein gekommen war. Ich bin gewiß weit davon entfernt, so albern und eingebildet zu sein, um zu erwarten, daß man mich auf dieselbe Art aufnehmen, wie Herrn Lambert, den mächtigen Freund der Königin; aber ich fand den Unterschied denn doch etwas gar zu groß. Heute ging es ganz auf europäische Weise zu, und der Tisch war beinahe zu klein, alle Gerichte zu fassen.
So geht es bei allen Völkern der Welt – reiche Leute finden überall die freundlichsten Gesichter, die größte Zuvorkommenheit und Bereitwilligkeit; vor dem Unbemittelten jedoch wird die Maske abgenommen, und wer so reiset wie ich, der lernt die Menschen in ihrer wahren Natur kennen, die leider nur selten zu ihrem Lobe spricht.
Wie verschieden von der meinigen würde die Beschreibung einer Reise von der Feder des Herrn Lambert klingen? Welche Lobsprüche würde er der Gastfreundschaft derselben Bewohner ertheilen, von denen mir oft nur ein kalter unfreundlicher Empfang zu Theil geworden!
Der Achtung, mit welcher mich Herr Lambert behandelte, hatte ich es wahrscheinlich zu verdanken, daß ich diese Nacht ein Musquito-Netz über mein Bett erhielt.
20. Mai. Heute fuhren wir den ganzen Tag auf Seen und Flüssen. Von den ersteren war der größte der Nosive-See; er mag ungefähr elf Meilen lang und fünf Meilen breit sein. Von nicht viel geringerem Umfang sind der Nossamasah und der Rassabh. Als wir einem kleinen Inselchen in dem letzteren nahe kamen, fingen unsere Bootsleute plötzlich aus Leibeskräften zu schreien und zu schimpfen an. Ich dachte, es sei irgend ein Unglück vorgefallen; wie mir Herr Marius erzählte, war indeß die Ursache des Lärmens folgende: Vor vielen Jahren soll in der Nähe dieses See's ein Wunder weiblicher Schönheit gelebt haben, aber auf nichts weniger als tugendhafte Art. Diese madagaskarische Messaline gelangte zu einer großen Berühmtheit, durch welche sie sich sehr geschmeichelt fand. Sie starb jung und, um ihr Andenken der Nachwelt zu bewahren, bat sie auf dem Todtenbette ihre zahlreichen Verehrer, sie auf diesem Inselchen zu begraben, und jedesmal, wenn sie vorüberführen, ihr zur Erinnerung so laut zu schreien und zu schimpfen, als sie könnten.
Ihrer Verehrer thaten es und nach und nach wurde daraus eine allgemeine Sitte.
Die anderen Seen, die wir noch zu durchfahren hatten, waren sehr klein, eben so die Flüsse. Viel Zeitverlust wurde dadurch verursacht, daß von diesen verschiedenen Wasserstraßen nur wenige in unmittelbarer Verbindung mit einander standen. Beinahe zwischen jedem See und Flusse lag eine kleine Strecke festen Landes von 100 bis 1000 Schritten, so daß unsere Boote jedesmal ausgeladen und weiter getragen werden mußten. Es war dieß ein hartes Tagewerk für unsere Leute. Doch hatten sie wenigstens auf dieser Reise die Entschädigung einer guten Nahrung. Herr Lambert sorgte wirklich väterlich für sie – es gab immer frisches Fleisch und Reis im Ueberfluß.
Unser Weg führte unweit der Meeresküste hin, so daß wir die Brandung beinahe beständig hörten. Das Land war flach und einförmig, aber nichts destoweniger anziehend durch die reiche Vegetation; wir sahen sehr schöne Waldungen und eine Menge von Wasserpalmen.
Das Nachtquartier wurde in dem Dorfe Vovong in einem der Regierung zugehörigen Hause aufgeschlagen. Auf dem Wege von Tamatavé nach der Hauptstadt gibt es in vielen Dörfern ähnliche Häuser, welche jedem Reisenden offen stehen. Das Innere ist mit reinlichen Matten belegt, welche die Dorfbewohner zu liefern haben; eben so müssen sie für die gute Erhaltung und Ausbesserung der Häuser sorgen.
21. Mai. Auch heute fuhren wir zu Wasser, erst eine kurze Strecke auf dem Flusse Monsa, dann trugen unsere Leute das Boot gewiß eine halbe Meile weit, worauf wir uns wieder einschifften, und zwar auf einem ganz schmalen, von kleinen Bäumchen, von Gesträuchen und Wasserpflanzen so enge eingefaßten Flüßchen, daß wir mit dem Boote oft kaum hindurchkamen. Mich erinnerte diese Fahrt an ähnliche, die ich in Singapore und Borneo gemacht hatte, nur mit dem Unterschiede, daß es dort durch großartige Urwälder ging. Nach wenig Meilen gelangten wir in einen breiteren Fluß, dessen Wasser sich durch eine ganz besondere Reinheit und Durchsichtigkeit auszeichnete; die Gegenstände spiegelten sich so klar und vollkommen darin ab, wie ich es noch nie gesehen.
In diesen Niederungen und mit wenigen Ausnahmen auf dem ganzen Küstenlande Madagaskar's ist das Klima höchst ungesund und höchst gefährlich wegen der Fieber. Der Hauptgrund mag darin zu suchen sein, daß das Land tief liegt, und die Flüsse an den Mündungen versanden. In der Regenzeit ergießt sich das Wasser widerstandslos über die weiten Ebenen und bildet Sümpfe und Moräste, durch deren Ausdünstungen in der heißen Jahreszeit, von November bis Ende April, der böse Fieberstoff entsteht. Selbst die Eingeborenen, welche im Innern der Insel in den gesunden Landstrichen leben, sind, wenn sie in der heißen Jahreszeit nach den Niederungen kommen, dem Fieber eben so unterworfen wie die Europäer. Von letzteren lernte ich in Tamatavé einige kennen, welche, obwohl schon seit drei oder vier Jahren daselbst lebend, immer noch während des Sommers von dem Fieber befallen wurden.
Unsere heutige Tagesreise betrug höchstens acht bis neun Meilen. Wir hielten früh Nachmittags in dem Dorfe Andororanto an, um unser Gepäck zu erwarten, welches auf einem anderen Wege zu Land befördert worden war.
22. Mai. Diesen Morgen reisten wir noch drei Stunden zu Wasser auf dem Flusse Jark, welcher unweit des Dorfes, wo wir übernachtet hatten, in die See mündet. Dieser Fluß ist sehr breit, hat aber geringe Tiefe, seine Ufer sind abwechselnder als die der übrigen Flüsse, welche wir bisher beschifften. Die einförmigen Flächen fangen an, von kleinen Hügelparthien unterbrochen zu werden und im fernen Hintergrunde zeigt sich eine niedrige Gebirgskette.
An einer großen Biegung verließen wir den Fluß, die Boote blieben zurück, und es begann die eigentliche Landreise. Wir legten diesen Tag noch acht Meilen landeinwärts gegen Osten zurück. Der Weg war ziemlich gut, ausgenommen in der Nähe von einigen armseligen Dörfern, an welchen wir vorüberkamen.
So viel ich bisher von dem Lande gesehen habe, ist es, einige kleine Sandstrecken abgerechnet, überaus fruchtbar. Ueberall schießt das schönste Futtergras in Fülle auf. Die etwas höher gelegenen Ebenen sollen auch ganz vorzüglich zu Zuckerpflanzungen, und die an den Flüssen gelegenen zum Reisbau geeignet sein. Und doch lag alles brach. Die Bevölkerung ist so dünn gesäet, daß wir kaum alle drei bis vier Meilen ein unbedeutendes kleines Dörfchen zu Gesicht bekamen.
Freilich kann dieß nicht anders sein bei einer Regierung, deren ganze Bemühung dahin gerichtet scheint, das Land zu veröden und zu entvölkern. Auf Madagaskar besitzt Niemand Grund und Boden, als die Königin und der hohe Adel. Der Bauer kann zwar die Erde bearbeiten und besäen, wo er unbebautes Land findet, ohne um die Erlaubniß dazu anzufragen; er gewinnt aber dadurch kein Eigenthumsrecht, und der Besitzer kann ihm das Land, nachdem es bebaut ist, wieder abnehmen. Unter diesen Umständen und bei der allen wilden Völkern angeborenen Trägheit ist es nicht zu wundern, wenn der Bauer nur so viel Land bearbeitet als er zu seinem Unterhalt bedarf. Die Abgaben sind nicht drückend, der Bauer hat an die Regierung im Jahr ungefähr einen Centner Reis zu liefern. Desto drückender sind dagegen die Frohndienste und anderweitige Einrichtungen, durch welche der Bauer abgehalten wir, seinen Arbeiten gehörig obzuliegen.
Die Hauptkultur auf Madagaskar ist der Reisbau, welcher zweimal im Jahre stattfindet und wozu die Regierung jedes Mal einen Monat Zeit ausschreibt. Für ein thätiges Volk wäre dieß allerdings genug, um mit der Ernte und der neuen Pflanzung fertig zu werden; leider sind aber die Eingeborenen Madagaskar's weit davon entfernt, thätig zu sein, es kommt daher häufig vor, daß der Monat verstrichen und die Arbeit nicht vollendet ist.
Nach Ablauf der vorgeschriebenen Zeit nimmt die Regierung die Männer in Anspruch, und zwar für alle denkbaren Dienste von mehr oder minder großer Wichtigkeit, wie dieß gerade der Königin oder den von ihr aufgestellten Beamten beliebt. Am schlechtesten sind jene daran, die an den Straßen wohnen, welche von den Seehäfen nach der Hauptstadt führen. Diese armen Leute haben so viele Frohndienste als Träger zu leisten, daß ihnen für den Landbau beinahe keine Zeit übrig bleibt. Viele verließen ihre Hütten und Felder, flohen landeinwärts, um dem lästigen Dienste zu entgehen, und die Dörfer fingen an menschenleer zu werden. Um dieß zu verhindern, verurtheilte die Königin jeden Flüchtling zur Todesstrafe, enthob dagegen die Bewohner der an den Straßen gelegenen Dörfer des Militärdienstes, welcher dem Volke von allen der verhaßteste ist. Einige kleine Dörfer wurden auch mit königlichen Sklaven bevölkert, die keine andere Verpflichtung haben, als Lasten zu tragen. Hätten die Leute blos die königlichen Güter und Waaren zu transportieren, so würde ihr Dienst keineswegs ein schwerer sein. Aber jeder Adelige, jeder Offizier verschafft sich Anweisungen auf ähnliche Dienstleistungen oder zwingt die Leute dazu auch ohne Anweisung. Klagen können sie nicht, denn wo würde ein Bauer in diesem Lande gegen einen Offizier oder Adeligen Recht erhalten? Sie verleben daher den größten Theil des Jahres auf der Straße.
In den Gegenden, wo keine Waaren und Güter zu tragen sind, werden sie zu anderen Arbeiten verwendet, und gibt es gerade keine, so beruft man sie (und in diesem Falle nicht blos die Männer, sondern auch Weiber und Kinder) nach diesem oder jenem Orte, um einem »Kabar« beizuwohnen. Man nennt so die öffentlichen Gerichts-Sitzungen, Berathungen, Verhöre, Aburtheilungen, Versammlungen des Volkes, um neue königliche Befehle und Gesetze zu vernehmen und dergleichen mehr.
Die Kabars werden manchmal an entfernten Orten abgehalten, so daß die armen Leute einige Tagereisen dahin zu machen haben. Auch werden die Gesetze nicht immer gleich verkündet, sondern man verschiebt dieß oft von Tag zu Tag und hält die Berufenen mitunter wochenlang auf. Gar manche sterben bei solchen Gelegenheiten aus Hunger und Noth. Sie hatten sich nicht auf so lange Zeit mit Reis vorgesehen, Geld besitzen sie nicht; sie müssen also mit Wurzeln und Kräutern ihr Leben zu fristen suchen. Aber eben, daß sie zu Grunde gehen, das ist es, was die Königin, wie es scheint, bezwecken will, denn sie haßt sämmtliche Völker, die nicht ihres Stammes sind, und ihr größter Wunsch wäre wohl, sie alle mit einem Streiche vernichten zu können.
Was die Kultur des Landes anbetrifft, so gäbe es auf Mauritius und Bourbon Leute genug, welche bereit wären, große Pflanzungen anzulegen. Einige haben es auch versucht und weite Strecken Landes urbar gemacht und mit Zuckerrohr bepflanzt; sie stießen aber dabei auf die größten Schwierigkeiten. Da, wie ich bereits bemerkt habe, beinahe aller Grund und Boden der Königin oder den Adeligen gehört, so mußten sie sich vorerst mit einem der letzteren in's Einverständniß setzen, das heißt durch Geldgeschenke Protektion und die Erlaubniß erkaufen, auf fremdem Grunde eine Pflanzung anzulegen. Außerdem forderte ihnen die Regierung zehn Prozent von den Erträgnissen ab, und trotz dieser drückenden Opfer fanden sie keine Sicherheit und waren nicht viel besser daran, als die Eingeborenen, denn bei der Gerechtigkeit, die auf Madagaskar herrscht, konnte der Eigenthümer den mit dem Pflanzer gemachten Vertrag jeden Augenblick brechen und den Pflanzer fortjagen.
Manche haben auch in einer anderen Weise einen Vertrag mit der Königin selbst abgeschlossen. Sie lieferte den Grund, die Arbeitsleute, Holz, Eisen, mit einem Worte alles zu einer Pflanzung Nöthige. Der Pflanzer seinerseits verpflichtete sich, die Unternehmung in Gang zu bringen und die Arbeiter zu ernähren; der Ertrag sollte zu gleichen Theilen getheilt werden. Die Königin ist mehrere ähnliche Kontrakte eingegangen, hat sie aber nie eingehalten.
Zu König Radama's Zeiten war das Land, wie man mir sagte, ungleich stärker bevölkert. Unter der Regierung der jetzigen Königin sind nicht nur unzählige große Ortschaften bis auf einige wenige Hütten heruntergekommen, sondern viele sind ganz eingegangen – man zeigte uns häufig Plätze, wo einst schöne Dörfer existiert haben sollen.
Wir blieben in Manambotre über Nacht. Eine kurze Strecke von diesem Dorfe kamen wir an einer Stelle vorüber, auf welcher hie und da große Felsstücke lagen – eine Erscheinung, die uns in dieser Gegend sehr befremdete, denn der Boden bestand weit und breit blos aus Erde, in welcher auch nicht der kleinste Stein zu finden war.
Herr Lambert ließ diesen Abend für unser Gefolge zwei Ochsen schlachten. Man zog sie an Stricken, die man ihnen um die Hörner geschlungen hatte, vor unsere Hütte; mehrere Männer schlichen sich, mit Messern bewaffnet, von rückwärts an sie und schnitten ihnen die Sehnen der Hinterfüße durch. Die armen Thiere sanken kraftlos zusammen und konnten ohne Gefahr getötet werden. Wie ich schon bemerkt habe, zieht man ihnen die Haut nicht ab; sie wird mit dem Fleische gebraten, ja die Eingeborenen ziehen sie sogar letzterem vor, weil das meiste Fett daran sitzt. Die Ochsen sind groß und schön und sehr zahmer Natur, sie gehören zu dem Geschlechte der Buckelochsen.
23. Mai. Heute begannen die schlechten Wege. Mich erschreckten sie nicht, denn auf meinen vielen Reisen, z. B. auf Island bei der Besteigung des Hekla, in Kurdistan, in Sumatra und in anderen Ländern habe ich noch ungleich schlechtere angetroffen; aber meinen Reisegefährten schienen sie Entsetzen einzuflößen. Das Land ist hier nämlich in einer Weise wellenförmig gestaltet, daß es aus lauter hohen, ziemlich steilen Hügeln besteht, welche enge aneinander geschoben sind und kaum einige hundert Fuß breites ebenes Land Zwischenraum haben. Die Wege, anstatt längs der Seiten der Abhänge hin zu führen, gehen senkrecht auf und nieder und der Boden ist weiche Lehmerde, welche, wenn es regnet, so schlüpfrig und glatt wird wie Eis. Dabei fehlt es nicht an tiefen Löchern, die von Tausenden aus dem Innern kommender Ochsen gemacht werden.
Ich konnte nicht genug unsere Träger bewundern. Es gehört wirklich ungewöhnliche Kraft und Geschicklichkeit dazu, auf solchen Wegen schwere Lasten zu tragen. Jene, welche meine kleine, magere Person fortzuschaffen hatten, waren noch die Glücklichsten. Ich wurde ihnen beinahe böse – sie spazierten mit mir Berg auf, Berg ab, als wäre ich eine Person ohne alles Gewicht, und das ist denn doch nicht so ganz der Fall. Nun erst, wenn es in der Fläche fortging! Da rannten sie förmlich, und ich suchte vergebens, sie durch alle denkbaren Zeichen zu bewegen, ihr Feuer ein wenig zu mäßigen, denn die langen und raschen Doppelschritte, die sie machten, waren so unangenehm, wie der Trab eines stark stoßenden Gaules.
Die Hügel standen voll schönen Grases, einige waren auch mit Gehölzen bedeckt. Unter letzteren gab es viel Bambusrohr, dessen zarte Blätterbüschel von saftig-lichtgrauer Farbe in einer Frische prangten, wie ich es noch nirgends gesehen. Gleich Licht und Schatten in einem Bilde stand neben dem hellen Bambusrohr die Rafia-Palme mit ihren federartigen, 15 Fuß langen, dunklen Blättern. Diese Palme ist für die Eingeborenen von großem Werthe, denn aus den Fasern ihrer Blätter flechten sie die Rabanetas, jene groben Matten, deren ich in Tamatavé erwähnt habe.
Von der Wasserpalme sah ich einige prachtvolle Exemplare. Sie gedeiht hier im Innern des Landes viel besser als an der Meeresküste. Ich erinnere mich in einigen Beschreibungen gelesen zu haben, daß diese Palmen nur an Orten vorkämen, wo es an Wasser fehle und daß man sie Wasserpalme oder auch Palme der Reisenden nenne, weil zwischen jedem Blatte und dem Stamme sich etwas Wasser ansammle, welches dem vom Durste gequälten Reisenden zu großer Erquickung diene. Die Eingeborenen behaupten im Gegentheile, daß diese Palme nur auf feuchtem Grunde wachse und daß immer Wasser in ihrer Nähe zu finden sei. Ich hatte leider nicht Gelegenheit, näher zu untersuchen, welche von diesen beiden Behauptungen die richtige ist; doch wird hoffentlich einmal eine Zeit kommen, in der die Botaniker nach Herzenslust die große Insel durchforschen und nicht blos diese, sondern auch viele andere naturhistorische und geographische Fragen werden entschieden werden.
Eine Palme, die auf Madagaskar ebenfalls vorzüglich gedeiht, ist die Sago-Palme. Sonderbarer Weise verachten die Eingebornen ihr Mark, obgleich sie sonst in der Wahl der Lebensmittel durchaus nicht schwierig sind, denn sie verzehren nicht blos Kräuter und Wurzeln, sondern auch Insekten und Würmer.
Die Zeit verging mir heute sehr rasch; auf jedem Hügel, jedem Berge genoß man neue schöne Ansichten. Die Bevölkerung aber wurde immer dünner; wir kamen im Laufe des Tages nur an sehr wenigen und ganz unbedeutenden Ortschaften vorüber.
Die Nacht brachten wir in dem Dorfe Ambatoarana zu. Ueberall war man von der Ankunft Herrn Lambert bereits unterrichtet, und da man wußte, daß er bei der Königin in sehr hohem Ansehen stand, so empfingen ihn die Bewohner jedes Dorfes mit den größten Ehrenbezeigungen und beeiferten sich die Gunst des einflußreichen Mannes zu gewinnen. Auch hier machte uns der Vorsteher sogleich seine Aufwartung und beschenkte Herrn Lambert im Namen seiner Gemeinde mit zwei Ochsen nebst einer großen Menge Reis und Geflügel. Herr Lambert nahm diese Gaben an, machte aber Gegengeschenke, die den Werth jener weit übertrafen.